Novität folgte auf Novität, Nummern, die sich nicht glänzend bewährten, fielen rasch aus, in die Späße der Clowns wurde die möglichste Abwechslung gebracht und auf diese Weise bildete sich nach und nach ein Repertoire von solcher Verschiedenartigkeit, daß fast jede Vorstellung an den verschiedenen Tagen der Woche mit einigen ganz aparten Piècen besetzt ist. Mag man wann auch immer sich einstellen, so findet man doch stets ein paar Stücke, die man noch nicht gesehen. Durch diese reiche Auswahl, die Herr Director Renz dem Publicum bietet, hat er es endlich selbst am Anfang des Monats Januar, wo noch Jedermann an den Nachwehen der Weihnachts- und Neujahrs-Bescheerungen zu laboriren pflegt, zu Stande gebracht, dass der Circus [Renz, Anm. M. H.] trotz der enormen Ausdehnung fast allabendlich ausverkauft ist.1
1.1 Etablierung einer neuen Aufführungspraxis in Berlin
Während sich die zirzensische Aufführungspraxis und ihre Spielstätten ausgehend von London und Paris in den letzten beiden Dekaden des 18. Jahrhunderts rasch nach Österreich, Russland und Nordamerika verbreiteten, erreichte diese Entwicklung Berlin erst etwas später.2 Im März 1777 hatte der preußische König Friedrich II. „fremde Spectacles“ und „Gaukelei“, das heißt Aufführungen von Seiltänzer:innen, Akrobat:innen, sowie „andere dergleichen schlechtes Zeugs“ noch untersagt. Denn es gäbe „zu Berlin ordentliche Spectacles genug“, weshalb es „solche unnütze und schädliche Spectacle nicht“ brauche.3 Erst im frühen 19. Jahrhundert wurde das entsprechende Spielverbot aufgehoben, woraufhin internationale Zirkusgesellschaften begannen, auch in der Stadt an der Spree zu gastieren.4 Sie traten etwa in dem 1821 erbauten, hölzernen Zirkusgebäude vor dem Brandenburger Tor auf (das während der Revolutionskämpfe 1848 einem Brand zum Opfer fiel) oder in der 1837 eröffneten Königstädtischen Reitbahn nahe der Sophienstraße. Weitere bekannte Spielstätten waren die semi-permanenten Holzgebäude auf dem Dönhoffplatz, das in den 1850er Jahren bestehende, feste Circus-Theater am Weinbergsweg beim Rosenthaler Tor,5 der Großkopfsche Zirkus in der Charlottenstraße und der (neue) Ottosche Zirkus in der Georgen- beziehungsweise Friedrichstraße.6 Auch in den Vorstädten im Berliner Süden existierten Zirkusspielorte, die von kleineren Zirkusgesellschaften bespielt wurden. Um 1850 traten etwa die Gruppen von Krembser sowie Guerra in Holzbauten am Halleschen Tor auf und in den frühen 1870er Jahren spielten die Gesellschaften Ciniselli und Herzog-Schumann in hölzernen Gebäuden in der Tempelhofer Vorstadt südlich des Halleschen Tors.7
Der nach seinem Baumeister benannte Großkopfsche Zirkus in der Stadtmitte wurde im Januar 1850 als Holzbau mit Manege und Tiefenbühne zur Aufführung von Zirkuspantomimen von der Truppe rund um den Seiltänzer und Kunstreiter Ernst Renz eröffnet.8 Bereits 1851 wurde die Holzkonstruktion dann durch ein steinernes Gebäude nach Entwürfen von Ferdinand Titz ersetzt.9 Der Ottosche Zirkus an der Friedrichstraße 141a, ein hölzerner Fachwerkbau nach Vorbild eines Pariser Zirkusgebäudes, wurde ebenfalls 1850 eröffnet – von der bekannten Zirkusgesellschaft von Louis Dejean aus Frankreich. Als Dejean die Bespielung des Gebäudes im Frühjahr 1852 aufgab, wurde die Örtlichkeit sofort von Ernst Renz gepachtet, bis sie 1853 durch einen Brand zerstört wurde. Im Jahr 1855 wurde daraufhin an derselben Stelle ein neues, diesmal steinernes Gebäude errichtet und im Dezember 1855 wiederum durch Renz eröffnet. Im Jahr 1863 konnte dieser die Spielstätte dann von Baumeister Carl Otto erwerben, verkaufte sie aber 1872 wieder an die Deutsche Eisenbahn-Bau-Gesellschaft, die das Gelände ab 1876 zum Bau der Stadtbahn nutzte.10 Heute befindet sich an der Stelle des einstigen Zirkusgebäudes der Bahnhof Friedrichstraße. Einem Bericht der Vossischen Zeitung von 1873 zufolge hatte Berlin zwischen 1820 und 1870 „Gelegenheit gehabt […], verschiedene große Cirken kennen zu lernen“11 – dazu zählte neben dem französischen Zirkus von Louis Dejean und der Gesellschaft von Ernst Renz auch der Circus Salamonsky in der großen ehemaligen Markthalle am Schiffbauerdamm. Ernst Renz übernahm diese Spielstätte 1879, nachdem einerseits seine Pläne für einen Neubau in der Lindenstraße aufgrund von baupolizeilichen Bedenken gescheitert waren und andererseits Circus Salomonsky die Markthalle verlassen hatte, um nach Moskau überzusiedeln.12
Die ab 1850 bestehenden steinernen Gebäude hatten Kapazitäten für 3000 bis 4500 Zuschauer:innen und konnten damit drei- bis viermal so viel Publikum fassen wie die königlichen und bürgerlichen Schauspiel- und Opernhäuser.13 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Zirkusgesellschaften mit ihren prunkvollen Gebäuden mitten im Stadtzentrum also einen wortwörtlich zentralen Platz in der Berliner Theaterlandschaft erlangt.14 Die Zirkusunternehmen mit Hauptsitz in Berlin nutzten ihre Gebäude üblicherweise zwischen Herbst und Frühjahr als Winterquartiere, gingen danach auf Gastspielreisen und bespielten unter anderem ihre weiteren Spielstätten, etwa in Breslau (heute Wrocław in Polen), Hamburg oder Wien.15 Während ihrer Abwesenheit vermieteten sie die Berliner Häuser an andere Zirkusse oder Veranstalter:innen. Beim Blick in die von Alwil Raeder herausgegebene Publikation zum 50-jährigen Jubiläum von Circus Renz im Jahr 1896 fällt auf, dass Ernst Renz sein Unternehmen nicht nur beständig vergrößerte, sondern dass er durch den Besitz eigener Spielstätten auch einen umfangreichen Repertoirebetrieb etablieren konnte. Ab 1879 hatte Renz bei seinen Aufenthalten in der ehemaligen Markthalle ein täglich wechselndes Angebot, das heißt verschiedene Nummernprogramme und mehrere Zirkuspantomimen im Repertoire.16 Und Circus Busch wurde 1922 attestiert, über 600 Personen zu beschäftigen.17 Der Betrieb der Spielstätten und Gastspielreisen sowie die Inszenierung von Zirkuspantomimen erwies sich stets als äußerst kostspielig. Erfolgreiche Zirkusgesellschaften waren daher kapitalintensive, effizient organisierte Unternehmungen.18 Dies wird auch in einer Lobesrede von Signor Domino (bürgerlich: Emil Cohnfeld) über Circus Renz deutlich:
Drei Dinge insbesondere waren es, welche den Circus Renz jederzeit auszeichneten, ihn zu einem Muster-Institut werden […] ließen: seine vorzügliche, überall bis in’s Kleinste sorgsam gegliederte innere Organisation – das unverbrüchlich und auf’s Strengste durchgeführte Prinzip der tadellosesten technischen Exaktheit seiner Leistungen – und die jederzeit und überall aufrecht erhaltene strenge Disziplin innerhalb der Gesellschaft.19
Nicht nur die finanziellen Möglichkeiten der großen Zirkusunternehmen und die Platzkapazitäten ihrer Spielstätten verdeutlichen, dass es den Zirkussen in Berlin um 1900 gelang, sehr viele Zuschauer:innen zu erreichen. Auch Zeitungsberichte und Polizeirapporte geben Aufschluss über die enorme Resonanz der Zirkusprogramme beim Publikum. Mithilfe von archivierten Presseanzeigen, Programmzetteln und Zirkusplakaten lassen sich zudem Rückschlüsse auf die entsprechenden Werbestrategien sowie die visuelle Präsenz des Zirkus im städtischen Raum ziehen. In diesem Kapitel wird daher auch die Öffentlichkeitswirksamkeit der Zirkusse in Berlin um 1900 genauer in den Blick genommen. Zuvor soll es jedoch ausführlich um ihre Aufführungspraxis gehen. Diese wurde von der (theater)wissenschaftlichen Forschung bislang stark vernachlässigt und kann daher nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Für die Antwort auf die für diese Arbeit zentrale Frage nach dem Konkurrenzverhältnis von Zirkus und ‚Theater‘ in Berlin um 1900 ist eine genauere Kenntnis der damaligen Zirkusproduktionen wie auch ihrer Spielstätten jedoch unerlässlich.
1.2 Die drei zentralen Zirkusspielstätten zwischen 1869 und 1918
Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts waren drei Zirkusspielstätten von besonderer Bedeutung in der aufstrebenden Kulturstadt Berlin: der auch Wellblechzirkus genannte Circus Krembser am Kapelle-Ufer, der Markthallenzirkus am Schiffbauerdamm sowie Circus Busch beim Bahnhof Börse beziehungsweise am Hackeschen Markt (s. Abb. 1, v.l.n.r.).
Ausschnitt aus dem Monumentalplan von Berlin (1902). © Staatsbibliothek zu Berlin.
Heute erinnert nur noch der Name der kurzen Straße „Am Zirkus“ zwischen Friedrichstraße und Berliner Ensemble an die pompösen Zirkusgebäude. In der relevanten theaterwissenschaftlichen Literatur, das heißt in Katalogen und Studien zu den Berliner Theaterspielstätten, tauchen die Gebäude bislang nicht auf.20 Sie werden lediglich in wenigen heimatkundlichen und zirkushistoriografischen Publikationen außerhalb der akademischen Forschung besprochen – obwohl die in ihnen präsentierten Produktionen für das damalige Bühnengeschehen, aber auch für das kulturelle Leben Berlins durchaus von Bedeutung waren. Aufgrund der Lücken im kollektiven Kulturgedächtnis sowie in der Forschung werden jene Zirkusspielstätten, die im Forschungszeitraum von Bedeutung sind, im Rahmen dieses Kapitels ausführlicher vorgestellt.
Alle drei Zirkusgebäude besaßen vergleichsweise hohe Platzkapazitäten und wurden in Zusammenarbeit mit Architekt:innen, Ingenieur:innen und aufstrebenden Firmen der jungen Reichshauptstadt erbaut und ausgestattet. Dies belegen die Namen großer Firmen wie AEG (Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft), Halske, Siemens oder Schuckert sowie die Erwähnung neuer Bautechniken wie dem Eisenbetonbau (Moniertechnik) in den entsprechenden baupolizeilichen Akten. Die drei Spielstätten waren sich in den Grundzügen ihrer Architektur ähnlich. Sie besaßen alle einen Innenraum mit um die Manege aufsteigenden Sitzreihen. Auch dienten alle drei Spielstätten als Experimentierfelder und Schauplätze für die neusten technischen Errungenschaften der damaligen Zeit. Nachfolgend soll es zunächst um ihre architektonische und bühnentechnische Ausstattung gehen, da diese für das Verständnis der zirzensischen Aufführungspraxis um 1900 unabdingbar ist.
1.2.1 Der Markthallenzirkus 1873–1918
Die Tour ist kurz, in wenigen Minuten zurückgelegt. Hier sind wir schon am Cirkus Renz in der Karlstraße, dem imposanten Eisengebäude mit seinem gewaltigen hochgeschwungenen Portal, den beiden hohen Freitreppen zu den Seiten, die Manege ein Stock hoch über der Erde, darunter der weite, einen ganzen Straßendurchgang bildende Wagentunnel, der den Gepäckwagen-Train des Instituts birgt; der Bogen des stolzen, prächtigen Portals mit bunten Glasmalereien geschmückt, zu denen kühn die schlanken, säulenartigen gußeisernen Träger emporragen. Man hört bei dem Anblick dieser circensischen Propyläen in Gedanken die Trompeten schmettern, die Rosse stampfen, das verwegene Hussa! der Reiter und Reiterinnen; man sieht es schimmern von Seide, Sammet, Silber, Gold und elektrischem Licht…21
Der frühe Zirkushistoriograf Signor Domino lädt in seinem Werk Der Cirkus und die Cirkuswelt aus dem Jahr 1888 auf einen Rundgang durch die Berliner Zirkusspielstätten ein.22 Seine Ausführungen zum Markthallenzirkus lassen die Pracht und die Ausstrahlung dieses Gebäudes – im Vergleich zu den wenigen noch erhaltenen Schwarz-Weiß-Fotografien – auch heute noch erahnen. Der Markthallenzirkus basierte auf der Architektur der ersten Berliner Markthalle, die zwischen 1865 und 1867 nach den Plänen Friedrich Hitzigs von der Berliner Immobilien-Gesellschaft zwischen Schiffbauerdamm und Karlstraße an der Spree erbaut worden war. Die Konstruktion bestand zu einem großen Teil aus Eisen und Glas sowie aus Mauerwerk im unteren Bereich. Durch die Mitte des Gebäudes führte ein breiter Gang, der die Karlstraße mit dem Schiffbauerdamm verband. Die Marktstände waren in den Seitenschiffen untergebracht und lagen höher als die Durchgangsstraße.23 Zu einer Zirkusspielstätte wurde die Markthalle, nachdem deutlich geworden war, dass sie als Einkaufsort von der Bevölkerung nicht angenommen wurde, was zu ihrer Schließung nach weniger als einem Jahr geführt hatte. Im Rahmen der Umnutzung wurde auf Ebene der Seitenschiffe ein Boden eingezogen, sodass die vormalige Durchgangsstraße nun als Tunnel durch das Untergeschoss verlief. Im Zentrum des Raumes wurde eine Arena mit dem üblichen Durchmesser von 13 Metern eingerichtet, im Untergeschoss entstanden Stallungen, eine Unterbühne sowie eine auch als ‚Zirkustunnel‘ bekannte Verpflegungsstätte. Ab 1873 wurde die Spielstätte von Circus Salamonsky und ab 1879 von Circus Renz gepachtet, bis Ernst Renz das Gebäude im Jahr 1886 der Berliner Immobilien-Gesellschaft abkaufen konnte und in der ehemaligen Markthalle sein Berliner Hauptquartier einrichtete.24
Bereits vor dem Kauf hatte Renz das Gebäude im Jahr 1879 außen wie auch innen renovieren lassen, was die Berliner Börsen-Zeitung in einem Bericht lobend hervorhob:
Die mit einem gewissen Raffinement der Anatomie des Körpers angebrachten Veränderungen, die mit den Sitzplätzen vorgenommen worden waren, sowie das Arrangement in der decorativen Ausstattung der Räume fanden allgemeinen Beifall. Die äußere Physiognomie des Hauses ist unbestreitbar eine bedeutend elegantere geworden, als sie früher war.25
Nach der definitiven Übernahme des Gebäudes im Jahr 1886 erfolgte ein umfassender Umbau, bei dem oberhalb der Manege eine Kuppel eingezogen wurde (s. Abb. 2). Durch das Einsetzen von Eisenträgern konnten außerdem Stützen aus dem Mittelrund entfernt werden, um die Sicht zu verbessern. Eine Besprechung des Umbaus in der Deutschen Bauzeitung schließt mit den Worten:
Kuppelbau des Markthallenzirkus unter Circus Renz (ca. 1890). Foto: Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Der mächtige Raum des neuen Zirkus fasst über 4000 Zuschauer. Durch den in lichter Tönung gehaltenen Anstrich, der überall sichtbar gebliebenen Eisen-Bautheile und durch passende Wahl der zum Ueberziehen der Logen-Brüstungen und Sitze benutzten Stoffe ist dem Raume zu einer recht ansprechenden Erscheinung verholfen. Als Hauptstück der Ausstattung ist die im Barockstil erbaute prunkvolle Königsloge zu erwähnen.26
Diese Beschreibung vermittelt einen Eindruck, wie der Innenraum der Spielstätte zwischen 1889 und 1897 auf die Zuschauer:innen gewirkt haben könnte (s. auch Abb. 3). In den 1890er Jahren kam es zu weiteren Modernisierungs- und Renovierungsarbeiten wie dem Einbau einer bühnentechnischen Vorrichtung zur Bespielung der Manege mit Wasser im Jahr 1891 oder der Einrichtung eines zusätzlichen Festsaals im Jahr 1896. Franz Renz, der Sohn des Gründers, gelang es nach dem Tod seines Vaters 1892 nicht mehr, das Unternehmen rentabel weiterzuführen, sodass er es 1897 schließen musste. Daraufhin wurde die Zirkusspielstätte für zwei Jahre als Neues Olympia-Riesentheater betrieben und ab 1899 von Circus Schumann gepachtet.27 Im Jahr 1904 konnte der Zirkusdirektor Albert Schumann das Gebäude den Erben des Renzschen Zirkusunternehmens abkaufen.28
Innenraum des Markthallenzirkus (ca. 1890). Foto: Archiv Friedrichstadt-Palast.
Schumann veranlasste weitere größere Umbauten. Ein Sitzplan von 1904 weist bereits die Existenz einer Tiefenbühne gegenüber dem Haupteingang respektive dem Foyer in der Karlsstraße auf. Zuvor hatten sich an dieser Stelle Tribünen befunden.29 Unter Schumann waren in der Spielstätte 4988 Plätze zugelassen.30 Im August 1909 fand die Theaterpolizei laut einem Revisionsbericht in der Spielstätte einen größeren Umbau der Bühne vor, über den sie vorab nicht unterrichtet worden war.31 Über die „großartigen Veränderungen“ des Gebäudes im Rahmen seines Umbaus im Jahr 1909 berichtete die Berliner Börsen-Zeitung nach einer Pressekonferenz vor der Wiedereröffnung im September Folgendes:
Der ganze Innenraum strahlt in neuen hellen Farben und gewährt in seiner wundervollen Beleuchtung allein schon ein fesselndes Bild. Der Mittelpunkt aller Umwandlungen aber ist die Bühne, die mit einem wahren Raffinement technischer Neuerungen ausgestattet ist […]. [D]ie eigentliche Bühne ist um das Doppelte vergrößert worden, während sechs andere verstellbare Podien den Platz zwischen der Manege und dem Bühnenraum ausfüllen. Die Bühnenflächen haben eine Länge von 40 und eine Breite von 20 m. […] Die Bühne ist sowohl in ihrer Höhe verstellbar als auch drehbar, und rotiert mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes. Sämtliche Podien können auf elektrischem Wege bis auf den Boden herabgelassen werden, sodaß sie mit der Manege eine Ebene in der Größe von mehr als 800 qm bilden. Der Antrieb geschieht durch Elektromotoren. Die Gesamtkosten dieses Umbaues belaufen sich auf über ¼ Million Mark.32
Laut einem Bericht in der Fachzeitschrift Das Programm kamen anlässlich der Premiere der Pantomime Drei Rivalen oder das mysteriöse Schloss in der Normandie die Drehbühne, das verstellbare Bühnenpodium sowie die Hubpodien am 28. Oktober 1909 erstmalig zum Einsatz.33 Einem Programmheft dieser Pantomime vom Januar 1910 zufolge waren die Installationen von zwei Berliner Eisenbau- und Maschinenfirmen konstruiert und eingebaut worden.34 Sowohl die Drehbühne als auch die Hubpodien sind in einem Katalog der Firma E. de la Sauce & Kloss abgebildet (s. Abb. 4 u. 5).35
Drehbühne und Hubpodien im Markthallenzirkus (ca. 1909). Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin.
Diese neuen bühnentechnologischen Installationen schienen Aufmerksamkeit zu erregen. So berichtete Das Programm etwas später über einen Probenbesuch „des Gouverneurs von Berlin, General von Kessel, […] in Begleitung des Grafen von Westphalen vom Kaiserlichen Marstall und mehreren hohen Militärs“ im Circus Schumann.36 Albert Schumann zeigte den Besuchern die Drehbühne. Als besonders interessant wurde in dem Bericht „der Hebemechanismus des ca. 20 Meter langen Bühnenpodiums“ hervorgehoben, „dessen Hebewerk […] mit 14 elektrischen Motoren und 72 PS ausgerüstet [ist] und […] von einer Stelle aus von einer Person dirigiert werden [kann].“37
Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte die Aktiengesellschaft Max Reinhardts das Gebäude Albert Schumann ab und benannte es in das Große Schauspielhaus um. Die Breite der Schumannschen Tiefenbühne wurde dabei offenbar beibehalten.38 Nach einer Episode als Theater des Volkes während der NS-Zeit wurde die Spielstätte nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Namen Friedrichstadt-Palast weitergeführt und 1985 schließlich abgerissen. Zu dieser Entscheidung kam es nicht nur wegen der verschiedenen, teilweise schlecht dokumentierten Umbauten,39 sondern auch aufgrund des mangelhaften Gebäudefundaments: Das Gebäude war auf rund 850 Eichenpfählen in morastigem Untergrund unweit der Mündung der Panke in die Spree errichtet worden. Bereits über den Umbau unter Renz im Jahr 1889 wurde in diesem Zusammenhang berichtet, der schlechte Untergrund gebe Anlass „zu ausgedehnter Verwendung eiserner Träger schwerster Art“ wie auch zur „Durchführung des Umbaues hauptsächlich mittels Eisenkonstruktionen und Zementarbeiten nach Monierscher Art“.40 Spätestens mit der Trockenlegung der Panke infolge des Mauerbaus (der Friedrichstadt-Palast lag auf dem Territorium der DDR) in den 1960er Jahren begann die Stabilität des Bauwerks aufgrund des Feuchtigkeitsverlusts der Eichenpfähle im Untergrund nachzulassen. Dies gab 1980 den Anlass zur Schließung und fünf Jahre später zum Abriss der Spielstätte.41
Exkurs: Max Reinhardt
Der erste Friedrichstadt-Palast war von 1873 bis 1918, also während fast eines halben Jahrhunderts, eine Zirkusspielstätte gewesen. Im Vergleich zur rund 15-jährigen Geschichte des Gebäudes als Großes Schauspielhaus sind die Zirkusära sowie die entsprechende Architektur weder sonderlich bekannt noch gut erforscht. Nach der Wiedereröffnung der wichtigen Berliner Zirkusspielstätte als Großes Schauspielhaus am 28. November 1919 war in einem Beitrag des Baurats Karl Michaelis im Zentralblatt der Deutschen Bauverwaltung über den Umbau des Zirkus zum Schauspielhaus Folgendes zu lesen: „Reinhardt zog es schon vor 8 Jahren [für eine Ödipus-Inszenierung, Anm. M. H.] in das Haus, das ihm verworren in Aussehen und Gefüge dennoch Möglichkeiten zur Verwirklichung seiner Pläne bot, wie er sie in Theatergebäuden nicht fand.“42 Michaelis brachte im gleichen Artikel sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, warum ein Theatermann wie Reinhardt gerade an solch einem „verworrenen“ Zirkusgebäude Gefallen fand. Dem Baurat zufolge sah Max Reinhardt in der Spielstätte jedoch verschiedene Vorteile und Chancen: etwa das Spiel im Rund und eine damit verbundene, spezifische Körperlichkeit der Akteur:innen sowie eine (erhoffte) unmittelbarere Kommunikation mit dem Publikum. Auch die Arbeit mit neuen Beleuchtungstechniken und die hohen Platzkapazitäten, die niedrige Eintrittspreise ermöglichen sollten, befand der Theaterreformer dem Baurat zufolge als attraktiv.
Michaelis schloss seine Ausführungen über die Möglichkeiten des Gebäudes für Reinhardt mit den Worten: „Die Akustik des Hauses war trotz seiner Eisenkonstruktion auffallend gut, die großen Stoffschleier, die die Wellblechkuppel verdeckten, mochten akustisch günstig wirken.“43 Diese Aussage ist nicht nur ein Zugeständnis an das „verworrene“ Gebäude, sondern auch für das heutige Verständnis der zirzensischen Aufführungspraxis interessant. Denn die Akustik des Hauses dürfte es den Zuschauer:innen trotz seiner Größe ermöglicht haben, die sprechenden Akteur:innen der Zirkuspantomimen zu hören und zu verstehen. Mehr zur (umstrittenen) Sprache auf den Zirkusbühnen dann an späterer Stelle im Buch (s. Kapitel 1.3.2 sowie 2.4.3).
Während des Umbaus zum Großen Schauspielhaus stürzte im Mai 1918 das Bühnenhaus ein. Foto: Archiv Friedrichstadt-Palast.
In der Wortmeldung des Baurats kommt wie angedeutet zugleich eine für die damalige Zeit typische, abwertende Haltung gegenüber dem Zirkus zum Ausdruck, wenn Michaelis etwa schreibt:
Diese günstige Lage und die Größe sowie das Fassungsvermögen des Baues haben in erster Reihe die Wahl gerade auf dieses Gebäude gelenkt, dessen äußerer Aufbau, Ausstattung und bisherige Benutzung sonst wohl von dem Versuch, es zu einer Stätte ernster Kunst umzubilden, hätten abschrecken mögen.44
Der Umbau des Gebäudes durch die Aktiengesellschaft Max Reinhardts entsprach also einer Transformation in eine Spielstätte der „ernsten Kunst“ oder, anders formuliert, einer Ankunft der Spielstätte in der Hochkultur – und damit offensichtlich einer großen Zäsur. Denn das Stichwort ‚Großes Schauspielhaus‘ ruft, zumindest in Fachkreisen, sofort Bilder der innenarchitektonischen Gestaltung des Hauses durch Hans Poelzig hervor. Dass aber in diesem Gebäude bereits viel früher mit neuartigen Beleuchtungstechnologien experimentiert wurde oder dass es darin eine versenk- und drehbare Manege sowie Hubpodien gab, die die Manege mit der Tiefenbühne verbanden, ist weitestgehend unbekannt.45 Wenig überraschend datiert auch der heutige Friedrichstadt-Palast, der seit 1984 in einem Gebäude in der Friedrichstraße unweit der einstigen Spielstätte untergebracht ist, seinen Ursprung auf das Jahr 1919, also auf die Nutzung des Gebäudes als Großes Schauspielhaus.46 Am Beispiel des Markthallenzirkus beziehungsweise des Großen Schauspielhauses treten somit bestimmte blinde Flecken der theaterhistorischen Forschung sowie ein anhaltendes Desinteresse der Disziplin an der Aufführungspraxis des Zirkus mit ihren spezifischen Spielstätten und bühnentechnischen Innovationen zutage.47
1.2.2 Circus Krembser 1886–1896
…aber schon sind wir ein paar hundert Schritte weiter, am Unterbaum: ein neues Bild für das Spiel unserer Phantasie. Dort rechts der anmuthig freundliche Cirkus Krembser, aus hellgestrichenem Eisen-Wellblech errichtet, leicht, luftig, zierlich wie ein Nippestisch-Stückchen und doch umfangreich – ein neues, junges, aufstrebendes Institut von tüchtigen Leistungen, in der Entwicklung begriffen… es ließen sich Parallelen zwischen ihm und Cirkus Renz ziehen.48
Im Jahr 1886 ließ der Zirkusdirektor August Krembser bei der Kronprinzenbrücke an der Ecke Unterbaum Straße/Friedrich-Carl-Ufer (heute Kapelle-Ufer) eine semi-mobile Zirkusspielstätte errichten, die vornehmlich aus Eisen bestand. Das Gebäude war bewusst so konstruiert, dass es sich wieder abbauen ließ, und wurde in Berlin tatsächlich auch einmal ab- und etwas weiter flussaufwärts wieder aufgebaut.49 Architekt des Bauwerks war der Ingenieur und spätere Regierungsbaumeister Mathias Koenen, die Eisenteile wurden von der Berliner Maschinenfabrik Cyclop hergestellt.50 Der innere Durchmesser des Rundbaus betrug 40 Meter, die Manege besaß einen Durchmesser von 13 Metern und das Dach des Hauptbaus bestand aus Zeltplanen.51 Aufgrund der besonderen äußeren Erscheinung – eine mit Wellblech verkleidete Eisenkonstruktion – wurde die Spielstätte auch ‚Wellblechzirkus‘ oder ‚Sardinenbüchse‘ genannt. Sie bot Platz für 3500 bis 4000 Personen.52 500 Gasflammen, darunter zwei 60-flammige Kronleuchter, sowie zwei elektrische Bogenlampen dienten zur Beleuchtung und ein eigens für das Gebäude entwickeltes Wasserdruck-Heizungssystem mit entlang der Sitzreihen verlaufenden Rohren sorgte für Wärme.53 Laut einer technischen Zeichnung der Spielstätte aus dem Jahr 1890 kam „[d]as elektrische Licht nur bei Aufführung von Pantomimen“ zum Einsatz.54 Bespielt wurde das Gebäude von verschiedenen Zirkusgesellschaften, darunter Gotthold Schumann, Paul Busch und Corty-Althoff. Im Jahr 1889 erwarb Gotthold Schumann die Spielstätte und ließ sie so umbauen und ausstatten, dass er ab 1890 als erster in Berlin für seine Vorstellungen die Manege mit Wasser fluten konnte. Als sich 1895 die Errichtung eines weiteren Zirkusgebäudes in Berlin abzeichnete, verkaufte Gotthold Schumann das Gebäude wieder. Bereits ein Jahr später wurde die Konstruktion nach nur zehn Jahren Nutzung abgebaut.55
Wie erwähnt ließ sich die Spielstätte wie ein semi-permanenter Holzzirkus auf- und wieder abbauen und wurde während der ersten drei Jahre nach seiner Fertigstellung an verschiedene Gesellschaften vermietet oder verpachtet. Von den Berliner Zirkusspielstätten der 1850er Jahre unterschied sich Circus Krembser vor allem durch seine für damalige Verhältnisse neuartige Konstruktionstechnik mit Eisen, einem unbrennbaren Baumaterial.56 Eine zukunftsweisende Entscheidung, wie sich herausstellen sollte: Reine Holzkonstruktionen waren in Berlin nämlich infolge der Einführung einer überarbeiteten Bauverordnung im Jahr 1889 aufgrund der größeren Brandgefahr nicht mehr zulässig.57 Diese neuen polizeilichen Vorgaben bezüglich der Theater- und Zirkusspielstätten und ihrer Feuersicherheit spiegeln sich auch in der nächsten Berliner Zirkusspielstätte wider, dem Gebäude von Zirkus Busch, das 1895 errichtet wurde.
1.2.3 Circus Busch 1895–1937
Und durch noch etwas hat sich das Straßenbild verändert. […] Da wo die National-Galerie, die Börse und andere Kunstinstitute liegen […]. Dort ist ein neuer Circus erbaut worden, von dem ich (oh welche Lust, Chronist zu sein) auch melden muß. Er heißt Circus Busch, und der sattsam freundliche Leser möge mir glauben, daß ich noch nicht darinnen war. […] Ein grüner Zaun, ein grüner Rasenplatz und eine kleine graue Mauer trennten die abendlichen Zecher von der geräuschvollen Burgstraße. Jetzt ist alles wegrasiert. Verschwunden. Aber ein rundes Ungetüm in bunten Farben erhebt sich dort; ein massives bemaltes Ziegelgebäude, so exponiert und hart am Wasser vorgelagert, daß man fürchtet, der Circus mit allen Rossen, Ballettmädchen und Athleten könnte in die Spree fallen.58
Wie aus diesen Ausführungen des Schriftstellers und Theaterkritikers Alfred Kerr aus dem 1895 hervorgeht, wurde kurz vor der Jahrhundertwende auf dem Gelände des heutigen James-Simon-Parks an der Spree direkt gegenüber der Alten Nationalgalerie ein weiteres Zirkusgebäude errichtet (s. Abb. 7 u. 8).
Vorne links die Friedrichsbrücke, im Hintergrund das Gebäude des Circus Busch direkt gegenüber der Alten Nationalgalerie (ca. 1900). Foto: Max Skladanowsky, Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Zirkusdirektor Paul Busch, der mit seiner Gesellschaft zuvor bereits im Circus Krembser gastiert hatte, konnte auf der von der Stadt gepachteten Freifläche einen Entwurf der Architekten Blumberg und Schreiber umsetzen lassen. An das runde Eisenfachwerk-Hauptgebäude waren weitere feste Bauten angegliedert, welche die Vorhalle und Stallungen beherbergten. Als besonders „[b]emerkenswerth“ an dem Bau galt damals auch „die in einem Zwischengeschoß angelegte Wandelhalle, die sich um den ganzen Zuschauerraum zieht“, wie einer Beschreibung des Gebäudes zu entnehmen ist.59 Die Spielstätte verfügte über 4300 Plätze und es ist davon auszugehen, dass die damals neusten Technologien sowohl hinsichtlich der Beleuchtung als auch der Bühnentechnik installiert waren.60 Um 1910 standen mehrfach bauliche Veränderungen des Gebäudes zur Debatte, die jedoch nicht durchgeführt wurden – möglicherweise aufgrund von Planungsunsicherheit bezüglich der Verlängerung des Pachtvertrags oder wegen Auseinandersetzungen mit den Behörden hinsichtlich einer Konzessionserweiterung.61
Im Jahr 1915 trat Paul Buschs Tochter Paula der Leitung des Zirkus bei, den sie nach dem Tod ihres Vaters 1927 allein weiterführte. Die Beendigung des Pachtvertrags für das Gelände an der Spree war auf 1939 datiert, doch die NS-Behörden drängten bereits ab 1934 auf eine Auflösung des Vertrags sowie auf den Abriss der Spielstätte. Dies ließ sich auch durch Paula Buschs Bemühungen sowie ihren Beitritt zur NSDAP nicht verhindern. Der Vertrag wurde 1935 vorzeitig beendet. Noch vor den Olympischen Sommerspielen 1936 sollte das Gebäude abgerissen werden. Der Abbruch erfolgte jedoch erst im Juli 1937 kurz vor der 700-Jahr-Feier Berlins im August.62 Für die Zeit der Olympischen Spiele wurden kosmetische Eingriffe am Bau vorgenommen.63
Postkarte mit dem Berliner Gebäude von Circus Busch (1920). Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Zeitgleich zum Abriss versuchte Paula Busch, einen Neubau in Berlin in die Wege zu leiten. Sie konnte Albert Speer, den Generalbauinspektor des Deutschen Reichs, von ihrem Vorhaben überzeugen und auch die Berliner Behörden begrüßten einen Neubau in der Nähe des Lehrter Bahnhofs. 1939 wurden die Architekten Roth und Lipp in Berlin mit der Anfertigung der Pläne beauftragt. Die Beseitigung des Busch-Gebäudes am Bahnhof Börse lässt sich also nicht auf eine generelle Abneigung des NS-Regimes gegenüber dem Zirkus zurückführen, sondern stand laut überlieferten Gesprächsprotokollen und Briefen im Zusammenhang mit Hitlers Vorstellungen von Architektur und Stadtplanung (Verbreiterung von Verkehrsadern, Neubauten usw.).64 Das geplante neue Zirkusgebäude – im faschistischen Architekturstil – wurde jedoch nicht mehr verwirklicht.65
***
Für diese Untersuchung sind insbesondere die drei vorgestellten großen Spielstätten beziehungsweise die sie bespielenden Zirkusgesellschaften von Bedeutung. Aufgrund ihres Erfolgs, ihrer Platzkapazitäten sowie ihrer geografischen Nähe zu den großen Literaturtheater-Spielstätten wurden vor allem sie von deren Leiter:innen als bedrohliche Konkurrenz empfunden. Die potenten Berliner Zirkusunternehmungen standen ihrerseits in einem durch Rivalität, aber auch durch regen Austausch gekennzeichneten Verhältnis – nicht zuletzt in Bezug auf bühnentechnische Experimente und Innovationen, auf die noch genauer eingegangen wird. Zunächst jedoch ein kleiner Exkurs in den Berliner Süden.
Exkurs: Im Berliner Süden, wo die Artist:innen leben
Die drei Zirkusspielstätten im Stadtzentrum strahlten weit über die Reichshauptstadt hinaus. Doch abseits des Zentrums, in den südöstlich gelegenen Vor- beziehungsweise Nachbarstädten Tempelhof und Rixdorf (ab 1912 Neukölln), lag bis nach dem Zweiten Weltkrieg das eigentliche Mekka der Zirkuskünstler:innen. Der Katalog zu einer Ausstellung über Neuköllner Artist:innen und ihre Vereine hielt 1986 fest, dass außer dem Spruch „[I]n Neukölln war die Artistenwelt von Berlin versammelt“ wenig Wissen über die Situation um 1900 überliefert sei.66 Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Autor:innen des Katalogs gingen davon aus, dass um die Jahrhundertwende 2000 bis 3000 Artist:innen in der Gegend lebten.67 In diesen Arbeiter:innen-Vierteln waren die Mieten günstig und es bestanden zahlreiche Auftritts- sowie Probemöglichkeiten. Im Jahr 1888 wurde in Rixdorf der Artist:innenverein Einigkeit gegründet, 1898 folgten die Vereine Union sowie Victoria (1918 zusammengeschlossen zu Union Victoria). Darüber hinaus soll es fünf weitere lokale Vereine gegeben haben. Die mannigfaltigen Vereinsaktivitäten sind auch als Beleg für die hohe Präsenz und lokale Vernetzung von Zirkusschaffenden im südöstlichen Berlin zu sehen.68
Ab 1850, insbesondere nach dem Bau einer vom Halleschen Tor ausgehenden Straße, etablierten sich in und um die Neuköllner Hasenheide diverse Freizeitetablissements und Ausflugsziele wie Cafés, Gartenlokale und Festsäle – vielfach auch in Zusammenarbeit mit lokalen Bierbrauereien. Besonders bekannt wurde die Neue Welt am Eingang der Hasenheide, die auch mit Veranstaltungen im Gartenlokal und auf der Sommerbühne zahlreiche Besucher:innen anzog.69 Die Neue Welt ebenso wie benachbarte Festsäle boten den Artist:innen mit ihren Bühnen Auftrittsmöglichkeiten und wurden zum Teil auch als Probe- und Trainingsräume genutzt. In den 1910er Jahren gelang es den ansässigen Artist:innenvereinen sogar, eigene Proberäume, sogenannte Probierhallen, vor Ort errichten zu lassen.70 Und auch auf dem aus der Turnbewegung des frühen 19. Jahrhunderts hervorgegangenen Jahnschen Turnplatz in der Hasenheide trainierten die Artist:innen.71
Das Publikum in den zahlreichen Festsälen und Lokalen stammte in der Regel aus dem (örtlichen) Arbeiter:innen-Milieu, das sich den Eintritt in die teuren Varietés im Stadtzentrum nicht leisten konnte. Die Verbindungen der ortsansässigen Zirkus- und Varietékünstler:innen zur Arbeiter:innenbewegung waren eng. Ihre Vereine bestanden nicht nur aus professionellen Artist:innen, sondern verstanden sich auch als Arbeiter:innen-Sportvereine. So wurden in den Festsälen auch vielfach politische Versammlungen abgehalten, beispielsweise im Oktober 1907 anlässlich der Verurteilung Karl Liebknechts wegen Hochverrats.72
1.2.4 Zur Bühnentechnik der Zirkusspielstätten zwischen 1869 und 1918
Die historische Zirkuspraxis zeichnete sich seit jeher durch das Anpreisen und Darbieten von Neuem sowie Sensationellem aus – ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörten dazu auch die neusten (elektro)technischen Erfindungen und Entwicklungen. Bei der Beschäftigung mit den überlieferten Anschlag- und Programmzetteln der Berliner Zirkusgesellschaften aus der Zeit um 1900 fallen Ankündigungen technologischer Sensationen auf, häufig inklusive Erwähnung der entsprechenden Elektro-Hersteller:innen. Um 1900 experimentierten die großen Berliner Zirkusgesellschaften unter anderem mit neuen (elektrischen) Beleuchtungsmöglichkeiten, mit Bild- und Filmprojektionen sowie mit diversen mechanisierten Bühnenelementen wie dreh- und versenkbaren Manegenböden oder Hubpodien. Diese Mittel kamen insbesondere in üppigen Zirkusinszenierungen mit übergreifenden, narrativen Dramaturgien, sogenannten Zirkuspantomimen, zum Einsatz.
Zirkuspantomimen bildeten meistens den zweiten Teil eines Programms, wie beispielsweise einem Programmzettel von Circus Schumann von Oktober 1900 zu entnehmen ist: Auf elf Nummern, bestehend aus Reitdarbietungen, Akrobatik, Auftritten von Clowns, Darbietungen mit dressierten Hunden und Hirschen sowie der „Liliputanischen Hofkünstler-Truppe Les Colibris“, folgte nach zehnminütiger Pause die Pantomime China in drei Abteilungen inklusive einer „Vorführung der neuesten Ereignisse in China durch den Kinematographen“ in der zweiten Abteilung.73 Besagter Programmzettel und viele weitere historische Quellen sowie Recherchen englischsprachiger Theaterhistoriker:innen belegen, dass die Zirkusunternehmen mit beeindruckender Geschwindigkeit die jeweils neusten technischen Erfindungen in ihre Bühnenarbeiten beziehungsweise in ihre Gebäude integrierten.74 Dies erforderte zum einen enorme Geldsummen, die nur durch große Publikumserfolge eingespielt werden konnten.75 Zum anderen setzte die stetige Anpassung der Programme auch viel Flexibilität voraus. Diese Fähigkeit, das jeweils Neue zu integrieren, prägte und veränderte die Aufführungspraxis der Zirkusunternehmen gleichermaßen. Für die Nutzung und Weiterentwicklung der neusten Bühnentechnologien standen die Berliner Zirkusgesellschaften im engen Austausch mit Erfinder:innen, Ingenieur:innen und Berliner Firmen, die um 1900 ein umfangreiches Know-how für die Ausstattung der unterschiedlichen Bühnen entwickelten.
