In der deutschen Theaterhistoriografie wird das Jahr 1869 gemeinhin mit der Einführung der sogenannten Theaterfreiheit gleichgesetzt. Gefordert wurde diese Freiheit des Theaters in Europa bereits seit der Aufklärung, besonders auch in der Französischen Revolution.1 Je nach Kontext blieb sie jedoch, wie auch die Pressefreiheit, lange umkämpft. Konkret bedeutete ‚Theaterfreiheit‘ die Aufhebung der Zensur, die Abschaffung des fürstlichen oder königlichen Privilegiensystems sowie die Beseitigung von Repertoire- und Spielzeitbeschränkungen.2 Im Zusammenhang mit dem Jahr 1869 ist der Begriff ‚Theaterfreiheit‘ jedoch irreführend. 1869 wurden nämlich nicht die Theater-, sondern die Gewerbegesetze liberalisiert, wobei die Theaterzensur auch nach Einführung der liberalen Gewerbeordnung weiterhin bestehen blieb.3 Nichtsdestoweniger stellt das Jahr 1869 für die deutsche Theatergeschichte eine Zäsur dar: Mit der Einführung der neuen Gewerbeordnung im Oktober 1869 für den Norddeutschen Bund und 1871 im gesamten Kaiserreich wurden sowohl der Zugang zu Theaterkonzessionen maßgeblich gelockert als auch die bis dato geltenden Beschränkungen auf ein bestimmtes Repertoire aufgehoben. Infolgedessen kam es zu zahlreichen Theaterneugründungen und damit zu einem sprunghaften Anstieg der Theaterspielstätten. In der Geschichtsschreibung wird jedoch oftmals ausgelassen oder zumindest nicht weiter vertieft, dass die liberalisierten Theatergesetze zwischen 1880 und 1918 vom Gesetzgeber zunehmend wieder eingeschränkt wurden – zu Lasten bestimmter Theaterformen, so auch des Zirkus.4
Im Fokus dieses Kapitels steht die Einflussnahme von Bühnenorganisationen wie dem Deutschen Bühnenverein (DBV) und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) auf diese Gesetzesrevisionen sowie die daraus resultierenden Konsequenzen für Zirkusgesellschaften. Die restaurative Überarbeitung und Verschärfung der Theatergesetze nach ihrer Liberalisierung im Jahr 1869 wird dabei als Moment einer Diskursverdichtung und -materialisierung betrachtet und als solche genauer untersucht. Beleuchtet wird in diesem Kapitel zudem die Legitimierung und Zementierung der Dichotomie von ‚hohen‘ und ‚niederen‘ Theaterformen im Rahmen der Theatergesetze des Kaiserreichs.
Um ein Verständnis für die Novellierungen von 1880 und 1883/84 sowie die Verschärfungen des Gesetzesvollzugs zwischen 1888 und kurz nach 1900 zu schaffen, wird zunächst noch auf die Gewerbeordnung von 1869 eingegangen. Doch zuvor soll noch ein kurzer Blick auf die gesetzlichen beziehungsweise theaterhistorischen Entwicklungen in Preußen vor 1869 geworfen werden, um die Einführung der Gewerbeordnung von 1869 sowie die Tradition, in der die Theatergesetze des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts standen, zu kontextualisieren.
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In Preußen wurde die Frage, wie die Vergabe neuer Spielgenehmigungen zu regulieren sei, seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder verhandelt. Dabei wurde das fürstliche Privilegiensystem zwar Schritt für Schritt zugunsten eines behördlichen Konzessionswesens abgeschafft, doch behielten die Hoftheater eine Sonderstellung: Sie galten per se als Theaterinstitutionen mit Bildungszweck, also als „Anstalten, welche Einfluß auf die allgemeine Bildung haben“,5 und waren damit der „Abtheilung für den Cultus und den öffentlichen Unterricht“6 unterstellt.7 Gesetzlich wurden die subventionierten Hoftheater von den privaten beziehungsweise gewerblichen Spielstätten unterschieden, die als „öffentliche Anstalten zur Bequemlichkeit und zum Vergnügen“ galten.8 Letztere waren dem preußischen Innenministerium beziehungsweise der Polizei unterstellt.
Theaterunternehmungen – mit Ausnahme von Hofbühnen – wurden 1810 erstmals als Gewerbe definiert.9 Und mit dem Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer vom 28. Oktober 1810 konnten grundsätzlich alle gut beleumdeten Personen durch den Erwerb eines Gewerbescheins einen eigenen Betrieb eröffnen und führen.10
Dabei gehörten die Theaterschaffenden zu denjenigen Gewerbegruppen, die mit Beschränkungen versehen wurden, da nach Paragraf 21 des Edikts „bei deren ungeschicktem Betriebe gemeine Gefahr obwaltet“.11 Explizit aufgeführt wurden in dem Passus „Marionettenspieler“ (Punkt 16),12 „Personen, welche mit Thieren und andern Sachen zur Schaustellung umherziehen“ (Punkt 21),13 wie auch „Schauspiel-Direktoren“ (Punkt 23).14 1810 wurden also die unterschiedlichen Theaterformen zwar als solche benannt, jedoch noch innerhalb ein- und desselben Paragrafen gefasst. Bereits ein Jahr später, im September 1811, wurde das Steueredikt vom 28. Oktober 1810 durch genauere polizeiliche Vorschriften ergänzt. Darin erhielten die Schauspieldirektoren einen separaten Passus (§ 87), direkt vor den Hoftheaterbühnen (§ 88).15 Auf diese Weise wurden letztere klar von den in Paragraf 139 benannten umherziehenden Theaterschaffenden – „Marionettenspieler, Seiltänzer, Equilibristen, Taschenspieler, Thierführer, umherziehende Musikanten, überhaupt alle diejenigen, welche umher reisen, um irgend eine Sache oder Verrichtung für Geld auszustellen“ – abgegrenzt.16 Diese gesetzliche Unterteilung der gewerblichen Theaterbetriebe in privilegierte stehende Schauspielunternehmungen und schlechter gestellte reisende Theatergesellschaften sollte das Theaterwesen während des gesamten 19. Jahrhunderts prägen.
Im Gewerbesteuergesetz vom 30. Mai 1820 wurden die steuerpflichtigen und damit ex negativo die steuerbefreiten Gewerbe neu definiert. Die oben genannten reisenden Theaterformen gehörten zum Bereich jener „Gewerbe, die von umherziehenden Personen betrieben werden“, und waren somit steuerpflichtig.17 Befanden die preußischen Obrigkeiten, dass „bei den Ausstellungen oder Leistungen umherziehender Personen“ entgegen der Annahme des Gesetzes „ein rein wissenschaftliches, oder ein höheres Kunstinteresse Statt findet“,18 konnten diese Gewerbe von der Steuerpflicht befreit werden. Anders formuliert: Umherziehenden Theatergruppen wurde implizit Kunstlosigkeit unterstellt, solange sie die Behörden nicht vom Gegenteil zu überzeugen vermochten. Schauspieldirektor:innen wurden in der Steuerverordnung von 1820 im Vergleich zu derjenigen von 1810 nicht mehr aufgeführt. Ihnen wurde somit implizit ein ‚höheres Kunstinteresse‘ attestiert, womit sie fortan de facto von der Steuerentrichtung befreit waren.19
Eine allgemeine Gewerbeordnung, die das erwähnte Gewerbesteuer-Gesetz von 1820 ergänzte, wurde in Preußen dann im Jahr 1845 erlassen. Sie sollte die gewerberechtliche Gesetzgebung für das ganze Staatsgebiet vereinheitlichen. In der neuen Gewerbeordnung wurden die Schauspieldirektor:innen nun als ‚Schauspielunternehmer:innen‘ bezeichnet. Sie gehörten weiterhin zu jenen Gewerben, für die eine „besondere Genehmigung“ erforderlich war, da „durch ungeschickten Betrieb, oder durch Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in sittlicher Hinsicht das Gemeinwohl oder die Erreichung allgemeiner polizeilicher Zwecke gefährdet werden“ könne.20 Schauspielunternehmungen (§ 47 GO) wurden faktisch als stehende Gewerbezweige aufgefasst. Für umherziehende Theaterschaffende blieb die Verordnung von 1820 bindend. Um Vorstellungen geben zu dürfen, benötigten Schauspielunternehmer:innen eine polizeiliche Genehmigung des entsprechenden Bezirks. Diese durfte ihnen allerdings erst nach Erbringung eines Nachweises „gehöriger Zuverlässigkeit und Bildung“ ausgestellt werden.21 Doch selbst wenn die Aspirant:innen dieser Anforderung nachkamen, konnten die Behörden ihnen die Bewilligung noch versagen.22 Die preußische Gewerbeordnung von 1845 diente als Grundlage für die Ausarbeitung der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund von 1869.23
Insgesamt ähnelte das preußische Konzessionswesen bis 1869 weiterhin dem fürstlichen Privilegiensystem. Spielgenehmigungen mussten seit 1810 zwar nicht mehr beim Königshaus ersucht werden, doch boten die Gesetze den fortan zuständigen Polizeibehörden wie eben erwähnt einen erheblichen Ermessensspielraum.24 Und den Hofbühnen räumten die preußischen Gesetzgeber nicht nur einen privilegierten Status außerhalb der Gewerbeordnung ein, sondern sie behielten auch das Exklusivrecht für die Aufführung von Trauerspiel, Oper und Ballett. Somit war gewerblichen Theatern das Aufführen dieser Gattungen verboten.25 Mit diesen Repertoirebeschränkungen brach die neue Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes 15 Jahre später, wie im Folgenden noch genauer zu sehen sein wird. Die in Berlin 1851 wieder eingeführte präventive Theaterzensur sollte jedoch bestehen bleiben.
Der Revolutionsbewegung war es 1848 zwar gelungen, die in Berlin 1820 erlassene präventive Theaterzensur im Rahmen der Forderung nach einem Recht auf freie Meinungsäußerung in Preußen aufzuheben, doch führte Generalpolizeipräsident Carl Eduard von Hinckeldey die präventive Zensur in Berlin bereits 1851 wieder ein – zwar nicht de iure, wohl aber de facto. Aufgrund der Ereignisse von 1848 vermied er es, den Begriff ‚Zensur‘ zu verwenden. Stattdessen war fortan von einer Theaterverordnung die Rede.26 Mit dieser Verordnung wurde festgelegt, dass gewerbliche Theater wie vor 1848 die Spielerlaubnis für Aufführungen auf Basis einer Textvorlage beim Berliner Polizeipräsidium einholen mussten.27 Die Hoftheater hingegen waren, wie bereits vor der zwischenzeitlichen Abschaffung der Zensur, von der polizeilichen Überwachung ausgenommen. Hinckeldey hatte zwar beabsichtigt, die königlichen Bühnen ebenfalls seiner Theaterverordnung zu unterstellen. Da dies jedoch zu Spannungen mit höfischen Kreisen geführt hatte, musste er das Vorhaben wieder verwerfen.28 Die Hinckeldey’sche Verordnung blieb bis 1919 in Kraft.29 Vielen Mitgliedern des deutschen Staatenbundes diente sie als Vorlage für die Erstellung ähnlicher Zensur-Verordnungen.30
Dieser kurze Rückblick auf die theatergesetzlichen Entwicklungen in Preußen vor 1869 verdeutlicht, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowohl die Unterscheidung zwischen Theaterformen mit Bildungscharakter (also ‚höherem‘ Kunstinteresse) und solchen mit vergnüglichem oder unterhaltendem Charakter (ohne Kunstinteresse) als auch zwischen stehenden und umherziehenden Theaterbetrieben gesetzlich festgeschrieben und verschärft wurde. In der Hierarchisierung von stehenden Schauspielbühnen und wandernden Theatergruppen manifestiert sich somit nicht nur „ein erhebliches Misstrauen […], das der Gesetzgeber diesem Gewerbezweig [dem Reisegewerbe, Anm. M. H.] entgegenbrachte“,31 sondern auch die sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts konsolidierende Veränderung der deutschen Theaterlandschaft: die Abkehr von der Wanderbühnen-Tradition und eine Hinwendung zu sesshaften Spielstätten nach dem Modell der stehenden Hoftheater.32 Die preußischen Theatergesetze des frühen 19. Jahrhunderts und ihre Entwicklung zwischen 1810 und 1820 lassen zudem erkennen, wie sich die theoretischen Theaterkonzeptionen des späten 17. Jahrhunderts auf die theatrale Praxis auswirkten.
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Ein Akteur, der sehr gezielt versuchte, die Theaterpraxis in Deutschland zu gestalten, und ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Theaterdiskurs mitprägte, war der DBV. Der Interessenverband ging 1846 aus einem Zusammenschluss von rund 20 Intendanten und Direktoren33 bedeutender deutscher Hoftheater hervor – die Direktor:innen der Wanderbühnen wurden bewusst nicht aufgenommen.34 In den 1850er Jahren begann sich der DBV für ein Theatergesetz zu engagieren, das dem Literaturtheater den Status als „öffentliche Anstalt zur Bildung und Veredlung“ sichern sollte.35 Davon zeugt eine vom DBV beauftragte und von Eduard Devrient (damals Intendant des Hoftheaters Karlsruhe) verfasste Denkschrift aus dem Jahr 1860. Darin heißt es, eine zu große Anzahl von Theaterspielstätten, das Agentur(un)wesen, ein Mangel an Ausbildungsstätten sowie die Sommertheater, die „in Cigarrenrauch und Bierdurst die tiefste Depravation der Bühnenkunst [bewirken]“,36 seien verantwortlich für „die Uebel der heutigen theatralischen Zustände“.37 Abhilfe könne nur ein allgemeines Theatergesetz schaffen, das unter anderem die nicht von den Höfen subventionierten, privaten Literaturtheater dem Staat als Bildungsinstitutionen unterstellen solle.38 Bemerkenswert an diesem Pamphlet ist auch, dass Devrient als „leichtsinnige Concurrenz“ für die gewerblichen Literaturtheater zwar auch die „bezahlte[n] Liebhaber-Theater, Kunstreiter u.s.w.“39 benannte, jedoch 1860 vor allem die Sommertheater als Bedrohung für Literaturtheater-Spielstätten wahrnahm.
Die Anzahl derartiger Spielstätten sollte dem Schreiben zufolge durch einen erschwerten Zugang zu Theaterkonzessionen reguliert werden, und „[a]ndere, die Schaulust beschäftigende Veranstaltungen müßten möglichst beschränkt […] werden.“40 Durch diese Einschränkungen „hätten die entwürdigenden Sommertheater“ Devrient zufolge fortan „gar keine Berechtigung für ihre Existenz mehr und wären, wie alle Unternehmungen auf dem Gebiete der theatralischen Vorstellung, welche die Würde der Menschen-Darstellung verletzen, ohne Weiteres abzuschaffen.“41 Dies sei, so Devrients Fazit, „[f]ür den höheren Staatszweck gewiss ein großer Gewinn.“42 Solcherlei moralische Aufladungen des Literaturtheaters prägten, wie noch zu sehen sein wird, auch um 1900 noch die Debatten. Devrients Denkschrift wurde an die deutschen Fürsten und Regierungen gerichtet, doch blieb die darin enthaltene Forderung des DBV nach einem allgemeinen Theatergesetz unerfüllt.43 In den 1860er Jahren war der DBV (noch) nicht stark genug, um die politischen Entscheidungsträger von seinen Anliegen zu überzeugen, und so blieben seine Wünsche in der Gewerbeordnung von 1869 unberücksichtigt.
Auch die GDBA hatte keinen Einfluss auf die Erarbeitung der Gewerbeordnung – sie wurde erst im Sommer 1871 gegründet. Im Rahmen des Weimarer Kongresses vom 17.–19. Juli gründeten delegierte Schauspieler44 der Hofbühnen und größeren städtischen Privattheater die GDBA inklusive einer Pensionskasse.45 Der Zusammenschluss von Schauspieler:innen steht einerseits im direkten Zusammenhang mit dem aus der neuen Gewerbeordnung resultierenden Konkurrenzdruck. Andererseits ist er als Reaktion auf das damalige Vorhaben des DBV zu sehen, eine Petition für ein neues Theatergesetz bei der Bundesregierung einzureichen.46 Die Schauspieler:innen wollten ihre Positionen und Anliegen im (erhofften) neuen Theatergesetz ebenfalls vertreten wissen.47
Um 1900 bestand die GDBA bereits aus etwa 5000 Mitgliedern. Ihr Organ, die Deutsche Bühnen-Genossenschaft, erschien 1903 wöchentlich in einer Auflage von rund 5600 Exemplaren.48 Als ihre Aufgabe betrachtete die GDBA „die Sicherung und Hebung der geistigen und materiellen Interessen der deutschen Bühnen-Angehörigen, mithin die Arbeit am Fortschreiten der gesammten Entwicklung der deutschen Theaterverhältnisse.“49 Wie bereits beim DBV waren auch bei der Gründung der GDBA keine Abgesandten von Wandertheatern anwesend gewesen, und es bestehen auch „keine Hinweise darauf, dass sie zur Teilnahme überhaupt aufgerufen worden waren.“50
Wenige Tage vor dem Zusammenschluss zur GDBA war 1871 außerdem die Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten gegründet worden. Im Jahr 1872 formierte sich zudem der Allgemeine Deutsche-Musiker-Verband und 1884 der Deutsche Chorsängerverband (ab 1917 Deutscher Chorsänger und Ballettverband).51 Alle genannten Bühnenorganisationen kämpften für eine Aufwertung des Theaterwesens, also für die staatliche Anerkennung von Literaturtheater und Oper als kulturelle Bildungsinstitutionen, aber auch für ihre spezifischen kollektiven Interessen. Der DBV etwa ging gegen den sogenannten Kontraktbruch seitens der Schauspieler:innen vor, während die GDBA insbesondere von den Theaterdirektionen eine bessere soziale Absicherung forderte.52
DBV und GDBA waren als zentrale Interessenverbände der deutschen Theaterlandschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Triebfedern sowohl für die Weiterentwicklung wie auch für die Einschränkung der Theatergesetzgebung des Kaiserreichs. „[U]nd gerade die immer wieder hervortretende Unvereinbarkeit der Positionen der beiden Gruppen war es,“ wie die Theaterwissenschaftlerin Marion Linhardt schreibt, „die mehr als einmal den Ruf nach übergeordneten staatlichen Regelungen laut werden ließ.“53 Dieses Kapitel soll unter anderem klären, ob und wie sich die opponierenden Arbeitnehmer:innen- und Arbeitgeber:innenverbände GDBA und DBV im Kampf gegen die (Zirkus-)Konkurrenz koordinierten und mit welchen Argumentationen sie welche politischen Parteien überzeugen konnten.
2.1 Liberalisierung der Theatergesetze durch die Gewerbeordnung von 1869
Die Gewerbeordnung von 1869 steht in der Tradition der preußischen Gewerbereformen des frühen 19. Jahrhunderts sowie der preußischen Gewerbegesetzgebung von 1845 und lässt sich nicht ohne die wirtschaftliche Konjunktur sowie den (nationalen) Wirtschaftsliberalismus der damaligen Zeit verstehen.54 Deutschland war Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt von einem ungekannten, vom Industriekapitalismus getragenen Wirtschaftsaufschwung. In diesem Kontext kam es zwischen 1866 und 1873 zu einer Phase der Hochkonjunktur gekoppelt mit einem Investitionsboom – die sogenannten Gründerjahre, die 1873 in einer schweren wirtschaftlichen Depression mündeten.55 Im gleichen Zeitraum erfuhren auch die Theorien der liberalen Wirtschaftslehre Aufschwung. In den stenografischen Berichten der Parlamentsverhandlungen sowie in weiteren historischen Texten ist diesbezüglich vielfach von einem Laissez-faire und Laissez-aller der Politik sowie von „Manchestertum“ die Rede.56 Im deutschen Kontext wurde 1858 der Kongress deutscher Volkswirte gegründet, der sich für Freihandel und eine Liberalisierung der Gewerbetätigkeit stark machte. Auf politischer Ebene vertrat insbesondere die 1861 auch von Mitgliedern des Kongresses deutscher Volkswirte gegründete Deutsche Fortschrittspartei ‚manchesterliberale‘ Positionen. Aus ihrem rechten Flügel ging 1866 die Nationalliberale Partei hervor, die sich für wirtschaftliche, aber auch für politische Reformen wie die Einführung des allgemeinen Wahlrechts sowie die Etablierung eines Parlaments einsetzte. Die Positionen der Nationalliberalen Partei prägten – ab der Reichsgründung 1871 in Koalition mit der Freikonservativen Partei – die deutsche Politik bis 1878.57
Nach Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 überließ der preußische Ministerpräsident und norddeutsche Bundeskanzler Otto von Bismarck die preußische Wirtschaftspolitik dem ‚Manchesterliberalen‘ Rudolph von Delbrück. Ab 1867 leitete dieser bis 1877 das neu gegründete Bundeskanzleramt (ab 1871 Reichskanzleramt genannt). Über Delbrück wurde mit Otto Michaelis zudem ein prominenter preußischer Nationalliberaler ins Bundeskanzleramt berufen.58 Die im Frühjahr 1867 vom Parlament des Norddeutschen Bundes verabschiedete Verfassung sah eine Regelung der Gewerbegesetze auf Bundesebene vor. Ausgehend von dieser Vorgabe engagierte sich Delbrück für eine einheitliche liberale Gewerbeordnung und vermittelte dabei zwischen den Nationalliberalen und Bismarck. Zuspruch fand das liberale Gesetzesprojekt vor allem, weil Bismarck darin die Möglichkeit einer Konsolidierung des Staatenbundes sah.59
Der konkrete Entwurf des Gesetzeswerks wurde von Michaelis ausgearbeitet. Währenddessen erreichten zahlreiche Petitionen das Bundeskanzleramt und den Reichstag, die sich entweder ausdrücklich für oder gegen die Einführung der Gewerbefreiheit aussprachen. In der Presse wurde der Entwurf nach Bekanntwerden als entweder zu restriktiv oder aber viel zu liberal besprochen.60 Im Jahr 1868 schaffte es das polarisierende Gesetzeswerk dann zwar rasch durch den Bundesrat, im Parlament kam es in der Folge jedoch zu langwierigen Debatten.61 Die Nationalliberale Partei stritt für die Durchsetzung des Freihandels und der Gewerbefreiheit innerhalb des Norddeutschen Bundes, während die konservativ-reaktionären Parteien die Liberalisierung und die damit einhergehenden erwarteten Veränderungen zu verhindern suchten.62 Am 21. Juni 1869 wurde die neue Gewerbeordnung schließlich veröffentlicht, am 1. Oktober desselben Jahres trat sie in Kraft – mit Ausnahme von Titel III, der das sogenannte Gewerbe im Umherziehen regelte. Dieser erlangte erst am 1. Januar 1870 Gültigkeit.
2.1.1 Theater im Reichstag
Der Entwurf der neuen Gewerbeordnung wurde, nachdem er am 7. April 1868 vom Bundesrat beschlossen worden war, dem Reichstag zur Besprechung überreicht.63 Im Parlament des Norddeutschen Bundes wurde dann eine Kommission zur detaillierten Überarbeitung des Entwurfs eingesetzt.64 Diese Expertengruppe für Handel und Gewerbe spielte dem Bundesrat das mit Änderungen versehene Gesetzesprojekt etwas später zurück, woraufhin dieser den seinerseits überarbeiteten Entwurf am 4. März 1869 erneut dem Parlament überreichte.65 Zu diesem Zeitpunkt lautete Paragraf 32 (der Theater- beziehungsweise Schauspiel-Paragraf) wie folgt: „Schauspielunternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes der polizeilichen Erlaubniß. Dieselbe ist ihnen nur dann zu ertheilen, wenn sie sich über ihre Zuverlässigkeit in Beziehung auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb ausgewiesen haben.“66
Der Begründung des Bundesrats zum Entwurf der Gewerbeordnung ist zu entnehmen, dass der Bundesrat an der Konzessionspflicht beziehungsweise der polizeilichen Genehmigung bei manchen Gewerbearten festzuhalten beabsichtigte. In dem Schreiben hieß es, dass „durch Unzuverlässigkeit der Gewerbetreibenden in sittlicher Hinsicht das Gemeinwohl gefährdet werden“ und daher „aus Rücksichten auf die Sicherheits- und Sittenpolizei auf die Prüfung der sittlichen Zuverlässigkeit bei einer gewissen […] Anzahl von Gewerben nicht verzichtet werden“ könne.67 Sowohl das umherziehende Gewerbe als auch Schauspielunternehmer:innen wurden zu diesen Gewerbezweigen gezählt. Für letztere hatte der Bundesrat eine Prüfung der Zuverlässigkeit in Sachen Bildung, Sittlichkeit und Finanziellem vorgesehen.68 In den Beratungen des Parlaments war dieser Punkt Gegenstand längerer Diskussionen.
In der Reichstagssitzung vom 13. April 1869 wurde der Paragraf 32 zum zweiten Mal besprochen. Heinrich Runge von der Fortschrittspartei sowie der Nationalliberale Henning von Puttkamer forderten mit ihrem Antrag, den Paragrafen dahingehend zu ändern, dass eine Konzession nur dann verweigert werden dürfe, wenn die entsprechende Behörde Mängel seitens der Bewerber:innen feststellen könne. Konkret sollte die zwingende Zuverlässigkeitsprüfung der Konzessionsaspirant:innen mittels folgender Formulierung gelockert werden: „[…] wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Beziehung auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb darthun.“69 In ihrem Änderungsantrag schlugen die beiden Abgeordneten außerdem folgende Zusatzformulierung für den Paragrafen vor: „Beschränkungen auf bestimmte Kategorien theatralischer Darstellung sind unzulässig.“70 Bei der abschließenden Abstimmung votierte die Mehrheit des liberal-freikonservativ geprägten Parlaments für den Antrag.71 Im Folgenden sollen ein paar Einblicke in die vorausgegangene Debatte gegeben werden, da diese die Ideen hinter der neuen Gesetzgebung sowie den gängigen Diskurs rund um das Theater und seine Regulierung sehr gut widerspiegelt.
