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Coffi Régis Vladimir Akakpo
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Der Entscheidung für das Thema dieser Dissertation liegen persönliche Erfahrungen bzw. Interessen in meinem Heimatland Benin zugrunde. Während des Schuljahres 2004–2005 absolvierte ich im Rahmen der Priesterausbildung ein Praktikum an der katholischen Oberschule Agatogbo-Guézin (Bistum Lokossa/Benin). Ich hatte Schüler und Schülerinnen nach Hause zurückschicken müssen, da sie bzw. ihre Eltern den Schulbeitrag nicht zahlen konnten. Einige Jahre später erfuhr ich, dass die Bischofskonferenz ein großes Schulprojekt plante, um u. a. Priesterseminare mit dem „Gewinn“ zu unterstützen. Eine dritte Erfahrung machte ich vor Kurzem: Das katholische Bildungswesen eines Bistums trug finanziell zur Jubiläumsfeier eines Bischofs mit einer Spende in Höhe von ca. 3.000 Euro bei. Dieser Beitrag entspricht im Durchschnitt den Schulgebühren für 60 Kinder in einer katholischen École maternelle oder für 50 Kinder in einer katholischen Grundschule in dieser Diözese, wenn er als Schulstipendium verwendet werden sollte. Aus diesen Erfahrungen ergaben sich für mich Fragestellungen, die ich in dieser Arbeit behandeln möchte.

„Option für die Armen als sozialer Bildungsauftrag katholischer Schulen: zum diakonischen Anspruch des katholischen Bildungswesens in Benin“, so lautet das Thema dieser Arbeit. Ihr Kern besteht darin, die Bedeutung und die Herausforderungen der Option für die Armen für das katholische Bildungswesen in Benin zu überdenken. Es geht vor allem darum, einem kontextorientierten Deutungsversuch der Option für die Armen nachzugehen und konkrete Impulse aus dieser christlichen ethischen Leitformel abzuleiten, die eine Grundlinie des sozialen Bildungsauftrags katholischer Schulen darstellt. Die Erklärung über die christliche Erziehung1 Gravissimum Educationis des Zweiten Vatikanischen Konzils – sowie der daran anschließende Text der römischen Kongregation für das katholische Bildungswesen Die katholische Schule – macht genau auf diesen diakonischen Auftrag der katholischen Schulen den Armen gegenüber aufmerksam:

Die Heilige Synode mahnt die Oberhirten und alle Gläubigen nachdrücklich, dass sie keine Opfer scheuen, um den katholischen Schulen zu helfen, ihre Aufgabe immer vollkommener zu erfüllen, und dass sie sich besonders derjenigen annehmen, die arm sind an zeitlichen Gütern, den Schutz und die Liebe der Familie entbehren müssen oder der Gnade des Glaubens fernstehen.2

Da auch das katholische Bildungswesen in Benin sich auf ein soziales und universelles Verständnis katholischer Schule beruft,3 möchte ich den Bedeutungsgehalt der Option für die Armen sowie die neuen Orientierungen, die sich daraus für das soziale Engagement der katholischen Kirche in der Bildung in Benin ergeben, kontextgemäß untersuchen und darstellen. Die grundlegenden Fragen, die ich mir in dieser Arbeit stelle, lauten: Was bedeutet die Option für die Armen? Welche Dimension wird im heutigen sozialethischen Diskurs relevant? Worin besteht diese Kerndimension der Option für die Armen für den beninischen bzw. für den afrikanischen Kontext? Wie könnte sie als sozialer Bildungsauftrag katholischer Schulen umgesetzt werden und so dem Bildungsengagement der katholischen Kirche in Benin zur Wirksamkeit verhelfen?

Hierfür werde ich kurz den jetzigen Stand und die Funktionsweise des katholischen Bildungswesens in Benin statistisch und analytisch darstellen. Wie sieht die beninische Bildungslandschaft aus? Welche Rolle spielt die Problematik der Armut bzw. der Bildungsbenachteiligung in der Gestaltung des katholischen Bildungswesens in Benin, das sich selbst aufgrund der besten Ergebnisse bei den Staatsexamina als erfolgreiche Bildungsinstitution auszeichnet? Woran soll der Erfolg katholischer Schulen gemessen werden?

Zwar bezieht sich diese Arbeit grundsätzlich auf die Option für die Armen, aber dadurch, dass sich der soziale Bildungsauftrag katholischer Schulen mit dem Menschenrecht auf Bildung verknüpfen lässt, so Marianne Heimbach-Steins,4 wird diese Arbeit auch manche Aspekte der Problematik des Menschenrechts auf Bildung bzw. der Bildungsgerechtigkeit in Benin beleuchten. Damit zielt diese Arbeit darauf, die katholische Schule in Benin „besonders hellhörig für den Ruf nach einer gerechten Gesellschaftsordnung“5 zu machen. Denn:

Die Option für die Armen bietet ein Gerechtigkeitskriterium, an dem sich die Institutionen des Bildungswesens, die einzelne Schule und die Strategien der Träger messen lassen müssen: Inwieweit sichern und verbessern sie die Entfaltungschancen derer, die ungünstige Ausgangsbedingungen (…) haben?6

Vor diesem Hintergrund werden die Perspektiven für die Gestaltung des katholischen Bildungswesens in Benin nach der Option für die Armen aufgestellt. Es geht darum, zum einen allen das Recht auf Bildung zu ermöglichen und zum anderen die Armut durch Bildung zu bekämpfen, indem besondere Maßnahmen für die Armen bzw. die Bildungsbenachteiligten und „Bildungsarmen“7 geschaffen werden. Darum soll u. a. auch die Relevanz der Bildung als Schlüsselfaktor zur Armutsüberwindung in dieser Arbeit kurz dargelegt werden. Diese Problematik betrifft nicht nur das katholische Bildungswesen und nicht nur das Land Benin. Sie stellt eher einen Kernaspekt der Bildungsfrage dar, die weltweit noch als eine der großen sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts gilt.8 Inwieweit wird „die Bildung für alle“ erreicht, wie werden die Bildungssysteme organisiert, sodass sie für jeden und für jede zugänglich sind, ob z. B. arm oder reich, ob Jungen oder Mädchen, ob in ländlichen Gebieten oder in den Städten?

Die Covid-19-Pandemie, die seit Anfang des Jahres 2020 jedes Land der Erde praktisch betrifft, verschärft diese Bildungsproblematik weltweit dramatisch.9 Sie löste nicht nur eine gesundheitliche und wirtschaftliche Krise, sondern unweigerlich auch eine Bildungskrise aus. Die Schulen und weitere Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen wurden in fast allen Ländern der Welt geschlossen, so berichtet die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation).10 Zum 31.03.2020 waren weltweit 1.471.046.684 Lernende (84 % aller Eingeschriebenen) von den 169 landesweiten Schulschließungen betroffen, in Benin 3.515.567 Lernende (1.605.670 Mädchen und 1.909.897 Jungen). Zahlenmäßig war die Stufe der École primaire mit 2.223.966 Lernenden am stärksten betroffen. Auch wenn die Schulen und Bildungseinrichtungen in Benin nur teilweise und nicht lange geschlossen blieben, schärften sich die Defizite und die Ungleichheiten im Bereich der Bildung. Infolge des Rückgangs mehrerer wirtschaftlicher Aktivitäten sind laut einer Situationsanalyse von UNICEF in Benin u. a. ein Anstieg des Schulabbruchs und der Kinderarbeit, besonders bei den benachteiligten Kindern, und der Rückzug von Mädchen aus der Schule sowie deren frühe Ehe zu erwarten.11 Umso schärfer stellt sich die Bildungsbenachteiligung weltweit als eine sozialethische Herausforderung dar.

