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Trotz Tschernobyl in den Achtzigern und Fukushima in den Zehnerjahren gilt Stromproduktion via Atomreaktor heutzutage als ‚grün‘ und ‚nachhaltig‘. Die Sorglosigkeit im Umgang mit der Kernkraft ist nicht nur schlichtem Pragmatismus geschuldet. Mindestens genauso liegt sie an einer fundamentalen Verzerrung der Erkenntnis, einer regelrechten Apokalypse-Blindheit, für die drei Charakteristika des modernen Menschseins verantwortlich sind: Erstens denkt der moderne Mensch in einer geschlossenen technizistischen Weltsicht. Man lastet dementsprechend möglichen Kontrollverlust stets mangelndem Wissen an und niemals prinzipieller Unbeherrschbarkeit. Zweitens pflegt der moderne Mensch seinen Gattungsnarzissmus. Man setzt deshalb aktiv Verschleierungstaktiken zur Abwehr kränkender Ohnmachtsgefühle ein. Und drittens besitzt der moderne Mensch viel zu wenig Fantasie. Man kann sich darum atomare Katastrophen lediglich blass und abstrakt vorstellen.
Dieser dreifach verdunkelte epistemologische Rahmen macht einen entscheidenden Teil der zeitgenössischen Atomdiskussion aus. Es gilt ihn bei politischen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.