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Stefan Alkier Bochum

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Erst Mitte der 1980er Jahre wurde am Berg Garizim in Palästina nicht nur das zentrale Heiligtum der Samaritaner, sondern vielleicht sogar eine ganze Tempelstadt entdeckt, die nach den Schätzungen des die Grabungen leitenden Archäologen Yitzhak Magen 5 000 bis 10 000 Bewohner aufnehmen konnte und ebenso wie Jerusalem als Pilgerstätte diente. Wirtschaftliche Beziehungen bis nach Kleinasien sind durch archäologische Funde nachgewiesen. Da aber der Garizim heute in einer andauernden Krisenregion liegt, sind die Forschungen darüber sehr ins Stocken geraten. Zwar sind zwei Grabungsbände erschienen (Yitzhak Magen et al., Mount Gerizim Excavations. 1. The Aramaic, Hebrew and Samaritan Inscriptions, Jerusalem 2004; Yitzhak Magen et al., Mount Gerizim Excavations. 2. A Temple City, Jerusalem 2008), aber es ist kaum möglich, gegenwärtig in Erfahrung zu bringen, ob und wann die Grabungen fortgesetzt werden.

Auch die archäologische Forschung zum Tempel in Jerusalem steht aus politischen Gründen vor unüberwindbaren Hindernissen. Anders als zum Heiligtum am Garizim gibt es viele literarische Quellen zum Jerusalemer Tempel, was aber mitunter auch dazu verleitet, die literarischen Texte quasifaktisch zu lesen und die fehlenden archäologischen Daten durch literarische zu ersetzen.

Das antike Ephesos ist zwar durch Grabungen mittlerweile wieder sichtbar geworden und archäologisch weit besser erforscht als die Tempelanlagen auf dem Garizim und in Jerusalem, aber die ursprünglich um den Artemistempel angelegte Stadt ist wie die Tempelstadt am Garizim ein Relikt, von dem es nur wenige Spuren gibt und das zugleich einen vorsichtigen Rückschluss auf Ausmaße und somit auch Bedeutung – sowohl wirtschaftlich als auch religiös – der Tempelanlagen zulässt.

Die drei Heiligtümer haben vieles gemeinsam. Besonders hervorzuheben ist ihre überregionale Bedeutung aufgrund einer politisch aktiv vorangetriebenen Kultzentralisation, die dem jeweiligen Kultort erhebliches Ansehen, Pilger und wirtschaftliche Vorteile verschafft hat. Der Lyderkönig Kroisos hat den Artemistempel maßgeblich finanziert und mit Landbesitz ausgestattet, um mit einem zentralen Heiligtum die verschiedenen Völkerschaften seines Reiches zu einen. Jerusalem nahm nach dem Fall des Nordreichs für seinen Tempel des Gottes Israels in Anspruch, allein legitime Opferstätte für den Gott Israels zu sein. Jerusalem konkurrierte dabei mit der weiterhin bestehenden samaritanischen Verehrung des Gottes Israels und wohl auch noch mit weiteren Tempeln und Kultstätten.

Ebenso scheint der Tempelneubau in Jerusalem durch König Herodes in den Jahren 20–10 v. Chr. auch aus wirtschaftlichen und prestigepolitischen Gründen geschehen zu sein. Herodes war nämlich nicht nur der wohl bedeutendste und einflussreichste Klientelherrscher des Imperium Romanum zu seiner Zeit, sondern auch ein viel reisender Bauherr, der nachweislich auch in Ephesos war. Der dortige Artemistempel zählte in allen Weltwunderlisten der Antike zu einem der sieben Weltwunder. Diese Weltwunderlisten förderten den religiösen und kulturellen Tourismus der Antike sehr. Es ist nun erstaunlich, dass die enormen Ausmaße des Neubaus des Jerusalemer Tempels den Artemistempel in Ephesos übertreffen wollen. Dies führt zu der Vermutung, dass ein Beweggrund für Herodes die Überbietung des Artemistempels und die Installation des Jerusalemer Tempels als neues Weltwunder gewesen sein könnte.

