Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bricht in der europäischen Literatur eine Wartezeit an, die quer steht zum Paradigma von Fortschritt, Beschleunigung und Produktivität. An die Stelle zielgerichteter Erwartungen tritt ein Verharren im Übergang, das neue dramatische und erzählerische Formen begründet. Andrea Erwig geht den Darstellungsformen, Eigenzeiten und Phantasmen des Wartens u. a. bei Maeterlinck, Rilke, Musil und Freud nach und widmet sich dabei auch Warteräumen und institutionellen Machttechniken. Das literarische Warten zeigt sich in ihrer Studie von einer subversiven Seite: Die ›Waiting Plots‹ der frühen Moderne stemmen sich gegen die Bestimmtheit von Erwartungen und unterbrechen das lineare Fortschreiten von Geschichte, um sich dem Unbestimmten und Singulären der Wirklichkeit zu verschreiben. Das Fin de siècle erscheint aus dieser Perspektive als Übergangszeit, die Endgültigkeiten nicht nur beschwört, sondern sich diesen zugleich widersetzt.
Copyright Year:
2018
Towards the end of the 19th century, a waiting period broke out in European literature that was at cross ends with the paradigm of progress, acceleration and productivity. Instead of targeted expectations, there emerges a persistence in the transition that establishes new dramatic and narrative forms.
Andrea Erwig investigates the forms of representation, the times and phantasms of waiting in Maeterlinck, Rilke, Musil and Freud, among others, and in doing so also devotes herself to waiting rooms and institutional power techniques. In her study, literary waiting shows itself from a subversive side: the 'waiting plots' of early modernism resist the determination of expectations and interrupt the linear progression of history in order to dedicate themselves to the indeterminate and singular of reality. From this perspective, the fin de siècle appears as a transitional period that not only evokes finality, but at the same time resists it.
Andrea Erwig hat in München und Barcelona Neuere deutsche Literatur, Politische Wissenschaft und Philosophie studiert. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Neu-Edition der Werke Siegfried Kracauers“, Doktorandin in der DFG-Forschergruppe „Anfänge (in) der Moderne“, Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien (IFK), Mitglied im Promotionsstudiengang Literaturwissenschaft sowie von 2011 bis 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo sie 2015 promovierte. Seit 2017 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin.