I Zwischen Emergenz und Immersion
Edgar Morin, geboren in Paris als Vidal Nahoum, ist 2021 einhundert Jahre alt geworden. Er hat aus diesem Anlass einen kurzen Rückblick auf dieses gelebte Jahrhundert geschrieben, eine sehr gut lesbare, knappe und eindrucksvolle epistemische Biografie.1 Aktualisiert durch dieses Buch, mehr aber noch durch seine jahrzehntelange intellektuelle Ausnahme- und geradezu Alleinstellung hat er in Frankreich noch einmal rege Aufmerksamkeit erfahren. Auch in deutscher Sprache erschien dieser Titel vor Kurzem; sonst aber ist Morin im deutschen Sprachraum zwar durchaus bekannt, jedoch nur spärlich übersetzt, nicht viel gelesen und so gut wie gar nicht thematisch rezipiert. Sein sechsbändiges Hauptwerk, „La Méthode“, erschien in Frankreich nach und nach im reifen Alter des Verfassers zwischen 1977 und 2004 (Gesamtausgabe 2008); nur der erste Band wurde unter dem Titel „Die Natur der Natur“ ins Deutsche übersetzt.2
Als Soziologe war es Morins Hauptanliegen, die Komplexität des Komplexen zu verstehen. Darin stand er der Systemtheorie sehr nahe, auch wenn er sie – ähnlich im Übrigen wie Yves Barel – in einen französisch geprägten Kontext, nämlich einen eher von der Phänomenologie Merleau-Pontys und dem Existenzialismus Sartres sowie von Strukturalismus und Poststrukturalismus beeinflussten philosophischen Bezugsrahmen stellte als dies in der deutschsprachigen Systemtheorie der Fall war, die eher von Husserl herkommt und wesentlich von Talcott Parsons abgeleitet wurde. Zumindest stand und steht Morin in Deutschland tief im Schatten Niklas Luhmanns, der ihn zwar immer wieder und immerhin aufruft und zitiert, aber nicht als einen seiner Dialogautoren führt. Und das mit gutem Grund, denn Morins epistemologische Grundhaltung und mehr noch seine wissenschaftliche Poetologie ist eher am Ausloten und Aushalten des Uneindeutigen, an der Untersuchung des Übergänglichen und Vorübergehenden interessiert als an rigiden Ausschlüssen und auch nicht an den Gesten der Verwerfung. Morins Arbeiten zur Komplexität des Komplexen sind nicht so sehr als eine Unterscheidungstheorie zu lesen denn als eine Theorie der Verschränktheiten; eine Beschreibung gradierbarer Intensitäten eher denn als eine Taxonomie unterscheidbarer und iterierbarer Entitäten. Darin unterscheiden sie sich doch erheblich von denjenigen Luhmanns. Gerade das aber trägt zur Aktualität Morins in gewisser Weise bei, denn aufgrund dieser Qualitäten sind Morins Arbeiten heute auch aus medienphilosophischer Sicht hochinteressant, wenn denn Medienphilosophie eine Angelegenheit des Vorübergehenden und der „Gemenge und Gemische“ (Michel Serres), sogar der „Relevanz des Irrelevanten“ ist.3 Jenseits davon findet Morin in seinen aktuellen Schriften an den Anthropozän-Diskurs, aber auch an die Digitalisierungsdebatten der Gegenwart geradezu organisch Anschluss, wo das doch vergleichsweise monolithische und dogmatismusfähige Gedankengebäude Luhmanns weniger anpassungsfähig erscheint.4
Auch wenn es sich bei „Der Film oder Der imaginäre Mensch“ um ein Frühwerk aus dem Jahre 1956 handelt, stellt Morin diesen filmanthropologischen Ansatz in seinem Rückblick anlässlich der Neuauflage aus dem Jahr 1977 ausdrücklich in den Kontext seiner system- und komplexitätstheoretischen Interessen als deren Frühform; und zwar nicht zu Unrecht. Auf die Bedeutung des Gedankens von der Komplexität des Komplexen (oder gar der Komplexität selbst) auch für die (Film-)Anthropologie Morins kommen wir im Verlauf dieses Vorworts noch zurück. Auch der umfangreiche, kürzlich erst erschienene Band, der die verstreuten und kleineren Schriften Morins zum Film aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren versammelt, trägt den Titel „Le Cinéma – Un art de la complexité“.5
Unbeschadet dieser Einbettung seiner Filmforschungen in den weiteren Rahmen der Komplexitätstheorie ist „Der Film oder Der imaginäre Mensch“ das vermutlich bekannteste Buch Morins geworden und geblieben, das aber trotz seines Untertitels weniger von der Anthropologie und Soziologie oder von der allgemeinen Ästhetik als vielmehr von der Filmtheorie und Filmkritik rezipiert wurde. Bei seinem Erscheinen wurde es, genau wie das ein Jahr später erschienene „Les stars“ Morins, aufmerksam wahrgenommen und – im Gegensatz zu „Les stars“ – zeitnah ins Deutsche übersetzt.6 Als filmtheoretisches Werk stand es im Kontext der französischen „Filmologie“ der fünfziger Jahre, mit der Morin sich in engem theoretischen und persönlichen Austausch befand, nicht zuletzt auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit dem Dokumentarfilm, die er an der Seite von Jean Rouch erworben hatte. Die „Filmologie“ mit ihren Institutionen, dem „Institut de filmologie“ und der „Revue internationale de filmologie“ war der erste Versuch, den Film zum Gegenstand einer systematischen wissenschaftlichen Betrachtung durch die Soziologie, ganz besonders aber einer nachhaltigen philosophischen Aufmerksamkeit zu erheben. Maurice Merleau-Ponty, Gilbert Cohen-Séat und Étienne Souriau gehörten der „École de filmologie“ ebenso an wie Jan Marie Lambert Peters in den Niederlanden und Umberto Barbaro in Italien; auch Roman Ingarden findet sich in der „Revue internationale de filmologie“.7 Der philosophische Hintergrund dieser Zeitschrift war, wie schon angedeutet, stark von Phänomenologie und Existentialismus geprägt, also von Merleau-Ponty und von Sartre her. In Theorie und Analyse andererseits stand sie der zeitgenössischen, insbesondere der amerikanischen Sozialempirie nahe und berücksichtigte gern auch die Ergebnisse der zeitgenössischen empirischen Wahrnehmungsforschung, wie dies auch für „Der Film oder Der imaginäre Mensch“ gilt. Die „Filmologie“ war ansatzweise auch der Kybernetik gegenüber aufgeschlossen. Und sie betrieb schließlich eine systematische Reflexion und Relektüre des ja schon reichhaltig vorliegenden filmästhetischen Schriftenkanons von Ricciotto Canudo und Béla Balázs über Jean Epstein und Germaine Dulac sowie die sowjetische Schule um Eisenstein, Dowschenko und Pudowkin und bis zu Hortense Powdermaker und André Bazin. All das findet sich auch in Morins Filmanthropologie.
Mit den sechziger Jahren verlor die „filmologische“ Schule an Bedeutung in dem Maße, in dem sich die Methode der exakten Filmanalyse und in ihrem Fahrwasser die Filmsemiologie als verbindlicher filmwissenschaftlicher Ansatz international ausbreiteten. Bei allen unleugbaren Verdiensten dieser vor allem methodischen Schärfung der Filmwissenschaft war damit zweifellos auch ein Positivismusschub verbunden, der über die philosophischen, also phänomenologischen, ontologischen und sozialontologischen, die ästhetischen und psychologischen Ansätze der Filmologie ebenso hinwegfegte wie über die Filmphilosophie André Bazins (die als Arbeit eines bloßen Filmkritikers ohnehin lange nicht theoretisch ernst genommen wurde) und die Filmpsychologie Jean Mitrys. Morins Buch kam wegen seines Status als Klassiker und seines eigentümlichen Beharrens auf der Anthropologie des Films dabei sogar noch recht gut davon; vielleicht auch deshalb, weil er in dem Kapitel über die Entstehung einer neuen Rationalität des Films die Diskurswerdung des Mediums anthropologisch und filmhistorisch begründete. Seit den neunziger Jahren jedoch, d. h. mit der Abschwächung und Ablösung des semiologischen Paradigmas durch die neu erstehende Filmphilosophie – so in den USA bei Stanley Cavell, in Frankreich bei Gilles Deleuze, Jacques Rancière und Jean-Luc Nancy, um nur einige herausragende Vertreter zu nennen – wurde auch Morins Filmanthropologie neu entdeckt und gelesen. Auch in der entstehenden deutschen Filmphilosophie gelangte sie zu neuem Einfluss.8 Hier nun liegt sie in einer neuen Übersetzung vor.
Warum, und warum jetzt?
In ihrem Stil und Duktus schaut Morins Arbeit uns heutige Leser*innen bei allem neu erwachtem Interesse dennoch aus großer Distanz an, nahezu fremd. Das gilt sprachlich und auch konzeptionell. Die emphatische Rede etwa vom „Geist“ und speziell vom „menschlichen Geist“, von „archaischen Menschen“ und überhaupt von „dem Menschen“; generalisierende Formulierungen wie „von allem Anfang an“, „immer schon“ erscheinen zumindest unzeitgemäß. Zudem sind überbordende, flamboyante und oft biologistisch-vitalistische Metaphern (wie das „Hervorsprießen“, das „Aufblühen“, die „Knospen“, „Blüten“ und „Triebe“) sowie seltsam feuilletonistische Passagen neben der recht hohen Redundanz des Textes und gelegentlich unmotivierten Wertungen selbst für die fünfziger Jahre nicht gerade üblich und erschweren zweifellos heutigen Leser*innen den Zugang. Auch fällt auf, dass Morin an vielen Stellen seines Buches eine enge Vertrautheit speziell mit der französischen Hoch- und auch Populärkultur und ihren Protagonist*innen einfach voraussetzt, die aber aus historischen Gründen (Morin bezieht sich oft auf das späte 19. und frühe 20. Jhdt.) heute selbst im französischen Kontext kaum noch erwartbar sein dürfte. Außerdem trägt sich der Zeithorizont insbesondere der ausgehenden Kolonialära auch bei Morin gelegentlich ein. Politisch war Morin seinerzeit an der Gruppe „Socialisme ou barbarie“ um Cornelius Castoriadis und Claude Lefort orientiert, der im Übrigen auch Jean-François Lyotard angehörte. Dennoch spricht Morin, wenn von den Filmerfahrungen indigener Zuschauer eben in den kolonisierten Gesellschaften die Rede ist, von „den Nomaden des Iran“ oder „illiteraten Afrikanern“ oder setzt gar „Afrikaner und Kinder“ in ihrem „naiven“ Filmerleben in eins. Dass Morin in seinem Text keine Alternative zum kolonialistischen Sprachgebrauch findet, ist natürlich kein Zufall, aber es berechtigt andererseits auch nicht dazu, sein Schaffen insgesamt oder seine politische Haltung abzuqualifizieren. Als Beleg dafür haben wir nicht nur, jenseits dieses Buches, den „Cinéma verité“-Film „Chronique d’un été“, den Morin zusammen mit Jean Rouch gedreht hat und der bis heute Zeugnis relevanter und sogar filmethnografisch beispielgebender partizipatorischer Filmarbeit ist. Auch in zahlreichen späteren Schriften befreit sich Morin von derlei Wendungen und verleiht einer bis heute gültigen Haltung globaler Solidarität Ausdruck.9
Wenn uns der Text Edgar Morins also zunächst eher befremden muss, warum sollten wir diesen höchst eigenwilligen filmanthropologischen Versuch aus dem Jahre 1956 trotzdem noch einmal sehr genau lesen, und warum sollten wir das genau jetzt tun?