Kenntnisse der bühnentechnischen Bedingungen der besprochenen Spielstätten sind wichtig für ein besseres Verständnis der Aufführungspraxis der Zirkusse sowie ihres Publikumserfolgs und der damit verbundenen Bedrohung für andere Theaterspielstätten. Auf den nächsten Seiten folgen daher zunächst einige Einblicke in die verwendeten Beleuchtungs- und Projektionstechnologien in den Berliner Zirkusspielstätten. Der zweite Abschnitt ist verschiedenen Bühnenapparaten gewidmet, bevor abschließend die hydrologischen Bühnentechnologien genauer in den Blick genommen werden, mit deren Hilfe die Zirkusse um 1900 große Wasserspektakel inszenierten.
Mobile Stromkraftwerke, kostspielige Lichteffekte und bewegte Bilder
In dem bereits erwähnten Bericht des Baurats Karl Michaelis im Zentralblatt der Deutschen Bauverwaltung über den Umbau des Markthallenzirkus im Jahr 1919 findet sich auch eine detaillierte Beschreibung des neuen Beleuchtungsapparats der neuerdings Großes Schauspielhaus genannten Spielstätte. Das Gebäude besaß einen vierteiligen, höhenverstellbaren Beleuchtungskörper, etwa 150 Lampen zur Erzeugung von Morgen- und Abenddämmerung sowie Sonnenauf- und -untergang, einen mehrstöckigen Wolkenapparat, einen Sternenhimmel in der Kuppel sowie diverse Scheinwerferinstallationen zur Beleuchtung von Arena und Tiefenbühne.76 Die komplexe Installation war laut Michaelis für Max Reinhardts Inszenierungen notwendig, weil „[e]ine große Rolle bei den Szenenbildern […] der elektrischen Beleuchtung zugewiesen [ist], die von Schwabe u. Ko. für die neuartigen Aufgaben entworfen und eingerichtet“ wurde.77
Dass bereits der Vorbesitzer Albert Schumann über einen aufwendigen, von der Firma Schwabe konzipierten Beleuchtungsapparat verfügte, war dem Baurat entweder nicht bekannt oder er verschwieg es galant.78 Zehn Jahre vor dieser Besprechung in der Bauzeitschrift berichtete jedenfalls die Berliner Börsen-Zeitung über den von Schumann im Jahr 1909 veranlassten Umbau der Spielstätte. Der Beitrag widmete sich auch kurz der „wunderbaren“ Beleuchtung, die den Innenraum des Zirkus in „neuen hellen Farben“ erstrahlen ließ.79 Das „neue Beleuchtungssystem mit Spezialröhrenlampen“ stammte laut dem Bericht von den „Hoflieferanten Schwabe u. Comp.“, die mit einem entsprechenden System bereits den „Weißen Saal des Königlichen Schlosses“ ausgestattet hatten.80 Zudem kamen in der Spielstätte schon lange vor Schumanns Zeit neuartige Beleuchtungstechnologien zum Einsatz. Unter der Leitung von Albert Salamonsky etwa war der Markthallenzirkus am Abend des 8. Dezember 1878 laut der Berliner Börsen-Zeitung
in seinem Innern wie Aeußern auf das Brillanteste erleuchtet. Die beiden nach dem Schiffbauerdamm und nach der Karlstraße zu belegenen Fronten des Gebäudes strahlten in einem Feuermeer, das im ganzen Umkreise Tageshelle verbreitete. Das von einem hocheleganten Publicum dicht gefüllte Innere war während der ganzen Dauer der Vorstellung durch dreifaches elektrisches Licht erleuchtet.81
Der Zeitpunkt – im Jahr 1878 war eine industrielle Produktion der Edison-Glühlampe noch nicht möglich – sowie die Beschreibung des hellen Lichts lassen vermuten, dass Salamonsky für die Beleuchtung strombetriebene Kohlebogenlampen verwendete.82 Diese Scheinwerfer wurden auch zur Herstellung von Lichteffekten für die Zirkusinszenierungen genutzt, das belegt die bereits erwähnte Bauzeichnung von Circus Krembser aus dem Jahr 1890, in der zwei elektrische Kohlenbogenlampen für die Beleuchtung der Pantomimen vermerkt sind.83 Mithilfe von Blenden, Filtern und anderen Aufsätzen konnten mit den Kohlebogenlampen unterschiedliche Effekte erzeugt werden (s. Abb. 9). Als Beleuchtungskörper für szenische Inszenierungen wurden Kohlenbogenscheinwerfer ab Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem auf großen Opern- und Theaterbühnen verwendet. Doch diese Technologie war kostspielig und selbst ein großes Haus wie das Dresdner Hoftheater konnte längst nicht alle Inszenierungen mit entsprechenden Lichteffekten versehen.84 Dies sagt im Umkehrschluss natürlich einiges über die finanziellen und technischen Möglichkeiten großer Zirkusgesellschaften der damaligen Zeit aus.
Beleuchter Karl Hempel mit Kohlenbogenscheinwerfer bei Circus Renz. Fotografie im Kabinettformat (1881). Archiv Friedrichstadt-Palast.
Im gleichen Zeitraum wie Circus Salamonsky experimentierte auch der Zirkusdirektor Ernst Renz mit neuartigen Beleuchtungsmöglichkeiten. Im Mai des Jahres 1879 brachte er während eines Gastspiels in Leipzig die Zirkuspantomime Die Nibelungen zur Aufführung. In einer Rezension der Premiere im Leipziger Tageblatt und Anzeiger ist von Tänzerinnen in „weißseidenen“ Kleidern die Rede, die „von dem elektrischen Licht in der bekannten Weise fortwährend abwechselnd gluthfarbig übergossen werden“.85 In dem Bericht fanden auch die Walküren Erwähnung, die mit den „hellblitzenden Schildern [sic!] und ihren gold- und silberfarbig strahlenden Panzern eine prachtvolle Wirkung“ erzeugten, und den Ritterrüstungen wurde zugeschrieben, dass sie „das Auge förmlich blenden“.86 Vermutlich waren es die Reflexionen des elektrischen Lichts, welche die Zuschauer:innen blendeten und begeisterten, denn bis Privatgebäude flächendeckend mit elektrischem Licht erhellt wurden, sollte es noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts dauern.87
Im Falle der Zirkuspantomime Harlekin à la Edison oder: Alles elektrisch, die am 23. Oktober 1884 – also kurz nach Beginn der Massenproduktion der Edison-Glühlampe – bei Circus Renz im Berliner Markthallenzirkus Premiere feierte, war Elektrizität sogar zentraler Inhalt der Inszenierung. So stand neben dem Tanz einer „elektrischen Dame“ unter anderem auch ein „Schwertkampf mit elektrischen Waffen“ auf dem Programm.88 Einigen Quellen zufolge erstrahlten anlässlich besagter Pantomime 2000 verschiedenfarbige Glühbirnen in der Manege des Markthallenzirkus.89
Der Einsatz elektrischer Leuchtmittel bei Circus Salamonsky im Jahr 1878 sowie bei Circus Renz 1879 – also noch vor den Anfängen der zentralen Stromversorgung – lässt darauf schließen, dass die Zirkusgesellschaften früh eigene Generatoren und mobile Stromkraftwerke, etwa zum Betreiben von Kohlebogenlampen, besaßen.90 In Theaterhäusern wurden erst nach 1880 allmählich ständige elektrische Beleuchtungsanlagen installiert. Das erste Theaterhaus im deutschsprachigen Raum mit einer komplett elektrischen Beleuchtungsanlage wurde im Jahr 1882 in Brünn (heute Brno in Tschechien) eröffnet. Im Berliner Opernhaus Unter den Linden existierte zwar ab 1882 ebenfalls eine derartige Anlage, die allerdings erst 1887 fertiggestellt wurde.91 Ob in Zirkusspielstätten zum dem Zeitpunkt bereits feste elektrische Beleuchtungsanlagen existierten, ist nicht bekannt.
In den Programmheften wurden die technologischen Neuheiten häufig inklusive der entsprechenden Hersteller:innen angekündigt. Im Programmheft zur Pantomime Die drei Rivalen oder das mysteriöse Schloss in der Normandie, die Circus Schumann 1909/1910 im Repertoire hatte, ist etwa von den „elektrischen Lichteffekte[n]“ der „Firma Schwabe & Co. Hoflieferanten Seiner Majestät des Kaisers“ zu lesen.92 Das Unternehmen stattete für die Pantomime U20 bei Circus Busch im Jahr 1911 auch „ca. 15 plastische Meeresgrundversatzstücke, Korallen, Muscheln, Algen etc.“ mit vermutlich wassertauglichen Beleuchtungskörpern aus.93 Eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Apparaturen für Licht- und Wassereffekte sowie für Projektionstechniken im Theater, Zirkus und Varieté spielte auch die Firma Willy Hagedorn.94 Obwohl das Unternehmen in einer Vielzahl von historischen Fachzeitschriften und Zirkusprogrammen erwähnt wird, ist darüber kaum noch etwas bekannt.95
Kurze Zeit nach der Entwicklung der ersten Filmprojektoren wurden auch Bewegtbildprojektionen in Zirkusinszenierungen integriert. In einer Zensurakte zu Circus Schumann findet sich beispielsweise das Szenarium für die Inszenierung Babel, die im Dezember 1903 im Markthallenzirkus Premiere feierte. Darin ist zu lesen, dass der Untergang von Babylon im fünften Akt mit „Blitz und Donner“ beginnt, während sich der „Cirkus verfinstert“. Daraufhin sollte ein orgienhaftes Fest mit „Projektionsbildern“ „kinematographisch“ wiederholt und der Untergang von Babylon ebenfalls „kinematographisch“ dargestellt werden. Dafür war ein weißer Vorhang vor der Tiefenbühne des Markthallenzirkus als Projektionsfläche vorgesehen.96 Während der Proben für Babel im November 1903 reichte Albert Schumann ein Schreiben mit folgender Ergänzung bei der Polizeibehörde ein: „Die im Scenarium angegebenen Projektionsbilder fallen fort!“97 Die kinematografische Einlage in Babel wurde also nicht realisiert.
Die Idee, in einer Zirkusinszenierung mit Bewegtbildprojektionen zu arbeiten, war in Berlin 1903 indes nicht mehr neu. Wenn man einer Anekdote in der Autobiografie von Paula Busch, Tochter des Gründer:innenpaars von Circus Busch, Glauben schenkt, hatte ihre Mutter Constanze nämlich bereits 1895 versucht, eine Filmprojektion in die Zirkuspantomime Zscheus, das Waldmädchen (Premiere am 21. November 1895) zu integrieren.98 In ihren Memoiren schreibt Paula Busch, ihre Mutter habe sich dafür in Paris von den französischen Filmpionieren Louis und Auguste Lumière den im Februar 1895 patentierten Kinematographen vorführen lassen. Doch gelang es technisch offenbar noch nicht, mit diesem neu entwickelten Projektor auf eine den Dimensionen des Zirkusgebäudes angemessen große Fläche zu projizieren.99 Möglicherweise verfügte auch der Berliner Filmvorreiter Max Skladanowsky (der im Übrigen bei dem oben erwähnten Willy Hagedorn ausgebildet worden war) zum damaligen Zeitpunkt noch nicht über die entsprechende Projektionstechnik, oder aber Constanze Busch konnte ihn nicht engagieren beziehungsweise den neu entwickelten Projektor nicht einsetzen, da Skladanowsky im November 1895 im Berliner Varieté Wintergarten unter Vertrag stand.100 Ab wann genau und in welchen Inszenierungen es den Berliner Zirkusgesellschaften gelang, ihre Arbeiten durch Filmprojektionen zu erweitern, ist somit unklar. Was sich anhand eines Programmhefts von Circus Schumann aus dem Jahr 1900 jedoch sicher belegen lässt: Die im selben Jahr aufgeführte Pantomime China beinhaltete die „Vorführung des Kinematographen“.101
Auch über die Pantomime Sevilla bei Circus Busch im Jahr 1913 (s. Abb. 10) ist in den Zensurakten ein Schreiben von Circus Busch an das Polizeipräsidium überliefert, aus dem hervorgeht, dass mit einem „Kino-Apparat“ eine Stierkampf-Szene der Pantomime mit der Projektion eines spanischen Films unterstützt wurde. Über diesen Film ist noch überliefert, dass er Passagen beinhaltete, „welche für sehr empfindliche Gemüter nicht gerade besonders geeignet sind“.102 Circus Salamonsky in Moskau und Circus Ciniselli in Sankt Petersburg kündigten dem Zirkushistoriografen Jewgeni Kusnezow zufolge ab Mitte der 1890er Jahre ebenfalls Projektionen von stehenden und später bewegten Bildern als Nummern- oder Pausenprogramm an.103 Analog zu den licht- und projektionstechnischen Entwicklungen boten die Zirkusse dem Publikum um 1900 multimediale Inszenierungen. Zugleich wurde auch der Bühnenapparat der Zirkusgebäude durch den Einbau von dreh- und versenkbaren Manegeböden, Hubpodien und diversen weiteren beweglichen Bühnenkonstruktionen zunehmend mechanisiert.
Probe für Sevilla bei Circus Busch (1913). Foto: Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Hubpodien, bewegliche Manegenplatten und sehr viel Wasser
Circus Renz hatte im Dezember 1896 etwa die Inszenierung Lustige Blätter mit einem „Die Welt ist rund und muss sich drehen“ betitelten Schlussbild im Programm, das „mit gänzlich neuen originalen technischen Apparaten“ sowie einer „Original-Manège-Construktion des Circus Renz“ angekündigt wurde.104 Im Jahr 1910 bewarb Circus Albert Schumann, inzwischen Besitzer der ehemaligen Markthalle, die bereits erwähnte „romantisch-phantastische Feerie in fünf Akten“ mit dem Titel Die drei Rivalen oder das mysteriöse Schloss in der Normandie. Dabei wurde auch explizit auf die „vollständig neugebauten, versenkbaren Bühnenpodien“ und „[m]aschinell bewegte Podien mit Dreh-Plattform“ hingewiesen.105 Die Hubpodien waren Bestandteil des bereits besprochenen Umbaus im Markthallenzirkus, den Albert Schumann 1909 vorgenommen hatte. Die Tiefenbühnen in den Berliner Zirkusspielstätten von Circus Busch und im Markthallenzirkus unter Schumann dürften zudem mit einem Schnürboden ausgestattet gewesen sein. Hinweise darauf sind etwa in den Vorbereitungen für die Pantomime U20 bei Circus Busch im Jahr 1911 zu finden, in denen von Prospekten und Soffitten für die Szenen auf der Bühne die Rede ist.106 Genaue technische Zeichnungen der Bühnen ließen sich bislang nicht finden.
Ab den 1890er Jahren kündigen die Berliner Zirkusse auch sogenannte Wasserpantomimen in ihren Programmen an, die, wie der Name nahelegt, Wasser als Effekt nutzten oder sich sogar komplett im Wasser abspielten. Als Erster zeigte Circus Gotthold Schumann, seit 1889 Besitzer des Circus Krembser, im Herbst 1890 die Inszenierung Auf Helgoland.107 Im Jahr darauf feierte dann auch bei Circus Renz im Markthallenzirkus eine Wasserpantomime Premiere. Den Memoiren von Marion Spadoni, zwischen 1945 und 1947 Intendantin des Friedrichstadt-Palasts, ist diesbezüglich zu entnehmen: „Es dauerte nicht lange, da erfuhr Gotthold Schumann […], dass Renz in Paris eine noch grössere, noch gewaltigere Maschinerie für eine Wasser-Pantomime bestellt hatte“.108 Thematisch inspirierte Renz sich allem Anschein nach bei seinem Vorgänger und Konkurrenten, denn der Titel seiner Wasserpantomime lautete: Auf Helgoland oder Ebbe und Flut. In einem Programmheft vom 31. Dezember 1891 kündigte Renz dem Berliner Publikum die „hydrologische Ausstattungspantomime“ an – „mit National-Tänzen von 60 Damen in Pracht-Costümen, Aufzügen, Gruppierungen und Tableaux […], Dampfschiff- und Segelboot-Fahrten, Wasserfällen, Riesen-Fontänen mit allerlei Lichteffecten“.109 Als Schlussbild wurde eine „Riesen-Fontaine, elektrisch durchleuchtet, mit Feuerwerk und Brillant-Feuerregen in einer Höhe von 80 Fuss ausstrahlend“ versprochen.110
Für das Jahresende 1891 hatte Circus Gotthold Schumann seinerseits bereits zwei neue Wasserpantomimen im Angebot: Am Nachmittag wurde die „höchst komische Pantomime mit Ballet“ mit dem Titel Circus unter Wasser. Eine ländliche Hochzeit gespielt und abends die „[n]eueste sensationelle komische hydrologische Original-Wasserpantomime“ Circus unter Wasser: Eine Nacht in Venedig.111 Die beiden Zirkusgesellschaften boten also in Berlin zeitgleich ähnliche Vorstellungen an. Dies sagt ex negativo nicht nur etwas über ihr enges (Konkurrenz-)Verhältnis aus, sondern es ist auch ein Indiz für die enorme Publikumsresonanz ihrer Darbietungen: In Berlin konnten Ende des 19. Jahrhunderts gleichzeitig zwei große Zirkusgesellschaften in Häusern mit über 3000 Plätzen bestehen.
Über die für die Wasserpantomimen genutzte Technologie ist in den Memoiren von Spadoni Folgendes zu lesen:
Die Apparatur für das Wasser hatte Gotthold Schumann aus Paris mitgebracht. Die Sägespäne verschwanden aus der Arena. Ein dicker Kokosteppich bedeckte den Holzboden. Entfernte man den Teppich und senkte den durchlöcherten Boden, gab er das Wasser frei.112
Diese Beschreibung entspricht jener des Nouveau Cirque, einer 1885 in Paris errichteten Zirkusspielstätte, die ursprünglich so konzipiert war, dass sie im Sommer komplett in ein Schwimmbad umgewandelt werden konnte. Die wasserdurchlässige Manegenplatte dieses Zirkusgebäudes, die während des trockenen Teils der Aufführung mit einem Kokosteppich bedeckt war, ließ sich binnen weniger Minuten mittels eines hydraulischen Getriebes in das darunterliegende Wasserbecken absenken. Nach der Transformation wurden dem Publikum Schwimmchoreografien und diverse technische Effekte präsentiert. Für das Wasserbecken wurde außerdem ein spezielles Beleuchtungssystem entwickelt und es ist überliefert, das Publikum habe während der Umwandlung der Manege zum Schwimmbecken stets enthusiastisch applaudiert.113 Es ist davon auszugehen, dass sich die deutschen Zirkusgesellschaften am Pariser Nouveau Cirque orientierten. Laut dem Journalisten und Kritiker Karl Döring, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die deutschen Artistik-Fachzeitschriften Der Artist und Das Programm schrieb, verfügten die festen Spielstätten im deutschen Kaiserreich um 1900 über „kostspielige, technisch großartig angelegte Bassins und Zirkus-Einrichtungen“.114 Aber auch Wanderzirkusse boten Döring zufolge Wasserpantomimen „in einfacher, aber bei den gegebenen Verhältnissen sehr praktischer Form.“115
Ab der Eröffnung des Zirkusgebäudes am Bahnhof Börse im Jahr 1895 prägte vor allem Circus Busch die Berliner Wasserpantomimen-Inszenierungen. Wie bereits erwähnt ließen sich zur Spielstätte von Circus Busch keine Baupläne finden und die überlieferten Informationen zu Architektur, Innenausstattung und technischen Bedingungen sind nicht nur spärlich, sondern zum Teil auch widersprüchlich. In der allem Anschein nach einzigen zeitgenössischen Architekturpublikation, die sich knapp mit dem Gebäude befasste, ist über die Wassertechnologien lediglich zu lesen: „Quer durch die Bahn ist ein 3m breiter und 2,20m tiefer Graben angelegt, der bei überschwemmter Manege zum Durchschwimmen für Pferde und Elephanten benutzt wird.“116 Und im Berliner Tageblatt erfuhr man damals über die Eröffnung des Circus Busch, dass in der Spielstätte „[…] Vorkehrungen getroffen worden [sind], durch welche die Manège in einen See verwandelt werden kann, der eine Tiefe von zehn Metern erhält.“117 Aus Paula Buschs Memoiren lässt sich schließen, dass es in dem Gebäude eine versenkbare Manegenplatte mit darunterliegendem Wasserbassin gab. Über eine Probe schreibt sie beispielsweise: „Die Motoren surren, triefend steigt die Zentnerlast der durchlöcherten Holzplatte mit ihren zwölf Metern Durchmesser hoch […]“.118 Es ist anzunehmen, dass das Bassin im Gebäude von Circus Busch 1895 mit der sogenannten Moniertechnik (Eisenbetonbau) erstellt wurde.119
Die Wasserszenen und -effekte wurden mit den Stoffen der Pantomimen verwoben, wie zahlreiche Wasserpantomimen aus dem Repertoire von Circus Busch belegen. Szenen von Zscheus, das Waldmädchen (1895) spielten etwa am und im Fluss Ganges und bei Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV. (1911) stellte die geflutete Manege einen See bei Fontainebleau dar.120
In manchen Pantomimen wie Auf der Hallig (1907), U20 (1911) und Die versunkene Stadt (1917) wurde das Wasser beziehungsweise Gewässer wie Seen, Flüsse und Meere sogar zum Hauptthema der Inszenierung gemacht.121 In Auf der Hallig (s. Abb. 11 u. 12) wurden Fische und Korallenriffe auf einen zylindrischen Gazevorhang rund um die Manege projiziert, während aus der Kuppel ein Fischerboot abgesenkt wurde, wobei die Solotänzerin Sina Spampani nach dem Untergang des Boots in der gefluteten Manege durch einen unterirdischen Kanal verschwand.122 In Die versunkene Stadt, einer von Paula Busch geschriebenen Pantomime, stürzten offenbar 30’000 Liter Wasser aus der Kuppel in die Manege auf die aus Fischerhäusern, 50 Menschen und rund 30 Tieren bestehende Stadt Vineta. Nach der sechsminütigen Flutung der Manege tauchten die Akteur:innen mithilfe von „komplizierten Taucherglocken“ offenbar trocken wieder auf.123 Von der Firma Willy Hagedorn ist in diesem Zusammenhang eine Patentanmeldung von Oktober 1906 für eine Apparatur mit dem Titel „Immersed Trap for Spectacular […] Performances“ überliefert,124 die das unerwartete und trockene Auftauchen von Artist:innen aus dem Wasserbecken ermöglichte. Bei U20 wurde dem Publikum, szenisch zwischen Bühne und Manege wechselnd, die Havarie eines Unterseeboots präsentiert. Diese Pantomime, die ursprünglich den Titel Aus dem Marineleben hätte tragen sollen, führte zu einer längeren Auseinandersetzung zwischen Theaterpolizei und Zirkusdirektion aufgrund des darin vorgesehenen gesprochenen Texts sowie der Requisiten.125
Plakat für die Pantomime Auf der Hallig (1907) bei Circus Busch. Farblithografie von Adolph Friedländer. Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Insgesamt wurden für die Wasserpantomimen eine ganze Reihe von Maschinerien und Geräten entwickelt. Beispielsweise Pumpensysteme, mit deren Hilfe aus den oberen Rängen oder der Zirkuskuppel Wasser in Kaskaden in das Becken gegossen werden konnten, oder auch Apparaturen, mit denen sich emporschießende Wasserfontänen mittels elektrischer Lichttechnik farbig beleuchten ließen. In diesem Zusammenhang ist einem Bericht über die Pantomime Sevilla im Berliner Börsen-Courier vom 24. November 1912 zu entnehmen: „[…] und die Schlußapotheose mit ihren rauschenden Fontänen und aus den Wassern emporsteigenden Nymphen im blendenden Lichte bunter Farbenspiele bringt wundervolle Effekte“.126
***
In die einschlägigen theaterwissenschaftlichen Studien haben die erwähnten technischen Experimente der Zirkusgesellschaften keinen Eingang gefunden.127 Dies ist vor dem Hintergrund der Nichtbeachtung des Zirkus als Gegenstand der theaterwissenschaftlichen Forschung nicht weiter erstaunlich. Es ist indes nicht auszuschließen, dass Zirkusgebäude bereits vor großen Opern- und Schauspielhäusern über neuartige bühnentechnische Anlagen verfügten. Mit Sicherheit kurbelten sie aufgrund ihrer Nachfrage und großen Kaufkraft die Produktion bei den entsprechenden Hersteller:innen und Firmen (wie etwa dem vergessenen Ausstatter Willy Hagedorn) an, die meist mehrere Bühnen belieferten. Damit trugen die Zirkusgesellschaften auch zu bühnentechnischen Innovationen bei.128 Die technischen Neuerungen sind jedoch auch in ihrem gesellschaftlichen Kontext und kritisch zu betrachten.129 So stehen sie in einem durchaus problematischen Zusammenhang mit dem Industriekapitalismus und dem europäischen Imperialismus. Und die Elektrifizierung der Theaterspielstätten im ausgehenden 19. Jahrhundert ist eng verflochten mit den zeitgenössischen Hygiene- und Fortschrittsdiskursen.130
Auf den zurückliegenden Seiten wurden die architektonischen und bühnentechnischen Bedingungen der Zirkusspielstätten sowie die permanenten ästhetischen Veränderungen der Inszenierungen infolge von Mechanisierung und Technisierung der Bühnenräume besprochen, um ein besseres Verständnis der Zirkuspraxis in Berlin um 1900 zu schaffen. Wie anhand der erwähnten Inszenierungsbeispiele bereits deutlich wurde, boten die Berliner Zirkusgesellschaften um 1900 nicht nur Nummernprogramme, sondern auch Inszenierungen mit narrativen, durchgängigen Dramaturgien. Dies ist heute weitestgehend vergessen, obwohl Zirkuspantomimen seit der Etablierung der Institution Zirkus im 18. Jahrhundert zu deren Aufführungspraxis gehörten. Das folgende Unterkapitel ist drei Zirkuspantomimen der drei großen Berliner Zirkusgesellschaften Renz, Schumann und Busch gewidmet.
1.3 Zirkusgeschichten: von Liebesfeen, großen Herrschern und aktuellen Ereignissen
Der Zirkushistoriker Signor Domino schrieb 1888, Zirkuspantomimen bildeten meist „nicht etwa den Abend, wie ein Ausstattungsstück auf dem Theater, sondern […] nur eine einzelne Nummer des Programms der Vorstellung, das in jeder der übrigen Nummern gleichfalls Eleganz und Pracht zu entfalten hat“.131 Den Vergleich mit „dem Theater“ führt der Zirkushistoriograf an, um die für ein derartiges Programm notwendigen finanziellen und auch personellen Ressourcen hervorzuheben. Zirkuspantomimen bildeten meistens den zweiten Teil einer Vorstellung und wurden in seltenen Fällen auch als abendfüllendes Programm dargeboten. An manchen Abenden, insbesondere nach Wiederankunft der Zirkusgesellschaften in Berlin im Herbst, wurden dem Publikum reine Nummernprogramme präsentiert. Tagsüber wurde derweil für neue Pantomimen geprobt.132 Ihre Pantomimen behielten die Zirkusgesellschaften oft jahrelang im Repertoire oder sie adaptierten sie immer wieder neu. Der deutsche Zirkuskritiker Karl Döring hielt hierzu 1920 fest:
Wenn die großen Zirkusse von der Sommerreise in die Reichshauptstadt zurückkehren, pflegen sie die ersten Wochen ein rein zirzensisch-artistisches Programm darzubieten. […] Fragt man […] Leute aus dem weitaus größeren Teile des Publikums, ob sie schon im Zirkus gewesen seien, so bekommt man fast regelmäßig die Antwort: ‚Nein, ich warte noch, bis die neue Pantomime […] gegeben wird.‘ Das ist es: ein Schaustück größeren Umfangs muß der Großstadtzirkus bieten, sonst lockt er die Menge nicht an.133
Pantomimen fungierten für die Zirkusgesellschaften demnach als Publikumsmagnet und können zugleich als Zeichen des Erfolgs gelesen werden. Denn der Anklang beim Publikum und, in der Konsequenz, das Vorhandensein finanzieller Ressourcen waren für den Personal- und Ausstattungsaufwand derartig aufwendiger Inszenierungen unerlässlich. Bereits die Vorbereitungsphase einer neuen Pantomimen-Produktion war mit Kosten verbunden: In einem Brief an die Berliner Polizei vom 7. Februar 1913 beschrieb Albert Schumann, dass er mindestens neun Monate Vorlauf für die Inszenierung einer Pantomime und für „deren Vorbereitung an Requisiten, Dekorationskosten und Spezialengagements […] mindestens 6 Monate“ benötige.134
Aber nicht nur die großen Gesellschaften mit festen Spielstätten hatten Pantomimen im Programm, sondern auch die kleineren Wanderunternehmen – wenngleich mit weniger opulenter Ausstattung und geringerem Personalaufwand. Döring kommentierte diesbezügich im Jahr 1910:
Auf der anderen Seite sind die Direktionen der Wanderzirkusse aus technischen, zuweilen auch aus anderen Gründen, die mit Kunst und Technik nichts zu tun haben, genötigt, auf Pantomimenpracht und Engagement eines Corps de ballet zu verzichten. Nur ausnahmsweise (z. B. im Zirkus Blumenfeld) befassen sie sich damit, Pantomimen großen Stils zu inszenieren.135
Trotz ihrer unübersehbaren Präsenz auf Anschlagzetteln und Zirkusplakaten fanden Zirkuspantomimen in der deutsch- wie auch englisch- und französischsprachigen Forschung überraschenderweise bisher wenig bis keine Beachtung. Diesen Eindruck bestätigt auch die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Katalin Teller, die zugleich betont, dass gerade Pantomimen für den anhaltenden Publikumserfolg der Zirkusgesellschaften von zentraler Bedeutung waren.136 Anlässlich ihrer Beschäftigung mit Inszenierungsbeispielen von Circus Busch stellt Teller in diesem Zusammenhang zudem fest:
Die überwiegende Mehrheit der Pantomimen lässt sich nicht detailliert erforschen, weil es an Dokumenten fehlt. Der Großteil der als Besprechung getarnten Zeitungsartikel stammt außerdem entweder von den Pressechefs der Zirkusse und wurde als bezahlte, aber nicht als solche ausgewiesene Anzeigen in den Zeitungen geschaltet oder beschränkte sich auf kurz gefasste inhaltliche Informationen. Die Autobiografien sowie die einschlägigen anekdotischen Erinnerungen von ZirkusakteurInnen sind ebenfalls mehr als unzuverlässig und entbehren oft genauerer Angaben, die als Stütze für die Recherchen benutzt werden könnten.137
Die Quellenlage stellt in der Tat eine Herausforderung dar. Doch entgegen dieser eher pessimistischen Einschätzung lassen sich, wie ich im Folgenden zeigen werde, für viele Pantomimen ergiebige Quellen finden – wenn man sich auf einen aufwendigen Rechercheprozess einlässt. Um über eine einzelne Inszenierung mehr in Erfahrung zu bringen, müssen unterschiedliche Archive konsultiert, Zeitungen gesichtet und andere Publikationen durchforstet werden, die, isoliert betrachtet, nicht immer zuverlässige Informationen bieten.
Für die Situation in Berlin ist die – gewiss bruchstück- und lückenhafte – Überlieferung der Zirkuspantomimen vor allem der bis 1918 betriebenen, präventiven Theaterzensur unter Federführung des Berliner Polizeipräsidiums zu verdanken. Denn nicht nur die Schauspieldirektor:innen, sondern auch die Zirkusgesellschaften mussten ihre Stücke beziehungsweise eine genaue Beschreibung der geplanten Programme vorab zur Überprüfung bei der Polizei einreichen.138 So finden sich in den Akten der Theaterpolizei nicht nur dramatische Texte oder entsprechende Strichfassungen, sondern auch eine Vielzahl sogenannter Szenarien für geplante und meist auch realisierte Zirkusinszenierungen, teilweise begleitet von technischen Zeichnungen, Beschreibungen der szenischen Vorgänge und archivierten Presseberichten.139 Die Zirkusaufführungen wurden übrigens im Gegensatz zu den Theatervorstellungen nicht oder nur in den seltensten Fällen im Feuilleton – in vielen Zeitungen mit „Kunst und Wissenschaft“ übertitelt – besprochen, sondern unter der Rubrik „Lokales oder Vermischtes“. Diese klare Zuordnung ist Ausdruck des gängigen Kulturverständnisses, dem zufolge Zirkusaufführungen nicht als Kunst galten.
Zirkuspantomimen bildeten häufig den Angriffspunkt der Literaturtheater-Verfechter:innen und -Vertreter:innen, da sie zu ‚theatral‘, also zu nahe am ‚eigentlichen‘ Theater seien. Aus dem Repertoire der drei großen Berliner Zirkusgesellschaften Renz, Schumann und Busch wird im Folgenden je eine Pantomime aus verschiedenen Spielzeiten zwischen 1869 und 1918 genauer beleuchtet.
1.3.1 Diamantine, Circus Renz, 1883
Am 27. Januar 1883 wurde im Berliner Markthallenzirkus die „große phantastische Ausstattungs-Pantomime“ Diamantine uraufgeführt.140 Die Pantomime mit märchenhaftem Anstrich zeichnet sich durch ihre aufwendige Ausstattung, das Mitwirken eines Ballettensembles sowie die Inszenierung von Massenszenerien aus.
In den Akten der Berliner Theaterpolizei befindet sich ein Programmzettel zu einer „Extra-Vorstellung“ bei Circus Renz am 16. Dezember 1883, in welcher die Pantomime nach acht einzelnen Nummern und einer kurzen Pause aufgeführt wurde. Die Zirkusdirektion vermerkte auf dem Programm, dass die „Costüme und Requisiten neu und durchweg prachtvoll“ seien. Im Anschluss an die Pantomime waren außerdem die Nummern des Reitkünstlers Mr. Hernandez, der bekannten Löwendompteurin Miss Senide und der Luftartistinnen „Teresita und Emma Guillos, genannt: die Königinnen der Luft“ vorgesehen.141 Diamantine bildete demnach den Mittelteil der Vorstellung.
Die Titelseite des Textbuchs zu Diamantine gibt darüber Auskunft, dass es sich um eine „Ausstattungs-Pantomime mit Ballets, Aufzügen und equestrischen Evolutionen in 4 Bildern und 1 Apotheose“ handelte, die von Direktor Ernst Renz arrangiert sowie inszeniert und von rund 200 Personen aufgeführt wurde.142 Namensgeberin der Pantomime war Diamantine, die Fee der Liebe. Laut Textbuch spielt das erste Bild („Windmanns Erbschaft“) in einem Dorf. Dort haben Johann Windmann, Erbe eines verschuldeten Mühlbetriebs, und sein treuer Knecht Michel aufgrund ungeduldiger Gläubiger:innen und neidischer Dorfbewohner:innen ihre Arbeitsstätte, die Mühle, verloren. Besitz- und obdachlos entfachen sie in der Nacht ein Feuer, als plötzlich aus der Dunkelheit eine Schlange auftaucht. Als sich diese einem kleinen Vogel nähert, töten die beiden Protagonisten die Schlange. Daraufhin verwandelt sich die Schlange in den Teufel und das Vögelein in die Fee Diamantine, die vor Johanns „entzückten Augen in der Mühle das liebliche Bild der Prinzessin Kaonni erscheinen“ lässt. Diamantine verspricht Johann die Prinzessin Kaonni als Gemahlin.143 Bevor der Teufel vor Diamantine flieht, hinterlässt er dem Knecht Michel zum Dank für seine Befreiung aus der Schlangenhaut einen Talisman. Mit dessen Hilfe verwandelt Michel seinen Meister Johann in den edlen Kavalier Marquis von der Leerenburg und sich selbst in seinen Diener. Dem Treffen mit Prinzessin Kaonni, der Diamantine inzwischen – zu Beginn des zweiten Bildes („Die Entführung“) – im Traum auch den reichen Marquis von der Leerenburg hat erscheinen lassen, steht eigentlich nichts mehr im Weg… Wären da nicht der befreite Teufel sowie Monasro, der König der Wilden, der es auf Kaonni abgesehen hat, und seine eifersüchtige Gemahlin Knitschna. Erstgenannte entführen die Prinzessin, während der Marquis mit Kaonnis Vater, dem Sultan Haradschied, auf der Jagd ist. Am Ende des dritten Bildes („Des Teufels Spiel“) gelingt es der Jagdgesellschaft jedoch, Monasro ausfindig zu machen und Kaonni zu befreien, sodass im vierten Bild („Monasros Vernichtung und Triumph der Diamantine“) schließlich, nach der Vertreibung des Teufels und der Verwandlung Monasros in einen Löwen, ein glänzendes Hochzeitsfest gefeiert werden kann.144
Der in einer Akte der Theaterpolizei überlieferte Programmzettel gibt unter der Rubrik „darstellende Personen“ Aufschluss darüber, welche Artist:innen in der Pantomime auftraten: Diabolo, der Teufel, wurde beispielsweise von dem bekannten Clown Fillis gespielt (s. Abb. 13), Johann beziehungsweise der Marquis von dem Clown und Akrobaten Gatley, Michel von dem Clown Delbos, die Königin Knitschna von der Reitkünstlerin Pauline Veith und die Vertrauten der Prinzessin Kaonni von den Reitkünstlerinnen Fräulein Schreiber, Aguimoff und Lina, die auch außerhalb dieser Pantomime bei Circus Renz auftraten.145
Clown Charles Fillis. Fotografie im Kabinettformat (ca. 1900). Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Nach der Rückkehr der Zirkusgesellschaft von ihrer Tournee wurde die Pantomime im Herbst 1883 erneut in Berlin aufgeführt. Am 20. November ist darüber in der Berliner Börsen-Zeitung zu lesen:
Im Circus Renz macht gegenwärtig wieder die große prachtvoll ausgestattete Balletpantomime ‚Diamantine‘ Furore. Insbesondere sind die Balleteinlagen mit großem Geschmack in Scene gesetzt, werden auch von den jugendfrischen Ballerinenschaaren mit virtuoser Technik ausgeführt.146
Bei dem Auftritt von „Ballerinenschaaren“ handelte es sich keinesfalls um einen Einzelfall – größere Zirkusgesellschaften verfügten damals über ein eigenes Ballettensemble. Bei Circus Renz waren laut Signor Domino um 1885 zwei Ballettmeister:innen, diverse Solotänzer:innen und ein Ballettcorps engagiert. Die Tänzerinnen wurden dem Autor zufolge auch in der hauseigenen Ballettschule ausgebildet.147 Die Pantomime Diamantine zeichnet sich durch unterschiedliche Tanzszenen als Zwischenspiele aus. Im Textbuch ist etwa von einem „Bauerntanz, ausgeführt von 10 Damen und 8 Herren“ im ersten Bild und einem „Grand pas de tambourine, ausgeführt von den Damen des Corps de Ballet“ die Rede. Für das zweite Bild wurde ein „Pas de charmeuses, ausgeführt von den Damen des Corps de Ballet und 12 Kindern“ sowie ein „Grand Ballabile, ausgeführt von 36 Damen des Ballet-Corps, 16 Herren und 12 Kindern“ angekündigt. Und im vierten Bild tanzten anlässlich des Hochzeitsfests der Prinzessin Kaonni und des Marquis „sämmtliche Coryphäen“ und „Damen des gesammten Corps de Ballet“ eine „grande valse“.148
Eine Passage aus einem Artikel Karl Dörings in der Fachzeitschrift Das Programm von 1910 gibt, nostalgisch zurückblickend, Aufschluss über die Ballettpraxis der großen Zirkusgesellschaften:
Und das Ballett? Es gab einmal eine Zeit, in der das Zirkus-Ballett ausschließlich wirklich studierte Tänzerinnen zu seinen Mitgliedern zählte. Das waren, wie dies heutzutage zuweilen der Fall ist, in erster Linie die Reiterinnen des Zirkus. Die Stehendreiterinnen pflegten alle treffliche Tänzerinnen, auch parterre, zu sein. Und die anderen Damen des Corps de ballet – nun, die hatten alle eine strenge Ballettschule mit Exercice und Stange, mit Knüppel, Donnerwettern und viel Schweißtropfen (abwischen verboten!) durchgemacht. Und deshalb ‚konnten‘ sie alle was, und können es noch, soweit sie noch in der Manege tätig sind. Aber sie sind seltener, freilich auch älter, geworden.149
Für die Zirkuspantomimen stellten die Zirkusdirektionen Tänzer:innen sowie Ballettmeister:innen ein, die auch an Opernhäusern und Hoftheatern arbeiteten. 1870 engagierte Ernst Renz etwa den an der Berliner Oper tätigen Ballettmeister Leo Beyerle für einige Inszenierungen. Kurz darauf wurde der Ballettmeister August Siems, der zuvor am Hoftheater in Darmstadt gewesen war, bei Circus Renz unter Vertrag genommen.150 Siems arbeitete später auch für Circus Busch sowie für Circus Oscar Carré in Amsterdam und Circus Ciniselli in Sankt Petersburg.151 Bei Circus Salamonksy und später bei Circus Schumann in Berlin wiederum war Julius Wenzel Reisinger unter Vertrag, der auch in Prag und Leipzig Engagements hatte und als Ballettmeister der Schwanensee-Uraufführung 1877 am Bolschoi-Theater in Moskau, dem wichtigsten Opernhaus Russlands, in die Tanzgeschichte eingehen sollte.152 Die Ballettmeister:innen nahmen nicht nur als Choreograf:innen der Tänze eine wichtige Rolle ein, sondern beim Arrangieren der Zirkuspantomimen insgesamt.153 Viele von ihnen, meist ehemalige Balletttänzer:innen, bewegten sich im Laufe ihrer Karrieren wie gesehen sowohl zwischen Zirkus- und Opernbühnen als auch zwischen den europäischen Großstädten bis nach Russland.154 Es waren übrigens auch Frauen als Ballettmeisterinnen tätig. Für die Nibelungen-Inszenierung bei Circus Renz 1879 ist als Ballettmeisterin etwa „Fräulein Ostradt“ verzeichnet. Die Hamburger Nachrichten lobten, dass sie die Tänze für diese Pantomime „sehr geschmackvoll arrangirt“ hatte.155 Wer Fräulein Ostradt war, wo sie ihre Ausbildung erhalten hatte und wo sie vielleicht sonst noch als Ballettmeisterin arbeitete, dazu schweigen die Quellen.156 Abgesehen von einigen bis heute bekannten Starfiguren ist von Frauen, die zur damaligen Zeit im Bereich der darstellenden Künste tätig waren, zumeist lediglich der Name überliefert.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht sonderlich, dass sich etwa der Deutsche Bühnenverein (DBV) 1888 auf politischem Weg beschwerte, die Zirkusse würden den Opernhäusern wie auch den königlichen und bürgerlichen Theaterinstitutionen das beste Ballettpersonal entziehen (s. auch Kapitel 2.3.2). Gleichwohl herrschte seitens der Theaterkritiker:innen keine Einigkeit hinsichtlich der Frage, auf welche Bühnen das Ballett überhaupt gehöre. In der Berliner Börsen-Zeitung etwa war im Jahr 1882 in einer vernichtenden Besprechung eines Balletts des Berliner Opernhauses zu lesen: „Das Ballett hat, und theilweise nicht ohne Grund, viele Verächter und Feinde, Feinde, welche u. A. behaupten, daß es der ernsten Kunst keinen Dienst leiste und Summen verschlinge, welche mit seiner artistischen Bedeutung in schroffem Widerspruche stehen“.157 Die Zeitung bewertete das Ballett als einen „auf die Bühne verpflanzten Circus“.158 Auch nach Auffassung des Theaterkritikers Conrad Alberti hatten das „zur Befriedigung der niederen Sinne“ dienende Ballett wie auch Pantomimen nichts auf den Schauspiel- und Opernbühnen verloren, da sie seiner Auffassung nach eindeutig dem Zirkus zuzurechnen seien. In seiner 1888 publizierten Streitschrift heißt es:
Fort mit dem Ballet von der Bühne! Was hat es daselbst zu suchen? Selbst wenn man, was ich bestreite, zugiebt, daß die Tanzkunst eine Kunst sei (und wenn sie es ist, so ist sie sicherlich die niederste), so hat das Ballet im Theater doch nichts zu suchen. Die Tanzkunst ist viel zu sehr mechanischer Art, als daß sie mit der Schauspiel- oder Gesangskunst auf eine Stufe gestellt werden könnte, bei denen die mechanische Fertigkeit doch erst in zweiter Linie steht, das Wesentliche der Tanzkunst ist reine Uebung: auch ohne jegliches Naturtalent und Temperament […]. Auf der Bühne soll in erster Linie das Wort herrschen, zum wenigsten der Ton, denn diese allein sind lebendig und belebend: die stumme, todte Pantomime, das Ballet, gehört in den Circus, nicht aber auf die Bühne […]. Jeder Nickel, der als Zuschuß an die Aufführung eines solchen Ballets auf einer Bühne verschwendet wird, ist ein Raub an der wirklichen Bühnenkunst. Noch einmal: das Ballet gehört in den Circus und nicht in’s Theater – außer wo es einen wesentlichen Bestandtheil der Handlung bildet.159
Für Alberti stand fest: ‚Theater‘ beziehungsweise Schauspiel bedeutet Wort-Theater – nichts anderes. Dass das Ballett wie gesehen auch im Zirkus einen Bestandteil der Handlung bildete, ignorierte der Autor. Die literaturbasierte „Schauspiel- und Gesangskunst“ fasste der Kritiker implizit als sogenannte schöne Kunst auf, die „Naturtalent und Temperament“ erforderten.160 Die „mechanische“ beziehungsweise seiner Einschätzung nach viel zu körperlich-technische Tanzkunst ordnete Alberti hingegen einer niederen Stufe zu.