Die Bildungsbenachteiligung: Eine sozialethische Herausforderung

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (10. Dezember 1948) formuliert Bildung als Menschenrecht:

Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.12

Auch in der Erklärung der Rechte des Kindes (20. November 1959) wird das Recht auf Bildung für alle Kinder anerkannt:

Das Kind hat Anspruch auf unentgeltlichen Pflichtunterricht, zumindest in der Elementarstufe. Ihm wird eine Erziehung zuteil, die seine allgemeine Bildung fördert und es auf der Grundlage der Chancengleichheit in die Lage versetzt, seine Fähigkeiten, sein persönliches Urteilsvermögen, seinen Sinn für moralische und soziale Verantwortung zu entwickeln und ein nützliches Glied der Gesellschaft zu werden.13

Später erlangte das Recht auf Bildung einen völkerrechtlich verbindenden Charakter: zunächst mit dem „UNESCO-Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen“ (1960)14, danach mit dem „UN-Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung“ (1965), dann mit dem „UN-Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ (1966), mit dem „UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (1979) und mit der „UN-Kinderrechtskonvention“ (1989).15

So wird das Recht auf Bildung in den Verfassungen fast aller Länder der Welt festgeschrieben. Alle Staaten, die sich zu der Organisation der Vereinten Nationen zugehörig fühlen, verpflichten sich, es umzusetzen. Dazu wurde der Aktionsplan „Bildung für alle“ (EFA – Education For All) beim Weltbildungsforum aus dem Jahr 1990 in Jomtien ins Leben gerufen. Zehn Jahre später haben 167 Länder bei dem Weltbildungsforum von Dakar im Senegal (April 2000) diesen Aktionsplan „Bildung für alle“ mit der Verabschiedung der sogenannten EFA-Ziele beschlossen. Dies hatte zur Folge, dass Bildung als ein von allen anerkanntes Grundrecht des Menschen festgeschrieben wurde. Insofern kann Bildungsbenachteiligung als eine Verletzung des Menschenrechts auf Bildung bzw. des Menschenrechts schlechthin angesehen werden. Was umfasst dieses Menschenrecht auf Bildung?

Im Allgemeinen gründet der Menschenrechtsansatz auf der Menschenwürde, auf der „Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen“16 ohne Ausnahme, ohne jegliche Diskriminierung, „ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“17, wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte es formuliert. Allein aufgrund seines Menschseins ist jeder Mensch ein Subjekt der Menschenrechte.

Im Kern des Menschenrechts auf Bildung ist also vor allem das „Diskriminierungsverbot“18 festgelegt. Das Recht auf Bildung soll jeder und jedem diskriminierungsfrei zustehen und keineswegs ein Privileg für bestimmte Personengruppen sein. Denn Bildung fördert die individuelle Freiheit sowie die gesellschaftliche Entwicklung, sie befähigt die Person, ein grundlegendes Wissen zu erwerben und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Sie zielt „auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten“19. Darüber hinaus trägt sie zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen ethnischen oder religiösen Gruppen bei und fördert die Wahrung des Friedens.20

Eine zweite Forderung des Menschenrechts auf Bildung ist die Unentgeltlichkeit der Bildung. Der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung sollen allen kostenfrei gewährleistet werden. Auch die Gewährleistung der freien Wahl der Bildung für die Kinder durch die Eltern stellt einen wichtigen Aspekt des Menschenrechts auf Bildung dar: „Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteilwerden soll.“21 Außerdem hat Bildung vor allem einen grundrechtlichen Charakter, denn sie ist wesentlich für die Ausübung aller anderen Rechte. Es lässt sich daher sagen, dass das „Menschenrecht auf Bildung auch das Menschenrecht auf Menschenrechtsbildung“22 umfasst.

Das Menschenrecht auf Bildung basiert also auf dem Diskriminierungsverbot, Unentgeltlichkeit und freier Wahl. Konkreter wurden vier Kriterien entwickelt, um die rechtlichen Forderungen des Menschenrechts auf Bildung prüfbar zu machen. Auf diese Kriterien – Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Angemessenheit und Adaptierbarkeit – werde ich mich ausführlicher im vierten Kapitel beziehen, um sie mit dem sozialen Bildungsauftrag katholischer Schulen zu verknüpfen. Zusätzlich zu dem kurz dargelegten grundrechtlichen Charakter der Bildung erklärten die Unterzeichnenden des Aktionsplanes „Bildung für alle“, dass Bildung der Schlüssel zu nachhaltiger inner- und zwischenstaatlicher Entwicklung, Frieden und Stabilität und somit unverzichtbares Mittel für eine erfolgreiche Beteiligung an den Gesellschaften und Ökonomien des 21. Jahrhunderts sei und sie verpflichteten sich, die sechs EFA-Ziele bis zum Ende des Zeitraums von 2000 bis 2015 zu erreichen. Beispielsweise lautet das Ziel Nr. 2:

Bis 2015 sollen alle Kinder – insbesondere Mädchen, Kinder in schwierigen Lebensumständen und Kinder, die zu ethnischen Minderheiten gehören – Zugang zu unentgeltlicher, obligatorischer und qualitativ hochwertiger Grundschulbildung erhalten und diese auch abschließen.23

Somit ist auch hervorgehoben, dass Bildung nicht nur ein Recht, sondern auch ein Grundbedürfnis des Menschen ist und einen intrinsischen Wert besitzt. Sie trägt zur Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit bei, sie ist ein Grundfaktor u. a. zur aktiven Teilnahme des Menschen am gesellschaftlichen Leben und zu politischer und ökonomischer Entwicklung. Denn durch geeignete Bildungsinstitutionen und -angebote werden „auch ökonomische Effekte erzielt, nämlich eine Hebung des Bildungsniveaus der Gesellschaft und damit eine Mehrung der Ressourcen (Bildungsökonomen sprechen von ‚Humankapital‘) insgesamt, die für ein rohstoffarmes Land unverzichtbar sind“24. Bildung wird auf diese Weise auch als ein wichtiger Schlüssel zur Armutsüberwindung verstanden.

Deshalb weisen Entwicklungstheorien der Bildung mehr und mehr eine Sonderstellung und wachsende Bedeutung zu. Sowohl diese EFA-Ziele als auch die im Herbst 2001 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) wollten Folgendes erreichen: Die extreme Armut sollte bis zum Jahr 2015 beseitigt werden, insbesondere durch die Verwirklichung der allgemeinen Primarschulbildung für alle Kinder der Welt sowie durch die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Frauen. Aber betrachtet man u. a. die Weltberichte des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen über die menschliche Entwicklung in der Welt und die Weltbildungsberichte der UNESCO, so zeigt sich, dass Bildung nach wie vor eine sehr große soziale Frage aufwirft. Als Nachfolgerin der MDGs spiegelt die beim Weltbildungsforum 2015 verabschiedete Bildungsagenda Post-2015 der Vereinten Nationen diese Situation wider.

