Eine Festschrift hat in der Regel zwei Funktionen: Zum wissenschaftlichen Diskurs in einem Fach beizutragen (1) und eine Person zu würdigen (2), die in diesem maßgebliches geleistet hat. An dieser Stelle zuerst zu (2). Validität der Beschreibung ist hier durch eine doppelte Perspektive der Nahaufnahme gegeben, die der Langzeit-Kollegin und Freundin (Petra Gretsch) und die des Langzeit-Ehemannes (Hannes Kniffka). Die Methode der Wahl ist teilnehmende (und teilnahmsvolle) Beobachtung.
Wer ist Gaby Kniffka und was sind ihre hervorstechendsten Eigenschaften? Was zeichnet sie aus?
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Wenn frau als ältestes von fünf Geschwistern im Rheinland geboren wird, beide Eltern berufstätig sind, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder frau wird eine Tyrannin oder eine unbegrenzt liebevolle, liebenswerte, liebenswürdige „Große Schwester“. Vor allem wird frau ipsa natura ein pädagogisches Naturtalent – ihr Leben lang. Sie weiß immer Hilfe und Abhilfe, die jüngeren Geschwister fühlen sich gut aufgehoben. Die „Ansprache“ für Jüngere ist einzigartig.
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Gaby Kniffka ist vor allem eines: sie ist immer natürlich freundlich – zu Allen und Jedem, auch zu Schwächeren, Jungen, Alten, Kleinen, Großen, Neuen, Dummen, Klugen, Garstigen, Netten, Underdogs, Studierenden … Es ist allein deshalb ein Glück, sie persönlich zu kennen.
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Wer als älteste Tochter einer Rheinländerin und eines Pommern geboren wird, hat buchstäblich das ganze Spektrum mitteleuropäischer Verhaltensweisen drauf: klare Ruhe, nüchterne Geduld, patente Bodenständigkeit, gemessene Solidität, norddeutsche Sachlichkeit – gepaart mit rheinischer „Jeckheit“ (Begeisterungsfähigkeit), lieber Um- und Zugänglichkeit, biederer ländlicher Echtheit, aufrechter Warmherzigkeit, rheinisch-frohnaturellem Charme.
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Vor allem auch, im Beruf wie im Leben, berufliche Seriosität und Geradlinigkeit, dedication (dt. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps), Sturheit, hart im Nehmen, unhinterfragte Lernwilligkeit und -fähigkeit, exponentielle preußische Pflichterfüllung, Fleiß und beneidenswerte Arbeitsamkeit.
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Gaby Kniffka war, ist und bleibt für alle Studierenden, KollegInnen und FreundInnen ein prototypisches Beispiel für jemand, der anspruchsvoll an sich und andere ist (in dieser Abfolge).
Diese „Bandbreite“ wurde im Laufe der Lern- und „Lehrjahre“ durch mehrjährige Auslandsaufenthalte (u.a. Edinburgh, Jeddah, Shanghai) ausgebaut und zu einer nicht selbstverständlichen Reife gebracht. Dazu Anekdotisches zu vier bezeichnenden Situationen, in den ersten drei mit GK und HK als Protagonisten.
1) Das größte Sonntags- (also Freitags-)Vergnügen bestand für die Kniffkas in Saudi Arabien darin, an die (weitgehend unberührt belassene, meist menschenleere) sogenannte „Süd-Corniche“ von Jeddah (ca. 30–60 km südlich der Stadt) zu fahren, um Vögel zu beobachten: einzelne Seeadler, Taucher u.a. und gelegentlich Schwärme von Tausenden von Pause machenden Zugvögeln. Die Nord-Corniche von Jeddah, inklusive Bootshafen-Vorstadt Obhor, war an Wochenenden fest in der Hand Tausender Einheimischer; die „Expatriates“ fuhren noch erheblich weiter nördlich zum „30 Palms Drive“ zum Tauchen, Schnorcheln und Schwimmen.
Die Kniffkas frönten an der ruhigeren „Süd-Corniche“ ihren Lieblingsbeschäftigungen (Gaby lesen, Hannes Muscheln-, also Schnecken-Sammeln).