Die Antwort auf diese Frage liegt natürlich in der Gegenwart und ihrer Lage und ist unmittelbar anthropologischer Art. Die zunehmend prekär werdende Einbettung und Verstrickung menschlicher Existenz in die triadische Beziehung zwischen Technik, Natur und Medien ist heute nicht nur der Ausgangspunkt anthropologischer und namentlich medienanthropologischer Überlegungen. Sie ist auch weit in das allgemeine Bewusstsein der modernen und postmodernen Gesellschaften vorgedrungen. Dazu haben die seit den siebziger Jahren breit geführte Debatte um die begrenzten natürlichen Ressourcen des Planeten Erde, seit den neunziger Jahren das Wissen um den Klimawandel und aktuell die Diskussion um das Anthropozän und die „Gaia“-Hypothese entscheidend beigetragen.10 Auf der anderen Seite sind die Entwicklungen der Informatik, der Robotik und der digitalen Kommunikationstechnologien zu nennen, die Pervasivität des elektronischen Rechners in alle Lebensbereiche und die voranschreitende Algorithmisierung unserer gesamten Umwelt. Wir haben es zunehmend mit kommunizierenden Dingen, interaktiven Apparaturen und rechnenden Räumen zu tun, die unsere Körperorgane und ihre Funktionen, eingeschlossen das Nervensystem und das Gehirn, ausweiten und ergänzen, aber auch tief in sie eindringen und sie ersetzen, die uns permanent beobachten und unser Verhalten protokollieren, auswerten, lenken und leiten.11 Sie beunruhigen unser traditionelles Selbstverständnis etwa als durch Sprache und Denken oder durch Reflexions- und Selbstreflexionsfähigkeit privilegierte Wesen. Sie haben Fragen nach den Grenzen und Bestimmungen spezifisch menschlicher Existenz im Verhältnis zu technologischen Gegebenheiten aufgebracht. Was können Menschen, was Computer nicht können und umgekehrt? Ist diese Frage überhaupt wichtig, und richtig gestellt? Ist künstliche, digitale Intelligenz der biologisch basierten Intelligenz des Menschen überlegen? Wo verläuft angesichts von avancierter Prothetik und Implantationstechnologie, aber auch von Gentechnik und Pharmazie überhaupt die Grenze zwischen Mensch und Nicht-Mensch?
Und schließlich geht es an vorderster Stelle um die (technischen) Bilder in diesem Zusammenhang. Technische und in Sonderheit bewegte Bilder sind als epistemische Größen eine Haupterkenntnisquelle für alles, was wir über unwahrnehmbare Gegebenheiten wie das Klima und sogar den Planeten, aber auch über die Biologie des menschlichen Gehirns wissen. Und gerade die Bilder sind tief in das menschliche und existenzbegründende Relationenwerk eingedrungen, in das Verhältnis zwischen Mensch und Welt überhaupt. Wie funktioniert und was bewirkt die durch die Digitalisierung unfassbar gesteigerte und weitgehend automatisierte Zirkulation technischer Bilder; was macht sie mit uns? Wie vollzieht sich menschliche Existenz im Verhältnis zu den ubiquitären und instabilen Bildern, die, etwa im Fall der flächendeckenden Bildüberwachung, aber auch in der Plattformkommunikation, nur mehr von Maschinen und Programmen angefertigt, durch sie prozessiert und auch durch sie wiederum analysiert und rezipiert werden? Haben sich die Bilder von menschlichen Existenzweisen abgelöst, deren Produkte und Ausdruck sie doch einmal waren? Sind nicht die Relationierungen zwischen technischen Bildoperationen und den Daseinsvollzügen so dicht und dominant geworden, dass man geradezu, wie Christiane Voß dies tut, von anthropo-medialen Relationen sprechen muss, die sich an die Stelle einfacher Bestimmungen der Verhältnisse zwischen Mensch und Welt gesetzt haben?12
Wenn man diesen Gedanken aber zulässt, dann folgt sogleich ein weiterer, der die gesteigerte Komplexität der medienanthropologischen Problemstellung der Gegenwart noch einmal deutlicher hervortreten lässt. Denn wenn wir hier weiterhin traditionell über „Mensch“ und „Welt“ sprechen, oder weiter oben über „Mensch“, „Natur“ und „Technik“, dann sind dies ihrerseits – unentbehrliche – Vereinfachungen, Verdichtungsbegriffe, Blackboxes. Wir verwenden sie aus rein praktischen Gründen. Tatsächlich bezeichnen sie aber keine schlichten Gegebenheiten oder gegenstandsartige Entitäten, sondern ihrerseits äußerst intrikate Beziehungsgeflechte. „Mensch“, „Natur“ und „Technik“, und schon gar „Welt“ sind, wenn man die Blackboxes einmal öffnet, ihrerseits komplexe, relationale Sachverhalte. Ganz besonders gilt das für Begriff und Sache des „Mediums“. Medien sind das Dritte zwischen zwei Anderen oder das Umfassende, in dem das Individuierte sich ausbildet und bewegt. Medien sind deshalb grundsätzlich verkörperte – z. B. technisch gebaute oder biologisch gewordene – Relationengebilde. Insofern kann der Medienbegriff auch als Oberbegriff gelten. Medien, selbst technisch verfasst, vermitteln (etwa: zwischen „Mensch“, „Natur“ und „Technik“, auch zwischen „Mensch“ und „Mensch“; selbst den Menschen an sich selbst), aber das jeweilig Vermittelte, „Mensch“, „Natur“, „Technik“ ist selbst schon Vermittlung und insofern seinerseits medial. Und in ihrer je inneren Verschränktheit haben die anderen, äußeren Sachverhalte und Gegenstände, seien sie technisch, natürlich oder human verfasst, auch in die innere Verfassung „des Menschen“ je schon eingegriffen, bevor er selbst oder sie als solche, als kompakte, zu geschlossenen „Blackboxes“ zusammengefasste Entitäten überhaupt zustande kommen. Insofern ist auch die Rede von „Innen“ und „Außen“ von „Mensch“, „Natur“, „Technik“ oder gar „Welt“ und schließlich „Medium“ nur näherungsweise und in Graduierungen richtig.
Wir benötigen also eine neue, eine grundlegend relationale Medienanthropologie. Genau hier setzt das aktuelle Interesse an Morins Schrift ein. Denn bei allen verbleibenden und stillschweigend vorausgesetzten anthropozentrischen Selbstverständlichkeiten setzt Morin doch alles daran, „den Menschen“ nicht als Tatsache, nicht als Gegebenheit, schon gar nicht als selbstverständliche unbemerkt dominante Ausgangsbedingung zu denken, sondern als emergent, als auftauchend, und als relational, nämlich speziell hervorgehend aus seiner Verschränktheit mit den Bildern.13 „Der Mensch“ emergiert aus seinen Bildern wie zugleich diese aus ihm. Deshalb spricht Morin im Untertitel seines Buches vom „imaginären Menschen“. Dieses Auftauchen und Verschränken geschieht dabei stets und jederzeit, nicht im paläo-anthropologischen Sinn einer ursprünglichen und abgeschlossenen Menschwerdung. „Der Mensch“ ist bei Morin ein supervenierender Effekt, der mit den Bedingungen seines Abhebens oder Einsetzens so verschränkt ist und vor allem so auf sie zurückwirkt, dass Ursache und Wirkung, Früheres und Späteres usw. ununterscheidbar werden. „Der Mensch“ und seine unausgesetzte Entstehung oder Verfertigung vollziehen sich emergent, jenseits jedweder linearen Kausalität, unter Bedingungen, die seine Effekte sind, und deren übersummenhafter, nicht determinierter Übersprung umgekehrt „der Mensch“ ist. Weil sich die derart komplexe Menschwerdung aber als andauernde Vollzugsform menschlicher Existenz selbst zeigt, ist sie den ständig wechselnden Bedingungen etwa gesellschaftlicher, ästhetischer, aber auch biologisch-evolutionärer und selbstverständlich technischer Art unterworfen. Sie ist selbst historisch in ihren Formen und Prozessen.
Warum Film?
Von diesem Sachverhalt handelt Morins Buch, ganz konzentriert auf das Bild als bedingte Bedingung und als Medium der menschlichen Emergenz, d. h. Existenz. Das dominante und technisch avancierteste, auch das ästhetisch dynamischste und ökonomisch bei weitem kraftvollste, zugleich das jüngste Bildmedium der ersten Hälfte des 20. Jhdts. jedoch, auf das Morin zurückschauen und das er analysieren konnte, war der Film.
