Geschichte korrodiert alles, was sie berührt.
Lorraine Daston
Das Thema dieses Buches bildet das Verhältnis von Medialität und Historizität in Mediengeschichtsschreibungen. Mit diesem ist eines der zentralen Probleme einer historisch forschenden Medienwissenschaft angesprochen: Medien sind das Ergebnis von Geschichte, gleichzeitig ist jedoch Geschichte ein Produkt der Medien, denn Medien sind in Geschichte und Geschichtsschreibung immer schon involviert. Wenn Medien Geschichte haben und machen, wird der Ort prekär, von dem aus Mediengeschichte geschrieben wird, da man vor der Aporie steht, dass Aussagen über historische Gegenstände den Status dieser Aussagen verändern. Geschichtsschreibungen, die das skizzierte Zusammenspiel reflektieren, sind in Weimar unter den Begriff der „medialen Historiographien“ gestellt worden. Da sich die genannte Aporie nicht normativ-apriorisch auflösen lässt, liegt es nahe, solche medialen Historiographien darauf hin zu untersuchen, wie sie pragmatisch mit ihr umgehen. Es stellt sich die Frage, welche Strategien und Taktiken angewendet werden, um einen Ort des Sprechens zu gewinnen.
Die Textauswahl ist auf Dolf Sternbergers Panorama oder Ansichten des 19. Jahrhunderts1 aus dem Jahr 1938 und auf Friedrich Kittlers Habilitationsschrift Aufschreibesysteme 1800/19002 von 1985 gefallen. Es handelt sich, zumindest in mancher Hinsicht, um zwei sehr unterschiedliche Texte, beide lassen sich aber als mediale Historiographien lesen. So entwirft Sternberger eine am historischen Material entwickelte Theorie des Panoramas, einem Massenmedium des 19. Jahrhunderts, dessen begehbare Rundgemälde auch eingesetzt wurden, um dem Publikum historische Szenen darzubieten. Dieses Geschichtsmedium nimmt er zum Vorbild, an das sich seine Geschichtsschreibung mimetisch anschmiegt. Kittler wiederum analysiert die diskursiven Netze, die sich an den historischen Schnitten 1800 und 1900 um Literatur herum knüpfen. Medien- und Kulturtechniken geraten hier als Bedingungen von Autorschaft, Exegeseverfahren sowie Wissensproduktion und damit auch der eigenen historischen
Beide Autoren stellen in Hinsicht auf die vorliegende Forschungsliteratur eine Herausforderung dar. Sternberger ist von der Medienwissenschaft bislang nahezu unbeachtet geblieben. Das hat den Reiz, eine neue Perspektive ins Spiel bringen zu können, für das Verfassen einer Dissertation jedoch den pragmatischen Nachteil, dass beinahe keine für die Fragestellung relevante Sekundärliteratur vorliegt. Kittler wiederum ist selbstverständlich in der Medienwissenschaft als Autor gut bekannt und es liegen zahlreiche Aufsätze sowie Sammelbände zu seiner Person vor, doch wo es über Referenzen hinausgeht und die inhaltliche Auseinandersetzung gesucht wird, ist kaum jemals Aufschreibesysteme der Gegenstand. Entweder wendet sich die Sekundärliteratur späteren Schriften mit ihren jeweiligen Themen zu oder die Habilitationsschrift wird nachträglich konstruierten Narrativen untergeordnet, die Kittlers Gesamtwerk als ein kohärentes Projekt erscheinen lassen. Erst in den letzten ein bis zwei Jahren finden sich zunehmend Aufsätze und Veranstaltungen, die versuchen, sich Aufschreibesysteme als Text zu nähern, der an einer bestimmten historischen Stelle steht. Um trotz dessen meine Lektüren auf eine breitere Grundlage zu stellen, habe ich auf Archivmaterial zurückgegriffen. Dazu habe ich die Nachlässe der beiden Autoren im Deutschen Literaturarchiv in Marbach gesichtet.3 Dort finden sich u. a. Briefwechsel, Unterrichtsnotizen und Entwürfe, die für meine Fragestellung oder im Fall von Kittlers Nachlass zum größten Teil noch gar nicht erschlossen sind. Gerade wenn es darum geht, die gewählten Texte historisch zu kontextualisieren oder mögliche Motivationen für theoretische Entscheidungen zu rekonstruieren, erlaubt dieses Material einmalige Einsichten.
Zur Behandlung der Texte und historischen Materialien habe ich Michel de Certeaus Epistemologie des historischen Arbeitens als Rahmen gewählt und um Überlegungen zum medienwissenschaftlichen Arbeiten ergänzt. Beide Disziplinen lassen sich auf diese Weise als Heterologien verstehen, d. h. als Wissenschaften, die sich über ihre Beziehung zu einem Anderen definieren: im Fall der Geschichtswissenschaft die Beziehung zur Vergangenheit als eine von der Gegenwart getrennte Zeit; im Fall der Medienwissenschaft die Beziehung zu Medien als Bedingungen der Wissensproduktion. Daraus lässt sich
Diese einklammernde Haltung schlägt sich auch im Aufbau des Buches nieder: Wenn man den Eigenheiten des Materials auch nur in Ansätzen gerecht werden möchte, sind ein vorab entwickeltes Begriffsinstrumentarium, das nur angewendet werden müsste, oder gar ein systematischer Vergleich von vorneherein ausgeschlossen. Stattdessen nähern sich sowohl der Theorie- als auch die Analyseteile ihren Gegenständen von außen an bis sie schließlich die jeweiligen medial-historiographischen Verfahren diskutieren. Der Theorieteil leitet von einer allgemeinen Fragestellung über die theoretische Reflexion der eigenen Praxis hin zu einer Zuspitzung der Frage. Die Textanalysen arbeiten sich jeweils über historische Kontextualisierungen vor zu den geschichts- und medientheoretischen Positionen der Autoren, um am Ende eine Lesart der Texte als mediale Historiographien entwickeln zu können. Allerdings bringt dies auch mit sich, dass sich das Schreiben im Vollzug selbst entwerfen muss, da es seine Ergebnisse nur in begrenztem Umfang vorausahnen kann. Selbstverständlich habe ich nachträglich in meinen Text eingegriffen, aber dabei versucht, seinen Charakter beizubehalten, da sich in ihm die Prozesse abbilden, die zu seiner Entstehung oder mehr noch: zu seiner Fertigstellung führten. Dass das Wie der Argumentation genauso wichtig ist wie das Was, bringt aber auch mit sich, dass der Text nicht immer vorab weiß, was er in der Folge mit welchem Ergebnis machen wird, und dies anmoderieren kann. Im Gegenzug lässt dieses Vorgehen aber erkennen, wie er in der Auseinandersetzung mit
Nur ein einziges Ergebnis möchte ich doch schon vorwegnehmen: Keiner der untersuchten Texte bietet eine abschließende Antwort auf die Frage, aus welcher Sprecherposition sich mediale Historiographien gefahrlos schreiben ließen. Auch in ihnen bleibt der Ort, an dem Medien und Geschichte aufeinander bezogen werden, labil und die Aporie wird nur vorübergehend aufgehoben. Am Ende kehrt das Buch daher wieder zu seiner Ausgangsfrage zurück. Jedoch ist dann auch der Ort, von dem aus diese gestellt wurde, nicht mehr derselbe.