Wie im Titel der Schlusserklärung dieses Weltbildungsforums 2015 – Incheon-Erklärung – angedeutet, fokussiert sich diese Bildungsagenda auf die Problematiken der Bildungsqualität, der Chancengerechtigkeit, der Inklusion und des lebenslangen Lernens. Sie zielt auf Folgendes ab:

Unsere Vision ist es, das Leben der Menschen durch Bildung zu verändern, in Anerkennung der wichtigen Rolle von Bildung als einer (sic!) der Hauptantriebskräfte für Entwicklung und zur Erreichung der anderen vorgeschlagenen Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). (…) Diese neue Vision ist vollumfänglich im vorgeschlagenen SDG 4 „Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen sicherstellen“ und seinen entsprechenden Unterzielen erfasst.25

Es ist von großer Bedeutung, dass diese Bildungsagenda eindeutig ein Teil der gesamten Agenda für nachhaltige Entwicklung ist. Das vierte Ziel der SDGs lautet nämlich: „Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern“26. Interessanterweise nehmen die SDGs nicht nur die Entwicklungsländer, sondern alle Länder in den Fokus. Mit diesen neuen Erklärungen wurde die Rolle von Bildung sowohl als übergreifender Faktor zu nachhaltiger Entwicklung, Demokratie, Frieden, Toleranz und interkulturellem Dialog als auch als unabdingbares Mittel zur Armutsüberwindung deutlich unterstrichen.

Seitens der katholischen Kirche dient das Recht jedes Menschen auf Bildung auch als allgemeiner Rahmen für ihre Erziehungsaufgabe. In der konziliaren Erklärung über die christliche Erziehung – Gravissimum Educationis (28. Oktober 1965) – wird die Erziehung als eine universelle Aufgabe der menschlichen Gesamtbildung und die Schule als besonderes Erziehungsmittel zu dieser ganzheitlichen Ausbildung betrachtet.

Alle Menschen, gleich welcher Herkunft, welchen Standes und Alters, haben kraft ihrer Personenwürde das unveräußerliche Recht auf eine Erziehung, die ihrem Lebensziel, ihrer Veranlagung, dem Unterschied der Geschlechter Rechnung trägt, der heimischen kulturellen Überlieferung angepasst und zugleich der brüderlichen Partnerschaft mit anderen Völkern geöffnet ist, um der wahren Einheit und dem Frieden auf Erden zu dienen.27

Auch in der Charte de l’enseignement catholique in Benin wurde sowohl auf die allgemeine Erklärung des Menschenrechts auf Bildung28 als auch auf die konziliare Erklärung Gravissimum Educationis Bezug genommen. Von daher ist es relevant, auf die Frage einzugehen: Wie geht die katholische Kirche mit ihrem sozialen Bildungsauftrag bzw. mit den Schlussfolgerungen der Anerkennung dieses Menschenrechts auf Bildung in einzelnen konkreten Situationen um? Denn aufgrund des menschenrechtlichen Charakters der Bildung stellt die Bildungsbenachteiligung in Benin bzw. in der Welt tatsächlich eine große Herausforderung dar. Als solche fordert sie auch die christliche Sozialethik heraus, sich u. a. die Frage zu stellen, wie mehr Bildungsgerechtigkeit bzw. Chancengerechtigkeit in der Bildung erreicht werden kann. Marianne Heimbach-Steins deutet es folgendermaßen:

Je wichtiger Bildung für die individuellen Beteiligungschancen am gesellschaftlichen Leben wird, desto mehr werden Bildungsarmut und ungleiche Zugangschancen als sozialethische Herausforderung, ja als die soziale Frage des 21. Jahrhunderts erkannt.29

Diese Untersuchung interessiert sich deshalb für die Herausforderungen, die sich für den sozialen Bildungsauftrag des katholischen Bildungswesens im beninischen bzw. afrikanischen Kontext ergeben.

Kontext: Die Bildungssituation in Benin

Die Angaben der letzten Volkszählung (RGPH-4, 2013)30 und des Berichts über das Bildungssystem in Benin (RESEN, Juli 2014)31 heben jene Indikatoren hervor, die eine soziale Benachteiligung in der Bildung anzeigen. Die Wachstumsrate der Kinder im Schulalter beträgt jedes Jahr ca. 2,6 %. Während die Nettoeinschulungsquote bei den 6- bis 11-jährigen Kindern bei 56,9 % liegt, beträgt diese Quote bei den Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren32 62,6 %. Das bedeutet, dass die Zahl der Kinder, die keine Schule besuchen oder die Schule früh verlassen und keine andere richtige Bildungsalternative haben, noch unbestreitbar hoch ist, so wie der Bericht vom UNICEF im Jahr 2017 – Analyse de la situation des enfants du Benin – basierend auf einer Studie des Nationalen Instituts für Statistik und Wirtschaftsanalyse (Institut National de la Statistique et de l’Analyse Economique – INSAE, 2015) es bestätigte. 1.570.273 Kinder im Alter von 3 bis 17 Jahren besuchten keine Schule. Diese Zahl entspricht 36,2 % aller Kinder in diesem Alter (4.338.795). Dabei sind 1.043.093 Kinder im Alter der École maternelle (3 bis 5 Jahre) und 198.415 Schulabbrecher und -abbrecherinnen (10,4 %).33 Laut dieser Studie des INSAE zählen zu den Benachteiligten besonders die Kinderarbeiter und -arbeiterinnen und Kinder mit einer Behinderung sowie die Mädchen im nördlichen Teil des Landes.

Trotz der Fortschritte der letzten Jahre dank verschiedener Maßnahmen und Förderungsprogramme34 bleiben also der Zugang zu Bildung sowie zumindest der komplette Besuch der Grundschule für viele Kinder in Benin eingeschränkt. Außerdem ist die Alphabetisierungsquote der Erwachsenen (15 Jahre und mehr) in der Amtssprache (Französisch) sehr niedrig: 41,7 %. Auch hier ist diese Quote viel niedriger in den ländlichen Gebieten (29,9 %) als in den Städten (54,9 %). Die Quote der Alphabetisierung dieser Altersgruppe in den „Muttersprachen“ ist auch niedrig. Sie liegt bei 11 % (14,1 % in städtischen Gebieten und 8,2 % in den ländlichen Gebieten).35

Diese Situation der Bildungsbenachteiligung bezieht sich überwiegend auf drei Faktoren, die der Bericht über das Bildungssystem in Benin 2014 hervorgehoben hat:36 die geographische Lage, die soziale Herkunft und das Geschlecht. Die Kinder in ländlichen Gebieten sind im Vergleich zu den Kindern in den Städten im Nachteil. Der Anteil der nicht eingeschulten Kinder und die Quoten der Schulabbrecher und -abbrecherinnen sind also in den ländlichen Gebieten größer, wo u. a. Kinder häufiger arbeiten müssen, als in den Städten. Bezüglich der sozialen Herkunft haben die Kinder aus armen Haushalten nicht die gleichen Chancen wie die anderen. Ein Kind aus „armer Umgebung“ hat eine 73-prozentige Chance, eingeschult zu werden, während ein Kind aus besseren Familienbedingungen eine 87-prozentige Chance hat. Außerdem sind die Mädchen im Vergleich zu den Jungen bezüglich der Teilhabe an Bildung benachteiligt. Während 69 % der Jungen die letzte Klasse der Grundschule erreichen, absolvieren 57 % der Mädchen die komplette Grundschule. Am Ende der Oberschule bleiben nur noch 6 % der Mädchen übrig, während 21 % der Jungen bis hierhin die Schule besuchen. Diese Indikatoren und Faktoren der Bildungsbenachteiligung versuche ich im zweiten Kapitel ausführlicher zu beschreiben.

Die Bildungsbenachteiligung ist also eine wichtige Frage, mit der das Bildungssystem in Benin konfrontiert ist. Sie wird in der Tat auch durch weitere sozio-kulturelle, geschichtliche und anthropologische Faktoren begünstigt, die als Armut schaffende Zusammenhänge, Mechanismen und Strukturen gelten können und die sich negativ in weiteren Lebensbereichen widerspiegeln. Diese Parameter versuche ich auch in der Kontextanalyse der Armut in Benin im vierten Kapitel zu berücksichtigen, um eine wirksame Perspektive für das katholische Bildungswesen in Benin unter dem Anspruch der Option für die Armen skizzieren zu können.