An seinem Ende hinterlässt uns, so setzt Morin ein, das 19. Jhdt. zwei grundlegende und grundverschiedene Errungenschaften. Die eine ist das Flugzeug, die andere der Film. Beide sind sie technische Erfindungen, der harten Faktizität der Wissenschaft abgerungen. Doch das Flugzeug versucht, sich von den objektiven Bedingungen, denen die menschlichen Körper, die es hervorgebracht haben, unterworfen sind (nämlich der Schwerkraft und der Morphologie ihrer Körper, die keinen Flugapparat aufweisen), abzulösen. Es versucht, einen Traum des Menschen zu verwirklichen, den bis dahin nur imaginäre, überwiegend halbmenschliche Fabelwesen einlösen konnten. Dementgegen wendet sich der Film als das wissenschaftliche Beobachtungsinstrument, als das er zunächst fungiert, diesen physikalischen und biologischen sowie den soziologischen Bedingungen des Realen geradewegs zu. Der Film beginnt bei Marey und bei Muybridge als wissenschaftliches Aufzeichnungssystem für Bewegungsstudien. Im Ergebnis dann jedoch geschieht bereits nach kurzer Entwicklungszeit beider Erfindungen, so Morin, das jeweils genau Umgekehrte. Das Flugzeug kann der Schwerkraft eben nicht entfliehen; es muss immer wieder zur Erde zurückkehren. Es erweitert am Ende die Sphäre des real Irdischen lediglich um einige tausend Meter Durchmesser. Das Kino jedoch hebt vollkommen von den wissenschaftlich-technischen Bedingungen, denen es sich verdankt, ab. Jede Einrückung des Kinos allein in die Wissenschaftsgeschichte verfehlt es vollkommen. Denn die Magie des Kinos besteht nicht darin, dass es als Beobachtungsinstrument etwa Bewegungen besser verstehen hilft, sondern darin, dass es als Projektionsbild Bewegungen zu erzeugen vermag und Bewegungen zum Bild werden lässt. Es erobert das Imaginäre. Vom schieren Bild-Werden, also Imaginär-Werden der bewegten Wirklichkeit allein schon geht eine ungeheure Faszinationskraft aus. Man kann die Richtigkeit der Morin’schen Feststellung übrigens, das haben wir an anderer Stelle einmal ausprobiert, anhand des Jalousienlichts nachzeichnen. Jalousienlicht hat die Tendenz, jeden Raum in einen hell und dunkel gerasterten und zur Flachheit neigenden Bildraum zu verwandeln. Deshalb lieben wir Jalousien so, weil sie unsere realen Lebensräume in imaginäre Bildräume zu verwandeln imstande sind.14
Darüber weit hinaus und entscheidend jedoch vermag das Filmbild, so Morin, das, was wir uns vorstellen, uns als Wahrnehmung vorzuführen, und so das Innere als das Äußere erscheinen zu lassen. Diese Wahrnehmung als mir in Form der Außenwelt entgegentretende Vorstellung nun hat das, was sie sieht, immer schon mit ganz eigentümlichen Qualitäten angereichert, die eben nicht der wahrgenommenen Welt, sondern der bloßen Vorstellung von ihr entstammen. Diesen technisch induzierten Übertragungseffekt, der der im Bild sichtbaren Wirklichkeit Züge des bloß Vorgestellten, der Fantasie- oder Wunschwelt, des Traums oder der Erinnerung anheftet, nennt Morin mit einem in der französischsprachigen Fotografie- und Filmtheorie der zwanziger und dreißiger Jahre oft verwendeten Begriff „Photogénie“.15 Die Fotografie projiziert der Wirklichkeit Eigenschaften auf, die sie an sich selbst nicht hat, dann aber, eben durch den fotografischen Eingriff, dennoch aufweist und die objektiv wahrnehmbar werden. Morin spricht hier einmal von Projektion, ein andermal aber auch davon, dass diese Eigenschaften aus der Wirklichkeit herausgeholt würden. Bild und Realität sind im Photogénie rekursiv miteinander verschränkt. Vor allen Dingen sind es ästhetische Eigenschaften, die im Zusammenspiel zwischen den Oberflächen der sichtbaren Dinge, ihren Texturen, dem Lichteinfall, den Effekten der Linse, der Kamerabewegung und sogar des Zelluloids, beispielsweise in seiner Körnung, zustande kommen und dennoch an den Dingen im Film beobachtet werden, geradezu freigelegt. Aber jenseits des Ästhetischen können davon auch psychologische Aufladungen oder epistemische Qualitäten betroffen sein, etwa über Ähnlichkeitseffekte. Man kann von hier leicht auf die bildgebenden Verfahren der Gegenwart schließen, die z. B. die objektive Existenz physikalischer Entitäten nachweisen, die sie selbst überhaupt erst hervorbringen. Auch das wäre ein Fall von „Photogénie“, auch wenn der Begriff zuerst auf ästhetische, nicht so sehr auf epistemische Sachverhalte abzielt.
Mit dem Film liegt, so Morin, eine Bildtechnik vor, die intensiver und vollständiger als jede andere Bild- oder Kunstform auf die bildanthropologischen (oder anthropomedialen) Grundvollzüge zurückverweist, tiefer in sie eingelassen ist, sie reformuliert, aktualisiert und sogar verdoppelt. Im vorliegenden Band befasst sich Morin dabei vorrangig mit der Klärung der Grundkomplexität zwischen „Mensch“ und Film. In einem zweiten Band, den er dann aber nie verfasst hat, wollte er dagegen den jeweilig variablen Aktualisierungen, Ausdrucksformen und Involvierungsverläufen nachgehen, die je einzelne Filme, Schulen, Epochen oder Genres diesem Grundverhältnis in der Konkretion ihrer Aufführung und Betrachtung verleihen. Dies steht also noch bis heute aus und wäre gewiss eine große Herausforderung und eine Bereicherung für die Filmwissenschaft. Denn wenn wir hier Morins Grundansatz zunächst aus den Problemstellungen einer allgemeinen relationalen Anthropologie (die eine Medienanthropologie sein muss) heraus betrachtet haben, so kann man ihn natürlich auch genau umgekehrt lesen, nämlich primär aus der Sicht des Films und der Filmwissenschaft. Dann liefert Morin eine filmphilosophische, genauer: eine filmanthropologische Grundlagenstudie. Sie geht dem Grund des Filmmediums nach und legt ihn in einer allgemeinen Bildanthropologie bzw. im Entwurf einer relationalen Anthropologie vor. Sie begründet so das Filmmedium in den basalen Vollzügen menschlicher Existenz. Sie gibt so vielleicht keine Antwort auf die Frage Bazins „Was ist Film?“, aber sie versucht sich an der nicht weniger herausfordernden und filmphilosophisch nicht weniger relevanten Frage „Warum ist überhaupt Film, und warum ist er so geworden, wie er ist?“
Aber damit nicht genug. Für Morin liegen die Dinge stets komplexer. Denn die Begründung des Filmmediums in der Anthropologie und in existenziell-menschlichen Daseinsvollzügen ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite nämlich eröffnet der Film für Morin auch einen privilegierten Zugang zu ihnen. Im Licht des Films erleben und erkennen menschliche Zuschauer*innen ihre anthropomediale Grundsituierung. Sie werden in sie hineinversetzt und zugleich tritt sie ihnen als Gegenstand der Erfahrung entgegen. Es ist so, als ob sich menschliche Existenzweisen durch den Film hindurch als grundlegend filmisch, filmanalog oder filmaffin erweisen, so, als sei menschliche Existenz immer schon Film gewesen. Im Film begegnen wir uns selbst jenseits unserer selbst. In diesem Sinn nimmt Morin auch die alte und gängige Analogie von Film und Traum noch einmal auf. Im Filmsehen, so Morin, erleben wir den Traum einer ungenannten und unbenennbaren anderen Quasi-Person, eines anderen, technisch und ästhetisch implementierten Unbewussten. Und was für das Unbewusste gilt, trifft dann auch auf das Bewusste und das Bewusstsein zu. Wir sehen mit dem Film dem Bewusstsein bei der Arbeit zu. Wir befinden uns in seinem Inneren und betrachten es zugleich von außen. Das zeigt sich etwa an der basalen Bewusstseinsoperation der Wahrnehmung: Wir nehmen im Film nicht nur etwas stets bereits einmal Wahrgenommenes, nämlich von der Kamera Erblicktes, wahr, sondern eben diese Wahrgenommenheit oder gar die Wahrnehmung selbst. Das erinnert an den viel später von Stanley Cavell entwickelten analogen Gedanken vom Film als der „gesehenen Welt“.16 Es nimmt aber auch Gilles Deleuzes Philosophie des Films als eines „Bewusstseinsbildes“ und eines „denkenden Bildes“ in Ansätzen vorweg, versieht sie aber mit einem anthropologischen Grundverständnis, das bei Deleuze gerade keine Rolle spielt.17
Allen anderen Bildern gegenüber zeichnet sich der Film für Morin dadurch aus, dass er dem empirischen, praktischen Leben und den Objekten, die er zeigt, näher kommt als jedes andere Bild. Er ist aus technischen Gründen als pure Ablichtung eine Folgeerscheinung der Dinge, die er zeigt, von ihnen kausal ausgelöst durch die Lichtbrechung an ihrer Oberfläche. Zudem kann er sie in ihrer Bewegung festhalten und sie dadurch in die praktischen Verrichtungen des Alltags einbeziehen statt diese, wie die Fotografie, zu arretieren. Er kann seine Objekte von allen Seiten betrachten. Die Bewegung der Kamera im Raum und um die Dinge herum verleiht den Dingen dabei eine ausgeprägte Körperhaftigkeit, ein Volumen im Raum, und kompensiert dadurch bei Weitem die Flachheit des Bildes. Auch eine dreidimensionale Projektion könnte, so entwickelt Morin in gründlichen Passagen über das „Totale Kino“ und sein Scheitern, hier nicht weiter gehen. Im Gegenteil: durch die rein imaginäre Qualität dieses Körpervolumens der Dinge wird der Zusammenschluss des wahrnehmenden Bewusstseins und der wahrgenommenen Wahrnehmung enger, als dies bei einer „wirklich“ dreidimensionalen Wiedergabe der Fall sein könnte.
Organprojektion und Projektions-Identifikation
Mit dieser Idee vom Film als entgegenkommendem und zugleich von innen bei der Arbeit erlebtem, technisch verkörpertem und ästhetisch aktualisiertem Bewusstsein (oder Unbewusstem und Imaginärem im Fall des Traums und der Magie), das uns unsere komplexe anthropomediale Grundverstricktheit und unhintergehbar emergente Prozessualität vorhält, bewegt sich Morin, ohne es zu wissen, in einem interessanten Spannungsverhältnis zu den medienanthropologischen Thesen erstens von der Organprojektion bei Ernst Kapp und zweitens von der Ausweitung des Menschen bei Marshall McLuhan. Sehr kurz gefasst besagt Kapps These von der Organprojektion, dass „der Mensch“ Grundfunktionen und -verfasstheiten seines Körpers und seiner Organe in seine eigenen Hervorbringungen und namentlich seine Werkzeuge projiziere.18 Dies geschieht jedoch, so Kapp, unbewusst. Die Funktionsweisen und Beschaffenheiten der jeweiligen Organe kennt „der Mensch“ zum Zeitpunkt der Erfindung oder Produktion des jeweiligen Werkzeugs gar nicht. Die Organprojektion ist also eher ungewusst als unbewusst. Dann aber biete das Werkzeug (oder Medium) dem Menschen die Möglichkeit, als externalisiertes Organ Einblick in das Funktionieren des Organs zu verschaffen, eben weil es ihm nun von außen entgegentritt. Seit wir etwa optische Instrumente mit Linsen haben, wie das Fernrohr, das Mikroskop oder gar den Fotoapparat, verstehen wir die Funktionsweise des Auges. Im Lichte unserer Werkzeuge, schließlich der Technik überhaupt, verstehen wir uns selbst. In ihren Proportionen erkennen wir die unseren, in unseren Produkten erkennen wir zirkulär unsere Produktionsweise.
Allein schon die Formulierung von der „Projektion“ rückt Kapps Gedanken auch über die Zeit hinweg in eine gewisse Nähe Morins. Denn bei Morin nimmt ein Vorgang eine zentrale Stelle ein, den er die „Projektions-Identifikation“ nennt. Allerdings unterscheidet sie sich in einer grundsätzlichen Weise; und die Differenzierung gegen Kapps Gedanken von der Organprojektion kann Morins anthropomediales Konzept noch einmal deutlicher konturieren: Natürlich spricht Morin vom Bild, von Bildern und eben vom Filmbild. Kapp dagegen behandelt Werkzeuge, Maschinen und die Technik überhaupt. Natürlich kann man auch Bilder als Werkzeuge betrachten, und Morin würde vermutlich nicht zögern, das zu tun. Aber in Filmbildern haben wir es explizit und thematisch mit der Dimension des Imaginären zu tun, also der Vorstellungskraft. Hier ist daran zu erinnern, dass Morin mit einem ganz anderen Begriff des Imaginären und der Polarität von Imaginärem und Realem arbeitet als dies in der heute stark dominanten Fassung der Fall ist, die Jacques Lacan dem Begriff des Imaginären (und des Realen) gibt. Morin folgt weitgehend Jean-Paul Sartres phänomenologischer Begründung des Imaginären.19 Filmbilder lassen uns nicht nur an einer anderen Wahrnehmung, der Wahrnehmung einer Quasi-Person, verkörpert in der Kamera, sondern insbesondere an anderen Vorstellungen Anteil nehmen (und an von anderen Quasi-Personen geträumten Träumen). Sie sind so Objektivationen einer Subjektivierung. Dagegen bleiben die Werkzeuge rein objektiv.
Außerdem handelt es sich bei der Identifikations-Projektion um eine ganz andere Art des Verlaufs: Für Morin handelt es sich erstens nicht um einen Zyklus aus Projektion, also Außenverlagerung oder Entäußerung, und anschließender wiederaneignender (objektiver) Erkenntnis, sondern aus Projektion und Identifikation, also Ineinssetzung und geradezu Einverleibung. Und diese Identifikation geschieht nicht über Einsicht oder Erkenntnis, sondern affektiv über einen Vorgang, den Morin die Teilhabe oder Partizipation nennt. Das Filmbild, so Morin, ist eine Entäußerung oder Verdinglichung, die Objektivation einer Wahrnehmung, einer Vorstellung oder Erinnerung; zugleich aber tritt es mir nicht einfach konfrontativ und objektiv entgegen, sondern es verstrickt sich mit mir in wechselseitiger affektiver Teilhabe. Bei Kapp hingegen bleibt das Werkzeug ein Außending. Zweitens geschehen Projektion und Erkenntnis bei Kapp nacheinander in einer – wenngleich zyklischen – geordneten Abfolge. Nicht so bei Morin. Für ihn ist es gerade wesentlich, dass beide Teilprozesse, Projektion und Identifikation, gleichzeitig ablaufen und nur gemeinsam. Nur in dem Maße, wie es projektiv hervortritt, kann das Filmbild sich in affektive Partizipation und also Identifikation verstricken. Und nur in dem Maß, wie es überhaupt identifikationsfähig ist, kann es nach außen projiziert werden. Das Bild bringt das, was projiziert wird, in der Identifikation erst hervor, und die Identifikation gilt zugleich dem, was gerade erst projiziert wird. Imagination, Affektivität und Komplexität kennzeichnen die Projektions-Identifikation.
Ausweitung des Menschen und affektive Partizipation
Auch die These von der Ausweitung des Menschen bei Marshall McLuhan ist diesem Gedanken verwandt.20 Wie bei Kapp, so ist auch bei McLuhan die technisch-mediale Welt eben dies, eine Außenverlagerung bestimmter Fähigkeiten und Beschaffenheiten „des Menschen“. In der Technik begegnen wir auch bei McLuhan letztlich uns selbst, wenngleich eher als Negativabdruck, denn mit der Außenverlagerung begeben wir uns selbst eben der Vermögen, die wir ins Technische hinein außenverlagert haben. So geht es beispielsweise mit Fuß und Rad, mit Hammer und Faust, mit Kamera und Auge, mit Lautsprecher und Ohr. Die Apparate werden uns von Projektionen zu Prothesen, und die prothetisch verstärkten Körperglieder verlieren ihre ursprüngliche Funktion; die jeweiligen Vermögen werden amputiert und der Technik übergeben. Wollten wir diesen Gedanken bei Morin wiederfinden, so wäre es jedoch schwierig, das konkrete Organ zu identifizieren, das hier prothetisch verlängert und abgetrennt wird. Das hat einen doppelten Grund. Zum einen handelt es sich bei den projizierten Vermögen Morins um sehr komplexe Anlagen, nämlich Fähigkeiten, wie sie traditionell dem Bewusstsein oder gar dem Unbewussten zugeschrieben werden, also erneut Wahrnehmung und Imagination (Vorstellung, Erinnerung, Traum). Nicht das Gehirn als kompaktes Organ wird hier externalisiert oder projiziert, sondern eine sehr komplexe Relationenlage, die Teile des Gehirns mit anderen Teilen und mit anderen Organen und massiv auch mit der Außenwelt, außerkörperlichen Gegebenheiten und schließlich auch mit anderen Körpern und Gehirnen verbindet. Und darin liegt der zweite Unterschied zur These von den Ausweitungen des Menschen bei McLuhan. Wie wir schon beobachtet haben, sind ja Innen und Außen in Morins Ansatz stets verschränkt und kaum mehr trennbar, es sei denn als Aspektierungen. Erweitert wird also nicht die Reichweite eines definiten Organs, sondern ein verteiltes, über Außendinge und neurologische Verfassungen, über Imaginationen und konkrete Bilder vernetztes und rückgekoppeltes komplexes Vermögen.
Aber bei McLuhan geht der Prozess jenseits der Außenverlagerung noch weiter. Diese Phasen in ihrem Nacheinander sind, das haben wir schon gesehen, bei Morin zwar in eine gemeinsame Emergenz (nämlich von Projektion und Identifikation) zusammengezogen, was einen wesentlichen Unterschied markiert. Folgt man mit McLuhan jedoch dem Prozessverlauf der Ausweitung, dann zeigt sich, dass diese Amputation, die Abtrennung des entäußerten Vermögens, sehr schmerzhaft verläuft. Sie erfordert deshalb, sagt McLuhan, eine starke Narkose. So können etwa Luxus, Werbung, Unterhaltungsindustrie als Betäubungsmittel dienen. Derart narkotisiert jedoch können wir die Entsprechung von Mensch und Technik nach McLuhan, anders als bei Kapp, genau nicht erkennen. Wir begreifen die Technik dann als etwas uns komplett Entgegenstehendes. Tatsächlich aber ist sie für McLuhan unser außenverlagertes Selbst und damit unser (negatives) Spiegelbild; und genau wie Narziss im Mythos sich in sein Spiegelbild im Wasser verliebt, das er für einen fremden, wunderschönen jungen Mann hält, so ist bei McLuhan der Mensch „verliebt in seine Apparate“, in denen er sich selbst aber nicht erkennt.21 Ähnlich wie bei Morin können wir bei McLuhan so das Moment des Affektiven und der affektiven Partizipation wiederfinden, das „den Menschen“ und seine Außenverlagerungen zusammenhält. Allerdings ist die affektive Partizipation bei McLuhan ein zwar notwendiger, aber doch induzierter und erkenntnishemmender Zustand, den es abzulösen gilt in der Erkenntnis der wahren Zusammenhänge. Für Morin dagegen gibt es diesen Gegensatz zwischen kognitiv-epistemischen und affektiven Vermögen und Bereichen aber erneut nur im Rahmen ihrer Komplexion und Zusammenwirkung, der beide erst emergent entspringen; und ein ausführliches Kapitel seines Buches widmet sich eben der kinematografischen Rationalität, die sich gemeinsam und zugleich mit der affektiven Partizipation erhebt und entfaltet.
McLuhan spricht ausführlich über die wechselseitige Einbindung von Bild und Betrachtung. So unterscheidet er „heiße“ von „kalten“ Medien je nach dem Grad der Involviertheit des betrachtenden neurologischen Systems. Je „kälter“ ein Bild ist – sein Paradebeispiel ist das Pixelbild des groben Fernsehschirms –, desto mehr muss die Wahrnehmung diesem Bild hinzufügen, es komplementieren und ergänzen. Davon unterscheidet McLuhan die „heißen“ Medien, die uns tendenziell mit geschlossenen, gesättigten Oberflächen gegenübertreten und eine nur sehr geringe Mitarbeit des Organismus an der Vervollständigung des Bildes erfordern. Erkennen des Abgebildeten und Hinzuimaginieren gehen auch bei McLuhan im Fall der „kalten Medien“ Hand in Hand. Aber erneut ist dies für ihn eine rein kognitive Leistung, die er von der Affektivität der Liebe zu unseren Apparaten sorgsam getrennt hält. Als Erkenntnisfunktion ist die Bildbetrachtung nach McLuhan von der affektiven Partizipation und der Projektions-Identifikation Morins weit entfernt.
Insofern wir nur das wahrnehmen können, was anwesend ist, Abwesendes jedoch nur als Vorstellung führen, findet hier, im Kino, aber auch schon in der Fotografie, eine eigenartige Verschränkung von Abwesenheit und Anwesenheit statt. Morin vergleicht diese Verschränkung mit dem Motiv des Doubles, der verdoppelnden Außenprojektion sowohl des Individuums wie auch der objektiven Welt. Und er spricht dabei ausdrücklich und ausführlich einmal vom Schatten und einmal vom Spiegelbild. Zwischen diesen beiden Polen, dem Schattenhaften und dem Spiegelnden, bewegt sich für Morin das Kino. Beide bleiben an die Anwesenheit dessen, wovon sie Schattenwurf bzw. Reflex sind, geknüpft, sind aber zugleich da, wo diese Objekte oder Körper eben nicht sind. Schatten und Spiegel sind einander insofern polar gegenüber angeordnet, als zunächst der Schatten auf den Tod verweist. In der Nacht, schreibt Morin, verliert der Mensch den Schatten, im Schlaf ist er in der Gewalt der Schatten. Der Tod befreit die Schatten, und die Toten haben keine Schatten, sie sind Schatten. Der Spiegel dagegen zielt, sagt Morin, auf Spiel, Traum und ästhetische Empfindung. Und genau zwischen diesen Welten, zwischen Tod und Spiel, zwischen Schlaf und Traum, siedelt das Kino als eine fragile und doppeldeutige Zwischenwelt als wacher Schlaf und als begehbarer, wahrnehmbarer Traum.
Diese beiden fotogenen Effekte der Übertragung von Vorstellungen auf Wahrnehmungen und der Verschränkung von Abwesenheit und Anwesenheit sind schon in der Fotografie wirksam, sagt Morin. Im Foto werden sie aber entzeitlicht, sie werden der Flüchtigkeit und damit auch des Vorübergehens enthoben. Die Welt des Fotos ist weder sterblich noch unsterblich. Sie ist zudem noch objekthaft, verdinglicht, handhabbar und in privater Verfügbarkeit eingerahmt. Im Kino dagegen, so Morin, wird das Bild erstens flüchtig und in sich beweglich, es wird für jede individuelle Handhabung viel zu groß und erlaubt auch keinerlei private Verfügbarkeit mehr. Es vermengt, schreibt Morin, im gleichen Akt den Tod (denn das Bild und mit ihm das, was es erscheinen lässt, ist flüchtig und endlich in der Zeit) und die Unsterblichkeit (denn es ist trotzdem zugleich ein Festhalten). Das Bild im Kino ist mir außerdem nicht mehr unterworfen und zu Willen, sondern ich muss mich als Zuschauer ihm unterstellen.