Eröffnet wurde die Diskussion durch den Abgeordneten Franz Duncker von der Fortschrittspartei, der den Paragrafen 32 des Gewerbeordnungsentwurfes gänzlich ablehnte, da für ihn die Konzessionspflicht der Idee der Gewerbefreiheit widersprach. Duncker begründete die vorgeschlagene Streichung des Theater-Paragrafen mit dem schlechten Zustand des zeitgenössischen Theaters, der seiner Meinung nach auf die Zensur und die Monopolstellung der Hoftheater zurückzuführen war.72 Unter ‚Theater‘ verstand der linksliberale Abgeordnete das Literaturtheater beziehungsweise die sogenannte Schaubühne.73 Nach Dunckers Vorstellung sollte das Theater das „höhere Kunstbedürfniß befriedigen“ und zur Bildung und Sittlichkeit der Gesellschaft beitragen.74 Als Vorbilder nannte er Goethe, Schiller und Shakespeare.75 Er verwies dabei auch auf Schillers Ideen der Schaubühne als „moralische Anstalt“.76 Außerdem sollte das Theater durch die Inszenierung von literarischen Texten deutscher Dramatiker:innen zur Einigung der Nation beitragen.77 Unterstützung erhielt Duncker von seinem Parteifreund Julius von Kirchmann, der die Konzessionspflicht ebenfalls abgeschafft wissen wollte:
Diese Bestimmungen […] sind offenbar Ueberbleibsel aus alten barbarischen Zeiten, wo die Schauspieler bekanntlich zu den Personen gerechnet wurden, denen überhaupt die Gesellschaft alle Ehre absprach […]. Diese Zeiten sind glücklicher Weise vorüber, und wir wissen ja alle, meine Herren, daß jetzt nicht bloß Schauspieler und Schauspielerinnen in die besten Gesellschaften aufgenommen, sondern auch die Unternehmer mit Worten und Titeln aller Art geschmückt und geziert werden.78
Die Schauspieler:innen waren laut Kirchmann also in der bürgerlichen Gesellschaft angekommen und sollten seiner Auffassung nach den moralisch zuverlässigen Personen und Berufen und damit auch den konzessionsbefreiten Gewerben zugeordnet werden.
Widerspruch erhielten Duncker und Kirchmann unter anderem von dem konservativen Abgeordneten Hermann Wagener, langjähriger Chefredakteur der Kreuzzeitung.79 Seiner Ansicht nach hatte die gesellschaftliche Realität wenig mit den Vorstellungen der Fortschrittspartei zu tun. In der Tat sei der Zustand des Theaters ein schlechter, doch die Gründe, „weshalb jetzt unsere Theater zum Theil Ausstellungsbuden der schlimmsten Art von Unsittlichkeit und Sinnlichkeit geworden sind“,80 lägen weder in der Monopolstellung der Hoftheater noch in der Zensur beziehungsweise der Überwachung durch die Polizei. Letztere erschien Wagener durchaus sinnvoll, um umstürzlerische Ausschreitungen zu verhindern.81 Vielmehr sei die „immer mehr hervortretende materielle Richtung der Zeit“ verantwortlich zu machen dafür, „daß unsere kleinen Theater mit Offenbachiaden und kleinen Skandalstücken sich ausschließlich herumzuschlagen hatten […].“82
Wageners positive Bewertung der polizeilichen Kontrolle des Theaterwesens bewog wiederum den Nationalliberalen Abgeordneten Karl Braun dazu, Einspruch zu erheben:
Wenn die Theater gegenwärtig kein Publikum haben, so liegt es nicht daran, daß das Publikum nicht so ist, wie es sein sollte, sondern vielmehr daran, daß die Theater nicht so sind, wie sie sein sollten, und die Ursachen davon […] liegen eben in den polizeilichen Beschränkungen und in dem Umstande, daß die Obsorge und die Aufsicht für die Theater in Hände gelegt sind, wo allerlei kleinliche Rücksichten herrschen, welche mit den Zwecken der Kunst, mit den Zwecken der Poesie, mit den Zwecken der Bühne, als eines nationalen Erziehungsmittels, absolut nichts zu schaffen haben.83
Die stenografischen Berichte der Parlamentsverhandlungen ermöglichen nicht nur Rückschlüsse auf die damals vorherrschende Idee von Theater, das heißt ein im Sinne der bürgerlichen Aufklärungsideale moralisch-bildendes Literaturtheater mit nationalistischer Prägung. Sie geben auch Aufschluss über die hegemonialen zeitgenössischen Vorstellungen, inwiefern die Lage des Theaters mittels Gesetzen zu verbessern sei. In ihren Reden sprachen sich die liberalen Abgeordneten meist für eine Laissez-faire-Politik aus. Von der daraus resultierenden marktwirtschaftlichen Konkurrenz erhofften sie sich eine Höherentwicklung der künstlerischen Leistungen der Theaterunternehmer:innen im Sinne der umrissenen Theaterkonzeption.84 Wie der konservative Abgeordnete Wagener wollte auch der Nationalliberale Karl Braun keine ‚Offenbachiaden‘ gefördert wissen.85 Doch vertrat Braun die Überzeugung, dass der Sollzustand des Theaters nicht mittels Polizeikontrolle, sondern durch die freie Marktwirtschaft zu erreichen sei:
[W]enn wir Beschränkungen aufheben, die auf den Theatern ruhen, die keine Beihilfe aus öffentlichen Kassen beziehen, so machen wir es ja gerade damit diesen Theatern möglich, auch andere Stücke ernsthaften und höheren Inhalts zu geben; und wenn das Publikum darauf eingeht, so ist ja diesem Umstande abgeholfen.86
Den Abgeordneten der Fortschrittspartei gelang es zwar nicht, die Konzessionspflicht für Schauspielunternehmer:innen gänzlich abzuschaffen. Doch erreichte die bürgerlich-liberale Mehrheit des Parlaments des Norddeutschen Bundes eine deutlich weitergehende Liberalisierung des Theater-Paragrafen als im ursprünglichen Entwurf des Bundesrates. Am 26. Mai 1869 erhielt der Paragraf 32 in der dritten Beratung des Entwurfs der Gewerbeordnung im Parlament seine endgültige Fassung und lautete fortan:
Schauspiel-Unternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes der Erlaubniß. Dieselbe ist ihnen zu ertheilen, wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Beziehung auf den beabsichtigen Gewerbebetrieb darthun. Beschränkungen auf bestimmte Kategorien theatralischer Darstellungen sind unzulässig.87
Der Paragraf 32 der Gewerbeordnung von 1869 beseitigte das 15 Jahre zuvor noch vom preußischen Königshaus bestätigte Monopol der Hofbühnen. Für die Leiter:innen der stehenden gewerblichen Theater bedeutete die Einführung der neuen Gewerbeordnung in erster Linie eine Befreiung von den Gattungs- und Repertoirebeschränkungen sowie einen Konzessionszugang ohne Prüfung ihrer Bonität. Hinter dem neuen Theatergesetz steckte die Absicht des Gesetzgebers, günstige Bedingungen für das bürgerliche Bildungs- und Literaturtheater zu schaffen. Die vom wirtschaftsliberalen Denken der damaligen Zeit geprägte Legislative ging davon aus, dass als ‚nieder‘ bewertete Theaterformen durch die entstehende Konkurrenz zwischen den Theaterunternehmen von selbst verschwinden würden.88
Auch die Tagespresse hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Annahme der neuen Gewerbeordnung.89 Denn nicht zuletzt durch die anhaltende Thematisierung wirtschaftsliberaler Ideen und Programme in den Zeitungen fanden entsprechende Vorstellungen in der Öffentlichkeit zunehmend Akzeptanz. Viele wirtschaftsliberale Denker:innen schrieben zur damaligen Zeit für wichtige Meinungsblätter, die dem liberalen Bürgertum nahestanden. Dazu zählten in Berlin insbesondere die Spenersche Zeitung, die Vossische Zeitung und die National-Zeitung. Letztere war mit dem Freihändler Otto Michaelis als Leiter des Wirtschaftsressorts ganz auf Linie des Kongreßes deutscher Volkswirte.90
Über die laufenden Verhandlungen des Entwurfs der neuen Gewerbeordnung im Parlament berichtete die Presse kontinuierlich. Doch sind in den für diese Studie konsultierten Zeitungen nahezu keine kritischen Beiträge über die für die Theaterbetriebe relevanten Paragrafen zu finden.91 Daran sollte sich auch anlässlich der Novellierungen in den Folgejahren nichts ändern. Der im preußischen Innenministerium tätige konservativ-monarchistische Beamte Ludwig Hahn bestätigt in einer Theaterstreitschrift, die er 1876 anonym veröffentlichte,
daß die Presse sich auffallender Weise […] indifferent […] verhielt. Vergeblich wird man in der großen Mehrzahl der bedeutenden Blätter […], vergeblich in der Menge der literarischen Zeitschriften, vergeblich selbst in den Fachjournalen aus der Zeit der Vorbereitung der Gewerbeordnung und selbst in den Tagen der öffentlichen Berathung der Theaterparagraphen irgend ein Anzeichen ernster Theilnahme, irgend eine eingehende Erörterung, irgend einen Versuch der Einwirkung auf die Beschlüsse des Reichstages suchen. Auch für die Presse schien die Sache keine höhere Bedeutung zu haben […].92
Bevor die neue Gewerbeordnung am 1. Oktober 1869 in Kraft trat, wandte sich das Preußische Staatsministerium im September mit einer Verfügung an alle Regierungen des Norddeutschen Bundes. Die Mitgliedsstaaten wurden dazu aufgefordert, das Gesetzeswerk entsprechend dem Leitgedanken der neuen Gewerbeordnung einzuführen und alle polizeilichen Beschränkungen aufzuheben, „soweit dies mit dem öffentlichen Wohle irgendwie verträglich“ sei.93 Weiterhin wurden die preußischen Ausführungsbestimmungen der neuen Gewerbeordnung sowohl an Presseredaktionen geschickt, als auch an sämtliche Landesregierungen. Das Ziel dieser Maßnahme bestand in einer möglichst gleichmäßigen Umsetzung der neuen Gewerbeordnung nach preußischer Vorlage im ganzen Bundesgebiet.94
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Mit der neuen Gewerbeordnung hielt auch das Gewerbe im Umherziehen Einzug in die Gewerbegesetzgebung. Zuvor hatten in Preußen lediglich Steuerverordnungen die Bedingungen dieser Gewerbetätigkeiten geregelt, die preußische Gewerbeordnung von 1845 umfasste nur das stehende Gewerbe.95 Ende April 1869 hielt die vom Parlament aufgestellte Kommission unter Leitung des Altliberalen Carl Rudolph Friedenthal hinsichtlich der Überarbeitungen des Entwurfs zum Gewerbe im Umherziehen fest, es handle sich bei letzterem um den „romantische[n] Theil der Gewerbeordnung“ beziehungsweise „von denjenigen Gewerbetreibenden, […] mit denen sich unsere Dichter […] vorzugsweise gern beschäftigen.“96 Die Kommission habe jedoch weder eine romantisierte Sicht auf diese Gewerbezweige, noch eine Haltung, die die entsprechenden Akteur:innen als „einen Theil der bürgerlichen Gesellschaft“ begreife, „der weniger ehrlich, weniger nützlich sein Gewerbe betreibt, als diejenigen, die das stehende Gewerbe kultiviren.“97 Deswegen begrüße es die Kommission auch, dass der Bundesrat im Gesetzesentwurf „wesentliche Schranken und wesentliche Erschwerungen dieses Gewerbebetriebes hat fallen lassen.“98
Alles andere als romantisch war die Perspektive der Kommission auf reisende Theatergruppen und Künstler:innen. Der Ausschuss befand es „für nöthig“, diese Akteur:innen „unter mehr erschwerende Bestimmungen zu stellen, als die übrigen Gewerbetreibenden im Umherziehen.“99 Es gelte, das Publikum zu schützen, denn „gerade auf dem Lande (in den großen Städten viel weniger) [liegt] eine wahre Landplage darin […], daß solche Schaustellungen das Land überschwemmen […].“100 Daher sollte die sogenannte Bedürfnisfrage den höheren Verwaltungsbehörden die Möglichkeit geben, nur eine beschränkte Anzahl von Bewilligungen (Legitimationsscheine) für reisende Theaterunternehmungen auszustellen.101 Abgeordnete der Deutschen Fortschrittspartei und der Nationalliberalen Partei sprachen sich gegen die Bedürfnisprüfung aus. Denn die Behörden erhielten ihrer Argumentation zufolge damit einen derartig großen Ermessensspielraum, dass sie theoretisch auch beschließen könnten, in ihrem jeweiligen Regierungsbezirk gar keine Legitimationsscheine auszustellen.102 Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte jedoch für die Bedürfnisprüfung.103
Am 1. Januar 1870 trat Titel III bezüglich des Gewerbes im Umherziehen der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes in Kraft. Relevant für reisende Theaterunternehmungen waren dabei fortan vor allem die Paragrafen 55 und 59. Punkt 4 des Paragrafen 55 legte fest, dass für „gewerbliche oder künstlerische Leistungen oder Schaustellungen, bei welchen ein höheres wissenschaftliches oder Kunst-Interesse nicht obwaltet“,104 vorab ein Legitimationsschein einzuholen sei. Dieser war nur im Bezirk der ausstellenden Behörde und nur für ein Kalenderjahr gültig – bei den Konzessionen der stehenden Theater (nach § 32 RGO) war hingegen keine zeitliche Beschränkung zulässig. Paragraf 59 regelte, der umrissenen Perspektive des Parlaments Ausdruck gebend, die spezifischen Zusatzbedingungen für reisende Theatergewerbe:
§. 59. Wer auf den Straßen oder sonst im Umherziehen oder an einem Orte vorübergehend und ohne Begründung eines stehenden Gewerbes öffentlich Musik aufführen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten öffentlich darbieten will, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet, bedarf, außer den übrigen Erfordernissen, der vorhergehenden Erlaubniß durch die Behörde des Ortes, an welchem die Leistung beabsichtigt wird. Die Ertheilung von Legitimationsscheinen für diese Gewerbe wird versagt, sobald der, den Verhältnissen des Verwaltungsbezirkes der höheren Verwaltungsbehörde entsprechenden Anzahl von Personen Legitimationsscheine ertheilt sind. Umherziehenden Schauspieler-Gesellschaften wird der Legitimationsschein nur dann ertheilt, wenn der Unternehmer die im §. 32. vorgeschriebene Erlaubniß besitzt.105
Zusätzlich zum Legitimationsschein benötigten umherziehende Theaterunternehmungen an ihren Spielorten also eine Genehmigung der entsprechenden Ortsbehörde. Um außerhalb des gestatteten Bezirks aufzutreten, musste der (ab 1884 Wandergewerbeschein genannte) Legitimationsschein von den zuständigen Beamten auf den entsprechenden Bezirk erweitert werden. Die Behörden konnten die Ausstellung eines Legitimationsscheins oder dessen Ausdehnung auf einen anderen Bezirk auf Basis der Bedürfnisfrage verweigern, also wenn sie befanden, dass bereits eine ausreichende beziehungsweise zu hohe Anzahl an Legitimationsscheinen erteilt sei.106 Für stehende Theater (§ 32 RGO) war die Bedürfnisprüfung beziehungsweise die Beschränkung der Anzahl von Spielstätten nicht zulässig.107
Bemerkenswert ist an Paragraf 59 auch die Unterscheidung von „Schaustellungen, theatralische[n] Vorstellungen“ und „[u]mherziehenden Schauspieler-Gesellschaften“.108 Unter theatralischen Vorstellungen wurden Aufführungen szenischer Handlungen mit Dialogen, Gesten, Mimik, Gesang und Tanz verstanden.109 Diese Differenzierung steht in der Tradition der besprochenen preußischen Theatergesetze und -verordnungen des frühen 19. Jahrhunderts und belegt deutlich, dass das Schauspiel gegenüber theatralischen Vorstellungen und Schaustellungen anders bewertet wurde. Reisende Schauspielgruppen benötigten zusätzlich zum Legitimationsschein nach Paragraf 55 (RGO) auch eine Theaterkonzession nach Paragraf 32 (RGO). Diese Doppelbelastung beziehungsweise dieser Zwischenstatus wurde 1883 auch auf die stehenden Theaterhäuser, die Veranstaltungen ohne ‚höheres Kunstinteresse‘ anboten, übertragen. Ab den späten 1880er Jahren wurde die juristische Sonderstellung reisender Schauspiel-Unternehmungen von den Polizeibehörden auch genutzt, um Zirkusse einzuschränken (s. Kapitel 2.3.2).
Die Gesetzgeber gingen davon aus, dass bei umherziehenden Theaterunternehmen „ein höheres wissenschaftliches oder Kunst-Interesse nicht obwaltet“ – es sei denn, letztere konnten die Behörden in sogenannten Probeaufführungen vom Gegenteil überzeugen.110 Gelang dies, konnten sie sich auf Grundlage einer Regelung aus dem Jahr 1820 von der Steuerpflicht für umherziehende Gewerbe befreien lassen.111 Das in Berlin befindliche Königliche Ober-Tribunal entschied im Oktober 1878 hinsichtlich der Beschwerde einer reisenden Schauspielgesellschaft, die wie beschrieben neben dem Wandergewerbeschein auch eine Konzession nach Paragraf 32 (RGO) beantragen musste, Folgendes: Für den Nachweis, „daß bei den künstlerischen Leistungen ein höheres Kunstinteresse obwalte“, sei es nicht ausreichend, „daß mehraktige Schau-, Trauer- und Lustspiele zur Aufführung gebracht worden sind und daß in dem Stadttheater einer größeren Stadt gespielt worden ist.“112
In der Steuerverordnung von 1820, die bis 1869 das Wandergewerbe in Preußen geregelt hatte, war das vermeintliche Fehlen eines „rein wissenschaftlichen Interesses“ oder „höheren Kunstinteresses“ bezüglich der umherziehenden Theatergruppen nur im Zusammenhang mit den Probeaufführungen thematisiert worden.113 1869 erhielt die Idee in den Paragrafen 55 und 59 der neuen Gewerbeordnung deutlich mehr Raum. Die Annahme eines fehlenden Wissenschafts- respektive Kunstinteresses wurde auch in der Parlamentsdebatte nicht hinterfragt. So befand etwa der Fortschrittspartei-Abgeordnete Heinrich Runge, es bestehe „wohl kein Zweifel“, dass bei Darbietungen von umherziehenden Gewerben „[…] ein höheres Interesse der Kunst und Wissenschaft nicht Anwendung finde“.114 Das ‚höhere‘ wissenschaftliche oder künstlerische Interesse wurde anfänglich nicht genauer definiert, sollte jedoch später Gegenstand von juristischen Erörterungen und Gerichtsstreitigkeiten werden.
Ganz offenkundig wurde die im obigen Abschnitt umrissene Hierarchisierung von stehenden und wandernden Theaterbetrieben in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes nicht nur erhalten, sondern sogar ausdifferenziert. Mit Einführung der neuen Gewerbeordnung im Jahr 1869 unterstanden privat geführte Theater durch ihren Status als Gewerbe (wie in Preußen seit 1810 Usus) den jeweiligen Innenministerien der Länder. Als den Künsten und der Bildung dienende Institutionen waren königlich subventionierte Bühnen (neben ihrer Befreiung von der präventiven Zensur) vom Geltungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen.115 Für die Vergabe der Konzessionen und für den Erlass ergänzender Verordnungen waren die örtlichen Polizeibehörden zuständig. Auch die Gemeinden hatten ein gewisses Mitspracherecht, beispielsweise indem sie ortspolizeiliche Verordnungen mitausarbeiteten.116 In Berlin wurden die entsprechenden polizeilichen Verordnungen nach Zustimmung des Magistrats vom Berliner Polizeipräsidenten erlassen.117 Für die Erteilung von Schauspielkonzessionen und Legitimationsscheinen (Wandergewerbescheinen) war im Stadtkreis Berlin das Polizeipräsidium zuständig.118
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Die von wirtschaftsliberalen Politikern119 gewünschte Konkurrenz kam durch Einführung der neuen Gewerbeordnung tatsächlich zustande, nur führte sie zu einem anderen Ergebnis als dem erhofften, nämlich zu einem Boom besonders visueller, musikalischer und vergnüglicher Theaterformen. Es bewahrheitete sich also das genaue Gegenteil der Annahme des Gesetzgebers, die wirtschaftliche Konkurrenz sondere die (vermeintlich) schlechten Theaterformen kurzerhand aus.120 Der konservative Abgeordnete Hermann Wagener äußerte diese Vorahnung bereits am 13. April 1869 im Rahmen der parlamentarischen Debatte über den Entwurf der Gewerbeordnung: „Dann möchte ich aber auch noch darauf hinweisen, meine Herren, ich glaube, diejenigen Herren, die sich von derartigen formellen Bestimmungen sehr viel versprechen für die Hebung unsrer Bühne, werden sich in dem Erfolge später sehr getäuscht sehen.“121
2.1.2 Blüte und Misere der Liberalisierung
Jeder Bierwirth bekam jetzt die Berechtigung, seine Biertonnen mit Theaterbegleitung zu verzapfen und seine Kalbscotelettes mit dramatischer Beilage an den Mann zu bringen. […] In dem dicken Tabaksqualm der ‚Nicotinbühnen‘ erstickten allmählich die Hoffnungen der Sanguiniker, welche von der Theaterfreiheit ein goldenes Zeitalter der dramatischen Volksdichtung erträumt hatten.122
Nach Einführung der liberalisierten Gewerbeordnung im Jahr 1869 wurde von der veränderten Gesetzeslage umgehend Gebrauch gemacht: Zwischen 1869 und 1879 erteilten die Berliner Behörden 173 neue Konzessionen nach Paragraf 32, viele davon an Wirt:innen, die in ihren Gasthäusern nun auch Aufführungen veranstalteten.123 Denn wie gesehen wurden Theaterkonzessionen nun ohne Repertoirebeschränkungen sowie ohne künstlerische, sittliche und finanzielle Eignungsprüfung vergeben. Nicht nur die Anzahl der Theaterveranstaltungsorte, sondern auch jene von Personen, die sich beruflich den darstellenden Künsten verpflichteten, nahm in dieser Zeit deutlich zu. Darüber hinaus wurden – dies ist natürlich auch im Kontext des massiven Konjunkturaufschwungs ab 1850 zu sehen – neue Theaterhäuser gebaut. Häufig hatten dabei Aktiengesellschaften oder Investor:innen ihre Finger im Spiel, die in der Verpachtung der Gebäude ein profitbringendes Geschäft sahen.124 Nach Einführung der neuen Gewerbeordnung stieg der Konkurrenzdruck, wie von den Parlamentariern erhofft, rasch an. In der Folge mehrten sich auch die Theaterkonkurse und -schließungen und viele Schauspieler:innen fanden sich in einer äußerst prekären Lage wieder.125
Dieser „Verfall der deutschen Theater“, wie beispielsweise der erwähnte Beamte Ludwig Hahn die Theatermisere in seiner Streitschrift bezeichnete, war nicht nur „Gegenstand der Besorgnis in literarischen und künstlerischen Kreisen“,126 sondern auch Inhalt zahlreicher Diskussionen und Publikationen. Wie bereits vor 1869 wurde bestimmten Theaterformen die Schuld für den ‚Verfall‘, ‚Missstand‘ und ‚Niedergang‘ des Literaturtheaters zugeschoben. Waren es in der 1860 von Eduard Devrient verfassten Publikation des DBV die Sommertheater gewesen, wurden in den 1870er Jahren die sogenannten Cafés chantants oder Tivolitheater angeschwärzt. Hahn hielt 1876 etwa fest: „Nur die Spezialität im niederen Genre, welche von den Tivolitheatern und erweiterten Cafés chantants schon vorher über Gebühr kultivirt worden war, hat unter der Herrschaft der Theaterfreiheit ein noch unvergleichlich erweitertes Feld gewonnen.“127 Diese „äußerlich in Theater umgewandelten Cafés chantants und sogenannten ‚Tingel-Tangels‘“ und ihr „entsittlichende[s] Treiben“ führten dem Staatsbeamten zufolge zu einer „bedenklichen Ausbeutung der Theaterfreiheit“.128 Auf die Rede des linksliberalen Abgeordneten Franz Duncker während der erwähnten parlamentarischen Diskussion über den Entwurf der neuen Gewerbeordnung Bezug nehmend, fügte der Autor hinzu:
[D]ie leichter geschürzte Muse der Possen und Frivolitäten lockt das habituelle Theaterpublikum viel wirksamer und nachhaltiger an, und die Prophezeiung eines Reichstagsredners, daß das Publikum der beste Richter über den Werth der einzelnen Bühnen sei und in ein Theater, welches schlechte Sachen gebe, nicht hineingehen werde, – hat sich, wie jeder Menschenkenner vorhersehen konnte, durchaus nicht erfüllt und wird sich vermuthlich je länger um so weniger erfüllen.129
Um der neuen Konkurrenz standzuhalten, sahen sich Hahn zufolge auch die ‚besseren‘ oder ‚richtigen‘ Theater gezwungen, „bloße Ausstattungs- und Spektakelstücke“ oder „frivole Offenbachiaden“ zum Besten zu geben.130 Wie bereits Devrient forderte Hahn die Etablierung von Schauspielschulen sowie eine Anerkennung und Förderung des Literaturtheaters durch den Staat, da „[d]er Einfluß der Bühne auf Geist und Sitte des Volkes“ wesentlich sei und der Staat daher ein Interesse an guten nationalen Bildungstheatern habe.131 Außerdem schlug er „im Interesse der dramatischen Kunst“ die Gründung einer Kommission für Theaterangelegenheiten auf Reichsebene vor,132 die mit Vertreter:innen staatlicher Behörden, Intendanten der königlichen Bühnen und Abgesandten von DBV, GDBA sowie der Genossenschaft dramatischer Autoren besetzt werden sollte.133
Die Kritik Ludwig Hahns richtete sich also in erster Linie gegen die Cafés chantants und die Tivoli- oder Spezialitätentheater. Zirkusaufführungen und Artist:innen schienen ihm hingegen kein Dorn im Auge zu sein – anders als Eduard Devrient, der Kunstreiter:innen 1860 als Konkurrenz bezeichnet hatte,134 erwähnte er sie nicht einmal. Hahns Schrift, die exemplarisch für den zeitgenössischen Theaterdiskurs steht, kann entnommen werden, dass die Zirkusse in den 1870er Jahren von Literaturtheater-Verfechter:innen noch nicht als ernsthafte Bedrohung empfunden wurden.
