Auch wenn man es zuerst vielleicht nicht sogleich merkt: In Combray gärt eine Zeit der Nation, die sich in der apokalyptischen Weltkriegsnacht am Ende eschatologisch erfüllen wird. Es ist daher durchaus von Belang, wenn der kleine Marcel seine erste Madeleine jedes Jahr am Ostersonntag isst, die Eucharistiefeier indes Ellipse bleibt. In Combray, doch nicht nur dort, wird die Eucharistie antisakramental ersetzt, was zu beachtlichen Menüfolgen und anderen Vervielfältigungen führt. Die Zeit der Dritten Republik wäre so besehen heillos. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, hat die
Recherche ihr geheimes Zentrum in Venedig: Es ist das Baptisterium von San Marco, auf das es letztlich hinausläuft. Kann das gut gehen? Und vor allem: Wie kann es sein, dass die
Recherche zugleich ein Roman über verlorene Kuchenteller ist, auf denen Motive aus
Tausendundeiner Nacht abgebildet sind und die, ja auch sie, nach Venedig führen?
Copyright Year:
2022
The time of the nation has its origin in Proust in the anti-sacramental replaced Eucharist of Easter Sunday. There is therefore a lot of eating. Cake plates adorned with motifs from the Arabian Nights are also lost, and their trail leads to Venice. Marcel arrives in the lagoon city late, although he was supposed to travel there all along. The hoped-for happiness, however, does not materialize. Then comes the First World War and with it an apocalyptic night of bombing. Marcel loses his identity and lies awake for years in a sanatorium. At the very end Venice returns and now Marcel suddenly knows how to write.
Stephan Leopold ist Professor für französische und spanische Literatur an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Bei Brill | Fink erschienen seine Monografien
Liebe im Ancien Régime (2014) und
Die Erotik der Petrakisten (2009).