Anthropokosmomorphismus
Vor allem aus diesem letztgenannten Grund wird im Kino etwas produziert, was Morin den Anthropokosmomorphismus nennt. Er besteht darin, dass einerseits im Zuge des Photogénie und der Projektion die Eigenschaften und Vermögen des Menschen auf alles, was der Film zeigt, ausgeweitet werden; Morin spricht hier ausdrücklich von der animistischen Potenz des Films, die wir ja hier auch schon mehrfach berührt haben, die etwa die unbelebten Dinge im Film mit Merkmalen des Lebendigen und sogar des spezifisch Humanen ausstattet. Dies ist die Seite des Anthropomorphismus: allem wird die Gestalt, werden die Eigenschaften des Menschlichen verliehen; die Menschenform wird den Dingen, der Natur usw. aufprojiziert. Etwa zieht die Zuschreibung von Handlungsmacht – Agency – auch auf Dinge gern den Vorwurf der Anthropomorphisierung der Dinge auf sich. Umgekehrt jedoch findet im Kino auch und zugleich in erneut komplexer Verschränkung ein Spiegelprozess dazu statt, den Morin den Kosmomorphismus nennt, und der durch Identifikation, so Morin, zustande kommt. Identifikation ist hier erneut im Sinne der Projektions-Identifikation gemeint. Identifikation heißt hier genau nicht, wie herkömmlich, dass ich mich mit etwas anderem, sondern dass ich umgekehrt alles andere, notfalls eben den ganzen Kosmos, mit mir in eins setze. In einer Umkehrbewegung zur Projektion des Menschlichen auf alles, was im Film erscheint und geschieht, liest sich der Mensch im Kino, da er sich dem Medium hier, wie Morin beschreibt, eben unterstellt, in es und in ihm eingeht, als vollkommen durchdrungen und bestimmt von der erscheinenden Außenwelt, ja als eine Verkörperung dieser Welt im Kleinen und Individuellen. Der ganze Kosmos spiegelt sich in mir. Ich bin kosmomorph. Beide Effekte wirken eben als Anthropokosmomorphismus im Kino zusammen und machen das aus, was Morin als den imaginären Menschen, als den Menschen des Kinos beschreibt. Aus heutiger Perspektive ergibt sich hier eine interessante Verschränkung mit dem Konzept des „Analogismus“ in der Anthropologie Philippe Descolas – und dessen Herausforderung, denn als technisches Bildmedium gehört der Film natürlich zugleich tief zur Anthropologie des dem Analogismus polar gegenüberstehenden Naturalismus in der strukturalen Anordnung Descolas.22
II Zwischen Leben und Tod
Das Motiv des Spiegelbildes verweist uns von McLuhans Medienanthropologie zurück zu Morins Filmanthropologie, in der das Spiegelbild (neben dem Schatten) eine Schlüsselfunktion unter den Bildern einnimmt. Die deutsche Erstausgabe, von Kurt Leonhardt unter dem Titel „Der Mensch und das Kino“ übersetzt und bereits 1958 erschienen, zeigte sogar kongenial auf dem Einband ein Filmstill aus Jean Cocteaus Film „Orphée“ (1949), auf dem die Narziss-Situation zu sehen war: Der Schauspieler Jean Marais in der Titelrolle des Orpheus über einen Tümpel gebeugt, in dem sein Spiegelbild erschien (allerdings blickt er sich in diesem Bild nicht selbst an, sondern aus dem Bild heraus).23 Um die wichtigen Motive des Spiegel- und auch des komplementären Schattenbildes in Morins anthropokinematografischer Theorie weiter aufzuschlüsseln, benötigen wir noch einmal eine Vertiefung der oben kurz skizzierten Anthropologie des Todes, wie Morin sie entfaltet; und es lohnt sich sehr, sich dabei von Cocteaus Film „Orphée“ leiten zu lassen, der in „Der Film oder Der imaginäre Mensch“ nicht erwähnt wird. Aber wir können durch die Betrachtung dieses einzelnen, exemplarischen Films, natürlich spekulativ, eine Andeutung dessen skizzieren, was möglicherweise Morins Vorgehen in dem nie realisierten zweiten Band seiner Untersuchung gewesen wäre.
Tod und Film
Der Orpheus des Mythos ist ein Grenzgänger zwischen dem Tod und dem Leben, und das gilt auch für den modernen Orpheus aus Cocteaus rätselhaftem Film. Genau hier setzt Morins Untersuchung (ohne jeden Bezug auf Cocteaus Film, sondern in seiner filmanthropologischen Grundlegung) ein; sie geht ausdrücklich aus von dem, was der Autor in seinem vorhergehenden Buch, „Der Mensch und der Tod“, erarbeitet hatte.24 Die Beziehung zum Tod prägt demnach durch und durch die Beziehung zum Bild und hier wieder insbesondere zum Film. Damit steht Morin in keiner Weise allein. Auch André Bazin lässt seine berühmte „Ontologie des fotografischen Bildes“ mit dem Tod und der Totenmaske und den Film mit der „Einbalsamierung der Zeit“ einsetzen.25 Es ist auch kein Zufall, dass Gilles Deleuze, dem wir eine der wichtigsten Filmphilosophien verdanken, die Arbeit des Philosophen so definierte: Der Philosoph eilt – wie Orpheus – voraus in den Tod und kehrt von dort zurück zu den Lebenden.26 Dieser vielleicht etwas prätentiöse Satz ist, ob er zutrifft oder nicht, natürlich sehr beziehungsreich. Er scheint z. B. den Idealen der Stoa verpflichtet zu sein (denen zumindest der frühe Deleuze ausdrücklich nahesteht), einer Schule, die, etwa bei Seneca, lehrte, dass die Hauptaufgabe der Philosophie die Bewältigung und der Trost vor der Sterblichkeit des Menschen sei. Philosophie habe den Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen, und im Leben nicht nur der Philosophen gehe es um nichts anderes als darum, das Sterben zu erlernen.27
Deleuzes Satz hat weiterhin Anklänge an das Motiv des Vorauslaufens in den Tod, das Martin Heidegger entfaltet hat: Das Dasein, so Heidegger, entwerfe sich unentwegt auf seine eigenen noch ausstehenden Möglichkeiten hin, deren eine und radikalste die Möglichkeit des Nichtmehrseinkönnens sei. Der Satz hat aber selbstverständlich auch etwas Christologisches; Christus ist es schließlich, der hinabgestiegen ist in das Reich des Todes und am dritten Tage auferstanden von den Toten. Ein anderer Anklang schließlich besteht zum berühmten Höhlengleichnis des Platon. Hier, bei Platon, ergeht es dem Philosophen umgekehrt. Der Philosoph bei Platon nämlich verlässt das Reich der Schatten in der Höhle, das nicht das Totenreich ist, sondern das unseres alltäglichen Wahrnehmens, Meinens und Fürwahrhaltens, und gelangt nach oben ans Licht der Sonne, der Quelle allen Lichtes. Von dort steigt er dann erneut zu den Lebenden herab, um ihnen von seiner Entdeckung zu berichten, diese jedoch, da sie die Wahrheit nicht ertragen, erschlagen ihn daraufhin. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Höhle mit ihren Schattengebilden, die von einem Feuer hervorgerufen werden, oft schon mit dem Kino verglichen worden ist; und auch Morins Buch führt diesen Gedanken ausdrücklich auf.
Auch Pier Paolo Pasolini vertritt eine besondere Beziehung des Films zum Verhältnis von Tod und Leben.28 Der Film, meint Pasolini, sei das Leben, vom Jenseits seines Endes her betrachtet. In der Bewegung vor und zurück durch die Zeit wäre also der Film Pasolinis ein Analogon zum Philosophen Deleuze, bereinigt um die individuelle Ausnahmestellung und das Sendungsmoment des Philosophen. Freilich mündet diese Reise bei Pasolini nicht in Weisheit, Einsicht oder Erkenntnis der Wahrheit, sondern in einer Affirmation des Lebendigen, so wie in Cocteaus „Orphée“-Film am Schluss eine zweifellos naive und klischeehafte einfache Bejahung des Lebens angehängt wird, die dort allerdings die Voraussetzung für die Erlangung der Unsterblichkeit zu sein scheint.
Für Morin nun ist die Beziehung von Film und Tod genau wegen des Motivs der gegen den Tod gerichteten Unsterblichkeit besonders eng und komplex und bildet den Fußpunkt aller weiteren Überlegungen. Er zitiert Max Jacob, der einen jugendlichen Filmzuschauer zitiert: „Das Kino macht man mit den Toten. Man greift sich die Toten und bringt sie in Schwung, und das ist das Kino.“ Es ist unübersehbar, dass Cocteaus „Orphée“ in diesem Sinne nicht nur ein Film ist, sondern auch vom Film handelt, denn er zeigt ganz ausdrücklich, wie die Toten gegriffen werden, in Schwung gebracht werden, und, innerhalb des Films, zu Bild, zu Kino, zu Film werden. Und eben diese Bildwerdung angesichts des Todes ist, so Morin, das zentrale Motiv aller Imagination der Unsterblichkeit.
Es gibt nämlich genau zwei Wege zur Unsterblichkeit. Der eine ist die Verdoppelung: Der Körper produziert ein Double, das jenseits seines Endes weiterhin diese Welt bewohnt. Es ist naheliegend, dass die Fotografie und mehr noch das „lebende Bild“ des Films solche Doubles bereitstellen. Für Morin ist die Verdoppelung des Lebens gerade in seiner Lebendigkeit das Merkmal bereits der allerersten Bilder der Lumières und ein Grundzug aller Filme seither. Sie stehen damit in einer sehr langen Kette von Bildtechniken, die Morin bis auf zwei geradezu natürliche Bilder zurückverfolgt, nämlich das Spiegelbild, wie es dem Narziss schon aus der glatten Oberfläche des Wassers entgegentritt, einerseits, und den Schatten, wie er in Platons Höhle thematisiert wird und uns besonders im Schattenspiel des Schwarz-Weiß-Films begegnet, andererseits. Beide Bilder sind nur dann vorhanden, wenn der Körper, dem sie gelten, ebenfalls vorhanden ist (das unterscheidet sie von den Zeichen: sie sind an die physische Präsenz des Abgebildeten gebunden). Das Filmbild als Double der wirklichen, dynamisch bewegten Welt begründet den immensen Realitätsanspruch und den Objektivitätseindruck der filmischen Projektion. So entstehen die Vorstellungen und Imaginationen des Doubles tatsächlich aus Bilderfahrungen, die uns von außen entgegentreten und die zugleich von uns nicht ablösbar sind. Auch als Imaginationen sind sie stets materiell, greifbare Artefakte oder gar, wie das Kino, an begehbare Dispositive gebunden. Sie sind geradezu technisch. Zudem sind sie stets mit materialer, realer Erfahrung verstrickt und aufgeladen, nämlich derjenigen ihrer Wahrnehmung und ihrer Handhabung (letzteres besonders im Hinblick auf die Fotografie, an die heute das mitführbare, winzige digitale Bild wieder anknüpft, wie wir noch sehen werden). Und umgekehrt sind die Doubles, auch wenn sie dann in eigens angefertigten Bildern, technischen Bildern sogar, entäußert, objektiviert und materialisiert werden, immer mit dem Imaginären und dem Vorstellungsvermögen verbunden und durchzogen, das sie nicht abtrennen, sondern mit dem sie sich vermischen auf eine Weise, die Morin „magisch“ nennt.
