Das omnipräsente Scheitern des Verstehens ist ein entscheidender Motor hermeneutischer Theoriebemühungen. Nebst dem Nichtverstehen ist es vor allem das Missverstehen, das einen produktiven Ansatzpunkt zur Klärung elementarer hermeneutischer Sachverhalte darstellt.
Die Bedeutung von Missverstehensdiagnosen ergibt sich insbesondere aus ihrer intimen Verbindung mit dem Anspruch eines Richtig- bzw. Besserverstehens: Wer ein Misslingen konstatiert, muss über eine gewisse Vorstellung verfügen, was das Gelingen ausmacht. Das Missverstehen ist aber auch aufschlussreich, weil es einlädt, auf Varianten im Umgang mit Verstehensproblemen zu achten. Missverständnisse gelten in der Regel als Übel, weshalb sie zu vermeiden bzw. richtigzustellen seien. Aber nicht jedes Missverständnis wird korrigiert oder muss es werden.
Copyright Year:
2023
At times our understanding obviously fails more or less dramatically. These failures are indeed an important trigger for hermeneutical efforts. Besides non-understanding, the phenomenon of misunderstanding is a particular productive starting point for the clarification of elementary hermeneutical dynamics.
Michael N. Goldberg ist evangelischer Theologe und Assistent am Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie (IHR) der Universität Zürich.
Andreas Mauz promovierte im Bereich Evangelische Theologie und ging einer langjährigen Forschungs- und Lehrtätigkeit am IHR nach. Derzeit übt er eine freie Tätigkeit als Dozent, Herausgeber und Ausstellungskurator aus.
Christiane Tietz ist Professorin für Systematische Theologie und Leiterin des IHR.