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Die russische Revolution stellt eine Epochenschwelle dar, die einen radikalen gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandel markiert. An dieser Bruchstelle wird der Film, der sich als neues Massenmedium etabliert, zu einem führenden Medium, an dem sich der Prozess einer umfassenden Neuorientierung, der Umwertung von Werten, des Wechsels von Paradigmen beobachten lässt. Die Frage nach der Innovation ist allerdings diffiziler, als es auf den ersten Blick erscheinen mag: Auch wenn in den Selbstbeschreibungen der avantgardistischen Kultur immer wieder ein absoluter Bruch, das Vergessen-Machen einer alten Ordnung beschworen wird, so wird das Alte doch nicht einfach durch das Neue abgelöst. Das Neue bildet sich vielmehr in einer komplexen Bezugnahme zum Alten heraus, wobei Vergessen und Erinnern in ein Wechselverhältnis treten.
In meinem Beitrag möchte ich zwei Filmbeispiele vergleichend betrachten: Sergej Ėjzenštejns Октябрь [Oktober] (1927/1928) führt den Film als Medium des Ikonoklasmus und die Montage als Verfahren des Denkmalsturzes vor. Hier ist die Ausrichtung auf das aktive Vergessen des ‚Ancien Régime‘ dominant. In Fridrich Ėrmlers Film Обломок империи [Trümmer des Imperiums, dt. Verleihtitel Der Mann, der das Gedächtnis verlor] (1929) liegt der Fokus dagegen auf der Wiederherstellung der Erinnerung. Der Film erscheint hier als Medium der kollektiven Psychotherapie, das die Heilung eines historischen Traumas verspricht. Die diskontinuierliche avantgardistische Montagekonstruktion wird dabei an der Wende zu den 1930er Jahren mit der Herausbildung des Sozialistischen Realismus durch eine neue Kontinuität in der narrativen Entfaltung abgelöst.