Potential regieren

Zur Genealogie des möglichen Menschen

Schon beim frühesten Auftauchen des lateinischen Wortes »Potentialis« lässt sich eine entscheidende Ambiguität beobachten: Einerseits bezeichnet »Potential« etwas, das noch nicht aktuell ist, aber sein könnte, andererseits stellt »Potential« ein Merkmal der Macht und der Mächtigen dar. Diese Unschärfe und Doppelung ist nicht bloß ein sprachliches Merkmal, sondern hängt mit der Komplexität und gesellschaftlichen Reichweite symbolischer Praktiken zusammen. Im Kern geht es um die Materialität des menschlichen Potentials als eine Grundbedingung des Regierens. In interdisziplinären Fallstudien zur Transformation von Subjekten und gouvernementalen Kulturtechniken rekonstruiert der Band die Genealogie der Regierung von Kollektiven und Individuen in Spätantike, Mittelalter und Neuzeit. Hierbei zeigt sich eine der Urszenen der Biopolitik schon in mittelalterlichen Klöstern als menschlichen Perfektionsmaschinen und nicht erst im quantifizierenden Licht der Aufklärung. Zudem betonen neuzeitliche Verflechtungen von Literatur und Kunst mit Recht und Ordnung die gouvernementale Qualität ebenso umfassender wie unscharfer symbolischer Setzungen, die auch in Zeiten funktionaler Differenzierung noch fortwirken. Über die Zeiten hinweg erweist sich die Administration von Menschengekoppelt an das Versprechen von Sicherheit.
Already at the earliest appearance of the Latin word "Potentialis" a decisive ambiguity can be observed: On the one hand, "potential" means something that is not yet current, but could be, on the other hand, "potential" represents a characteristic of power and the powerful. This blurring and duplication is not merely a linguistic feature, but is related to the complexity and social scope of symbolic practices. In essence, it is about the materiality of human potential as a basic condition of governance.
In interdisciplinary case studies on the transformation of subjects and governmental cultural techniques, the volume reconstructs the genealogy of the government of collectives and individuals in Late Antiquity, the Middle Ages and Modern Times. Here, one of the primal scenes of biopolitics can already be seen in medieval monasteries as human perfection machines and not only in the quantifying light of the Enlightenment. In addition, modern intertwining of literature and art with law and order emphasizes the governmental quality of comprehensive and imprecise symbolic settings, which continue to have an effect even in times of functional differentiation. Throughout time, the administration of people has been linked to the promise of security.

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Dr. Antonio Lucci ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin. Im SoSe 2016 hat er die Professur für „Kulturtheorie und kulturwissenschaftliche Ästhetik“ am selben Institut vertreten. Davor war er als Post-Doc Forscher am Excellence Cluster Topoi und als Dozent für Medienästhetik an der NABA (Mailand) tätig.
Thomas Skowronek: Studium der Slavistik und Geschichte in Marburg, Moskau und Berlin. 2013 Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin. Mitarbeiter am Institut für Slawistik der Humboldt-Universtität zu Berlin (2004-2011). Post-doctoral Fellow und Koordinator der Forschergruppe „Oikonomia/Economy“ am Exzellenzcluster Topoi (2013-2016). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Gouvernementalität in Russland (1500-1750), die polnische Neo-Avantgarde und die Digital Humanities.
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