Der Platz der Tanzkunst war jedoch nicht nur im Bereich des Bildungstheaters und der Oper umstritten. Auch der Zirkuskritiker Karl Döring äußerte sich in dem bereits besprochenen Artikel, in dem er auf vergangene, scheinbar bessere Zeiten des Zirkusballetts zurückblickte, kritisch dazu. Seiner Meinung nach setzten die Zirkusdirektionen in jüngerer Zeit weniger auf Qualität, das heißt auf präzise Technik, sondern vielmehr auf Quantität. Diese Einschätzung verband Döring – wenngleich implizit – mit Fragen nach Sittlichkeit und Moral:
Ein neues Geschlecht entstand, aber kein Besseres, die Ballettschule fehlt. Die Masse tut es. Das war Bolossy-Kiralfys Zauberformel. ‚Die Beine haben gesiegt‘, sagte man in Berlin, als bei einer ersten Olympiatheater-Prèmiere ungezählte stramme Balletteusen-Beine sich ausstreckten und die Armmuskeln des Herren-Publikums durch minutenlanges Hochheben des Opernglases stärkten.161
Zwischen der Auflösung von Circus Renz 1897 und der Übernahme des Gebäudes durch Albert Schumann 1899 wurde die Spielstätte als Neues Olympia-Riesentheater von Bolossy Kiralfy und von Hermann Haller, der später als Leiter des Berliner Admiralpalasts für seine Revuen Bekanntheit erlangte, geführt.162 Laut Dörings nostalgischem Blick wurde also Qualität zunehmend durch Quantität ersetzt. Bezüglich der Beine der Tänzer:innen beziehungsweise der „Armmuskeln des Herren-Publikums“ spielt der Autor auf eine spezifische Inszenierung und Rezeption weiblicher oder weiblich gelesener Künstler:innen an. Vom weiblichen Körper war im Verhältnis zur geltenden bürgerlichen Kleidungskonvention im Zirkus viel (Bein) zu sehen und der Aufführungsrahmen erlaubte einen voyeuristischen (männlichen) Blick auf ihn.163 Dies bestätigt etwa ein Pressebericht über den Auftritt der Luft- beziehungsweise Zahnakrobatin Miss Leona Dare anlässlich einer Eröffnungsgala im Berliner Circus Renz im November 1879:164
Das Auftreten der Miß Leona Dare erfüllte so ziemlich all die extravaganten Erwartungen, die man der berühmten Amerikanischen Gymnastikerin, der ‚Tochter der Luft‘ entgegen gebracht hatte. Sie besitzt die ‚hehren Gliedermaßen kolossaler Weiblichkeit‘, die Heine an der Dame von Perpignan so begeistert besang, und ein außerordentlich verführerisches Lila-Tricotcostüme läßt dieselben zu üppigster Wirkung kommen. Auch das bengalische Licht, mit dem sie bei ihren Kunststücken, die von erstaunlicher körperlicher Kraft und räthselhafter Ausdauer der Zähne Zeugniß ablegen, effectvoll beleuchtet wird, trägt das seinige dazu bei, daß die Operngläser unverwandt nach der interessanten, bleichen, schwarzhaarigen Tochter der Luft gerichtet bleiben.165
Die Akrobat:innen wirkten durch ihre körperbetonten, manchmal hautfarbenen Trikots, als wären sie quasi nackt. In einem weiteren Bericht über die Auftritte der Künstlerin schrieb die Zeitung im Januar 1880: „Leona Dare […] hat noch Nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Noch mehr als ihre halsbrecherischen Kunststücke interessiren von Tag zu Tag die graziösen, anmuthigen, üppigen Attituden und Posen, die sie auf dem Trapez und auf dem großen Tau ausführt.“166
Die Ausstattungsballette der Zirkusgesellschaften um 1900 waren kein singuläres Phänomen, sondern besaßen große Ähnlichkeiten mit der Ballettinszenierungspraxis der Pariser Varietétheater-Spielstätten (Folies-Bergère, Casino, Olympia) und den Londoner Music Halls (Alhambra, Empire) des langen 19. Jahrhunderts – dies wird vor dem Hintergrund jüngster Forschungsresultate über ihre tanz- und theaterhistoriografisch ebenfalls vernachlässigte Bühnenpraxis deutlich.167 Und auch in Bezug auf die Ballette der Pariser Varietétheater-Spielstätten finden sich sowohl in Programmankündigungen als auch in Rezensionen häufig Verweise auf die ‚schönen Beine‘ der Tänzer:innen.168 Der Zurschaustellung des weiblichen Körpers stellte eine Erfolgsgarantie für die Direktionen der genannten Spielstätten dar.169 Ähnliches lässt sich bezüglich der Londoner Music Halls um 1900 festhalten. Auch dort besaßen weibliche oder weiblich gelesene Akteur:innen (wie Frauen im Allgemeinen) eine stark dekorative Funktion: „[t]he ballerina […] belonged […] to the eye of the spectator.“170
Inszenierungen von Weiblichkeit wie im Fall der Künstler:in Leona Dare waren, wie bereits in der Einleitung beschrieben, in mehrerlei Hinsicht aufsehenerregend und lösten, wie die britische Historikerin Brenda Assael in ihrem Kapitel über weibliche Zirkusartist:innen detailliert beschreibt, immer wieder Kontroversen über Sittlichkeit und Moral aus.171 Auch die Ballettdarbietungen in Zirkuspantomimen wie Diamantine bei Renz und auf Oper- und Hoftheaterbühnen orientierten sich am männlichen Blick (male gaze) und können als parasexuelle Inszenierungen beschrieben werden.172
Inhaltlich dürfte Diamantine auf die Pantomime Pierrot partout! Pantomime-arlequinade-féerie en 9 tableaux zurückgehen, die ab 1839 am Pariser Théâtre des Funambules gespielt wurde. Pierrot partout! beginnt mit einer Schlange, die einen Baumstamm hochkriecht, um eine Taube zu fangen, woraufhin Pierrot (gespielt von Jean-Gaspard Deburau) auf die Schlange schießt. Die Taube entpuppt sich als Fee Diamantine und die Schlange als böser Geist Iago. Die Pantomime endet mit dem Sieg Diamantines über Iago sowie der glücklichen Vermählung von Léandre und Isabelle, Arléquin und Colombine sowie Pierrot und Angélique im neunten Bild.173 Diamantine, von Renz als „große phantastische Ausstattungs-Pantomime“ angekündigt,174 schreibt sich mit ihrem märchenhaften Plot, den Balletteinlagen und der aufwendigen Ausstattung also auch in die Tradition der ‚Feerien‘ des 19. Jahrhunderts ein.
Im Januar 1884 reiste Circus Renz von Berlin nach Wien, wo er Diamantine am 11. März erstmalig aufführte.175 In der Wiener Zeitung Neue Freie Presse wurde die Pantomime daraufhin am 14. März lobend besprochen:
Herr Renz konnte bei Inscenirung dieser Feerie wieder seinen ganzen reichen Apparat entfalten, wofür ihm die Zuschauer die verdiente Anerkennung zollten. […] Den Glanzpunkt des Stückes bildete die Schlußscene, bei welcher über eine imposant zusammengestellte Gruppe Fee Diamantine und vier reizende Engelchen (à la mouche d’or) in die Luft emporschwebten. Die Aufführung der Feerie währte mehr als eine Stunde […].176
In dieser Besprechung wird deutlich, wie die Zirkusgesellschaften in den aufwendigen Inszenierungen das Können der beteiligten Künstler:innen sowie die technischen Möglichkeiten der Spielstätten ausschöpften: Die Fee Diamantine wird im Schlussbild zusammen mit vier „Engelchen (à la mouche d’or)“ in die Zirkuskuppel hochgezogen. Weibliche Tänzer:innen traten ab der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Ausstattungsballetten als Blumen, Insekten, Schmetterlinge oder Vögel kostümiert auf und brachten damit auch die Vorstellung einer vermeintlich reinen, natürlichen Weiblichkeit zum Ausdruck.177 In der Rezension finden sich außerdem Angaben zur Dauer der Aufführung der Zirkuspantomime: Mit den einzelnen Nummern vor und nach Diamantine sowie einer Pause dauerte der Zirkusabend etwa zwei Stunden. Circus Renz hatte die Pantomime noch einige Jahre im Repertoire, wie eine Ankündigung in der Zeitung Die Presse anlässlich eines Gastspiels der Zirkusgesellschaft in Wien im Jahr 1889 belegt, wo Diamantine am 25. Februar mit „200 Personen und 45 Pferden“ aufgeführt wurde.178
1.3.2 Babel, Circus Schumann, 1903
Im Dezember 1903 feierte Circus Schumann im Berliner Markthallenzirkus, der sich inzwischen in seinem Besitz befand, mit der Inszenierung Babel und Bibel Premiere, die nach der Erstaufführung aufgrund einer polizeilichen Verfügung nur noch Babel genannt werden durfte. Für diese Pantomime griff Zirkusdirektor Albert Schumann auf vielfältige Weise aktuelle gesellschaftspolitische Themen auf. In einer Akte der Berliner Theaterpolizei über Circus Schumann befindet sich das Szenarium für das Stück.179 Die Pantomime trug den Untertitel Die Pracht, der Untergang und die Wiederentdeckung des Wunderreiches Babylon. Eine Wanderung durch 8 Jahrtausende in Form einer großen Pantomime und bildete den zweiten Teil einer abendfüllenden Zirkusvorstellung.
In Babel reiste das Zirkuspublikum in sechs Akten und elf Bildern durch mehrere Jahrtausende zurück in die Stadt Babylon, wo damals die Königin Semiramis herrschte, die Keilschrift erfunden und der Turm von Babel gebaut wurde. Auch den Untergang Babylons erlebten die Zuschauer:innen laut Zensurunterlagen in der Aufführung. Schuld an der Katastrophe war Sardanapel, der Gatte von Semiramis, der „verbotene Früchte“ – gemeint waren andere Frauen – gekostet hatte. Semiramis’ Schmerz über die Untreue ihres Mannes war so groß, dass sie mithilfe von Schlangengift Suizid beging. Daraufhin richtete Sardanapel das Königreich in einem orgienhaften Fest zugrunde. Nachdem die „Weltenuhr“ (ein szenografisches Element) wieder nach vorne gedreht worden war, befand sich das Publikum im sechsten Akt erneut in der Gegenwart: Gezeigt wurde ein Professor, der am Euphrat nach Spuren vom alten Babylon sucht. Der Euphrat war ebenfalls in die Inszenierung eingeplant, um kurz vor dem Ende der Aufführung in einer „Großen Schluss-Apotheose“ die Arena mit der bereits vorgestellten Technologie in ein Wasserbecken verwandeln und entsprechend bespielen zu können. Die Zeitsprünge im Stück wurden jeweils von einem Herold, gespielt von dem Schauspieler Alfred Lux, und einem Famulus August, verkörpert durch den Clown Adolf Ferdinand Wohlbrück, angekündigt.180
Die Inszenierung verhandelte den damals aktuellen „Babel-Bibel-Streit“. Ausgelöst hatte den Disput Friedrich Delitzsch, Assyriologe und Leiter der Vorderasiatischen Abteilung der Königlichen Museen in Berlin. Nach seiner Beteiligung an den archäologischen Ausgrabungen in Babylon um die Jahrhundertwende führte er in einem Vortrag im Januar 1902 die Schilderungen des Alten Testaments auf babylonische Vorlagen zurück. Die darauffolgenden Debatten zwischen Theolog:innen und Geschichtswissenschaftler:innen verhalfen den Ausgrabungen zu öffentlicher Bekanntheit und mündeten in einer Besprechung des akademischen Streits in zahlreichen Presseberichten.181
In der Zirkuspantomime sollte laut Szenarium auch das „Vordringen der deutschen Kultur“ dargestellt werden, und zwar mit dem Bau der sogenannten Bagdadbahn.182 Im Juli 1903 – also ein halbes Jahr vor der Premiere – war der erste Spatenstich für den Bau der Bahnstraße zwischen der Stadt Konya und Bagdad erfolgt. Das im Szenarium beschriebene „Vordringen der deutschen Kultur“ bezog sich unter anderem auf die Beteiligung deutscher Firmen wie Borsig, Krupp und Siemens am Bau der Bahnstrecke. In dem maßgeblich vom Deutschen Kaiserreich getragenen Projekt kam auch die – ab den 1890er Jahren von Wilhelm II. geprägte – sogenannte Weltpolitik und der damit verbundene imperiale Wettstreit der europäischen Großmächte zum Ausdruck.183 Die Pantomime Babel verhandelte die imperiale und koloniale Expansion des Deutschen Kaiserreichs unhinterfragt beziehungsweise sogar begrüßend.
Ideengeber der Inszenierung war Alexander Moszkowski, Herausgeber der Satire-Zeitschrift Lustige Blätter.184 Außerdem gibt das Programmheft Auskunft über die beteiligten Künstler:innen, deren Können in die Handlung eingebaut wurde.185 Der Clown Bébé Guillaume (bürgerlich: Cesare Guillaume, Bruder des Clowns Antonet, der seinerseits bekannt wurde als Bühnenpartner von Grock), übernahm die Rolle eines Schriftgelehrten.186 Semiramis und Sardanapel wurden von einem Künstlerduo namens Hodgini gespielt. Aus dem Szenarium geht hervor, dass Semiramis in Babel als „reitende Amazone“ dargestellt werden sollte. Die Artist:in, die Semiramis spielte, muss demnach ein:e Reitkünstler:in gewesen sein. Joé Hodgini, in Babel in der Rolle von Sardanapel, war als Jongleur und Pferdedresseur bekannt.187 Die Handlung und die technischen Fertigkeiten der Zirkuskünstler:innen wurden in den Zirkuspantomimen miteinander verflochten beziehungsweise in der Konzeptionsphase zusammengedacht. Dies verdeutlicht etwa die Stelle im Szenarium von Babel nach Semiramis Befehl, den Turm aufzubauen: „Auf einem Stierwagen wird das Baumaterial herbeigefahren. Eine sinnreiche Holzkonstruktion zum immer höher Schrauben. Der Turm von Babel wird gebaut. Akrobatische Evolutionen am Turmgerüst“.188 Das Turmgerüst diente also offensichtlich auch als Gerätschaft für akrobatische Bewegungsabläufe.
Im vierten Akt von Babel wurden aus der Zirkuskuppel die hängenden Gärten der Semiramis – laut Szenarium „ein schwebender Blumenhain“ – herabgelassen und später wieder hochgezogen. Überlieferungen über derartige szenografische Elemente und (mechanische) Konstruktionen illustrieren, dass die Zirkusinszenierungen den Bühnenraum in all seinen Dimensionen nutzten und bespielten. Im Szenarium von Babel findet sich außerdem immer wieder der Verweis, dass gewisse Szenen auf der Bühne präsentiert stattfinden, während zeitgleich andere in der Manege vorbereitet werden sollten. Vor den Wasserszenen am Ende wurde etwa ein „fröhlicher Reigen von Mädchen und Männern“ aus der Arena auf die Bühne choreografiert, während auf letzterer gleichzeitig schon die Bagdadbahn zu sehen sein sollte. Auch in anderen Zirkusinszenierungen wurden die beiden Spielflächen mit ihren unterschiedlichen räumlichen Grundformen miteinander verbunden oder gleichzeitig bespielt.
In der zeitgenössischen Presse wurde die Inszenierung Babel als äußerst prachtvoll und als großer Publikumserfolg beschrieben. Das Stück sei „umfangreich“ und „szenisch kompliziert“, mit verschiedensten Beleuchtungseffekten und insgesamt äußerst aufwendig ausgestattet gewesen – und zwar durch die Berliner Firma Hugo Baruch.189 Der Name des Unternehmens mit weiteren Niederlassungen in London und New York stand um 1900 synonym für Ausstattungsluxus.190 Auch die Ballette, choreografiert von dem italienischen Ballettmeister Giovanni Pratesi, wurden von der Berichterstattung positiv besprochen.191 In den Rezensionen war jedoch auch zu lesen, dass ein so ernstes Thema wie der „Babel-Bibel-Streit“ eigentlich nicht in einen Zirkus gehöre. Interessanterweise gestanden dieselben Zeitungsberichte Schumann jedoch zu, ein „vernünftiges und sinnreiches“ sowie „modernes Zirkusschausstück“ auf die Bühne und in die Arena gebracht zu haben.192
Exkurs: Sprache auf der Zirkusbühne
Zirkuspantomimen waren nicht zwingend stumm.193 So findet man etwa in der „Ergänzung zum Scenarium“ von Babel „das vollständige Textbuch der gesprochenen Worte“.194 Darin wird ausgeführt, dass „[d]ie Worte des gesprochenen Textes […] naturgemäss bei einer Circus-Pantomime nicht als so feststehend angesehen werden [können] wie in einem Theater-Schauspiel“ und dass „[e]ventuelle Kürzungen, Improvisationen etc. im Sprechtexte […] für die Zeit der Proben vorbehalten [bleiben]“.195 Außerdem geht aus der Ergänzung hervor, dass die Figur Famulus August in der Inszenierung Berlinerisch sprechen und die Figur des Herolds von einem Schauspieler übernommen werden sollte, „der über ein starkes, wohlklingendes Organ verfügt“.196 In den Presseberichten über Babel ist von Mienenspiel, den vom Herold gesprochenen Versen und den begleitenden Reden vom Famulus August die Rede – es bleibt jedoch unklar, ob viel Text in die Inszenierung einfloss oder ob der Zensor das Sprechen in dieser Zirkuspantomime weitgehend verhinderte. Im Rahmen der geltenden Theatergesetzgebung war gesprochener Text in den Zirkusspielstätten jedenfalls keine Selbstverständlichkeit. Am 4. Dezember 1903 – also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erstaufführung von Babel – wurde Schumanns Konzession mithilfe anwaltlicher Unterstützung „auf Pantomimen mit verbindendem Text, eingeflochtenen kurzen dramatischen Szenen und musikalischen Einlagen ausgedehnt“.197
In einem Brief an die Berliner Polizei vom 7. Februar 1913 beschrieb Albert Schumann die „von einem anerkannten Schriftsteller, wie Alexander Moszkowski es ist“, verfasste Pantomime Babel als „entscheidende Wendung“ in seinem Repertoire.198 Damit spielte der Zirkusdirektor auf die nunmehr zehnjährige Praxis der Inszenierung von Dialogen in seinen Zirkuspantomimen an. Mit dem Schreiben versuchte er, die Theaterpolizei davon zu überzeugen, die Beschränkungen für gesprochenen Text aufzuheben, um „die rein artistischen Leistungen dem Publikum durch Wort, Bild und Musik geistig näher zu bringen“.199 Paul Busch hingegen versuchte, das Berliner Polizeipräsidium mit dem Argument einer (vermeintlich) veränderten Sehgewohnheit für sein Anliegen zu gewinnen: Das Publikum wolle neuerdings auch geistige Inhalte und genau „zu diesem Zwecke“ müsse er für seine Pantomimen „sprechende Künstler in beliebiger Zahl und ohne Beschränkung des Textes heranziehen“ können.200 Jedoch beabsichtige er nicht, „gesprochene Ausstattungsstück[e]“ mit Schauspieler:innen wie im ‚Theater‘ aufzuführen, sondern Inszenierungen mit „großen technischen Effekten“, die ein „harmonisches Gesamtbild“ aus zirzensischen Künsten und Dialogen abgeben sollten.201 Dafür müsse seine Konzession erweitert werden – denn es solle, so die Argumentation Buschs, nicht zu einer „völlige[n] Abstumpfung des Publikums“ kommen.202 Die Direktionen von Busch und Schumann argumentierten also, dass sich mittels Sprache auch Bildung vermitteln ließe, und schrieben sich damit in den vom Schauspiel bekannten Aufwertungsdiskurs der damaligen Zeit ein.
Nicht nur Circus Schumann, auch Circus Busch versuchte in den 1910er Jahren, mithilfe von Juristen – Ende Dezember 1911 mandatierten die beiden Konkurrenten sogar denselben Anwalt – ihre Konzessionen auf Pantomimen mit beliebig viel gesprochenem Text ausdehnen zu lassen.203 Die Polizei lehnte die Gesuche ab. Laut einem Zeitungsausschnitt aus der Berliner Morgenpost vom 7. März 1912 gab Paul Busch daraufhin auf: „Die Verwaltung des Zirkus Busch erklärt, daß sie […] beabsichtigt, die Sprechrollen wieder einzuschränken und zur reinen Pantomime zurückzukehren, da sich bei der theatermäßigen Aufführung Schwierigkeiten ergeben haben, die die Mühe nicht wert sind.“204 Möglicherweise handelte es sich dabei um eine strategische Verlautbarung zur Besänftigung der Theaterpolizei. Denn für die Pantomime Pompeji (s. Abb. 14 u. 15) hatte Circus Busch wieder Text vorgesehen, der jedoch in der Konzeptionsphase der Pantomime im Jahr 1913 gestrichen wurde, da es deswegen erneut zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war.205
Aufnahmen aus den Proben für die Pantomime Pompeji (1913) bei Circus Busch. Fotos: Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Warum die Aufführung von Zirkuspantomimen mit gesprochenen Dialogen gerade in den 1910er Jahren derart umstritten war, wird im zweiten Kapitel zu klären sein (s. Kapitel 2.4.3). Wie Albert Schumann in seinem Schreiben an die Polizei vom 7. Februar 1913 anmerkte, hatten die Berliner Zirkusgesellschaften bereits Mitte des 19. Jahrhunderts Pantomimen im Programm, „welche eine bestimmte dramatische Handlung mit dem im Circus üblichen Mitteln vorführen.“206 Schumann nannte als Beispiele die bekannte Pantomime Mazeppa wie auch die Pantomime Die Lustigen Heidelberger (Uraufführung 1884) von Circus Renz, bei der bereits „erstklassige choreographische und schauspielerische Kräfte engagiert“ worden seien.207
1.3.3 Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., Circus Busch, 1911
Kurz vor Ende der Berliner Zirkussaison brachte Circus Busch am 29. April 1911 die „neue große Frühjahrs-Pantomime“ mit dem Titel Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV. heraus.208 Sie widmete sich einer historisch-heroischen Figur und bestach unter anderem durch ihre aufwendige technische Ausstattung sowie das Mitwirken von international bekannten Clowns. Anhand dieses Inszenierungsbeispiels lässt sich gut aufzeigen, welche Themen dem Berliner Zensor missfielen. Laut Textbuch, das sich in den Akten der Berliner Theaterpolizei befindet, war die „Original-Ausstattungs-Pantomime“ von Georg Burckhardt-Footit verfasst worden. Burckhardt-Footit, Schwiegersohn des Zirkusdirektors, ersetzte ab 1898 Constanze Busch, die jung verstorbene künstlerische Leiterin des Unternehmens und Partnerin Paul Buschs.209
Bei Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV. handelte es sich um eine Pantomime in fünf Akten, in der, wie im Vorwort des Textbuchs zu lesen ist, Folgendes im Vordergrund stand:
Unsere Pantomime zeigt uns den König nicht in großen Staatsaktionen. Sie führt den Herrscher nur vor, wie er einer Geliebten zu Ehren Jagden und Feste veranstaltet. Wir […] sehen an seiner Seite eine der Frauen, die mit die grösste Bedeutung für die Regierung Ludwigs XIV. gewonnen hat (Madame Scarron), die nachmalige Marquise de Maintenon.210
Der erste Akt beginnt auf Bühne und Manege, wobei in der Manege – eine Waldlichtung – reges Treiben anlässlich eines Gelages für die Jagdgesellschaft von König Ludwig XIV. und seiner Geliebten herrscht. Unter „Trompetengeschmetter“ treten der berittene König und die in einer Sänfte getragene Madame Scarron auf.211 Laut einem Text von Paula Busch über Pantomimen wurde Ludwig XIV. gespielt von einem „unserer besten Mimen, Giuseppe Terzy“.212 Terzy war Paula Busch zufolge in jungen Jahren Reitkünstler gewesen und hatte bereits unter Constanze Busch begonnen, Rollen in Zirkuspantomimen zu übernehmen.213 Zur Unterhaltung des tafelnden Königs werden Tänze vorgeführt und Lieder von einem Chor aus Jägern vorgetragen.214 Die Liedtexte mussten ebenfalls bei der Theaterpolizei angemeldet werden. So wurde beispielsweise, passend zur Jahreszeit, gesungen: „Hell erstrahlt die Frühlingssonne, Neu belebt sich jedes Herz, Alles rings ist Glück und Wonne, Leicht vergessen jeder Schmerz“; oder „Vogelsang und Blumendüfte, ziehen jetzt durch Flur und Hain“.215 Im Textbuch sind außerdem kurze Dialoge wie der folgende enthalten:
‚Der König hat befohlen, dass auf Bären gejagt werden soll‘, sagt einer. ‚Auf Bären?!‘ tönt ihm, fast erschrocken, die Frage entgegen, ‚schreckt den König nicht die Gefährlichkeit solcher Jagd?‘ ‚Wer weiß‘, antwortet ein anderer ‚Jedenfalls geschieht es nur, um ihm Gelegenheit zu geben, sich vor seiner neuen Favoritin recht hervorzutun!‘216
Die Polizeibeamten schienen derartige Dialoge als gesprochenen Text in einer Pantomime zu akzeptieren, denn gestrichen wurden sie nicht. Dafür eine andere Stelle, auf die gleich genauer eingegangen werden soll.
Während des Fests im Wald im ersten Akt werden die komischen Figuren Blanchet, ein Hofkoch, und Lisa, eine Marketenderin, eingeführt, die sich in Streitereien verfangen. Als jedoch plötzlich die eigentlich zu jagenden Bären auftauchen und das Gelage auf der Waldlichtung in Chaos versetzen, flüchten sich Blanchet und Lisa auf den Rücken ihres Esels, wo sie sich eng umschlungen wiederfinden. Nach dem Jagdbefehl des ebenfalls verängstigen Königs, der jedoch seine Geliebte beindrucken will, „beginnt [e]ine verwegene Jagd […] über Stock und Stein. Kein Hindernis schreckt die Reiter. Jeder will jetzt seine Kunst im Sattel zeigen. Willig folgen die Pferde ihren Reitern, setzen über Baumstämme, Tische, Oefen, Bratspieße hinweg.“217
Der zweite Akt spielte im Park von Fontainebleau, der laut dem Premierenbericht in der Berliner Börsen-Zeitung „mit seinen üppigen Bosketts, seinen verschwiegenen Rendezvous-Plätzchen und statuenschimmernden Alleen“ präsentiert wurde.218 Im Park setzen sich Lisa und Blanchet – inzwischen schäkernd – auf eine Steinbank. Kurz vor Beginn des Liebesspiels wird Lisa „immer unruhiger. Ihre Augen blicken bald links, bald nach rechts, bald zu Boden, bald gen Himmel – dabei presst sie beide Hände auf den Magen. ‚Hast du zuviel gegessen?‘ fragt Blanchet indiskret.“219 An dieser Stelle sollte Lisa eigentlich ohne zu antworten hinter der Steinbank verschwinden, um etwas zu tun, das im Textbuch nicht benannt wird und das die Zuschauer:innen auch nicht hätten sehen können. Doch zieren an dieser Stelle vier dicke, violette Striche das Textbuch, weil der Berliner Theaterpolizei diese Szene offenbar nicht genehm war.
Laut Textbuch hätte Lisas Verschwinden hinter der Bank in Blanchet den Gedanken hervorgerufen, „sie fürchte sich vor seiner Liebesglut“.220 Was Lisa unterdessen tatsächlich hinter der Steinbank getan hätte, wäre der Fantasie der Zuschauer:innen überlassen gewesen – angeregt durch den in diesem Moment vorgesehenen Auftritt von Villeroy, dem Kunstbeauftragen am Hofe Ludwigs. Villeroy hätte sich die Statuen im Park angeschaut, wäre dabei aber von etwas nicht näher Benanntem so sehr irritiert worden, dass er Parfüm auf sein Taschentuch hätte träufeln müssen. Nach seinem Abgang wäre dann Lisa wiederaufgetaucht, doch wäre auch der zweite Versuch eines Schäferstündchens mit Blanchet verhindert worden – diesmal durch den Auftritt eines anderen Liebespärchens. Zensiert wurden hier folglich keine politischen Äußerungen. Die Theaterpolizei agierte vielmehr, wie in vielen anderen Fällen, als Hüterin von Anstand und Moral. Die Szene mit Lisa hinter der Steinbank, die dem Publikum vermutlich suggerieren sollte, die Protagonistin würde dort ihren Darm entleeren, sowie das angehende Liebesspiel von Blanchet und Lisa schienen die Grenzen des guten Geschmacks eindeutig zu überschreiten.
In der zensierten Version lösen sich Lisas Magenschmerzen prompt in großer Heiterkeit auf. Vor lauter Lachen stößt sie sogar eine der Statuen im Schlosspark von ihrem Sockel, die am Boden zerschellt. Da just in diesem Moment die Hörner der nahenden Jagdgesellschaft erklingen, ist schnelles Handeln gefragt: In Blanchets Ersatz-Kochbekleidung stellt sich Lisa statt der Statue auf den Sockel. Blanchet, der nicht weiß, wohin, stürzt eine zweite Statue vom Sockel und nimmt ebenfalls deren Platz ein. Im Anschluss kommt es zu diversen Verwechslungen mit den beiden überraschend lebendigen Statuen, die alle Beteiligten in Schrecken versetzen und in die Flucht schlagen, sodass Lisa und Blanchet mit dem Esel von dannen ziehen können. Laut der Berichterstattung in der Berliner Börsen-Zeitung sorgten die beiden Figuren für viel Heiterkeit, die „stets bei den Pantomimen des Zirkus Busch“ vorhanden war.221 Ein Bericht in der Vossischen Zeitung verrät, von wem Blanchet und Lisa gespielt wurden: „Den humoristischen Teil der Pantomime stellen einige komische Szenen im Park von Fontainebleau dar, für die sich die vortrefflichen Clowns Fratellini ins Zeug legen“.222 Ob für Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV. alle drei Fratellini-Brüder engagiert wurden, ist unklar. Ab 1909, nach dem Tod von Louis Fratellini, bildeten François, Paul und Albert das Trio, mit dem sie unter anderem durch Engagements bei Circus Busch und Schumann internationalen Ruhm erlangten.223 Möglicherweise wurde Blanchet von François, dem Weißclown, gespielt und Lisa von Albert, dem Augustclown.224 Und vielleicht trat Paul in der Rolle Villeroys als Vertreter der elitären, bildenden Kunst auf.225
Im dritten Akt fand dann die eigentliche Jagd statt. Die Bären wurden dabei ins Wasser getrieben – Hunde, Pferde und Reiter:innen sprangen ihnen nach. Dem Textbuch ist diesbezüglich zu entnehmen: „Ross und Reiter verschwinden in dem See, dessen Wasser hoch aufspritzt. Aber gleich darauf tauchen sie wieder empor und durchschwimmen die beträchtliche Strecke bis zum anderen Ufer.“226 Paula Busch schilderte die Inszenierung dieser Szene rückblickend folgendermaßen:
Alle Kavaliere der Jagdgesellschaft mußten auf ihren Pferden von einer als Felsplatte kaschierten Anhöhe in die mit Wasser gefüllte Arena springen. Da das Bassin 4 m tief war, konnten sich die Pferde keinen Schaden tun und schwimmend die gegenüberliegende Rampe erreichen. Als einzige Dame wagte auch die berühmte Wasserminna, als fesche Marquise kostümiert, diesen Sprung im Damensitz.227
Der Bericht in der Vossischen Zeitung bestätigt diese spektakulär anmutende Erinnerung von Paula Busch: „In einem anderen Bilde wird die Bärenhatz vorgeführt, auf der die Jäger über Berg und Tal jagen, ja sogar den das Wasser durchschwimmenden Bären folgen“.228 Die „Wasserminna“, mit bürgerlichem Namen Minna Schulze, war eine berühmte Schwimmkünstlerin – heute würde man sie wohl als Stuntwoman bezeichnen –, die zwischen 1900 und 1920 in zahlreichen aufsehenerregenden und auch gefährlichen Wasserszenen der Zirkuspantomimen von Circus Busch auftrat.229 Die Wasser- beziehungsweise Schwimmszenen dienten übrigens häufig auch als Vorwand für Entkleidungsnummern weiblicher Akteur:innen.230
Im vierten Akt mit dem Titel „Pagenschule“ ordnete der Sonnenkönig eine Generalprobe für das „große Ballet“ mit anschließenden Fechtkämpfen an, an der er als „leidenschaftlicher Tänzer“ auch selbst teilnahm.231 Geübt wurde bei diesem Testdurchlauf für das Fest im letzten Akt, das der König zu Ehren seiner Geliebten veranstaltete. Einer Anzeige von Circus Busch am Premierentag in der Berliner Börsen-Zeitung ist zu entnehmen, dass die Zuschauer:innen „Ballets einstudirt von Herrn Balletmeister Richard Riegel“ und „Musik von Herrn Kapellmeister Taubert“ erwarteten.232 Beide arbeiteten jahrzehntelang für Circus Busch.233 Riegel, geboren 1854, war als Solotänzer und Mime am Victoria-Theater in Berlin und später als Ballettmeister in Sankt Petersburg tätig. Bekannt wurde er durch seine Inszenierungen von Zirkuspantomimen bei den Gesellschaften Gotthold Schumann, Ciniselli und Wulff, die sich laut Karl Döring durch eine burleske Komik auszeichneten. Dem Programm zufolge führte Riegel in Berlin außerdem eine Ballettschule.234 Auch die Musik, arrangiert von den jeweiligen Kapellmeister:innen, war für die Pantomimen von Bedeutung. Um es mit den Worten Karl Dörings zu sagen: Die „[…] meist sehr geschickt zusammengestellte Musik“ der Zirkuspantomimen bot „den Pantomimisten eine Richtschnur für ihre Bewegungen“.235
Für den letzten Akt waren „[d]ie 300 spielenden Wasserkünste und die Riesen-Mittel-Fontaine“ sowie „[d]er Wassersturz aus der Höhe der Zirkuskuppel“ mit Projektionen von Willy Hagedorn angekündigt.236 Paula Busch beschrieb „die in allen Farben erleuchteten Fontänen und Wasserspiele von Versailles“ als „herrlich und unübertroffen“.237 In der Vossischen Zeitung war am Tag nach der Premiere zu lesen: „Für das letzte Bild […] sind die Haupteffekte aufgespart. Tänze und Gruppirungen anmutiger Gestalten in Prachtgewändern, Licht- und Wasserkünste von überraschender Schönheit bieten dem Auge immer wieder neue Reize.“238 Die üppigen Dekorationen und Kostüme stammten laut der Programmanzeige von den Firmen Hugo Baruch & Co sowie Verch & Flothow.239 Der Rapport eines Aufführungsbesuchs der Berliner Theaterpolizei vom 19. November 1911 belegt, dass der Zirkus Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV. auch in der Saison 1911/12 noch im Repertoire hatte. Selbiger Bericht lässt vermuten, dass die Inszenierung beim Publikum nach wie vor gut ankam – zumindest war die besuchte Vorstellung laut Rapport „ziemlich ausverkauft“.240
Circus Busch hatte bereits in den 1890er Jahren eine Wasserpantomime mit dem Titel König Ludwig XIV. und seine Abenteuer im Programm gehabt, die im Jahr 1892 in München und Wien zum ersten Mal aufgeführt worden war. Laut Katalin Teller, die in ihrer Habilitationsschrift die Vorläufer der Pantomime Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV. bespricht, handelt es sich bei König Ludwig XIV. und seine Abenteuer um eine Adaption von La vie parisienne à Trouville und La vie parisienne aux bains de mer de Trouville – Inszenierungen, die Circus Busch 1891 in Hamburg, Kopenhagen und Brüssel präsentierte und 1892 auch in Wien aufführte.241 Im Jahr 1894 trug die gleiche Pantomime bei Circus Busch dann den Titel Abenteuer am Hofe zu Versailles. Rund 15 Jahre später kam, wie gesehen, im Frühjahr 1911 die Inszenierung Ein Jagdfest am Hofe Ludwigs XIV. in Berlin erstmalig auf die Bühne. Zwei Jahre darauf wurde diese Pantomime auch dem Wiener Publikum präsentiert.242
Teller setzt sich in ihrer Arbeit kritisch mit den Rezensionen der Sonnenkönig- und Aristokratie-Wasserpantomimen auseinander.243 Sie stellt beispielsweise fest, dass das Jagdfest am Hofe Ludwigs XIV. in der liberalen Zeitung Der Morgen 1913 lobend besprochen wurde und wirft die Frage auf, ob es sich bei der Rezension nicht um einen Pressetext des Circus Busch handelte. Mit Sicherheit versuchten die Zirkusdirektionen Einfluss auf die Presse zu nehmen, um ihre Aufführungen zu bewerben.244 Doch selbst wenn die Rezensionen abgedruckte Pressetexte der Zirkusdirektion gewesen sein sollten, sagen sie etwas über die Pantomime und die Art des Inszenierens zur damaligen Zeit aus: Das Leben am Hofe des Sonnenkönigs wurde mit einem spezifischen Fokus inszeniert, der bereits im Textbuch angekündigt wurde. Ihre Faszination schien die Pantomime durch die opulente Ausstattung, die technischen Effekte, die humoristischen Szenen und sicherlich auch durch die Inszenierung des höfischen Lebens auszuüben.
Ein Jagdfest am Hofe Ludwigs XIV. verdeutlicht, wie die Zirkusgesellschaften die Pantomimen in ihrem Repertoire immer wieder aufgriffen, anpassten und mit anderen, teilweise ähnlichen Titeln versahen.245 Circus Renz hatte 1847 beispielsweise eine Pantomime unter dem Titel Graf Polowsky oder die Verbannung Mazeppas und im Jahr 1890 Mazeppa’s Verbannung oder: Die Rache des Grafen Rottof im Programm.246
1.3.4 Zirkuspantomimen, Ausstattungsballette, Manegenschaustücke
Bei der Vorstellung der Inszenierungsbeispiele von Circus Renz, Circus Schumann und Circus Busch wurde bereits implizit darauf hingewiesen, dass es für Zirkuspantomimen keine feststehende Gattungsbezeichnung gab. Diamantine bei Circus Renz wurde als Ausstattungsballett angekündigt, Babel bei Circus Schumann als Ausstattungspantomime und Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV. schlicht als Pantomime. Die verwendeten Bezeichnungen signalisierten keine genauen Kategorien oder Gattungskriterien: „Ausstattungspantomimen, Ausstattungsstücke, Manegeschaustücke [sic!], Mimodramen oder, spezifischer, Militär- und Divertissement-Pantomime – eine konsensuelle Bezeichnung für die Gattung gibt es und gab es nicht […].“247 Der französische Theater- und Filmwissenschaftler Patrick Désile begreift „Pantomime“ als Oberbegriff für Inszenierungen, die auch als Melodramen, Tableaux, Feerien, Vaudevilles usw. angekündigt wurden. Die Bezeichnungen wurden flexibel gemäß den Trends im Bereich der darstellenden Künste genutzt und fußen auf den gängigen Vokabeln, mit denen im 19. Jahrhundert darstellende und narrative Formate unterschieden und hierarchisiert wurden.248 So divers wie die Bezeichnungen waren auch die Inhalte von Zirkuspantomimen.