Zur Erinnerung: Circus Renz besaß in den 1870er Jahren noch keine eigene beziehungsweise keine längerfristig nutzbare fixe Spielstätte in Berlin. Das Unternehmen konnte sich erst nach dem Weggang von Circus Salamonsky im Jahr 1879 fest in der ehemaligen Markthalle etablieren; das Gebäude von Circus Krembser wurde 1886, das von Circus Busch 1896 errichtet. Als bedrohliche Konkurrenz für die bürgerlichen Literaturtheater-Spielstätten wurden Zirkusgesellschaften, wie an späterer Stelle genauer besprochen wird, erst ab den 1880er Jahren wahrgenommen. Nichtsdestoweniger finden sich Ende der 1870er Jahre erste Anzeichen einer sich anbahnenden Rivalität. Beispielsweise war im Zusammenhang mit der Aufführung der Pantomime Königin von Abessynien bei Circus Renz im November 1877 in der Berliner Börsen-Zeitung zu lesen, dass das Stück nicht nur „[e]inen reizvollen Anblick gewährte“, sondern „sich aus einer Sammlung ausgesuchter weiblicher Schönheiten zusammensetzt, wie sie wohl kein anderes Ballet der Welt ausweisen kann.“135 Und, fuhr der Bericht fort,
[s]ieht man diese stattliche Schaar anmuthiger Schönen und hört, welche Gage ihnen Director Renz zahlt, so begreift man die Reizlosigkeit des Chores der Statistinnen und Tänzerinnen in unseren Theatern und versteht die Klagen der Bühnenleiter, daß der Circus ihnen so vollständig den Garten der Schönheit plündere. […] Am Sonnabend sowohl wie am Sonntag waren die Räume ausverkauft.136
Die Inszenierungen bei Circus Renz in Berlin zogen also nicht nur ein großes Publikum an, sondern aufgrund der attraktiven Gagen offenbar auch viele Balletttänzer:innen. Im österreichischen Neuigkeits-Welt-Blatt wurde im September 1878 ebenfalls über die hohen Gagen bei Circus Renz berichtet. Herausragende Künstler:innen erhielten zwischen 1200 und 1500 Mark pro Monat und verdienten „somit ein größeres Einkommen als mancher General.“137 Die „Sterne ersten Ranges“ hätten sogar noch weitaus höhere Gagen.138 Die berühmte Reitkünstler:in Miss Ella etwa habe für ihr dreiwöchiges Gastspiel bei Circus Renz gar 18’000 Mark erhalten.139 Vertraut man den Angaben in einer 1909 vom Reichstagsabgeordneten Maximilian Pfeiffer publizierten Schrift, so hatte die Mehrzahl der Schauspieler:innen in Deutschland zu dieser Zeit nicht ein Monats-, sondern ein Jahreseinkommen von 1000 bis 1500 Mark.140
Im Januar 1880 schrieb die Berliner Börsen-Zeitung, wie bereits im ersten Kapitel ausgeführt:
Der Circus Renz ist bezüglich des Besuches den meisten der hiesigen Theater in einer für die Letzteren wahrhaft beschämenden Weise überlegen. Man behauptet, die Productionen auf dem Trapez, auf gesattelten und ungesattelten Pferden, die Pantomimen-Ballets u.s.w. übten eben auf das große Publicum eine viel stärkere Anziehungskraft aus, als alle Kömödien [sic!] und Tragödien.141
Im Jahr 1888 trat dann der DBV mit der Beschwerde an die Behörden heran, dass die Zirkusaufführungen für die Literaturtheater-Spielstätten sowohl durch den Entzug des Publikums als auch der besten Balletttänzer:innen eine schwere Konkurrenz bedeuteten.142 Doch mussten sich bis zu diesem Zeitpunkt sowohl der DBV als auch die GDBA in der durch die Einführung der neuen Gewerbeordnung 1869 veränderten Lage erst einmal zurechtfinden und organisieren.
2.1.3 Die Interessenvertretung des Literatur- und Bildungstheaters formiert sich
Die Liberalisierung der Theatergesetze hatte wie angedeutet nicht nur zahlreiche Neugründungen, sondern auch viele Schließungen und Konkurse zur Folge, von denen sowohl die Direktor:innen der Stadt- und Privattheater als auch (und weitaus gravierender) die Schauspieler:innen betroffen waren. Die Intendanten der Hofbühnen hatten ihrerseits mit der Einführung der neuen Gewerbeordnung ihre Monopolstellung über Trauerspiel, Oper und Ballett verloren.143 Es überrascht daher nicht, dass die 1871 gegründete Schauspieler:innen-Genossenschaft (GDBA) und der Direktorenverband (DBV), eigentlich opponierende Interessenvertretungen, zur Verbesserung ihrer Situation beide ein neues Theatergesetz oder zumindest eine grundsätzliche Überarbeitung von Paragraf 32 der Gewerbeordnung forderten.144
Der DBV, der bei der Ausarbeitung der Gewerbeordnung nicht konsultiert worden war, beschloss im Laufe einer Versammlung im Mai 1871, sich für ein neues, spezifischeres Theatergesetz auf Reichsebene einzusetzen. Es wurde eine fünfköpfige Kommission ins Leben gerufen, um einen entsprechenden Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Die Interessenvertreter:innen der Schauspieler:innen und anderer Theaterangestellter bildeten 1871 ebenfalls eine Fünfer-Delegation, die fortan mit derjenigen des DBV über die Ausarbeitung des neuen Theatergesetzentwurfs verhandelte.145 Denn wie bereits erwähnt, gründete sich die GDBA auch als Reaktion auf das Vorhaben des DBV hin, da die Schauspieler:innen ihre Anliegen in dem erhofften neuen Theatergesetz ebenfalls vertreten wissen wollten.146
Ab Juli 1871 tagte die Kommission unter der Leitung des Freiherrn Karl von Perfall, Intendant der königlich-bayerischen Hof- und Residenztheater. Doch wurde der geplante Vorstoß bereits im folgenden Jahr wieder aufgegeben. Die Kommission hatte sich mit Abgeordneten und Regierungsvertretern in Verbindung gesetzt, um in Erfahrung zu bringen, ob überhaupt Erfolgsaussichten für das Gesetzesprojekt bestanden – mit negativem Ergebnis: Weder im Reichstag noch im Bundesrat bestand die Bereitschaft, nach den langwierigen Verhandlungen zur Durchsetzung der neuen Gewerbeordnung die Theater-Paragrafen zu überarbeiten beziehungsweise die Gewerbegesetze nochmals zu revidieren. Daher überreichte der DBV dem Bundesrat lediglich eine Petition mit der Bitte um Unterstützungsgelder, die er für eine Verbesserung der Lage der Theaterangestellten einsetzen wollte. Hintergrund dieser erhofften Finanzspritze war die auch zur Förderung von Kunst und Wissenschaft vorgesehene französische Kriegskostenentschädigung infolge des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71). Das Gesuch wurde jedoch im Mai 1873 ohne Begründung abgelehnt.
Bis zur Gründung einer Kommission für die Erarbeitung eines Reichtheatergesetzes im Jahr 1901 unternahm der Direktorenverband daraufhin vorerst keine weiteren Versuche, die Gesetzgeber zu einer erneuten Überarbeitung der Theatergesetze zu bewegen.147 Fortan setzte sich vor allem die GDBA für eine nochmalige Revision des Theater-Paragrafen ein. 1879 tat sie sich mit der Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten zusammen, um gemeinsam eine Petition zu verfassen, die das Ziel einer Einschränkung von Paragraf 32 der Gewerbeordnung verfolgte.148
Während der 1870er Jahre blieben die Bestrebungen der Literaturtheater-Lobby, eine Veränderung der liberalisierten Theatergesetze zu erwirken, also zunächst erfolglos. Durch die vorbereitenden Arbeiten der Kommission waren jedoch erstmals die Inhalte eines spezifischen Reichstheatergesetzes umrissen worden. Einerseits handelte es sich dabei um die öffentlich-rechtliche Ebene, also das Konzessionierungswesen, und andererseits um den privatrechtlichen Bereich, das heißt die Arbeitsverträge und -bedingungen an festen Theatern.149
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Die gemeinsame Petition der GDBA und der Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten wurde im März der Jahre 1879 und 1880 im Rahmen einer allgemeinen Überarbeitung der Gewerbeordnung im Reichstag tatsächlich diskutiert und letztlich, vor allen Dingen dank der Unterstützung der konservativen Abgeordneten, gutgeheißen.150 Die daraus resultierende Novellierung des Paragrafen 32 (RGO) ging der GDBA jedoch nicht weit genug. In der Denkschrift Das Deutsche Theater und sein gesetzlicher Schutz hielt GDBA-Mitgründer Franz Krückl im Dezember 1882 fest, „daß den § 32 v. J. 1869 ein verhängnißvoller Irrthum veranlaßt hat“151 und dass das Gesetz „jedem beliebigen Individuum die Möglichkeit eröffnete, mit der Kunst ganz seiner Willkühr ein Geschäft zu treiben.“152 Auch die Überarbeitung des Paragrafen im Jahr 1880 habe diesen Missstand nicht beseitigt. In der Denkschrift, die an alle Mitglieder des Reichstags versandt wurde, forderte die GDBA daher eine Abkehr von den Annahmen, „1. daß jeder beliebige Mensch zum Betriebe eines Theater-Unternehmens tauge; 2. daß es auch Theater geben müsse, bei welchen ein höheres Interesse der Kunst nicht obwaltet.“153 In anderen Worten: Das Konzessionswesen sollte eingeschränkt werden und Theaterkonzessionen sollten nur noch Aspirant:innen erhalten, die Theater im Sinne der GDBA anboten, das heißt auf literarischen Vorlagen basierendes Bildungstheater.
Denn die „theatralische[n] Vorstellungen ohne höheres Kunst-Interesse“ erniedrigten nach Auffassung der DGBA die ‚eigentliche‘ Theaterkunst.154 Die „in die Gewerbe-Ordnung hineingezwängt[en]“ Theatergesetze hätten „dem Tingeltangel-Unwesen Thür und Thor geöffnet“, sodass „gewöhnliche Miethslokale durch Errichtung einer ‚Bühne‘ zu ‚Theatern ohne Kunst-Interesse‘ hinaufgestiegen [sind].“155 Genau dagegen ging die GDBA nun vor, und das durchaus erfolgreich. Schon 1883 erhielt die Gewerbeordnung nämlich einen Zusatzparagrafen (§ 33a RGO), der eine Unterscheidung und unterschiedliche Behandlung verschiedener Theaterformen – je nachdem, ob sie als ‚höhere‘ oder ‚niedere‘ Kunst angesehen wurden – innerhalb der stehenden Theater einführte. Diesen ersten Erfolgen der Literaturtheater-Lobby in den 1880er Jahren ist das folgende Unterkapitel gewidmet.
2.2 Erneute Einschränkungen der Theatergesetze ab 1880
Die Landesregierungen stellten die Zuständigkeit des Norddeutschen Bundes und ab 1871 des Reiches in puncto Gewerbegesetzgebung nach 1869 nicht mehr infrage. Allerdings erfuhr das Gesetzeswerk in den 1870er Jahren Kritik von allen politischen Seiten. So sind die erneuten Einschränkungen der Theatergesetze in den 1880er Jahren nicht nur das Ergebnis der Lobbyarbeit der Literaturtheater-Verbände, sondern auch in einem größeren politischen Kontext zu sehen. Denn unterschiedliche Interessengruppen wie der konservativ-revisionistische Verein für Socialpolitik, die Handwerkerbewegung und auch sozialistische Akteur:innen konnten diverse Novellierungen der Gewerbeordnung erwirken, in deren Rahmen auch die Theater-Paragrafen überarbeitet wurden.156 Im Jahr 1878 kam es außerdem zu einer Wende in der übergeordneten politischen Lage: Hatten seit der Reichsgründung 1871 liberale Parteien den politischen Kurs geprägt, gelang es nun den Konservativen, das Ruder zu übernehmen.157
Nach einer von schwindender politischer Macht begleiteten Krisenphase konnten die konservativen Kräfte im Deutschen Reich ab Mitte der 1870er Jahre ihrer tiefen Abneigung gegen den Liberalismus und die Demokratie, gegen den Industriekapitalismus (die sogenannte materielle Richtung der Zeit) und gegen die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen wieder (partei)politischen Ausdruck verleihen.158 Der Wirtschaftszusammenbruch im Jahr 1873, der das Ende der sogenannten Gründerjahre einläutete, diente den Konservativen dabei als Beleg, dass der (Wirtschafts-)Liberalismus für die Missstände verantwortlich zu machen sei.159 Der konservative Regierungskommissar Tonio Bödiker etwa ließ in einer Sitzung des Reichstags 1883 verlauten: „Es ist an der Zeit, jetzt dem Unwesen zu steuern, daß nicht wieder eintritt, was nach den Gründerjahren hervorgetreten ist.“160 Ab den späten 1870er Jahren und im Verlauf der gesamten 1880er Jahre prägten im Deutschen Reich insbesondere der antikatholische ‚Kulturkampf‘ und das ‚Sozialistengesetz‘ die politische Arena.161
In den für diese Studie analysierten Verhandlungen des Reichstags tritt die tiefe Kluft zwischen den links-liberalen und den rechts-konservativen Lagern in dieser Zeit deutlich zutage. Ein damit verbundener Diskussionsgegenstand, der allen Debatten rund um die Überarbeitung der Theatergesetze zugrunde lag, war die Frage nach der Macht der Polizei: Die linke Seite des Saales warnte vor gefährlicher Polizeiwillkür, während die rechte Seite die Polizei als geeignetes Instrument betrachtete, um (wieder) Ordnung in die Gesellschaft zu bringen.
Die Ziele der Interessenvertretung des Bildungs- und Literaturtheaters fanden dabei in den 1880er Jahren Schnittmengen mit den Positionen konservativer Parteien und Politiker, die sich, wie im Folgenden dargestellt wird, 1879 erstmalig der Anliegen der Bühnenorganisationen annahmen.
2.2.1 Die Literaturtheater-Lobby findet Gehör in den Parlamentsdebatten 1879–1883
Die erwähnten Petitionen der GDBA und der Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten stießen im Jahr 1879 beim Reichstag auf Resonanz. Sie bildeten die Grundlage eines Antrags auf Änderung des Paragrafen 32 (RGO). Der von den deutschkonservativen Abgeordneten Carl Friedrich von Seydewitz, Karl Gustav Ackermann und Otto Heinrich von Helldorff eingereichte Antrag wurde am 21. März 1879 im Reichstag diskutiert. Die Antragsteller engagierten sich im Namen der ‚guten Sitten‘ und des damit in ihren Augen verbundenen Staatswohles für die Einschränkung der Gewerbeordnung beziehungsweise des Theater-Paragrafen. Sie bekundeten, sie hätten nicht vor, die Bedürfnisfrage auch für den Paragrafen 32 (RGO) einzuführen. Doch solle den Konzessionsbehörden deutlich mehr Spielraum verschafft werden, um ‚ungeeignete‘ Aspirant:innen leichter abweisen können. Konkret sollten ihrer Auffassung nach künftig nur noch Personen eine Theaterkonzession erhalten, die gegenüber den Behörden einen Nachweis über genügend Bildung und ‚gute Sitten‘ erbringen könnten.162 Das Ziel dieser Präventivmaßnahme bestehe darin, den „Mißbrauch“ zu verhindern, „der mit dem jetzigen Paragraphen getrieben wird im Interesse jener niederträchtigen Vorstellungen, die wir unter dem Namen der ‚Tingeltangel‘ und dergleichen kennen.“163 Helldorff, damals Vorsitzender der Deutschkonservativen Partei, verkündete außerdem, dass ihm
aus verschiedenen Theilen Deutschlands sofort Zuschriften von Schauspielern, von Verbindungen Bühnenangehöriger zugegangen sind, die diesen Antrag freudig begrüßten. Diese Herren verlangen sogar noch weit mehr als wir, sie verlangen nämlich durchgehends eine Konzession, welche nicht bloß die artistische, sondern auch die finanzielle Befähigung der Theaterunternehmer prüft. Sie schildern in drastischer Weise die Noth, in die gegenwärtig in Folge der Theaterfreiheit unser gesammtes Bühnenpersonal gerathen ist.164
Der Antrag der Deutschkonservativen wurde von einer Mehrheit des Reichstags angenommen und zur tiefergehenden Beratung an eine 21-köpfige Kommission überwiesen.165 1879 wurde die Änderung des Paragrafen 32 (RGO) nicht mehr realisiert. Die Deutschkonservativen brachten den Änderungsantrag jedoch zu Beginn des Folgejahres gemeinsam mit weiteren Anträgen zur Novellierung der Gewerbeordnung nochmals ein.166 Aus zusätzlichen Unterlagen der Reichstagsprotokolle geht zudem hervor, dass 1880 neben der Petition der GDBA und der Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten aus dem Jahr 1879 auch der DBV sowie zwei Privatpersonen Petitionen für die Einschränkung des Theater-Paragrafen einreichten.167
Am 17. März 1880 wurde die Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) gemeinsam mit einem Antrag bezüglich der Neuregulierung des Innungswesens im Reichstag nochmals diskutiert, wobei letzterer deutlich mehr Aufmerksamkeit erhielt. In seiner Rede stellte Mitantragsteller Karl Gustav Ackermann in Bezug auf die Abänderung des Paragrafen klar, dass die Einschränkung der Konzessionsvergabe selbstverständlich die Missstände nicht komplett beheben würde und dass die Antragsteller
davon ab[sehen], zu erörtern, ob das Theaterwesen nicht in größerem Umfange, in einer höheren Bedeutung als Kunstanstalt zur Erfüllung der ihm zugewiesenen Kulturaufgaben einer staatlichen Fürsorge zu überweisen ist […]. Es mag dahingestellt bleiben, ob das zu erreichen ist, was Schiller erstrebte in seiner Schrift ‚das deutsche Theater als moralische Anstalt betrachtet‘, was Eduard Devrient erstrebt in seiner Schrift ‚das Nationaltheater des neuen Deutschlands‘, was Rudolf Gottschall erstrebt in seinem Aufsatz ‚das deutsche Theater der Gegenwart‘ und was besonders erstrebt wird von einem nicht genannten Staatsbeamten in einer neuerlich erschienenen sehr lesenswerthen Schrift ‚das deutsche Theater und seine Zukunft‘.168
Die bereits besprochene Denkschrift des „nicht genannten Staatsbeamten“ Ludwig Hahn wurde 1879 neuaufgelegt. Und offensichtlich wurde sie sowohl von der Presse und als auch von den Mitgliedern des Reichstags rezipiert.169 Die Konservativen grenzten sich, dies macht der obige Ausschnitt aus Ackermanns Rede deutlich, vom eigentlichen Anliegen der Literaturtheater-Lobby ab. Ihren Antrag beschränkten sie auf die Einschränkung des Konzessionswesens, denn, so führte Ackermann weiter aus,
[d]ie Theaterfreiheit, wie sie die Gewerbeordnung eingeführt hat, ist zum großen Nachtheil der deutschen Bühne ausgeschlagen. Der Schauspielbetrieb ist mit der Schankwirthschaft in enge Verbindung getreten, es sind Bühnen entstanden, bei welchen die leicht geschürzte Muse der frivolen Posse wirkt und große Massen anzuziehen sucht und verleitet, wenn nicht zu Unsittlichkeiten, so doch zu Geschmacksverirrungen und Rohheiten.170
Das Zitat verdeutlicht eindrücklich, warum die Literaturtheater-Verfechter:innen in den Konservativen Verbündete fanden.
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Die Parlamentsdiskussionen im Zusammenhang mit der Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) geben auch einen guten Einblick in das vorherrschende Theaterverständnis. Mit Verweis auf Schillers „Schaubühne als moralische Anstalt“ – eine Bezugnahme,171 die bereits in den Beratungen über den Entwurf der Gewerbeordnung 1869 aufgetaucht war – fragte der Deutschkonservative Ackermann:
Meine Herren, wohin sind wir mit der gepriesenen Theaterfreiheit gekommen? […] Und […] was führen uns die vorstädtischen Theater, was führen uns die cafés chantants und Tingeltangels vor? (Ruf [aus dem Saal, Anm. M. H.]: das sind keine Theater!) Gewiß! insoweit sie Dramas oder kleine Theaterstücke, die zum Gebiet der Schaubühne gehören, aufführen. (Widerspruch [im Reichstag, Anm. M. H.].) Diese Theater sind […] zu einem großen Theile nichts weiter als Ausstellungsbuden der gröbsten Art von Unsittlichkeit und Sinnlichkeit, sind Tummelplätze der Frivolität, auf welchen dem Volke der Abhub der Literatur fremder Nationen vorgesetzt wird, auf welchen Ausschreitungen gegen das, was man sonst Anstandsgefühl nennt, als erlaubt angesehen werden, und das geschieht im Beisein von Frauen und Mädchen, ja von unerzogenen Kindern.172
Das Theater besaß nach dem Verständnis der Konservativen eine erziehende Funktion und sollte sich ganz in den Dienst tradierter Sittlichkeits- und Moralkonzeptionen sowie der nationalen Literatur stellen. Georg von Hertling von der Zentrumspartei stimmte in das Lamento seines Vorredners mit ein und wies die übrigen Parlamentarier mit Vehemenz darauf hin, dass mit dem Ausbau des Konzessionswesens jene Tendenzen aufgehalten werden sollten,
die an den Grundlagen unserer Gesellschaftsordnung rütteln. Meine Herren, ist es da angänglich, daß wir […] dulden, daß auf unseren Bühnen, großen und kleinen, Ehebruchsdramen französischen und deutschen Fabrikats aufgeführt werden, welche die wichtigste Grundlage unserer Gesellschaft, die Familie, fortwährend mit ihrem Schmutze bewerfen.173
Das bürgerlich-liberale Berliner Tageblatt reagierte mit einem satirischen Beitrag mit dem Titel „Parlaments-Feuilleton“ auf die genannte Reichstagsdebatte.174 Der deutschkonservative Antragsteller Ackermann, den das Blatt als „Perle von Sachsen“ bezeichnete,175 habe auch Zustimmung von der katholischen Zentrumspartei erhalten.176 Die Zeitung äußerte sich kritisch darüber, dass die deutsche Regierung in Bezug auf die Verschärfung des Theater-Paragrafen „unfraglich Sympathien für die Wünsche der konservativ-klerikalen Allianz“ habe.177 Natürlich, fuhr der Beitrag spöttisch fort, „haben [wir] sehr viele Theater und darunter sehr viele schlechte – das weiß Gott“,178 um die Strategie der Konservativen wie folgt auf den Punkt zu bringen: „Vordem war das anders: vordem gab es weniger schlechte Theater. Was giebt es da Einfacheres, als daß man die Theaterfreiheit aufhebt, welche die Zahl der Musentempel vermehrt hat?“179
Die liberalen und linken Abgeordneten sprachen sich zwar gegen die erneute Einschränkung des Theater-Paragrafen aus, doch machten auch sie unmissverständlich klar, dass die sogenannten Ehebruchsdramen ebenfalls nicht ihrem Theaterverständnis entsprachen. Der Sozialdemokrat Max Kayser etwa betonte, dass ihn die zeitgenössischen Theaterzettel anwiderten, da sie ein Beleg dafür seien, „welche Art von Stücken aufgeführt werden, wie wenig sie den Charakter haben, das Volk sittlich fortzubilden, und wie wenig von der Kunst erkannt wird, daß sie besonders für den Theil, der der religiösen Fortbildung sich entzogen, die Aufgabe hat, ihn sittlichend fortzubilden, ihn zu Schönem und Gutem zu erziehen.“180 Kayser gab jedoch auch zu bedenken, dass das Ballett auf den königlichen Bühnen eine mindestens ebenso verwerfliche sinnliche Wirkung habe wie die Ehebruchsdramen.181
In einem weiteren Beitrag zum Thema schrieb das Berliner Tageblatt, dass die „Theater-Berichterstatter“ als wirkliche Expert:innen „eigentlich berathende Stimme im Reichstage [hätten] haben sollen […].“182 Die Redaktion wies darauf hin, dass die in der Verhandlung vielfach auf den Plan gerufene ‚Theaterfreiheit‘ noch nie existiert habe – eine Spitze des liberalen Blattes gegen die Berliner Theaterpolizei beziehungsweise die Zensur. Kritisch sah die Zeitung insbesondere auch den Rekurs auf Schiller:
Seit Schiller seine Abhandlung ‚die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet‘, geschrieben hat, fühlt Jeder männiglich sich berufen, für die eigene strenge Moral Zeugniß abzulegen durch heftige Angriffe auf die ‚laxe Moral der Bühne‘. Im Grunde ist es recht bequem, sich auf diese Weise ein Sittlichkeits-Podium zu verschaffen.183
Das eigentliche Ziel, nämlich die „Neuschöpfung einer artistischen Behörde“ beziehungsweise die Unterstellung des Theaterwesens unter das „Ministerium der schönen Künste“, habe das Parlament der Zeitung zufolge aufgrund seines „bedauerlichste[n] Dilettantismus und ein[es] Mangel[s] an gründlicher Fachkenntniß“ verfehlt.184
Für den konservativen Antragsteller Karl Gustav Ackermann hingegen war klar, dass nicht nur die Theaterdirektionen für die Missstände verantwortlich zu machen waren, sondern auch die „materielle Richtung der Zeit“.185 Diese Ansicht teilte er mit Theodor Günther von der Deutschen Reichspartei, der mit Blick auf den Wirtschaftsliberalismus meinte, „man [hätte] eigentlich glauben sollen, daß die ideale Freiheit, die man für den alleinigen Leitstern der neuen Zeit gehalten hat, sich wenigstens bewähren würde im Gebiet der idealen Kunst.“186 Die Realität habe jedoch das genaue Gegenteil bewiesen. Zum Erhalt der Sittlichkeit und Schutz des Publikums sprachen sich die konservativen Politiker daher gemeinsam mit den Abgeordneten des Zentrums für mehr staatliche Kontrolle aus.187
Die Abgeordneten der liberalen Fortschrittspartei widersprachen dieser Forderung, denn ihrer Meinung nach sollte der Staat nach wie vor möglichst wenig bis gar nicht eingreifen – vielmehr müsse sich die Gesellschaft selbst bessern.188 Die Nationalliberalen wiederum waren überzeugt, dass es „der Geschmack des Publikums“ sei, der „das Theater [verdirbt]“.189 Dies könne nicht „durch kleine gewerbliche Einschränkungen“ verhindert werden.190 Gemeinsam mit den Sozialdemokraten versuchte die Fortschrittspartei zu verhindern, dass die Polizei durch eine Verschärfung des Paragrafen mehr Ermessensspielraum erhielt. Sie trauten den Polizeibehörden die Entscheidungskompetenz in Sachen Theaterkonzessionen beziehungsweise die Überprüfung von Bildung und Sittlichkeit nicht zu.191 Ihre Sorge vor polizeilicher Willkür ist natürlich auch im Zusammenhang mit der Einführung des sogenannten Sozialistengesetzes im Jahr 1978 zu sehen.192
Im Gegensatz zur „konservativ-klerikalen Allianz“193 machte sich das links-liberale Lager in der Debatte um die Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) sowohl in den Jahren 1879/80 als auch 1883 immer wieder für die „geringeren Klassen der Bevölkerung“ stark,194 denen nach harter Arbeit etwas Unterhaltung und Erholung gegönnt sein sollte. Die von konservativer Seite geforderte Verschärfung der Theatergesetze richte sich vor allem gegen die Arbeiter:innen, denn es sei „doch klar, daß für die gebildeten, die wohlhabenden Klassen der ganze Paragraph ziemlich gegenstandslos“ sei.195 Aus Sicht des Sozialdemokraten Max Kayser waren gerade „die kleinen Bühnen mit dem billigen Entree und den leichten Stücken, die dem Begriffsvermögen des arbeitenden Mannes am leichtesten verständlich sind“,196 dazu geeignet, dem von den Konservativen verurteilten „Kneipenleben“197 dieser Bevölkerungsschicht entgegenzuwirken. Kayser sprach sich darüber hinaus für den Erhalt der „kleinen Bühnen“ aus, weil es noch schlimmer sei, wenn
die arbeitende Bevölkerung etwa ihre Erholung und Unterhaltung im Zirkus sucht; Seiltänzerei, Pferde- und Hundekunststücke sollen ein Vergnügen der Kavaliere bleiben, (Heiterkeit [im Reichstag, Anm. M. H.]) und darum lasse man für die kleinen Leute die kleinen Theater.198
Für die Konservativen hingegen war klar, dass die Arbeiter:innen in den kleinen Theatern – „diesen schlechten versumpften Lokalen“ – bloß ihr hart verdientes Geld verschleuderten.199 Diese Auffassung, dass ‚nur‘ die Arbeiter:innenklasse die Theaterangebote jenseits des bürgerlichen Bildungstheaters wahrnahm, steht, wie im ersten Kapitel dargelegt, im Widerspruch zur sozialen Realität. Für den Zirkus beziehungsweise für „Seiltänzerei, Pferde- und Hundekunststücke“ interessierte sich eine weit größere Zuschauer:innenschaft als nur die „Kavaliere“. Nicht viel anders verhielt es sich mit den sogenannten Singspielhallen, Spezialitätenbühnen oder Sommertheatern. Im Laufe der Verhandlungen über die Einschränkung der Theatergesetze in den 1880er Jahren stellte lediglich ein Abgeordneter der Fortschrittspartei, Walter Büchtemann, die Auffassung infrage, dass ausschließlich Arbeiter:innen diese Spielstätten besuchten:
Ja, meine Herren, ist denn das richtig, daß diese Singspielhallen hauptsächlich von den großen Massen des Volkes besucht werden? Nein, meine Herren, im Gegentheil sind es die mittleren Stände, (hört! hört! [ruft der Saal, Anm. M. H.]) welche die Singspielhallen am häufigsten besucht haben. Die große Masse Volk hat bisher stets andere Lustbarkeiten vorgezogen, sie sucht ihr Vergnügen namentlich in der Tanzlustbarkeit.200
Dies bedeutet implizit, dass sich die Mitglieder des Parlaments entweder nicht den „mittleren Ständen“ zugehörig fühlten oder aber selbst die Darbietungen der Singspielhallen besuchten. Öffentlich behaupteten die Parlamentarier aller Lager jedenfalls mehr oder weniger glaubhaft, sie würden niemals auch nur einen Fuß in ein derartiges Tingeltangel setzen.
