Bei Hitze, Hagel, Kälte oder Trockenheit, als Mittel zur Brandbekämpfung und Abwendung von Wassergefahren hielt man Hostien für allgegenwärtig und allmächtig. Man konnte sie aber auch zu Liebespulver zerstampfen oder damit verwunschene Jungfrauen erlösen. Dass geweihte Hostien unter der Haut getragen gegen jedwede Verwundung schützten, zeigte ihren Nutzen bei Rittern oder Kriegsknechten. Wildschützen glaubten an sie, denn Hostien im Kolbenschaft erhöhten die Treffsicherheit der Büchse; wenn man nicht den Leib Christi gleich mit in das Blei gab, um Freikugeln daraus zu gießen.
Copyright Year:
2015
Inbrünstige Wallfahrtseuphorien ergriffen die Massen, hassgeladene Mordrasereien flammten auf, große Denker zermarterten sich das Hirn. Aus geweihten Hostien strömendes Blut erregte in Europa über mehr als ein Jahrtausend die Gemüter. Wenn in der Eucharistie durch die Worte »Hoc est corpus« – später zu Hokuspokus verballhornt – aus Brot das reale Fleisch Christi werden kann, dann müsse es bei Verletzung auch bluten, so die Konsequenz scholastischer Logik. Und das tat es dann auch auf vielfältige und wundersame Weise. Was steckte aber genau dahinter?
Olaf B. Rader beschreibt in diesem Buch eines der interessantesten kulturhistorischen Phänomene des Mittelalters: das plötzliche Auftreten und die Verehrung von blutenden Wunderhostien. Er verfolgt dafür Verzweigungen und Gabelungen brisanter Erinnerungsspuren, die sowohl die Volksfrömmigkeit als auch die Theologie jener Zeit betrafen, zeigt aber auch, wie sogar Betrug und Mord mit der Verehrung des wahren Leibes Christi verknüpft sein konnten. Rader macht zudem deutlich, wie die Erinnerungen an den Mirakelobjekten regelrecht zu haften schienen, und wie sie mit ihnen gelegentlich in Rauch aufgingen und verweht wurden. Das 19. Jahrhundert glaubte mit der mikroskopischen Entdeckung der Wunderbakterien dann endlich die rationale Erklärung dafür gefunden zu haben. Doch viel öfter hatte man es nicht mit Mikroben, sondern mit plötzlich auftretenden Imaginationen, Halluzinationen oder sogar mit handfesten Fälschungen zu tun, wie das Buch auf unterhaltsame Weise darlegt und so ganz nebenbei erzählt, wie fern und zugleich nahe uns das Mittelalter in Empfindung und Handeln sein kann.
Prof. Dr. Olaf B. Rader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Monumenta Germaniae Historica an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Lehrte in Magdeburg und Berlin Kulturgeschichte mit dem Schwerpunkt Mittelalter.
Die Welt, 02.06.2015
Alexander Brüggemann bespricht Olaf Raders Hokuspokus, in dem der Historiker dem Phänomen der Bluthostie nachspürt, einem "Geflecht von Theologie, Kulturgeschichte, Philosophie und Chemie".
Lesen Sie hier die gesamte Besprechung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.04.2015
Rezensent Michael Borgolte hebt das Erzählen als Raders große Stärke hervor, dem "ein reiches, äußerst sorgfältig nachgewiesenes Literaturstudium zugrunde liegt", wie dieses Buch erneut beweise.