Für den deutschsprachigen Raum existiert eine von Karl Döring erstellte Auflistung der Arten von Zirkuspantomimen nach primär inhaltlichen Kriterien:
I. Die historische Pantomime. II. Die historisch-militärische Pantomime. III. Die mythologisch-phantastische Pantomime. IV. Die romantische Pantomime. V. Die Märchen-Pantomime. VI. Die exotische Pantomime. VII. Die Sport-Pantomime. VIII. Pantomime aus dem deutschen Volksleben. IX. Die Ausstattungs-Pantomime. X. Die Burlesken- und Clown-Pantomime.249
Im Folgenden sollen drei der Kategorien – die historische, die historisch-militärische und die exotische Pantomime – noch kurz beleuchtet werden.250
Zirkusse griffen, dies belegen die Titel zahlreicher Pantomimen, häufig historische Stoffe auf – so auch im Fall von Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV. Als historische Pantomimen sind Adaptionen und Inszenierungen sowohl von in der Vergangenheit liegenden als auch von mehr oder weniger aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen zu verstehen. Circus Renz brachte beispielsweise im Februar 1866 mit rund 100 Darsteller:innen die Pantomime Episoden aus dem Schleswig-Holstein’schen Kriege und Erstürmung der Düppeler Schanzen in elf Szenen auf die Bühne.251 Dabei handelte es sich um zirzensisch inszenierte Rückblicke auf den zwei Jahre zuvor begonnenen und bis Oktober 1864 andauernden Deutsch-Dänischen Krieg. Die Zirkusse vermittelten mit ihren Inszenierungen, wie auch andere Theaterspielstätten, Aktualität und machten Öffentlichkeit erfahrbar – natürlich unter einem jeweils spezifischen Gesichtspunkt. Das trifft auch für Babel zu: Die Pantomime (Premiere: Ende 1903) thematisierte sowohl den zu Beginn des Jahres 1903 entfachten „Bibel-Babel-Streit“ und die von der Deutschen Orient-Gesellschaft getragenen Ausgrabungen in Babylon seit 1899 als auch den Bau der Bagdadbahn (Spatenstich: Juli 1903).252 Auch aktuelle Ereignisse wurden häufig als historische Pantomimen angekündigt.253 Derartige Geschichtsinszenierungen dienten als Anknüpfmöglichkeiten an öffentliche Debatten und bildeten gleichzeitig eine Projektionsfläche für politische und gesellschaftliche Themen, die im jeweiligen Kontext große Aktualität besaßen. Häufig gingen derartige Inszenierungen mit einer Heroisierung bestimmter Figuren einher. Auch historische militärische Ereignisse wurden in zahlreichen Pantomimen verarbeitet. Bei Circus Renz feierte im November 1850 etwa Die Erstürmung von Constantin Premiere. Der Titel verweist auf die Erstürmung Konstantinopels im Jahr 1453. Bei dieser Zirkusinszenierung handelte es sich um eine „[g]roße historische Pantomime […] vom Gesammtpersonal ausgeführt mit 40 Pferden und 150 anderen Personen, Cavallerie, Infanterie und Artillerie, […] arrangirt vom Pantomimenmeister Herrn Lepicq, unter Benützung der Bühne“.254
Reenactments militärischer Ereignisse gehörten seit der Institutionalisierung des modernen Zirkus im späten 18. Jahrhundert zur Aufführungspraxis von Zirkusgesellschaften. Insbesondere Astley’s Amphitheatre in London sowie der Pariser Cirque Olympique waren bekannt für ihre großangelegten Militärspektakel, wenngleich beide Unternehmen auch gänzlich andere Zirkuspantomimen im Programm hatten.255 Besonders beliebt waren die napoleonischen Schlachten mit einem Großaufgebot an Pferden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde beispielsweise alljährlich in Astley’s Amphitheatre ein Reenactment vom Battle of Waterloo mit hunderten Beteiligten, zahlreichen Pferden, Kanonenschüssen und Qualm aufgeführt.256 Häufig besaßen diese historisch-militärischen Pantomimen – in einer Zeit, in der sich vielerorts in Europa Nationalismen und Nationalstaaten formierten, die fortan das gesellschaftliche sowie kulturelle Leben maßgeblich bestimmten – einen patriotischen Impetus. Nicht umsonst stand etwa der Cirque Olympique in der Gunst des französischen Gesetzgebers. Bei Circus Renz hatte am 27. April 1871 das Stück Der tapfere Ulan und sein treues Roß Premiere.257 Renz nahm dieses „Reiter-Gefecht“ in sein Programm auf, nachdem Frankreich schon de facto besiegt, der Deutsch-Französische Krieg aber noch nicht offiziell beendet war. Bobby Barell hat darauf hingewiesen, dass diese Inszenierung auf einer bereits bestehenden, erfolgreichen Pantomime basierte, die Renz durch „eine angeblich wahre Begebenheit aus dem derzeitigen Kriege“ aktualisierte: „Ein tolles Scharmützel ging der Szene voraus, bei der die Franzosen verdroschen wurden, wie noch nie und damit hatte Renz schon den Haupterfolg in der Tasche.“ Diese Zirkuspantomime habe „nationale Gefühle aufwallen“ lassen.258 Bei manchen Zirkuspantomimen wirkten auf behördliche Anweisung hin sogar Militärangehörige mit. Beispielsweise traten im Jahr 1900 in Die eiserne Maske bei Circus Busch in jeder Vorstellung 40 Bläser der Berliner Gardekürassiere auf.259 Die gesellschaftliche Bedeutung des Militärischen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland nicht zuletzt nach den Einigungskriegen gegen Dänemark, Österreich und Frankreich immens war, schlug sich nicht nur inhaltlich in den Zirkuspantomimen nieder, sondern auch in der bis heute bekannten Ästhetik der Zirkuskostüme: Zahlreiche Reiter:innen und Dresseur:innen treten bis heute im Militärtenue auf.260 Aus heutiger Perspektive betrachtet trugen die genannten militärischen Pantomimen sicherlich zur Bildung nationaler Narrative bei. Doch wäre es gewiss ebenfalls untersuchenswert, ob derartige Pantomimen die militärischen Ereignisse nicht auch ironisch oder parodistisch verhandelten.261
Nicht nur militärische Motive spielten damals in den Inszenierungen der Zirkusse eine Rolle. Die Zirkusunternehmen bedienten, ganz dem Zeitgeist entsprechend, vielfach auch kulturalistische Ideologien wie Exotismus und Orientalismus.262 Circus Renz nahm 1877 die erfolgreiche Pantomime Ein Afrikanisches Fest der Königin von Abessynien, die im Jahr 1875 Premiere gefeiert hatte, nochmals auf.263 Darin traten laut einem Bericht in der Berliner Börsen-Zeitung „eine Schaar von fünfzehn Nubiern“ auf.264 Einige von ihnen waren der Zeitung zufolge bereits zwei Jahre zuvor im Rahmen einer Völkerschau von Carl Hagenbeck in der Berliner Hasenheide präsentiert worden. Die ersten Völkerschauen des deutschsprachigen Raums gehen auf das Hamburger Tierhandel-Unternehmen von Carl Hagenbeck zurück, der ab 1874 auch Menschen von seinen Exkursionen mit nach Europa brachte.265 Neben der Einbindung Schwarzer Menschen in die Pantomime ließ Renz darin auch „Elephanten, Gazellen, Antilopen, Zebus, Giraffen, Lamas und Känguruhs“ auftreten, die er möglicherweise auch von Hagenbeck erworben hatte.266 Mit der Königin von Abessynien griff Renz – einmal mehr – ein hochaktuelles Thema auf. Die Pantomime spiegelte nicht nur die entsprechenden gesellschaftlichen Diskurse wider, sondern affirmierte diese auch. Ab den 1880er Jahren waren Ausstellungen von Menschen, die als kulturell fremd markiert wurden, fester Bestandteil kultureller Angebote im Deutschen Kaiserreich – und darüber hinaus. Exotismus und Orientalismus wurden zusätzlich befeuert durch die deutschen Kolonialbestrebungen, die sich ebenfalls in den Zirkusprogrammen wiederfanden: Circus Renz hatte ab 1889 beispielsweise die Pantomime Im dunklen Erdteil oder die Einnahme von Bagamoyo im Programm.267 Wie der Titel bereits andeutet, handelte die Inszenierung von der Eroberung der ostafrikanischen Stadt Bagamoyo, die zwischen 1885 und 1896 Hauptstadt von Deutsch-Ostafrika war.268 Circus Schumann wiederum bot 1892 die Pantomime Krieg im Zululande dar, deren Titel auf den bewaffneten Konflikt zwischen den Zulu und den britischen Kolonisatoren im Jahr 1879 verweist.269 Und bei Circus Busch feierte im September 1913 die Pantomime Aus unseren Kolonien Premiere.270
Eine wichtige Kategorie fehlt indes in der Auflistung von Döring: die Adaption – oder anders formuliert: ein Best-of – bekannter Stoffe und Figuren aus Opern und Dramen.271 Circus Renz etwa kündigte zu Beginn des Jahres 1857 eine Nummer mit dem Titel Der Geist des Hamlet an, die laut Beschreibung von einem Komiker namens Stonette dargeboten wurde.272 Und Circus Schumann hatte im Jahr 1900 – also zu einem Zeitpunkt, als Faust längst eng mit der Bearbeitung des Stoffes durch Goethe verbunden war – unter anderem die Pantomime Doktor Faust im Programm. Laut Programmheft handelte es sich bei dem Zirkus-Faust um eine Inszenierung in drei Akten, wobei das Schützenfest im zweiten Akt in die „Entführung des Dr. Faust durch Mephistoteles und Mephistotela“ mündete.273 Auch die Zauberflöte wurde immer wieder von Zirkusgesellschaften aufgeführt, etwa im Jahr 1850 südlich von Rostock durch die niederländische Gruppe um Mark van Oss. Ein entsprechender Anschlagzettel gibt darüber Auskunft: „Zum Schluß der Vorstellung Die Zauberflöte, große theatralische Pantomime in 2 Abtheilungen nach der Oper gleichen Namens“.274 Im Pariser Hippodrome du Champ-de-Mars wurde La Flute enchantée 1896 als dritter Teil des Programms beziehungsweise als komische Pantomime in zwei Akten unter Beteiligung des Clownsduos Footit und Chocolat und eines 40-köpfigen Orchesters aufgeführt.275 Ende des 19. Jahrhunderts bildeten insbesondere im deutschsprachigen Raum auch die Nibelungen häufig eine Grundlage für Zirkuspantomimen. Ab 1869, das heißt ab der Uraufführung einzelner Teile des Ring des Nibelungen in München, war der Opernzyklus untrennbar mit dem Namen Richard Wagner verknüpft.276 Wenige Jahre nach der aufsehenerregenden Uraufführung des gesamten Ring des Nibelungen 1876 in Bayreuth brachte im März 1879 Circus Salamonsky im Berliner Markthallenzirkus Die Nibelungen oder der gehörnte Siegfried als „Ausstattungsstück in drei Abtheilungen und drei lebenden Bildern mit Schlußapotheose, Ballet, Evolutionen, Kämpfen zu Fuß und zu Pferde“277 auf die Bühne. Auch in Leipzig sorgten im Mai 1879 zirzensische Nibelungen für Furore. Circus Renz inszenierte sie ebenfalls als großes Ausstattungsstück und reiste damit im Anschluss nach Hamburg und Wien. Dort präsentierte 1881 auch Circus Oscar Carré seine Version der Nibelungen.278 Und in Sankt Petersburg hatte Circus Ciniselli ab 1882 ebenfalls eine Nibelungen-Pantomime im Repertoire.279 Ganz anders als bei den Uraufführungen des Opernzyklus 1876 in Bayreuth beziehungsweise einzelner Teile davon 1869 in München lobten die Zeitungsberichte über die Nibelungen bei Circus Salamonsky und Renz die aufwendige Ausstattung sowie die technischen Effekte. Trotz allen Lobes schien es den Rezensent:innen höchst fragwürdig, ob Stoffe, die Wagner zu großen Opern verarbeitet hatte, von einem Zirkus aufgegriffen werden dürften. Die Zirkusgesellschaften überschritten mit der Adaption von Musikdramen offensichtlich eine allgemein anerkannte Grenze zwischen sogenannter ‚niedriger‘ und ‚hoher‘ Kunst.280
Die Bewertung dieser Grenzüberschreitungen schien die Zirkusse jedoch nicht weiter zu interessieren. Wie im Zusammenhang mit der Pantomime Diamantine weiter oben beschrieben, war die Mobilität etwa der Ballettmeister:innen zwischen den verschiedenen Bühnen hoch. Sie arbeiteten Opernballette rasch zu Balletten für die Varietétheater-Bühnen um.281 So hatte auch die Pantomime Harlekin à la Edison von Circus Renz ein Opernpendant: Bevor die Inszenierung im Herbst 1884 im Berliner Markthallenzirkus Premiere feierte, hatte die Wiener Hofoper ab April desselben Jahres Harlekin als Elektriker. Pantomime in 2 Abtheilungen auf dem Programm.282 Das Ballett mit einem Libretto von Julius Price und Musik von Josef Hellmesberger Junior befand sich auch im Jahr 1910 noch im Repertoire der Hofoper.283 Umgekehrt wurden auch Zirkusstücke von anderen Theaterspielstätten aufgegriffen, beispielsweise im Falle des Stücks Circus Stiefelmann oder Parodie unter Wasser aus dem Jahr 1891, das sich auf die erste Berliner Wasserpantomime Auf Helgoland bei Circus Gotthold Schumann im Circus Krembser ein Jahr zuvor bezog.284 Der für die Parodie gewählte Titel setzte die Kenntnis der Inszenierung bei Circus Schumann voraus. Es ist also davon auszugehen, dass diese einem breiten Berliner Publikum bekannt war.
***
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Zirkusunternehmen verarbeiteten in ihren Pantomimen – nicht nur im hier fokussierten Zeitraum, sondern weit darüber hinaus – auf unterschiedliche Weisen zeitgenössische gesellschaftliche Diskurse. Ihre technisch aufwendig ausgestatteten Inszenierungen bezogen sie häufig auf Themen und Ereignisse des öffentlichen Gesprächs und waren diesem manchmal sogar etwas voraus. Musik, Humor, Farben, Massenszenerien, körperliche Fertigkeiten und vielfältige visuelle Effekte, die in den Pantomimen durch eine übergreifende Dramaturgie verbunden waren, begeisterten die Zuschauer:innen. Die Zirkusaufführungen erforderten keinen bestimmten Bildungshintergrund, sondern richteten sich an ein heterogenes Publikum. In den Zirkusspielstätten bekamen die Zuschauer:innen Aufführungskonventionen sowie Themen und Stoffe geboten, die sie kannten und zu denen sie sich und ihre Erfahrung der Welt in ein Verhältnis setzen konnten. Die Berliner Zirkusse bestachen überdies durch eine immense Kreativität in ihren schnell wechselnden, aber auch vielfach variiert zusammengestellten Inszenierungen, die sie gekonnt vermarkteten: Sie zogen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts große Zuschauer:innenscharen an und wurden für die Spielstätten des Literaturtheaters aufgrund ihres Erfolgs zu einer bedeutenden Konkurrenz.
1.4 Rezeption im Spannungsfeld zwischen Anerkennung und Ablehnung
Ein Zeitungsausschnitt aus dem Berliner Tageblatt vom 22. Oktober 1887 gibt Auskunft darüber, dass Circus Renz in Breslau „Tag für Tag ausverkauft“ war. Weiter heißt es in dem Artikel: „Aus der Umgegend Breslaus treffen sogar wöchentlich mehrmals Extrazüge ein, welche eigens für die Cirkusbesucher arrangirt worden.“285 Die auf den vorangehenden Seiten vorgestellten Berliner Zirkusgesellschaften waren sehr erfolgreich, und dieser Erfolg war auch notwendig. Denn nur durch den großen Publikumszuspruch verfügten sie über ausreichend Kapital, um feste Spielstätten in verschiedenen Städten zu pachten, zu kaufen oder gar bauen zu lassen, diese technologisch immer wieder aufzurüsten und mit den aufwendigen, ressourcenintensiven Pantomimen zu bespielen. Einblicke in die Publikumserfolge bieten nicht nur Presseberichte, sondern auch Rapporte der Berliner Theaterpolizei. Im Folgenden interessieren neben der Auslastung der Berliner Zirkusspielstätten auch die Zusammensetzung und die Gepflogenheiten ihres Publikums. Denn im Vergleich zu den bürgerlichen, exklusiveren Theaterspielstätten erlaubte nur die Ausrichtung auf ein breites Publikum den Zirkussen, ihre Häuser zu füllen.
Während die Zirkusse vom Publikum eine sehr positive Resonanz erfuhren, stießen ihre Erfolge bei Literaturtheater-Verfechter:innen zumeist auf Ablehnung. Denn der – gewiss nicht nur durch Zirkusse verursachte – Konkurrenzdruck auf die Literaturtheater- und Opernhäuser war im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts groß. Blieb das Publikum aus, standen Konkurse und Schließungen der Betriebe bevor. Wie zu sehen sein wird, reagierten deren Vertreter:innen daher nicht selten mit Argwohn und Kritik auf den Erfolg der Zirkusse. Nicht zuletzt ist im Zusammenhang mit der Rezeption der Zirkuspraxis auch die Strahlkraft der Zirkusse und ihr Widerhall im urbanen Raum relevant.
1.4.1 Die Stadt als erweiterte Bühne
Die Zirkusse erzeugten im Berlin der Jahrhundertwende nicht nur mittels ihrer Aufführungen eine große Resonanz, sondern auch durch ihre Präsenz im öffentlichen Raum. Sie waren nicht nur mit ihren festen und monumentalen Spielstätten im Stadtzentrum präsent, sondern auch durch die öffentlichkeitswirksame Bewerbung ihrer Programme. Bekannt waren die Zirkusgesellschaften vor allem für ihre Straßenparaden. Insbesondere nach der Rückkehr von ihren Gastspielreisen verschafften sich die Berliner Zirkusgesellschaften Aufmerksamkeit mittels spektakulärer Umzüge – auf Elefanten reitend, mit Musik und Kostproben akrobatischer Sensationen – durch den städtischen Raum. Zudem engagierten sie häufig sogenannte Rekommandeur:innen, die eloquent und mit lauter Stimme auf die Programme hinwiesen.286 Gekonnt nutzten die Direktionen auch die neuen technologischen und medialen Reklamemöglichkeiten des späten 19. Jahrhunderts, insbesondere in Form von Plakaten.
Waren diese zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch in Schwarz-Weiß gehaltene, meist auf dem Buchdruckverfahren basierende Anschlagzettel gewesen, so hielten mit der Verbreitung des Steindrucks nach 1820 auch größere und farbige Lithografien Einzug in den urbanen Raum. Die aufsehenerregenden Lithografien der Zirkusse prägten die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts maßgeblich mit.287 Viele der Plakate von Renz, Busch und Schumann stammten aus der Lithographischen Anstalt von Adolph Friedländer in Hamburg. Die Druckerei wurde 1872 gegründet und druckte – ab 1883 mit einer Steindruck-Schnellpresse – bis zu ihrer Schließung durch das Naziregime 1935 (Friedländer war jüdisch) über 9000 Plakate insbesondere für Zirkusgesellschaften und einzelne Artist:innen. Friedländers Zirkusplakate waren ab 1890 mit einem herzförmigen Drucksignet gekennzeichnet.288 Einer der Großkunden des Unternehmens war ab den 1880er Jahren der ebenfalls in Hamburg ansässige Carl Hagenbeck. Laut Ruth Malhotra, die 1979 zahlreiche Abbildungen von Adolph Friedländers Zirkusplakaten publizierte, bildete die Zusammenarbeit des Hamburger Tierhändlers, Völkerschauen-Impresarios und Zirkusdirektors mit dem Drucker einen „rote[n] Faden durch das gesamte Schaffen Friedländers“.289 Vor diesem Hintergrund lässt sich erahnen, welch zentrale Rolle Zirkusgesellschaften an der Produktion von stereotypisierten Vorstellungen des kulturell ‚Fremden‘ hatten.290
Zu sehen waren die Lithografien unter anderem auf Anschlagsäulen, die laut Signor Domino eigentlich hätten „Renz-Litfaß-Säulen“ heißen müssen.291 Tatsächlich war der Berliner Drucker, Verleger und Publizist Ernst Litfaß, der 1845 die von seinem Vater gegründete Druckerei übernahm, mit Ernst Renz befreundet und soll auf dessen Anregung hin in Berlin einen Antrag auf die Bewilligung von „Annocier-Säulen“ im öffentlichen Raum eingereicht haben. In London und Paris war diese Werbeform bereits seit den 1820er beziehungsweise 1840er Jahren üblich. Ende des Jahres 1854 erhielt Litfaß die Erlaubnis des Polizeipräsidenten Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey zur Aufstellung von „Annocier-Säulen“ als Werbeflächen in Berlin. Diese sollten, insbesondere aus Perspektive des Polizeipräsidiums, auch der damals gängigen wilden Plakatierung entgegenwirken und der Behörde so eine Möglichkeit der Kontrolle über öffentliche Bekanntmachungen geben. Anders formuliert: Die Litfaßsäule diente auch als Zensurinstrument.292 Die Plakatsäulen fügten sich ein in ein weites Spektrum von Reklameflächen und Werbestrategien, die Ende des 19. Jahrhunderts im städtischen Raum entwickelt wurden. Von den „stationären Spielflächen der neuen Reklamewelten an Litfaßsäulen, Kiosken, Häuserfassaden und nicht zuletzt auf Dächern“ bis hin zu mobiler Werbung durch „sogenannte Sandwichmänner mit Anzeigetafeln vor dem Bauch und auf dem Rücken“ sowie „ambulante Zeitungsverkäufer oder Reklamewagen in allen Schattierungen“.293
Die Zirkusdirektionen nutzten sowohl stationäre als auch mobile Werbeflächen und -formen und schalteten insbesondere auch Programmanzeigen in der Lokalpresse. So schreibt der britische Kulturwissenschaftler Marius Kwint: „The key to any public-relations strategy was of course the press.“294 Die Berliner Zirkusdirektionen gaben vor Aufführungen Annoncen zur Bewerbung ihrer Programme in den Zeitungen auf und organisierten Presseeinladungen.295 Inwiefern die Unternehmen auch Einfluss auf Rezensionen der Aufführungen nahmen, ist unklar. Es ist jedoch bekannt, dass Zirkusse gegen Bezahlung Berichte über die Vorstellungen abdrucken ließen. Manche der gesichteten Rezensionen lassen sich anhand gewisser Formulierungen klar als redaktionelle Beiträge identifizieren, bei anderen ist durchaus vorstellbar, dass sie von den Zirkusunternehmen selbst verfasst wurden.296
1.4.2 „In dem ganzen riesigen Locale war keine Lücke zu entdecken“
Überlieferungen von gut ausgelasteten bis hin zu ausverkauften Zirkusvorstellungen finden sich in zahlreichen Zeitungsberichten. Über die Eröffnung des Markthallenzirkus 1879 unter Ernst Renz etwa vermittelt die Berliner Börsen-Zeitung folgenden Eindruck:
Die gestrige große Eröffnungs-Gala-Vorstellung des Circus Renz, die, wie buchstäblich auf den Zetteln gedruckt zu lesen war, ‚zur Feier der silbernen Hochzeit I.I.K.K.H.H. des Prinzen und der Prinzessin Friedrich Karl von Preußen‘ stattfand, hatte ein glänzendes Publicum in den weiten Zuschauerräumen versammelt. In dem ganzen riesigen Locale war keine Lücke zu entdecken, Kopf an Kopf füllte die Menge das Parquet, die Logen, die Tribünen, die Gallerien, ja selbst an dem Gebälke an den Wänden hatten sich einige kühne Besucher, die mit ihren Plätzen stiefmütterlich behandelt worden waren, emporgezogen pour corriger la fortune. Das schöne Geschlecht war im Verhältnis zum starken Geschlecht etwas spärlich vertreten, am meisten machten sich weibliche Toiletten, unter denen einzelne […] an den eclatanten Luxus der Subscriptionsbälle erinnerten, in den Logen bemerkbar, sie hoben sich, um in einem verwegenen Bilde zu sprechen, wie phantastische, lichte Wasserblumen auf einem dunklen Meer von Männerpaletots ab.297
Zirkusaufführungen waren ein gesellschaftliches Ereignis der besonderen Art – dies macht auch der Vergleich mit dem „eclantaten Luxus der Subscriptionsbälle“ deutlich. Die blumige Beschreibung gewährt jedoch nicht nur Einblicke in die Abendgarderobe und das Verhalten der Zuschauer:innen, sondern sie unterstreicht mit Formulierungen wie den „weiten Zuschauerräumen“ und dem „riesigen Locale“, das laut des Berichts lückenlos besetzt war, auch die große Zahl der anwesenden Zuschauer:innen.
Droschkenstau und Menschenströme im Stadtzentrum
Auch Rapporte in Polizeiakten belegen solch ausverkaufte Vorstellungen, wenngleich natürlich in deutlich trockenerem Stil. Die abgesandten Beamten der Berliner Theaterpolizei mussten jeweils vermerken, wie hoch die Auslastung des Zirkushauses in den Vorstellungen war. Darüber hinaus sollten die Rapporte auch festhalten, ob Sicherheitsmaßnahmen, etwa feuerpolizeiliche Vorschriften, respektiert wurden. In einer gesonderten Spalte galt es zudem einzutragen, ob Mitglieder des Königshauses die Vorstellung besuchten.
Die Polizei schien die Aufführungen nur stichprobenartig zu besuchen, und ob wirklich alle rapportierten Vorstellungen beziehungsweise die entsprechenden Formulare Eingang in die Akten fanden, lässt sich nicht überprüfen. In Anbetracht der Tatsache, dass für manche Jahre keine Aufführungsrapporte vorliegen, scheint dies eher unwahrscheinlich. Die Rapporte besitzen daher keinen repräsentativen Charakter, geben aber dennoch einen Einblick in die Auslastung ausgewählter Zirkusvorstellungen. Für den Zeitraum von 1883 bis 1917 konnten im Rahmen dieser Studie Rapporte von 30 Vorstellungen bei Circus Renz und Schumann im Markthallenzirkus sowie in der Spielstätte von Circus Busch gefunden und ausgewertet werden. Rund 75 Prozent der 30 Vorstellungen befanden sich im Spektrum von „gut besucht“ bzw. „ziemlich gut besucht“ bis „fast ausverkauft“ oder komplett „ausverkauft“. Sechs der rapportierten Vorstellungen waren „mittelmässig besucht“ und lediglich bei einer war das Haus laut Rapport nur zu „1/3 besetzt“.298 Bei Circus Renz bedeutete eine ausverkaufte Vorstellung die Anwesenheit von rund 4000, bei Circus Busch von rund 4300 und bei Circus Schumann von rund 5000 Zuschauer:innen.299 Die Berliner Schauspiel- und Opernhäuser hatten im Vergleich dazu mit durchschnittlich 1200 Plätzen wesentlich geringere Kapazitäten.300
Bezüglich der sieben rapportierten Vorstellungen bei Circus Renz im Markhallenzirkus fällt auf, dass während der Berliner Zirkussaisons 1882/83 und 1883/84 drei lediglich mittelmäßig besucht und keine ausverkauft war.301 In diesem Zeitraum wurden die Pantomimen Diamantine sowie Reinecke Fuchs‘ Schelmenstreiche und Der verliebte Koch gespielt. Außerdem war die berühmte Löwendompteurin Miss Senide für mehrere Auftritte engagiert.302 Für die Saison 1884/1885 finden sich dann vier Rapporte über gut besuchte bis hin zu ausverkauften Vorstellungen. Im Oktober 1884 wurde Harlekin à la Edison oder Alles elektrisch zum ersten Mal aufgeführt und ab Ende November wurde die Pantomime Die Lustigen Heidelberger gespielt, die zu einem Kassenschlager werden sollte.303 Über anderthalb Monate, also bis Mitte Januar 1885, wurde die Pantomime fünfzigmal gespielt und Ende Februar erfolgte, kurz vor Ende der Berliner Zirkussaison, bereits ihre 100. Aufführung.304 „Selten hat eine Circus-Pantomime eine so lange Reihe von Vorstellungen hintereinander erlebt und solchen enthusiastischen Beifall errungen, wie die Heidelberger […]“, kommentierte die Berliner Börsen-Zeitung diese eindrückliche Bilanz im Februar 1885.305 Es sieht also so aus, als habe der Publikumserfolg bei Circus Renz im Laufe der 1880er Jahre zugenommen. Womöglich aufgrund dieser Entwicklung ließ Renz die Berliner Spielstätte in der Saison 1888/89 umbauen, woraufhin über 4000 Zuschauer:innen darin Platz fanden.306
Drei Rapporte von aufeinanderfolgenden Vorstellungen an den Abenden des 21., 22. und 23. September 1913 bei Circus Busch geben Auskunft darüber, dass die erste Vorstellung laut Polizeirapport ausverkauft, die zweite gut besucht und die dritte nur noch mittelmäßig besucht war.307 Das heißt, die Auslastung nahm im Rahmen dieser drei Vorstellungen kontinuierlich ab. Am 21. September, einem Sonntag, wurde bei Circus Busch die Pantomime Aus unseren Kolonien zum zweiten Mal gespielt und an den beiden darauffolgenden Wochentagen wiederholt.308 Montag und Dienstag waren möglicherweise generell nicht die publikumsintensivsten Spieltage. Doch zeigt sich anhand dieser Rapporte auch, dass die Zirkusse ihre Programme abwechslungsreich gestalten mussten, um das Interesse des Publikums zu wahren. Karl Döring merkte 1910 in dem Zusammenhang an: „Unzufriedenheit ist die Signatur unserer Tage. Immer mehr will das nach Neuheit und Ueberraschung gefräßige Publikum, wie ein Kind vom Kuchen, einerlei, ob es sich den Magen daran verdirbt.“309
Die Zirkusunternehmen hatten also nicht nur Nummernprogramme mit besonderen Attraktionen und eine Pantomime auf ihren Spielplänen, sondern jeweils mehrere Pantomimen im Repertoire. Zwischen 1895 und 1935 dürften rund 40 Millionen Zuschauer:innen in verschiedenen Städten den Pantomimen-Aufführungen bei Circus Busch beigewohnt haben, das heißt rund eine Million Zuschauer:innen jährlich.310 Die Reichshauptstadt Berlin hatte um 1870 etwa 800’000 und 1910 über zwei Millionen Einwohner:innen.311 Die Pantomimen beziehungsweise ihre Narrationen verliehen bereits vielfach gesehenen Reitkunststücken oder bekannten akrobatischen Tricks jeweils neue Spannung.312 Auch die englische Theaterwissenschaftlerin Jacky Bratton erklärt die anhaltende Beliebtheit von Zirkusaufführungen mit der Verbindung von Körper- und Dressurdarbietungen mit Narrationen: „Circus proprietors who included drama in their repetoire of performance knew they were offering something that would draw audiences back in the successive weeks of their stay in town.“313
In den Theaterpolizeiakten finden sich nicht nur die Rapporte, die vom Erfolg der großen Berliner Zirkusspielstätten zeugen, sondern auch diverse Meldungen und Anweisungen bezüglich der Reglementierung des Publikumsverkehrs auf den Anfahrtsstraßen der Spielstätten.314 Und auch in einem undatierten Zeitungsausschnitt mit dem Titel „Im Circus Renz“ ist zu lesen:
Wer am Sonnabend, den 12. Oktober, in der siebenten Stunde durch die Friedrich-Straße in der Gegend der Weidendammer Brücke kam, dem fiel gewiß das ungewöhnlich belebte der Straßenbilder auf; in langer Reihe stauten sich hier, in die Karlstraße hinein, die Wagen und Droschken auf, hüben und drüben flankirt von schwarzen Menschenströmen, die dem gleichen Ziel zustrebten. Und wer nach der Ursache dieses bewegten Treibens forschte, der erhielt gewiß die Antwort: ‚Renz ist wieder da und eröffnet heute.‘315
Bereits über eine Vorstellung der Pantomime Ein Afrikanisches Fest der Königin von Abessynien im Januar 1876 bei Circus Renz, damals noch nicht im Markthallenzirkus, berichtete die Berliner Börsen-Zeitung von einer „Massenwanderung der Berliner Bevölkerung nach der Georgenstraße“.316 Die Vorstellung war laut Zeitungsbericht ausverkauft.
Das Hauptstadtpublikum fühlte sich mit großen Berliner Zirkusgesellschaften offenbar bis ins 20. Jahrhundert hinein verbunden. So schrieb der Berliner Lokal-Anzeiger über die letzte Vorstellung von Circus Schumann am 31. März 1918 – also noch während des Ersten Weltkriegs und kurz bevor Max Reinhardt den Markthallenzirkus übernahm – von einem „wehmütigen Abschied“. Laut der Zeitung hatte Direktor Albert Schumann dabei immerhin „die freudige Genugtuung, einer nach Tausenden zählenden Menge Lebewohl sagen zu können, und er sah an den unendlich vielen Blumen und Kränzen, die ihm dargebracht wurden, wie hoch er in der Gunst der Berliner gestanden hat.“317 Im Programm war über diese letzte Vorstellung im Circus Schumann außerdem zu lesen, dass das zahlreich erschienene Publikum nach der Pantomime Mexiko und einem Abschiedsmarsch des Orchesters das Gebäude verließ. Dabei
[…] drehte sich [so mancher] noch einmal um, um einen letzten Blick auf diese beliebte Pflegestätte edler Zirkuskunst, die den Berlinern schon seit den Zeiten des Altmeisters Renz lieb und teuer ist, zu werfen. Eine halbe Stunde später lag das Haus im tiefsten Dunkel. Zirkus Schumann war einmal!318
Prinzessinnen, Potsdamer Familien und Heringsverkäufer
Wie genau sich das Publikum der Zirkusspielstätten zusammensetzte oder wie es sich verhielt während der Aufführungen, ist – wie stets in der historischen Theaterforschung – heute schwierig nachzuvollziehen. Als gesichert gilt jedoch, dass das Zirkuspublikum nicht nur zahlreich, sondern auch heterogen war.319 Für Circus Renz ist etwa überliefert, dass Gardeoffiziere häufig die Logenplätze reservierten, während die Galerien, das heißt die oberen Ränge, von einem weniger bemittelten Publikum besetzt wurden. Zu Nachmittagsvorstellungen konnten erwachsene Zuschauer:innen zudem häufig kostenlos ein bis zwei Kinder mitbringen – eine bekannte und erfolgreiche Werbestrategie der Zirkusgesellschaften.320 Über die Besucher:innen von Circus Busch ist in einem Brief Alfred Kerrs von 1895, also dem Jahr der Eröffnung der Spielstätte, zu lesen:
[…] wo es hell ist, elektrisch-hell, balgen sich die schweißduftenden Bewohner des Nordens um Galerieeingänge, ein graubrauner Schwarm, Arbeiter und beurlaubte Bierkutscher und Hausdiener, Briefträger, die ihren Ausgehtag haben, Kanzlisten und kleine Handwerker, auch Heringsverkäufer mit ihrem Verhältnis, Friseure mit Gattin, hie und da ein Student, ein Soldat, die Polizisten brüllen, die Droschken rasseln, die Pferdebahnen klingeln, Tausende von Menschen strömen indes in die Rosenthaler Straße, auf das häusliche Abendessen gierig, und der Trott ihrer Stiefel schallt in den allgemeinen Wirrwarr hinein.321
Doch – und es ist bezeichnend, dass der Schriftsteller und Theaterkritiker Kerr dies verschweigt beziehungsweise ausschließlich die Situation an den Galerieeingängen beschreibt – nahmen auch Zuschauer:innen aus Bürgertum und Adel an den Zirkusvorstellungen teil. Die traditionsreiche Beliebtheit des Zirkus bei Adel und Bürgertum hatte, wie in der Einleitung ausgeführt, insbesondere mit der Darbietung von Reitkunst und Pferdedressur zu tun.322 Die Historikerin Anne Dreesbach hält in Bezug auf die Veranstaltung von Völkerschauen zwischen 1870 und 1940 in Deutschland fest, dass prominente Besucher:innen stets besondere Beachtung fanden: „Wo sich die Prominenz, und vor allem der Adel, zeigte, dorthin zog es auch die große Masse und so lag es im Interesse jedes Völkerausstellungsveranstalters, dass berühmte Gäste seine Schaustellungen besuchten.“323 Diese Beobachtung ist sicherlich auch für die Zirkusgesellschaften zutreffend und so überrascht es nicht, dass beispielsweise Ernst Renz 1879 eine Galavorstellung anlässlich der Silberhochzeit von Prinzessin Maria Anna und Prinz Friedrich Karl von Preußen ankündigte.324 Bei Alwil Raeder, Chronist des Circus Renz, ist in diesem Zusammenhang zu lesen, dass der Zirkusdirektor bereits in den 1860er Jahren Galavorstellungen für die Mitglieder des preußischen Königshauses veranstaltete.325 Und Karl Döring kommentierte diesbezüglich: „Zirkus Renz war in seiner Glanzzeit stets persona gratissima bei Hofe. Er verfehlte auch keine patriotische Gelegenheit (allerhöchste Geburtstage, Hochzeiten etc.) zu ‚Gala-Fest-Vorstellungen‘.“326
Sicherlich waren die Prinzessinnen und Prinzen, zu deren Ehren Vorstellungen gegeben wurden, nicht immer persönlich zugegen. Vielmehr dürfte es sich auch bei dieser Praxis um eine Strategie zur Beziehungspflege sowie zur Erzeugung von Aufmerksamkeit seitens der Zirkusdirektionen gehandelt haben. Doch finden sich in Presseberichten durchaus Belege für Vorstellungsbesuche der Aristokratie. Die Berliner Börsen-Zeitung etwa berichtete im Dezember 1877 über den Besuch des Prinzen Carl bei Circus Renz. Das Mitglied der preußischen Königsfamilie soll dem Unternehmen laut der Zeitung „wieder seinen Beifall über die einzelnen Darstellungen, namentlich auch speciell über die brillante Ausführung und Ausstattung der Pantomime“ gezollt haben.327 Und auch die Fachzeitschrift Der Artist wusste über Besuche der Berliner Spielstätte durch Kaiser Wilhelm II. zu berichten.328 Sowohl im Markthallenzirkus als auch in der Spielstätte von Circus Busch gab es eine Königsloge, das heißt dezidiert für Mitglieder des Königshauses eingerichtete und reservierte Sitzplätze. In den Memoiren Paula Buschs ist diesbezüglich zu lesen, dass die Kronprinzessin Cecilie von Preußen mit ihrem Sohn in den 1910er Jahren von der Königsloge aus einen Auftritt der Fratellini Clowns verfolgte.329 Karl Döring zufolge stand Ernst Renz in der Gunst des preußischen Königshauses und so erstaunt es kaum, dass ihm wie später auch Paul Busch und Albert Schumann der Ehrentitel „Königlicher Kommissionsrath“ verliehen wurde.330 Diese Geneigtheit des Königshauses steht in gewisser Weise im Kontrast zu den rechtlichen Einschränkungen gegenüber den stehenden Zirkusunternehmen, die ich im zweiten Kapitel näher beleuchten werde.