Problemstellung

Neben dem Staat und den anderen privaten Schulträgern ist auch die katholische Kirche in Benin eine wichtige Bildungsakteurin. Sie bietet überwiegend formelle Schulbildung – École maternelle, École primaire (Grundschule), Collège et Lycée (Oberschulen und Gymnasien) und Enseignement supérieur (Institute, Universitäten und Hochschulen) – an. Wo es möglich ist, sind Priester und Ordensschwestern in den Einrichtungen tätig37 – manchmal ohne spezifische Ausbildung als Lehrpersonen oder Leiter und Leiterinnen. Trotz dieses teilweise nicht ausgebildeten Lehrpersonals haben die katholischen Schulen einen besonders hohen Qualitätsstandard dank u. a. der strengen Disziplin und der Durchführung regelmäßiger Klausuren, die gute Ergebnisse bei den staatlichen Examen ermöglichen.38

Die katholischen wie auch die privaten Schulen werden oft aber in der Gesellschaft als Schulen für einige wenige Privilegierte angesehen. Dieser Problematik sind sich die Akteure und Akteurinnen des katholischen Bildungswesens bewusst, sodass an erster Stelle bei den États généraux de l’enseignement catholique (vom 19. bis 21.12.2012 in Cotonou) anlässlich des 150-jährigen Gründungsjubiläums der katholischen Schule in Benin empfohlen wurde, das katholische Bildungswesen den Armen zugänglicher zu machen.39 Viele Jahre später bleibt aber diese Problematik der Teilhabe der Armen an der katholischen Bildung die größte Herausforderung für das katholische Bildungswesen in Benin, so wie es der Diözesandirektor der katholischen Schulen im Bistum Cotonou, Marc Hounon, am internationalen Tag des katholischen Bildungswesens 2019 zur Sprache bringt. Er spricht von der Herausforderung einer inklusiven katholischen Bildung, die die Armen und die Minderheiten der Gesellschaft berücksichtigt:

Les autres défis de l’heure pour l’enseignement catholique au Bénin, concernent, aux yeux du père Marc Hounon, le rêve d’une éducation catholique inclusive tenant compte des pauvres et minorité de la société.40

Auch die römische Kongregation für das katholische Bildungswesen selbst hat in der Erklärung über die katholische Schule vom 19. März 1977 diese Problematik als einen der Einwände gegen die katholischen Schulen wahrgenommen:

Gerade weil die Schulgesetzgebung in manchen Ländern den Wert solcher Möglichkeit der freien Schulwahl nicht in Betracht zieht, sehen sich dort die katholischen Schulen mit Bedauern gezwungen, ihre Tätigkeit auf die Jugend der wohlhabenden Gesellschaftsschichten zu beschränken, und müssen den Vorwurf hinnehmen, im Bildungswesen zur Aufrechterhaltung der Klassenunterschiede beizutragen.41

Hinter diesem Einwand gegen die katholischen Schulen verbirgt sich im beninischen Kontext, meiner Analyse nach, einerseits die Frage der Zugänglichkeit der katholischen Schulen für die Armen. Für viele Familien ist beispielsweise der Schulbeitrag verhältnismäßig hoch. Tatsächlich verlangen die katholischen Schulen in Benin – als private Schulen42 – Geld von den Eltern, um die laufenden Kosten der Schulen zu decken. Den Kindern aus sozial schwächeren Familien gelingt es vor diesem Hintergrund nicht, sich in einer katholischen Schule einschreiben zu lassen. Nur durchschnittlich „reiche“ Eltern sind in der Lage, ihren Nachwuchs in die katholischen Einrichtungen bzw. in die Privatschulen zu schicken.

Zum anderen weist dieser Einwand darauf hin, dass das katholische Bildungswesen in Benin wie ein elitäres Bildungswesen43 funktioniert und die „Armen“ bzw. die Bildungsbenachteiligten mit den zu ihnen passenden Bildungsmöglichkeiten nicht in den Mittelpunkt der Bildungsoptionen stellt. Es fokussiert sich z. B. auf allgemeine Schulbildung, die oft als „Bildung zur Arbeitslosigkeit“ angesehen wird44 und verfügt kaum über Förderungsprogramme für Arme und über spezielle Bildungsangebote oder Initiativen für Bildungsarme und Bildungsbenachteiligte. Das katholische Bildungswesen in Benin ist auch von einseitiger Leistungsorientierung geprägt. Diese Tatsachen entsprechen nicht dem sozialen Bildungsauftrag katholischer Schulen, insbesondere widersprechen sie unbestreitbar dem sozialethischen „Prinzip“ der vorrangigen Option für die Armen, auf das sich das katholische Bildungswesen beruft.

Die Option für die Armen als sozialer Bildungsauftrag katholischer Schulen in Benin steht also vor vielen Hürden, die weit über die Frage des Zugangs zur Bildung hinausgehen und eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage erfordern. Diese Problematik wird in der sozialen Pastoral der katholischen Kirche in Benin aber kaum gründlich thematisiert und behandelt, obwohl die Gestaltung des katholischen Bildungswesens nach der Option für die Armen auch eine wichtige Frage der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche ist. Denn die katholische Kirche soll angesichts ihrer Identität und ihres Auftrags im Dienst der Benachteiligten und der Armen stehen.

Zielsetzung

Diese Arbeit soll zeigen, was die Option für die Armen im beninischen bzw. im afrikanischen Kontext bedeuten kann und wie das katholische Bildungswesen unter dem Anspruch der Option für die Armen aussehen sollte. Es geht darum, zu erörtern, wie sich die katholische Kirche mit der schwierigen Frage des sozialen Bildungsauftrags möglichst erfolgreich auseinandersetzen und im Bildungswesen tatsächlich nach der Option für die Armen handeln kann. Auf welche Aspekte muss geachtet werden? Deshalb sollen am Ende der Arbeit Perspektiven bzw. Handlungsoptionen für die Umsetzung der Option für die Armen in Bildung und damit für eine armenorientierte Gestaltung des katholischen Bildungswesens in Benin aufgestellt werden. Um Impulse setzen zu können, versuche ich, den jetzigen Zustand und die jetzige Funktionsweise des katholischen Bildungswesens in Benin zu hinterfragen. Ich interessiere mich besonders für die Fragen: Nach welchen Kriterien wird die Entscheidung getroffen, eine katholische Schule an einem bestimmten Ort zu gründen? Werden die Faktoren der Bildungsbenachteiligung berücksichtigt? Wo werden die Schulen gegründet? Welche Bildung wird angeboten? An welche Zielgruppen richten sich die katholischen Schulen? Spielt die sozio-ökonomische Situation der Kinder und Jugendlichen eine Rolle beim Zugang zu katholischen Bildungseinrichtungen? Wie wird das katholische Schulwesen in Benin finanziert? Was verstehen die katholischen Bildungsakteure und -akteurinnen unter der Option für die Armen? Welche Maßnahmen werden dazu umgesetzt? Um alle diese Fragen zu versuchen zu beantworten, entwerfe ich einen Fragebogen, der an die Diözesandirektoren des katholischen Bildungswesens (Directeurs Diocésains de l’Enseignement Catholique – DDEC) gerichtet ist.