***
Nach der erneuten Einreichung des Änderungsantrags der Deutschkonservativen wurde Paragraf 32 (RGO) im Jahr 1880 wie erwähnt wieder eingeschränkt.201 Der novellierte Paragraf wurde am 20. Juli 1880 veröffentlicht und lautete fortan wie folgt:
§. 32. Schauspielunternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes der Erlaubniß. Dieselbe ist zu versagen, wenn die Behörde auf Grund von Thatsachen die Ueberzeugung gewinnt, daß der Nachsuchende die zu dem beabsichtigten Gewerbebetriebe erforderliche Zuverlässigkeit, insbesondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht nicht besitzt.202
Ein konkretes Ergebnis der von den Bühnenorganisationen eingebrachten Petitionen bestand also unter anderem darin, dass die bahnbrechende Formulierung von 1869, „Beschränkungen auf bestimmte Kategorien theatralischer Darstellungen sind unzulässig“,203 gestrichen wurde.
Die Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) brachte indes nicht die gewünschten Erfolge. Daher wurden im Rahmen der allgemeinen Überarbeitung der Reichsgewerbeordnung 1883 die Theatergesetze seitens der Bundesregierung nochmals verschärft. Paragraf 32 (RGO) selbst blieb zwar unverändert, allerdings erhielt der Folgeabsatz, der sich eigentlich auf Gast- und Schankwirtschaften bezog, einen für Theaterunternehmen bedeutenden Zusatz: den Paragrafen 33a (RGO). Mit dieser Ergänzung wurde innerhalb der Kategorie der stehenden Theater eine Hierarchie zwischen verschiedenen Theaterformen in die Gewerbeordnung eingeführt beziehungsweise die für umherziehende Theater bereits existierende rechtliche Benachteiligung auf bestimmte Theaterformen der festen Spielstätten ausgeweitet. Die Abänderungen des Gesetzeswerks traten am 1. Januar 1884 in Kraft.
2.2.2 Die Novellierung der Gewerbeordnung von 1883: Verfestigung der Unterscheidung zwischen Theaterformen mit und ohne ‚Kunstinteresse‘
Im Frühjahr 1882 wurde dem Parlament der Entwurf des Zusatzparagrafen 33a (RGO) erstmalig unterbreitet.204 Er lautete wie folgt:
Wer gewerbsmäßig Musikaufführungen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten, bei denen ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft nicht obwaltet, in seinen Wirthschafts- oder sonstigen Räumen öffentlich veranstalten oder zu deren Veranstaltung seine Räume benutzen lassen will, bedarf zum Betriebe dieses Gewerbes der Erlaubnis ohne Rücksicht auf die etwa bereits erwirkte Erlaubniß zum Betriebe des Gewerbes als Schauspielunternehmer. Die Erlaubniß ist zu versagen:
1. wenn gegen den Nachsuchenden Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß die beabsichtigten Veranstaltungen den Gesetzen oder guten Sitten zuwiderlaufen werden;
2. wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Beschaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht genügt;
3. wenn der den Verhältnissen des Gemeindebezirks entsprechenden Anzahl von Personen die Erlaubniß bereits ertheilt ist.205
Die Regierung rechtfertigte diesen zusätzlichen Paragrafen in der Gewerbeordnung unter anderem damit, dass „begründete Klagen Veranlassung“ gegeben hätten,206 die stehenden Theaterbetriebe ohne ‚höheres Kunstinteresse‘ genauer zu regeln. Laut der Begründung der Regierung bestand das Ziel darin,
dem Unwesen der sogenannten Singspielhallen (Tingeltangel etc.) mit Erfolg entgegen zu treten. Die Ausschreitungen dieses Gewerbebetriebes werden von der öffentlichen Meinung und in der Presse zur Genüge und mit vollem Recht gebrandmarkt. Sie sind der Moral im höchsten Grade schädlich und sie bereiten insbesondere solchen Aufführungen und Vorstellungen, bei denen ein wirkliches Interesse der Kunst oder Wissenschaft obwaltet, eine im öffentlichen Interesse in hohem Grade unerwünschte Konkurrenz.207
Wie das ‚höhere Kunstinteresse‘ genau definiert werde, sei im Zusammenhang mit den Paragrafen der Gewerbeordnung bezüglich reisender Theaterunternehmen bereits vielfach erörtert worden.208 Es habe „sich in dieser Hinsicht im Anschluß an die auch schon in der Gewerbeordnung sich findende Bezeichnung bereits eine ziemlich konstante Praxis herausgebildet.“209 Doch müsse letztlich von Fall zu Fall entschieden werden, ob ein ‚höheres Kunstinteresse‘ vorhanden sei oder nicht.210
Am 5. Mai 1882 wurden die Novellierungsvorschläge der Regierung dann im Reichstag beraten. Die Diskussion war eher allgemeiner Natur und legte vor allem ein weiteres Mal den Graben zwischen dem links-liberalen und dem rechts-konservativen Lager offen: Es ging nämlich in erster Linie um die Frage, wie viel Gestaltungsspielraum die Polizei erhalten sollte. Die (Neu-)Regulierung des Theaterwesens wurde dabei nur am Rande besprochen. Dies stellte auch die GDBA in einer im Dezember 1882 publizierten Denkschrift fest:
Fast müssen wir fürchten, daß die Mängel und Lücken des bisherigen Gesetzes doch nicht überzeugend genug zu Tage liegen, die Theaterzustände in Wirklichkeit noch lange nicht so traurig sind, als wir sie dargelegt haben, […] denn die neue Gesetzes-Vorlage würdigt sie keines Wortes. Das Schicksal der Handlungs-Reisenden, Hausirer u. dergl. scheint der Regierung mehr zu Herzen zu gehen, als die Zukunft des deutschen Theaters […].211
Diese und weitere Formulierungen in der von Franz Krückl verfassten Denkschrift belegen, dass die Vereinigung der Schauspieler:innen die Debatten im Reichstag, die auch in diversen Tageszeitungen abgedruckt wurden, mit großer Unzufriedenheit verfolgte.
Davon zeugt auch der Verweis der GDBA auf eine Rede des Abgeordneten Eduard Lasker von der neu gegründeten Liberalen Vereinigung. In der Sitzung vom 5. Mai 1882 hatte Lasker beklagt, das „Gewerbe der öffentlichen Schaustellungen“ werde in der Regierungsvorlage „[m]it ganz besonderer Ungunst behandelt“ und, egal ob stehend oder umherziehend, „ganz und gar in die Willkür der Behörden gestellt“.212 Letztere erhielten ihm zufolge zu viel Spielraum, dabei ginge es in der Praxis ja lediglich um „ein paar Musikanten, die von Dorf zu Dorf ziehen, mit Geräusch, das nicht jedem willkommen ist“, oder um „ein paar Komödianten, die bald hier und bald dort sich sehen lassen.“213 Natürlich führten deren Darbietungen aufgrund von Lärm und „Sichunbehaglichfühlen“ zu Beschwerden, doch sollten diese „Volkslustbarkeiten“, da sie „einen so bedeutenden Theil eines behaglichen und vergnügten Lebens [bilden]“, Lasker zufolge nicht der polizeilichen Willkür unterstellt werden.214
Auf diese Äußerungen des liberalen Politikers nahm die GDBA in der erwähnten Denkschrift mit ironischem Unterton wie folgt Bezug: „Die Unternehmer von Lustbarkeiten, besonders jener so schwer bedrängten Volkslustbarkeiten […], werden sich schon zu helfen wissen; man sehe nur eine Cirkus-Vorstellung an, in welcher Pantomimen, Ballete u.s.w. aufgeführt werden!“215 Implizit brachte die GDBA hiermit auch ihre Missgunst darüber zum Ausdruck, dass die Zirkusse, die sich „schon zu helfen wissen“, mit der Gewerbeordnung deutlich besser zurechtkamen als die Literaturtheater.
***
Die Debatte im Reichstag über die Einschränkung der Theatergesetze wurde 1882 letztlich vertagt. Erst am 6. April 1883 wurde die Vorlage des Paragrafen 33a (RGO) von den Abgeordneten erneut diskutiert. Der deutschkonservative Abgeordnete Alwin Hartmann erachtete den Zusatzparagrafen beispielsweise als sinnvoll, denn er sei „dahin gerichtet, den Tingeltangeln und ähnlichen Unternehmungen zu Leibe zu gehen und die gemeinschädliche Ausdehnung, welche sie gewonnen haben, zu begrenzen und der Behörde die nöthigen Machtbefugnisse diesen gegenüber in die Hand zu geben.“216 Im Rahmen der Diskussion verwies der berichterstattende Abgeordnete außerdem auf den Eingang einiger Petitionen im Zusammenhang mit der Einführung des Paragrafen 33a (RGO). Erwähnung fand beispielsweise eine Petition des Vorstands der Kreissynode Friedland sowie die von Franz Krückl verfasste und von der GDBA herausgegebene Denkschrift Das deutsche Theater und sein gesetzlicher Schutz. Die Denkschrift war allen Mitgliedern des Reichstags zugestellt worden. Laut dem Berichterstatter bat die Genossenschaft darum, die Denkschrift bei der Ausarbeitung des Paragrafen 33a zu berücksichtigen.217 Krückl betonte in dem Schreiben, dass der GDBA die Regierungsvorlage zu lasch sei und sie ihre Hoffnungen nun in die Abgeordneten setze:
Sind wir nun auch durch die neue Gesetzes-Vorlage in unseren bescheidenen Hoffnungen traurig enttäuscht worden, so wollen wir doch den Muth nicht sinken lassen […], so vertrauen wir auch darauf, daß die Gesetzgebung praktische Vorschläge von fachmännischer Seite nicht ungelesen bei Seite legen wird.218
Die GDBA trat in ihrer Denkschrift mit mehreren konkreten Vorschlägen für die Ausarbeitung des Zusatzparagrafen 33a (RGO) an den Reichstag heran.
Das rechte Lager des Saales war für die Einführung des neuen Paragrafen, da mit diesem der Polizei mehr Handlungsmacht im Umgang mit diversen Darbietungsformaten ohne ‚höheres Kunstinteresse‘ eingeräumt würde. Die Abgeordneten der Fortschrittspartei sowie der Liberalen Vereinigung hingegen versuchten im Mai 1883, die Einführung des Paragrafen zu verhindern oder ihn zumindest mit einigen Ergänzungen zu versehen. Die Übertragung jener Prinzipien „auf ansässige Leute“ oder „auf ansässige Künstler und Schauspieler“,219 die bis anhin nur für das umherziehende Gewerbe gegolten hatten, stand im Widerspruch zu liberalen Positionen. Karl Baumbach von der Liberalen Vereinigung erklärte, dass die Vorlage auch deswegen gefährlich sei, weil sie sich nicht nur gegen die Tingeltangel richte, sondern weit darüber hinaus gehe und etwa theatralische Vorstellungen ohne ‚höheres Kunstinteresse‘ beschneiden würde.220 Er betonte:
Ich stehe auch auf diesem Standpunkt, daß ich gegen das sogenannte Tingeltangelunwesen […] die energische Remedur eintreten lassen möchte; ich glaube aber, daß diese Remedur schon jetzt eintreten kann im Wege der Polizeiverordnungen und im Wege der polizeilichen Verwaltung.221
Aus liberaler Perspektive sollte die Bedürfnisfrage, die für die Aufführungserlaubnisse der umherziehenden Theatergruppen wie dargelegt bereits von den Polizeibehörden geprüft wurde, lediglich für die Tingeltangel oder die Cafés chantants eingeführt werden.222
Eugen Hagen von der Fortschrittspartei ergänzte, dass die Polizei bereits genügend Befugnisse zur Einschränkung der Tingeltangel habe, und unterstellte den konservativen Abgeordneten, dass sie alle Darbietungen ohne ‚höheres Kunstinteresse‘ über einen Kamm scheren würden und einschränken wollten – was weder notwendig noch richtig sei. Auch Hagen verlangte daher eine klare Abgrenzung der Tingeltangel beziehungsweise Singspielhallen von den anderen im geplanten Zusatzparagrafen benannten Darbietungsformen, also von Musikaufführungen, Schaustellungen und Theateraufführungen ohne ‚höheres Kunstinteresse‘.223
Die GDBA verfolgte laut ihrer Denkschrift eine ähnliche Strategie – jedoch mit einem anderen Ziel. So sollte Paragraf 33a (RGO) zwar ebenfalls „von den ‚theatralischen Vorstellungen ohne höheres Kunst-Interesse‘ gesäubert“ werden.224 Doch wollte die GDBA damit erreichen, dass „die dramatische Kunst von der Gemeinschaft mit Wirthshaus-Lustbarkeiten befreit werde.“225 Mit der Streichung der Formulierung „theatralische Vorstellungen ohne höheres Kunst-Interesse“ aus dem Paragrafen würden diese Darbietungen „von Horden wandernder Meerschweinchen“ ganz alleine verschwinden.226 Nach dieser Vision würden fortan nur noch Schauspiel-Unternehmer:innen, die ein ‚höheres Kunstinteresse‘ verfolgten beziehungsweise einen bestimmten Theaterbegriff bedienten, konzessioniert werden – egal ob mit stehendem oder umherziehendem Betrieb. Alle übrigen Veranstalter:innen würden mithilfe des neuen Paragrafen 33a (RGO) reguliert und eingeschränkt.227 Damit sollten auf einer übergeordneten Ebene natürlich auch die Begriffe ‚Theater‘ beziehungsweise ‚theatralische Vorstellung‘ exklusiver besetzt und fortan ausschließlich auf das dramatische Bildungstheater bezogen werden.
Dieser Vorschlag der GDBA fand beim Reichstag jedoch kein Gehör. Während sich die liberalen Fraktionen für eine klare Unterscheidung zwischen „theatralischen Vorstellungen ohne höheres Kunst-Interesse“ und den Tingeltangeln beziehungsweise Cafés chantants aussprachen – nur zur Beschränkung Letzterer sollte die Polizei mehr Spielraum erhalten –, setzten sich die Konservativen für die Gleichstellung und Einschränkung aller Theaterformen „ohne höheres Kunst-Interesse“ ein. Letztere Position entsprach auch der Regierungsvorlage, zu der sich der (konservative) Regierungskommissar Tonio Bödiker im Reichstag wie folgt äußerte:
Also, meine Herren, wo fängt das Singspiel an und wo hört es auf im Verhältniß zu Gesangs- und deklamatorischen Vorträgen, zu Schaustellungen, zu theatralischen und anderen Vorstellungen? Ich möchte einmal den Kritikus sehen, der in jedem Falle eine genaue Unterscheidung zu machen weiß […]. Diese Dinge laufen ineinander über; es ist nicht möglich, hier feste Kriterien aufzustellen, und gerade darum finden Sie die mehrfachen zum Theil ähnlich klingenden und synonymen Ausdrücke nebeneinander gestellt, um durch dieselben eine Gesammtheit von Gewerbebetrieben zu bezeichnen und Klarheit hervorzurufen.228
Bödiker verlangte – unter Zustimmung des rechten Lagers – die Ablehnung aller Ergänzungen der Liberalen zu Paragraf 33a (RGO).229
Nicht nur über die Differenzierungen und Kategorisierungen der Darbietungsformen wurde in den Reichstagssitzungen im Frühjahr 1883 gestritten, sondern auch darüber, wie das ‚höhere Kunstinteresse‘ eigentlich zu definieren sei. Die Fortschrittspartei zweifelte diesbezüglich erneut die Kompetenz der Polizeibehörden an. „Ja, meine Herren“, spottete der Abgeordnete Eugen Richter, „die Polizei ist es wieder, die zuvor entscheidet, was höhere Kunst, was niedere Kunst ist, (Heiterkeit links [im Reichstag, Anm. M. H.]) also da kommen wir wieder auf das diskretionäre Ermessen der Polizeibehörde.“230 Die Sozialdemokraten waren in diesem Zusammenhang auf einer Linie mit der Fortschrittspartei. So stellte etwa der Abgeordnete Karl Wilhelm Stolle von der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAPD) ebenfalls die Kompetenz der Polizei infrage:
Ja, meine Herren, um die Worte: ‚ohne daß ein höheres Interesse der Kunst obwaltet‘ läßt sich viel streiten und das wird wahrscheinlich mehrfach gedeutet werden können. Jetzt heißt es, dieses ist künstlerisch, jenes ist künstlerisch; ja selbst die Gelehrten sind sich noch nicht alle einig […]. Und die Entscheidung hierüber, ob ein Interesse der Kunst obwaltet, soll nun einem ganz niederen Polizeibeamten übertragen werden; der soll auf einmal entscheiden, ob das Konzert […] künstlerisch ist, oder ob die Aufführung, die theatralische Vorstellung und dergleichen, einen künstlerischen Standpunkt einnimmt.231
Die Polizei erhalte seiner Ansicht nach zu viel Handlungsspielraum, weshalb der sozialdemokratische Abgeordnete dazu aufforderte, die Vorlage ganz abzulehnen.232 Die Hierarchisierung und Kategorisierung verschiedener Theaterformen beziehungsweise die Unterscheidung von ‚höherer‘ und ‚niederer‘ Kunst an sich wurde in der Debatte hingegen nicht hinterfragt, sondern allerseits als gegeben betrachtet. Die Anmerkung Karl Wilhelm Stolles, dass die Definition viel Raum für Streit und Uneinigkeit biete, war in dieser Hinsicht bereits die kritischste.
Der Deutschkonservative Alwin Hartmann hielt im Zuge der Debatte fest, es sei „vielseitig anerkannt und andererseits wenigstens nicht bestritten worden, daß eine Beaufsichtigung dieser Darbietungen der niederen Kunst durch die Polizei nöthig“ sei.233 Damit hatte er durchaus Recht, denn einig waren sich alle Abgeordneten darin, dass die Tingeltangel verwerflich und daher von der Polizei zu kontrollieren seien. Karl Baumbach von der Liberalen Vereinigung etwa stimmte dem Konservativen Hartmann zu, dass den Tingeltangeln der Garaus gemacht werden müsse.234 Er schlug diesbezüglich jedoch vor, das Problem nicht mithilfe von Gesetzen auf Reichsebene, sondern durch Polizeiverordnungen zu lösen. Dabei betonte Baumbach, er wolle die „leichtgeschürzte Muse“ der Tingeltangel keinesfalls verteidigen.235 In einer späteren Rede wiederholte er: „Ich konstatire nochmals, daß uns nichts ferner liegt, als hier der Tingeltangelwirthschaft das Wort zu reden.“236 Auch Eugen Richter von der Fortschrittspartei, der die geplante Einführung des Paragrafen 33a (RGO) für einen großen Rückschritt hielt, stellte klar: „Mit den Tingeltangeln machen Sie, was Sie wollen, die interessiren mich gar nicht. (Lachen rechts [im Reichstag, Anm. M. H.].) Mich, meine Herren, haben Sie da noch nicht gesehen. (Sehr gut! links [im Reichstag, Anm. M. H.].).“237
Die linken und liberalen Politiker waren also offensichtlich sehr bemüht, sich trotz ihrer Ablehnung des Paragrafen 33a (RGO) von den Tingeltangeln abzugrenzen. In dem bereits erwähnten Artikel aus dem Berliner Tageblatt von 1880 hatte die Redaktion schon in Bezug auf die damaligen Reichstagsdiskussionen hinsichtlich des sogenannten Tingeltangel-Unwesens notiert:
Wir begreifen recht gut, wenn nicht bloß fromme, sondern auch außerdem ästhetisch gebildete Herren in den Ruf einstimmen: ‚Fort mit den Tingeltangeln!‘ Die Herren haben insofern recht, als die Tingeltangel nicht für sie und ihresgleichen geschaffen worden sind, wenngleich es auffallen mag, daß die genaue Kenntniß des Tingeltangelwesens in die besten Kreise gedrungen ist. […] Es soll auch nicht verschwiegen werden, daß unter Denen, welche im Namen der Sittlichkeit das moderne Theater angreifen, bedenklich Viele sind, die in Wahrheit nur die Schminke der Prüderie tragen […].238
Mit dieser Einschätzung traf die Zeitung zweifelsohne ins Schwarze. Was genau das Problem mit den Tingeltangeln war und was genau dort (angeblich) vonstatten ging, darüber wurde im Reichstag nicht gesprochen – gleichwohl schien es allen Beteiligten bekannt zu sein.
Der Versuch der Liberalen Vereinigung und der Fortschrittspartei, die Einführung des Zusatzparagrafen zu verhindern, scheiterte – Paragraf 33a (RGO) wurde im Mai 1883 von der Mehrheit der Reichstagsmitglieder angenommen.239 Ab dem 1. Januar 1884 trat er mit folgendem Wortlaut in Kraft:
§. 33 a. Wer gewerbsmäßig Singspiele, Gesangs- und deklamatorische Vorträge, Schaustellungen von Personen oder theatralische Vorstellungen, ohne dass ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet, in seinen Wirthschafts- oder sonstigen Räumen öffentlich veranstalten oder zu deren öffentlicher Veranstaltung seine Räume benutzen lassen will, bedarf zum Betriebe dieses Gewerbes der Erlaubniß ohne Rücksicht auf die etwa bereits erwirkte Erlaubniß zum Betriebe des Gewerbes als Schauspielunternehmer.
Die Erlaubniß ist nur dann zu versagen:
1. wenn gegen den Nachsuchenden Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß die beabsichtigten Veranstaltungen den Gesetzen oder guten Sitten zuwiderlaufen werden;
2. wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Beschaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht genügt;
3. wenn der den Verhältnissen des Gemeindebezirks entsprechenden Anzahl von Personen die Erlaubnis bereits ertheilt ist. […]240
2.2.3 Gesetzesänderungen und ihre Folgen für die Zirkusse
Im Bereich der stehenden Theater war es nach der Novellierung von 1880 – je nach Auslegung – wieder möglich, Theaterkonzessionen nach Paragraf 32 (RGO) mit Repertoirebeschränkungen zu erlassen. Im 1884 veröffentlichten Gesetzeskommentar von Robert von Landmann ist zu lesen, dass eine Konzession
auf bestimmte Kategorien von theatralischen Vorstellungen beschränkt oder aber unter Ausschluß bestimmter Kategorien ertheilt werden [kann]. Es ergibt sich dies unzweifelhaft aus der gelegentlich der Novelle von 1880 erfolgten Streichung des Abs. 2 des früheren § 32 […]. Ueberschreitung der Erlaubniß ist alsdann nach § 147 Ziff. 1 strafbar.241
Ob dies bereits unmittelbar nach Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) im Jahr 1880 in der Praxis und insbesondere im Zusammenhang mit Zirkusunternehmen tatsächlich so gehandhabt wurde, ist unklar. Erst mit der abermaligen Novellierung des Paragrafen 32 (RGO) 1896 wurden Gattungsbeschränkungen, wie an späterer Stelle genauer besprochen wird, explizit wieder Teil der Konzessionierung. Mit Sicherheit aber mussten Aspirant:innen auf eine Theaterkonzession ab 1880 – wie bereits vor 1869 – wieder beweisen, dass sie über die „erforderliche Zuverlässigkeit, insbesondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht“ verfügten.242 Damit wurde die Konzessionserteilung erschwert und eine alte Forderung der Bühnenorganisationen umgesetzt.243 Selbst wenn die Ablehnung eines Konzessionsantrags auf Tatsachen gründen musste, erhielten die Polizeibehörden durch diese Änderung einen beachtlichen Ermessensspielraum. Denn was die genannten drei Zuverlässigkeiten genau bedeuteten, war gesetzlich nicht definiert. Landmanns Kommentar ist zu entnehmen, dass artistische Zuverlässigkeit mit einer guten Allgemeinbildung beziehungsweise mit entsprechenden Zeugnissen belegt werden musste.244 Für die finanzielle Zuverlässigkeit waren Nachweise über die gewissenhafte Führung von Geschäften in der Vergangenheit sowie ausreichend finanzielle Mittel von Belang.245 Die sittliche Zuverlässigkeit schien ihrerseits sehr weit gefasst zu sein: So ist bei Landmann zu lesen, dass „der Einfluß des Theaters auf […] den politischen und kirchlichen Frieden u.s.w. zu beachten sein [wird]“.246 Bewerber:innen mussten auch ihre strafrechtliche und moralische Unbescholtenheit nachweisen können, wobei beispielsweise auch außereheliche sexuelle Beziehungen zu einer Konzessionsversagung führen konnten.247
Ab 1884 regelte Paragraf 33a (RGO) zusätzlich das Veranstalten von „Singspielen, Gesangs- und deklamatorischen Vorträgen, Schaustellungen von Personen oder theatralischen Vorstellungen, ohne dass ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet […]“.248 Zur Veranstaltung von „theatralischen Vorstellungen“ bedurfte es jedoch zusätzlich einer Konzession nach Paragraf 32 (RGO). Das heißt eine Genehmigung nach Paragraf 33a (RGO) war nur für diejenigen, die ausschließlich „Singspiele, Gesangs- und deklamatorische Vorträge“ und „Schaustellungen von Personen“ veranstalteten, ausreichend.249
Wurden Aufführungen nach Paragraf 33a im öffentlichen Raum gegeben, war überdies eine Erlaubnis der örtlichen Polizeibehörde erforderlich (vorgesehen durch Paragraf 33b RGO).250 Ein Konzessionsantrag nach Paragraf 33a (RGO) konnte versagt werden,
wenn gegen den Nachsuchenden Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß die beabsichtigten Veranstaltungen den Gesetzen oder guten Sitten zuwiderlaufen werden; […] wenn der den Verhältnissen des Gemeindebezirks entsprechenden Anzahl von Personen die Erlaubniß bereits ertheilt ist.251
Was mit den „guten Sitten“ gemeint war, wurde nicht genauer definiert.252 Außerdem wurde 1883 für die im Paragraf 33a (RGO) genannten Theaterformen analog zum Paragraf 55 (RGO) die sogenannte Bedürfnisfrage eingeführt. Dabei scheint es weder hinsichtlich Paragraf 33a noch bezüglich Paragraf 55 (RGO) für Preußen oder Berlin einen Berechnungsschlüssel gegeben zu haben, der besagte, wie viele Spielerlaubnisse pro Verwaltungs- beziehungsweise Gemeindebezirk zulässig waren. Die Fachzeitschrift Das Programm kommentierte die Bedürfnisprüfung bei Ersuchen einer Konzession nach Paragraf 33a (RGO) im Jahr 1912 wie folgt:
Sucht jemand eine Variétékonzession nach, so wird alles, was am selben Orte aus § 33a konzessioniert ist, ganz gleich, ob Variété, Zirkus, Singspielhalle, Tingeltangel, Cabaret, Rauchtheater, Eispalast oder sonst etwas zusammenaddiert, um festzustellen, ob ‚der den Verhältnissen des Gemeindebezirks entsprechenden Anzahl von Personen die Erlaubnis bereits erteilt ist,‘ wie sich der § 33a ausdrückt. Eine sehr einfache Methode, aber doch eine völlig ungerechte und unzulängliche. Was ist überhaupt eine den Verhältnissen des Gemeindebezirks entsprechende Anzahl? […] Mit welchem Maßstabe, abgesehen von dem ihres Gutdünkens, mißt da die Behörde?253
Es ist davon auszugehen, dass die betreffenden Behörden nach eigenem Dafürhalten entscheiden konnten.254
Mit der Einführung des Zusatzabsatzes 33a (RGO) in den Jahren 1883/84 entstand eine Abstufung verschiedener Theaterformen innerhalb der Kategorie der stehenden Theater.255 Der Kommentar von Landmann stellte den in Paragraf 33a (RGO) genannten Theaterformen – also „Singspiele, Gesangs- und deklamatorische Vorträge, Schaustellungen von Personen oder theatralische Vorstellungen, ohne dass ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet“256 – e contrario diejenigen mit ‚höherem Kunstinteresse‘ entgegen: Tragödien, Dramen, Lustspiele, Opern, Operetten, Ballette sowie Pantomimen – sie waren durch Paragraf 32 (RGO) geregelt.257 Ballette und Pantomimen lagen der Auslegung Landmanns zufolge also im Bereich des Theaters mit ‚höherem Kunstwert‘. Was jedoch einen solchen genau ausmacht, wurde weder in den Gesetzen noch im Kommentar definiert. Und eine genaue Bestimmung war aus Perspektive der Regierung wie gesehen auch nicht notwendig, da sich ja „in dieser Hinsicht im Anschluß an die auch schon in der Gewerbeordnung sich findende Bezeichnung bereits eine ziemlich konstante Praxis herausgebildet“ habe.258
***
Für reisende Theaterbetriebe (§ 55 RGO) gab es 1883 einige, wenngleich nicht grundsätzliche Änderungen: Der „Legitimationsschein“ wurde in „Wandergewerbeschein“ umbenannt und die relevanten Paragrafen wurden umgestellt und/oder präzisiert.259 Die Fachzeitschrift Der Artist kommentierte diesbezüglich, die Revision der Paragrafen 55 bis 59 (RGO) habe „die bisherigen Vorschriften der Gewerbeordnung über den Gewerbebetrieb im Umherziehen in vielen Punkten abgeändert.“260 Die Konsequenzen der Revision wurden indes nicht weiter problematisiert, sie scheinen damals also zu keinen maßgeblichen Veränderungen für die betroffenen Betriebe geführt zu haben.
Für Zirkusunternehmen mit festen Spielstätten hatte die Gesetzesnovellierung von 1883 folgende Konsequenzen: Sie benötigten ab 1884 neuerdings eine Genehmigung nach Paragraf 33a (RGO), denn Landmann zufolge werde „[a]uch die Veranstaltung akrobatischer Vorstellungen zur ‚Schaustellung von Personen‘ zu rechnen sein […]. Ein stabiler Cirkus wird daher in der Regel einer Konzession nach § 33a bedürfen […]“.261 Und da Zirkusbetriebe in ihren Gebäuden in der Regel Pantomimen und Ballette aufführten, war für sie fortan eine Bewilligung nach Paragraf 33a (RGO) nicht ausreichend – sie brauchten zusätzlich eine Schauspielkonzession nach Paragraf 32 (RGO). Wie im letzten Unterkapitel (2.4.3) ausführlich beleuchtet wird, wurde in Berlin in den 1910er Jahren ebendiese Regelung genutzt, um zu verhindern, dass Zirkusse Pantomimen mit gesprochenen Dialogen aufführten. Zuvor soll es aber erst noch um die Zeit zwischen 1884 und 1900 gehen, die geprägt war von einem strengeren Gesetzesvollzug sowie einer weiteren Verschärfung des Paragrafen 32 (RGO), mit der die 1869 aufgehobenen Gattungs- und Repertoirebeschränkungen zurück in die Gewerbeordnung kehrten.
2.3 Verschärfungen der Theatergesetze und ihres Vollzugs zwischen 1884 und 1900
So lange die deutsche Bühne von berufener Seite nicht als Bildungsanstalt unter den Schutz des Staates gestellt, sondern neben Zirkus, Café chantant etc. lediglich den Bestimmungen der Gewerbeordnung unterworfen wird, ist an eine Beseitigung der von Jahr zu Jahr wachsenden Schauspieler-Misère nicht zu denken.262
Diese 1891 in einem Bericht der GDBA abgedruckten Zeilen illustrieren, dass die Verfechter:innen des Bildungs- und Literaturtheaters sich mit den bisherigen Anpassungen nicht zufrieden gaben, sondern eine grundsätzliche Veränderung des Status quo anstrebten. Nach der umfangreichen Revision der Reichsgewerbeordnung von 1883/84 wurden die für Theaterformen ohne ‚höheres Kunstinteresse‘ relevanten Vorschriften (§§ 33a und 55 RGO) zwar nicht mehr verändert, doch wurde ihr Vollzug zunehmend verschärft, wie anhand diverser ministerieller Verfügungen noch genauer zu sehen sein wird. Auch auf den Gesetzesvollzug, das heißt auf den Erlass von Ausführungsbestimmungen, versuchten die Bühnenorganisationen Einfluss zu nehmen. Dies belegt ein auf einen DBV-Vorstoß zurückgehendes Schreiben des Reichsamts des Innern aus dem Jahr 1888 an alle Innenministerien der Länder. Die GDBA war ihrerseits fortwährend bemüht, darauf hinzuwirken, eine „dem höheren Kunstbetriebe günstige Verschärfung des Vollzuges herbeizuführen“,263 wie einem 1891 publizierten Bericht zu entnehmen ist. Beide Interessenvertretungen bekämpften auch in den 1880er und 1890er Jahren die sogenannte Theaterfreiheit als Ursache der Theatermisere. Der ab 1886 amtierende DBV-Präsident Bolko Graf von Hochberg bekundete 1891 etwa, dass „das ganze Elend beim Theater nur auf die Theaterfreiheit zurückzuführen sein dürfte.“264 Die neuen Theatergesetze hätten „ein verhältnismäßig großes Proletariat einerseits und andererseits eine Uebersättigung des Publikums mit theatralischen Genüssen“ hervorgebracht.265 Die GDBA wiederum hielt in einer 1893 publizierten Denkschrift fest:
Seit dem Erlaß der deutschen Reichs-Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 hat die Anzahl derjenigen Personen, welche sich im Besitze einer Theater-Konzession befinden, in einem das eigentliche Bedürfniß weit übersteigenden Maße zugenommen. […] Die durch diese thatsächlich obwaltenden Verhältnisse geschaffenen Uebelstände: häufig eintretende Zahlungsunfähigkeit der Direktoren; Noth und Elend der durch die plötzliche Schließung der betreffenden Theater brotlos gewordenen Schauspieler und sonstigen Theater-Angehörigen […].266
Doch nicht nur die Literaturtheater-Organisationen beklagten den Verfall und Missstand des Theaterwesens. Auch zahlreiche Schriften aus dem Bereich der sogenannten grauen Literatur beschäftigten sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit dem Zustand des Theaters, insbesondere in der Reichshauptstadt.267 Sie ergänzten die Argumentationen der institutionellen Interessenvertretungen.
2.3.1 Verfall und Niedergang des Literaturtheaters
Wenn man all jene Bücher, Broschüren und Zeitungsartikel durchlesen wollte, welche in dem letzten Jahrzehnt über den ‚Niedergang des deutschen Theaters‘ erschienen sind‚ so würde man bald die feste Ueberzeugung gewinnen, daß die dramatische Kunst aus Mangel an Schauspielern, Dichtern und Publikum bereits in den letzten Zügen läge.268
Tatsächlich finden sich zahlreiche Dokumente aus der Zeit um 1900, in denen wie in einer Schrift aus dem Jahr 1887 mit dem vielsagenden Titel Die Befreiung der Deutschen Bühne vom Drucke der Geldspekulation die Missstände des Theaters beklagt werden.269 Die Autor:innen dieser Schriften waren sich sicher: Sollte sich nicht bald etwas ändern, hieße es, wie der Theaterkritiker Conrad Alberti schrieb, „‚finis artis!‘ Denn daß wir mit mächtigen Segeln auf dieses Ziel zusteuern, kann nicht bezweifelt werden“.270 Im gesamten Deutschen Reich herrsche „Trostlosigkeit, Verfall der alten Kunst ohne Hoffnung auf eine neue“,271 so Albertis Dekadenzdiagnose, die er wie folgt erläuterte:
Daß die Mißstände, von denen ich spreche, keine localen sind, daß die Behauptungen von dem Bestehen eines Theaterelends in Deutschland begründet sind, lehrt ein kurzer kritischer Rundblick über die deutschen Bühnen. Er zeigt, wie traurig es in Deutschland mit dem Theater aussieht. Ueberall Mißwirtschaft, Rathlosigkeit, Tathlosigkeit, langsames Dahinholpern in den ältesten, ausgefahrensten Geleisen der Routine, materieller oder künstlerischer Bankerott, nirgends eine freie, frische, gesunde Regung, nirgends ein geniales Erfassen der Bedürfnisse der Zeit, ein Streben nach dem Wahren, Guten, Neuen.272
Ein paar Jahre vor Alberti hatten bereits die Literaturkritiker Julius und Heinrich Hart in ähnlich kulturpessimistischer Manier postuliert, „[d]aß das deutsche Theater der Gegenwart an Haupt und Gliedern krankt […]“.273 Vorbei waren also die „einstigen Glanzzeiten der Bühnen von Mannheim und Weimar“,274 vorbei war die Ära von Lessing und Schiller, die das ‚Theater‘ den genannten Autoren zufolge als „das populärste und wirksamste Volksbildemittel“ etabliert hatten.275 Die Ideen und Ergebnisse der Nationaltheaterbewegung des 18. Jahrhunderts dienten dem Autor:innenchor solcher Theaterstreitschriften als Sehnsuchtsort; das mit einer stark nationalistischen und anti-französischen Färbung aufgeladene Nationaltheater bildete für sie das ideale Theatermodell, von dem man sich zu ihrem Bedauern inzwischen allzu weit entfernt hatte.276
Die Ursache des behaupteten Niedergangs sahen die Verfasser:innen dieser Bücher, Broschüren und Zeitungsartikel im sogenannten Geschäftstheater – ein zentrales Schlagwort für den verhassten Gewerbestatus des Theaters.277 Der Jurist und Theaterimpresario Max Epstein hielt in seiner Schrift Das Theater als Geschäft im Jahr 1911 fest:
Alle Leute, die sich irgendwie für das Theater interessieren, sind sich darüber klar, dass mit dem Theater nicht alles in Ordnung ist; sie fühlen, dass Deutschland mindestens aber Berlin, in seiner Entwicklung als Theaterstadt stillsteht oder zurückgeht. Aber woran es liegt, wissen die Wenigsten. Die Meisten sind geneigt zu glauben, dass ein gewisser Verfall der Ideale, ein Abbröckeln des alten deutschen Idealismus hier die Schuld trägt. Wieder andere kommen auf den Gedanken, dass materielle Momente maßgebend sind. […] Also nicht ein bestimmter Punkt bezeichnet die Ursache des allgemein zugegebenen Rückstandes, sondern eine ganze Reihe von Momenten. Aber all diese Momente vereinen sich in dem großen Kapitel: ‚Das Theatergeschäft.‘278
Die Schrift von Epstein ist als praxisnaher Ratgeber für die schwierige Betriebsführung der sogenannten Geschäftstheater zu verstehen. Nach Auffassung vieler Literaturtheater-Verfechter:innen bestand aber nur ein möglicher Ausweg aus der Krise: Das Bildungs- und Literaturtheater sollte staatlich getragen und von ökonomischen Zwängen befreit werden, also vom Geschäftstheater zum „Kunstinstitut“279 werden. Der Schauspieler, Journalist und Theaterkritiker Maximilian Harden schrieb beispielsweise 1888, dass „das Theater mehr und mehr aus den Händen der privaten Spekulation losgelöst werden [muß]“ – und zwar mit einem „staatlichen oder städtischen […] Zuschuß“.280 Aber natürlich nur unter der Bedingung, dass „es höhere, edlere Ziele verfolgt; die Genretheater mögen getrost der privaten Bewirtschaftung verbleiben.“281
Das Bildungs- und Literaturtheater benötige „zweierlei“ – nicht nur „Geld vom Staat“, sondern auch „Interesse vom Publikum“.282 Gleich zu Beginn seines Pamphlets fragt der Autor: „Wer geht denn heute noch in’s Theater?! […] Die Frage erscheint paradox, aber sie ist durchaus berechtigt. Es ist ja nicht zu verkennen, daß besonders in der Reichshauptstadt ein großes Theaterpublikum vorhanden ist.“283 Der Berliner Zeitungsverleger August Scherl meinte 1898 hingegen: „Berlin hat kein Theater-Publikum.“284 Denn unter letzterem, so der Autor weiter,
möchte ich eine für die dramatische Kunst warm und lebhaft sich interessierende Einwohnerschaft verstanden wissen […]. Betrachtet man die Berliner Theater auf ihre Frequenz hin, so wird man alsbald die Wahrnehmung machen, daß durchschnittlich die Hälfte aller vorhandenen Plätze leer bleibt.285
Tatsächlich gab es in Berlin ein großes Theaterpublikum, nur besuchte es offenbar nicht diejenigen Spielstätten, die Harden und Scherl als Theater betrachteten. Der Journalist und Dramatiker Walter Turzinksky wähnte die Theatermetropole Berlin kurz nach 1900 ebenfalls in einem fatalen Zustand:
Es ist ohne weiteres klar, daß sich die Lage der provinziellen Theaterunternehmungen nach weit solideren, gesünderen Prinzipien erbaut, als der buntbewegte Markt des reichshauptstädtischen Theatergeschäfts. […] Es nagt am Markte des Berliner Theaterlebens, daß solch ein künstlerisches Siechtum, ein Dahinvegetieren im geräuschvollen Elend zu den steten Bestandteilen der Situation gehört.286
Für Turzinksky entzog das „Ausstattungstheater […] mit seine[n] unter Millionenkosten eingerichteten Premiere[n]“ dem literarischen Theater jeglichen Boden.287
Die besprochenen Streitschriften sind programmatischer Natur und können daher natürlich nicht als historische Tatsachenberichte gelesen werden. Sie vermitteln jedoch zusammen mit den Vorstößen des DBV und der GDBA einen Eindruck über die Situation der Theaterlandschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Und – dies wird etwa bei Hardens Frage nach dem Publikum sehr gut sichtbar – sie skizzieren zugleich die Verhältnisse ihrer Konkurrenz, indem sie ex negativo eine „Perspektive […] auf das Ausgeblendete oder Weggelassene“ bieten, aus der sich das „Bild einer außerordentlich lebendigen Theaterlandschaft“ ergibt.288
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Gerade August Scherls Beschreibung halbleerer Theater steht im deutlichen Kontrast zu den Zeitungsberichten über die ausverkauften Vorstellungen bei Circus Renz aus den Jahren 1877 und 1880 sowie zu den im ersten Kapitel besprochenen Publikumsangaben in den Berliner Polizeirapporten. Auch in den 1890er Jahren schrieb die Berliner Presse von der Konkurrenz für die Literatur- und Bildungstheater durch die Zirkusse in der Reichshauptstadt:
Renz ist wieder da! Wie oft erscholl nun dieser Ruf zu Beginn der Wintersaison durch Berlin und erweckte bei den Theaterdirektoren ein gewisses nervöses Unbehagen. Denn wenn auch die Konkurrenz, welche die circensischen Künste der dramatischen Kunst machen, nicht so auffällig in die Erscheinung tritt, wie etwa in einer Provinzstadt, wo der Ruf: ‚Der Circus kommt!‘ für den Theaterdirektor eine Reihe leerer Häuser bedeutet, so ist doch auch in Berlin für viele Theater der Circus eine recht merkliche und deshalb unbequeme Konkurrenz.289
Bereits 1877 war in der Berliner Börsen-Zeitung wie erwähnt von den „Klagen der Bühnenleiter“ zu lesen gewesen,290 die sich darüber beschwert hatten, dass die Zirkusse ihnen Tänzer:innen und Statist:innen entzögen.291 Die Situation in Berlin war vergleichbar mit denjenigen in anderen europäischen Kulturmetropolen. So heißt es in einem anderen Beitrag der Berliner Börsen-Zeitung vom 19. März 1885 über den durch Circus Carré verursachten Konkurrenzdruck während eines Gastspiels in Prag:
Endlich wollen wir noch erwähnen, daß der Bühne […] ein entsprechend fortgeschrittenes Publicum mangelt, und daß sie in Folge dessen unter der Concurrenz des eben hier anwesenden Circus Carré zu leiden hat. Um diese einigermaßen abzuschwächen, wird nun die große Glocke der Reclame geläutet, und alle Czechischen Blätter verkünden geräuschvoll, daß demnächst in einem neueinstudirten Volksstücke ein Ballet von 46, sage sechsundvierzig Tänzerinnen aufgeführt werden soll. Da aber jüngst ein Theil des Balletcorps, an seiner Spitze der Balletmeister und die erste Solotänzerin von der Bühne des Nationaltheaters zur Manège des Circus Carré übergetreten ist, was keinesfalls zu Gunsten des ersteren Institutes spricht, so ist es noch fraglich, wieviel Matronen und Kinder mobilisirt werden müssen, um dies zu ermöglichen. Uns aber wird das schöne Schauspiel zu Theil, zu sehen, wie die erste Bühne des Czechischen Volkes und Circus Carré wetteifernd um die Gunst des Publicums tanzen lassen.292
Sowohl über den Entzug des Theaterpublikums durch die Zirkusse als auch über die ästhetische Annäherung der Zirkusprogramme an das ‚eigentliche‘ Theater, also an die Produktionsweisen und Ästhetiken des Literaturtheaters, beschwerte sich der DBV im Jahr 1888 auf politischem Weg.
2.3.2 Ein Schreiben des Reichsamtes des Innern von 1888 oder was in Bezug auf Zirkuspantomimen unklar bleibt
Am 4. August 1888 erließ die Leipziger Kreishauptmannschaft eine achtseitige „General-Verordnung an sämmtliche Amtshauptmannschaften und Stadträthe der Städte“ in Bezug auf die Bewilligung von Zirkusvorführungen.293 Anlass zu dieser Weisung der Kreishauptmannschaft an die ihr untergeordneten Behörden hatte, so ist in der Verordnung zu lesen, ein Schreiben des DBV gegeben:
Gegenwärtig wird nun in einem […] Schreiben des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins […] darüber geklagt, dass durch die in neuerer Zeit üblich gewordene Aufnahme von Balletvorstellungen und größeren Ausstattungsstücken in die Programme der Cirkusvorstellungen den Theatern größerer Städte eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz insofern erwachse, als nicht nur das Publikum bei seiner Geneigtheit für derartige Schaustellungen dem Besuche der besseren Theater entfremdet, sondern auch das tüchtigste und brauchbarste Balletpersonal den letzteren entzogen werde. Mit diesen auf langjährigen Erfahrungen von hervorragenden Stadttheatern gestützten Klagen wird unter Hinweis auf die mit solchen minderwerthigen theatralischen Schaustellungen verknüpfte Gefährdung der dramatischen Kunst und der Geschmacksrichtung des Publikums die Bitte verbunden, soweit möglich auf administrativem Wege der Darbietung solcher Schaustellungen mit den Kunstreitermarstallungen entgegenzutreten, insonderheit aber auf eine grundsätzliche Versagung der zu derartigen theatralischen Vorstellungen erforderlichen behördlichen Konzession und thunlichste Einschränkung bereits ertheilter Konzessionen […] hinzuwirken.294
Zirkusgesellschaften die Aufführung von Balletten und Pantomimen komplett zu untersagen, sei nach der geltenden Gewerbeordnung nicht möglich.295 Doch habe das höher gestellte sächsische Innenministerium die Anweisung gegeben, Zirkusse zukünftig weitestgehend auf das Gebiet der „Kunstreiterei und Gymnastik“ zu beschränken:
[D]as Königliche Ministerium des Innern [hält] dafür, daß gegenüber den in neuerer Zeit nach und nach hervorgetretenen, auch hierorts wahrzunehmen gewesenen Bestrebungen der Cirkusunternehmer, durch Darbietung von der Kunstreiterei und Gymnastik in der Hauptsache fern stehenden theatralischen und sonstigen Darstellungen für den weniger gebildeten Theil des Publikums eine besondere Anziehungskraft zu schaffen, es am Platze sei, einer Ueberhandnahme derartiger, die Geschmacksrichtung der Zuschauer unvortheilhaft beeinflussenden und die wahre Kunst schädigenden Produktionen auf geeignete Weise entgegenzutreten […].296
Aus der Verordnung geht ebenfalls hervor, dass sich das sächsische Innenministerium auf ein „von dem Reichsamte des Innern zur Erwägung empfohlenen Schreiben des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins“ berief.297 Der Reichsinnenminister legte also den Innenministerien der Länder nahe, die Klagen des DBV gegenüber der Zirkuskonkurrenz ernst zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass das Reichsamt des Innern offiziell nicht befugt war, auf die Innenministerien der Länder Einfluss zu nehmen. Die Reichsbehörde durfte keine Weisungen erteilen an Länderverwaltungen. Das Schreiben des Reichsinnenministers kann zwar als eine reine Informationsübermittlung angesehen werden, de facto war es jedoch eine deutliche Empfehlung. Auch ein vom preußischen Innenminister Ernst Ludwig Herrfurth unterzeichnetes Schreiben vom 21. Juli 1888, das sich auf den Vorstoß des DBV bezieht, dürfte auf das Empfehlungsschreiben des Reichsamts des Innern zurückgehen. Darin schreibt Herrfurth, der Bühnenverein habe
geltend gemacht, daß die Cirkus-Inhaber in der neueren Zeit fast regelmäßig Ballets und größere Ausstattungsstücke, in welchen sogar gesprochen und gesungen werde, veranstalteten und in dieser Weise den Theatern eine schwer zu bestehende Konkurrenz machten. Auf Grund eines Beschlusses der Generalversammlung des deutschen Bühnen-Vereins hat der Präsident des letzteren die Frage, wie nach dieser Richtung hin Abhilfe zu schaffen sei, in Anregung gebracht. Behufs Beurtheilung dieser Frage ist es mir von besonderem Interesse, darüber unterrichtet zu werden, wie sich das fragliche Verhältniß bezüglich der in der hiesigen Stadt betriebenen großen Cirkus Unternehmungen thatsächlich gestaltet […] und in welcher Weise die Kontrolle darüber gehandhabt wird, daß sich die Cirkus-Vorstellungen innerhalb der Grenzen der ertheilten Konzessionen halten.298
Der DBV versuchte also offensichtlich, die Behörden davon zu überzeugen, die „theatralischen Vorstellungen“ von Zirkussen zu unterbinden und letztere auf diese Weise dazu zu zwingen, sich ausschließlich auf die vermeintlich eigentlichen Zirkusformate „Kunstreiterei und Gymnastik“ zu beschränken.