Nicht nur Aristokrat:innen besuchten die großen Zirkusspielstätten, sondern auch Angehörige des Bürgertums. Dies belegt etwa ein Brief, den der Naturwissenschaftler Ernst Haeckel 1886 aus Berlin an seine Frau richtete:
Dienstag abend war ich mit Karl und Tante Bertha im Zirkus Renz, sehr schöne Pferde, Nixen und Amazonen, die ersteren viel vernünftiger als die letzteren! – Mittwoch […] zwei Stunden in der National-Galerie geschwelgt (Prometheus!). Abends im Camerun-Panorama und mit Tante Bertha im hübschen Walhalla-Theater, wo wir das komische Potpourri-Stück ‚Das lachende Berlin‘ sahen […].331
Bei dem Berliner Zirkusexperten Martin Schaaff wiederum ist bezüglich Circus Busch zu lesen, dass sowohl die Nummernprogramme als auch die Pantomimen einen guten Ruf genossen und dass für Besucher:innen der Reichshauptstadt um 1900 neben einer Theater- oder Operettenvorstellung ein Abend im Zirkus fester Bestandteil des Programms gewesen sei. Stammgäste kamen Schaaff zufolge anlässlich jedes neuen Programms und meist mehr als einmal im Monat in den Zirkus: „Berliner und Potsdamer Familien abonnierten häufig für die Dauer eines ganzen Monats oder einer Saison eine Loge.“332 Für ein solches Abonnement bedurfte es natürlich einer entsprechenden finanziellen Situiertheit. „Sich bei Renz zu treffen gehörte geradezu zum guten Ton, und für diejenigen Kreise, die in den Hoftheatern eine ständige Loge besaßen, war es verpflichtend, auch bei Renz eine Loge zu haben“,333 hält der Zirkushistoriker Gerhard Eberstaller für die Spielstätte von Circus Renz in Wien fest. Besucher:innen mit unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen kamen in den Zirkusspielräumen bei den Vorstellungen zwar zusammen, vermischten sich dort aber wie erwähnt nicht. Vielmehr saßen oder standen sie entsprechend der Preisstaffelung in den Galerien, im Parkett, auf den Balkonen und in den Logen.334 Dies bezeugt auch der erwähnte Bericht über die Eröffnung des Markthallenzirkus unter Ernst Renz in der Berliner Börsen-Zeitung über die luxuriösen Garderoben der weiblichen Zuschauer:innen in den Logen.335
Dass im Zirkus durchaus auch Publikumsgepflogenheiten der Oper übernommen wurden, illustriert ein Bericht vom 14. März 1884 in der Neuen Freien Presse über die Wiener Aufführung der oben ausführlich besprochenen Pantomime Diamantine von Circus Renz: „[D]as Stück [laborirt], wie alle Pantomimen, an einer gewissen Unverständlichkeit, die bei der raschen Folge der verschiedenartigsten Scenen selbst an der Hand eines Textbuches nicht klarer werden wollen.“336 Das Publikum kaufte also die Textbücher der Pantomimen, um – analog zum Libretto in der Oper – während der Aufführung mitzulesen oder zumindest so zu tun. Karl Döring kommentierte in diesem Zusammenhang im Jahr 1910: „Das Textbuch der Pantomimen […] wird ja vom Publikum meist erst zu Hause gelesen, da es kaum möglich ist, dies während einer Vorstellung zu tun.“337 Der Kritiker empfahl den Zirkussen daher, statt ausführlicher Textbücher knappe Inhaltsangaben zu verteilen, „die so geschrieben sein müßten, daß das Publikum sie im Zirkus lesen kann.“338
Die Wiener Neue Freie Presse schrieb weiter über die Diamantine Aufführung, dass das Publikum „durch die Schönheit der wechselnden Bilder gefesselt“ worden sei, „deren Zusammenstellung und brillante Ausstattung nichts zu wünschen übrig ließen.“339 Der Handlung zu folgen schien demnach nicht prioritär. Die Zirkusaufführungen forderten die Zuschauer:innen, mit dem Literatur- und Kulturwissenschaftler Hans-Otto Hügel gesprochen, nicht zu einer ausschließlich „konzentrierten Rezeptionsweise“ auf.340 Die Rezipient:innen konnten stattdessen bestimmten Elementen der Aufführung wie beispielsweise den spannungsreichen akrobatischen Momenten oder der prachtvollen Ausstattung den Vorrang geben, ohne dass es dadurch zu einem Verlust von Verständnis kam.341 Laut Hügel ist bei derartigen Produktionen des Unterhaltungsbereichs im Allgemeinen „[n]icht ‚richtiges‘ Verstehen, sondern Teilhabe“ von den Zuschauer:innen gefordert.342
Wie bereits erwähnt, erkannte das Publikum in den Zirkusvorstellungen nicht nur vertraute Themen, sondern auch Aufführungskonventionen wieder. Die Aufführungen waren beim Publikum also nicht nur aufgrund ihrer inhaltlichen Bezüge zur Aktualität beliebt, sondern auch weil sie Genre-Erwartungen erfüllten.343 Zirkusaufführungen haben – dies betont Hügel für den gesamten Bereich der Unterhaltung – einen seriellen Charakter: Eine Aufführung wird „immer auch als Variation des Genres“ erfahren.344 Die Erfolge der Zirkusse beziehungsweise die große Resonanz ihrer Aufführungen bei einem breiten Publikum sind vor diesem Hintergrund auch als Zeichen dafür zu deuten, dass sich die Zuschauer:innen immer wieder in den Vorstellungen vergnügten. Sie waren mit den Themen, Stoffen und Aktualitätsbezügen der Inszenierungen, mit den berühmten Künstler:innen sowie mit den Aufführungskonventionen vertraut. Auch darin bestand der Reiz der zirzensischen Aufführungspraxis: Die Zuschauer:innen verstanden Formen und Inhalte der Zirkusvorstellungen und erkannten sich selbst, ihre eigenen Welt- und Aufführungserfahrungen darin wieder. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Jacky Bratton im Rahmen ihrer Untersuchung der britischen Zirkuspantomimen des 19. Jahrhunderts:
A large general audience continued to be moved and excited by narratives enacted in novel ways, and professional performers developed their story-telling skills through an increasingly rapid, referential, knowing, ironic and vivid representational code which is a precursor of the physical languages of modern entertainment.345
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die bis heute gängige Vorstellung, der Zirkus richte sich hauptsächlich an ein weniger bemitteltes Publikum, auf das 19. und frühe 20. Jahrhundert nicht zutrifft. Während die Berliner Zirkusse im ausgehenden 19. Jahrhundert tendenziell ein großes und sozial durchmischtes Publikum anzogen, hatten die Literaturtheater-Häuser eher Mühe, das Interesse des oder zumindest eines ausreichend großen Publikums zu wecken. Spielstätten ohne Subventionen, also alle außer den königlichen Theatern, mussten bei Ausbleiben des Publikums um ihr Überleben bangen. Und in der Tat waren Theaterkonkurse sowie -schließungen insbesondere nach Einführung der neuen Gewerbeordnung im Jahr 1869 keine Seltenheit. Nicht zuletzt deshalb reagierten Angehörige und Verfechter:innen des Literaturtheaters pikiert bis diffamierend auf die Zirkuskonkurrenz.
1.4.3 Negatives Echo und klare Grenzziehungen
Die Beliebtheit der Zirkusse führte auch zu klaren Abgrenzungen, von denen heute noch Presseartikel und eine Vielzahl von Schriften, sogenannte graue Literatur, zeugen. Die ästhetischen Annäherungen der Zirkuspantomimen an Oper und Schauspiel sowie die vom Zirkus ausgehende Konkurrenz, aber auch die Krise des zeitgenössischen dramatischen Theaters selbst, gaben Theaterverfechter:innen und Theaterkritiker:innen Anlass dazu, die Grenzen zwischen den beiden Theaterformen genauer zu bestimmen und ihre Differenzen hervorzuheben.346 Und auch Verleger:innen, Journalist:innen sowie Politiker:innen prägten diesen Abgrenzungsdiskurs mit.
Die Theaterformen des späten 19. Jahrhunderts waren gekennzeichnet durch einen starken Fokus auf das Visuelle.347 Pantomimen, Ausstattungsstücke, Tableaux vivants oder auch Ballette waren Formate der darstellenden Künste, die den Sehsinn in besonderer Weise ansprachen und in den Spielplänen des späten 19. Jahrhunderts omnipräsent waren. Mit der Entwicklung einer stark visuellen Kultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging zugleich eine „Verfemung des Bildlichen“348 einher – eine Kritik, die bereits die Ästhetikdiskurse in der Zeit vor 1850 geprägt hatte.349 So führte der hohe Stellenwert des Visuellen in der Theaterkultur des späten 19. Jahrhunderts zugleich zu einer Polemik gegenüber der „Schaulust“ und „Sensationsgier“ des Publikums sowie gegenüber der „Verbilderung“ des Theaters.350
Die auf Visualität ausgerichteten Theaterformen wurden aus Perspektive des Bildungsbürgertums als zu sinnlich (versus den Geist ansprechend) und damit als kunstlos bewertet. Die Brüder Julius und Heinrich Hart, beide Schriftsteller und Kritiker, schrieben beispielsweise im Jahr 1882 in einer Streitschrift:
Wie wir sahen, besteht der erste Zweck des Theaters in der Darstellung dichterisch-dramatischer Kunstwerke, und deshalb ist das dichterische Wort auch auf der Bühne die gebietende Macht. Tritt der Dramatiker dieses sein Recht an den Schauspieler ab oder gar an den Dekorateur und Maschinisten, ordnet er die reingeistige Poesie dem Virtuosenthum oder der blos sinnlich wirkenden Coulissenmalerei, Beleuchtungskünsten und ähnlichen schönen Dingen unter, um so tiefer sinkt das Theater an Bedeutung, an culturellem Werth.351
Derartige Zuschreibungen und Vorwürfe galten auch dem Zirkus. Das wird etwa in einem Text des Schauspielers und Theaterkritikers Erich Schlaikjer deutlich, der unter dem Titel „Die Gefahren der Bühnenausstattung“ in der Theaterfachzeitschrift Der neue Weg im Jahr 1911 schrieb, dass „[d]ie letzten Theaterjahre […] alles andere als reich gewesen“ seien und er und seine Zeitgenoss:innen „eine[m] raffinierten Luxus bei tieferer innerer Armut“ beigewohnt hätten.352 Schuld daran seien der Fokus der Theaterdirektionen auf die „unkünstlerisch[e] und verderbenbringend[e]“ Ausstattung sowie die Schaulust des Publikums.353 Schlaikjer zufolge „[verschlingt] [d]ie Jagd nach dem Sensationserfolg […] alle künstlerische Besinnung und alle künstlerische Kultur“ und mündet in einer „barbarischen Konzession an die Schaulust der Menge.“354 Versuchten die Theaterdirektionen ihre Betriebe derart zu führen, begäben sie sich in den Bereich des Zirkus: „Der Zirkus kann die Massen nicht nur rufen, sondern auch festhalten, weil nicht nur die Ausstattung, sondern alle seine Nummern der Schaulust in stetem Wechsel etwas zu bieten haben.“355 Dass Schlaikjer dies in keinster Weise als ein Atout betrachtete, wird in einem weiteren Text aus dem Jahr 1912 deutlich:
Das bewusste Herausrechnen einer Sensation steht mit den Spekulationen der Schmutzliteratur auf einer Stufe […]. Das Theater wird zum Zirkus erniedrigt, indem man mit Spannung den Todessprung des Desperado erwartet. Der Schauspieler tritt mit den Artisten in eine Reihe und der Dichter scheidet überhaupt aus.356
Der Schriftsteller und Kritiker Franz Ferdinand Baumgarten richtete 1920 eine Streitschrift gegen Max Reinhardt beziehungsweise dessen Theaterarbeiten im ehemaligen Markthallenzirkus. Dem Theaterreformer gehe es nicht um „geistige Leistung“, er arbeite vielmehr mit „technische[n] Wundermittel[n]“ und anderem „Zauber“, worunter Baumgarten auch die Wirkung weiblicher Künstler:innen auf das männliche Publikum verstand. Dabei handle es sich letztlich um Anleihen aus dem Zirkus, um „ein[en] altbewährte[n] Zirkus- und Tingeltangeltrick.“357 In dieser Schrift mit dem Titel Zirkus Reinhardt polemisierte der Autor also in erster Linie gegen die Theaterkonzeptionen Reinhardts und unterstellte diesem nichts Geringeres als „Kunstzertrümmerung“ sowie die Vernichtung des Dramas. An dieser Entwicklung seien aber nicht nur Reinhardt selbst, sondern auch die ehemalige Zirkusspielstätte, also Gebäude und Bühnenraum, Schuld.358 Der Zirkusraum, das heißt die Arena, verhinderte laut Baumgarten die Produktion von Kunst. Inszenierungen in einem Zirkus wurden dem Autor zufolge dadurch entwertet, dass die rund um die Manege platzierten Zuschauer:innen statt der ganzen Bühne immer nur einzelne Ausschnitte sehen konnten. Für Baumgarten galt also ausschließlich das Bildhafte der Guckkasten-Inszenierungen, nicht aber die Dreidimensionalität von Zirkusaufführungen als Kunst. Sein Urteil lässt keinerlei Raum für Zwischentöne: „Der Zirkus ist das Gegenteil des Theaters. Der Zirkus ist der undramatische Raum.“359
Der preußische Leutnant Adolf Graf von Westarp unterschied in der Schrift Der Verfall der deutschen Bühne, Ein Mahnwort an alle, die es angeht aus dem Jahr 1892 Theaterformen, die trotz Nutzung einer (Guckkasten-)Bühne mit Kunst nichts zu tun hätten, von ‚echtem‘ Theater:
Es giebt eine Menge von Schaustellungen, auch solche in dramatischem Gewande, an welche niemand einen künstlerischen Maßstab legen wird, – Erzeugnisse vom Tage und für den Tag, für eine flüchtige Stunde, die mit anderen Vergnügungen des modernen Kulturmenschen, mit Gastmählern und Bällen, Wettrennen, Circus und Taschenspielerstücken auf einer Stufe stehen, ja oft genug noch erheblich niedriger. Sie brauchen die Bühne als räumliches Mittel der Darstellung, im übrigen haben sie mit den Brettern, die die Welt bedeuten, […] nichts gemein.360
Zahlreich waren im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch Publikationen, die über die Missstände des ‚echten‘ (deutschen) Theaters klagten.361 Der Berliner Zeitungsverleger August Scherl stimmte 1898 in dieses Lamento ein: Berlin habe kein Theaterpublikum mehr, denn unter letzterem
möchte ich eine für die dramatische Kunst warm und lebhaft sich interessierende Einwohnerschaft verstanden wissen […]. Gewiß tragen die Repertoir- und künstlerischen Verhältnisse unserer Bühnen einen großen Theil der Schuld an dem herrschenden Zustande, ein ebenso großer Theil ist indessen anderswo zu suchen. Eine Anzahl verschiedener Umstände wirkt zusammen, die dem weitaus größten Theil unserer Bevölkerung den Besuch der sogenannten ‚besseren‘ Theater unmöglich oder doch so unerfreulich macht, daß man es vorzieht daheim zu bleiben oder den Abend beim Bier zu verbringen oder endlich die Spezialitäten- und solche Theater aufzusuchen, die mit wahrer Kunst nichts zu thun haben.362
Ein Beitrag der Berliner Börsen-Zeitung aus dem Jahr 1880 sah wiederum nur „die echte, wahre, reine Kunst“ geeignet, um das kurz bevorstehende Osterfest zu begehen. Besonders passend aus dem Bereich der Dramatik sei daher eine Inszenierung von Goethes Faust. Die aktuelle dramatische Kunst hingegen biete keine geeigneten Werke und überhaupt sei es verwerflich,
daß sich die dramatische Kunst durch eigene Schuld von der Concurrenz mit den Circuskünsten, d. h. den Schaustellungen […] nicht ganz ferngehalten hat. Es wäre eine schlechte Osterfreude, wenn es wahr wäre, was Pessimisten behaupten: das Artistenthum habe sich gehoben, das Künstlerthum sich aber in seiner Gesammtheit erniedrigt.363
Nicht nur die Annäherungen des Zirkus an die vermeintlich ‚besseren‘ oder ‚wahren‘ Kunstformen wurden missbilligt, auch der Eingang zirzensischer Künste in Inszenierungen auf Literaturtheater-Bühnen. Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang der Breslauer Theaterskandal, den Karl von Holtei 1823 mitverursachte. Er wollte die gastierenden Künstler:innen der Gruppe von Jacques Tourniaire für eine Pantomime am Breslauer Theater engagieren. Die Schauspieler:innen weigerten sich jedoch, mit den Zirkuskünstler:innen zusammenzuarbeiten, was zu anhaltenden Polemiken und schließlich zu Holteis Entlassung führte.364 Über eine Vorstellung im Kölner Schauspielhaus im Jahr 1830 ist wiederum überliefert, dass für die Inszenierung eines Schiller-Stücks Kunstreiter:innen aus dem Umfeld des Zirkusdirektors Baptiste Loisset engagiert wurden. Da der Auftritt der Kunstreiter:innen nach Ansicht von Kritiker:innen jedoch weit über die herkömmliche Nutzung von Pferden in Schauspielen hinausging, wurde die Theaterleitung gerügt.365
Hinsichtlich der Situation in der Deutschschweiz nennt Stefan Koslowski mehrere Aufführungen am Basler Stadttheater in den 1860er Jahren, bei denen Kunstreiter:innen mit ihren Pferden in die dramatische Handlung eingebunden wurden, wofür das Theater von Seiten der Presse verspottet wurde. Dies war der Theaterleitung sehr unangenehm, da sie (zumindest auf diskursiver Ebene) eigentlich darum bemüht war, jedwede Verbindung von Schauspiel und Zirkus zu vermeiden.366
In einer Ausgabe der Artistik-Fachzeitschrift Das Programm aus dem Jahr 1912 war unter der Überschrift „Auftreten von Artisten an Schauspielbühnen“ vom Debüt des Artisten Sylvester Schäffer am Neuen Schauspielhaus in Berlin zu lesen. In dem kurzen Beitrag formulierte die Redaktion die Hoffnung, „daß sich bald auch andere Direktionen dazu entschließen möchten, ‚salonfähige‘ Variétékünstler auf ihren Bühnen auftreten zu lassen“, denn schließlich stehe das Publikum „dem Auftreten von Artisten im Rahmen einer dramatischen Handlung“ offen gegenüber.367 Zugleich beklagte etwa der Zirkushistoriograf Joseph Halperson in seiner 1914 verfassten Schrift das Mitwirken von „richtigen Schauspielern“ bei Circus Schumann in Berlin um 1900:
Dabei ist als merkwürdige Tatsache zu verzeichnen, daß gerade einer der größten Pferdemänner des Zirkus, Albert Schumann, es war, der als erster in Berlin richtige Schauspieler in die Manege gebracht hat! […] Durch die Invasion der Schauspieler ist – darüber kommt man nun einmal nicht hinweg – der Manege ein wesensfremdes Element zugeführt worden, und es kam, genau genommen, einer Bankrotterklärung der spezifischen Manegenkünste gleich, wenn man auf die Mithilfe der Thespisjünger, die vordem, wie man weiß, stets ein wenig verächtlich auf die Zirkusmenschheit herabzublicken gewillt waren, nicht mehr verzichten zu können glaubte.368
Halperson wies also auf die gängige Überheblichkeit der Schauspieler:innen beziehungsweise der Welt des Literaturtheaters gegenüber der „Zirkusmenschheit“ hin – Zirkus und Schauspiel waren auch seiner Auffassung nach „wesensfremd“.
Es finden sich Belege dafür, dass die Zirkusgesellschaften Busch und Schumann um 1900 Schauspieler:innen für ihre Pantomimen engagierten. In der Nibelungen-Inszenierung bei Circus Busch wirkten 1921 beispielsweise „Amanda Lindner, Ehrenmitglied des Staatstheaters, und Konrad Gebhardt vom Deutschen Schauspielhaus zu Hamburg“ mit.369 Der Zirkusdirektor Albert Schumann merkte in seinem Brief vom 7. Februar 1913 an die Berliner Theaterpolizei an, dass Circus Renz bereits seit Mitte der 1880er Jahre „erstklassige choreographische und schauspielerische Kräfte engagiert hat, wie dies z. B. bei den ‚Lustigen Heidelbergern‘ der Fall gewesen ist. Einzelne dieser Kräfte, wie z. B. Godlewsky, haben dann sogar ihren Weg vom Circus direkt in die Wiener Hofoper gemacht.“370
Die Aufführungspraxis der Zirkuspantomimen bedeutete nicht nur eine ästhetische Annäherung von Zirkus und Literaturtheater sowie Oper, sondern sie führte auch zu einer verstärkten Mobilität von Akteur:innen wie Tänzer:innen, Ballettmeister:innen, aber eben auch Schauspieler:innen, die sich über Gattungsgrenzen und gesellschaftliche Bewertungen hinweg zwischen den verschiedenen Formaten und Bühnen bewegten. In anderen Worten: In der Praxis waren die allgemein bekannten und von Theatertheoretiker:innen verteidigten Grenzen zwischen Schauspiel, Oper und Ballett auf der einen und Zirkus auf der anderen Seite relativ durchlässig. In der spärlichen deutschsprachigen Forschung zu Zirkuspantomimen herrscht bisher jedoch die Annahme vor, dass sich die Aufführungspraxis der deutschen beziehungsweise Berliner Zirkusse ab Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend ‚theatralisiert‘ hätte und davor ganz klare Grenzen zwischen sogenannten zirzensischen und theatralen Aufführungsformaten bestanden hätten.
1.5 Zirkus und Theater kollidieren
Aus heutiger Perspektive ist es naheliegend, Zirkus und ‚Theater‘ als disparate Formen der darstellenden Kunst wahrzunehmen: Unter Zirkus wird gemeinhin ein Aufführungsformat verstanden, das aus Tierdressur-, Akrobatik- und Clownsdarbietungen besteht, die durch eine Nummerndramaturgie verbunden sind.371 Zweifellos waren Reitkunst und Akrobatik charakteristisch für zirzensische Darbietungen. Doch bildeten die inhaltlich vielseitigen, narrativen Pantomimen wie gesehen ebenfalls einen festen Bestandteil der Aufführungspraxis. Für Patrick Désile sind diese Zirkuspantomimen im Grunde nichts anderes als Theaterstücke.372 Mit den Pantomimen kam der Zirkus dem, was gemeinhin unter Theater verstanden wurde und wird, nahe – zu nahe für das Verständnis vieler Zirkushistoriograf:innen und Literaturtheater-Verfechter:innen um 1900 wie auch für das mancher gegenwärtiger Theaterwissenschaftler:innen.
1.5.1 „Theatralisierung“ von Zirkus im ausgehenden 19. Jahrhundert?
Die dürftige zirkushistoriografische Forschungsliteratur im deutschsprachigen Raum, die vor allem aus den Federn der Zirkusexpert:innen Dietmar und Gisela Winkler stammt, stellt das dominante Konzept vom Bildungs- und Literaturtheater als dem Theater nicht infrage. Denn immer wieder wird in den entsprechen Publikationen beschrieben, die Zirkuspraxis habe sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch die Inszenierung von Pantomimen ‚theatralisiert‘, das heißt, der Zirkus habe sich dem Theater angenähert. Unter dem Lemma ‚Zirkus‘ im Handbuch Populäre Kultur beschreibt Dietmar Winkler bezüglich der Zirkuspantomimen etwa eine „Theatralisierung“ der deutschen Zirkusprogramme im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert.373 Auch in seiner und Ernst Günthers Zirkusgeschichte (1986) ist hinsichtlich des Pariser Cirque Olympique von einem „Theaterzirkus“ die Rede.374 Dieser Zirkus hätte sich „immer mehr von seinem Spezifikum [entfernt]“, da es bei dem Pariser Unternehmen zu einer „Überbetonung der Theaterelemente“ gekommen sei.375 Und in einer Publikation von Gisela Winkler über Circus Busch ist zu lesen:
Die Theatralisierung war […] immer nur eine Variante des Manegenschauspiels, daneben gab es weiterhin Zirkuspantomimen, die sich vorwiegend auf Massenszenen, Ballette, üppige Ausstattung, technische Effekte und vor allem die Mitwirkung von Tieren stützten. […] Im Circus Busch hielten Dialoge erst relativ spät Einzug. Der Zirkus war bekannt für große Manegenschauspiele, die fast in jeder Vorstellung nach dem artistischen Nummernteil die zweite Programmhälfte bildeten.376
Die Autorin unterscheidet hier zwischen Zirkuspantomimen und Manegenschauspielen. Dabei assoziiert sie letztere, insbesondere aufgrund von gesprochenem Text, mit dem Begriff ‚Theatralisierung‘.377
In denjenigen Bereichen der Theaterwissenschaft, in denen der Zirkus nicht als eine Theaterform unter anderen angesehen wird, existiert die Vorstellung einer Theatralisierung des Zirkus im Laufe der Zeit ebenfalls bis heute. So schreibt die Theater- und Medienwissenschaftlerin Nic Leonhardt in ihrer 2007 publizierten Dissertation, dass der deutsche Zirkus in den letzten zehn Jahren des 19. Jahrhunderts „auch […] Theater aufführt[e]“.378 Circus Renz präsentierte ihr zufolge „zu dieser Zeit nicht nur circensische Darbietungen. Vielmehr werden dort auch Völkerschauen, aufwendige Ausstattungsstücke und -pantomimen […] zur Aufführung gebracht“.379 So „verwischen“ ihrer Auffassung nach die bis Ende der 1870er Jahren „gültigen institutionellen Grenzziehungen zwischen Zirkus und Theater.“380 Zur Untermauerung ihrer Argumentation greift Leonhardt auf eine Publikation aus der Germanistik von 1976 zurück, in der bezüglich der Zunahme von Spielstätten nach 1869 und deren Konkurrenz untereinander zu lesen ist, dass zur sogenannten Theaterinflation
der soziale Aufstieg von bisher theaterfremden Vergnügungsunternehmungen [dazu kommt], die ihre Darbietungen nun zum theatralischen Genre hochstilisieren. Zirkus, Café chantant, Tingeltangel, Varieté und Singspielhalle sind die Organisationsformen, die nun theaterfähig werden […]. Der Zirkus befriedigt durch Pflege von Pantomime, Ballett und Schaustellung in prunkvoller Ausstattung auf sozial niedriger Ebene die gleichen Bedürfnisse wie die Oper bei Adel und gehobenem Bürgertum.381
In dieser Passage finden sich die oben besprochenen Argumentationen und Narrative von Theaterkritiker:innen und Publizist:innen wieder, die um 1900 Theaterformen jenseits des literarischen Bildungstheaters und der Oper als kunstlos und niedrig diffamierten. Die zitierten Formulierungen sind meiner Ansicht nach tendenziös. Zugleich illustrieren sie eindrücklich, wie hartnäckig sich bestimmte Vorstellungen von ‚hoher‘ und ‚niedriger‘ Kunst halten und weitertragen.382
Ausgehend von den angeführten Zirkusexpert:innen und Wissenschaftler:innen muss aber dennoch die Frage gestellt und überprüft werden, ob sich der Zirkus im deutschsprachigen Raum tatsächlich erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an die Ästhetiken des Literaturtheaters annäherte. Die Antwort findet sich (wie so oft) in der Praxis.
Wirft man nämlich einen näheren Blick auf die überlieferten Anschlag- und Programmzettel der um 1800 international tourenden Zirkusgesellschaften, dann ist nicht zu übersehen, dass narrative Formate bereits damals einen festen Bestandteil der zirzensischen Aufführungspraxis darstellten. So wurde etwa auf einem Anschlagzettel des englischen Powell’s Circus Royal, mit dem dieser seinen Auftritt im Januar 1822 in Greenwich südöstlich von London bekannt machte, als Abschlussakt „an entire new Ballet of Action, on three tight ropes Lubin and Annette or The Wandering Pedlar“ angekündigt. Während des Aufbaus der drei Seile spielte das Orchester die „celebrated Ouverture to Fra Diavolo“.383 Die mit „Lubin and Annette“ betitelten Szenen auf den drei Seilen dürften auf eine französische Legende des 18. Jahrhunderts zurückgehen, die vor allem durch die Erzählung Annette et Lubin von Jean-François Marmontel beziehungsweise durch ihre Inszenierung als Komische Oper 1762 in Paris bekannt wurde.384 Bei Fra Diavolo handelte es sich nicht um die Ouvertüre der noch heute bekannten Oper von Daniel-François-Esprit Auber – diese wurde erst 1830 uraufgeführt. Es könnte jedoch die Ouvertüre der Inszenierung Fra Diavolo, chef des brigands dans les Alpes gewesen sein, die 1808 im Pariser Cirque Olympique Premiere feierte. Verfasser des Librettos war Jean-Guillaume-Antoine Cuvelier de Trie, ein bekannter französischer Dramatiker und ab 1797 auch Hausautor am Cirque Olympique. Vorläuferin dieser Adaption war wiederum die Oper La caverne (1790), die ihrerseits auf Episoden aus dem Roman Histoire de Gil Blas de Santillane des französischen Dramatikers Alain-René Lesage beruhte.385 Inszenierungen des Fra Diavolo-Stoffs waren in vielen Zirkusprogrammen des 19. Jahrhunderts vorzufinden. Die reale Person Fra Diavolo soll in Süditalien als Anführer einer räuberischen Bande gegen die französischen Eroberer gekämpft haben, bis er 1806 von den napoleonischen Streitkräften gefangen genommen und gehenkt wurde.
Dieser Rückblick verdeutlicht, dass narrative Inszenierungen wie jene von Powell’s Circus Royal einen festen Bestandteil der Aufführungspraxis der Londoner und Pariser Zirkusgesellschaften um 1800 bildeten. Auch Bratton betont: „Story-telling and dramatic illusion were deeply ingrained in much circus performance, and took many creative, rapidly moving forms.“386 Anhand des Aufführungsprogramms von Circus Powell’s Circus Royal lässt sich gut nachvollziehen, dass die Zirkusgesellschaften aktuelle Themen und Stoffe mit großer Geschwindigkeit aufgriffen und in ihre Programme integrierten. Ihre narrativen Darbietungen zeichneten sich wie gesehen durch transmediale Referenzen und Überlagerungen aus. Diese gattungsübergreifende Mobilität von Stoffen wie auch von Akteur:innen und Zuschauer:innen um 1800 beschreibt die britische Theaterhistorikerin Jane Moody in ihrer Studie als „distinctive feature“ der sogenannten illegitimen Theaterkultur, wozu für den britischen Kontext auch der Zirkus zu zählen ist.387
Stoffe wie Fra Diavolo zirkulierten jedoch nicht nur transmedial, sondern mit den Zirkusgesellschaften auch in besonderem Maße über Sprachgrenzen hinweg, etwa in den deutschsprachigen Raum hinein. So hatte beispielsweise die französische Truppe von Jacques Tourniaire 1821 Fra Diavolo, oder: Der große Räuber in Calabrien auf ihrer Tournee in den deutschen Ländern im Repertoire.388 Joseph Halpersons Monografie zur deutschen Zirkusgeschichte ist diesbezüglich zu entnehmen, dass die vom deutschen Zirkusunternehmer Rudolf Brilloff in den 1830er Jahren engagierten Artist:innen die Pantomime Fra Diavolo präsentierten.389 Und auch bei Circus Renz in Berlin war Fra Diavolo ab 1847 zu sehen.390
Vermutlich noch beliebter als Vorlage war im 19. Jahrhundert Mazeppa. Die französische Zirkushistorikerin Caroline Hodak bezeichnet diesen Stoff gar als „emblème des circulations culturelles“.391 Die historische Figur Mazeppa (1639–1709) erlangte 1819 in Form einer lyrischen Bearbeitung durch Lord Byron Bekanntheit, wurde ab 1823 auf Zirkusbühnen szenisch adaptiert und 1828 von Victor Hugo in einem Gedicht behandelt, bevor Franz Liszt sie symphonisch vertonte. Die Figur befindet sich zudem auf vielen ikonografischen Darstellungen. Im Jahr 1825 wurde Mazeppa, ou le Cheval Tartare, wiederum basierend auf einem Libretto von Cuvelier de Trie, im Cirque Olympique als Mimodrama in drei Akten aufgeführt. Sechs Jahre später hatte dann auch London eine Zirkusversion von Mazeppa. Im Repertoire von Astley’s Amphitheatre sollte Mazeppa gar zu einer der langlebigsten Inszenierungen überhaupt werden. Nach einer mehrjährigen Unterbrechung erfuhr das Stück ebendort in den 1860er Jahren abermals Erfolg, aufgrund der ersten (überlieferten) Verkörperung Mazeppas durch eine Reiterin: die Schauspielerin Adah Isaacs Menken.392
Im deutschsprachigen Raum wiederum gastierte 1841 laut einem Anschlagzettel die Compagnie Bava-Dumos mit Mazeppa, einer „große[n] Pantomime mit Ballet […] ausgeführt von 70 Personen und 20 dressierten Pferden“, in Breslau.393 Bei Circus Renz in Berlin trat Mazeppa 1847 als große historische Pantomime unter dem Titel Graf Polowsky oder die Verbannung Mazeppas in Erscheinung.394 Und der bereits mehrfach genannte deutsche Zirkuskritiker Karl Döring hielt im Jahr 1910 fest: „Iwan Mazeppa, […] Fürst der Ukraine, wurde anno 1663 wegen eines galanten Abenteuers auf ein Pferd gebunden, das man in die Steppe jagte. Dieser historische ‚equestrische Trick‘ wurde zu einem dankbaren zirzensischen. Man mußte in den siebziger Jahren [des 19. Jahrhunderts, Anm. M. H.] im Zirkus ‚Mazeppa‘ gesehen haben.“395
Auch aus dem erwähnten Brief Albert Schumanns an die Polizei aus dem Jahr 1913 geht hervor, dass Mazeppa als Stoff seit Langem in der deutschsprachigen Zirkuslandschaft zirkulierte:
Schon seit mehr als einem Jahrhundert haben die Circus-Unternehmungen pantomimistische Darstellungen gebracht, welche eine bestimmte dramatische Handlung mit den im Circus üblichen Mitteln vorführen. In dieser Beziehung gestatte ich mir darauf hinzuweisen, dass schon unsere Großeltern die bekannte Pantomime ‚Mazeppa‘ im Circus gesehen haben.396
Im Jahr 1919 schließlich wies Karl Döring auf den „zuweilen sich bemerkbar machenden Irrtum“ hin, dass „die Zirkus-Pantomime erst in späterer Zeit wie ein Fremdkörper dem Reiche der Manege einverleibt worden [sei].“397
***
Wie aus diesen Ausführungen hervorgeht, war also nicht nur das englische und das französische Publikum, sondern auch das des deutschsprachigen Raums schon im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts mit den narrativen Darbietungen der Zirkusse vertraut. Zwar finden sich in den Akten der Berliner Theaterpolizei insbesondere ab den späten 1880er Jahren Textbücher von Pantomimen, woraus theoretisch geschlussfolgert werden könnte, dass erst ab dieser Zeit auch vermehrt Pantomimen inszeniert wurden. Die Zunahme dieser Textbücher hängt jedoch eher mit der sich verschärfenden Zensurpraxis der Berliner Theaterpolizei gegenüber den Zirkusgesellschaften zusammen.398 Und die zeitliche Verortung dieser ‚Theatralisierung‘ im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dürfte vor allem mit folgenden Faktoren zu tun haben: Erst ab 1850 konnten sich Zirkusgesellschaften – auch mittels Gebäuden – fest im deutschsprachigen Raum etablieren und ihre Angebote erfreuten sich fortan wachsender Beliebtheit. Und die Konsolidierung der Zirkusse in der deutschen Kulturlandschaft fiel zudem mit der Liberalisierung der Gewerbegesetze zusammen. So wurde der Theatralisierungsdiskurs also auch von dem aus der 1869 eingeführten Gewerbefreiheit resultierenden Konkurrenzdruck beeinflusst. Kurzum: Zirkuspantomimen gehörten auch im deutschsprachigen Raum seit Beginn des 19. Jahrhunderts zur Aufführungspraxis der Zirkusse und stellten nach 1850, anders als in der einschlägigen theater- und zirkushistoriografischen Literatur behauptet, kein Novum dar.
1.5.2 Ein exklusiver Theaterbegriff setzt sich durch
Die Behauptung einer ‚Theatralisierung‘ des Zirkus hat, dies sollte bereits deutlich geworden sein, viel mit dem Konzept des Bildungs- und Literaturtheaters als dem Theater beziehungsweise mit einer exklusiven Vorstellung und begrifflichen Einengung von Theater zu tun. Die Sichtweise, im ausgehenden 19. Jahrhundert habe bei den deutschen Zirkussen eine ‚Theatralisierung‘ durch die Integration vermeintlich nicht-zirzensischer Elemente und Formate stattgefunden, wird der historischen Aufführungspraxis wie gesehen nicht gerecht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die im Verhältnis zum ‚Theater‘ jüngere Institution Zirkus nicht an den bereits etablierte(re)n, höfischen und/oder bürgerlichen Institutionen des Schauspiels und der Oper orientiert hätte. Im Gegenteil: An diese näherte sich der Zirkus als Ort der „verbürgerlichten Jahrmarktskünste“ architektonisch wie auch dramaturgisch an.399 Doch zeugt der Theatralisierungsdiskurs von einem verengten und ab dem 18. Jahrhundert dominanten, normativen Theaterbegriff. Der Terminus ‚Theatralisierung‘ schreibt sich somit in ein hierarchisierendes, exklusives Theaterverständnis ein, das auf dem geschriebenen Wort von Dichter:innen beruht.400 Bis heute behaupten (Theater-)Wissenschaftler:innen, dass die Zirkusse bis 1870 „theaterfremde Vergnügungsunternehmungen“401 gewesen seien oder dass sie im ausgehenden 19. Jahrhundert „nicht nur circensische Darbietungen“ präsentiert, sondern „auch Theater“402 aufgeführt hätten. Dies illustriert, wie ein bestimmtes, exklusives Theaterverständnis bis in die Gegenwart unser Denken prägt – weil der Zirkus und ähnliche Theaterformen zumeist nach wie vor als theaterfern oder -fremd betrachtet werden. Insbesondere wird dem Zirkus bis heute die Möglichkeit der Narration abgesprochen, da narrative Elemente als Exklusivität des ‚Theaters‘ aufgefasst werden.403
Und als Gegenstück: auch ein exklusiver Zirkusbegriff
Doch nicht nur die Theaterverfechter:innen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sahen Zirkus und ‚Theater‘ als disparate, klar abgegrenzte Theaterformen beziehungsweise die Inszenierung von Zirkuspantomimen als ‚Theatralisierung‘ des Zirkus. Bereits frühe Zirkustheoretiker wie Signor Saltarino (bürgerlich: Hermann Otto), Signor Domino, Joseph Halperson und Jewgeni Kusnezow schrieben sich in diesen Diskurs ein. Erstgenannter, ein deutscher Artist und Autor betrachtete die Aufführung von Pantomimen beispielsweise als Ursache für den Verfall des (deutschen) Zirkus. In seinem 1895 erschienenen Artistenlexikon schrieb er in Bezug auf Circus Renz, dessen „künstlerische Decadence“ habe mit der Aufführung von Ausstattungspantomimen zu tun.404 Denn „[e]questrisches Gebiet und circensische Kunst traten in dem Institut in den Hintergrund, die Dressur […] blieb ganz zurück und das fremde Element blosser Pracht- und Ausstattungspantomimen […] wurde cultiviert und immer weiter ausgebildet […]“.405 Bereits 1888 hatte Signor Domino im gleichen Zusammenhang geschrieben:
Circus Renz hat sich neuerdings leider – sicherlich zum Bedauern des eigentlichen Cirkusfreundes – von der gymnastischen Kunst mehr entfernt und verlegt seinen Schwerpunkt in jene Prachtpantomimen, die ein Gebiet sind, das eigentlich vielmehr dem Ausstattungstheater angehört und eine Richtung bilden, welche sich unserer Ueberzeugung nach in der Arena nicht dauernd behaupten wird.406
Demgegenüber vertrat Signor Saltarino die Meinung, Zirkuspantomimen als das dem Zirkus vermeintlich „fremde Element“ könnten dem „wirklichen Theater immer nur unvollkommen“ hinterherhinken.407 Die Zirkusgesellschaften führten seiner Auffassung nach „theatralische Schaustücke ohne Theater, ohne die scenischen Hülfsmittel und die nothwendige optische Staffage“ auf.408 Der Autor fügte sich also mit seiner Gegenüberstellung von „wirklichem“ und „unvollkommenem“ Theater fraglos in den dominanten Diskurs seiner Zeit ein.
Karl Döring, der sich in mehreren Artikeln im Programm mit Zirkuspantomimen beschäftigte, sah diese zwar – rückblickend auf die Programme von Circus Renz Mitte des 19. Jahrhunderts – als festen Bestandteil der zeitgenössischen Aufführungspraxis an. Dennoch unterschied er sie vom vermeintlich reinen oder „eigentlichen zirzensischen“ Nummernprogramm, das sich präsentiere „in Freiheitsdressuren von Pferden, in haute école, in Dressur von Elefanten, Löwen, Tigern, Seelöwen usw., in kühnen Parforce-Ritten und anmutiger Stehendreiterei, in Akrobatik und Clown-Komik“.409 Doch sei „[b]eim Großstadtpublikum, wenigstens bei seinem weitaus größten Teile,“ inzwischen „der Geschmack an den eigentlichen zircensischen und equestrischen Künsten in den Hintergrund gedrängt“ worden: „Es will die moderne technische Prunkpantomime.“410 Auch der Kritiker und Journalist Viktor Happrich hielt im Jahr 1913 im Artist bezüglich der zeitgenössischen Zirkusprogramme fest, dass sich diese nun zwischen Zirkus, Varieté und Theater bewegten, „[d]ie Pantomime nämlich hat sich an das Theater angelehnt“.411 Damit sei neuerdings eine Aufführungspraxis entstanden, in der „nicht ein Pferdehuf die Manege berührt und große und kleine Schauspieler das Wort führen.“412 Laut Happrich sei dies „[v]om Standpunkte des alten Circusfreundes […] natürlich zu bedauern“.413 Verantwortlich für diese Veränderung machte der Autor den „neue[n] seltsame[n] Geschmack der Menge und die Unmöglichkeit, richtige erstklassige Circusakte in gebührender Anzahl engagieren zu können, da sie nur noch in wenigen Exemplaren existieren“.414
Der russische Zirkushistoriker Jewgeni Kusnezow wiederum schrieb 1931 bezüglich der Aufführungspraxis des Pariser Cirque Olympique zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dass „[d]er steigende Einfluß des Theaters […] dazu führte, daß die Manege dem Zirkus nicht mehr genügte.“415 Er betrachtete außerdem diejenigen Zirkusspielstätten als „Theaterzirkusse“, in denen sowohl eine Manege als auch eine Tiefenbühne existierten.416 Für ihn waren es also im Vergleich zu Signor Saltarino nicht primär szenische Ausstattung und Optik, sondern vielmehr das Vorhandensein einer (Guckkasten-)Bühne, das den Zirkus angeblich eindeutig vom Theater unterschied.417 Der „echte Zirkus“ sei laut Kusnezow durch die Inszenierung von Pantomimen in der Arena und auf der Bühne „immer mehr in den Hintergrund gedrängt“ worden.418 Schlimmer noch:
Die Feerien mit Verwandlungen führten den Zirkus endgültig in eine Sackgasse, sie waren reines Theater. Danach blieb nur noch die Abschaffung der Manege. Das gesamte Repertoire des Theaterzirkus bestand jetzt aus Ausstattungspantomimen, gewöhnlichen Sprechaufführungen, märchenhaften Ballettfeerien und sogar aus gängigen Komödien.419
Schuld an dieser vermeintlichen „Degeneration“ waren Kusnezow zufolge das „Amüsement im Dienste der bürgerlichen Ideologie“420 beziehungsweise der Einfluss des „fortschreitende[n] Zerfalls der bürgerlichen Kultur und Kunst“,421 die „bis hin zu völliger Aufgabe der zirzensischen Spezifika“422 führten. Kusnezow hatte darüber hinaus eine klar hierarchisierte Vorstellung der verschiedenen Theaterformen. Dies wird beispielsweise in einer Formulierung deutlich, mit der er den Zirkus von Schaustellungen auf Messen und Märkten abgrenzte: „Stiegen wir weiter hinab, so kämen wir zu den Buden […] und das hat mit Zirkus nichts zu tun.“423 Vom Zirkus ausgehend sei die nächst „höhere Stufe der Darstellungskunst“ das Schauspiel.424
Die Zirkustheoretiker:innen der Zeit um 1900 bewerteten die Zirkuspantomimen, wie diese Beispiele illustrieren, vielfach negativ.425 Sie kritisierten sie insbesondere „wegen ihres narrativen Aufbaus, ihrer Ignoranz gegenüber Genregrenzen und/oder ideologischer Aufladung“,426 oder sie ignorierten und verachteten sie, weil es sich dabei angeblich um einen „cirque impur“427 handle.428
Ist Pantomime bloß stummes Mimen- und Gestenspiel?