Bezugnehmend auf die Deutungen der Option für die Armen und auf Theorieansätze über die Rolle der Bildung bei der Armutsüberwindung,45 vor allem auf den befreiungspädagogischen Ansatz von Paolo Freire46 und auf den Fähigkeiten-Ansatz Amartya Sens47, werde ich Perspektiven anregen, die dem katholischen Schulwesen in Benin zu einem besonders diakonischen Profil im Dienst der Armen verhelfen können. Diese Profilbildung scheint eine große Herausforderung für das katholische Schulwesen zu sein – insbesondere in einem Kontext der „Liberalisierung“ der Schulbildung und der Verbreitung der privaten Schulen, die den Schulmangel und die Defizite der staatlichen Schulen zur eigenen Gewinnmaximierung ausnutzen, wie es auch in den Leitlinien – Projet éducatif – der katholischen Schulen in Benin angedeutet wird.48

Das katholische Bildungswesen in Benin sieht sich als private Bildungseinrichtung ohne Erwerbszweck.49 Unter diesem Gesichtspunkt des „Non-Profit“ wird die Option für die Armen im katholischen Bildungswesen in Benin thematisiert. In einer solchen Positionsbestimmung spiegeln sich in der Bildung die grundlegenden Herausforderungen der Option für die Armen aber nicht. Es geht eher darum, kontextgemäße, armenorientierte Bildungsoptionen zu treffen und so eine entsprechende gesellschaftliche Verortung klar zu definieren.

These

Die Option für die Armen hat viele Dimensionen bzw. Implikationen. Insbesondere wird die partizipative Dimension zum Kernpunkt dieses ethischen Prinzips gemacht: das Subjektwerden/Subjektsein der Armen. Die Armen sollen „zum Subjekt ihres eigenen Lebens“50 gemacht bzw. befähigt werden. Auch die Armut hat viele Gesichter und Formen, die sich oft gegenseitig bedingen. Festgestellt wird in vielen sozio-anthropologischen Ansätzen, dass die materielle Armut in Afrika zu großem Teil auch als eine Folge von sozio-kultureller Armut angesehen werden soll. Anders gesagt sei die Wurzel der Armut und der Verelendung in Afrika sozio-kultureller bzw. sozio-anthropologischer Natur.

Ich vertrete die These, dass das Subjektwerden der Armen bzw. die Option für die Armen im beninischen bzw. afrikanischen Kontext – anders als im lateinamerikanischen Entstehungsrahmen der Rede von der Option für die Armen – nicht verwirklicht werden kann, ohne eine kulturelle Befreiung und Befähigung. Gemäß den in dieser Arbeit vorgetragenen Ansätzen der Théologie négro-africaine de la libération, die sich auch mit der Frage der Armut und der Verarmung in Afrika beschäftigten, verstehe ich die kulturelle Befreiung und Befähigung einerseits als die Désintériorisation (Ent-innerlichung) der Armut, als die Bekämpfung der sozio-kulturelle Armut schaffenden Mechanismen (insbesondere der fatalistischen Mentalität) und andererseits als den Bildungsprozess zur Wiedererlangung und zur Stärkung von Selbstvertrauen und von Selbstverantwortung. Deshalb soll es in der Kontextualisierung der Option für die Armen in Bildung auch darum gehen, die spezifischen anthropologischen, sozialen und geschichtlichen Gegebenheiten Afrikas zu berücksichtigen, besonders in der Gestaltung einer befreienden Bildung.

In diesen Hinsichten erfordert die Option für die Armen als sozialer Bildungsauftrag katholischer Schulen in Benin grundlegende strukturelle und funktionelle Änderungen, vor allem eine gezielte Gestaltung von Bildung und Bildungsangeboten, die in besonderer Weise die Faktoren der Armut und der Bildungsbenachteiligung berücksichtigt und die Armen bzw. die Bildungsarmen und Bildungsbenachteiligte mit ihren Bedürfnissen in den Blick nimmt. Der Erfolg katholischer Schulen sollte nicht nur an den schulischen Erfolgsquoten der „fähigen Schüler“ abgelesen werden, sondern insbesondere an der Quote der Kinder und Jugendlichen, die durch das katholische Bildungswesen an Bildung beteiligt, durch Bildung von Armut und „Unfreiheiten“ befreit und zur Verantwortung für das eigene Leben gefördert werden. Anna Noweck formuliert es wie folgt:

Der Blick auf die Option für die Armen ruft die Frage nach der Bestimmung der Adressatinnen und Adressaten schulischen Bildungsengagements auf und rekurriert auf der Grundlage der Kontextualisierung auf die an Bildung defizitär Beteiligten. Dadurch rückt die Gruppe derer, die von Bildung ausgeschlossen werden, in den Vordergrund. Das Bildungsengagement katholischer Schulen muss angesichts ihres sozialen Bildungsauftrags damit abgeglichen werden.51

Das heißt konkret für das katholische Bildungswesen in Benin, dass es als eine armenorientierte Institution nur wirksam fungieren kann, wenn es sich einerseits an die Mädchen, die Kinder und Jugendlichen aus armen Familien und ländlichen Gebieten wendet und andererseits auch die nicht eingeschulten Kinder, die Schulabbrecher und -abbrecherinnen und die Analphabeten und Analphabetinnen durch Sonderschulen und Sonderprogramme fördert und alle zu einer selbstständigen Lebensführung befähigt. So wird der soziale Charakter des Bildungsauftrags des katholischen Bildungswesens in Benin gestärkt. Folglich soll die Umsetzung der Option für die Armen im katholischen Bildungswesen weder auf die Frage des Schulbeitrags noch auf die des leichteren Zugangs zu Bildung für einige wenige Kinder reduziert werden. Die gesamte Struktur, die Gestaltung und die Funktionsweise des katholischen Bildungswesens in Benin müssen infrage gestellt werden, damit die „Armen“ in den Vordergrund gerückt und zu Subjekten ihres eigenen Lebens befähigt werden.

Die römische Kongregation für das katholische Bildungswesen fordert die katholischen Schulen auf, „sich in den Dienst aller Menschen zu stellen“52 und eine Schule von allen im Sinne einer Erziehungsgemeinschaft53 zu sein. In dieser Arbeit wird der Begriff „Schule mit den Armen“ von Anna Noweck54 mit der präferenziellen Orientierung an den Menschen, die von Armut bzw. von Bildungsbenachteiligung besonders betroffen sind, und aufgrund der partizipatorischen Konnotation des „mit“ bevorzugt. Das Ziel der „Schule mit den Armen“ besteht darin – so Anna Noweck – „jede und jeden dazu zu befähigen, ein selbstbestimmtes, eigenständiges und sozial integriertes, – ein gelingendes Leben zu führen“55. Für eine solche Orientierung soll sich das katholische Bildungswesen beispielsweise nicht nur auf die allgemeinbildende Schulbildung fokussieren, sondern die Bildungsangebote diversifizieren, wie das Zweite Vatikanische Konzil es schon vorstellte: dass „die katholische Schule, den örtlichen Verhältnissen angepasst, verschiedene Formen annehmen kann“56. In dieser Hinsicht soll das katholische Bildungswesen in Benin bzw. in den armen Ländern mehrperspektivisch bedacht und kontextualisiert werden. Auf diese Kontextualisierung der Bildungsangebote im Hinblick auf die ganzheitliche Bildung macht Marianne Heimbach-Steins aufmerksam:

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der soziale Bildungsauftrag katholischer Schulen nicht in einer uniformen Art und Weise eingelöst werden kann, dass katholische Schule vielmehr kontextuell neu entworfen werden muss. Dementsprechend ist z. B. zu fragen, nach welchen Kriterien Schulvorhaben und Schulstandorte gewählt, fortentwickelt oder aufgegeben werden.57

Zusammengefasst soll das katholische Bildungswesen in der Bildung und durch neue angepasste Bildungsangebote eine konkrete Programmatik zur kulturellen Befreiung und Befähigung der Schüler- und Schülerinnenschaft und der Auszubildenden konzipieren und durchführen. Nur so kann es einen Ausweg aus der Spirale der Verarmung in Afrika geben.