Metamorphosen
Der andere Weg zur Unsterblichkeit jedoch ist die Metamorphose: der Körper verwandelt sich am Übergang in den Tod in etwas ganz anderes und geht in ein Jenseits ein. Die Metamorphose nun ist eine spezielle Dimension des Films im Unterschied zu allen anderen Bildtypen, denn als bewegtes Bild kann der Film seit Méliès den Übergang von etwas zu etwas anderem sichtbar machen in seinem Verlauf (oder, im Stopptrick, auch ganz plötzlich und abrupt). Die Metamorphose erst vervollständigt, nachdem die Verdoppelung sie im Objektivitätsgehalt des bewegten und zugleich imaginären Bildes angelegt hat, das, was Morin immer wieder die „Magie“ des Kinos nennt. Damit meint er nicht so sehr die thematischen Szenen gerade bei Méliès, in denen magische Sitzungen, Zauberkunststücke und andere Verwandlungstricks gezeigt und vorgeführt werden. Vielmehr sind Metamorphosen im Film meist viel nachhaltiger und wirksamer da anzutreffen, wo sie nicht eigens ausgeflaggt und wie durch Anführungszeichen ins Reich des Fantastischen verwiesen werden. Etwas zu etwas anderem, ein Bild zu einem anderen werden zu lassen, ist geradezu das Grundprinzip der kinematografischen Illusion in der Abfolge der Einzelkader zum Laufbild. Und erneut kann man im Hinblick auf die uns heute interessierenden digitalen Bilder festhalten, dass auch da, wo ihre Funktion als Double der wirklichen Welt infolge ihrer höchst fragwürdigen Abbildungstreue zweifelhaft geworden zu sein scheint, ihre metamorphotische Qualität (nicht umsonst sprechen wir vom „morphing“) gegenüber dem analogen Film noch einmal um ein Vielfaches gesteigert ist. Es handelt sich also auch bei den digitalen Bildern unverändert um den Versuch, Unsterblichkeit ins Bild zu setzen, denn die Verwandlung im Bild und ins Bild knüpft an den Wunsch an, sich im Tod in etwas anderes zu verwandeln und als dieses andere im Jenseits fortzubestehen. Auch die Anthropologie der digitalen Bilder wurzelt, wenn man Morin ins Postkinematografische fortschreiben möchte, insofern in einem Verhältnis, nämlich eben dem Verhältnis von Leben und Tod.
Dabei ist die Metamorphose im Film, die dargestellte Verwandlung eines Körpers in einen anderen (Mensch zu Monster, Felsen zu Riesen, Besen zu Mensch usw.), so Morin, stets nur eine thematische Einspiegelung der Metamorphose, die der Film selbst schon ist, in den Film. Ihr Thema ist stets das Bild-Werden, genauer: das Film-Werden, wie es sich zwischen den Zuschauern und dem Film ohnehin immer abspielt. Genau das meint Morins Formulierung vom „imaginären“ oder dann genauer: vom „halb-imaginären“ Menschen des Films.29 Cocteaus „Orphée“ ist dafür erneut ein herausragendes Beispiel; ein Film, in dem alles einerseits von Anfang an, auch als Vorfindliches, vor der Kamera Figurierendes, im Sinne Souriaus „Profilmisches“, bereits Film ist, und andererseits transformiert wird, um erneut Film zu werden.30 Es ist nicht allzu schwierig, von hier aus, vom Bild-Werden und vom halb-imaginären Menschen Morins, den Bogen zurück zu Cocteaus „Orphée“ zu spannen. Da ist zum Beispiel das Moment des Bild-Werdens. Bildwerdung findet bei Cocteau mehrfach statt. Da sind etwa die erwähnten Cadragen der Figuren und Körper im Raum, die die Konfigurationen eben aus dem dreidimensionalen Handlungsraum der Filmfiktion herausnehmen und sie zu bildmäßigen Anordnungen transformieren. Da sind die Einstellungen, die Orphées Gesicht und zugleich sein Spiegelbild zeigen, oder die Rückprojektion, in der Orphée ja tatsächlich zum Bild wird und dies indirekt auch vermerkt. Auch das Spiegelmotiv, das Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit und die oben zitierte Wendung von den Schatten und den Toten lädt dazu ein, in Cocteaus Film eine Nähe zu Morins Filmanthropologie zu suchen. Weiterhin bestätigt die Ansicht, die „Orphée“ vom Film als Zwischenwelt entfaltet, als Membran zwischen ihrerseits fragilen Halbgebilden, Morins Auffassung von Schlaf und Traum, die im Film begehbar werden. Auch das Motiv der Überlagerung von Wahrnehmung und Vorstellung ist in „Orphée“ wiederzufinden, spätestens dann, wenn alles, was für Orphée erlebte und insofern real wahrgenommene Wirklichkeit war, für Eurydice offenbar ein Traum war. Zu erinnern wäre auch an die Zusammenziehung von Tod und Unsterblichkeit, über die wir oben schon gesprochen haben. Schließlich, aber nicht abschließend, spricht Morin davon, dass der Mensch im Kino als imaginärer Mensch seine Wiedergeburt erlebe, so wie das hier für Orphée als Mensch auf der Leinwand der Rückprojektion der Fall zu sein scheint.
Vom Kinematografen zum Spielfilm
Dies schlägt sich dann in Cocteaus Film auch nieder in den seltsamen Kamerawinkeln und Cadragen, die, weniger plakativ und extrem als im deutschen Expressionismus der zwanziger Jahre, dennoch die Figuren aus dem sie umgebenden Raum herausschneiden, etwa durch die Art, Gesichter, Hände und Körper anzuschneiden. Derselbe Ablöseeffekt der Figur aus dem Raum wird erzielt dadurch, dass die Kamera Blickpositionen einnimmt, wie sie einerseits den Figuren innerhalb der Szene nicht möglich sind, andererseits aber auch einem auktorialen, allsichtigen und unbeteiligten Erzählerblick nicht entsprechen. Hinzu kommt, dass besonders die Außenräume nicht nur in gleißendes Licht getaucht sind, sondern weitgehend entleert. Zwischen ihnen und den Figuren besteht eine rein formale Beziehung, die Figuren agieren und interagieren nicht eigentlich im Raum, in dem sie bloß enthalten sind, und schon gar nicht mit ihm. Sie gehören ihm nicht an; im Sinne Heideggers könnte man sagen, dass die Figuren in ihrem In-der-Welt-Sein gestört sind, so, wie zumindest Orphée von Anfang an auch in seinem Mit-Sein mit den anderen gestört zu sein scheint.
In dieser Ablösung der Kamera von den festen Standpunkten und in der Einnahme von Perspektiven, wie sie menschlichen Körpern gar nicht möglich sind (weder denen der Zuschauer noch denjenigen der Figuren innerhalb der filmischen Fiktion) sieht Morin eines der wesentlichen Merkmale eines für ihn epochalen Übergangs, nämlich desjenigen vom Kinematografen der Lumières und noch Méliès’ zum Kino und zum Film am Anfang des 20. Jhdts. Ein anderes ist natürlich die Montage, die den Film freisetzt für komplexe narrative und in Sonderheit fiktionale, aber auch argumentative Funktionen, denen Morin in dem bereits erwähnten Kapitel über die neue Rationalität des Films nachgeht. Durch die frei bewegliche Kamera löst sich der Film von unseren Wahrnehmungs- und sogar Imaginationsmöglichkeiten ab und impliziert uns in ein Bild, das unser Bild gar nicht mehr sein kann. Und durch die Übernahme fiktional-narrativer Fähigkeiten festigt er das unhintergehbare Zusammenspiel größter Objektivität und zugleich gerade deshalb vollkommener Illusion. Ohne diesen Übergang wäre der Film nicht lebensfähig gewesen. Er wäre entweder das Instrument des wissenschaftlichen Beobachtens und Messens geblieben, als das er (etwa bei Marey und Demeny) ursprünglich angefangen hatte oder das kurzlebige Jahrmarkt-, Varieté- und Ladenvergnügen, das er bei Edison, bei den Lumières und bei Méliès war. Das anthropologische Potenzial, das er von Anfang an hatte, hätte sich schließlich nicht entfalten können.
Spiegelbilder
Wir haben es in „Orphée“ also mit zwei Zwischenräumen zu tun, jenseits derer noch andere Räume zu vermuten sind, das eigentliche Totenreich nämlich, das wir nicht zu Gesicht bekommen, und das wirkliche Reich des Lebendigen, das wir ebenfalls nicht sehen können. Diese beiden Zwischenräume sind zugleich analog dem Raum des Kinos einerseits, in dem wir uns immerhin befinden, lebendig zwar und wirklich, aber vom echten Alltagsleben dennoch abgetrennt in einem Sonderraum, und dem des diegetischen Raums auf der Leinwand andererseits, in dem weitgehend andere Gesetze des Raums, der Zeit und der Bewegung gelten können. Zwischen den beiden Zwischenräumen in „Orphée“ jedoch gibt es zahlreiche Übergänge. Der erste Übergang wird durch das Transportmittel des Todes, das seltsame Auto, bewerkstelligt und findet bezeichnenderweise im Grau der Dämmerung statt. Cocteau markiert diesen Übergang tatsächlich ganz genau als Übergang, als Bahnübergang nämlich, jenseits dessen das Zwischenreich des Todestransits wartet. Die meisten Übergänge aber finden anders statt, nicht in der immer noch rationalen Geografie, sondern in einer imaginären Topologie, und zwar durch die Spiegel. Zwischen Tod und Spiegel bestehen tief verwurzelte kulturelle und mythologische Beziehungen, die wir hier aber nicht weiter entfalten können; etwa im Zusammenhang mit der menschlichen Eitelkeit, der Vanitas, deren Symbol der Spiegel und deren bzw. dessen Kehrseite der Tod ist; oder im Zusammenhang mit dem Brauch, in einem Sterbehaus die Spiegel zu verhüllen.