Nicht nur die Schriften von Theaterverfechter:innen, Zirkusexpert:innen und Theaterwissenschaftler:innen prägten und prägen die Vorstellung der Zirkuspraxis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – auch der Begriff ‚Zirkuspantomime‘ selbst verstellt den Blick auf die ihm zugrundeliegende Praxis. Denn unter Pantomimen wurden und werden im öffentlichen wie auch im fachspezifischen Diskurs stumme gestische und mimische Darstellungen verstanden. Die Bezeichnung wurde im Laufe der Zeit für verschiedene Aufführungsformate verwendet, wobei der römische Pantomismus bis heute als begrifflicher Bezugspunkt dient. Im Französischen wandelte sich die Bedeutung des Begriffs vom 16. zum 17. Jahrhundert vom allgemeineren körperlichen Imitieren hin zu einer Bezeichnung des stummen gestischen Darstellens. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts stand der Begriff pantomime dann synonym für die narrativen Formate des höfischen Balletts.429 Im 18. Jahrhundert erfuhr das Ballett Reformen, in deren Rahmen das Handlungsballett beziehungsweise die ballets-pantomime entstanden.430
Der Begriff ‚Pantomime‘ war jedoch nicht nur im Bereich des Balletts um 1700 von Bedeutung. Auch die in der Tradition der Commedia dell’Arte stehenden Darbietungen italienischer Komödiant:innen auf den Pariser Märkten wurden als Pantomimen bezeichnet. Das für die Markttheater-Truppen aufgrund der durch sie entstandenen Konkurrenz für Comédie Française und Comédie Italienne ausgesprochene Sprech- und später auch Singverbot im 18. Jahrhundert trug zu einer Ausdifferenzierung ihrer Aufführungsformate und – entgegen der Idee der Verbote – zu großen Publikumserfolgen bei.431 Einige der Pariser Markttheater-Truppen siedelten infolge der Verbote sowie der strengen Zensur jedoch nach England über und waren dort an der Verbreitung des Begriffs für bestimmte Aufführungsformate ab 1720 beteiligt. Der englische Theaterhistoriker David Mayer betont in diesem Zusammenhang, dass es sich bei den pantomimes nicht um stille, mimische und gestische Darbietungen handelte, sondern um clowneske, satirische oder parodistische Kurzstücke. Durch ihre starke Ausrichtung auf Visualität und Musikalität fielen sie weniger oft der auch in England praktizierten präventiven Zensur zum Opfer. Bis um 1800 waren die sogenannten pantos dann in ganz England en vogue. Sie wurden sowohl auf den königlichen Bühnen als auch in Jahrmarkt-Schaubuden aufgeführt und prägten die Spielpläne des Viktorianischen Zeitalters.432
Heute wird der Begriff pantomime im britischen Kontext vor allem mit den Christmas Pantomimes assoziiert, in Frankreich insbesondere mit der durch Gaspard Deburau geprägten stummen Pierrot-Figur oder der Mimen-Technik nach Etienne Decroux.433 Und im deutschsprachigen Raum galten und gelten Pantomimen gemeinhin als stumme gestische und mimische Darstellungen. Im Zedler-Lexikon aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts findet sich die Erläuterung, dass „Pantomimi […] gewisse Gauckler [waren], welche durch sinnreiche Geberden allerley Dinge ausdruckten, und durch die Bewegung ihrer Leiber, Finger und Augen die vornehmsten Handlungen von der in einem Schauspiel enthaltenen Materie vorstellten. Die Kunst an sich selber war ziemlich alt.“434 Mitte des 19. Jahrhunderts war dann im Allgemeinen Theater-Lexikon (1846) unter dem Stichwort ‚Pantomime‘ zu lesen: „Pantomimen (Aesth.), die Darstellung irgend einer Handlung, einer Situation, eines Gefühles durch bloßes Mienen- und Geberdenspiel ohne Hülfe der Sprache.“435 Im Zusammenhang mit den Zirkuspantomimen und dem Theaterbegriff der damaligen Zeit ist weiterhin interessant, dass laut dem Theater-Lexicon von 1841 für Pantomimen bestimmte Stoffe, etwa mythologische, zulässig waren, andere hingegen nicht: „[W]eder die eigentliche Tragödie, noch das bürgerliche Schauspiel kann ein Gegenstand der P. werden; denn Geberden können nie den strengen Zusammenhang haben, welchen die Tragödie u. das Schauspiel erfordern.“436 Die reale zeitgenössische Praxis der durchaus nicht nur stummen Pantomimen spiegeln die einschlägigen Lexika aus der Zeit um 1850 demnach ganz offensichtlich nicht wider. Und in aktuellen Theaterlexika sucht man nahezu vergebens nach einem Eintrag, der den Zirkuspantomimen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts Rechnung trägt. Einzig im Theaterlexikon von Brauneck und Schneilin (2007) werden sie kurz benannt, jedoch zeitlich falsch verortet und lediglich in einen Zusammenhang mit Zirkus-Clowns und Pferdedarbietungen gebracht.437 Eine Einbettung der Zirkuspantomimen in die (deutschsprachige) Pantomimengeschichte steht also aus, wobei anzumerken ist, dass die Theaterform der Pantomime in ihrer erneuten Blütezeit im Laufe des 19. Jahrhunderts bislang insgesamt schlecht erforscht ist.438
1.5.3 Zirkuspantomimen: Lücken im kollektiven Kulturgedächtnis und in der Forschung
Überraschenderweise haben Zirkuspantomimen in der deutsch-, englisch- und französischsprachigen Forschung bislang wenig bis gar keine Beachtung gefunden – trotz ihrer unübersehbaren Präsenz in den Quellen zur Zirkusgeschichte, von Ankündigungs- und Programmzetteln über Plakate bis hin zu Textbüchern.439 Und auch das kollektive Kulturgedächtnis weist bezüglich der Zirkuspantomimen bis heute sowohl im deutsch- als auch im englisch- und französischsprachigen Raum eine Lücke auf.
Die Forscher:innen, die sich explizit mit Zirkuspantomimen beschäftigten, lassen sich an einer Hand abzählen: Für Frankreich sind vor allem die Studien Patrick Désiles sowie jene Caroline Hodaks von Bedeutung.440 Für den britischen Kontext ist vor allem ein Beitrag Jacky Bratton relevant.441 Und im deutschsprachigen Raum sind insbesondere die Publikationen Katalin Tellers zu nennen.442 Laut Letztgenannter existieren im russischsprachigen Raum diverse Dissertationen und Studien, die sich mit der dortigen Zirkuspraxis – inklusive Zirkuspantomimen – des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beschäftigen. Da diese Schriften jedoch bislang nicht in der Übersetzung vorliegen, werden sie in den ohnehin kleinen deutsch-, englisch- und französischsprachigen Forschungskontexten gegenwärtig so gut wie nicht rezipiert.443
Warum aber wurden Zirkuspantomimen bisher von der Forschung vernachlässigt? Eine mögliche Erklärung liefern wie gesehen zirkushistoriografische Schriften des 19. Jahrhunderts: Zirkustheoretiker:innen reproduzierten vielfach den dominanten Theaterdiskurs beziehungsweise die ideologischen Grenzziehungen zwischen Literaturtheater und Zirkus und bewerteten Pantomimen als Fremdkörper sowie als Anzeichen von Verfall in der Zirkuspraxis. Diese Sichtweise findet bis heute Eingang in historiografische Studien, basiert aber eher auf dem in der Theorie nach wie vor ausgeprägtem Spartendenken als auf der realen Aufführungspraxis der Zirkusse.444
Ein weiterer, ähnlicher Grund könnte darin bestehen, dass in bedeutsamen Studien lediglich hippodrama (eine von Astley und Hughes verwendete Bezeichnung für ihre Stücke) beziehungsweise théâtre équestre, equestrian drama oder aqua/aquatic drama als Zirkusinszenierung mit narrativer Dramaturgie betrachtet wurden.445 In den einflussreichen englischsprachigen Forschungsbeiträgen von Arthur Hartley Saxon (1968) und Antony Hippisley Coxe (1980), aber auch in der kürzlich erschienenen Studie von Caroline Hodak (2018) findet eine Differenzierung von Pferdetheater und Zirkus statt, wobei der Niedergang des Erstgenannten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts festgeschrieben wird.446 In der Tat wurden damals Pferde in Zirkusinszenierungen vielfach durch sogenannte exotische Tiere oder die Einbindung neuer Technologien ersetzt.447 Doch das Abklingen der Pferdemanie bedeutete nicht, dass das Zirkuspublikum fortan auf narrative Inszenierungen zu verzichten hatte.
Die Beschränkung narrativer Zirkusinszenierungen auf Formate und Bezeichnungen wie hippodrama, théâtre équestre oder aqua drama (die begrifflich auf die dominante Vorstellung von Drama verweisen) verstellt den Blick auf eine Theaterkontinuität in der zirzensischen Aufführungspraxis bis ins frühe 20. Jahrhundert: Die Akteur:innen, Themen und Technologien veränderten sich zwar, doch die grundlegenden Dramaturgien blieben gleich. Eine breitere Analyse der zirzensischen Aufführungspraxis sowie ihre Kontextualisierung in der Tanz- und Theaterhistoriografie steht bislang aus. Potenziell erkenntnisreich wären daher künftige Studien mit transnationalen und transmedialen Ansätzen jenseits des normativen Spartendenkens. Denn nicht nur die Mobilität der international tourenden Zirkusgesellschaften war im besagten Zeitraum groß, sondern auch die Mobilität von Stoffen sowie von Akteur:innen, die sich über konventionelle Gattungsgrenzen, gesellschaftliche Bewertungen und gesetzliche Regulierungen hinweg zwischen unterschiedlichen Formaten und Bühnen bewegten.
***
Die Zirkusdirektionen in England hatten während des gesamten 19. Jahrhunderts unterschiedliche narrative Stücke in ihren Programmen, auch wenn sie dafür aufgrund der damals geltenden Theatergesetze mit Bußen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen zu rechnen hatten.448 Bratton merkt diesbezüglich an, dass
circus managers throughout the century persisted in ‚getting up‘ a wide range of pieces that took in farce, pantomime, domestic tales and romances as well as military spectacle, whenever they could get away with it, and sometimes when they could not, in the face of prosecution and repeated fines.449
Auch nach der Abschaffung des Privilegiensystems im Jahr 1843 wurden in England Zirkusse von Theaterdirektionen vor Gericht gebracht. Angriffspunkte boten dabei insbesondere Pantomimen mit Requisiten oder Dialogen – Dinge, die nach wie vor dem dramatischen Theater vorbehalten waren. Im Jahr 1871 ging etwa die Association of London Theatre Managers gegen die Aufführung einer Weihnachtspantomime in einem Zirkusgebäude vor. Auch das Select Committee on Theatrical Licenses and Regulations des britischen Parlaments beschäftigte sich 1866 mit dem Zirkus, denn verschiedene Theaterdirektionen sahen sich durch dessen Erfolg bedroht.450 Die Bezeichnung ‚Pantomime‘ diente in diesem Zusammenhang immer wieder als Deckmantel, um entgegen der geltenden Theatergesetze gesprochenen Text in die Zirkusaufführungen zu integrieren.451 In Paris kam es ebenfalls immer wieder zu Vorstößen gegen Zirkusgesellschaften, etwa seitens der Oper.452 Und auch im deutschsprachigen Raum fürchteten die Vertreter:innen des bürgerlichen Bildungstheaters die Zirkuskonkurrenz. Insbesondere die deutschen Literaturtheater-Organisationen versuchten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, den Gesetzgeber davon zu überzeugen, die 1869 liberalisierten Theatergesetze unter anderem zu Lasten der Zirkusse wieder einzuschränken. Das beschriebene Spartendenken beziehungsweise die unterschiedliche Bewertung der beiden Theaterformen ist daher nicht nur in den programmatischen Schriften von Theaterverfechter:innen, in frühen zirkushistoriografischen Publikationen und in der aktuellen Forschungsliteratur zu finden. Es schlug sich auch in den Theatergesetzen nieder und wurde zugleich von diesen befördert.
Berliner Börsen-Zeitung, 08.01.1880, S. 4.
Vgl. Weitz, Circus, S. 274 f.
Zit. n. Lothar Schirmer, „Wer sich Lust hat, den Halß zu brechen, kann es an anderen Orthen thun. Die Kunstreiter und die preußische Residenz“, in: Stiftung Stadtmuseum Berlin (Hg.), Zirkus in Berlin. Begleitbuch zur Ausstellung, Dormagen: Circus-Verlag, 2005, S. 27–43, hier S. 35.
Vgl. ebd.
Die Spielstätte wurde ab 1859 Jahren als Elysium, Borussia und Alhambra weitergeführt und 1870 in das National-Theater umgewandelt, das im Frühjahr 1883 abbrannte (vgl. Hans-Werner Klünner, 165 Jahre Zirkusstadt Berlin. Eine Chronologie der Zirkusbauten an der Spree. Berlin: Edition Berlin 750, o. D. [ca. 1985], S. 35 f.).
Vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 9–44. Die in den 1980er Jahren in Westberlin gedruckte Publikation des Heimatkundlers Hans-Werner Klünner ist die einzige Quelle, die sich explizit mit den Berliner Zirkusgebäuden beschäftigt und eine Übersicht über diese bietet. Ein Überblick über die Besprechung der Berliner Zirkusspielstätten in zeitgenössischen Bauzeitschriften findet sich bei Stephan Waetzoldt (Hg.), Bibliographie zur Architektur im 19. Jahrhundert. Die Aufsätze in den deutschsprachigen Architekturzeitschriften 1789–1918, Bd. 4: Bildungsbauten. Nendeln: KTO Press, 1977, S. 40818.
Vgl. Lothar Uebel, Viel Vergnügen. Die Geschichte der Vergnügungsstätten rund um den Kreuzberg und die Hasenheide. Berlin: Nishen, 1985, S. 87–89.
Renz etablierte sich ab 1846 langsam mit seiner Gesellschaft in Berlin, die zu Beginn noch unter wechselnden Namen wie Cirque Equestre oder Olympischer Circus auftrat (vgl. Raeder, Circus Renz, S. 57–84).
In den 1850er Jahren wurde die Spielstätte (auch) bekannt als Königsstädtisches Theater (unter der Leitung von Rudolf Cerf) und später als Walhalla-Theater beziehungsweise Walhalla-Volks-Theater und Walhalla-Operetten-Theater. Zwischenzeitlich wurde es auch immer wieder von gastierenden Zirkusgesellschaften bespielt. 1888 übernahm Ludwig Barnay das Gebäude und eröffnete es nach einem Umbau als Berliner Theater wieder. Im Jahr 1935 wurde die Spielstätte abgerissen. (Vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 21 f.).
Vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 37–45.
Zit. n. G. Winkler, Von fliegenden Menschen, Bd. 1, S. 98.
Vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 43.
Bezüglich der Platzkapazitäten vgl. Verzeichnis der Theater und Zirkusse, 1905, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 203, Landesarchiv Berlin; Ruth Freydank (Hg.), Theater als Geschäft. Berlin: Edition Hentrich, 1995, S. 10; Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 315–344; Paul Linsemann, „Die Theaterstadt Berlin – Eine kritische Umschau [1897]“, in: Peter W. Marx / Stefanie Watzka (Hg.), Berlin auf dem Weg zur Theaterhauptstadt. Theaterstreitschriften zwischen 1869 und 1914, Tübingen: Francke, 2009, S. 179–234, hier S. 186.
Vgl. Kirschnick, Vom Rand.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 55–263. Im Jahr 1889 Jahr ließ Ernst Renz am Luisenplatz in Breslau (heute Wrocław in Polen) ein Zirkusgebäude mit rund 3000 Plätzen errichten, das 1903 von Circus Busch übernommen wurde (vgl. Erich A. Franz, Bei uns in Breslau. Kaleidoskop einer Stadt. Heiteres, Besinnliches, Historisches, Erinnerungen. St. Michael: Bläschke, 1980, S. 56–60). Die Quellenlage zum Breslauer Zirkusgebäude ist äußerst dürftig. Ein Abzug des Bauplans findet sich im Zirkusarchiv Winkler (vgl. G. Winkler, Circus Busch, S. 34, 130), ein Sitzplan in einem historischen Stadtführer (vgl. Paul Habel, Neuer Führer durch Breslau. Mit zahlreichen Bildern und einem farbigen Stadtplane. Breslau: Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs in Breslau, 1905, S. 142). Auch in Hamburg und Wien besaß Renz Zirkusgebäude. Eine Übersicht über die Wiener Zirkusgebäude bietet der Beitrag von Manuela Rath, „Zirkus in Wien. Zur Architektur und Programmatik der feststehenden Zirkusbauten“, in: Birgit Peter / Robert Kaldy-Karo (Hg.), Artistenleben auf vergessenen Wegen. Eine Spurensuche in Wien, Wien: LIT Verlag, 2013, S. 79–99.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 156–263.
Paul Felisch, Gutachten über den künstlerischen Wert der Aufführungen des Circus Busch, 25.08.1922, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1566, Landesarchiv Berlin.
Vgl. auch Kwint, Legitimization, S. 113.
Signor Domino, Cirkus, S. 68.
Siehe z. B. die Übersicht von Spielstätten in Berlin auf der Webseite von Observatory of Scenic Spaces, „Atlas Berlin“, https://www.espaciosescenicos.org/en/atlas/berlin/8 (Zugriff 01.07.2021).
Signor Domino, Cirkus, S. 144.
Bezüglich der ersten Zirkushistoriografen des deutschsprachigen Raums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe auch Peter, Zirkus, S. 20–22.
Vgl. Zeitschrift für Bauwesen 17.3–4 (1867), S. 229–232.
Vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 49.
Berliner Börsen-Zeitung, 30.11.1879, S. 6.
Deutsche Bauzeitung, 24.08.1889, S. 413.
Das Neue Olympia-Riesentheater wurde von Bolossy Kiralfy und Hermann Haller, der später als Leiter des Berliner Admiralpalasts bekannt wurde für seine Revuen, geführt (vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 128, 163, 329 f.).
Vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 51 f.
Vgl. Sitzplan Circus Renz, ca. 1880, Sitzplan Circus Schumann, 1904, Sitzplan Circus Schumann, ca. 1909, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Vgl. Verzeichnis der Theater und Zirkusse, 1905, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 203, Landesarchiv Berlin. Zusätzlich verfügte Schumann über 1200 Plätze im sogenannten Zirkustunnel, für den er eine separate Konzession nach Paragraf 33a (RGO) besaß. Die Eintrittspreise lagen dort bei 0,10 bis 0,30 Mark. Der Zirkustunnel existierte, wie einem Bericht in der Vossischen Zeitung vom 30. Dezember 1873 zu entnehmen ist, bereits seit der Umwandlung der Markthalle in einen Zirkus bzw. seit dem Betrieb durch Circus Salamonsky: „Unter dem Circus breitet sich an der Stelle der ehemaligen Fischbassins und Eiskeller ein Riesentunnel ohne Gleiches in Berlin aus. Verschiedene Bier-, Speise-, und Conditorei-Büffets sind in demselben verstreut.“ (Zit. n. G. Winkler, Von fliegenden Menschen, Bd. 1, S. 98).
Revisionsbericht, 18.08.1909, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1536, Landesarchiv Berlin.
Berliner Börsen-Zeitung, 17.09.1909, S. 7.
Vgl. Das Programm, 31.10.1909, o. S.
Die drei Rivalen oder das mysteriöse Schloss in der Normandie. Programm. Circus Schumann, Berlin, 17.01.1910, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Theaterhistoriografisch wird für den deutschen Kontext die von Karl Lautenschläger für das Münchner Residenztheater entwickelte Drehscheibe mit einem Durchmesser von 16 Metern als erste Drehbühne festgehalten. Sie wurde im Mai 1896 anlässlich einer Inszenierung von Don Giovanni (Mozart) in Betrieb genommen (vgl. Friedrich Kranich, Bühnentechnik der Gegenwart, Bd. 1. München u. Berlin: Oldenbourg, 1929, S. 284).
Das Programm, 20.02.1910, o. S.
Ebd.
Vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 52.
Eine Auflistung der Umbauten ist in einer Akte des Landesarchivs Berlin zu finden: Rat des Stadtbezirks Berlin-Mitte, Abteilung Bauwesen, C Rep. 131-09, 301, Landesarchiv Berlin.
Deutsche Bauzeitung, 24.08.1889, S. 413.
Vgl. Vorgutachten über die aufgetretenen Setzungserscheinungen […], Bauvorhaben: Friedrichstadt-Palast, VEB Baugrund Berlin, 19.05.1976, Magistrat von Berlin, Abteilung Kultur, C Rep. 121, 814, Landesarchiv Berlin.
Zentralblatt der Bauverwaltung, 06.12.1919, S. 591. Im Jahr 1911 wurden übrigens auch im Gebäude von Circus Busch die Orestie unter der Regie von Fritz Helmer und Beteiligung der Reinhardt-Schauspielerin Tilla Durieux in der Rolle der Kassandra (vgl. Das Programm, 07.05.1911, o. S.; Orestie. Programm, Circus Busch, Berlin, 31.05.1911, Zirkusarchiv Heino Zeitler, Theaterhistorische Sammlungen der Freien Universität Berlin) sowie Richard III unter der Regie von Ferdinand Bonn (vgl. Das Programm, 23.04.1911, o. S.; Peter W. Marx, Ein theatralisches Zeitalter. Bürgerliche Selbstinszenierungen um 1900. Tübingen: Francke, 2008, S. 334–345) zur Aufführung gebracht. Diese Theaterexperimente in einem Zirkusgebäude sind heute im Vergleich zu denjenigen von Max Reinhardt größtenteils in Vergessenheit geraten.
Zentralblatt der Bauverwaltung, 06.12.1919, S. 591.
Zentralblatt der Bauverwaltung, 06.12.1919, S. 590.
Interessant ist überdies, dass Hans Poelzig, dessen bekannte tropfsteinartige Innenarchitektur heute sinnbildlich für das Große Schauspielhaus steht, erst 1918 die künstlerische Leitung des Umbaus übernahm (vgl. Zentralblatt der Bauverwaltung, 06.12.1919, S. 591 f.). 1913 war Hermann Dernburg, Architekt des 1910 errichteten Berliner Sportpalasts, mit dem Entwurf des Umbaus beauftragt worden. Er hatte 1912 auch Entwürfe für ein Festspielhaus in Berlin, das sogenannte Theater der 10.000, erstellt, die stark an die festen Zirkusspielstätten erinnern (vgl. Hermann Dernburgs Entwürfe für das Deutsche Festspielhaus (Theater der 10.000) in Berlin, Inv. Nr. 19376–19380, Architekturmuseum, Technische Universität Berlin, https://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/index.php?p=51&SID=1628676188979 (Zugriff 06.05.2021).
Vgl. Wolfgang Tilgner / Eva Senger, Das Haus an der Spree. Von der Markthalle zum Friedrichstadtpalast. Berlin: Friedrichstadt-Palast, 1974. Im Jahr 2019 feierte der Friedrichstadt-Palast sein 100-jähriges Jubiläum und schreibt damit seinen Anfang im Jahr 1919, also dem Zeitpunkt der Übernahme des Gebäudes durch Max Reinhardt, fest. Auf der Jubiläumswebseite der Spielstätte wird die 50-jährige Zirkusgeschichte des Gebäudes zusammen mit der Errichtung und Umwandlung der Markthalle als „Prolog / Vorgeschichte“ zusammengefasst (vgl. o. A., „Ein Jahrhundert Palast. Geschichte“, in: Ein Jahrhundert Palast, 1919–2019 https://einjahrhundertpalast.berlin (Zugriff 03.03.2019)). Auch in der Präsentation seiner Geschichte im Foyer des heutigen Friedrichstadt-Palasts wird nur am Rande auf die Zirkus-Ära hingewiesen.
Zwischen 2016 und 2017 wurden in einem DFG-geförderten Digitalisierungsprojekt der Technischen Universität Berlin und der Beuth Hochschule Berlin Archivalien von über 500 Theaterbauten erfasst und online zugänglich gemacht. Im Zusammenhang mit den Quellen zum Großen Schauspielhaus wird zwar explizit auf den späteren Betrieb der Spielstätte als Theater des Volkes und Friedrichstadt-Palast hingewiesen, nicht aber auf die vorhergehende Zirkusgeschichte (vgl. o. A., „DFG-Projekt Theaterbau-Sammlung: Projektfortschritt“, in: Technische Universität Berlin, Architekturmuseum https://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/index.php?p=632 (Zugriff 06.05.2021)).
Signor Domino, Cirkus, S. 144 f.
Vgl. Bauakte Friedrich-Karl-Ufer 2–5 (Mitte), A Rep. 010-02, 2535, Landesarchiv Berlin.
Mathias Koenen gilt als wichtiger Wegbereiter der Moniertechnik bzw. des Baus mit Eisenbeton im Deutschen Kaiserreich in den 1880er Jahren. Er arbeitete auch mit Gustav Adolf Wayss zusammen, einem Berliner Ingenieur und Bauunternehmer, der das Patent für Monierkonstruktionen erworben hatte. (Vgl. Wolfgang König / Wolfhard Weber, Netzwerke, Stahl und Strom. 1840 bis 1914. Berlin: Propyläen, 21997, S. 291). Die Firma G. A. Wayss & Co. war auch in den Umbau des Markthallenzirkus im Jahr 1889 unter Circus Renz involviert (vgl. Deutsche Bauzeitung, 24.08.1889, S. 413).
Vgl. o. A. Detert / Johann Georg Justus Ballenstedt, Architektur 1900, Bd. 1: Unterhaltung und Ertüchtigung. Theater, Zirkus, Panoramen, Saal-Bauten, Vereinshäuser, Sport-Anlagen, hg. von Reinhard Welz. Mannheim: Vermittlerverlag, 2005 [ca. 1900], S. 175; Eduard Schmitt, Handbuch der Architektur. Vierter Teil: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude, Sechster Halb-Band: Gebäude für Erziehung, Wissenschaft und Kunst, 6. Heft: Zirkus- und Hippodromgebäude. Stuttgart: Alfred Kröner, 1904, S. 61–66.
Vgl. Deutsche Bauzeitung, 23.04.1887, S. 193 f.
Vgl. Deutsche Bauzeitung, 18.05.1887, S. 239.
Vgl. Technische Zeichnung, ca. 1889, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1546, Landesarchiv Berlin.
In der zirkushistoriografischen Literatur kursiert die Vermutung, dass die Konstruktion in Magdeburg wiederaufgebaut wurde (vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 65; G. Winkler, Von fliegenden Menschen, Bd. 1, S. 112, 116) – historische Belege ließen sich jedoch dafür bislang nicht finden.
Vgl. Schmitt, Handbuch, S. 61.
Nach dem verheerenden Brand des Wiener Ringtheaters 1881 wurden die Vorschriften für den Bau von Theaterspielstätten verschärft und spätestens mit der Berliner Bauverordnung von 31. Oktober 1889 mitsamt ihrer Ergänzung vom 3. April 1891 waren reine Holzkonstruktionen für Zirkusgebäude nicht mehr zulässig (vgl. Die neuen Bestimmungen vom 18.03.1891 zur Polizei-Verordnug vom Oktober 1889 betreffend die bauliche Anlage und die innere Einrichtung von Theatern, Circusgebäuden und öffentlichen Versammlungsräumen. Berlin: Polytechnische Buchhandlung, 1891).
Alfred Kerr, Wo liegt Berlin? Briefe aus der Reichshauptstadt 1895–1900, hg. von Günther Rühle. Berlin: Aufbau, 1997, S. 91 f.
Architekten-Verein zu Berlin / Vereinigung Berliner Architekten (Hg.), Berlin und seine Bauten, Bd. 2.3: Der Hochbau. Berlin: Ernst, 1896, S. 515. Vgl. auch Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, 24.10.1895, o. S.
Vgl. Verzeichnis der Theater und Zirkusse, 1905, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 203, Landesarchiv Berlin.
Im Rahmen meiner Archivaufenthalte und sonstiger Recherchen konnten keine detaillierten Baupläne dieses jüngsten Berliner Zirkusgebäudes gefunden werden und auch die entsprechenden Akten im Landesarchiv Berlin bezüglich Bautätigkeit, Bauaufsicht und Sicherheit der Berliner Theaterpolizei geben wenig Auskunft über Architektur und Ausstattung (vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1563–1565). In Stephan Waetzoldts Bilbliographie zur Architektur im 19. Jahrhundert finden sich ebenfalls keine weiteren Hinweise zum Berliner Gebäude von Circus Busch (vgl. Waetzoldt, Bibliographie, S. 40818). Laut den Angaben in einer Polizeiakte war 1915 das 10. Berliner Bauamt für das Unternehmen zuständig (vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1560, Landesarchiv Berlin).
Vgl. Paula Busch, Das Spiel meines Lebens. Erinnerungen. Berlin: Eulenspiegel, 21992 [1957], S. 9; Klünner, Zirkusstadt, S. 77.
Vgl. Magistrat der Stadt Berlin, Städtische Tiefbaudeputation, A Rep. 010-01-02, 2611, Landesarchiv Berlin.
Vgl. G. Winkler, Circus Busch, S. 64–76.
Vgl. G. Winkler, Circus Busch, S. 73–75. Die Bauzeichnungen der Architekten Roth und Lipp befinden sich laut Gisela Winkler im Stadtmuseum Berlin (vgl. G. Winkler, Circus Busch, S. 75). Im Landesarchiv Berlin befinden sich in den Akten des Baustabs Fritz Keibel (gemeinsam mit Arthur Reck, Architekt des Münze-Neubaus am Molkenmarkt von 1936) zudem Fotografien der Entwürfe des Zirkus-Busch-Neubau-Projekts (vgl. Baustab Keibel, Serie Z: Projekt Zirkus Busch Berlin, A Pr. Br. Rep. 042 (Fotos), 1876, 1877, 1878, 1879, 1880, 1881, 1882, 1896, 1897, Landesarchiv Berlin).
Bezirksamt Neukölln / Kunstamt (Hg.), Eine große Familie. Artisten und ihre Vereine in Neukölln. Beiheft zur Ausstellung in der Galerie im Saalbau 1986. Berlin: o. A., 1986, S. 4.
Vgl. Bezirksamt Neukölln / Kunstamt, Eine große Familie, S. 10 f.
Vgl. Bezirksamt Neukölln / Kunstamt, Eine große Familie, S. 12–28; Artisten-Verein ‚Einigkeit‘ Berlin-Neukölln (Hg.), 100 Jahre Artisten-Verein ‚Einigkeit‘ Berlin-Neukölln. Berlin: Artisten-Verein Einigkeit, 1988.
Vgl. Bezirksamt Neukölln / Kunstamt, Eine große Familie, S. 8; Christian John, „Ausverkauf der ‚Neuen Welt‘“, in: Neuköllner Kulturverein (Hg.), Sand im Getriebe. Neuköllner Geschichte(n), Berlin: Edition Hentrich, 1985, S. 135–150, hier S. 136–138; Uebel, Viel Vergnügen, S. 91–131. Einige historische Quellen wie Fotos, Postkarten und Zeitungsausschnitte, die Aufschluss über Vereine, Festsäle sowie Lebens- und Arbeitsorte der Artist:innen geben, befinden sich im Archiv des Museums Neukölln.
Vgl. Artisten-Verein ‚Einigkeit‘ Berlin-Neukölln. Die festen Spielstätten und Probierhallen in den europäischen und russischen Ballungszentren ermöglichten den Artist:innen regelmäßige Trainings und Proben. Wie Signor Domino schreibt, wurden in den Zirkusgebäuden nicht nur die Manege, sondern auch die übrigen Räumlichkeiten zum Proben genutzt: „Der zweite und eigentliche Schauplatz der Cirkusprobe ist nicht nur die Manege selbst, sondern das Innere des Cirkus überhaupt, so weit dieses freien Raum, Platz zum Ueben bietet […].“ (Signor Domino, Cirkus, S. 75) Die Artist:innen auf dem europäischen Kontinent hatten im Vergleich zu den Künstler:innen im hochmobilen Zirkusbetrieb der USA vielfach auch während ihrer Engagements Gelegenheit, neue Nummern zu erarbeiten. Auch deswegen wurden sie gerne von den nordamerikanischen Zirkusgesellschaften engagiert. (Vgl. Public Broadcasting Service, „The Circus“, in: Films https://www.pbs.org/wgbh/americanexperience/films/circus/ (Zugriff 14.03.2020).)
Vgl. Bezirksamt Neukölln / Kunstamt, Eine große Familie, S. 9–16; Uebel, Viel Vergnügen, S. 120–121. In der Nähe des Jahnschen Turnplatzes befand sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine Freifläche für Zirkuswagen. Sicherlich lebten auch Artist:innen, die in den großen Berliner Zirkusgesellschaften arbeiteten, in Rixdorf und Neukölln. Dies müsste jedoch in einer gesonderten Studie genauer untersucht werden.
Vgl. Bezirksamt Neukölln / Kunstamt, Eine große Familie, S. 16–19; John, Ausverkauf, S. 135–150.
China. Programm, Circus Schumann, Berlin, 22.10.1900, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Vgl. Arrighi, Circus and Modernity, S. 386–402: dies., Circus and Electricity, S. 81–100; Anna-Sophie Jürgens, „Circus Matters: Engineering, Imagineering and Popular Stages of Technology“, in: dies. (Hg.), Circus, Science and Technology. Dramatising Innovation, London: Palgrave Macmillan, 2020, S. 1–14; Tait, Replacing Injured Horses, S. 149–164.
Nicht nur Zirkusgesellschaften, sondern auch die meisten Theaterspielstätten und -ensembles waren bis zur Kommunalisierung und Verstaatlichung nach dem Ersten Weltkrieg kommerzielle Unternehmungen und somit auf den Zuspruch des Publikums angewiesen.
Vgl. Zentralblatt der Deutschen Bauverwaltung, 06.12.1919, S. 617.
Ebd.
In den Theaterpolizeiakten finden sich Belege, dass Circus Schumann ab 1899, also zum Zeitpunkt der Übernahme des Martkhallenzirkus, über eine Starkstromanlage verfügte und die Firma Schwabe & Co. mit der elektrischen Ausstattung des Gebäudes beauftragte (vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1529, 1536, Landesarchiv Berlin).
Berliner Börsen-Zeitung, 17.09.1909, S. 7.
Ebd.
Berliner Börsen-Zeitung, 08.12.1878, S. 6.
In Kohlenbogenscheinwerfern wurden mithilfe von Strom zwei Kohlestäbe aneinander abgebrannt, wodurch ein helles Licht erzeugt wurde.
Vgl. Technische Zeichnung, ca. 1889, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1546, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Carl-Friedrich Baumann, Licht im Theater. Von der Argand-Lampe bis zum Glühlampen-Scheinwerfer. Wiesbaden: Franz Steiner, 1988, S. 137–143.
Leipziger Tageblatt und Anzeiger, 27.05.1879, S. 3052. Circus Renz arbeitete auch schon zuvor mit neuartigen Beleuchtungstechnologien für seine Pantomimen. Für die „große phantastische Zauber-Pantomime“ Montana, die Ende der 1860er Jahre aufgeführt wurde, ist laut Programmankündigung beispielsweise überliefert, dass zu ihrem Höhepunkt eine Schluss-Apotheose „mit Anwendung von neuen Lichteffecten“ gehörte. (zit. n. Nic Leonhardt, „Metropole als Markt für Mokerie. Parodien auf urbane Unterhaltung als Unterhaltung über Urbanisierung im 19. Jahrhundert“, in: Forum Modernes Theater 23.2 (2008), S. 135–151, hier S. 141). Im Zeitraum dieser Aufführung wurde zur Herstellung von Lichteffekten in den größeren Theaterspielstätten und Opernhäusern Kalklicht verwendet, bei dem mittels Gas ein Stück Kalk zum Glühen gebracht wurde (vgl. Gösta M. Bergman, Lightning in the Theatre. Stockholm: Almqvist & Wiksell International, 1977, S. 273–277).
Leipziger Tageblatt und Anzeiger, 27.05.1879, S. 3052.
Der Bau von Stromkraftwerken und die Produktion von Generatoren nahm erst im Verlauf der 1880er Jahre an Fahrt auf, nachdem die industrielle Produktion der Edison-Glühlampe möglich geworden war (vgl. Bergman, Ligthning, S. 286).
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 189.
Vgl. Carlé / Martens, Kinder, S. 23.
In einer Bauakte zum Markthallenzirkus findet sich etwa eine technische Zeichnung des Dampfkessels eines Locomobile genannten mobilen Stromkraftwerks (vgl. Magistrat der Stadt Berlin, Städtische Baupolizei, A Rep. 010-02, 4371, 4372, Landesarchiv Berlin). Auch zeugen diverse Revisionsberichte davon, dass im Markthallenzirkus in den 1890er Jahren zur Erzeugung von Strom eine Dampfkesselanlage verwendet wurde (vgl. Bescheinigung Dampfkessel-Revisions-Verein, 24.11.1894, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1526; Schreiben von Petzold & Co. an das Polizeipräsidium, 03.09.1900, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1536).
Vgl. Baumann, Licht, S. 152–180.
Die drei Rivalen oder das mysteriöse Schloss in der Normandie. Programm, Circus Schumann, Berlin, 17.01.1910, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Die Ausstattungsfirma Hugo Baruch lieferte die szenografischen Elemente, die aus Brandschutzgründen alle mit Asbest überzogen oder imprägniert waren (vgl. Unterlagen von Hugo Baruch & Cie, 23.08.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin).
Vgl. Karl Döring, „Die Zirkuspantomime einst und jetzt [1919]“, in: Dietmar Winkler (Hg.), Über Zirkuskunst: Texte von Paula Busch, Karl Döring und Signor Saltarino, Gransee: Edition Schwarzdruck, 2012, S. 225–237, hier S. 236.
Nicht nur mit neuartigen elektrischen, sondern auch mit aus heutiger Sicht ungewöhnlichen und gesundheitsschädigenden Lichteffekten experimentierten die Berliner Zirkusse um 1900: So begeisterten 1909 in der Pantomime Rom bei Circus Busch Tänzerinnen das Publikum, deren Kostüme dank dem 1898 von Marie und Pierre Curie entdeckten chemischen Element Radium im Dunkeln leuchteten. Laut dem Programm tanzten die „Balletteusen“ bei Busch „ein sanftes, blaugrünes Licht ausstrahlend“ im verdunkelten Raum „wie Gespenster“ (zit. n. G. Winkler, Circus Busch, S. 24). Circus Busch war nicht der einzige Akteur, der im Bereich der darstellenden Künste die Eigenschaften von Radium nutzte. Ein Berliner Labor etwa pries im Anzeigenteil des Programm „Radium (à la Loïe Fuller), stark selbstleuchtende Farben […] für Costüme, Requisiten und Decorationen“ an, die auch als Schminke und in Puderform erhältlich waren. (Das Programm, 24.09.1905, o. S.).
Textbuch Babel Dezember 1903, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1530, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Vgl. Circus Busch Berlin 1895/1896, Sammlung Kaminski, Stiftung Stadtmuseum Berlin; Busch, Spiel, S. 70 f.; Döring, Zirkuspantomime einst und jetzt, S. 233.
Vgl. Busch, Spiel, S. 70 f.
Im Varieté Wintergarten führten die Brüder Skladanowsky am 1. November 1895 zum ersten Mal die Projektion ihrer neun Kurzfilme vor (vgl. Frank-Burkhard Habel, Das war unser Kintopp! Die ersten fünfzig Jahre: Von den ‚Lebenden Bildern‘ zum UFA-Tonfilm. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 1995, S. 21 f.). In Berlin bestanden enge Verbindungen zwischen den Zirkuskünstler:innen und den dortigen Wegbereitern des Kinos: Der Artist Mr. Delaware, der für die ersten Filme der Brüder Max und Emil Skladanowsky mit seinem boxenden Känguru kämpfte, war damals mit dem Tier bei Circus Busch engagiert. Ein weiterer Bruder der Skladanowskys war ein bekannter Kunstreiter sowie Akrobat und unter anderem bei Circus Renz im Engagement (vgl. Habel, Kintopp, S. 17–28).
China. Programm, Circus Schumann, Berlin, 22.10.1900, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Circus Busch an das Polizeipräsidium, 21.03.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Kusnezow, Zirkus, S. 159. Auch das US-Zirkusunternehmen der Ringling Brothers präsentierte 1897 den Edison-Projektor in einem zusätzlichen Zelt (vgl. Stoddart, Rings, S. 27). Möglicherweise wurden die Pausen auch zur Projektion von Reklamen genutzt, um zusätzliche Einnahmen zu generieren (vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 128).
Lustige Blätter. Programm, Circus Renz, Berlin, 25.12.1896, Archiv Friedrichstadt-Palast; vgl. Döring, Zirkuspantomime einst und jetzt, S. 236. Von dieser Drehmanege-Konstruktion konnte bislang weder eine Fotografie noch eine technische Zeichnung gefunden werden.
Die drei Rivalen oder das mysteriöse Schloss in der Normandie. Programm, Circus Schumann, Berlin, 17.01.1910, Archiv Friedrichstadt-Palast. Albert Schumann ließ selber auch diverse bühnentechnische Konstruktionen patentieren (vgl. Albert Schumann, Improved Apparatus for Circus Performances, 1897, GB000189726413A; ders., Künstliche Skibahn, 1905, AT000000022461B; ders., Verfahren und Vorrichtung zur Vorführung eines Wettrennens auf verhältnismäßig kleinem Platze, 1909, AT000000040682B; ders., Racing Appartus, 1909, US000000962057A; ders. Einrichtung für Schaustellungen, 1910, DE000000231364A, Deutsches Marken- und Patentamt).
Vgl. Unterlagen von Hugo Baruch & Cie, 23.08.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin. Bereits in einem Revisionsbericht aus dem Jahr 1897 finden sich Hinweise auf die in der Spielstätte bestehende Kulissen- und Sofittenbeleuchtung (vgl. Bericht über die Revision der elektrischen Beleuchtungsanlage im Cirkus Busch, 21.04.1897, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1553, Landesarchiv Berlin).