Während sich in dem Schreiben des preußischen Innenministers an den Berliner Polizeipräsidenten eine Verschärfung der Situation für die in der Hauptstadt gastierenden oder ansässigen Zirkusunternehmen lediglich andeutet, macht die Generalverordnung der Leipziger Kreishauptmannschaft unmissverständlich klar, dass die Vergabe von Konzessionen sowie von Auftrittsgenehmigungen für Zirkusunternehmer:innen in Sachsen fortan deutlich restriktiver gehandhabt werden sollten. Die Generalverordnung gibt detailliert Aufschluss darüber, welche Maßnahmen die Behörde vorsah, um die restriktive Politik gegen die Zirkusse umzusetzen. Die sächsischen Ortspolizeiabteilungen sollten bei Bewilligungsanfragen für Vorstellungen von Zirkusunternehmer:innen ihren Ermessensspielraum nutzen, um Spielgenehmigungen im Falle der Verbindung von Reitkunst mit Schauspiel, Tanz und Gesang oder aber aus Rücksichtnahme auf ortsansässige Spielstätten zu untersagen. Die Kreishauptmannschaft selbst plante, bei ihr eingehende Konzessionsgesuche kritischer als bisher zu prüfen und genau zu klären, ob der Bedarf an Konzessionen für Zirkusunternehmen im entsprechenden Regierungsbezirk nicht bereits gedeckt war.299 Auch über die diesen Maßnahmen zugrunde liegenden Begründung gibt die Verordnung Auskunft: Einerseits waren durch gastierende Zirkusse für die lokalen und festen Spielstätten in der Vergangenheit „pekuniäre Einbußen“ entstanden,300 die fortan verhindert werden sollten. Andererseits „schädigten“ die Zirkusse in den Augen der Obrigkeiten die „wahre Kunst“, indem sie den Geschmack der Zuschauer:innen „unvortheilhaft“ beeinflussten.301 Kurzum: Es ging um finanzielle und ästhetische Konkurrenz durch die Zirkusse.
Die Verordnung der Kreishauptmannschaft vom 4. August 1888 blieb nicht folgenlos. So ist im Artist folgende Meldung vom 30. September 1888 überliefert:
Dem in Leipzig weilenden Circus Corty-Althoff wird die Aufführung von Pantomimen und Ausstattungsstücken untersagt. Infolgedessen wird eine Zusammenkunft der Circusdirektoren in Berlin geplant, um wegen geeigneter Massregeln gegen diese Verfügung schlüssig zu werden.302
Ein in den Berliner Theaterzensurakten überlieferter Zeitungsausschnitt aus der Berliner Zeitung vom 16. Oktober 1888 bestätigt das genannte Aufführungsverbot:
Die Circus-Direktoren reichen, wie bereits mitgetheilt wurde, eine Petition beim Reichstage ein, um in der Aufführung von Ballets und Pantomimen nicht behindert zu sein. Die Erlaubnis dazu war ihnen wiederholt und zuletzt noch in Leipzig verweigert worden.303
Wie weiterhin aus dem Artikel hervorgeht, durfte Circus Corty-Althoff seine Pantomimen und Ballette in Leipzig schließlich doch aufführen, allerdings nur, da die Zirkusdirektorin Adele Althoff inzwischen zusätzlich eine Erlaubnis als Schauspiel-Unternehmerin (nach § 32 RGO) besaß. Letztere hatte sie dem Artikel zufolge kurzfristig von der königlichen Regierung in Düsseldorf erhalten, die dem Zirkus über die vergangenen 20 Jahre auch stets den Wandergewerbeschein (nach § 55 RGO) ausgestellt hatte. Der Leipziger Stadtrat sei über besagte Erlaubnis erstaunt gewesen, fährt der Artikel fort, infolge derer man der Direktorin die Aufführung von Ballett und Pantomimen nicht mehr verweigern konnte.304 Der Autor des Artikels gelangt zu der Schlussfolgerung, dass andere Zirkusunternehmer:innen es Corty-Althoff gleichtun sollten, um an die benötigte Genehmigung zu gelangen, denn „abgeschlagen kann sie nun ja Niemandem werden“.305 Dass dem nicht so war, wird im Folgenden gezeigt. Ob es tatsächlich zu dem im Artikel erwähnten Treffen von Zirkusdirektor:innen in Berlin kam und diese wirklich eine Petition beim Reichstag einreichten, muss an dieser Stelle leider unbeantwortet bleiben. Weitere Hinweise und Quellen ließen sich dazu bislang nicht finden. Mit Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass ab den 1880er Jahren auch seitens der Artist:innen Vereinigungen und Fachzeitschriften gegründet wurden, die sich, wie im dritten Kapitel dieser Studie ausführlich behandelt wird, auch gegen die öffentlichen Verleumdungen und gesetzlichen Benachteiligungen zur Wehr setzten.
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Die Klage des DBV bezog sich vor allem auf die Inszenierung von Zirkuspantomimen. In diesem Zusammenhang ist möglicherweise auch ein Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten vom 18. Januar 1889 zu betrachten. Darin wurde angeordnet, dass die zuständigen Polizeiabteilungen Zirkusaufführungen ab sofort im Vorfeld besser überprüfen sollten, „da bezüglich der Pantomimen mehrfach Unzuträglichkeiten vorgekommen“ seien.306 Der Polizeipräsident präzisierte, dass „pantomimische Vorstellungen auch ohne gesprochenen Text der vorherigen Genehmigung bedürfen, welche unter Ueberweisung einer eingehenden Beschreibung des Verlaufs in duplo nachzusuchen ist.“307 Im abschließenden Satz heißt es: „Das vorstehend Aufgeführte gilt auch für den Circus Renz.“308
Das Schreiben des DBV an das Reichsamt des Innern ging auf die Initiative des amtierenden Direktors des Hamburger Stadttheaters, Bernhard Pollini, zurück.309 Der international agierende Theater- und Opernimpresario galt als skrupelloser Unternehmer.310 Es ist davon auszugehen, dass er vor allen Dingen daran interessiert war, im Namen der dramatischen Kunst die wirtschaftliche Bedrohung seiner Betriebe durch die Zirkusunternehmen einzugrenzen. In historiografischen Studien über den DBV ist zu lesen, der Vorstoß des Verbands sei folgenlos geblieben.311 Bei Schöndienst etwa heißt es dazu:
Die Juristen im Verein gaben diesem Antrag von vornherein wenig Erfolgsaussicht. Damit behielten sie recht. Das Reichsamt [des Innern, Anm. M. H.] beschränkte sich auf die Weiterleitung an die Innenminister der Bundesstaaten. Doch nur von der Antwort eines Bundesstaates hat man in der Folge etwas gehört. Sachsen fand den Wunsch zwar verständlich, erklärte jedoch, ihn mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht in Einklang bringen zu können.312
Diese Einschätzung, das dürfte vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen deutlich geworden sein, ist nicht zutreffend. So fand die sächsische Verordnung sogar Eingang in das von Otto Kolisch 1898 herausgegebene juristische Handbuch, das auch als Leitfaden für die Anwendung der Gewerbeordnung diente. Darin wird im Zusammenhang mit dem Vollzug des Paragrafen 32 (RGO) auf die Verordnung der Leipziger Kreishauptmannschaft vom 4. August 1888 verwiesen und dabei Folgendes ausgeführt:
Voraussetzungen für die Veranstaltung von Ballettvorstellungen etc. durch Zirkusbesitzer. Der Zirkusunternehmer wird die persönliche Konzessionierung als Schauspielunternehmer nachsuchen und die Ertheilung eines Wandergewerbescheins erfordern müssen. Ferner soll die Erlaubniß nur unter besonderer Rücksichtnahme auf das jeweilige örtliche Bedürfniß und die pekuniären Interessen derer am Orte befindlicher Etablissements, wie unter angemessener Würdigung der Wünsche des Publikums und des Werthes der von den Gesuchstellern zu erwartenden Darbietungen ertheilt werden […].313
Das auf dem Vorstoß des DBV gegen die Zirkuskonkurrenz basierende Empfehlungsschreiben des Reichsinnenministeriums hatte also durchaus nicht nur in Sachsen Konsequenzen.
Nicht nur beim DBV, sondern auch bei der GDBA war die Konkurrenz durch Zirkusunternehmen Thema. Dies geht etwa aus einem 1889 von der Genossenschaft versandten und von der Berliner Theaterpolizei in einer Akte abgelegten „Fragebogen über den Nothstand eines großen Theils der privaten Theaterunternehmungen und ihrer Mitglieder“ hervor.314 In Frage 46 heißt es darin: „Kommt es in Ihrer Stadt öfter vor, daß in vorübergehender Weise theatralische oder pantomimische Vorstellungen durch Circusbesitzer u. dergl. veranstaltet werden, und erwächst hieraus dem stehenden Theater eine schädliche Konkurrenz?“315 Von 800 verschickten Exemplaren kamen jedoch nur 16 Prozent beantwortet zurück und in der Auswertung fand die genannte Frage keine weitere Beachtung.316 Doch setzte sich die GDBA, wie im folgenden Abschnitt zu sehen sein wird, weiterhin hartnäckig für eine Einschränkung der Theatergesetze beziehungsweise eine Verschärfung der Ausführungsbestimmungen auch zu Ungunsten von Zirkusunternehmen ein.
2.3.3 Die Revision von 1896: Rückkehr zu Gattungsbezeichnungen und Repertoirebeschränkungen
Im April 1893 veröffentlichte die GDBA eine Denkschrift, der zu entnehmen ist, dass sie mit ihren Anliegen bei den preußischen Behörden auf offene Ohren gestoßen war:
Das uns bereits zu Theil gewordene, überaus gütige Entgegenkommen der hohen Königlich Preußischen Staatsbehörden läßt uns hoffen, daß auch die zuständigen hohen Behörden der übrigen deutschen Bundesstaaten der ehrerbietigsten Bitte, unsere Darlegungen einer wohlwollenden Prüfung unterziehen zu wollen, nicht unerfüllt lassen werden.317
Tatsächlich hatte der preußische Innenminister Botho Graf zu Eulenburg (der Nachfolger Ernst Ludwig Herrfurths) am 5. März 1893 ein „Cirkular an sämmtliche Königl. Regierungs-Präsidenten und an den Königl. Polizei-Präsidenten in Berlin […] betreffend die Ueberwachung der Thätigkeit der Theater-Unternehmer“ verschickt.318 Mit Nachdruck empfahl er darin den Behörden, bei der Prüfung der künstlerischen Zuverlässigkeit von Konzessionsbewerber:innen jeweils ein Gutachten bei der GDBA und dem DBV einzuholen. Außerdem sollten die finanziellen Verhältnisse der Antragsteller:innen zukünftig genauer geprüft werden. Weiterhin sollten untergeordnete Polizeibehörden Klagen auf Konzessionsentzug einzelner Theaterleiter:innen einreichen, falls sich deren sittliche, künstlerische oder finanzielle Zuverlässigkeit trotz strenger vorheriger Prüfung als ungenügend herausstellte.319 Eulenburg begründete die Verfügung wie folgt:
Im Geschäftsbetriebe der Theaterunternehmer haben sich Uebelstände gezeigt, welche zu schwerer Schädigung des Theaterpersonals und der Gewerbetreibenden geführt haben, die mit den betreffenden Unternehmern in Beziehung standen. Es ist daher geboten, bei Ertheilung von Konzessionen an Theaterunternehmer mit besonderer Vorsicht zu Werke zu gehen.320
Die Formulierung des preußischen Ministers deckt sich mit der Argumentation der GDBA: Seit Einführung der Gewerbeordnung im Jahr 1869 habe die Anzahl der Theaterkonzessionen nach Paragraf 32 (RGO) stetig zugenommen. Dies habe den Konkurs vieler Theaterdirektionen zur Folge gehabt sowie zahlreiche Schauspieler:innen und Bühnenangehörige in eine Notlage gebracht. Aus diesem Grund solle die künstlerische, sittliche und vor allem auch die finanzielle Zuverlässigkeit der Konzessionsbewerber:innen von den Behörden strenger geprüft werden.321 In der Denkschrift präzisierte die Bühnenorganisation zudem, dass „[h]insichtlich der Zuverlässigkeit in künstlerischer Beziehung […] in den weitaus meisten Fällen das unterzeichnete Präsidium der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger […] in der Lage sein [wird], eine erschöpfende Auskunft zu ertheilen.“322 Einige Jahre später wurde diese Empfehlung auf Anweisung des damaligen preußischen Innenministers Hans von Hammerstein dann sogar in eine zwingende Anordnung umgewandelt: Die Bühnenorganisationen DBV und GDBA mussten ab 1904 bei jeder Konzessionsvergabe nach Paragraf 32 (RGO) in Preußen um eine Einschätzung ersucht und über Zulassung beziehungsweise Versagung der Konzession informiert werden.323
In ihrer Denkschrift aus dem Jahr 1893 schlug die GDBA auch die Einführung der Bedürfnisfrage für den Paragrafen 32 (RGO) vor. Demnach sollte sich bei der Konzessionierung von Schauspielunternehmen die Behörde folgende Fragen stellen:
[I]st für ein Theater an den betreffenden Orten ein Bedürfnis vorhanden, und kann ein Theater unter gewöhnlichen Verhältnissen […] bestehen? beziehungsweise: ist für eine Vermehrung der an einem Orte bereits vorhandenen Theater ein Bedürfniß vorhanden, und kann event. diese Vermehrung eintreten, ohne Gefahr für die Existenz der bereits vorhandenen Theater, vorausgesetzt, daß diese in künstlerischer Beziehung billigen Anforderungen entsprechen?324
Die dem Kunst- beziehungsweise Theaterbegriff der GDBA entsprechenden Spielstätten sollten also von den Behörden – wie bereits im Vorstoß des DBV aus dem Jahr 1888 formuliert – vor der Konkurrenz geschützt werden.
Diese weiterführende Einschränkung des Konzessionswesens war nach Ansicht der Genossenschaft „entweder auf dem Wege der Gesetzgebung oder auf dem Wege des Erlasses von entsprechenden Ausführungsbestimmungen zu den bestehenden Gesetzen [zu erreichen]“.325 Im Jahr 1893 schien der GDBA „die Beschreitung des ersteren Weges mit nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten verbunden“.326 Von ihrer Denkschrift erhoffte sie sich eine „erhebliche Milderung der schreiendsten Mißstände“ durch eine Verschärfung der Ausführungsbestimmungen.327
In Preußen wurden 1895 auf Grundlage eines Rundschreibens des neuen Innenministers Ernst Matthias von Köller die Maßnahmen im Umgang mit sogenannten Tingeltangel-Spielstätten tatsächlich verschärft. Der ministeriellen Verfügung zufolge sollten die entsprechenden polizeilichen Instanzen „[d]ie gewerbsmäßige Veranstaltung von Singspielen, Gesangs- und deklamatorischen Vorträgen, Schaustellungen von Personen oder theatralischen Vorstellungen, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet“,328 durch eine strenge Anwendung der bestehenden Gesetze und Verordnungen sowie durch eine genaue Beaufsichtigung möglichst einschränken. Bei den aufgelisteten Darbietungen handelte es sich um die nach Paragraf 33a und Paragraf 55 (RGO) geregelten Theaterformen. Köller schlug für derartige Veranstaltungen eine als „[z]weckmäßig“ erachtete „Erhebung hoher Lustbarkeitssteuern“ vor,329 die im folgenden Kapitel noch ausführlich besprochen wird.
Mit einem Runderlass vom 15. November 1896 wurde die Verfügung des preußischen Innenministers dahingehend präzisiert, dass zu den Lustbarkeiten insbesondere auch „[d]ie Veranstaltung von […] Vorstellungen von Kunstreitern, Gymnastikern, Equilibristen, Ballet- und Seiltänzern, […], das Schaustellen von Menschen und Thieren“ zu zählen seien.330 Zirkusse wurden demnach auch zu den Lustbarkeiten gezählt. Ob die von Köller erlassene Verschärfung der preußischen Ausführungsbestimmungen im Jahr 1895 in einen direkten Zusammenhang mit den Vorstößen der GDBA stand, ist ungewiss. Doch wurde Paragraf 32 (RGO) kurze Zeit später unter Einflussnahme der GDBA nochmals eingeschränkt.
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Zu Beginn der Jahre 1895 und 1896 legte die Regierung dem Reichstag wiederum Entwürfe mit den überarbeiteten Paragrafen der Gewerbeordnung vor. Die Vorlage sah unter anderem eine erneute Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) vor, die der Bundesrat wie folgt begründete:
Angesichts der schweren Schädigungen, welche bei dem häufigen Zusammenbruch von Theaterunternehmungen für die mit den Unternehmern in geschäftlicher Beziehung stehenden Personen erwachsen, erscheint es geboten, eine größere Gewähr für die finanzielle Zuverlässigkeit der Schauspielunternehmer zu schaffen.331
Zu diesem Zweck sollte das zu konzessionierende Schauspielunternehmen genauer bestimmt und die Konzession versagt werden, wenn der Nachweis über die zum Betrieb des jeweiligen Unternehmens erforderlichen Mittel nicht erbracht werden konnte: „Soll die Prüfung der finanziellen Zuverlässigkeit Werth haben, so muß die Geltung der Erlaubniß auf ein bestimmtes Unternehmen beschränkt werden, so daß für ein anderes oder ein wesentlich verändertes Unternehmen eine neue Erlaubnis erforderlich ist.“332
Ende Januar 1895 wurde die Vorlage im Reichstag erstmals diskutiert. Die Abgeordneten der Nationalliberalen Partei sowie der (seit 1893 bestehenden, aus der Fortschrittspartei hervorgegangenen) Freisinnigen Volkspartei sprachen sich gegen die Einschränkung des Schauspiel-Paragrafen aus.333 Die Zentrumspartei war zum Schutz von Sittlichkeit, Religion und Familie dafür.334 Die Gesetzesvorlage wurde im Parlament 1895 nicht abschließend besprochen und daher dem Reichstag zu Beginn des Jahres 1896 nochmals vorgelegt.
Bei der Wiedervorlage sprach sich die Freisinnige Volkspartei gemeinsam mit dem linken Lager im Reichstag erneut gegen die geplante Einschränkung aus, denn eine solche würde das eigentliche Problem ihrer Auffassung nach nicht lösen. Die genaue Definition von Schauspielunternehmen beziehungsweise die Tatsache, dass bei einer Veränderung des Betriebs eine neue Konzession erforderlich wäre, sei vor allem für kleinere Provinzbühnen problematisch und untermauere die Vorrangstellung der subventionierten Hofbühnen. Hermann Reißhaus von der SPD pflichtete diesbezüglich Eugen Richter von den Freisinnigen bei: „Wir haben bereits darauf hingewiesen, genau wie es jetzt der Herr Abgeordnete Richter gethan hat, daß es sich hier nur darum zu handeln scheint, den großen Unternehmern einen Theil der lästigen Konkurrenz abzunehmen.“335 Vor allem aber gebe die Novellierung den Polizeibehörden noch mehr Spielraum, bis hin zu Schikanen. Insgesamt handle es sich um einen Rückschritt in die Zeit vor 1869.336 Der Abgeordnete Anton von Wolszlegier von der (katholischen) Polnischen Fraktion wandte sich interessanterweise ebenfalls gegen die geplante weitere Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO), da diese seiner Meinung nach die Unternehmungen von umherziehenden Schauspielgruppen in große Schwierigkeiten bringe. Der Abgeordnete, Pfarrer von Beruf, merkte außerdem an: „Soviel ich aus meiner eigenen Erfahrung weiß, kann man in den seltensten Fällen den umherziehenden Schauspielunternehmen den Vorwurf machen, daß sie bei der Ausübung ihres Gewerbes gegen die sittlichen Grundsätze verstoßen.“337 Dieses Engagement für die Wandertheater ist vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen bemerkenswert – umso mehr vonseiten eines katholischen Geistlichen.
Es fielen weitere erwähnenswerte Aussagen im Rahmen der Reichstagsdebatten über die von der Regierung vorgesehene Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO): Der nationalliberale Abgeordnete Albert Bürklin etwa sprach sich – entgegen seiner parteipolitischen Orientierung – für die Einschränkung des Schauspiel-Paragrafen aus und betonte, dass sich sowohl der DBV als auch die GDBA seit Jahren bemühten, das Konzessionswesen einzuschränken, um gegen die Missstände im Theaterwesen vorzugehen.338 Bürklin war gleichzeitig Generalintendant des Karlsruher Hoftheaters und stellte hier also seine beruflichen Interessen über seine politische Gesinnung.339 Das SPD-Mitglied Hermann Reißhaus wiederum wies in der Diskussion auf die beinahe 4000 Schreiben von Schauspieler:innen und Bühnenangehörigen hin, die beim Reichstag eingegangen seien.340 Mit diesen Bühnenarbeiter:innen solidarisierte er sich und brachte zur Sprache, dass die Regierung, „nachdem die herrschende unwürdige Stellung der Bühnenangehörigen hier im hohen Hause wiederholt zur Sprache gekommen ist,“ in Erwägung ziehen könnte, „durch ein Spezialgesetz dieser Frage näher zu treten“.341 Auf jeden Fall aber müsse „unbedingt in denkbar kürzester Zeit etwas geschehen […].“342 Seine Rede stieß auf Zustimmung auf der linken Seite des Saales. Paul Förster von der Deutschen Reformpartei plädierte seinerseits während der Reichstagsdebatte dafür, dass die Lage der Schauspieler:innen vor allem auf privatrechtlicher Ebene (und nicht im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Gesetzgebung) verbessert werden solle. Dafür müssten sich die Schauspieler:innen jedoch stärker organisieren: „[W]ir können ihnen nur den guten Rath geben, ihr Recht besser zu vertreten.“343
In der Reichstagssitzung vom 6. März 1896 wurde die Regierungsvorlage nochmals ausführlich besprochen und letztlich von einer Mehrheit der Abgeordneten angenommen.344 Eugen Richter von der Freisinnigen Volkspartei hatte vor der Abstimmung noch einmal vergeblich versucht, mit seinem Redebeitrag die Novellierung abzuwenden, indem er hinterfragte, was denn die im Gesetzentwurf erwähnte Veränderung des Betriebs bedeute und wie eine Behörde dies beurteilen wolle:
Da ist doch jede Auslegung der Behörde möglich. Wie verändern sich unvorhergesehen die Verhältnisse in einem Theater an einem kleineren oder mittleren Ort! Es braucht nur irgend ein anderes Vergnügungsinstitut dort zu entstehen, welches dem Theater Konkurrenz macht, und ein rentables Theater verwandelt sich in kurzer Zeit in ein unrentables; z. B. die Konkurrenz eines Zirkus wirkt in solchem Ort ganz außerordentlich auf den Theaterbesuch ein.345
Richter nutzte also in seiner Argumentation die bedrohliche Zirkus-Konkurrenz zur Begründung der Notwendigkeit des Erhalts eines halbwegs liberalen Theaterkonzessionswesens. Seiner Meinung nach sollten die nach Paragraf 32 (RGO) konzessionierten Unternehmen bezüglich ihrer Angebote flexibel genug bleiben, um sich gegen die „Vergnügungsinstitute“ auf dem Markt durchsetzen zu können.