Quellen und Forschungsstand

Über Bildung in Benin allgemein gibt es zahlreiche Publikationen, aus denen wichtige Informationen, Daten und Statistiken entnommen werden können. Von großem Interesse sind besonders die Arbeitspläne und die Berichte der internationalen und lokalen Institutionen wie der UNESCO, des INFRE-Benin (Institut National pour la Formation et la Recherche en Education), des INSAE-Benin (Institut National de la Statistique et de l’Analyse Economique) und der zuständigen Ministerien über die Bildung in Benin.58 Ich werde mich ausgiebig darauf beziehen.

Über das „katholische Bildungswesen in Benin“ wurde allerdings wenig wissenschaftlich gearbeitet. Die Bedeutung und die Herausforderungen der Option für die Armen als sozialer Bildungsauftrag katholischer Schulen in Benin, auf die sich diese Arbeit fokussiert, tauchen kaum in wissenschaftlichen Arbeiten auf. Diese geringe Materialbasis stellte eine große Schwierigkeit dar, mit der diese Arbeit konfrontiert war. Eine andere Herausforderung besteht darin, dass viele Diözesandirektoren der Katholischen Schulen (Directeurs Diocésains de l’Enseignement Catholique – DDEC) auf meinen zur Datenerhebung entworfenen Fragebogen nicht geantwortet haben. Nur vier von zehn (40 %) haben sich zurückgemeldet. Bei manchen hat die Antwort lange ausgestanden. Trotzdem bilden diese Antworten für meine Untersuchung nicht zu unterschätzende wissenschaftliche Quellen, die ich besonders im dritten Kapitel bearbeitet habe. Auch einige theologische Abschlussarbeiten früherer Priesterkandidaten nähern sich dem Thema der katholischen Schule in Benin in gewisser Weise an.59

Pascal Kitikanlin (2009)60 hob die Besonderheit und die pastorale Herausforderung der katholischen Schule im Bistum Porto-Novo angesichts der Verbreitung der privaten Schulen hervor. Er plädierte für eine enge Zusammenarbeit der Erziehungsgemeinschaft (Eltern, Schüler- und Schülerinnenschaft, Lehrkräfte und Kirche) und für eine Unterstützung von der ganzen christlichen Gemeinschaft, damit die katholischen Schulen ihren Auftrag im Dienst der Gesellschaft weiter erfüllen können. Einige Jahre später betonte Epiphane Gantezounnon (2014)61 die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Erziehung der Jugend. Hierfür ist die katholische Schule – seiner These nach – der wichtige und richtige Ort, wo die Kirche als Mater et Magistra diese Aufgabe erfüllen kann. Armel Hounkpatin Totin (2015)62 plädiert seinerseits für eine Erneuerung des Bildungssystems in Benin, um die Schule zu einem Exzellenzzentrum (Centre d’excellence) zu machen. Das katholische Bildungswesen sollte dafür ein Vorbild werden, das diese Erneuerung inspirieren könnte, indem es sich selbst reformiert und innovativ wird.

Außerdem werde ich mich auf zwei offizielle Angaben und Dokumente beziehen, die von der Leitungsorganisation der katholischen Schulen in Benin (Direction Nationale de l’Enseignement Catholique – DNEC) herausgegeben wurden. Ein Dokument trägt den Titel Actes des états généraux de l’enseignement catholique au Benin63. Hierbei handelt es sich um eine Sammlung der Vorträge anlässlich des Studientags, der vom 19. bis zum 21. Dezember 2012 zum Thema „katholische Schule in Benin“ stattgefunden hat.64 Dieser Studientag beschäftigte sich mit verschiedenen Problematiken des katholischen Bildungswesens anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der katholischen Schule in Benin. So stellt die Sammlung die Geschichte und die verschiedenen Herausforderungen der katholischen Schulen in Benin dar. Das zweite Dokument ist das Heft der Schulpastoral der Kirche in Benin mit dem Titel Projet éducatif des écoles catholiques du Benin (2015). Dieses Heft definiert unter anderem die Natur und das Ziel der katholischen Schule in Benin.

Im westafrikanischen Kontext wurde zeitgleich mit der vorliegenden Untersuchung eine Dissertation am Institute of Education, University College London (UCL) zum Thema Catholic Schools and the Interests of the Poor in Nigeria von Maria Ugonna Rita Igbo verfasst.65 Wie sie selbst es schreibt, untersuchte sie, inwieweit die katholischen Schulen in Nigeria den Interessen der Armen dienen.66 Die Arbeit besteht grundsätzlich aus einer empirischen Studie, die auf der Basis von Interviews in den katholischen Diözesen in den Staaten Lagos, Abuja und Enugu durchgeführt wurde. Gefragt wurden der Sekretär des katholischen Bildungswesens in Nigeria, einige Schulleiter und Schulleiterinnen katholischer Schulen, Verwaltungspersonal, einige Lehrer und Lehrerinnen, ehemalige Schüler und Schülerinnen, Beobachtende des öffentlichen, politischen und beruflichen Geschehens, einige Eltern sowie Kritiker und Kritikerinnen der katholischen Schule in Nigeria. Maria Ugonna Rita Igbo verankerte ihre Studie in der Befreiungstheologie, deren Ansatz – so die Autorin – darin bestehe, die Armen aus dem Kreis der Armut zu befreien: „To liberate the poor begins with creating access to education and then, a voice, thus, possessing a sense of agency, to be able to speak for themselves“67. Die Ergebnisse ihrer Studie heben die Funktionsweisen des katholischen Bildungswesens in Nigeria68 hervor, die sie für Barrieren für die Option für die Armen hält: Die katholischen Schulen in Nigeria führen Aufnahmeprüfungen und Interviews zur Zulassung durch und fordern oft höhere Schulbeiträge, die manche Schüler und Schülerinnen daran hindern, die katholischen Schulen zu besuchen. Die Eltern dürfen allerdings das Schulgeld in Raten zahlen. In manchen Fällen entfallen die Schulgebühren. In Nigeria bekommen die katholischen Schulen keine Subvention vom Staat.69

Es gibt im katholischen Bildungswesen in Nigeria ein formelles Stipendienprogramm. Stipendien in Form von Ermäßigungen der Schulbeiträge werden von katholischen Schulen angeboten.70 Bezugnehmend auf diese Ergebnisse und auf ihre Überlegungen fordert Maria Ugonna Rita Igbo die katholischen Bildungsträger (Bischöfe und Orden) dazu auf, den Bildungsauftrag katholischer Schulen neu zu ergründen, um ihn besser umzusetzen. Sie sollen eine gemeinsame Regelung in Bezug auf die Zulassungskriterien vereinbaren. Die Kirche soll mögliche Mittel finden, um ihren Dienst zugunsten aller Schichten der Gesellschaft zu gewährleisten und so ihr besonderes Profil zu bewahren. Laut Maria Ugonna Rita Igbo: „success can be achieved if there is increase in the percentage of poor children who are schooling for free or at a very subsidized cost in the Catholic schools“71.