Das Standard-setting war: Gaby saß, in einem hochgeschlossenen langen luftigen Kleid mit einem großen Strohhut, in einem Regiestuhl am flachen Strand in der Nähe des Wassers; Gegenstand der Lektüre v.a. Klassiker, wie die Brontes, Virginia Woolf, Katherine Mansfield …, Hannes wanderte mit gesenktem Kopf stundenlang am Strand entlang und sammelte Schnecken (auch Fachleute waren durch die Sammlung beeindruckt). Wenn er nach 2–3 Stunden zurückkam, bot sich ihm folgendes Bild: Gaby saß, seelenruhig in ihrem Buch lesend, inmitten eines Kreises von 10–15 jüngeren Männern, die in gebührendem Abstand von ca.10 Metern um sie herum auf der Erde/dem Sand saßen und sie anschauten (NB: Sie hatte lange naturblonde Haare damals, eine Seltenheit in diesem Land) – ein Bild wie aus „Tante Gaby’s Märchenstunde“ am Roten Meer. Sie zogen (etwas verlegen?) von dannen, wenn der Ehemann wieder auftauchte. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt: „Übergriffe“ oder auch nur eine irgendwie unangenehme Situation haben wir in 6 ½ Jahren in Saudi-Arabien nie gewärtigt.
2) Weil ihr Mann, ein Pilot, in einen Streit mit einem einflussreichen Saudi geraten war, musste eine südafrikanische Englisch-Lehrerin an der Deutschen Schule über Nacht das Land verlassen. Die Deutsche Botschaft ließ bei HK anfragen, ob er Englisch unterrichten könne (er hatte zwei Jahre in den USA das Fach unterrichtet). Er wollte die Stelle für GK freihalten und arbeitete ein halbes Jahr in der Deutschen Schule Djidda. Er war ein beliebter Lehrer, nur das Fach „Frühenglisch“ in Kl. 3 war eine Herausforderung (für alle). GK machte das mit links. Sie war innerhalb kürzester Zeit die beliebteste Lehrerin. Bis heute melden sich begeisterte SchülerInnen bei ihr, v.a. wegen einer besonderen Lehrveranstaltung, dem Marionettenspiel-Kurs. Höhepunkt war ein Elternabend, an dem SchülerInnen mit selbstgemachten und -geführten Marionetten im Karaoke-Stil eine Gesangsunterrichtsstunde intonierten und inszenierten. Selbstverständlich waren auch GK (mit Arien aus Attila und La Traviata von Verdi) und HK (mit Arien aus I Puritani von Bellini und aus I due Foscari von Verdi) als Solisten beteiligt. Ein solcher Marionettenspielkurs ist, aus unserer Sicht, ein Lackmustest, was moderne Schulpädagogik sein und leisten kann.
3) Auf dem Bauernmarkt in der Guang Ling Yi Lu, also „unserer“ Straße im Nordosten Shanghais, ließ es sich GK nicht nehmen, persönlich und ohne Dolmetscherin einzukaufen (manchmal gab es wochenlang nur Kohl zu kaufen, auch noch 1987/88). Wir hatten zwar einen Chinesischkurs gemacht, die Töne richtig hinzukriegen ist für Europäer jedoch nicht ganz leicht. Jeden Tag gab es kreative Missverständnisse. Statt „8 Brötchen“ wurden dann schon mal „8 kleine Soldaten“ von der dummen „Langnasenfrau“ bestellt, sehr zum Vergnügen der Marktbäuerinnen.
4) Bei einem Aufenthalt in Norwegen im Zusammenhang mit der Professionalisierung norwegischer DaF-Studierender und Lehrender fand eine Hospitation einer Deutschstunde an einer Schule in Hamar statt. Die dort unterrichtende Deutschlehrkraft war sichtlich überfordert, was darin mündete, dass die Schülerinnen und Schüler aufmüpfig nach deutschen Schimpfwörtern fragten. Das brachte die Lehrkraft so aus der Fassung, dass Gaby kurzerhand einsprang und mit großer Leichtigkeit, Humor und sprachdidaktischem Umsetzungsvermögen eine Lehrstunde zum interkulturellen Gebrauch von Schimpfwörtern improvisierte, die unvergesslich wurde und damit eine unbekannte Begeisterung für das sonst eher unbeliebte Fach Deutsch in dieser Klasse entfacht hat.
Wir können von Gaby also u.a. lernen, dass Souveränität und kulturelle Aufgeschlossenheit auch ohne Worte vermittelbar sind, Sprachlernen und kulturelles Erleben sich im ganzheitlichen Tun ideal ergänzen, der Fremdsprachengebrauch in der Echt-Welt bisweilen Mut erfordert bzw. Überraschungen einzupreisen sind und dass man ohne Berührungsängste auch herausfordernde Dialoge führen und gerade dann besonders erfolgreich unterrichten kann.
Es ist nicht nur ihre Persönlichkeit und ihr Anspruch an sich selbst, welcher im abschließenden Zitat von einer ihrer Lieblingsautorinnen durchscheint, sondern auch Gabys Anliegen und Anspruch, andere zu befähigen, ebenfalls danach streben zu können. Mindestens dafür hat sie diesen Ehrenband verdient.
I want to be all that I am capable of becoming.
(Katherine Mansfield)