Die Rede des Abgeordneten der Freisinnigen Volkspartei ist auch dahingehend interessant, dass Richter den Änderungsvorschlag zu Paragraf 32 (RGO) in Zusammenhang mit einer Denkschrift der GDBA erwähnt:
Diese ganze Aenderung der Gesetzgebung ist ausgegangen von dem Präsidium der deutschen Bühnengenossenschaft in Berlin. Das geht hervor aus einer Broschüre, die uns mitgetheilt worden ist ‚das Theaterkonzessionswesen in seinen Beziehungen zu der materiellen Lage der Bühnenangehörigen‘, die verfaßt ist auf Ersuchen des Präsidiums dieser Genossenschaft von einem Geheimen Hofrath und Verwaltungsdirektor Karl Schäffer.346
Die GDBA habe Richter zufolge im Laufe der vergangenen Jahre kontinuierlich für eine Einschränkung der Gewerbeordnung von 1869 gekämpft und „fortgesetzt den Ministerien in den Ohren gelegen, um, wie sich aus dieser Broschüre ganz genau ergiebt, die Konzessionsbedingungen immer strenger zu machen.“347 Der Abgeordnete betonte, dass im Falle des Paragrafen 32 (RGO) nicht über Tingeltangel, das heißt über „Schaustellungen sehr zweifelhafter Art“, gesprochen werde, sondern über jene „Theaterunternehmungen, bei denen, um mit der Sprache des Gesetzes zu reden, ein höheres Interesse für Kunst und Wissenschaft obwaltet“.348 Die Mitglieder der GDBA, so Richter weiter,
gehen von zu idealen Vorstellungen über die Bedeutung des Theaters aus und suchen, diese idealen Vorstellungen auf das Gesetz zu übertragen. In den Augen dieser hochgestellten Herren hat das Theater den Zweck, möglichst künstlerisch vollkommene Vorstellungen zu geben vor einem erlesenen Kreise kunstverständiger Personen. Diese höchste Leistung der Kunst ist ihnen eben allein das Erstrebenswerthe. Sie übersehen nur, daß der Kreis der Personen, welcher so künstlerisch vollkommene Theatervorstellungen bezahlen kann, ein sehr geringer ist und das Theater eine große Bedeutung hat, auch wenn weniger künstlerische Vorstellungen vor einem desto größeren Kreise von Zuhörern gegeben werden können. Meine Herren, auch diese Art von Theatervorstellungen haben eine erhebliche Bedeutung für das ganze Volksleben, sie geben geistige Anregungen, Anregungen für das Gemüthsleben, sie erweitern die Kenntnisse, auch wenn sie nicht künstlerisch vollständig auf der Höhe stehen. In jedem Falle unterbrechen sie das Einerlei eines Wirthshausbesuchs, indem sie veranlassen, ein Theater zu besuchen.349
Wenngleich auch Richter von einer dem Theater vermeintlich inhärenten erzieherischen Funktion ausging, so brachten seine Worte doch eine kritische Sichtweise zum Ausdruck, die bereits in den Verhandlungen der 1880er Jahre seitens des links-liberalen Lagers angeklungen waren: der Hinweis, die GDBA nutze einen elitären Theaterbegriff. Für seine Rede wurde Eugen Richter dann auch postwendend in einem Bericht über die Reichstagsverhandlungen im Organ der Genossenschaft gerügt. Der Regierung und dem Reichstag hingegen wurde im selben Bericht für die Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) gedankt.350 Letztere lautete ab dem 6. August 1896 wie folgt:
Schauspielunternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes der Erlaubniß. Dieselbe gilt nur für das bei Ertheilung der Erlaubniß bezeichnete Unternehmen. Zum Betriebe eines anderen oder eines wesentlich veränderten Unternehmens bedarf es einer neuen Erlaubniß.
Die Erlaubniß ist zu versagen, wenn der Nachsuchende den Besitz der zu dem Unternehmen nöthigen Mittel nicht nachzuweisen vermag oder wenn die Behörde auf Grund von Thatsachen die Ueberzeugung gewinnt, daß derselbe die zu dem beabsichtigten Gewerbebetriebe erforderliche Zuverlässigkeit insbesondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht nicht besitzt.351
Die preußischen Ausführungsbestimmungen des Gesetzes wurden den Regierungspräsidenten und dem Berliner Polizeipräsidenten am 17. August 1896 in einem Rundschreiben kommuniziert. Darin heißt es:
In Zukunft ist schon bei Ertheilung der Erlaubniß auf eine möglichst genaue Bezeichnung des Unternehmens Bedacht zu nehmen. Die Bezeichnung hängt zunächst von dem Antrage des Unternehmers ab; je unbestimmter aber die Angaben lauten, desto höher werden bei sonst gleichen Umständen die Ansprüche hinsichtlich der sittlichen, artistischen und finanziellen Zuverlässigkeit, insbesondere der zu dem Unternehmen nöthigen Mittel zu stellen sein. Für die Bezeichnung kommen namentlich in Betracht bei stehenden Theatern: die Ortslage und die Räumlichkeiten, bei Wandertruppen: die ungefähre Zahl der Mitglieder und die Bezirke oder Orte, welche besucht werden sollen, in beiden Fällen: die Kunstgattungen (Schauspiel, Lustspiel, Trauerspiel, Oper, Operette u. s. w.), denen das Unternehmen gewidmet ist.352
Im Rahmen der neuen Gewerbeordnung von 1869 waren die Repertoire- beziehungsweise Gattungsbeschränkungen aufgehoben worden. Bereits bei der Novellierung der Reichsgewerbeordnung 1883/84 war es dann mit dem Zusatzparagrafen 33a (RGO) wie gesehen zu einer Ausdifferenzierung der Theaterformen beziehungsweise -gattungen innerhalb der stehenden Theater sowohl im Gesetzestext selbst als auch im entsprechenden juristischen Kommentar gekommen. Mit der Novellierung des Paragrafen 32 (RGO) von 1896 setzte sich diese Tendenz fort. So ist in einem Kommentar zur Gewerbeordnung nach 1896 zu lesen: „Das Unternehmen, dem sich der Gesuchsteller zuwenden will, ist sowohl nach dem Lokal, wie nach der Gattung der Vorstellungen (Schauspiel, Lustspiel, Oper usw.) […] zu bezeichnen […].“353 Weniger als 30 Jahre nach Einführung der liberalisierten Theatergesetzgebung waren mit der Revision des Paragrafen 32 (RGO) im Jahr 1896 die Gattungsbezeichnungen also wieder auf der Tagesordnung.
Im Gegensatz zu dieser Entwicklung auf Reichsebene agierte die Berliner Zensurbehörde auf Grundlage eines zunehmend breiteren Theaterbegriffs: In der Hinckeldey’schen Theaterverordnung von 1851 wurden nach Paragraf 2 folgende Darbietungsarten als Theatervorstellungen angesehen:
alle dramatischen, musikalischen, deklamatorischen, pantomimischen und plastischen Vorstellungen […], welche entweder in Kostümen oder in einem Lokale veranstaltet werden, welches mit Kulissen, Vorhang oder andren, dieselben ersetzenden Apparaten versehen ist, in welchen mehrere Personen als Darsteller auftreten.354
Im Jahr 1898 wurden diese Theaterformen um „theaterähnliche Vorstellungen“ erweitert, womit „auch ‚sonstige in den Programmen der Specialitäten und Varieté-Bühnen üblichen Darbietungen (wie Projections-, Nebel-, Kinematographen-Bilder, spiritistische Experimente u. dgl.)‘“ gemeint waren.355 Während also der Theaterbegriff in der Gewerbeordnung und deren Kommentierung zum Schutz einer bestimmten Theaterform immer enger gefasst wurde, weitete die Berliner Polizei ihn aus, um mit der Zensur auch die neu aufkommenden Theaterformen erfassen zu können.
Im Sommer 1917 wurde dann noch die sogenannte Bedürfnisfrage für den Geltungsbereich des Paragrafen 32 (RGO) eingeführt.356 Dies geschah kurz vor der Verstaatlichung und Kommunalisierung vieler Bildungs- und Literaturtheater, nach deren Umsetzung letztere ohnehin nicht mehr in den Geltungsbereich der Gewerbeordnung fielen, wodurch die Bedürfnisprüfung für sie fortan nicht mehr relevant war. Darüber hinaus wurden die gewerblichen Theatergesetze bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 nicht weiter überarbeitet. Während Paragraf 32 (RGO) durch das Theatergesetz von 1934 endgültig abgeschafft wurde, blieben die Paragrafen 33a und 55 (RGO) bis zu einer Überarbeitung der Gewerbeordnung im Jahr 1984 für stehende und reisende gewerbliche Theater in ihrer damaligen Formulierung gültig.357 Seit dieser Novellierung bezieht sich Paragraf 33a (GewO) nur noch auf „geschlechtsbezogene Darstellung[en] von Personen“.358
2.4 Aufwertung durch Abwertung oder warum gebührt manchen Theaterformen ein ‚höheres Kunstinteresse‘ und anderen nicht?
Ob einer Aufführung ein ‚höheres Kunstinteresse‘ zugesprochen wurde, war nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine steuertechnische Frage. So berichtete das Organ der GDBA 1899 von einer gerichtlichen Auseinandersetzung, in der es um die Bestimmung des ‚höheren‘ beziehungsweise vermeintlich nicht vorhandenen Kunstinteresses im Falle einer Musikdarbietung von einem nach Paragraf 33a (RGO) konzessionierten Unternehmen ging. Die Redaktion wies in dem Beitrag darauf hin, dass „die Ausübung der Kunst“ nach dem preußischen Gewerbesteuergesetz vom 24. Juni 1891 nicht gewerbesteuerpflichtig sei.359 In der Deutschen Bühne war zu lesen, dass Paragraf 4 dieses Gesetzes diejenigen stehenden Gewerbebetriebe von der Steuer ausnahm, die sich der „Ausübung der Kunst“ widmeten.360 Wie einleitend gesehen galten die Produktionen stehender Schauspielunternehmungen seit 1820 als ‚höhere‘ Kunst. Nach Paragraf 33a oder 55 (RGO) konzessionierte Betriebe konnten wie erwähnt versuchen, die Polizeibehörden in Probeaufführungen davon zu überzeugen, ihre Darbietungen ebenfalls als ‚höhere‘ Kunst einstufen zu lassen und so von einer Steuerbefreiung zu profitieren. Die zuständigen Beamten attestierten dies dann gegebenenfalls mit einem sogenannten Kunstschein.
In einer Verfügung über den Begriff des ‚höheren Kunstinteresses‘ im Zusammenhang mit nach Paragraf 55 (RGO) konzessionierten umherziehenden Theatergruppen vermerkten die preußischen Ministerien für Handel und Gewerbe, Finanzen sowie des Inneren im Juni 1895, dass „manche Gerichte bei Erhebung des Beweises darüber, ob einer bestimmten schauspielerischen Leistung ein höheres Interesse der Kunst beiwohnt, sich hin und wieder auf ungeeignete Sachverständige […] stützen.“361 Durch das Einsetzen von zuverlässigen Sachverständigen des DBV und der GDBA „würde unrichtigen Urtheilssprüchen über die Pflicht der Schauspielertruppen, einen Wandergewerbeschein zu lösen und Hausir-Gewerbesteuer zu entrichten, in hinreichendem Maße vorgebeugt werden können.“362
Der preußische Innenminister Eberhard von der Recke erließ am 15. Juni 1897 eine Verfügung über die Ausstellung sogenannter Kunstscheine für Theaterunternehmungen mit einer Konzession nach Paragraf 33a oder 55 (RGO). Darin wies er insbesondere die Ortspolizeibehörden darauf hin, „nur auf solche Kunstscheine Rücksicht zu nehmen, welche von höheren Verwaltungsbehörden oder von anerkannten zuverlässigen Sachverständigen ausgestellt sind.“363 Vor allem bei umherziehenden Theatergewerben sei jeweils genau und in Anwesenheit eines behördlichen Vertreters und „nöthigenfalls unter Zuziehung eines geeigneten Sachverständigen“ zu prüfen,364 ob ein ‚höheres Kunstinteresse‘ tatsächlich vorhanden sei, das die Ausstellung eines Kunstscheines legitimiere.
Im Jahr 1898 war das preußische Oberverwaltungsgericht mit einer Rechtsstreitigkeit betreffend der Frage, aus welcher Perspektive das Vorhandensein eines ‚höheren Kunstinteresses‘ zu beurteilen sei, beschäftigt: „nach dem objektiven, künstlerischen (oder wissenschaftlichen) Werth der Veranstaltung“?365 Oder danach, ob der Veranstalter „behauptet, seine Veranstaltung sei keine ‚Lustbarkeit‘“ und damit ‚höhere‘ Kunst?366 Das Gericht urteilte im Sinne des ‚objektiven‘ Wertes der Aufführung – dies ergebe sich eindeutig aus der Gesetzgebung sowie der juristischen Praxis.367 Nach einer weiteren Entscheidung des Gerichts in einem anderen Fall im Juni 1901 wurde diese Auslegung dahingehend ergänzt, dass „es auch darauf an[kommt], ob die Umstände, unter denen die Lustbarkeit veranstaltet wird, den Genuß der objektiv vielleicht künstlerischen Leistung gestatten.“368 Im konkreten Fall habe die Darbietung „in einem während des Schützenfestes stark besuchten öffentlichen Wirthschaftslokale und bei dem fortwährenden Zu- und Abgange von Gästen stattgefunden.“369 Diese Umstände hätten auch „diejenigen [Gäste], welche etwa in der Absicht nach Erlangung eines höheren Kunstgenusses das Lokal aufsuchen sollten, an der Aufnahme desselben“ gehindert.370 Im Zusammenhang mit einem weiteren Gerichtsurteil rund um die An- oder Abwesenheit eines ‚höheren Kunstinteresses‘ wurde 1911 festgehalten, dass „aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes die Begriffsbestimmung nicht mit Sicherheit zu entnehmen ist.“371 Doch sei sich
[d]ie Rechtsprechung […] darüber einig, dass die objektive Beschaffenheit der Veranstaltung von wesentlicher Bedeutung ist. Maßgebend ist, dass die auftretenden Personen die Fähigkeit zu künstlerischen Leistungen besitzen, und dass ihre Darbietungen künstlerischen Wert haben. Es genügt nicht, wenn der Gegenstand der Darstellung ein Erzeugnis der Kunst ist. Vielmehr liegt ein höheres Interesse der Kunst erst dann vor, wenn auch die Darstellungsweise den Anforderungen der Kunst entspricht. Daneben sind jedoch zugleich die besonderen Umstände des Falles in Betracht zu ziehen.372
In Gesetzeskommentaren der 1920er Jahre werden derartige besondere Umstände als Indikatoren für die Abwesenheit eines ‚höheren Kunstwertes‘ klar benannt: „Wo Lärm und Unruhe herrscht, wird ein höheres Kunstinteresse selbst dann nicht vorhanden sein, wenn die gebotene Leistung künstlerischen Wert besitzt […].“373 Auch wenn geraucht wurde, konnte keine Kunst stattfinden, denn „Rauchtheater sind keine Unternehmungen mit höherem Kunstinteresse […]“.374 Schall und Rauch würden „die künstlerische Leistung und Auffassung von vornherein erheblich schmälern oder den Genuß daran überhaupt nicht aufkommen lassen.“375 Entsprechende, nach den Paragrafen 33a oder 55 (RGO) konzessionierte Spielstätten oder Theatergruppen erhielten also keine Kunstscheine beziehungsweise keine gewerbliche Steuerbefreiung.
2.4.1 Eine sehr kurze Geschichte der Unterscheidung zwischen ‚hohen‘ und ‚niederen‘ Künsten
Die Verschränkung einer ästhetischen Bewertung von Aufführungen mit einer Steuerauferlegung oder -befreiung wurde wie einleitend erläutert im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in den preußischen Theatergesetzen, genauer gesagt in den Gewerbe- und Steuergesetzen verankert. Diskursiv etabliert hatte sich die Unterscheidung zwischen angeblich ‚höherem‘ und keinem Kunstinteresse bereits im Zusammenhang mit den Ästhetiktheorien des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts.376 Beeinflusst wurde diese Unterteilung nicht zuletzt von Theatertheoretiker:innen, die anstrebten, das auf dem Wort von Dichter:innen basierende Theater als eine ‚schöne‘, ‚hohe‘ Kunst zu legitimieren. Die besprochenen Gesetzestexte der Gewerbeordnung des Deutschen Kaiserreichs trugen maßgeblich zur Fest- und Fortschreibung dieses Diskurses bei.
Die Idee der ‚niederen‘ und ‚hohen‘ Künste geht zurück auf die im Mittelalter entstandene und bis ins 17. Jahrhundert hineinwirkende Aufteilung verschiedener Kunstfertigkeiten in artes liberales und artes mechanicae. Die Theoretisierung der artes liberales lässt sich ihrerseits auf die griechische und römische Antike zurückführen. In der Spätantike festigte sich ein bis Ende des 17. Jahrhunderts bestehender Kanon von septem artes liberales: sieben Wissenschaften beziehungsweise Künste wie die Lehre der Grammatik und der Rhetorik. Im Gegensatz zu den artes liberales änderte sich das System der artes mechanicae, Künste zwischen Handwerk und Wissenschaften, über das Mittelalter bis in das 17. Jahrhundert immer wieder. So wurden die Theaterkünste beziehungsweise die ‚Kenntnis der Spiele‘ (theatrica) im 12. Jahrhundert durch Hugo von der Pariser Abtei St. Viktor in die mechanicae aufgenommen, um kurz darauf von Abt Gottfried wieder ausgeklammert zu werden, da die theatrica nach seiner Auffassung nicht mit den christlichen Werten vereinbar waren. Und so verschwanden die theatrica – im Gegensatz etwa zur Musik – für die folgenden Jahrhunderte aus dem ästhetischen Diskurs.377 Insgesamt galten die artes mechanicae, da sie anders als die artes liberales mit körperlichen Tätigkeiten assoziiert wurden, als minores (kleiner, niedriger) und levinores (leichter), kurzum: als minderwertige Künste.378
Aufbauend auf den Konzeptionen der artes liberales konsolidierte sich im 17. Jahrhundert durch Schriften französischer Theoretiker das System der beaux arts beziehungsweise der ‚schönen Künste‘. Im deutschsprachigen Raum des 18. Jahrhunderts wurde dieses System dann zusammen mit Alexander Baumgartens Aesthetica zum Fundament der Ästhetik als philosophischer Disziplin weiterentwickelt.379 Wie der Philosophiehistoriker Paul Oskar Kristeller betont, „[nahm] das System der fünf maßgebenden Künste, das der gesamten modernen Ästhetik zugrundeliegt […], erst im 18. Jahrhundert seine endgültige Form an, obgleich es viele Momente enthält, die auf das Denken des Altertums, des Mittelalters und der Renaissance zurückgehen.“380 Musik, Poesie, Malerei, Bildhauerei und Architektur galten als ‚schöne Künste‘ – die theatrica hingegen gehörten im 18. und auch im 19. Jahrhundert noch nicht zu diesem Kanon.
Auf Baumgartens Aesthetica folgten die ästhetischen Theorien von Kant und Schiller, mit denen auch die Etablierung und Verbreitung des Begriffs der ‚niederen Künste‘ einherging.381 Schillers Definition des ‚Niederen‘ verdient einen genaueren Blick, da sie Einzug in mehrere im Verlauf des 19. Jahrhunderts herausgegebene Ästhetik- und Theaterlexika fand.382 In seinem Essay „Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst“ von 1802 stellte Schiller das ‚Gemeine‘ und das ‚Niedrige‘ dem ‚Edlen‘ gegenüber, wobei er das ‚Niedrige‘ „[n]och eine Stufe unter dem Gemeinen“ einordnete und nicht nur als „Mangel des Geistreichen und Edlen“, sondern als „Rohheit des Gefühls, schlechte Sitten und verächtliche Gesinnungen“ definierte.383 Das ‚Niedrige‘ zeichnet sich laut Schiller stets durch etwas bewusst „Grobes und Pöbelhaftes“ aus.384
Mit ihren Ideen und Theorien trieben Theatermacher der Nationaltheaterbewegung wie Schiller, aber auch Lessing oder Gottsched im 18. Jahrhundert die Literarisierung des Theaterschaffens gepaart mit einem Bildungsanspruch voran.385 Mit den Worten des Theaterhistorikers Andreas Kotte: „Szenische Körperkunst wird im 18. Jahrhundert – Aufklärung und Verbürgerlichung lauten dabei die Schlagworte – in die literarische Kunst des Dramas abgedrängt.“386 Das Theaterverständnis der genannten Theaterreformer war ganz auf Linie mit den bürgerlichen Aufklärungsidealen: „Erzogen werden soll ein brauchbarer, das heißt nützlicher und patriotischer Mensch, weshalb Theater ‚als Supplement der Gesetze‘ (Lessing) und ‚Schule der Sitten‘ (Schiller) fungieren soll – statt als lustvolle oder subversive Unterhaltung.“387 Verbunden mit der Nationaltheateridee war auch die Vorstellung der Hebung des Schauspielerstandes,
denn erst ein Schauspieler, der selbst in gesicherten materiellen Verhältnissen lebt, selbst Bürger ist, kann die moralischen Grundsätze des Bürgertums verbreiten helfen. Somit richten sich alle Nationaltheaterkonzepte gegen den Ortswechsel der Truppen, treten für eine Institutionalisierung von Theater ein, wie sie mit der stehenden Hofbühne bereits gegeben ist.388
Um diese Theaterkonzeption zu legitimieren, wurden andere Theaterformen diskursiv abgewertet und „als schändlich oder zumindest als unzureichend beschrieben.“389 Dieser Diskurs begann sich um 1800 auch in der Praxis durchzusetzen.390 Die gesetzlichen Regulierungen des Theaterwesens im 19. Jahrhundert spiegelten ihn nicht nur wider – sie beförderten ihn zugleich. Und die damit verbundene „Image-Aufwertung“ des Literaturtheaters sowie der Schauspieler:innen war, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, auch ein „Erfolg der Theaterpublizistik, die die Schaubühne vom zweifelhaft-anrüchigen Stigma der Bretterbude und Jahrmarktsattraktionen befreite und stattdessen die immensen Verdienste des Theaterwesens für die aufklärerische Öffentlichkeit herausstellte.“391
2.4.2 „Ist Schauspielkunst überhaupt eine Kunst?“
Die theatrica gehörten also im 19. Jahrhundert noch nicht zum Kanon der schönen und ‚förderungswürdigen‘ Künste – beziehungsweise war ihr Status noch unklar. Denn wie gesehen erhielten damals nur die königlichen Bühnen als per se der Kunst und Erziehung dienende Institutionen Subventionen aus den fürstlichen Kassen. Alle anderen Theater galten als kommerzielle Gewerbebetriebe. Bestrebungen, das Literaturtheater als eine Kunstform und Schauspieler:innen als Künstler:innen zu etablieren, gab es im deutschsprachigen Raum wie dargelegt ab dem 18. Jahrhundert. Ab 1900 zeitigten diese Aufwertungsversuche erste Erfolge und so verbesserte sich die Stellung der Schauspielkunst allmählich.392 Um in das System der ‚hohen‘ Künste aufgenommen zu werden, musste das Schauspiel jedoch vom Ruf des Handwerklichen, des rein Körperlichen beziehungsweise Sinnlichen und von dem damit verbundenen Stigma der Prostitution befreit werden.393 Keine einfache Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass nach christlichen Moralvorstellungen das Besuchen von Theatervorstellungen auch im 19. Jahrhundert noch als Sünde angesehen wurde.394 Ein weiterer Grund, warum Theateraufführungen lange nicht als Kunst angesehen wurden, bestand darin, dass sie kein stoffliches Werk hervorbrachten, ja sogar auf andere Künste sowie ein Publikum angewiesen waren.395
Unter der Überschrift „Ist die Schauspielkunst überhaupt eine Kunst?“ wurde 1911 in der Theaterfachzeitschrift Der neue Weg eine Artikelserie aus der Deutschen Theater-Zeitschrift besprochen, deren Fazit gewesen sei, „daß – streng genommen – die Schauspielkunst nur ein Kunstgewerbe ist.“396 In den diskutierten Artikeln sei behauptet worden, „daß Philosophen, Maler, Bildhauer, Architekten, Dichter und Komponisten die Schauspielkunst nur als eine Kunst mittleren Ranges, nur als eine reproduzierende Kunst und die Schauspielenden nur als Mundstücke für die Dichtungen gelten lassen.“397 Hugo Wauer widersprach dieser Auffassung im Neuen Weg vehement, denn nach Meinung des Autors waren es gerade die Schauspieler:innen, die literarischen Werken zu ihrer vollen Wirkkraft verhalfen. Er schloss seinen engagierten Beitrag mit den Worten: „Wenn Das [sic!] ‚nur Kunstgewerbe‘ ist, nun dann bin ich außerstande, zu begreifen, wie und wodurch ‚wahre Kunst‘ noch Höheres zu leisten vermag!“398
Die Debatte, ob das Literaturtheater den ‚schönen Künsten‘ ebenbürtig sei, war ganz offensichtlich um 1900 noch nicht abgeschlossen. Im Gegensatz etwa zu Malerei und Musik, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts und besonders in dessen zweiter Hälfte zunehmend staatlich gefördert wurden.399 Für die Verfechter:innen des bürgerlichen Literaturtheaters war es, wie etwa der Theaterkritiker Conrad Alberti schreibt, „mit logischen Gründen absolut nicht zu vertheidigen, daß der Staat Akademien, Ausbildungsanstalten für Maler und Bildhauer und Musiker baut und unterstützt und sich […] noch immer nicht zur Errichtung einer Theaterschule hat bewegen lassen.“400
Um ebenfalls die Gunst des Staates zu erlangen, nutzten Alberti und zahlreiche andere Literaturtheater-Verfechter:innen in ihren um 1900 publizierten Schriften zwei Argumentationslinien: Zum einen betonten sie den geistigen Gehalt des Literaturtheaters und seine Gleichwertigkeit mit den anerkannten Künsten. Zum anderen grenzten sie ihr Theater deutlich von anderen Formen der darstellenden Künste ab. So schrieb Alberti 1887 beispielsweise, dass
die Schauspielkunst diejenige [ist], welche am meisten und tiefsten auf die Masse wirkt, welche Wirkungen erzielen kann, wie so nachhaltig und tief keine andere. […] Und […] da ihre Schöpfungen nicht dauern, wie die der bildenden Künste, sondern im Augenblick entstehen und vergehen, so mußte ihr eine um so stärkere ästhetisch-moralische Augenblickswirkung verliehen werden, um sie nicht hinter den Schwesterkünsten zurückstehen zu lassen.401
Im Verhältnis zu den „Schwesterkünsten“ stellte Alberti also den „nachhaltig“, „tief“, ja „augenblicklich“ wirkenden Bildungswert als ganz besonderes Merkmal des Literaturtheaters beziehungsweise der Schauspielkunst heraus. Auch wurden die Schauspieler:innen ermahnt, sich gewissenhaft und seriös zu verhalten und unentwegt zu arbeiten, um den Kolleg:innen der „Schwesterkünste“ in nichts nachzustehen.402 Um aber tatsächlich „ästhetisch-moralisch“ auf das Publikum einwirken zu können, musste eine Schauspielaufführung, so die Brüder Julius und Heinrich Hart, wie die Produktionen und Werke der anderen ‚hohen‘ Künste ebenfalls mit „Geist beseelt werden“403. Eine solche „höhere darstellende Kunst, welche auch die geistigen Bedürfnisse befriedigt“, war den Autoren zufolge „nur im Dienste der dramatischen Dichtung denkbar“.404 Die Verbindung des Schauspiels mit der dramatischen Dichtung schien als Rechtfertigung unumstößlich:
Wie wir sahen, besteht der erste Zweck des Theaters in der Darstellung dichterisch-dramatischer Kunstwerke, und deshalb ist das dichterische Wort auch auf der Bühne die gebietende Macht. Tritt der Dramatiker dieses sein Recht an den Schauspieler ab oder gar an den Dekorateur und Maschinisten, ordnet er die reingeistige Poesie dem Virtuosenthum oder der blos sinnlich wirkenden Coulissenmalerei, Beleuchtungskünsten und ähnlichen schönen Dingen unter, um so tiefer sinkt das Theater an Bedeutung, an culturellem Werth.405
Mit diesem Argument wurde freilich nicht nur eine bestimmte Theaterform aufgewertet, sondern es wurden zugleich andere abgewertet. Die Verfechter:innen des Literatur- und Bildungstheaters zogen zum Schutz der eigenen Kunst also nicht nur klare Grenzlinien zwischen dem Literaturtheater und anderen Theaterformen. Sie diskreditierten zugleich die unterhaltenden, vergnüglichen Theaterformen und deren Publikum. Der Zirkus galt folglich nicht einfach als minderwertig und kunstfern, er erniedrigte angeblich auch das Literaturtheater. Dies wird etwa in einem Text des Schauspielers und Autors Erich Schlaikjer aus dem Jahr 1912 deutlich:
Das bewusste Herausrechnen einer Sensation steht mit den Spekulationen der Schmutzliteratur auf einer Stufe […]. Das Theater wird zum Zirkus erniedrigt, indem man mit Spannung den Todessprung des Desperado erwartet. Der Schauspieler tritt mit den Artisten in eine Reihe und der Dichter scheidet überhaupt aus.406
Auch der Regisseur und Theaterkritiker Paul Linsemann bediente diese Argumentation bezüglich der artistischen Aufführungspraxen der Spezialitätenbühnen in einer Streitschrift von 1897:
An dem Verfall der Theaterkünste in Berlin und an dem damit Hand in Hand gehenden Niedergange des Geschmackes haben die Späße der Spezialitäten ihren hervorragenden Antheil. Sie unterminiren den Geschmack, und sie fangen an, das Theater zu erobern […] Das Uebermaß der Spezialitätenbühnen […] und der widerlich ordinäre Theil ihres Programmes – das ist es, was einen so schädlichen Einfluß ausübt. […] Die Invasion der apokryphen Künste des Tingeltangels und Gassenhauers hat mit dem guten Geschmack fast völlig aufgeräumt; sind sie doch so bequem diese Künste, die die Faulheit bestärken. Denn im Theater, selbst bei unseren Lustspielen, muß man doch manchmal aufpassen und aufmerken –, die Spezialitätenkünste fordern das nicht.407
Die „Späße der Spezialitäten“, die unedlen „Genretheater“408 und „schlechten Häuser“409 schadeten, das wird bei Linsemann sehr deutlich, in den Augen der Verfechter:innen des Literaturtheaters nicht nur den „Theaterkünsten“, sondern auch dem Geschmack der Zuschauer:innen. Das Publikum, das Linsemann mit „Du“ anspricht, war dem Autor zufolge „roh und dumm“,410 zeichnete sich durch einen „krankhafte[n] Geschmack“411 aus und hatte keine Vorstellung davon, was ‚echtes‘ Theater ist: „Du suchst Alles Andere im Theater: Zerstreuung und Sensation, aber kein ernsthaftes literarisches Interesse bindet dich mehr an diese Stätte. Was ist die Kunst? Du kannst das Theater nicht mehr vom Wintergarten oder vom Zirkus unterscheiden.“412 Dieses als „dumm“ und „krankhaft“ imaginierte Theaterpublikum wurde gemeinsam mit den als minderwertig angesehenen Theaterformen für mitschuldig am Verfall des ‚eigentlichen‘, sprich des Literaturtheaters befunden.