Damit kommen wir nach langem Umweg nun auch endlich zurück auf unsere Ausgangsüberlegungen zum Spiegelmotiv in Morins Anthropokinematografie. Ihr geht es weniger um kulturelle Praktiken allein, sondern um deren Verwurzelung in medienanthropologischen Grundkonstellationen. Spiegel sind nämlich paradigmatische Medien. Sie markieren zunächst, wie schon Umberto Eco umsichtig herausgearbeitet hat, die untere Schwelle des kulturellen Prozesses, der Sinn und Bedeutung produziert und zirkulieren lässt.31 Sinn und Bedeutung nämlich erfordern die Handhabung von Zeichen, denn sie sind Verweisungsphänomene; der Sinn einer Sache oder einer Handlung liegt in einer anderen Sache oder Handlung oder in einem Zusammenhang, und diesen Verweis auf das andere oder das große Ganze stellen die Zeichen her. Spiegelbilder aber sind, so Eco, keine Zeichen. Zeichen sind nämlich unabhängig von der Präsenz und von der aktuellen Wahrnehmung dessen, was sie bezeichnen. Um über Elefanten zu sprechen, muss man keine Elefanten zur Hand haben. Ein Bild von einem Elefanten zu betrachten, heißt gerade nicht, einen Elefanten zu betrachten. Spiegelbilder dagegen sind, so Eco unter ausdrücklichem Vereis auf das Spiegelbild des Narziss, nicht unabhängig von der Anwesenheit dessen, was sie zeigen, und sind deshalb keine Zeichen im vollen Sinne des Begriffs. Sollte das, was wir im Spiegel sehen, aus dem Blickfeld verschwinden, verschwindet es auch aus dem Spiegelbild.32 Der Spiegel, anders als das Bild, hält nichts fest. Was der Spiegel jedoch sehr wohl leistet, ist, etwas an einem anderen Ort erscheinen zu lassen als demjenigen, an dem es sich befindet. Zahlreiche magische Tricks – etwa: Pepper’s Ghost, aber auch schon frühere Illusionsanordnungen, die schon bei Athanasius Kircher beschrieben werden – arbeiten deshalb mit der Spiegelfunktion.33 Der Spiegel ist also ein Medium, ein Übertragungsmedium, wenngleich von geringer Reichweite. Da er nichts festhält, ist er eher als der Fotografie oder dem Film dem Fernsehen vergleichbar, das ja in seiner ursprünglichen Form, zumal in der Zeit, in der unser Film spielt, ebenfalls nichts festhalten konnte, sondern alles im Live-Verfahren produzierte und nur übertragen konnte, was genau jetzt gerade an einem anderen Ort vor der Kamera geschah oder sich befand. Und tatsächlich ist das Fernsehen in seiner Frühzeit oft mit dem magischen Spiegel verglichen worden, dem Zauberspiegel, der Dinge, die sich nicht im selben Raum befanden, zeigen und ihren Anblick über weite Strecken übertragen konnte.34
Die Aufmerksamkeit für diese rundfunktechnische Erweiterung der Spiegelfunktion – Übertragung an einen anderen Ort – übrigens besitzt auch Cocteaus „Orphée“, nämlich darin, dass er das Radio an zentraler Stelle einführt. Das Radio dient hier der Übertragung der verdeckten Informationen und Anweisungen an die Todesboten und Todeshelfer aus der Zwischenwelt des Todes in diejenige des todgeweihten Lebens. Zugleich bringt es die Stimme des toten Cégeste dennoch in der Tagwelt zum Erklingen, und insoweit findet hier eine leichte Durchkreuzung von Raum und Zeit statt, als Cégestes Stimme entweder eben aus dem Totenreich oder aber innerhalb der Zwischenwelt der noch Lebenden aus deren Vergangenheit erklingen kann. Und ganz ausdrücklich werden Radio und Spiegelbild dann zusammengebracht, wenn das Motiv des Blicks in den Rückspiegel eingeführt wird, der Eurydice schließlich verschwinden lässt, ein Verschwinden, das dann nicht mehr im Durchgang durch den anderen Raum, das Reich des Totentransits, sondern nur mehr im Durchgang durch die Zeit zu heilen sein wird.
Damit das möglich wird, bedarf es zunächst einer Erweiterung der Spiegelfunktionen und dann und entscheidend der Ersetzung des Spiegels durch ein anderes Medium. Im Unterschied zum wirklichen Fernsehen und Radio und zum wirklichen Spiegel fungiert der Spiegel im Film, und so auch in unserem Film, nicht nur als eine bloße Übertragung von Sichtbarkeit von A nach B. Der Spiegel im Film zeigt nämlich nicht irgendein Geschehen an einem anderen oder am selben Ort. Wie Willem Jan Otten beobachtet hat, zeigt der Spiegel im Film genau das, was wir sähen, wenn sich die Kamera dort befände, wo sich tatsächlich der Spiegel befindet.35 Anders gesagt, beim Spiegelbild im Film handelt es sich um ein Bild im Bild, ein indikativisches Bild, das uns einen Raum und darin Figuren und Objekte gibt, und ein darin enthaltenes und demgegenüber konjunktivisches Bild, das zeigt, was wir, alternativ zu dem ersten Bild, auch noch oder gar stattdessen sehen könnten. Es zeigt die Möglichkeit eines anderen Bildes im Bild an. Der Spiegel, der dieses Bild erzeugt, ist folglich als bildgebendes Instrument ein Analogon zur Kamera bzw. zum Projektor in dem Bild, das sie bzw. er ermöglicht und anfertigt. Wenn der Spiegel also hier, in Cocteaus Film, die Membran zwischen den beiden Zwischenräumen ist, dann zeigt er stets die Möglichkeit der anderen Welt in der einen Welt an in einer magischen und darin ganz und gar Morin’schen Wendung.
An die Stelle des Spiegels ist in „Orphée“ an manchen Stellen allerdings, durch die Rückprojektion, der Film selbst getreten. Das nun, die Ersetzung des Spiegels durch den Film selbst bei Cocteau, ist eine weitere wichtige Bestätigung der These Morins. Auch die Metamorphose des Spiegels in eine Wasseroberfläche – tatsächlich handelt es sich um eine kleine Wanne mit Quecksilber, in die die behandschuhte Hand hier taucht, und die mit gekippter Kamera aufgenommen wurde, so dass das Becken nun senkrecht wie eine Spiegeloberfläche an der Wand zu hängen scheint – folgt demselben Zusammenspiel. Die rein reflektierende Oberfläche wird im Moment des Eintauchens der Hand zugleich dunkel und dreidimensional stofflich, also opak, aber auch durchlässig, zwar nicht für das Licht, aber für die Hand und den Körper des Helden. Auch die Ersetzung des Spiegels durch eine Wasseroberfläche geschieht im Übrigen keineswegs als bloßer filmischer Trick, den wir eigentlich übersehen und nur in seinem Effekt bewundern sollen. Ganz im Gegenteil, genau dieser Austausch ist uns zuvor bereits ausdrücklich vorgeführt worden, dann nämlich, wenn der Umschnitt erfolgt von der Einstellung, die Orphées Gesicht ganz an den Spiegel gepresst zeigt, auf diejenige, die ihn am Rand einer Wasserpfütze oder eines kleinen Tümpels zeigt, in dem er sich spiegelt, und die die deutsche Erstausgabe des Buches Morins ziert.
Post-Kinematografie
Wir haben bereits erwähnt, dass Morin dem Übergang von der Kinematografie zum Kino größte Bedeutung beimisst. Erst durch eine komplexe Erzähltechnik, erst durch Einstellungswechsel und freie Beweglichkeit der Kamera und schließlich auch durch den Ton, den Morin vor allem in Hinsicht auf die Musik und die Geräusche mit großer Aufmerksamkeit behandelt, wird der Film zum Kino-Spielfilm, und erst in dieser Form wandelt er sich von der vorübergehenden Sensation zu einem eigenen Denkstil, vollzieht sich das, was Morin die „Geburt einer Logik“ des Films nennt. Fragmentierungen und Analogien greifen im Wechsel der Einstellungsgrößen Platz; einzelne Einstellungen beziehen in der Montage Sinn und Bedeutung nicht mehr aus sich heraus, sondern aus ihren Beziehungen zu anderen Einstellungen; Gesamtbewegung und Detail verschränken sich miteinander und es werden belastbare Standardisierungen bestimmter Bildtypen, Motive und Einstellungsfolgen (etwa: Schuss und Gegenschuss) eingeführt, aus manchen Bildern, die ursprünglich als Symbole in der vollen anthropologischen Bedeutung des Begriffs fungiert haben, werden konventionelle, verstehbare Zeichen, die wie auf Knopfdruck festliegende Semantiken mobilisieren können. Damit verdichtet sich der Film und gewinnt ganz ungemein an Komplexität. Er bildet einen Diskurs aus, erzeugt Abstraktionen, eine eigene Ratio, eine Denkbewegung.
Heute stehen wir an einem nicht weniger dramatischen, womöglich noch gewichtigeren Übergang in der Geschichte und Evolution des Films, nämlich am Übergang zur Post-Kinematografie. Der Film verlässt das Kino als seinen einzigen Aufenthaltsort und zeigt sich an hoch flexiblen und variablen Plätzen und Stellen, nämlich überall da, wo digitale Displays, wo Bildschirme sich aufhalten können. Dabei variiert das Filmbild seine Größe geradezu beliebig.36 Morin hatte noch den Unterschied zwischen Film und Fotografie unter anderem daran festgemacht, dass wir Fotos mit uns herumtragen, während wir uns zum Kino stets hinbegeben müssen; dass wir im Kino den Film stets im Kollektiv sehen, wo die Fotografie individuell betrachtet wird, und dass wir uns dem Film in seiner überwältigenden Ausdehnung auf der Leinwand unterstellen, wo das Foto handhabbar bleibt und in unsere Verrichtungen und Gewohnheiten eingeht. Diese Unterscheidung zwischen Film und Fotografie ist mit der digitalen Bildzirkulation aber hinfällig geworden; vom gigantischen Screen etwa im Fußballstadion bis zum wenige Quadratzentimeter großen Display auf dem Mobiltelefon kann dasselbe Filmbild laufen und wird hier möglicherweise ganz verschiedene Effekte zeitigen. Auch zwischen Kollektivität und Individualität im Umgang mit Bildern gibt es in der Post-Kinematografie beliebig feine Übergänge. Digital zirkulierende Bilder scheinen ein Amalgam aus Fotografie und Film sein zu können. Sie verfügen zugleich in doppelter Weise über die Dreidimensionalität, das Relief des Filmbildes, das für Morin nichts mit den auch damals schon vorgetragenen Experimenten mit 3-D- Kino zu tun hat. Im Gegenteil: Das 3-D-Bild fügt dem Film, so Morin, nichts hinzu, was es nicht durch seine Beweglichkeit bereits besitzt. Diese Beweglichkeit wird im digitalen Bild noch einmal gesteigert durch die Mobilität des Bildes selbst, das über allerlei Bildschirme und Displays ziehen, sich ihnen in der Größe anpassen und sogar auf ihrerseits mobilen Screens durch den Raum hindurch bewegt werden kann, mobilis in mobile. Auch sie bedürfen der 3-D-Technologie durchaus nicht, und die bisherigen Ergebnisse entsprechender Versuche sind sehr überschaubar (etwas anderes allerdings gilt möglicherweise für die Illusionsanordnungen der „virtuellen Realität“).37 Auch in anderer Hinsicht wie der Manipulierbarkeit der Bilder, ihrer Plastizität und in ihrer Diskursivität, ihrer Konventionalität und Abstraktion sowie in ihren eingeübten Abbreviaturen sind die digitalen Bilder eine enorme Steigerungsform der Filmbilder des Kinos. Deshalb darf man auch nicht vergessen, dass das Kino als großer Ort des Films auch unter postkinematografischen Bedingungen weiterexistiert, aber eben nur als einer unter sehr vielen.
