Zu Beginn des 19. Jahrhunderts interessierten sich russische Schriftsteller und Intellektuelle intensiv für die deutsche Romantik, sogen sie auf und transformierten sie in etwas spezifisch Russisches. Ein Ergebnis dieses Transformationsprozesse war das slavophile Denken seit der Mitte des Jahrhunderts. In den Jahren um 1900 interessierten sich wiederum deutsche Schriftsteller und Intellektuelle intensiv für diese angeblich „genuin russische“ Slavophilie, adaptierten sie im Sinne ihrer aktuellen Interessen.
Thomas Mann etwa gewann daraus die geistige Grundlage für seine
Betrachtungen eines Unpolitischen. Früher noch als Mann nahm Rilke begierig slavophiles Denken auf, das ihm vor allem von Lou Andreas-Salomé vor und während ihrer gemeinsamen Russlandreisen vermittelt wurde. Rilke schuf idealisierte Russlandbilder, die gegenüber der sozialen Realität der Zeit vollkommen blind waren. Seine Transformation des slavophilen Denkens diente ihm vor allem dazu, das eigene Schreiben zu reflektieren und zu begründen.
Copyright Year:
2020
The German poet Rainer Maria Rilke travelled around Russia between 1899–1900. There, he encountered exactly what he was looking for: idealised images detached from reality, images in the vein of the German slavofilia. This conceptual pattern was rooted in the Russian reception of German Romanticism.
Dirk Kemper ist Leiter des Thomas Mann-Lehrstuhls an der Staatl. Geisteswissenschaftlichen Universität Moskau.
Ulrich von Bülow ist Leiter der Archivabteilung im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
Jurij Lileev ist Postdoktorand im Internationalen Graduiertenkolleg „Kulturtransfer Freiburg-Moskau“.