Eine ikonische Situation entsteht, wenn ein Bild seinen Betrachter in Beschlag nimmt. Jede Art von Bild erzeugt ikonische Situationen, da ein Bild vor allem in der Beziehung mit seinem Betrachter existiert; in einer Beziehung, die das Bild und seinen Betrachter in einer gemeinsamen Situation vereint. Aber nicht jedes Bild stiftet die gleiche Art von Situation. Eine Theorie des Bildes hat es insofern auch mit der Aufgabe zu tun, die Geschichte jener durch das Bild gestifteten Situationen zu erforschen.
Bruno Haas unterscheidet im Wesentlichen vier Typen ikonischer Situation: den Bildkörper (z.B. Giunta Pisano), das Fenster- (Perugino), das Projektions- (Rubens) und das photographische Bild (Vermeer); sie sind in Europa zwischen dem 13. und dem 17. Jahrhundert nacheinander führend gewesen. Deren durch Quellenstudien bereicherte Beschreibung ergibt wesentliche Elemente zu einer Seinsgeschichte des Bildes in Europa. Dabei wird die Bildanalyse durch ihren »deiktisch-funktionalen« Charakter auch methodisch auf eine neue Grundlage gestellt.
Bruno Haas ist Professor für Philosophie und Kunstgeschichte an der TU Dresden. Vorher war er Maître de Conférences an den Universitäten Marseille/ Aix-en-Provence und Paris 1 Panthéon-Sorbonne. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Philosophie des deutschen Idealismus sowie zu Kunstgeschichte und Bildtheorie seit dem Mittelalter.