Auch wenn meine Untersuchung sich mit der Problematik der Option für die Armen im katholischen Bildungswesen in Benin befasst, kann sie nicht als eine rein empirische Studie angesehen werden. Mit dem Fragebogen möchte ich relevante Indikatoren bzw. Statistiken über das katholische Bildungswesen in Benin erheben und zusammenstellen. Natürlich beziehe ich mich sowohl auf die von der Kongregation für das katholische Schulwesen herausgegebenen Dokumente als auch auf andere Dokumente, die die Bildungsthematik behandeln.

Aufbau der Arbeit

Die Arbeit ist in sieben Teile gegliedert. Nach dieser Einleitung wird sich das erste Kapitel einerseits mit der Bedeutung der Option für die Armen in der Theologie und andererseits mit zwei außertheologischen (partizipatorischen) Ansätzen, die das Anliegen der Option für die Armen teilen, beschäftigen. Dabei unterscheide ich die Dimensionen bzw. die Implikationen der Option für die Armen72 und versuche, die relevanteste Dimension für den Bildungskontext festzustellen. Das zweite Kapitel wird das Land Benin, das Bildungssystem und die Bildungsproblematik darstellen. In diesem Kapitel versuche ich, auf die sozialen Aspekte der Bildungsfrage hinzuweisen und die Bildungsbenachteiligung anzudeuten. Das wird besonders durch die Auswertung von Daten und Berichten geschehen, die die Indikatoren und die Faktoren der Bildungsbenachteiligung in Benin hervorheben. Im dritten Kapitel wird die katholische Kirche als Bildungsakteurin in Benin beschrieben, die Genese, die geschichtliche Entwicklung und der neueste Stand des katholischen Bildungswesens. Insbesondere die Problematik der Option für die Armen im katholischen Bildungswesen in Benin wird angedeutet. Das vierte Kapitel umfasst die sozialethische Überlegung zur Option für die Armen als sozialen Bildungsauftrag katholischer Schulen. Hier wird zunächst das Verständnis vom sozialen Bildungsauftrag untersucht und die theoretischen Implikationen für die Gestaltung katholischer Bildung werden davon abgeleitet. Das fünfte Kapitel widmet sich der Impulssetzung dazu, wie die katholische Kirche in Benin als Bildungsakteurin ihren sozialen Bildungsauftrag unter dem Anspruch der Option für die Armen erfüllen kann. Angemessene Perspektiven und praktische Initiativen werden dargelegt, die zu einer neuen Orientierung in der Weiterentwicklung des katholischen Bildungswesens und zu einer authentischen und starken Profilbildung in Benin führen sollen. Ein Fazit wird abschließend die zentralen Ergebnisse der Arbeit zusammenfassen.

1

Eine erklärende Anmerkung zum Gebrauch der Begriffe „Erziehung“ und „Bildung“ in der Konzilserklärung über die christliche Erziehung Gravissimum Educationis gibt Judith Könemann wie folgt: „Da der Begriff Bildung nur im Deutschen existiert, wird in allen anderen Sprachen in der Regel von Erziehung gesprochen, die sowohl Erziehung wie auch Bildung umfasst. In GE ist aber vor allem das Recht auf Erziehung und das, was wir im Deutschen unter Bildung verstehen, gemeint“. Könemann: Das Katholische der katholischen Schule 2019, 239, Fußnote 10.

Die gleiche Anmerkung macht Karl Lehmann: „Erziehung meint in der Konzilserklärung und den späteren Dokumenten, dem Sprachgebrauch in den romanischen und angelsächsischen Ländern folgend, was wir im Deutschen mit Erziehung und Bildung bezeichnen“. Lehmann: 40 Jahre Konzilsbeschluss „Gravissimum educationis“ 2006, 38.

2

Zweites Vatikanisches Konzil: Gravissimum Educationis 1965, 9.

3

Vgl. Direction Nationale de l’Enseignement Catholique: Projet éducatif 2015, 11.

4

Vgl. Heimbach-Steins: Menschenrecht auf Bildung 2009, 165–188.

5

Kongregation für das katholische Bildungswesen: Die Katholische Schule 1977, 58.

6

Heimbach-Steins: Menschenrecht auf Bildung 2009, 177.

7

Die Begriffe „Bildungsarmut“, „Bildungsarme“ und „bildungsarm“ verwende ich in dieser Arbeit im Sinne der von Jutta Allmendinger und Stefan Leibfried formulierten Definition der Bildungsarmut im Rahmen der Berichterstattung über Armut und Reichtum in Deutschland. Die Bildungsarmut lasse sich an zwei zentralen Größen messen: an Zertifikaten und an Kompetenzen. Vgl. Allmendinger/Leibfried: Bildungsarmut 2003.

In Benin könnten die nicht eingeschulten Kinder, die Schulabbrecher und -abbrecherinnen und die Analphabeten und Analphabetinnen auch als die „Bildungsarmen“ gelten.

8

Vgl. Heimbach-Steins: Bildungsgerechtigkeit 2009, 13.

9

Meine Untersuchungen habe ich zwar vor der Corona-Krise durchgeführt. Die Folgen dieser Krise zeigen allerdings, wie dringend die Option für die Armen im katholischen Bildungswesen einzulösen ist.

10

Vgl. UNESCO: Global Monitoring of School Closures 2021.

11

Vgl. Djiwan: Fassilath, 14 ans, retourne à l’école 2021.

12

Vereinte Nationen: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948, Art. 26, 1.

13

Vereinte Nationen: Erklärung der Rechte des Kindes 1959, Art. 7.

14

Zur Liste der UN-Übereinkommen vgl. Deutsche UNESCO-Kommission: UNESCO- Übereinkommen.

15

Vgl. Unicef: Die UN-Kinderrechtskonvention 1989, Art. 28.

16

Vereinte Nationen: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948, Präambel.

17

Ebd., Art. 2.

18

Motakef: Das Menschenrecht auf Bildung und der Schutz vor Diskriminierung 2006, 11.

19

Vereinte Nationen: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948, Art. 26, 2.

20

Vgl. ebd.

21

Ebd., Art. 26, 3.

22

Deutsche UNESCO-Kommission: Menschenrechtsbildung.

23

Deutsche UNESCO-Kommission/Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Weltbericht „Bildung für alle“. Ausgeschlossene einbinden 2010, 3.

24

Heimbach-Steins: Bildungsgerechtigkeit 2009, 16.

25

Weltbildungsforum: Incheon-Erklärung 2015, 5.

26

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ziele für nachhaltige Entwicklung 2015.

27

Zweites Vatikanisches Konzil: Gravissimum Educationis 1965, 1.

28

Die Charte de l’enseignement catholique gründet den Auftrag des katholischen Bildungswesens in Benin auch auf das Menschenrecht auf Bildung. Vgl. Direction Nationale de l’Enseignement Catholique: Charte 2010, 3.

29

Heimbach-Steins: Bildung und Chancengleichheit 2005, 51.

30

Vgl. Institut National de la Statistique et de l’Analyse Economique: Recensement Général de la Population et de l’Habitat (RGPH-4) 2013.

31

Vgl. Ministères en charge de l’éducation et de l’alphabétisation: Rapport d’État du Système Educatif (RESEN) 2014.

32

Schulordnungsgemäß entspricht das Alter von 6–11 der Besuchszeit der Grundschule. Das Alter von 12–19 entspricht der Besuchszeit der Oberschule.

33

Vgl. République du Benin et UNICEF: Analyse de la situation des enfants du Bénin 2017.

34

U. a. kann hier die Kostenfreiheit der Grundschule in den staatlichen Schulen für alle Kinder erwähnt werden.

35

Vgl. Institut National de la Statistique et de l’Analyse Economique: Principaux indicateurs socio-démographiques et économiques 2016, 11.

