Das vorliegende Buch widmet sich Charles Baudelaire, einem faszinierenden Dichter und scharfsinnigen Kunstkritiker des 19. Jahrhunderts. Der schmale Gedichtband Les Fleurs du mal/Die Blumen des Bösen begründete spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts Baudelaires europäischen Ruhm, schockierte aber bei seiner Veröffentlichung im Jahr 1857 zunächst die bürgerliche Öffentlichkeit des Zweiten Kaiserreichs und handelte dem Verfasser einen Gerichtsprozess wegen des Verstoßes gegen die öffentliche Moral und christliche Religion ein. Baudelaire gehörte damit zu jenen Schriftstellern und Künstlern der bürgerlichen Epoche, deren künstlerisch avancierte Werke von der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und ihren Institutionen als skandalös abgelehnt wurden. Gegen alle zensierenden Widerstände, die sein Werk provozierte, hielt Baudelaire unbeirrbar an seiner Ästhetik fest. Plakative oder oberflächliche Urteile, die über den scheinbar exzentrischen Dichter schon zu Lebzeiten kursierten, eignen sich nicht, um Baudelaires ‚Lyrik der Moderne‘ in ihren dissonanten Tönen zu erfassen.
Die eminente Bedeutung Baudelaires zeigt sich auch am Interesse unterschiedlicher Disziplinen an seinem Werk: In Deutschland lasen ihn Friedrich Nietzsche und Walter Benjamin; immer wieder fällt z.B. in der Kunstgeschichte der Name Baudelaires, wenn Moderne-Konzepte verhandelt werden. Darüber hinaus spielt sein Werk für die Theoriebildung im Strukturalismus (bei Roman Jakobson und Claude Lévi-Strauss), in der Sprachwissenschaft (Émile Benveniste) und Dekonstruktion (Jacques Derrida, Barbara Johnson) eine wichtige Rolle. Man beruft sich auf Baudelaire, weil seine Sprache und sein Denken geistig anregen und unterschiedlichen Theorieansätzen einen analytischen Zugewinn bringen oder solche Theorien überhaupt erst ermöglichen.
Das Ziel des Buches liegt darin, das vielschichtige und komplexe Werk Baudelaires durch eine Darlegung historischer Kontexte und literarischer Traditionen, durch den Einbezug von Bildmaterial, durch die Analyse von Karikaturen und hauptsächlich durch die exemplarische Erläuterung einzelner Gedichte und Prosatexte einem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Einblicke in Zeitumstände und Traditionszusammenhänge ermöglichen es, viel besser zu erkennen, wie scharfsinnig, frei von Sentimentalität und Kitsch Baudelaire ästhetische Urteile fällt und gesellschaftspolitische Diagnosen trifft. Das Buch richtet sich allgemein an Leser, die sich für Frankreich und Literatur interessieren, und natürlich an Studierende, die sich mit dem Dichter der Fleurs du mal oder dem Kunstkritiker Baudelaire auseinandersetzen. Eine hauptsächliche Intention besteht darin, die Relevanz von Literatur zu unterstreichen: Literatur veranschaulicht in Sprache und Bildern jene unsichtbaren Dinge und Vorstellungen, die zum Raum der Subjektivität gehören und anderenorts keine adäquate Darstellung finden.
Bücher zu schreiben, braucht Zeit. Für die Arbeit am vorliegenden Buch danke ich dem Münsteraner Cluster Religion und Politik sowohl für ein Forschungsfreisemester als auch für einen großzügigen Druckkostenzuschuss. In Münster gaben mir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Clusters, die über das Thema Autorschaft forschten, zahlreiche Impulse und Ermutigungen. Französische Freundinnen und Freunde begleiteten und beflügelten das Projekt auf vielfältige Weise. Manche Freundschaften liegen weit zurück und haben früh mein Interesse an der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts gefestigt. Dazu zählen die emphatische Unterstützung von Karl Heinz Bohrer, ferner die longue durée inspirierender Gespräche mit Marcel Gauchet und ebenso Anregung und Unterstützung von Olivier Millet.
Die Romanistik- und Germanistikstudentin Anna-Marietta Heymann hat mir verlässlich bei der Bildbeschaffung und technischen Aufbereitung des Materials geholfen. Für hellsichtige Kommentare und ihr Interesse am Fortschritt des Buches danke ich Christina Bonhoff; für anregende Gespräche und produktiven Austausch danke ich Alain Deligne; für ihre kritische Lektüre, pointierten Kommentare und freundschaftliche Unterstützung möchte ich Karl Philipp Ellerbrock und vor allem Pia Claudia Doering sehr herzlich danken; für inspirierende und freundschaftliche Gespräche danke ich Bettina Full. Von den intellektuellen Kenntnissen meines Mannes Andreas Kolle habe ich bei der Abfassung des Textes vielfältig profitiert; ihm danke ich innig für seine große Unterstützung.
Karin Westerwelle Münster, im Mai 2019