Vgl. Klünner, Zirkusstadt, S. 63; Karl Döring, „Zirkus-Pantomimen“, in: Das Programm, 24.07.1910, o. S. Ebenfalls abgedr. in: Dietmar Winkler (Hg.), Über Zirkuskunst: Texte von Paula Busch, Karl Döring und Signor Saltarino. Gransee: Edition Schwarzdruck, 2012, S. 215–220.
Marion Spadoni, Circus Dynastie Renz Schumann – Paul Spadoni: Vom Weltstar zur Weltumspannenden Agentur. Manuskript, o. D. [ca. 1994], S. 25, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Auf Helgoland oder Ebbe und Flut. Programm, Circus Renz, Berlin, 31.12.1891, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Ebd.
Circus unter Wasser. Programm, Circus G. Schumann, Berlin, 13.12.1891, Archiv Friedrichstadt-Palast. Auch Circus Albert Schumann hatte 1891 Eine ländliche Hochzeit im „Circus unter Wasser“ auf dem Programm. Wie auf dem Anschlagzettel eines Gastspiels in Wien am 3. Juni 1891 zu lesen ist, wurde in der zweiten Abteilung der Pantomime die Manege „in Einer Minute in ein Wasserbassin verwandelt, welches durch Dampf- und Ruderboote befahren wird.“ (Der Schmied von Gretna Green oder: Eine ländliche Hochzeit. Anschlagzettel, Circus Schumann, Wien, 03.061891, Zirkusarchiv Heino Zeitler, Theaterhistorische Sammlungen der Freien Universität Berlin).
Marion Spadoni, Circus Dynastie Renz Schumann – Paul Spadoni: Vom Weltstar zur Weltumspannenden Agentur. Manuskript, o. D. [ca. 1994], S. 21, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Vgl. Dupavillon, Architectures, S. 99–103; Clotilde Anleys, „Opérettes de cirque à grand spectacle féérique et nautique: les mises en scenes de Géo Sandry pour le Cirque d’Hiver“, in: memento 4 (2011), S. 14–23.
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Ebd.; vgl. auch Manfred Veraguth, ‚Besser ein ordentliches Theater, als die Tingel-Tangel-Wirtschaft in allen Quartieren‘. Die Theatertopographie und das Theaterpanorama der Stadt Bern um 1900. Erlangen: Wehrhahn, 2015, S. 141.
Architekten-Verein zu Berlin / Vereinigung Berliner Architekten, Berlin, Bd. 2.3, S. 515.
Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, 24.10.1895, o. S.
Busch, Spiel, S. 115, siehe auch S. 91 f. Aus einer Korrespondenz vom April 1934 bezüglich des Hamburger Zirkusgebäudes von Circus Busch lässt sich entnehmen, dass dort eine versenkbare Manege existierte. Die Korrespondenz befindet sich laut Gisela Winkler im Staatsarchiv Hamburg (vgl. G. Winkler, Circus Busch, S. 64).
Bereits vor dem Einbau entsprechender bühnentechnischer Vorrichtungen in den 1890er Jahren wurden in den Berliner Zirkusspielstätten Darbietungen mit und im Wasser gegeben. Beispielsweise trat im letzten Bild der Nibelungen bei Circus Renz im Jahr 1879 Miss Lurline mit und in ihrem gläsernen Wasserbehälter auf. In einer Programmanzeige des Leipziger Tageblatt wurde sie folgendermaßen angekündigt: „Debut der berühmten amerikanischen Wasserkönigin Miss Lurline in ihren ausdauernden und staunenerregenden Productionen unter Wasser“. (Leipziger Tageblatt und Anzeiger, 25.05.1879, S. 3021) Die nordamerikanische Künstlerin trat in den 1880er Jahren in europäischen Zirkus- und Varietéprogrammen auf und wurde mit ihren Tauchdarbietungen in einem „kolossale[n], aus Glas gefertigte[n] Wasserbehälter und die ihn erfüllenden 24000 Liter Wasser“ bekannt. (Berliner Börsen-Zeitung, 24.08.1882, S. 8) Höchst wahrscheinlich stellte der entsprechend beleuchtete „Monumental-Bottich“ (ebd.) im Circus Renz die grünen Fluten des Rheins dar, in denen Nixen wie Miss Lurline schwammen. Die Szene war laut dem Leipziger Tageblatt „von prächtig schöner Wirkung“. (Leipziger Tageblatt und Anzeiger, 27.05.1879, S. 3052).
Vgl. Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1553, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, 1560; A Pr. Br. Rep. 030-05-02, 6661, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Busch, Spiel, S. 76 f.
Busch, Spiel, S. 91.
Willy Hagedorn, Immersed Trap for Spectacular and like Performances, 1906, GB000190621875A, Deutsches Patent- und Markenamt.
Das Wasser sorgte beim Publikum jedoch nicht nur für Begeisterung, sondern führte auch zu Beschwerdebriefen an die Polizei, wie ein Schreiben vom 28. Dezember 1913 in den Akten der Theaterpolizei belegt: „Bei meinem gestrigen Besuche des Circus Busch wurde Wasser in die Manege eingelassen. Dieses verbreitete einen derartigen pestilenzartigen Geruch, daß die Besucher in den vorderen Reihen erheblich belästigt wurden.“ (Brief an das Polizeipräsidium, 28.12.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1560, Landesarchiv Berlin.)
Zeitungsauschnitt aus dem Berliner Börsen-Courier, 24.11.1912, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Kranich, Bühnentechnik der Gegenwart, Bd. 1; Gösta M. Bergman, Lightning in the Theatre. Stockholm: Almqvist &Wiksell International, 1977; Baumann, Licht; Ulf Otto, „Auftritte der Sonne. Zur Genealogie des Scheinwerfens und Stimmungsmachens“, in: Annemarie Matzke u. a. (Hg.), Auftritte. Strategien des In-Erscheinung-Tretens in Künsten und Medien, Bielefeld: transcript, 2015, S. 85–104; ders., Das Theater der Elektrizität. Technologie und Spektakel im ausgehenden 19. Jahrhundert. Berlin: Metzler, 2020.
Die Berliner Börsen-Zeitung schrieb etwa bezüglich der Pantomime Ein Afrikanisches Fest der Königin von Abessynien bei Circus Renz im Januar 1876: „Es ist keine Übertreibung, wenn wir behaupten, daß der in dieser Pantomime aufgebotene Luxus der Costüme, der Beleuchtung und der Requisiten selbst die feenhaften Leistungen des Victoria-Theaters wenn nicht übertrifft, so doch jedenfalls vollständig erreicht.“ (Berliner Börsen-Zeitung, 18.01.1876, S. 7.)
Auch hinsichtlich der Verbindung von Zirkuspraxis und (bühnen)technischen Entwicklungen wäre eine genauere Historisierung und kritische Kontextualisierung notwendig. Dies wäre jedoch Gegestand einer separaten Untersuchung.
Ulf Otto beschäftigte sich im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts mit der Elektrifizierung des Theaters beziehungsweise dem Verhältnis von Elektroindustrie und Theaterkultur. Er legt in seinen Studien dar, wie das mit den Hygiene- und Fortschrittsdiskursen einhergehende Heilsversprechen einer Gesundung durch Elektrizität auch in die Theaterkultur des späten 19. Jahrhunderts Einzug hielt. Damit ist zum einen die (vom Bürgertum erhoffte) Auflösung der ‚sozialen Frage‘ gemeint, das heißt der von der ersten Industrialisierungswelle ausgelösten Massenarmut und -verelendung, und zum anderen die (potenziell) positive Wirkung von Elektrizität auf die Gesundheit des menschlichen Körpers. Elektrotechnische Errungenschaften sollten gemäß dieser Vorstellung auch zu einer Verbesserung des Theaters führen, das dank technologischer Fortschritte sicherer und gesünder werde. (Vgl. Ulf Otto, Das Theater der Elektrizität, insb. S. 1–45.)
Signor Domino, Cirkus, S. 66.
Dies ist etwa Anekdoten aus den Engagements der Fratellini-Clowns bei Busch und Schumann in Berlin zu entnehmen, welche die Proben auch als anstrengend beschrieben (vgl. Albert Fratellini, Nous les Fratellini. Paris: Grasset, 1955, S. 128, 141, 150).
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Circus Schumann an das Polizeipräsidium, 07.02.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Vgl. Teller, Geschichte, S. 79–81. Jacky Bratton sowie Peter W. Marx haben ebenfalls auf diese Lücke hingewiesen. Vgl. Bratton, What Is a Play, S. 251; Marx, Theatralisches Zeitalter, S. 345.
Teller, Kulturpolitischer Raum, S. 123.
Im Vergleich zu Berlin lassen sich in den Wiener Theaterzensurakten (im Niederösterreichischen Landesarchiv) keine Textbücher von Zirkuspantomimen finden. Ob die Aufführungen der Zirkusgesellschaften in Wien ebenfalls der präventiven Zensur unterstanden und ihre Textbücher bzw. Programme allenfalls bei der Polizei (Niederösterreichische Statthalterei) einreichen mussten, scheint bislang ungeklärt. Mira Horvath verweist in einem Beitrag darauf, dass sowohl das entsprechende Archivmaterial im Niederösterreichischen Landesarchiv wie auch im Wiener Stadt- und Landesarchiv lückenhaft ist (vgl. Mira Horvath, „Großzirkus auf Reisen“, in: Birgit Peter / Robert Kaldy-Karo (Hg.), Artistenleben auf vergessenen Wegen. Eine Spurensuche in Wien, Wien: LIT Verlag, 2013, S. 101–120, hier S. 117). In Berlin war das Polizeipräsidium bzw. die Theaterpolizei für die Zensur aller Theaterformen zuständig – explizit auch für nicht-literarische, wie etwa aus einer Rede des Abgeordneten der Deutschen Fortschrittspartei Franz Duncker im Reichstag im Jahr 1869 hervorgeht: „[Z]u jeder einzelnen Vorstellung sind die Theaterunternehmer verpflichtet […], die polizeiliche Erlaubnis einzuholen, und zwar müssen sie die betreffenden Stücke […] oder bei mimischen Darstellungen eine genaue Beschreibung derselben dem Polizeipräsidium einreichen […].“ (Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, zweite Beratung über den Entwurf der Gewerbeordnung, in: Reichstagsprotokolle (im Folgenden abgekürzt als RTP), S. 351).
Die Theaterwissenschaftlerin Dagmar Walach schreibt, in den Berliner Theaterzensurakten sei bereits die Hoffnung so mancher Theaterhistoriker:in zerschlagen worden, auf „außergewöhnliche, gar spektakuläre Exempel“ zu stoßen, die sich „in die Geschichte des Dramas“ einfügen lassen (Dagmar Walach, „Das doppelte Drama oder die Polizei als Lektor. Über die Entstehung der preussischen Theaterzensurbibliothek“, in: Martin Hollender u. a. (Hg.), Die besondere Bibliothek oder: Die Faszination von Büchersammlungen, München: De Gruyter, 2002, S. 259–274, hier S. 266). Das mag zutreffen – was die Geschichte des Zirkus und anderer verwandter Theaterformen angeht, schlummern in den Berliner Theaterzensurakten jedoch noch zahlreiche unerforschte Schätze (vgl. auch Leonhardt, Im Bann, S. 32 f.). Ausführungen zum Begriff ‚Szenarium‘ finden sich bei Andreas Wolfsteiner (vgl. Andreas Wolfsteiner, Sichtbarkeitsmaschinen. Zum Umgang mit Szenarien. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2018, S. 13–22). Das „Scenarium“ dient ihm zufolge ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als wichtiges Instrument der Theaterarbeit, „das sowohl die Inventarisierung als auch die Programmierung von Handlungen möglichst knapp, aber auch übersichtlich und nachvollziehbar hält“ und eine militärisch-disziplinierende Konnotation besitzt (Wolfsteiner, Sichtbarkeitsmaschinen, S. 17). Der Theaterwissenschaftler verweist dabei auf das Theaterlexikon von Düringer und Barthels aus dem Jahr 1841, in dem unter dem Lemma „Scenarium“ zu lesen ist, dass es „[b]ei den Pantomimen, Ballets, und wohl auch großen Opern“ üblich war, „das Scenario auf den Anschlagzettel zu drucken“ (zit. n. Wolfsteiner, Sichtbarkeitsmaschinen, S. 16). Wie ich weiter unten in Bezug auf die Rezeption der Pantomime Diamantine von Circus Renz ausführe, wurden die Szenarien der Zirkusse wie Opernlibretti gedruckt und dem Publikum verkauft.
Raeder, Circus Renz, S. 180.
Programm Circus Renz, 16.12.1883, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1524, Landesarchiv Berlin.
Ernst Jacob Renz, Diamantine. Große phantastische Ausstattungs-Pantomime mit Ballets, Aufzügen und equestrischen Evolutionen in 4 Bildern und 1 Apotheose. Libretto. München: Schuh & Cie, o. D. [ca. 1880], S. 1. Das Textbuch findet sich auch in einer Akte der Berliner Theaterpolizei (vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1525, Landesarchiv Berlin).
Renz, Diamantine, S. 4.
Vgl. Renz, Diamantine, S. 4–12.
Vgl. Programm Circus Renz, 16.12.1883, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1524, Landesarchiv Berlin; Raeder, Circus Renz, S. 168–183.
Berliner Börsen-Zeitung, 20.11.1883, S. 7. Interessanterweise befindet sich der Bericht über Diamantine in der Berliner Zeitung unter der Rubrik „Kunst und Wissenschaft“ nach der Besprechung verschiedener Theatervorstellungen. Dies ist ungewöhnlich, da Zirkusangelegenheiten in den Zeitungen üblicherweise unter „Lokales“ verhandelt wurden.
Signor Domino, Cirkus, S. 66.
Renz, Diamantine, S. 2.
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Vgl. Barell, Bobby (als Autor vermutet), Sonderdruck (7 Seiten), in: Konvolut zur Zirkusgeschichte in der Materialsammlung von Bobby Barell, o. O. u. D, o. S., Sammlung „Varieté – Zirkus – Kabarett“, Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Vgl. Kusnezow, Zirkus, S. 156.
Vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 22.02.1879, S. 8; Klaus Kieser / Katja Schneider (Hg.), Reclams Ballettführer. Stuttgart: Reclam, 2009, S. 420, 587.
Vgl. Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.; Döring, Zirkuspantomime einst und jetzt, S. 232.
Siehe auch Sarah Gutsche-Miller, Parisian Music-Hall Ballet, 1871–1913. Rochester: University of Rochester Press, 2015, S. 69.
Hamburger Nachrichten, 16.06.1879, o. S.
In Paul S. Ulrichs biografischem Übersichtsverzeichnis ist lediglich der Hinweis zu finden, dass Fräulein Ostradt um 1830 geboren wurde und den Vornamen Minna trug (vgl. Paul S. Ulrich, Biographisches Verzeichnis für Theater, Tanz und Musik. Fundstellennachweis aus deutschsprachigen Nachschlagewerken und Jahrbüchern, Bd. 2: M–Z. Berlin: Berlin-Verlag Spitz, 1997, S. 1370). Verwiesen wird darin auf ein weiteres biografisches Lexikon aus dem Jahr 1892, in dem sich jedoch auch nur die Zusatzinformationen finden, dass sie in den 1850er und 1860er Jahren als Tänzerin sowohl am Stadttheater in Hamburg als auch am Hoftheater in Gotha Engagements hatte (vgl. Ottmar G. Flüggen, Biographisches Bühnen-Lexikon der deutschen Theater: Von Beginn der deutschen Schauspielkunst bis zur Gegenwart, Bd. 1. München: Bruckmann, 1892, S. 234).
Berliner Börsen-Zeitung, 22.01.1882, S. 9.
Ebd.
Conrad Alberti, „Ohne Schminke! Wahrheiten über das moderne Theater [1888]“, in: Peter W. Marx / Stefanie Watzka (Hg.), Berlin auf dem Weg zur Theaterhauptstadt. Theaterstreitschriften zwischen 1869 und 1914, Tübingen: Francke, 2009, S. 75–132, hier S. 107 f. In dem Zitat fällt unter anderem auf, dass Alberti der Tanzkunst zweimal das Adjektiv „mechanisch“ zuschreibt und sie aufgrund ebendieser „mechanischen Art“ bzw. der erlernbaren „mechanischen Fertigkeiten“ der Tänzer:innen gegenüber „Schauspiel- und Gesangskunst“ abwertet. Mit dieser Argumentation folgt der Autor der im Mittelalter entstandenen und bis ins 17. Jahrhundert hineinwirkenden Aufteilung verschiedener Kunstfertigkeiten in „artes liberales“ und „artes mechanicae“, deren Theoretisierung auf die griechische und römische Antike zurückgeht. Die „artes mechanicae“ galten, da sie im Gegensatz zu den geistigen „artes liberales“ mit körperlichen Tätigkeiten assoziiert wurden, als „minores“ (kleinere, niedrigere) und „levinores“ (leichtere), kurzum: als minderwertige Künste (vgl. Jutta Bacher, „Die Artes liberales – Vom Bildungsideal zum rhetorischen Topos“, in: Hans Holländer (Hg.), Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwissenschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin: Gebrüder Mann, 2000, S. 19–34; dies., „Artes mechanicae“, in: Hans Holländer (Hg.), Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwissenschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin: Gebrüder Mann, 2000, S. 35–49).
Mit der Auffassung, Tanzkunst sei im Vergleich zum Schauspiel reine Übungssache, bringt der Autor indirekt auch den Geniebegriff ins Spiel. Dieser erfuhr ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen großen Aufschwung und wurde unter anderem mit einer schöpferischen, aber nicht auf Nützlichkeit ausgerichteten Tätigkeit von Künstler:innen verbunden (vgl. Eberhard Ortland, „Genie“, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 2: Dekadent–Grotesk, Stuttgart: Metzler, 2001, S. 661–709, hier S. 699).
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Siehe auch Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 128, 163, 329 f.
Man muss sich dabei vor Augen halten, dass Frauen in der Öffentlichkeit bis nach 1900 weitestgehend nur in langer und hautbedeckender Kleidung zu sehen waren (vgl. Evelin Förster, Die Frau im Dunkeln. Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts und der Unterhaltung von 1901 bis 1935. Berlin: Edition Braus, 2013, S. 20, 26.) Betreffend der Kleidungskonventionen von Tänzer:innen im 19. Jahrhundert vgl. auch Alexandra Carter, Dance and Dancers in the Victorian and Edwardian Music Hall Ballet. Hampshire: Ashgate, 2005, S. 60.
Geboren 1855 in den USA unter dem bürgerlichen Namen Adelaïde Susan Stewart, begann die Zirkuskünstlerin Leona Dare ihre Karriere 1872 in New York. Wenige Jahre später erhielt sie auch Engagements in Europa, beispielsweise 1876 in den Folies Bergère in Paris (vgl. Dominique Denis / Michèle Pachany-Léotard, Stars féminines au Cirque. Aulnay-sous-Bois: Arts des 2 mondes, 2021, S. 25).
Berliner Börsen-Zeitung, 30.11.1879, S. 6.
Berliner Börsen-Zeitung, 08.01.1880, S. 4.
Für die Situation in London vgl. Carter, Dance and Dancers; für die Pariser Spielstätten vgl. Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet. Zum Thema der sog. Industrieballette vgl. Johanna Hilari, „Ballet Industry and Industrial Ballets. Nineteenth-Century Ballet in the Light of Industrialization“, in: Irene Brandenburg u. a. (Hg.), Times of Change. Almqvist & Wiksell International, Artistic Perspectives and Cultural Crossings in Nineteenth-Century Ballet. Bologna: Massimiliano Piretti, 2023 (bevorstehend); dies., „New York, ein Maschinenwesen und strahlende Eisblumen auf der Bühne. Aktualitätsbezüge im Industrieballett Columbia“, in: Stefan Hulfeld (Hg.), Unerhörte Theatergeschichten, Wien: Hollitzer, 2022, S. 31–49.
Vgl. Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 183. Laut der Tanzwissenschaftlerin Sarah Gutsche-Miller waren darüber hinaus Plakate und Illustrationen der Ballette und Tänzer:innen „even more explicit“ als die schriftliche Berichterstattung, da sie häufig „women baring their breasts and legs or wearing virtually nothing“ zeigten (ebd.). Diese Nacktheit entsprach jedoch eher den Wunschvorstellungen des (männlichen) Publikums und demgemäßen Werbestrategien als der Kostümpraxis in den Balletten.
Ebd.
Carter, Dance and Dancers, S. 63. Die Tanzwissenschaftlerin merkt bezüglich der Berichterstattung mit Fokus auf den weiblichen Körper an, dass auch „the lack of status of the music hall ballet“ einen Mangel an entsprechendem „dance knowledge and related critical language about the choreography or the performance“ zur Folge gehabt habe (ebd.). Die Rezensent:innen seien daher auf der sicheren Seite gewesen, wenn sie sich vornehmlich auf das Aussehen der weiblichen Tänzer:innen konzentrierten (vgl. ebd.).
Vgl. Assael, Circus, S. 108–135.
Vgl. Berger, Ways of Seeing; Mulvey, Visual Pleasure, S. 6–18.
Vgl. Louis Péricaud, Le théâtre des funambules, ses mimes, ses acteurs et ses pantomimes, depuis sa fondation jusqu’à sa demolition. Paris: Sapin, 1897, S. 215–219; Le Nouvelliste, 20.09.1850, o. S.
Raeder, Circus Renz, S. 180.
Vgl. Morgen-Post, 11.03.1884, o. S.
Neue Freie Presse, 14.03.1884, S. 6.
Carter hät dies in Bezug auf die Aufführungspraxis an den Londoner Music Halls im 19. Jahrhundert fest (vgl. Carter, Dance and Dancers, S. 84–85).
Die Presse, 25.02.1889, S. 4.
Die Unterlagen zu dieser Pantomime in den Akten der Berliner Theaterpolizei sind äußerst reichhaltig: Dem Textbuch sind diverse Anlagen beigefügt, etwa eine Beschreibung von technisch-szenischen Abläufen, ein Zwischenbericht aus den Proben sowie eine Ergänzung, in der die gesprochenen Worte aufgeführt sind. Aufgrund der Kontroversen, die der ursprüngliche Titel der Pantomime auslöste, sammelten die Beamten zudem zahlreiche Besprechungen von Babel in der Presse.
Vgl. Textbuch Babel, Dezember 1903, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1530, Landesarchiv Berlin. Der erwähnte Clown war der Vater des Film- und Theaterschauspielers Adolf Wohlbrück (1896–1967) und zudem mit der Schauspielerin und Autorin Olga Wendland (Wohlbrück-Wendland, 1869–1933) verwandt (vgl. Förster, Frau im Dunkeln, S. 382; Ulrich, Biographisches Verzeichnis, S. 2052).
Vgl. o. A., „Der Babel-Bibel-Streit. Politik, Theologie und Wissenschaft um 1900“, in: Staatliche Museen zu Berlin, Pergamonmuseum www.smb.museum/ausstellungen/detail/der-babel-bibel-streit.html (Zugriff 23.04.2020). Die Ausgrabungen der Stadt Babylon, getragen von der 1898 gegründeten Deutschen Orient-Gesellschaft, begannen im Jahr 1899. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten englische, französische und US-amerikanische Wissenschaftler:innen vor Ort Grabungen vorgenommen. Das deutsche Forschungsprojekt war jedoch von längerer Dauer und weitaus systematischer als die Arbeiten der Vorgänger:innen. (Vgl. Arzu Terzi, „Deutsche Ausgrabungen in Babylon. Eine Spurensuche im Osmanischen Archiv“, in: Claus Schönig u. a. (Hg.), Türkisch-Deutsche Beziehungen. Perspektiven aus Vergangenheit und Gegenwart, Berlin: De Gruyter, 22020, S. 216–226, hier S. 216, 225).
Textbuch Babel, Dezember 1903, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1530, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Hilmar Kaiser, „German Railway Investment in the Ottoman Empire: The Colonial Dimension“, in: Claus Schönig u. a. (Hg.), Türkisch-Deutsche Beziehungen. Perspektiven aus Vergangenheit und Gegenwart, Berlin: De Gruyter, 22020, S. 154–170; Rosmarie Noack, „Zügig durch die Wüste“, in: Zeit Online (11.12.2003), https://www.zeit.de/2003/51/Bagdadbahn (Zugriff 23.04.2020). Bereits 1888 hatte ein deutsches Konsortium eine Konzession zum Bau der Anatolischen Eisenbahn zwischen Istanbul und Konya erhalten. Die Strecke wurde strategisch zum Export deutscher Produkte in die Türkei genutzt und war gewinnträchtig. Doch zerschellten die Erwartung sowie die Hoffnung, die erweiterte Bahnstrecke bis Bagdad auch als Instrument politischer Einflussnahme im Nahen Osten nutzen zu können, letztlich an Widerständen aus Paris und London und so wurden bestimmte Streckenabschnitte nie realisiert (vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 1143–1145). Laut dem Historiker Hans-Ulrich Wehler war das Projekt „nicht nur gescheitert, sondern hatte auch noch einen hohen Berg neuer außenpolitischer Probleme aufgetürmt. Und das sozialimperialistische Kalkül, in der Innenpolitik mit eindrucksvollen Erfolgen aufwarten zu können, war ebenfalls nicht aufgegangen.“ (Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 1145).
Babel. Programm, Circus Schumann, Berlin, 13.12.1903, Zirkusarchiv Heino Zeitler, Theaterhistorische Sammlungen der Freien Universität Berlin.
Der Clown Albert Fratellini berichtet in seinen Memoiren beispielsweise von monatelangen Proben mit allen für die jeweiligen Zirkuspantomimen engagierten Künstler:innen (vgl. Fratellini, Nous, S. 141).
Vgl. o. A., „Antonet“, in: Wikipedia https://fr.wikipedia.org/wiki/Antonet (Zugriff 07.05.2020).
Signor Saltarino [Hermann Waldemar Otto], Artisten-Lexikon. Biographische Notizen über Kunstreiter, Dompteure, Gymnastiker, Clowns, Akrobaten etc. aller Länder und Zeiten. Leipzig: Zentralantiquariat der DDR, 1987 [1895], S. 91.
Textbuch Babel, Dezember 1903, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1530, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Forschungsliteratur über diese, für den gesamten Bereich der darstellenden Künste in Berlin um 1900 äußerst wichtige Ausstattungsfirma existiert nicht. In einigen deutschen und US-amerikanischen Bibliotheken befinden sich noch Firmenkataloge von Baruch. Davon abgesehen gibt lediglich ein 2015 erstellter Wikipedia-Eintrag etwas detailliertere Auskunft über das Unternehmen (vgl. o. A., „Hugo Baruch“, in: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Baruch (Zugriff 09.12.2021)).
Pratesi begann seine Karriere als Tänzer und Mime an der Mailänder Scala und arbeitete später als Choreograf und Ballettmeister an den großen Pariser und Londoner Varietétheatern beziehungsweise Music Halls (vgl. Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 73, 96, 193; Claudia Celi, „Pratesi, Giovanni“, in: Selma Jeanne Cohen (Hg.), International Encyclopedia of Dance, Bd. 5, Oxford: Oxford University Press, 1998, S. 245–256, hier S. 245–246).
Zeitungsausschnitte über Babel in der Polizeiakte: Berliner Courier, Nr. 283, 03.12.1903; Berliner Zeitung, Nr. 565, 03.12.1903; Die Post, Nr. 565, 03.12.1903; Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 565, 03.12.1903; Vorwärts, Nr. 283, 04.12.1903; Berliner Morgenpost, Nr. 284, 03.12.1903; Tägliche Rundschau, Nr. 566, 04.12.1903; Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1530, Landesarchiv Berlin.
Dies bestätigt auch der französische Theater- und Medienwissenschaftler Patrick Désile. Er weist zudem darauf hin, dass Zirkuspantomimen nicht mit der sogenannten pantomime dialoguée gleichzustellen seien. Letztere war ein sich im französischen Sprachraum im Verlauf des 19. Jahrhunderts etablierendes Aufführungsformat. (Vgl. Désile, Opéra de l’œil, S. 4).
Textbuch Babel, Dezember 1903, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1530, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Ebd.
Bescheid vom Bezirksausschuss zu Berlin, 26.05.1916, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Circus Schumann an das Polizeipräsidium, 07.02.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Paul Busch an das Polizeipräsidium, 10.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, 3067, Landesarchiv Berlin.
Zeitungsausschnitt, Berliner Morgenpost, 07.03.1912, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin. Bezüglich der Problematik von gesprochenem Text in den Pantomimen bei Circus Busch in den 1910er Jahren siehe insbesondere folgende Theaterpolizeiakten: Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1923, 1924, 1560, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1560, Landesarchiv Berlin.
Circus Schumann an das Polizeipräsidium, 07.02.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 29.04.1911, S. 18.
Ab 1914/15 konzipierte dann Paula Busch, Tochter des Zirkusdirektors, die Pantomimen (vgl. G. Winkler, Circus Busch, S. 19 f., 127). Als Pantomimenverfasserin und -regisseurin trat sie damit in die Fußstapfen ihrer Mutter. Gleichzeitig war die studierte Germanistin als Schriftstellerin tätig und veröffentlichte Romane, Erzählungen sowie dramatische Texte, die auch auf Theaterbühnen aufgeführt wurden (vgl. Stephanie Haerdle, Amazonen der Arena. Zirkusartistinnen und Dompteusen. Berlin: Wagenbach, 2010, S. 122–136). In ihren Memoiren beschreibt Paula Busch, dass sie (vermutlich 1912) Erich Schmidt, damals Professor für deutsche Sprache und Literatur der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität, im Rahmen eines informellen Gesprächs von der Idee für ihre Doktorarbeit berichtete: „Dann faßte ich Mut: ‚[…] Es ist allerdings etwas eigenartig und abseits… Aber – ich möchte gern über die Geschichte und die kulturelle Bedeutung der – – – Zirkuspantomime arbeiten!‘“ (Busch, Spiel, S. 65). Laut ihrem Gedächtnisbericht war Schmidt zwar belustigt, aber nicht uninteressiert und rief sogar einen jungen Kollegen an den Tisch (vgl. Busch, Spiel, S. 66). Peter W. Marx bezieht sich in seinem Artikel Die Entwicklung der Theaterwissenschaft aus der Erfahrung der Populärkultur um 1900 (2009) auf diese Anekdote und stellt die (rhetorische) Frage, wie es sich wohl auf die Theaterwissenschaft ausgewirkt hätte, wenn Paula Busch ihre Dissertation geschrieben hätte und jener junge Kollege Max Hermann (Mitbegründer des ersten theaterwissenschaftlichen Instituts in Berlin) gewesen wäre (vgl. Marx, Entwicklung, S. 16).
Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 3, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 4, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Paula Busch, „Die Pantomime im Verlauf der Jahrhunderte bis zu Marcel Marceau“, in: Dietmar Winkler (Hg.), Über Zirkuskunst: Texte von Paula Busch, Karl Döring und Signor Saltarino, Gransee: Edition Schwarzdruck, 2012, S. 238–249, hier S. 245.
Busch, Spiel, S. 119 f. Im Bildband von Martin Schaaff ist eine Fotografie von Terzy abgedruckt (vgl. Martin Schaaff, Die Buschens: 100 Jahre Circus Busch. Bilder einer Circusdynastie. Berlin: Druckerei Schwarz, 1984, S. 40).
Vgl. Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 6, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Circus Busch an das Polizeipräsidium, 25.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 5, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 8, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Berliner Börsen-Zeitung, 30.04.1911, S. 8.
Vgl. Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 9, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 10, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Berliner Börsen-Zeitung, 30.04.1911, S. 8.
Vossische Zeitung, 30.04.1911, S. 4.
Vgl. auch Busch, Spiel, S. 132–136.
Mit der Entwicklung bestimmter Typen wie dem Dummen August und dem Weißclown erfuhr die Clownerie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Ausdifferenzierung (vgl. Jacob, Histoire, S. 104–116).
Vgl. The Editors of the Encyclopedia Britannica, „Fratellini Family. French Circus Performers“, in: Encyclopedia Britannica https://www.britannica.com/topic/Fratellini-family (Zugriff 19.01.2021). In den Memoiren von Albert Fratellini finden sich zwar keine weiteren Angaben zum Mitwirken in dieser Pantomime, doch immerhin einige Anekdoten von den Engagements des Trios bei Busch und Schumann in Berlin. Der Clown berichtet etwa von aufwendigen Inszenierungen der beiden Unternehmen mit zahlreichen Beteiligten, von monatelangen, anstrengenden Proben für Pantomimen und der strengen Disziplin in den deutschen Zirkusgesellschaften (vgl. Fratellini, Nous, S. 128, 141, 150).
Vgl. Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 16, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Busch, Pantomime, S. 245.
Vossische Zeitung, 30.04.1911, S. 4.
Vgl. Busch, Spiel, S. 112–115; Haerdle, Amazonen, S. 137–142. Nach dem Ende ihrer Zirkuskarriere lebte und arbeitete Minna Schulze bis zu ihrem Tod im Haushalt von Paula Busch.
Vgl. Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 194–195.
Vgl. Textbuch Ein Jagdfest am Hofe Ludwig XIV., April 1911, S. 18, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Berliner Börsen-Zeitung, 29.04.1911, S. 18.
Vgl. Schaaff, Buschens, S. 32.
Vgl. Das Programm, 07.05.1911, o. S.; Das Programm, 25.10.1914, o. S.; Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Berliner Börsen-Zeitung, 29.04.1911, S. 18.
Busch, Pantomime, S. 245.
Vossische Zeitung, 30.04.1911 S. 4.
Vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 29.04.1911, S. 18. Wie aufwendig, aber auch gefährlich die technische Umsetzung war, ist einem Bericht über einen Unfall während der Aufführung dieser Pantomime in Wien im Mai 1913 zu entnehmen: „Vor Beginn der Pantomime wird diese Brücke [hölzerne Schwebebrücke, Anm. M. H.] auf halbe Höhe, also zirka acht Meter, herabgelassen. Die Dekorationsstücke verdecken sie dem Publikum. Auf der Brücke stehen ein Elektrotechniker und ein Mechaniker, die die Beleuchtungseffekte zu regeln haben. Um vor dem hochgespannten elektrischen Strom geschützt zu sein, arbeiten sie in Isolieranzügen. Unter anderem erzeugen sie auch ‚Blitze‘ während des Gewitters […].“ (Illustrierte Kronen-Zeitung, 24.05.1913, S. 6) Während der Vorstellung stürzte die Brücke der Techniker ab, wobei diese verletzt wurden. Und bei einer Hamburger Vorstellung der Pantomime im August 1912 brach während des Auftritts von Reitkünstler:innen die Manegenplatte ein (vgl. Teller, Geschichte, S. 95 f.).
Rapport Circus Busch, 19.11.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Teller, Geschichte, S. 91 f. Katalin Teller untersucht in ihrer Habilitationsschrift wie auch in anderen Beiträgen einige Zirkuspantomimen von Circus Busch, verfolgt dabei jedoch jeweils spezifische thematische Interessen wie die Frage nach einer (aristokratie)kritischen Haltung der Pantomimen, nach der Geschichtsschreibung mittels Inszenierung historischer Stoffe oder nach der Vermittlung von Geschlechterrollen (vgl. Teller, Machwerke, S. 77–84; dies., Kulturpolitischer Raum, S. 121–134; dies., Geschichte).
Vgl. Teller, Geschichte, S. 92.
Vgl. ebd.
Vgl. Teller, Geschichte, S. 95. Für ihre Analyse suchte Teller zu König Ludwig XIV. und seine Abenteuer (1891–1892) sowie für Ein Jagdfest am Hofe Ludwigs XIV. (1911–1913) vergebens nach Besprechungen in der Presse, die den Inhalt der Pantomimen, also die glorifizierende Darstellung des höfischen beziehungsweise aristokratischen Lebens, kritisch verhandeln (vgl. Teller, Geschichte, S. 91–97).
Teller beschreibt die Aufführungspraxis der Zirkusse in diesem Zusammenhang als seriell (vgl. Teller, Geschichte, S. 91–97).
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 58. Das Textbuch der Pantomime Mazeppa’s Verbannung oder: Die Rache des Grafen Rottof befindet sich in einer theaterpolizeilichen Akte (vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1525, Landesarchiv Berlin). Auch Karl Döring verweist in einem Artikel von 1910 über Zirkuspantomimen auf diese Praxis, d. h. auf die Adaptionen von Zirkuspantomimen aus den 1860er und 1870er Jahren (vgl. Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.)
Teller, Kulturpolitischer Raum, S. 122.
Vgl. Désile, Opéra de l’œil, S. 4. In der Retrospektive von Alwil Raeder über die Aufführungen bei Circus Renz fällt auf, dass in den letzten 20 Jahren des 19. Jahrhunderts Inszenierungen erstmalig auch als Ausstattungspantomimen bezeichnet wurden. Circus Renz schien damit den Trends der Theaterpraxis zu folgen: Inszenierungen, die auf große visuelle Effekte ausgelegt waren und als Ausstattungsstücke bezeichnet wurden, prägten zahlreiche Berliner Spielpläne des ausgehenden 19. Jahrhunderts (vgl. Freydank, Theater, S. 32; Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 158).
Döring, Zirkuspantomime einst und jetzt, S. 226–231.
Interessant ist, dass die Tanzwissenschaftlerinnen Alexandra Carter und Sarah Gutsche-Miller in ihren Studien zu den Ballettinszenierungen der Londoner Music Halls im 19. Jahrhundert beziehungsweise der Pariser Varietétheater-Spielstätten um 1900 ähnliche thematische Kategorien festhalten. Carter nennt als große inhaltliche Linien fantastische und übernatürliche Stoffe, Inszenierungen des sogenannten Exotischen und Fremden oder historische wie auch zeitgenössische Themen (vgl. Carter, Dance and Dancers, S. 82–89). Bei Gutsche-Miller ist von romantischen Balletten, Spektakelstücken, Parodien, zeitgenössischen Themen oder humoristischen Inszenierungen die Rede (vgl. Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 162–172). Überhaupt offenbaren sich zwischen der Ballett-Inszenierungspraxis der Music Halls bzw. Varietétheater und den Pantomimen der Zirkusse große Parallelen und Überschneidungen.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 113.
Vgl. Kaiser, German Railway Investment, S. 154–170; Terzi, Ausgrabungen, S. 216–226.
Patrick Désile erläutert in einem Beitrag über Geschichtsinszenierungen in den Pariser Zirkussen im 19. Jahrhundert anhand mehrerer Aufführungsbeispiele, dass die Unterscheidung von Geschichtlichkeit und Aktualität in diesem Zusammenhang wenig Relevanz besitz (vgl. Désile „‚Encore! encore … toujours! toujours … ‘: Représentations de l’histoire au cirque au XIXe siècle“, in: Stéphane Haffemayer u. a. (Hg.), Le spectacle de l’histoire, Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 2012, S. 207–220).
Raeder, Circus Renz, S. 72.
Jacky Bratton kritisiert in diesem Zusammenhang die englische Historikerin Brenda Assael für ihre Engführung von Militärspektakeln und narrativen Inszenierungen bei Astley, denn die Londoner Gesellschaft hatte auch ganz andere Zirkuspantomimen im Programm (vgl. Bratton, What Is a Play, S. 251, Assael, Circus, S. 61).
Vgl. Bratton, What Is a Play, S. 256–258.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 129.
Barell, Bobby (als Autor vermutet), Sonderdruck (7 Seiten), in: Konvolut zur Zirkusgeschichte in der Materialsammlung von Bobby Barell, o. O. u. D., o. S., Sammlung „Varieté – Zirkus – Kabarett“, Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Vgl. G. Winkler, Von fliegenden Menschen, Bd. 1, S. 124. Zu den historischen und historisch-militärischen Ausstattungspantomimen von Circus Busch vgl. auch Teller, Machwerke, S. 77–84.
Vgl. Kusnezow, Zirkus, S. 36; Kwint, Legitimization, S. 90.
Darauf weist Bratton in ihrem Beitrag hin (vgl. Bratton, What Is a Play, S. 256–258).
Vgl. auch Sylke Kirschnick, „‚Hereinspaziert!‘ Kolonialpolitik als Vergnügungskultur“, in: Alexander Honold / Oliver Simons (Hg.), Kolonialismus als Kultur: Literatur, Medien, Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden, Tübingen u. Basel: Francke, 2002, S. 221–241; dies. „Koloniale Szenarien in Zirkus, Panoptikum und Lunapark“, in: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.), „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“: Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster: Unrast, 2005, S. 171–176.
Laut der Retrospektive von Alwil Raeder hatte die Pantomime am 25. Februar 1875 unter dem Titel Ein afrikanisches Fest der Königin von Abessynien ausgeführt von 80 Personen Premiere. Bei Raeder ist dazu vermerkt: „In der Schlußapotheose die Königin auf einem Pracht-Wagen, gezogen von lebenden Giraffen.“ (Raeder, Circus Renz, S. 147). Die Pantomime wurde auch in der Berliner Börsen-Zeitung und Der Gartenlaube besprochen (vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 18.01.1876, S. 7; Die Gartenlaube 20, 1876, S. 337–340).
Berliner Börsen-Zeitung, 06.11.1877, S. 7.
Vgl. Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 15.
Berliner Börsen-Zeitung, 06.11.1877, S. 7.
Vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 279–287. Nic Leonhardt analysiert diese Pantomime von Circus Renz in ihrer Studie zur visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts als „ethnographisches Schaustück“ und bettet sie in ihrem Kapitel „Kolonien im Blick: Schauplätze deutscher ‚Fremden-Bilder‘“ in das breitere kulturelle Angebot bzw. das Zusammenspiel von Kultur und Kolonialpolitik ein (vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 226–292).
Vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 283.
Das Textbuch der Pantomime Krieg im Zululande befindet sich in einer theaterpolizeilichen Akte (vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1549, Landesarchiv Berlin).
Das Textbuch der Pantomime Aus unseren Kolonien befindet sich in einer theaterpolizeilichen Akte (vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1560, Landesarchiv Berlin).