36

Die Faktoren sowie die in diesem Abschnitt verwendeten Zahlen sind aus diesem Bericht entnommen. Vgl. Ministères en charge de l’éducation et de l’alphabétisation: RESEN 2014, 39–41.

37

Die Tätigkeit der Priester und der Ordensschwestern ist zwar vor allem ein Zeugnis der Anwesenheit der Kirche und ein Zeichen ihres Engagements in Bildung, aber sie trägt ebenso dazu bei, die Betriebskosten der Schulen etwas zu mindern.

38

Vgl. Direction Nationale de l’Enseignement Catholique: Résultats aux divers examens, Année 2015–2016.

39

Vgl. Zenit Staff: Bénin. États généraux de l’enseignement catholique 2012.

40

Hlanon: Célébration à Cotonou de la 16e édition de la journée internationale de l’enseignement catholique 2019.

41

Kongregation für das katholische Bildungswesen: Die katholische Schule 1977, 21.

42

Die privaten Schulen bekommen vom Staat keine Subventionen.

43

Auch wenn das katholische Bildungswesen in Benin beansprucht, „une relève de qualité“ im Sinne von „Qualitätseliten“ („Elite“ als Genetivus objectivus) für das Land bilden zu wollen (vgl. Direction Nationale de l’Enseignement Catholique: Projet éducatif 2015, 7), ist der Begriff „Elite“ – der Unterscheidung von Heimbach-Steins nach – im Kontext dieser Untersuchung über das katholische Bildungswesen in Benin vor allem auch als Genetivus subjectivus zu lesen, in dem Sinne, dass „Bildungsangebote […] an eine bereits als solche identifizierte (bzw. sich identifizierende) Elite adressiert [werden]. Der Zulassung zu einem konkreten Bildungsort bzw. -angebot geht dann eine Auslese voraus, als Teil eines expliziten Programms und/oder aufgrund von (Zugangs-)Bedingungen, die bestimmte Gruppen intentional oder zumindest de facto privilegieren und andere ausschließen.“ Heimbach-Steins: Zwischen Elitenbildung und katholischem Profil 2019, 210.

44

Dass die katholischen Schulen ihre Schülerinnen und Schüler zur Arbeitslosigkeit vorbereiten, ist ein weiterer Kritikpunkt am katholischen Bildungswesen in Benin. Das Projet éducatif der katholischen Schulen in Benin nimmt diese Kritik wahr. Vgl. Direction Nationale de l’Enseignement Catholique: Projet éducatif 2015, 14.

Es geht hier allerdings um eine allgemeine Problematik des Schulsystems in Benin bzw. in Afrika, das aufgrund der Nichtübereinstimmung zwischen dem Bildungsangebot und den tatsächlichen Bedürfnissen des lokalen wirtschaftlichen Systems obsolet erscheint. Das Bildungssystem hat sich seit der Kolonialzeit, als Beamte überwiegend für die koloniale Verwaltung und Arbeiter nach den Bedürfnissen der Kolonialmacht ausgebildet werden sollten, nicht gründlich verändert.

45

Die von mir ausgewählten Bildungsansätze sollen zeigen, wie Bildungsmangel bzw. soziale Ausgrenzung und Benachteiligung mit Armut zusammenhängen und zugleich als partizipatorische Ansätze die zentrale Dimension der Option für die Armen hervorheben.

46

Paulo Freire bezeichnet Bildung als „Praxis der Freiheit“. Vgl. Freire: Bildung als Praxis der Freiheit 1998, 158.

47

Amartya Sen konzeptioniert Bildung als eine „capability“, eine Verwirklichungschance und ein Mittel zur nachhaltigen Armutsüberwindung. Armut beschreibt er als „Mangel an fundamentalen Verwirklichungschancen“. Vgl. Winkler: Armut und Paternalismus 2014, 95.

48

Vgl. Direction Nationale de l’Enseignement Catholique: Projet éducatif 2015, 11.

49

Vgl. Direction Nationale de l’Enseignement Catholique: Charte 2010, Art. 9.

50

Ostheimer: „Sozialethik der Armen“ 2014, 33.

51

Noweck: Katholische Schulen – beteiligungsgerecht? 2013, 14.

52

Kongregation für das katholische Bildungswesen: Die katholische Schule 1977, 35.

53

Vgl. ebd., 53.

54

Vgl. Noweck: Schule mit den Armen 2014, 107–126.

55

Ebd., 123.

56

Zweites Vatikanisches Konzil: Gravissimum Educationis 1965, 9.

57

Heimbach-Steins: Menschenrecht auf Bildung 2009, 175.

58

U. a. geht es um Berichte und Arbeitspläne wie Ministères en charge de l’éducation et de l’alphabétisation: Rapport d’État du Système Educatif (RESEN) 2014; Ministères en charge de l’éducation: Plan Décennal de Développement du Secteur de l’Éducation 2006–2015 (PDDSE) 2006 und Secrétariat technique permanent du plan décennal de développement du secteur de l’éducation: Plan Sectoriel de l’Éducation Post 2015 (PSE-Post 2015) 2018.

59

Die Theologie wurde lange nur in den Priesterseminaren oder durch Ordenschristen studiert und gelehrt.

60

Vgl. Kitikanlin: L’école catholique à l’ère de la prolifération des établissements privés 2009.

61

Vgl. Gantezounon: L’éducation de la jeunesse dans nos collèges catholiques 2014.

62

Vgl. Totin: L’enseignement catholique: un repère pour le système éducatif au Benin 2015.

63

Direction Nationale de l’Enseignement Catholique: Actes des états généraux de l’enseignement catholique au Benin 2012, 187.

64

Diese Generalversammlung der unterschiedlichen Akteure und Akteurinnen der katholischen Schule, die dem Zweck diente, über das katholische Bildungswesen in Benin nachzudenken, war ein Vorschlag aus der Feier des Jubiläums 100 Jahre katholische Schule in Benin, das im Jahr 2011 zelebriert wurde.

65

Das Dissertationsprojekt wurde im Februar 2020 abgeschlossen. Davon erfuhr ich im Januar 2021, als auch mein Projekt fast abgeschlossen war. Das Manuskript schickte mir Dr. Gary Slater, der in derselben Zeit auch am Institut für Christliche Sozialethik (ICS) in Münster als Fellow tätig war. Die Autorin Maria Ugonna Rita Igbo ist eine Ordensschwester aus Nigeria.

66

Vgl. Igbo: Catholic Schools and the Interests of the Poor in Nigeria 2020, 10.

67

Vgl. ebd.

68

Nigeria unterscheidet sich markant von Benin: Unter anderem ist Nigeria politisch eine demokratische Bundesrepublik. Geschichtlich stand es unter der englischen Kolonialherrschaft. Demographisch bildet sich die Bevölkerung aus mehr als 200.000.000 Einwohnern und Einwohnerinnen. Wirtschaftlich gilt es als die stärkste Wirtschaft Afrikas (Inlandsprodukt 2019 = 448.120,43 $ US). Vgl. La Banque Mondiale: Données. PIB – Nigeria 2019.

69

Vgl. Igbo: Catholic Schools and the Interests of the Poor in Nigeria 2020, 10.

70

Vgl. Ebd., 119.

71

Ebd., 12.

72

Ich beziehe mich besonders auf die vier vom Münsteraner Theologen Giancarlo Collet ausgewiesenen Implikationen: die theologale, die analytische, die politische und die partizipative. Vgl. Collet: Den Bedürftigsten solidarisch verpflichtet 1992, 76–88.

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