Geleitwort

In: Brahms in Essen
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Prof. Dr. Wolfgang Sandberger Leiter des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck

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Essen und Brahms, Brahms und Essen: Nur auf den ersten, flüchtigen Blick scheint in dieser Beziehung kein besonderer Zauber zu liegen. Lediglich zweimal hat Johannes Brahms die aufstrebende Industriestadt zu eigenen Konzerten besucht: im März 1884 und im November 1885. Doch setzen wir diese Auftritte von Brahms in Beziehung zur ›großen‹ Musikgeschichte, so ergeben sich spannungsreiche und lohnende Perspektiven.

In den beiden Brahms-Konzerten in Essen spiegelt sich wie auf kleinen Schnappschüssen die bürgerliche Musikkultur, für die der über 50-Jährige längst eine Galionsfigur war. Eingefädelt hatte die Auftritte der seit 1871 in Essen wirkende Georg Hendrik Witte. In den erhaltenen Briefen zeigt sich brennspiegelartig die eindrucksvolle Briefkultur des 19. Jahrhunderts. Typisch für Brahms ist etwa das ausführliche Schreiben des kurz zuvor mit seiner ›Schreibfaulheit‹ Kokettierenden an den gerade neu gewählten Leiter des Essener Musikvereins. Brahms reflektiert darin feinsinnig über die Schwierigkeiten einer schriftlichen Beurteilung von Musik, um sich dann doch ausführlicher zu dem neuen Hornquintett von Witte zu äußern. Die vollständige diplomatische Wiedergabe und Kommentierung der Schreiben von Brahms an Witte sowie des liebevollen Briefes von Maria Witte an Brahms ist ein Desiderat der Forschung und Herzstück der vorliegenden Publikation. Die Beziehung zwischen Brahms und Witte ist zwar eine lose, aber von Beginn an auch ›kollegiale‹, wie sich bereits in den Brahms dedizierten Walzern op. 7 des jungen 25-jährigen Witte zeigt: eine Sammlung, die sich mit der Widmung ostentativ und in der Analyse zugleich subtil auf die zwei Jahre zuvor erschienenen Walzer op. 39 des bewunderten Vorbildes bezieht.

Der Musikjournalist und Kontrabassist Hans Winking, in Essen geboren, hat sich mit Leidenschaft dem Thema Brahms in Essen gewidmet. Mehrfach war er, der Freund, zu Studien in unserem Brahms-Institut in Lübeck. Die Fertigstellung von Brahms in Essen aber war ihm nicht mehr vergönnt. Mit umso eindrucksvollerem Engagement hat sich seine Tochter, die Geigerin und Musikwissenschaftlerin Charlotte Tauber, dieser besonderen Herausforderung gestellt. »Hoffentlich vergessen Sie Ihre getreuen Essener in Zukunft nicht ganz«, so hatte Maria Witte einst an Brahms geschrieben. Die Studie von Hans Winking/Charlotte Tauber erinnert an die »getreuen Essener« und ganz besondere Höhepunkte im Musikleben der Stadt.

Prof. Dr. Wolfgang Sandberger

Leiter des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck

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Brahms in Essen

Besuche im März 1884 und November 1885