Wie auch immer sich das verhalten mag, klar ist jedenfalls, dass die jeweiligen Forschungen zu den Tempelanlagen bisher kaum Notiz voneinander nehmen. Sicher haben die beteiligten Forscherinnen und Forscher mit ihrem eigenen regionalen Forschungsgegenstand mehr als genug zu tun. Das Anliegen des vorliegenden Bandes ist es aber, den gegenseitigen Austausch zu fördern und so etwas wie eine vergleichende, miteinander kooperierende, regional informierte und überregional interessierte Tempelforschung anzuregen, die im besten Fall nicht nur interdisziplinär, sondern eben auch multiperspektivisch transdisziplinär an gemeinsamen Fragestellungen wie etwa der wirtschaftlichen Funktion von Tempelanlagen zusammenarbeiten würde. Dabei wären nicht nur etwaige Gemeinsamkeiten und überregionale Strukturen interessant, sondern eben auch die erheblichen Unterschiede der Funktionen der Tempelanlagen in ihren jeweiligen Konstellationen, deren Spezifika als solche aber erst im Vergleich zu anderen Möglichkeiten der Organisation und Finanzierung von Tempelanlagen in den Blick geraten können.

Diese transdisziplinäre Ebene erreicht der vorliegende Band immerhin ansatzweise. Seine interdisziplinäre Ausrichtung mit Beiträgen aus Archäologie, Epigraphik, Klassischer Philologie, Exegese und Theologie könnte ein wichtiger Zwischenschritt sein für eine transdisziplinäre Tempelforschung der Zukunft.

Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass sich die Beitragenden dieses Bandes darauf eingelassen haben und durchaus daran interessiert waren, mehr voneinander zu erfahren und miteinander ins Gespräch zu kommen. Das wurde leider durch die Corona-Pandemie sehr erschwert. Geplant war nämlich eine gemeinsame interdisziplinäre und internationale Fachtagung. Die DFG hatte den Antrag dazu mit großzügigen Mitteln positiv beschieden, doch dann verhinderten pandemiebedingte Einreiseverbote, Verbote von Dienstreisen und Verbote der Goethe-Universität Frankfurt, Tagungen abzuhalten und Gäste zu empfangen, die Tagung gleich zweimal. Ein weiteres Mal wollten wir die Tagung nicht verschieben; Stand heute wäre sie auch noch im Wintersemester 2021/22, also bis zum 31.03.2022, vom Präsidium der Goethe-Universität Frankfurt nicht erlaubt worden – cancel culture.

Ich danke den potentiellen Tagungsreferentinnen und -referenten sehr für ihre warmherzige, geduldige und verständnisvolle Kollegialität und dann auch für ihre Bereitschaft am vorliegenden Band mitzuwirken, auch wenn die Tagung dazu nicht stattfinden konnte. Das Ergebnis jedenfalls lässt sich sehen und ich bin sicher, dass der vorliegende Band in der Fachwelt und auch für den akademischen Unterricht willkommen sein wird, da er mindestens zweierlei leistet: Zum einen informiert er durch Fachleute über den gegenwärtigen Stand der Tempelforschung am Garizim, in Jerusalem und in Ephesos. Zum anderen zeichnen sich Perspektiven inter- und transdisziplinärer Tempelforschung ab, wenn man alle Beiträge liest und sie miteinander ins Gespräch bringt.

Ich freue mich, dass der Band als zweiter Band der inter- und transdisziplinären Reihe Beyond Historicism – New Testament Studies Today erscheint und danke dafür meinen Mitherausgebern der Reihe Tobias Nicklas, Thomas Paulsen und Hartmut Leppin. Gleichfalls danke ich für die gute Zusammenarbeit mit dem Brill | Schöningh Verlag und hier stellvertretend Dr. Martina Kayser und Jörg Persch.

Mein besonderer Dank aber geht an meinen Assistenten Dominic Blauth, der mir nicht nur in allen Phasen des Projekts und auch in den enttäuschenden Stunden der Verschiebung und schließlich der institutionell bedingten Absage der Tagung mit Rat und Tat und auch Ermutigung zur Seite stand, sondern dann auch die Redaktion des Bandes übernommen hat und die Druckvorlage mit seinem immensen Fleiß und seiner detailverliebten Gründlichkeit erstellt hat.

Stefan Alkier

Bochum, den 12. März 2022

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Konstellationen antiker Tempelwirtschaft

Neue Perspektiven auf den Tempel am Garizim, den Jerusalemer-Tempel und das Artemision in Ephesos

Series:  Beyond Historicism – New Testament Studies Today, Volume: 2