Vgl. auch Koslowski, Stadttheater, S. 25. Auch ein opulenter Anschlagzettel von dem englischen Powell’s Circus Royal, mit dem letzterer seinen Auftritt im Januar 1822 in Greenwich südöstlich von London ankündigte, zeugt von dieser Praxis: „First Time here of Mr. Powell in Grand Historical Equestrian Scene of Sir John Falstaff, Shylock & Richard the third“ (zit. n. Julius Markschiess-van Trix / Bernhard Nowak (Hg.), Artisten- und Zirkus-Plakate. Ein internationaler historischer Überblick. Zürich: Atlantis, 1975, Abbildung Nr. 26). Im Mittelteil des abendlichen Programms verkörperte Mr. Powell die drei bekannten Shakespeare-Figuren in verschiedenen Szenen – jeweils auf seinem galoppierenden Pferd. Die Verwendung von Stellen aus Opern und Dramen erinnert auch an römische Pantomimen, die zentrale Momente, Themen und Figuren aus Tragödien aufgriffen. Es bedürfte weiterer Forschung, um diese mögliche Traditionslinie zwischen den römischen Pantomimen und der Zirkusinszenierungspraxis um 1900 zu klären.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 88.
Doktor Faust. Programm, Circus Schumann, in: Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1529, Landesarchiv Berlin. Es fällt hier auch die weibliche Zusatzfigur der Mephistotela auf. Laut Anschlagzettel führte der Ballettmeister Julius Wenzel Reisinger bei der Inszenierung Regie. Sowohl der Anschlagzettel als auch das Textbuch der Pantomime befinden sich in den Akten der Berliner Theaterpolizei.
Zit. n. Markschiess-van Trix / Nowak, Artisten- und Zirkus-Plakate, Abbildung Nr. 39.
Vgl. Alain Simonet, Programmes des cirques en France de 1860 à 1910. Paris: Arts des 2 Mondes, 2000, S. 28–29.
Ende des 18. Jahrhunderts erfuhr das aus dem Mittelalter überlieferte Nibelungenlied zunehmende Resonanz, begleitet von einer politischen Instrumentalisierung als vermeintlich rein germanischem Stoff. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden die Nibelungen im deutschen Sprachraum in verschiedenen lyrischen und dramatischen Texten verarbeitet (vgl. Ulrich Müller, „Die Nibelungen: Literatur, Musik und Film im 19. und 20. Jahrhundert, Ein Überblick“, in: Joachim Heinzle u. a. (Hg.), Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos, Wiesbaden: Reichert, 2003, S. 407–444, hier S. 411–414).
Vossische Zeitung, 12.03.1879, o. S.
Vgl. Die Presse, 08.07.1881, S. 12.
Vgl. Kusnezow, Zirkus, S. 153. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestanden enge Verbindungen zwischen Berlin und den russischen Metropolen Moskau und Sankt Petersburg, die sich etwa durch Gastspiele von Circus Renz, die Übersiedlung des Circus Salamonsky von Berlin nach Moskau 1879 sowie durch ähnliche Stoffe für die Pantomimen auszeichneten (vgl. Kusnezow, Zirkus, S. 64–88 u. S. 153–155).
Für ausführlichere Angaben zu den Nibelungen bei Circus Renz und Salamonsky sowie den genauen Quellenangaben vgl. Mirjam Hildbrand, „Wohlauf, Richard Wagner aufs Pferd, aufs Pferd!“, in: Stefan Hulfeld (Hg.), Unerhörte Theatergeschichten, Wien: Hollitzer, 2022, S. 11–29.
Vgl. Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 56. Die Tanzwissenschaftlerin gibt zu bemerken, dass trotz der ähnlichen Inhalte die Ästhetiken der Ballette auf Varietétheater- und Opernbühnen um 1900 sehr verschieden waren. Die Spielstätten hatten ihr zufolge unterschiedliche institutionelle Konventionen zu erfüllen sowie unterschiedliche gewerbliche Ausrichtungen: „Parisian music-hall ballet looked not only to the Opéra for inspiration, but also to popular forms of ballet“ (Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 111).
Neue Freie Presse, 24.07.1884, S. 12.
Vgl. Zaide, Djamileh, Harlequin als Elektriker. Theaterzettel, k.k. Hof-Operntheater Wien, 04.10.1902, Inv. Nr. PA_RaraG377, Theatermuseum Wien, Online Sammlung; Illustrierte Kronen Zeitung, 29.10.1910, S. 10. Julius Price war erst als Solotänzer und dann als Ballettmeister an der Wiener Hofoper tätig. Er stammte aus einer drei Generationen übergreifenden, dänischen Tänzer:innen- und Zirkusfamilie. (Vgl. Henrik Lundgren, „Price Family“, in: Selma Jeanne Cohen (Hg.), International Encyclopedia of Dance, Bd. 5, Oxford: Oxford University Press, 1998, S. 250–251.)
Vgl. Leonhardt, Metropole, S. 140 f. Die Parodie, deren Aufführungsort bislang nicht ermittelt wurde, mokierte sich nicht, wie Leonhardt behauptet, über die Wasserpantomime bei Circus Renz Auf Helgoland oder Ebbe und Flut. Diese hatte erst 1891 Premiere. Mit „Stiefelmann“ wird stattdessen deutlich auf Circus Schumann angespielt.
Zeitungsausschnitt, Berliner Tageblatt, 22.10.1887, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1525, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Kirschnick, Vom Rand, S. 62; Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 117–118. Die Praxis der Straßenparaden kam im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zum Erliegen.
Vgl. auch Laurence Senelick, „Signs of the Times. Outdoor Theatrical Advertising in the Nineteenth Century“, in: Nineteenth Century Theatre & Film 45.2 (2018), S. 173–211.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ließ Friedländer das Signet weg, entsprechend tragen die letzten Lithografien der Druckerei nur noch eine Nummer. Vgl. Kirschnick, Vom Rand, S. 60; Ruth Malhotra, „Weltweit – Menschen, Tiere, Heiterkeit. Gedruckte Sensationen aus Hamburg-St. Pauli“, in: Jörn Meckert (Hg.), Zirkus, Circus, Cirque. Katalog zur Ausstellung im Rahmen der 28. Berliner Festwochen, Berlin: Nationalgalerie, 1978, S. 54–75, hier S. 54–55.
Malhotra, Weltweit, S. 55. Vgl. auch dies., Manege frei. Artisten- und Circusplakate von Adolph Friedländer. Dortmund: Harenberg Kommunikation, 1979.
Vgl. Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 110–134; Kirschnick, Vom Rand, S. 60–63; Wolter, Vermarktung, S. 45–81.
Vgl. Signor Domino, Cirkus, S. 68.
Vgl. Steffen Damm / Klaus Siebenhaar, Ernst Litfaß und sein Erbe. Eine Kulturgeschichte der Litfaßsäule. Berlin: Bostelmann und Siebenhaar, 2005, S. 17–19, 90–92. Ernst Litfaß war außerdem vor der Übernahme der Druckerei 1845 auch selbst unter dem Namen „Herr Flodoardo aus Berlin“ auf diversen Bühnen in Deutschland aufgetreten (vgl. Damm / Siebenhaar, Litfaß, S. 17).
Damm / Siebenhaar, Litfaß, S. 139.
Kwint, Legitimization, S. 100. Dem Autor zufolge investierte bereits Philip Astley viel Zeit in die Beeinflussung von Presseverlegern (vgl. ebd.).
Eine Pressekonferenz ist beispielsweise anlässlich des Umbaus bei Circus Schumann im Jahr 1909 überliefert (vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 17.09.1909, S. 7).
Katalin Teller fordert deswegen zu besonderer Vorsicht im Umgang mit Presseberichten über Zirkusaufführen auf (vgl. Teller, Geschichte, S. 13–26). Eine genauere Erforschung der Pressearbeit deutscher Zirkusgesellschaften im 19. Jahrhundert steht bislang aus.
Berliner Börsen-Zeitung, 30.11.1879, S. 6.
Vgl. 20 Rapporte zu Vorstellungen von Circus Renz zwischen 1883 und 1891, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1524, 1525, Landesarchiv Berlin; acht Rapporte zu Vorstellungen von Circus Busch zwischen 1911 und 1917, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1559, 1560, Landesarchiv Berlin; zwei Rapporte zu Vorstellungen von Circus Schumann von 1900 und 1904, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1536, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Architekten-Verein zu Berlin / Vereinigung Berliner Architekten, Berlin, Bd. 2.3, S. 515; Deutsche Bauzeitung, 24.08.1889, S. 413; Verzeichnis der Theater und Zirkusse, 1905, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, 030-05, 203, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 315–344; Detert / Ballenstedt, Architektur 1900, S. 174–179; Linsemann, Theaterstadt Berlin, S. 186; Verzeichnis der Theater und Zirkusse, 1905, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, 030-05, 203, Landesarchiv Berlin.
Rapporte zu Vorstellungen von Circus Renz, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1525, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 175–188.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 189–194; G. Winkler, Von fliegenden Menschen, Bd. 1, S. 104 f.
Vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 17.01.1885, S. 8; Berliner Börsen-Zeitung, 21.02.1885, S. 8.
Ebd. Der Erfolg der Lustigen Heidelberger führte zur Übernahme der Pantomime (unter abweichenden Titeln) durch andere Zirkusgesellschaften. Wie die Presse berichtete, ging Ernst Renz deswegen im Jahr 1885 juristisch gegen Circus Carré und Corty-Althoff vor (vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 06.05.1885, S. 10).
Vgl. Deutsche Bauzeitung, 24.08.1889, S. 413.
Vgl. Rapporte zu Vorstellungen von Circus Busch, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1560, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 21.09.1913, S. 16; Berliner Börsen-Zeitung, 23.09.1913, S. 12; G. Winkler, Circus Busch, S. 20.
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Diese Schätzung der Zuschauer:innenzahlen basiert auf der Annahme Katalin Tellers, dass Circus Busch durchschnittlich 40 Spielwochen jährlich und zehn Pantomime-Aufführungen wöchentlich spielte, denen jeweils 2500 Zuschauer:innen beiwohnten. Teller zufolge wurden jährlich zwei bis drei Pantomimen produziert (vgl. Teller, Geschichte, S. 73; dies., Kulturpoltischer Raum, S. 124).
Für die Bevölkerungszahlen Berlins vgl. Andrew Lees, Cities, Sin and Social Reform in Imperial Germany. Ann Arbor: University of Michigan Press, 2002, S. 2; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 21, 512.
Vgl. Teller, Geschichte. Ähnlichkeiten bestehen auch in diesem Zusammenhang mit der Aufführungspraxis der Pariser Varietétheater sowie der Londoner Music Halls (vgl. Carter, Dance and Dancers, S. 81; Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 161).
Bratton, What is a Play, S. 255.
Vgl. etwa folgende Akten des Polizeipräsidiums Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1526, 1529, Landesarchiv Berlin.
„Im Circus Renz.“ Zeitungsauschnitt, mit 4 Abbildungen von Julius Schlattmann, Quelle unbekannt, o. D. [ca. 1890], Archiv Friedrichstadt-Palast.
Berliner Börsen-Zeitung, 18.01.1876, S. 7.
Zeitungsausschnitt, Berliner Lokal-Anzeiger, 02.04.1918, Archiv Friedrichstadt-Palast.
Das Programm, 07.04.1918, o. S.
Dies bestätigen auch die Untersuchungen des Kulturwissenschaftlers Martin W. Rühlemann. Er hält in seiner Studie zusammenfassend fest, dass die Münchner Varietés und Singspielhallen im späten 19. Jahrhundert „Begegnungs- und Kontakträume verschiedener Schichten und Klassen“ waren (Rühlemann, Varietés und Singspielhallen, S. 475). Doch obwohl diese Spielstätten, wie auch die Zirkusse, grundsätzlich für alle zugänglich waren, blieben die sozialen Grenzen darin bestehen (vgl. Rühlemann, Varietés und Singspielhallen, S. 476).
Vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 20.10.1883, S. 10. Siehe auch Bettina Machner, „Die Gardeoffiziere saßen in den Logen, die ‚kleinen Leute‘ oben auf den Galeriebänken“, in: Stiftung Stadtmuseum Berlin (Hg.), Zirkus in Berlin. Begleitbuch zur Ausstellung. Dormagen: Circus-Verlag, 2005, S. 63–77, hier S. 67; Raeder, Circus Renz, S. 182, 185.
Kerr, Wo liegt Berlin, S. 92.
Siehe dazu auch den Artikel „Hohe Gönner des Artistentums und der Artisten“, in: Das Programm, 14.05.1911, o. S.
Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 122.
Vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 30.11.1879, S. 6.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 92–126.
Karl Döring, „Was sich aus alten Zirkusprogrammen ergibt, Teil 1“, in: Das Programm, 17.05.1914, o. S.
Berliner Börsen-Zeitung, 07.12.1877, S. 6.
Vgl. Der Artist, 22.03.1908, o. S.
Vgl. Busch, Spiel, S. 134.
Vgl. G. Winkler, Von fliegenden Menschen, Bd. 1, S.106; Karl Döring, „Was sich aus alten Zirkusprogrammen ergibt. Teil 2“, in: Das Programm, 20.05.1915, o. S. Ebenfalls abgedr. in: Dietmar Winkler (Hg.), Über Zirkuskunst: Texte von Paula Busch, Karl Döring und Signor Saltarino. Gransee: Edition Schwarzdruck, 2012, S. 35–41. Auch Ernst Litfaß erhielt diesen Titel. Die Urkunde beinhaltet folgenden Begründung: „Es ist dies in dem Vertrauen geschehen, dass der numehrige […] Uns und Unserem Königlichen Hause in unverbrüchlicher Treue ergeben bleibe und fortfahren werde, nach Kräften zum allgemeinen Besten beizutragen […].“ Die Urkunde ist abgedruckt in der Publikation von Damm / Siebenhaar, Litfaß, S. 33.
Ernst Haeckel, „Ernst Haeckel an seine Frau Agnes am 15. April 1886“, in: Konrad Huschke (Hg.), Ernst und Agnes Haeckel. Ein Briefwechsel, Jena: Urania, 1950, S. 152. Die weiteren Ausführungen Haeckels legen nahe, dass der Professor im Zuge seines Berlin-Aufenthalts weitere Kunstausstellungen sowie eine Völkerschau in einem Panoptikum besuchte.
Schaaff, Buschens, S. 22.
Gerhard Eberstaller, Zirkus und Varieté in Wien. Wien: Jugend und Volk, 1974, S. 29. Ähnliches beschreibt auch Marius Kwint für die Situation bei Astley in London um 1800: „Among its audiences were fashionable young Yorkshire woman ‚doing‘ the metropolis for the first time, foreign ambassadors and princes, and occasional figures of learning such as Horace Walpole, Fanny Burney and the Prussian Architect Karl Friedrich Schinkel. In 1792 Anna Larpent, wife and assistant of the chief theatrical censor, passed a pleasant evening there with the famous expurgator of Shakespeare and member of the Proclamation Society, Dr Bowdler, and his spouse.“ (Kwint, Legitimization, S. 110) Der Umstand, dass Adel und Bürgertum und eben sogar die Verfechter:innen des Literaturtheaters an den Zirkusaufführungen Gefallen fanden, sorgte für besonders viel Aufruhr und Kontroversen in der Presse (vgl. Bratton, What Is a Play, S. 252; Gamer, Turf, S. 305–319).
Vgl. auch Rühlemann, Varietés und Singspielhallen, S. 476 f. Für die Situation in England siehe Assael, Circus, S. 4 und Kwint, Legitimization, S. 109. Sitzpläne von Circus Busch und Circus Schumann aus dem Jahr 1912 geben eine Übersicht über die Eintrittspreise: Bei Busch kosteten die Logenplätze fünf bis sechs Mark, die Parkettplätze drei bis 3,50 Mark, die Plätze auf den Balkonen zwei bis 2,50 Mark, die Ränge vor den Galerien eins bis zwei Mark und die die Galerieplätze 0,50 Mark. Die Preise bei Schumann waren gleich. (Vgl. Rudolph Hertzog, „Agenda 1912, Jahreskalender des Berliner Kaufhauses, S. 110“, in: Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zirkus_Busch_in_Berlin_C,_Bahnhof_B%C3%B6rse_und_Zirkus_Schumann_in_Berlin_NW,_Karlstra%C3%9Fe,_Bestuhlung_1912.jpg (Zugriff 06.07.2021); Verzeichnis der Theater und Zirkusse, 1905, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, 030-05, 203, Landesarchiv Berlin). Mitte des 19. Jahrhunderts waren laut Karl Döring die Eintrittspreise „von märchenhafter Billigkeit. Sie mußten niedrig gehalten sein, da die ‚haute volée‘ sich noch nicht durchweg für den Zirkus, den man anfangs immer noch als Jahrmarktsvolksbelustigung ansah, interessierte. Der I. Platz kostete 8 Silbergroschen, der II. Platz 4 und der III. Platz 2 Silbergroschen.“ (Döring, Alte Zirkusprogramme 1, o. S.).
Vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 30.11.1879, S. 6.
Neue Freie Presse, 14.03.1884, S. 5. Gutsche-Miller merkt in Bezug auf die Inszenierungen der großen Pariser Varietétheater um 1900 an: „Gestures needed to be clear, since music-hall ballets were designed not for the conoisseur but for neophytes, tourists, and pleasure-seekers. Many spectators would have been distracted by social interaction and by the bustling crowds that surrounded them, or they would have been watching from a distance.“ (Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 99).
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Ebd.
Neue Freie Presse, 14.03.1884, S. 5.
Hans-Otto Hügel, „Populäres Als Kunst. Eigenständigkeit und Intentionalität im Musikvideo“, in: ders. (Hg.), Lob des Mainstreams. Zu Begriff und Geschichte von Unterhaltung und Populärer Kultur, Köln: Halem, 2007, S. 308–329, hier S. 327. Hügel unterscheidet Kunst klar von Unterhaltung (und versteht populäre Kultur als unterhaltende Kultur), positioniert sich jedoch gegen ihre wertende Hierarchisierung. Seiner Auffassung nach erlangt die Unterhaltung eben genau dann eine mit der Kunst vergleichbare Eigenständigkeit, wenn die Unterscheidung der beiden Bereiche klar kenntlich gemacht wird: „Erst wenn Unterhaltung als etwas Eigenes, wiewohl ästhetisch Begriffenes aufgefasst wird, wird sie vom Odium, mangelhaft zu sein, befreit und braucht nicht mehr mit Kunst in eins gesetzt zu werden.“ (Hans-Otto Hügel, „Ästhetische Zweideutigkeit der Unterhaltung. Eine Skizze ihrer Theorie“, in: ders. (Hg.), Lob des Mainstreams. Zu Begriff und Geschichte von Unterhaltung und Populärer Kultur, Köln: Halem, 2007, S. 13–32, hier S. 19) werden. Für Hügel unterscheiden sich Kunst und Unterhaltung vor allem durch ihre verschiedenen ästhetischen Rezeptionskonzepte (vgl. Hügel, Ästhetische Zweideutigkeit, S. 20–26).
Vgl. Hügel, Ästhetische Zweideutigkeit, S. 20–26.
Hügel, Ästhetische Zweideutigkeit, S. 23 f.
Darauf verweist auch Gutsche-Miller bezüglich der Ballett-Pantomimen der großen Pariser Varietétheater um 1900 (vgl. Gutsche-Miller, Music-Hall Ballet, S. 56).
Hügel, Ästhetische Zweideutigkeit, S. 26.
Bratton, What Is a Play, S. 261.
Vgl. auch Koslowski, Stadttheater, S. 184–186, 195.
Nic Leonhardt betrachtet das Theater dieser Zeit auch als ein bedeutendes Bildmedium in der sich herausbildenden visuellen Kultur (vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie).
Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 141.
Von zentraler Bedeutung waren dabei die von dem idealistischen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel gehaltenen und nach 1830 veröffentlichten Vorlesungen über die Ästhetik. Die darin enthaltenen Bereiche bzgl. der Schauspielkunst bzw. des Theaters wurden unter Preisgabe jeglicher bei Hegel vorhandener Dialektik durch Autoren wie Robert Eduard Prutz (Mitte des 19. Jahrhunderts als Dramaturg, Publizist und Hochschullehrer tätig) und weiteren Hegel-Adepten popularisiert. Sie haben den Diskurs über das Theater als bürgerliche und nationale Bildungsinstitution maßgeblich mitgeprägt (vgl. Stefan Hulfeld, Theatergeschichtsschreibung als kulturelle Praxis. Wie Wissen über Theater entsteht. Zürich: Chronos, 2007, S. 247–252).
Vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 72 f., 116, 141; Marx, Theatralisches Zeitalter, S. 311–333.
Julius Hart / Heinrich Hart, „Das Deutsche Theater des Herrn L’Arronge [1882]“, in: Peter W. Marx / Stefanie Watzka (Hg.), Berlin auf dem Weg zur Theaterhauptstadt. Theaterstreitschriften zwischen 1869 und 1914, Tübingen: Francke, 2009, S. 19–64, hier S. 31. Für biografische Angaben zu den beiden Autoren siehe auch Förster, Frau im Dunkeln, S. 363.
Der neue Weg, 22.04.1911, S. 432. Erich Schlaikjer schrieb auch für die Deutsche Bühnen-Genossenschaft, das Organ der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger.
Der neue Weg, 22.04.1911, S. 435.
Der neue Weg, 22.04.1911, S. 432 f.
Der neue Weg, 22.04.1911, S. 433.
Erich Schlaikjer, „Gegenwart und Zukunft der deutschen Schaubühne [1912]“, in: Peter W. Marx / Stefanie Watzka (Hg.), Berlin auf dem Weg zur Theaterhauptstadt. Theaterstreitschriften zwischen 1869 und 1914, Tübingen: Francke, 2009, S. 361–393, hier S. 370.
Franz Ferdinand Baumgarten, Zirkus Reinhardt. Potsdam: Hans Heinrich Tillgner, 1920, S. 51 f.
Baumgarten, Zirkus Reinhardt, S. 88.
Baumgarten, Zirkus Reinhardt, S. 21.
Zit. n. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 73, FN 27.
Neun solche Schriften wurden von Peter W. Marx und Stefanie Watzka versammelt und herausgegeben (vgl. Peter W. Marx / Stefanie Watzka (Hg.), Berlin auf dem Weg zur Theaterhauptstadt. Theaterstreitschriften zwischen 1869 und 1914. Tübingen: Francke, 2009).
August Scherl, „Berlin hat kein Theaterpublikum! Vorschläge zur Bereitung der Missstände unseres Theaterwesens [1898]“, in: Peter W. Marx / Stefanie Watzka (Hg.), Berlin auf dem Weg zur Theaterhauptstadt. Theaterstreitschriften zwischen 1869 und 1914, Tübingen: Francke, 2009, S. 275–308, S. 276 f.
Berliner Börsen-Zeitung, 28.03.1880, S. 6.
Vgl. Peter, Geschichte, S. 31 f.
Vgl. G. Winkler, Von fliegenden Menschen, Bd. 2, S. 64.
Vgl. Koslowski, Stadttheater, S. 186–189.
Das Programm, 21.07.1912, o. S.
Halperson, Buch vom Zirkus, S. 123 f.
Circus Busch an die Berliner Theaterpolizei vom 8. November 1922, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1561, Landesarchiv Berlin; vgl. auch Schaaff, Buschens, S. 27. Auch für andere Länder existieren Belege für eine derartige Mobilität zwischen den Genres. In Paris trat etwa der bekannte Schauspieler Frédérick Lemaître im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts sowohl beim Cirque Olympique als auch auf diversen anderen Theaterbühnen auf (vgl. Gaston Baty, „La Légende de Robert Macaire“, in: Hommes et Mondes 2.9 (1947), S. 668–680). Mimi Colligan untersucht in ihrer Studie die Karrieren des Künstler:innenpaars Rose Edouin Bryer (1845–1925) und George Benjamin William Lewis (1818–1906), die sowohl im Zirkus als auch auf den Bühnen des Literaturtheaters auftraten (vgl. Mimi Colligan, Circus and Stage: The Theatrical Adventures of Rose Edouin and G. B. W. Lewis. Melbourne: Monash University Publishing, 2013).
Albert Schumann an die Berliner Theaterpolizei vom 07.02.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Dies gilt vor allem für den sogenannten klassischen oder traditionellen Zirkus, dahingegen grenzt sich die Bewegung des sogenannten neuen oder zeitgenössischen Zirkus von den Nummernformaten ab.
Vgl. Désile, Opéra de l’œil, S. 2.
Vgl. D. Winkler, Zirkus, S. 527.
Ernst Günther / Dietmar Winkler, Zirkusgeschichte, Ein Abriss der Geschichte des deutschen Zirkus. Berlin: Henschel, 1986, S. 36.
Ebd.
G. Winkler, Circus Busch, S. 47.
Wie gesehen waren auch Zirkuspantomimen aber nicht per se stumm. Vielmehr lag ihr Fokus im Vergleich zum Literaturtheater nicht vornehmlich auf der Inszenierung von Dialogen, was wiederum von Gesetzes wegen für die Zirkusse auch gar nicht immer erlaubt war (vgl. Bratton, What Is a Play, S. 251; David Pickering, Encyclopedia of Pantomime. Andover: Gale Research International, 1993, S. 63).
Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 279.
Ebd.
Leonhardt, Metropole, S. 141.
Max Bucher u. a. (Hg.), Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848–1880, Bd 1. Stuttgart: Metzler, 1976, S. 147.
Von einem weniger hierarchischen, aber dennoch von klaren Institutions- und Gattungsgrenzen geprägten Verständnis zeugen auch die Formulierungen Katalin Tellers. In Bezug auf die Zirkuspantomimen von Circus Busch um 1900 ist bei ihr etwa zu lesen, die Zirkusdirektionen seien im Hinblick auf die Konkurrenz darum bemüht gewesen, „theateraffine und somit prestigeträchtigere Inszenierungsformen in den Zirkus zu verpflanzen“ (Teller, Kulturpolitischer Raum, S. 122).
Vgl. Markschiess-van Trix / Nowak, Artisten- und Zirkus-Plakate, Abbildung Nr. 26.
Vgl. Justine Favart / Jean-François Marmotel, Annette et Lubin, comédie en 1 acte et en vers, mêlée d’ariettes et de vaudevilles. Paris: Duchesne, 1762.
Vgl. Rudolf Kloiber (Hg.), Handbuch der Oper. Kassel: Bärenreiter, 132011, S. 15. Für eine vertiefte Untersuchung zum Theaterschaffen von Alain-René Lesage vgl. Martina Groß, Querelle, Begräbnis, Wiederkehr. Alain-René Lesage, der Markt und das Theater. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2016.
Bratton, What Is a Play, S. 255.
Vgl. Moody, Illegitimate, S. 5 f.
Vgl. Stephan Oettermann, Ankündigungs-Zettel von Kunstreitern, Akrobaten, Tänzern, Taschenspielern, Feuerwerkern, Luftballons und dergleichen, Bd. 5: Register und Katalog, Wiesbaden: Gerolzhofen Spiegel, 1993, S. 1329. Die Mitglieder der Gesellschaft von Tourniaire beabsichtige Karl von Holtei 1823 am Breslauer Theater für die Inszenierung einer Pantomime zu engagieren, womit er den bekannten Theaterskandal auslöste. In Leipzig wurde Cirque Tourniaire 1826 mit einer narrativen Inszenierung angekündigt: „Es wird eine große theatralische Pantomime auf dem doppelten Seile gegeben. Diese große Vorstellung, einzig sowohl in dem neuen Costüme, als prachtvollen Decorationen […] wird unter dem Titel: Mars und Venus auf der Insel Cythera […] ausgeführt werden“ (zit. n. G. Winkler, Von fliegenden Menschen, Bd. 1, S. 122).
Vgl. Halperson, Buch vom Zirkus, S. 100 f.
Vgl. Raeder, Circus Renz, S. 58. Der niederländische Circus Oscar Carré gastierte 1866 mit seiner Fra Diavolo-Adaption in Sankt Petersburg. In Russland hatten bereits Ende des 18. Jahrhunderts erste Zirkusgesellschaften Fuß gefasst (vgl. Kusnezow, Zirkus, S. 15, 27–29, 151).
Hodak, Théâtre équestre, S. 330.
Vgl. Hodak, Théâtre équestre, S. 330–332.
Vgl. Markschiess-van Trix / Nowak, Artisten- und Zirkus-Plakate, Abbildung Nr. 28.
Raeder, Circus Renz, S. 58.
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Schreiben von Albert Schumann an die Berliner Theaterpolizei vom 07.02.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Döring, Zirkuspantomime einst und jetzt, S. 225. Paradoxerweise betrachtete er Reitkunst, Akrobatik und Clownerie als „rein zircensisch“ (Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.) und Pantomimen wie auch Ballette als uneigentlich zirzensisch (vgl. ebd.).
In einem Schreiben vom 18. Januar 1889 ordnete der Berliner Polizeipräsident an, dass die zuständigen Polizeiabteilungen Zirkusinszenierungen fortan im Vorfeld besser überprüfen sollten, „da bezüglich der Pantomimen mehrfach Unzuträglichkeiten vorgekommen sind“ (Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten, 18.01.1889, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 505, Landesarchiv Berlin). Der Polizeipräsident präzisierte, dass „pantomimische Vorstellungen auch ohne gesprochenen Text der vorherigen Genehmigung bedürfen, welche unter Ueberweisung einer eingehenden Beschreibung des Verlaufs in duplo nachzusuchen ist“ (ebd.).
Koslowski, Stadttheater, S. 30.
In umgekehrter Weise schreibt die Filmwissenschaftlerin in ihrer spannenden Studie über russische Theatermacher:innen der 1920er Jahre dem Theater eine Zirzensierung zu (vgl. Oksana Bulgakowa, FEKS. Die Fabrik des Exzentrischen Schauspielers. Berlin: PotemkinPress, 1996).
Bucher u. a., Realismus, S. 147.
Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 279.
Die Frage nach Narration und sogenannter Hochkultur oder Unterhaltung ist ohnehin interessant: Der Kulturhistoriker und Filmwissenschaftler Tom Gunning bspw. führt in seinem breit rezipierten Aufsatz zum „cinema of attractions“ die Entwicklung des Kinos auf die Raum- und Zeiterfahrungen der Moderne sowie die sich etablierende moderne visuelle Kultur zurück und stellt sie narrativen kulturellen Artefakten beziehungsweise dem storytelling entgegen (vgl. Tom Gunning, „The Cinema of Attraction[s]: Early Film, Its Spectator and the Avant-Garde“, in: Wanda Strauven (Hg.), The Cinema of Attractions Reloaded, Amsterdam: Amsterdam University Press, 2006, S. 381–388; vgl. auch André Gaudreault, Film and Attraction: From Kinematography to Cinema, übers. von Timothy Barnard. Urbana: University of Illinois Press, 2011). Im Anschluss an einen Artikel des Filmwissenschaftlers James Fiumara (2016) sowie vor dem Hintergrund meiner hiesigen Ausführungen zur Zirkuspraxis um 1900 müsste jedoch kritisch hinterfragt und weiter erforscht werden, inwiefern die sogenannte Kultur der Attraktionen um 1900 nicht eben doch auch vom Erzählen von Geschichten geprägt war – wenngleich es sich dabei vielleicht eher um Formen des Erzählens handelte, die nicht den klassischen bzw. als ‚höher‘ bewerteten Erzählungen und Erzählweisen entsprachen (vgl. James Fiumara, „Electrocuting an Elephant at Coney Island: Attraction, Story, and the Curious Spectator“, in: Film History 28.1 (2016), S. 43–70). Der Begriff „culture of attraction“ stammt aus einem Aufsatz des Kunstwissenschaftlers Martyn Jolly (vgl. Martyn Jolly, „‚Attractive novelties.‘ Spectacular Innovation and the Making of a New Kind of Audience within Colonial Modernity“, in: Anna-Sophie Jürgens / Mirjam Hildbrand (Hg.), Circus and the Avant-Gardes. History, Imaginary, Innovation, London u. New York: Routledge, 2022, S. 93–117).
Signor Saltarino, Artisten-Lexikon, S. 170.
Ebd.
Signor Domino, Cirkus, S. 70.
Signor Domino, Cirkus, S. 171.
Ebd.
Döring, Zirkus-Pantomimen, o. S.
Ebd.
Zit. n. G. Winkler, Circus Busch, S. 46 f.; Der Artist, 09.11.1913, o. S.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Kusnezow, Zirkus, S. 24.
Kusnezow, Zirkus, S. 53.
Der Cirque Olympique war laut Kusnezow der erste Zirkus mit einer Bühne (vgl. Kusnezow, Zirkus, S. 25). Dies ist historisch jedoch nicht korrekt.
Kusnezow, Zirkus, S. 58.
Kusnezow, Zirkus, S. 61.
Kusnezow, Zirkus, S. 150.
Kusnezow, Zirkus, S. 157.
Kusnezow, Zirkus, S. 160.
Kusnezow, Zirkus, S. 29.
Kusnezow, Zirkus, S. 58.
Vgl. auch Peter, Zirkus, S. 34. Birgit Peter analysiert in ihrer Studie die Schriften der ersten deutschsprachigen Zirkushistoriografen in der Zeit um 1900.
Teller, Kulturpolitischer Raum, S. 122.
Désile, Opéra de l’œil, S. 13.
Die deutsche Übersetzung des Grundlagenwerks von Jewgeni Kusnezow (1931), die 1970 in der DDR publiziert wurde, weist zudem Übersetzungsfehler und nicht markierte Ergänzungen auf. Die Übersetzung prägte den zirkushistoriografischen Diskurs des deutschsprachigen Raums maßgeblich – insbesondere die Formel „Zirkus ist eine Einheit der Vielfalt“ (Kusnezow, Zirkus, S. 7). Diese Formulierung stammt laut Katalin Teller jedoch aus der Feder der Übersetzerin und ist im russischen Original so nicht zu finden (vgl. Teller, Geschichte, S. 55).
Vgl. Jan Clarke, „Du ballet de cour à la foire. Les origines de la pantomime au XVIIe siècle“, in: Arnaud Rykner (Hg.), Pantomime et théâtre du corps. Transparence et opacité du hors-texte, Rennes: Presses universitaires de Rennes, 2009, S. 21–32.
Vgl. Dahms, Sibylle u. a., Tanz. Stuttgart: Metzler, 2001, S. 113–119. Einflussreiche Theoretiker:innen waren dabei insbesondere der englische Choreograf John Weaver mit seiner Schrift History of Mimes and Pantomimes (1728) sowie Jean-Georges Noverre, der mit seinen Lettres sur la danse (1760) den Begriff ‚ballet-pantomime‘ prägte (vgl. ebd.).
Vgl. Groß, Querelle.
Vgl. David Mayer, Harlequin in His Element. The English Pantomime, 1806–1836. Cambridge: Harvard University Press, 1969; ders., „Pantomime, British“, in: Dennis Kennedy (Hg.), The Oxford Encyclopedia of Theatre & Performance, Bd. 12: M–Z, Oxford: Oxford University Press, 2003, S. 995–997. Für den englischen Kontext findet sich eine (vermutlich unvollständige) Chronologie der Pantomime-Entwicklungen und -Aufführungen insbesondere des 19. Jahrhunderts (vgl. Pickering, Encyclopedia, S. XXXI–XXXVI).
Simon Sladen, Theaterwissenschaftler und Experte für British Pantomimes ab 1945, benennt für den englischsprachigen Kontext zwar die Pantomimen der Viktorianischen Ära als Vorläufer der Christmas Pantomimes, geht jedoch nicht näher auf die unterschiedlichen Aufführungspraxen ein, die noch bis ins 19. Jahrhundert mit dem Begriff verbunden waren (vgl. Simon Sladen, „‚Hiya Fans!‘: Celebrity Performance and Reception in Modern British Pantomime“, in: Adam Ainsworth u. a. (Hg.), Popular Performance, London: Bloomsbury Publishing, 2017, S. 179–202, S. 179 f.). Der französische Forscher und Herausgeber Arnaud Rykner erwähnt in seinem 2009 erschienenen Tagungsband Pantomime et théâtre du corps einleitend zwar die Bandbreite der als Pantomime bezeichneten Aufführungsformate und weist auf eine entsprechende Bezeichnung und Aufführungspraxis in den Zirkussen hin, doch beschäftigen sich die versammelten Beiträge entweder mit den Pantomimen im Pariser Kontext um 1700 oder mit der auf Gaspard Debureau zurückgehenden Tradition der stummen Pantomimen (vgl. Arnaud Rykner (Hg.), Pantomime et théâtre du corps. Transparence et opacité du hors-texte. Rennes: Presses universitaires de Rennes, 2009).
Johann Heinrich Zedler (Hg.), Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 26: P–Pd. Halle u. Leipzig: Johann Heinrich Zedler, 1740, S. 600.
Robert Blum u. a. (Hg.), Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde, Bd. 6: Niccolini bis Sisyphus. Altenburg u. Leipzig: Pierer u. Heymann, 1846, S. 41.
Philipp Düringer u. a. (Hg.), Theater-Lexicon: theoretisch-practisches Handbuch für Vorstände, Mitglieder und Freunde des deutschen Theaters. Leipzig: Otto Wigand, 1841, S. 841 f.
Ingeborg Janich, „Pantomime“, in: Manfred Brauneck / Gérard Schneilin (Hg.), Theaterlexikon, Bd. 1: Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, Reinbek: Rowohlt, 2007, S. 767–770, hier S. 769.
Vgl. Thomas Bühler, Luzerner Harlekin-Pantomimen. Beschreibung und Bewertung einer Theaterform zwischen 1740–1840. Unv. Diss., Universität Bern, 2002, S. 12. Für den Bereich der Theaterwissenschaft ist die Studie von Mark Cosdon zu den Hanlon Brothers zu erwähnen. Diese tourten um 1900 international erfolgreich mit ihren sogenannten Spectacle Pantomimes und wurden insbesondere mit Le Voyage en Suisse bekannt (vgl. Mark Cosdon, The Hanlon Brothers. From Daredevil Acrobatics to Spectacle Pantomime, 1833–1931. Carbondale u. Edwardsville: Southern Illinois University Press, 2009). Im Bereich der Literaturwissenschaft erhält die Textform der sogenannten literarischen Pantomime, die sich um 1900 als eigenständige Gattung etablierte, erst seit relativ kurzer Zeit mehr Aufmerksamkeit. Im Jahr 2011 ist die erste Monografie zur literarischen Pantomime (im deutschsprachigen Raum) erschienen (vgl. Hartmut Vollmer, Die literarische Pantomime. Studien zu einer Literaturgattung der Moderne. Bielefeld: Aisthesis, 2011), ein Handbuchartikel zur literarischen Pantomime erscheint demnächst (vgl. Nina Tolksdorf, „Die Literarische Pantomime“, in: Lucia Ruprecht / Bettina Brandl-Risi (Hg.), Handbuch Literatur und Performance, Berlin: De Gruyter (bevorstehend)).
Diesen Eindruck bestätigt auch Katalin Teller, die wie erwähnt auch betont, dass gerade Pantomimen für den anhaltenden Publikumserfolg der Zirkusgesellschaften von zentraler Bedeutung waren (vgl. Teller, Geschichte, 2021).
Vgl. Désile, Opéra de l’œil; Hodak, Théâtre équestre.
Vgl. Bratton, What Is a Play.
Katalin Teller untersucht in ihrer Habilitationsschrift wie auch in zwei Beiträgen einige Zirkuspantomimen von Circus Busch, verfolgt dabei jedoch jeweils spezifische thematische Interessen (vgl. Teller, Machwerke; dies., Kulturpolitischer Raum; dies., Geschichte). Einige Hinweise finden sich auch in den Studien der Kulturwissenschaftlerin Sylke Kirschnick (vgl. Kirschnick, Koloniale Szenarien; dies., Manege frei, S. 79–101; dies., Vom Rand). Nic Leonhardt analysierte für ihre Dissertation ein Inszenierungsbeispiel von Circus Renz (vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 279–291) und geht in einem Beitrag auf die entsprechende Aufführungspraxis ein (vgl. Leonhardt, Metropole). Grundlagen finden sich außerdem in den Publikationen der Zirkushistorikerin Gisela Winkler (vgl. G. Winkler, Circus Busch; dies., Von fliegenden Menschen, Bd. 1).
Teller verweist auf Irina A. Seleznëva-Reder, Formirovanie ėstetiki cirkovogo predstavleniâ. Cirk v Sankt-Peterburge pervoj poloviny XIX, veka, Dissertation. Sankt-Peterburgskaâ: gosudarstvennaâ akademiâ teatral’nogo iskusstva, 2006; Sergej M. Makarov, Teatralizaciâ circa. Moskau: URSS – Knižnyj dom „Librokom“, 2010; Ûrij A. Dmitriev, Sovetskij cirk, Očerki istorii 1917–1941. Moskau: Iskusstvo, 1963.
Vgl. etwa Stoddart, Rings, S. 5, 16 f.
Katalin Teller verweist darauf in ihrer Studie (vgl. Teller, Geschichte, S. 72). Verwendung findet der Begriff bei Brooks McNamara, „Scenography of Popular Entertainment“, in: The Drama Review 18.1 (1974), S. 16–24, hier S. 21; und auch bei Pickering, Encyclopedia, S. 10, 76.
Vgl. Antony Hippisley Coxe, „Equestrian Drama and the Circus“, in: David Bradby u. a. (Hg.): Performance and Politics in Popular Drama. Aspects of Popular Entertainment in Theatre, Film and Television, 1800–1976. Cambridge: Cambridge University Press, 1980, S. 109–118, hier S. 114–116; Hodak, Théâtre équestre; Arthur H. Saxon, Enter Foot and Horse: A History of Hippodrama in England and France. New Haven: Yale University Press, 1968, S. 205–227.
Vgl. Tait, Replacing Injured Horses, S. 149–164.
Vgl. Bratton, What is a Play, S. 251.
Ebd.
Vgl. Bratton, What is a Play, S. 250–254. Kwint schreibt im Gegensatz zu Bratton, deren Ausführungen mit Quellen belegt sind, dass die englischen Zirkusgesellschaften ab 1843 (Theatre Regulation Act) kaum noch Schwierigkeiten mit der Gesetzgebung gehabt hätten (vgl. Kwint, Legitimization, S. 72).
Vgl. S. L. Kotar / J. E. Kessler, The Rise of the American Circus 1716–1899. Jefferson (NC) u. London: McFarland, 2011, S. 18; Moody, Illegitimate, S. 31.
Vgl. Désile, Opéra de l’œil, S. 3.