Aber hier geht es hauptsächlich um die Anthropologie des Films. Wie ändern sich, so wäre zu fragen, auf der Basis der von Morin angenommenen Filmanthropologie, die anthropomedialen Funktionen und Funktionsweisen des Films unter den Bedingungen der Postkinematografie? Nichts spricht dagegen, auch die digitalen Bilder aus der Beziehung zwischen Leben und Tod heraus zu verstehen; sie zwischen Metamorphose und Double und zwischen Schatten- und Spiegelbildfunktionen zu verorten. Im Gegenteil, gerade die Bilder als Begleiter (auf den tragbaren Devices in unseren Taschen), gerade die automatisierten Bilder der Überwachungsdispositive sind als Steigerungen der Verdoppelungen und Verdinglichungen anzusehen, untrennbar an uns haftend wie die Schatten und uns als fremd und entfremdet entgegentretend wie die Spiegelbilder. Gerade der nahtlose Zusammenschluss zwischen dem Mikro- und dem Makrokosmischen in den beliebig verkleiner- und vergrößerbaren Filmbildern verstärkt noch die anthropokosmomorphen Effekte des Films. Etwas Ähnliches können wir für das Photogénie ansetzen. Die Überlagerung und Überschreibung medialer und materialer Eigenschaften, ästhetischer und epistemischer Funktionen, wie sie für das Photogénie kennzeichnend sind, scheinen bei digitalen Bildern nicht weniger relevant zu sein; im Gegenteil. Die bildtechnischen Eigenschaften haben sich möglicherweise beim Übergang von Zelluloid zu Bildschirmbildern sehr verändert, aber fotogenisch sind sie geblieben. Auch die von Morin nicht nur konstatierte, sondern in der Entwicklungsgeschichte des Films anthropologisch begründete Diskursivität, Abbreviatur und Rationalität sowie Argumentationsfähigkeit, schließlich die Rationalität des bewegten Bildes sind im algorithmischen Bild eher vorangetrieben als verschwunden. Der Film als künstliches, begehbares Bewusstsein nicht nur, sondern als außenverlagerte und in einem Zug damit einverleibte Rationalität, der Film als Denkbewegung findet im postkinematografischen Raum nicht weniger statt als im kinematografischen Raum.
Und unsere enorme Besorgnis um falsche und gefälschte Bilder, Simulationen aller Art, Deep Fake, „alternative (Bild-)Fakten“ und Mockumentaries nimmt noch einmal eine ganz andere Bedeutung und Richtung an, wenn wir sie in den Kontext eines enorm gesteigerten Photogénie, aber auch den der Projektions-Identifikation einrücken, also der komplexen Überlagerung der Vorstellungswelt der Imagination mit der objektiven Welt der materialen Außenbilder. Ob ein Bild traditionell indexikalisch durch einen optischen Linsenapparat generiert wurde oder ob es ein rein rechnergeneriertes Bild ist, ändert an seiner Objektivität im Morin’schen Sinne nichts. Denn mit „objektiv“ ist hier stets gemeint: uns wie ein Objekt, an Stelle des Objekts und als Objekt entgegenzutreten. Auch das Computerbild stellt ein begegnungsfähiges Außen dar, und zwar, indem es dieses Außen herstellt. Und noch deutlicher als das kameragenerierte Zelluloidbild verschränkt es dieses Außen von Anfang an mit den Binnenbedingungen seiner eigenen Genese, ob sie nun im Gehirn oder dem Bewusstsein verkörpert sind oder in der algorithmischen Maschinerie eines künstliches Bewusstseins. Die Projektion der Vorstellungsbilder in ein Außen, das vom Innen nie abgetrennt war, und die Aneignung der Außenbilder durch die Wahrnehmung, die nie ins Innere eines Bewusstseins eingeschlossen war, laufen in filmanthropologischer Sicht notwendig zugleich und miteinander verschränkt ab, und was wir nach subjektiver oder individueller Vision als Phantasma einerseits und objektiver Dokumentation andererseits zu unterscheiden gewohnt sind, das erhebt sich überhaupt erst jeweils emergent aus diesem anthropologisch noch stets vorgängigen Zusammen- und Wechselspiel. Bild und Welt, Bild und Umgebung verschränken sich immer tiefer, und man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Magie der Bildwelt, dass der begehbare Traumzustand als Weltzustand durch die Digitalisierung in der Postkinematografie keineswegs zurückgedrängt oder weniger relevant geworden wäre; ganz im Gegenteil. Die Bildwerdung des Menschen, die zugleich die Freilegung und Erfahrbarmachung der anthropomedialen Grundlagen menschlicher Existenzweise ist, also der (halb-)imaginären Seinsform des Menschen, wird gerade postkinematografisch von einer Menschwerdung der Bilder komplettiert, die in dieser Form im Zeitalter des Kinos noch nicht absehbar war, wohl aber in ihm begründet ist. Nicht erst der postkinematografische Mensch, dieser aber in allenfalls gesteigerter Weise, emergiert unentwegt in genau dem Maß und Grad aus seinem Zusammenspiel mit den Bildern, in dem er in ihnen zugleich immersiv versinkt.
Mit anderen Worten: Gerade im Zeitalter des digitalen Bildes und in den digitalbildlichen Existenzweisen bewegen wir uns anthropomedial zwischen Tod und Leben in der Nachfolge des Orpheus.
Anmerkungen zur Neuübersetzung
Morins filmanthropologischer Entwurf trifft also auf eine aktuelle Bedürfnislage nach einer neuen Medien- und in Sonderheit Bild- und Bewegtbildanthropologie. Allerdings erfordert genau dies auch die Aktualisierung und zuallererst eine Anpassung und Neufassung der deutschsprachigen Ausgabe des Buches. Die unter dem Titel „Der Mensch und das Kino“ erschienene deutsche Erstausgabe von 1958 wurde von Kurt Leonhardt ins Deutsche gebracht. Leonhardts Übersetzung ist abgesehen von der damals durchgeführten Tilgung der Fußnoten, von Kleinigkeiten in den filmtechnischen Begriffen und Unvollständigkeiten durch übersehene (Halb-)Sätze nicht weiter zu kritisieren. Dennoch liest sich Morins Text 65 Jahre später doch deutlich anders und eröffnet andere Perspektiven, die in einer Neuübersetzung zu akzentuieren waren. Die vielleicht wichtigste Änderung bezieht sich gleich auf den Titel. „Le cinéma“, so der französische Obertitel, kann sowohl durch „Das Kino“ wie auch durch „Der Film“ korrekt übersetzt werden. Hatte sich Leonhardt für die Variante „Kino“ entschieden, so war dies 1958 vollkommen nachvollziehbar, denn Filme liefen ausschließlich im Kino (allenfalls nachträglich auch im damals noch nicht als dominant erkannten Fernsehen). Heute allerdings, vor dem zuletzt diskutierten aktuellen Hintergrund der Post-Kinematografie, wäre es missverständlich, sich in dieser Weise auf das Kino zurückzuziehen. So, wie es den Film nach Morin auch vor dem Kino, nämlich zur Zeit des Kinematografen, bereits gab, so arbeitet er auch jenseits des Kinos weiter und evolviert dabei weiter in seinen anthropologischen Grundlagen. Auch im Text war sorgsam zu unterscheiden, wann der Term „Kino“ und wann der Term „Film“ der angemessenere ist. Ebenso stellt der deutsche Titel „Der Mensch und das Kino“ eine anthropozentrische Voreingenommenheit in den Vordergrund, die über diejenige des Originals weit hinausgeht, das bereits im Titel vom „imaginären Menschen“ spricht und darauf verzichtet, Mensch und Film einander polar gegenüberzustellen, wo es doch genau um ihre unhintergehbaren medienanthropologischen Verstrickungsverhältnisse geht.
In anderen Fällen waren neue wissenschaftliche Diskurslagen zu berücksichtigen. Gerade in den Film- und Medienwissenschaften haben wir es mit Phänomenen und Aspekten zu tun, die auch das früher schon Beobachtete noch einmal in einen neuen Kontext und ein neues Licht rücken. Ebenso stehen uns heute Theoriebegriffe zur Verfügung, die in den späten fünfziger Jahren noch nicht eingeführt waren, die aber genau auf das abzielen, was Morin gemeint hat; andere Begriffe dagegen haben an Aussagekraft verloren oder konnotieren heute anders und mitunter problematisch. Ein paar Beispiele mögen hier genügen, um die Perspektive der Neuübersetzung zu erläutern. Der für Morins Argumentation zentrale Begriff des „Affekts“ zum Beispiel hat sein Bedeutungsspektrum im Deutschen heute gerade als Theoriebegriff deutlich erweitert und zugleich präzisiert, so dass ein Wort wie „affectif“ oder „affectivité“ nicht mehr mit „emotional“ oder „gefühlsmäßig“ wiedergegeben werden muss. Hier wie in anderen Fällen wurden in der Neuübersetzung gelegentlich präzisere Fremdworte an die Stelle heute zumindest in der Theoriesprache nicht mehr übliche oder notwendige Eindeutschungen gesetzt. So gestattet es die heute eingeführte Unterscheidung zwischen „Handlung“ und „Operation“, sich den Differenzierungen des Originals genauer zu nähern und die anthropozentrischen oder subjektzentrierenden Befangenheiten der Zeit, die Morins Denken hier noch auferlegt sind, so zu fassen, dass zugleich das bemerkenswerte Bemühen des Verfassers, sich über die damaligen unbefragten Selbstverständlichkeiten hinauszuschwingen, sichtbar gemacht werden kann. In ähnlicher Weise macht es, um ein weiteres Beispiel zu geben, im Rahmen der Neuübersetzung Sinn, das französische „présence“ nicht durchweg mit „Gegenwärtigkeit“ wiederzugeben, sondern in bestimmten Kontexten den Begriff der „Präsenz“ (im Sinne einer Anwesenheit, die auch raumgreifend, bestimmend, atmosphärisch und aufmerksamkeitsheischend ist) zu verwenden. Im Fall des für Morins Argument wichtigen französischen Begriffs „Photogénie“ dagegen war zu entscheiden, ob die Neuübersetzung Leonhardt darin folgen sollte, hier „die Photogénie“ einzusetzen als Substantivierung aus dem Adjektiv „fotogen“; oder ob sie sich dem in der deutschsprachigen Filmwissenschaft dominanten Sprachgebrauch anschließen und „das Photogénie“ verwenden sollte. Letzterer Variante wurde der Vorzug gegeben, denn mit dem Begriff ist mehr gemeint als die Eigenschaft der vorfindlichen Realität, fotogen zu sein (vergleichbar dem „Pittoresken“).
Auch im sensiblen Sprachgebrauch der politischen Ästhetik, etwa bei Adjektiven wie „primitif“, „archaique“ oder „naif“, hat sich die neue Übersetzung bemüht, jeweils im Kontext akzeptable Wendungen zu finden, ohne jedoch den Duktus und damit auch den Sinn für die Problematik des Originals zu verstellen. Zudem galt es, stilistische Entscheidungen zu treffen. So hat sich die vorliegende Neuübersetzung im Sinne des eingangs dieses Vorworts Gesagten bemüht, die reichlich anzutreffenden Metaphern in eine jeweils möglichst nüchterne und heute gängigere und verständliche deutsche Entsprechung zu übertragen. Schließlich wurden die Fußnoten der französischen Originalausgabe, die nach heutigen Kriterien eher nachlässig gefasst waren, in Anlehnung an die ursprüngliche Formatierung mitgeführt, mussten darin allerdings an zahlreichen Stellen vervollständigt und vereinheitlicht werden. Sie wurden dabei, wo immer möglich, auf die Titel deutscher Übersetzungen umgestellt.
Diese Arbeit wie auch diejenige der Erstellung der auf die Fußnoten abgestimmten Bibliografie (die ebenfalls der im Original vorgegebenen Aufteilung folgt) und der Filmografie hat dankenswerterweise Elena Ernst geleistet. Meine langjährige Lektorin Gabriele Schaller hat auch dieses Manuskript sorgsam, sensibel und kompetent durchgesehen, und ich möchte mich bei ihr besonders bedanken. Dem Verlag Éditions de Minuit danke ich für die Überlassung der Rechte für die Neuübersetzung.
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