Zur Unterfütterung ihrer diskursiven Überzeugungsversuche unterstellten diese Autor:innen dem Bildungstheater eine positive Wirkung auf die weniger bemittelten Gesellschaftsschichten. Die folgende Textstelle bei Alberti bringt dies treffend auf den Punkt:
Es muß sowohl denen, welchen es mit der Kunst an sich, wie denen, welchen es mit den öffentlichen Zuständen und den angeführten Verhältnissen des Volkes Ernst ist, daran liegen, möglichst zahlreiche gute Theater im Lande zu haben, denn es ist entschieden besser, daß der gemeine Mann gute Theatervorstellungen besucht, als schlechte Häuser, Branntweinspelunken, öffentliche Bälle und dergleichen, und daß auch den Gebildeten künstlerisch geläuterte Theatergenüsse geboten werden, die auf ihre Geschmacksentwickelung von Vortheil sind und sie nicht selten von anderen, theureren und minder bildenden Vergnügungen abhalten.413
Dieser Logik folgend hatte die Politik ein Interesse an „guten“, nicht rentablen Theatern, denn sie erzögen den „gemeinen Mann“, wohingegen die „schlechten Häuser“414 einen schädigenden Einfluss auf ihn hätten, indem sie seine „Faulheit bestärken“415 und so zu Verrohung und Verdummung der Bevölkerung führen würden.416
Mithilfe dieser diskursiven Doppelargumentation wurden die zirzensischen Formen wie auch ihr Publikum somit nicht lediglich als schlecht und ‚niedrig‘ diffamiert, sondern zugleich für den vermeintlichen Verfall des ‚wahren‘ Theaters und die Verrohung ihres Publikums mitverantwortlich gemacht. Die Zirkusunternehmer waren daher nur allzu vertraut mit dem Vorwurf, dass ihre Produktionen für die Bildungs- und Literaturtheater nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine ästhetische Konkurrenz darstellten.
2.4.3 Der Kampf um Sprache auf der Zirkusbühne: Circus Busch und Circus Schumann setzen sich juristisch zur Wehr
Mit der Überarbeitung der Gewerbeordnung im Jahr 1883 beziehungsweise mit der Einführung des Zusatzparagrafen 33a (RGO) wurden die stehenden Theater in zwei Gruppen unterteilt: Zur Aufführung von Tragödien, Dramen, Lustspielen, Opern, Operetten, Balletten und Pantomimen war ab 1884 eine Konzession nach Paragraf 32 (RGO) notwendig. Ab 1896 musste außerdem genau präzisiert werden, welche der genannten Gattungen ein nach Paragraf 32 (RGO) konzessionierter Theaterbetrieb anbot. Diejenigen Spielstätten, die „Singspiele, Gesangs- und deklamatorische Vorträge, Schaustellungen von Personen oder theatralische Vorstellungen“ veranstalteten, „ohne dass ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet“,417 mussten ab 1884 eine Konzession nach Paragraf 33a (RGO) beantragen. Zu dieser Kategorie wurden laut Gesetzeskommentar auch die festen Zirkusspielstätten gezählt.418 Bei den zuständigen Polizeibehörden gab es diesbezüglich jedoch Unklarheiten, wie aus einem Brief des Polizeiamts Altona an die Berliner Polizei vom 8. November 1899 hervorgeht:
Es ist hier zur Frage gekommen, ob die besseren Circusvorstellungen, wie die von Renz, Busch dargebotenen, einer gewerbepolizeilichen Erlaubnis bedürfen. Hier ist seither angenommen, dass zu diesen Vorstellungen weder nach § 33a noch § 55 Ziffer 4 Gewerbe-Ordnung eine Erlaubnis erforderlich sei, indem dabei ein höheres Interesse der Kunst statuiert werden könne.419
Die Beamten in Altona gingen also davon aus, dass die Aufführungen dieser großen Zirkusunternehmen ‚höheren‘ Kunstwert besäßen. Die Antwort der Kollegen aus Berlin lautete wie folgt:
Circusunternehmer wie Renz, Busch, Schumann werden diesseits als konzessionspflichtig im Sinne des § 33a R.G.O. angesehen. Soweit von denselben Pantomimen vorgeführt werden, wird gleichzeitig der Besitz einer zur Aufführung von Pantomimen berechtigender Konzession aus § 32 R.G.O verlangt.420
Im Jahr 1916 wandte sich auch der Frankfurter Polizeipräsident mit einer ähnlichen Frage an die Kollegen in Berlin: ob nämlich für Singspiel-Veranstalter:innen, die Possen zur Aufführung bringen wollen, eine zusätzliche Erlaubnis nach Paragraf 32 (RGO) notwendig sei.421 Der amtierende Leiter der Theaterabteilung Curt Karl Gustav von Glasenapp bejahte die Frage unter Bezugnahme auf den hier bereits besprochenen Kommentar der Gewerbeordnung von Robert Landmann und erklärte, dass er „keinen Wert darauf [lege], ob eine Vorführung als Singspiel oder wie sonst bezeichnet ist. Ich prüfe vielmehr lediglich, ob eine Handlung vorgeführt werden soll.“422
In Berlin war demnach für die Aufführung von Zirkuspantomimen, die sich wie im ersten Kapitel ausführlich behandelt auch durch eine „Handlung“ auszeichneten, zusätzlich zur Genehmigung nach Paragraf 33a (RGO) eine Konzession nach Paragraf 32 (RGO) erforderlich. Dies erklärt sich damit, dass die in Paragraf 33a (RGO) benannten „theatralischen Vorstellungen“ ohne ‚höheres Kunstinteresse‘ mit der Novellierung von 1883 wie beschrieben einen Zwischenstatuts erhalten hatten.423
Albert Schumann trat 1899 wie im ersten Kapitel ausführlich geschildert als neuer Eigentümer des Markthallenzirkus die Nachfolge von Circus Renz am Berliner Schiffbauerdamm an. Der Zirkusdirektor war Inhaber einer Genehmigung nach Paragraf 33a (RGO) sowie einer Konzession nach Paragraf 32 (RGO) mit der durch die Novellierung von 1896 notwendig gewordenen genauen Bezeichnung seines Unternehmens. Konkret besaß Schumann damit die Erlaubnis, Pantomimen und Ballette aufzuführen.424 Im Dezember 1903, das heißt zum Zeitpunkt der Premiere der Pantomime Babel, wurde seine Konzession nach Paragraf 32 (RGO) ausgeweitet auf „Pantomimen mit verbindendem Text, eingeflochtenen kurzen dramatischen Szenen und musikalischen Einlagen.“425 Circus Busch wiederum hatte in den Jahren 1895 und 1896 für seine Spielstätte in Berlin Genehmigungen zur „Schaustellung von Personen, Veranstaltung von theatralischen Vorstellungen, von Singspielen, Gesangs- und Deklamatorischen-Vorträgen, bei denen ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft nicht obliegt“,426 erhalten. Laut einem Schreiben des Rechtsanwalts von Paul Busch aus dem Jahr 1912 waren bei Erlass der Genehmigungen die entsprechenden Paragrafen nicht benannt worden.427 Es ist aber davon auszugehen, dass es sich um Konzessionen nach den Paragrafen 33a und 32 (RGO) handelte, wobei jene nach Paragraf 32 (RGO) wie bei Circus Schumann mit einer Einschränkung versehen worden war.428
Aus den Akten der Berliner Theaterpolizei geht hervor, dass die beiden konkurrierenden Zirkusunternehmen in den 1910er Jahren Mühe hatten, eine Erlaubnis für die Aufführung ihrer Pantomimen zu bekommen – aufgrund der darin vorgesehenen gesprochenen Dialoge. Die archivierte Korrespondenz zwischen den Zirkusdirektionen und dem Polizeipräsidium verdeutlicht, dass erstere mit anwaltlicher Hilfe eine Aufhebung der Einschränkungen für gesprochenen Text in ihren Zirkuspantomimen durchzusetzen versuchten.429 In seinem Brief an die Berliner Polizei vom 7. Februar 1913 betonte Albert Schumann, dass er nicht beabsichtige, „unter der Flagge einer Sprechpantomime Opern oder Schauspiele“ darzubieten.430 Freilich gebe es keine „bestimmte[n] oder formularmässige[n] Grenzen für geistige und schriftstellerische Erzeugnisse“, doch sei der „Verdacht, als ob ich auf diesem Wege vom Circus zur Oper oder zum Schauspiel gelangen will, […] derartig, dass ich mich gegen denselben wohl nicht zu verteidigen brauche.“431
In einem ähnlichen Schreiben an die Berliner Theaterpolizei hatte auch Paul Busch bereits am 10. April 1911 unterstrichen, dass er die Aufhebung der Beschränkung für gesprochenen Text in seinen Pantomimen „nicht für Aufführung von Theater-Stücken auf der Bühne“ benötige, „sondern für große Schaustücke im bisherigen dekorativen Rahmen meiner Pantomimen unter Hinzuziehung sprechender Künstler in der Manege“.432 Er versicherte des Weiteren, dass diese Inszenierungen keine Konkurrenz für die Literaturtheater-Spielstätten darstellten:
Eine Kollision mit anderen Theater-Unternehmern kann meines Erachtens nicht in Betracht kommen, da dasjenige was ich zu produzieren gedenke, nichts mit dem Wesen und Wirken der eigentlichen Bühne zu tun hat und mit dieser nur die Verwendung der Schauspielkräfte, wenn auch in ganz anderer Form gemeinsam hat.433
Die Zirkusunternehmer wussten also um die Wahrnehmung der Schauspielbetriebe und Behörden, in deren Augen ihre Produktionen für die Bildungs- und Literaturtheater auf ästhetischer Ebene eine Konkurrenz darstellten. Mit ihren Schreiben an die Theaterpolizei versuchten die Zirkusdirektoren diese Sorge zu entkräften. Doch möglicherweise hatte Paul Busch diese Wahrnehmung sogar selbst mitbefeuert. Bereits im September 1910 hatte er nämlich um die Erweiterung der Konzession nach Paragraf 32 (RGO) gebeten, um Inszenierungen erarbeiten zu können, „welche vollständig in das Gebiet der sprechenden Schauspielkunst und eventuell auch der Oper hineinragen […].“434 Im gleichen Brief legte er dar, dass er vorhabe, sich „[nicht] in dem Rahmen der bisherigen Pantomimen allein weiter zu bewegen, sondern die Erweiterung dieses Darstellungsgebietes in der […] angeführten Weise anzustreben.“435
Weder Circus Busch noch Circus Schumann erhielten von der Berliner Polizeibehörde eine Erweiterung ihrer Konzessionen nach Paragraf 32 (RGO). Ein lückenhaft archivierter Briefwechsel zwischen der Theaterpolizei und Circus Busch belegt, dass Paul Busch zwischen 1910 und 1912 mehrfach versuchte, die Erlaubnis zur „Verwendung gesprochener Texte ohne jede Beschränkung in der Manege“ zu bekommen.436 Glasenapp, Leiter der polizeilichen Theaterabteilung, bestand darauf, dass die „volle Konzession für Schauspielunternehmen“ nach Paragraf 32 (RGO) nur dann genehmigt werden könne, wenn das Zirkusgebäude die baupolizeilichen Bestimmungen für ein Theater einhalte, das heißt vollständig umgebaut werde.437
Die neue polizeiliche Bauverordnung für Theaterspielstätten und Versammlungsräume vom 10. Juni 1909 unterschied in Paragraf 2 zwischen Theatern (Abschnitt A) und Zirkusanlagen (Abschnitt E).438 Die Unterscheidung basierte nicht auf ästhetischen Kriterien oder auf einem hierarchisierenden Kunstbegriff, sondern auf architektonischen und damit sicherheitspolizeilichen Unterschieden. Glasenapp nutzte die Verordnung jedoch zur Verhinderung der Ausstellung einer vollumfänglichen Konzession nach Paragraf 32 (RGO) für das Zirkusunternehmen. Er argumentierte, dass durch Pantomimen mit gesprochenen Dialogen „das Unternehmen ein Theater im Sinne des § 2“ der Bauverordnung,439 also ein „eigentliches oder Volltheater“ werde,440 wobei der Umbau den Anforderungen der Bauverordnung an Neubauten zu entsprechen habe.441 Für die Erlaubnis, Pantomimen mit Dialogen aufzuführen, sei es nicht ausreichend, bauliche Veränderungen vorzunehmen.442 Wenn Busch das Polizeipräsidium um eine „Konzession unter Einschränkungen“ ersuche,443
welche den Betrieb als einen zirkusmässigen fortbestehen lässt, so würde immerhin die Herstellung eines feuerfesten Abschlusses der Bühne und der Nebenräume gegen den Zuschauerraum, insbesondere aber auch der Einbau eines eisernen Vorhanges vor der Bühnenoeffnung zu verlangen sein […].444
Daraufhin schaltete Paul Busch den Juristen und Theaterrechtsexperten Richard Treitel ein, der unter Verweis auf einen Gerichtsentscheid in Braunschweig vom 14. Januar 1909 beim Polizeipräsidium nachfragte, ob denn die Konzession nach Paragraf 33a (RGO) für die Aufführung von Pantomimen nicht ausreichend sei, da „es sich bei der zirkusmässigen Darstellung der Pantomimen um Schauspiele niederer Art“ handle.445 Die Berliner Behörde verneinte dies, woraufhin Paul Busch versuchte, seine Konzession nach Paragraf 32 (RGO) auf „zirkusmässige Ausstattungsstücke mit beliebiger Verwendung des gesprochenen Wortes“ ausdehnen zu lassen.446 Sein Anwalt betonte dabei, dass „[b]ei allen Produktionen […] das Zirkusmässige seinen besonderen Platz haben [soll].“447 Mit der Unterstützung von Richard Treitel gelang es ihm schließlich, für die Aufführung der Pantomime Aus dem Marineleben (die schlussendlich den Titel U20 trug) eine Genehmigung für gesprochene Dialoge unter bestimmten baupolizeilichen Auflagen zu erhalten.448 Busch beabsichtigte, dem Polizeipräsidium mit dieser Pantomime aufzuzeigen, dass er trotz ausgedehnter Konzession keine ‚echten‘ Schauspiele darbieten werde.449
Doch dieser Plan schlug fehl. Am 31. Juli 1911 schrieb Glasenapp, ihn bekräftige das Textbuch für Aus dem Marineleben darin,
dass es sich bei der von der Direktion [von Circus Busch, Anm. M. H.] geplanten Erweiterung des Spielplanes um die Aufnahme vollständig gesprochener Stücke handelt und dass die durch das gesprochene Wort ermöglichte Komplizierung der Handlung zugleich eine neue Erweiterung des bereits jetzt bis zur Grenze des Zulässigen gesteigerten scenischen Rahmens und dekorativen Beiwerkes mit sich bringt. Mit der Aufnahme solcher Stücke wird das Unternehmen ein Theater […].450
Gegen diese Einschätzung versuchte Busch, zu Beginn des Jahres 1912 mithilfe des Anwalts Paul Alexander-Katz vorzugehen. Dieser deutete das Schreiben vom 31. Juli 1911 als polizeiliche Verfügung und focht diese als „unberechtigte[n] Eingriff in einen konzessionierten Gewerbebetrieb“ an.451 Jedoch ohne Erfolg. Ein Zeitungsausschnitt aus der Berliner Morgenpost vom 7. März 1912 mit dem Titel „Keine Manegenschauspiele im Zirkus“ legt dar, die Direktion von Circus Busch habe mitgeteilt „daß sie […] beabsichtigt, die Sprechrollen wieder einzuschränken und zur reinen Pantomime zurückzukehren, da sich bei der theatermäßigen Aufführung Schwierigkeiten ergeben haben, die die Mühe nicht wert sind.“452 Das Unternehmen plante laut Zeitungsbericht auch, das Zirkusgebäude im Frühjahr für einen Umbau drei Monate lang zu schließen.453 Wollte Paul Busch sein Berliner Gebäude also doch im großen Stile umbauen lassen, um im Anschluss eine Konzession nach Paragraf 32 (RGO) ohne Einschränkungen zu erhalten? Nicht zuletzt aufgrund der behördlichen Einschränkungen schloss Circus Busch jedoch nur ein Jahr später, wie im dritten Kapitel ausführlich behandelt wird, seine Türen ganz – zumindest zwischenzeitlich.
Auch Albert Schumann beauftragte 1912 den Anwalt Paul Alexander-Katz im Kampf um eine Erweiterung der Konzession nach Paragraf 32 (RGO).454 Doch auch dieser Versuch scheiterte. Vier Jahre später ging Schumann dann mit Unterstützung eines anderen Anwaltes gerichtlich gegen den Polizeipräsidenten vor, um einer Erlaubnis für „die Aufführung jedweden Theaterstückes mit gesprochenem Wort, einschließlich der Aufführung von Operetten“ zu erlangen.455 Die Ablehnung des Gesuchs, die von Schumanns Rechtsanwalt wiederum als polizeiliche Verfügung bezeichnet wurde, focht Albert Schumann in erster Instanz vor dem Berliner Bezirksausschuss an. Die Klage wurde jedoch aus formalen Gründen abgelehnt, da es sich bei dem Schreiben des Polizeipräsidenten nicht um eine polizeiliche Verfügung handelte. Im Bescheid des Bezirksausschusses ist unter anderem zu lesen, dass „[d]em Kläger […] vom Beklagten in den Jahren 1911 und 1912 wiederholt mitgeteilt worden [ist], daß er nicht das Recht habe Schauspiele aufführen zu lassen, die einen vollständig gesprochenen Text hätten […].“456 Schumann zog mit den Fall bis vor das preußische Oberverwaltungsgericht. Ein kurzer Bericht über das Verfahren zwischen Schumann und Polizeipräsidium aus dem Organ vom August 1917 belegt, dass der Zirkusdirektor den Fall verlor.457
Auch von Max Reinhardt ist ein interessantes Schreiben an den Berliner Polizeipräsidenten überliefert. Reinhardt mietete den Markthallenzirkus zwischen 1910 und 1914, also bevor er das Gebäude 1918 komplett übernahm, wie erwähnt mehrfach von Circus Schumann, etwa für seine König-Ödipus-Inszenierung 1911. Im Jahr 1913 beanstandete die Theaterpolizei jedoch das Vorhaben von Reinhardt, da Schauspielinszenierungen in der Zirkusspielstätte nicht genehmigt waren.458 Im darauffolgenden Jahr wandte sich Reinhardt in Bezug auf die eigentlich im Markthallenzirkus geplante Inszenierung Das Mirakel mit folgenden Worten an die Behörde:
Da sich nun interne Schwierigkeiten herausstellen, die möglicherweise eine Aufführung im April [im Zirkus Schumann, Anm. M. H.] verhindern, bitten wir ergebenst, diese Erlaubnis für die gleichen Aufführungen im Zirkus Busch erteilen zu wollen. Wir bemerken nochmals, daß es sich um eine ausgesprochene Pantomime handelt, in der nichts gesprochen wird, daß also für eine Aufführung im Rahmen des Zirkus Busch unter dessen eigener Leitung eine Erweiterung der Konzession nicht nötig wäre.459
Das Mirakel wurde schlussendlich im Gebäude von Zirkus Busch aufgeführt. Im November 1915 wollte Reinhardt den Zensurakten zufolge eine Verfilmung der Pantomime bei Circus Busch präsentieren.460 Auch hierbei kam es, wie einem Schreiben von Paul Busch an das Polizeipräsidium zu entnehmen ist, zu Streitigkeiten mit der Behörde, die die Spielstätte als ungeeignet empfand für ein derartiges Vorhaben. Busch hielt dagegen, dass der Film bereits in mehreren Berliner Kinos gezeigt worden sei und dass er nicht einsehe, „warum mein Zirkus etwa auf eine niedrigere Stufe als diese Kinos gestellt werden sollte.“461 Ob der Film letztlich im Zirkus gezeigt wurde, ist in den Polizeiakten nicht überliefert.
Gesprochene Dialoge und gesungene Textpassagen waren, wie im ersten Kapitel ausführlich besprochen, bereits vor diesen Auseinandersetzungen zwischen den Zirkusunternehmen Busch und Schumann und dem Berliner Polizeipräsidenten Teil der Inszenierungspraxis von Zirkuspantomimen gewesen. Eine mögliche Erklärung, warum die Aufführung von Zirkuspantomimen mit gesprochenen Dialogen gerade in den 1910er Jahren in Berlin derart umstritten war, könnte mit polizeiinternen Veränderungen zu tun haben.462 Im Jahr 1909 wurde der erzkonservative Traugott von Jagow zum Berliner Polizeipräsidenten ernannt.463 Zugleich wurde eine Polizeiabteilung (Abteilung VIII) eigens für die Theater- und Filmzensur eingerichtet, an deren Spitze Curt Karl von Glasenapp stand, der bereits die nach 1900 neu gegründete Unterabteilung für Theaterangelegenheiten geleitet hatte.464 Dem Berliner Oberzensor wurden zwar gute Beziehungen zur Gemeinschaft der Theaterautor:innen und Verständnis für ihre Anliegen nachgesagt, doch darüber, wie er und sein Vorgesetzter Jagow zu Theaterformen wie dem Zirkus standen, ist nichts Näheres bekannt.465
Womöglich waren aber auch steuertechnische Fragen der Grund für die Auseinandersetzungen über die Nutzung von Sprache auf den Zirkusbühnen beziehungsweise den Erhalt einer vollen Theaterkonzession. Denn stehende Theater, die der „Ausübung der Kunst“ dienten, konnten wie gesehen von der Gewerbesteuer befreit werden.466 Paul Busch betonte in seinem Schreiben vom April 1911 an das Berliner Polizeipräsidium, dass er bereits ein Jahr zuvor einen sogenannten Kunstschein beantragt habe.467 Ein solcher Schein diente wie erwähnt als Beleg für das Vorhandensein eines ‚höheren Kunstinteresses‘ und damit auch als Legitimation für eine vollumfängliche Konzession nach Paragraf 32 (RGO). Busch brachte in dem Brief sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, warum beim Zirkus, anders als beim ‚Theater‘, angeblich kein ‚höheres Kunstinteresse‘ obwalten könne: „Ich kann nicht einsehen, weshalb die Voraussetzungen für die Erteilung eines Kunstscheines nicht auch für denjenigen zutreffen sollen, welcher kein eigentliches Theater besitzt […].“468 Doch die preußischen Behörden ließen sich nicht überzeugen. „Zirkusvorstellungen bieten kein höheres Kunstinteresse“,469 lautete denn auch der Titel eines Artikels aus dem Berliner Börsen-Courier vom 7. Juli 1911, in dem eine Gerichtsentscheidung des Berliner Kammergerichts im Zusammenhang mit einem Gastspiel von Circus Busch im preußischen Stettin besprochen wurde:
Ohne Rechtsirrtum sei verneint worden, daß es sich um Darbietungen von höherem Kunstinteresse handelte; an und für sich könnten zwar auch pantomimische Darbietungen von höherem Kunstinteresse sein, es genüge aber für die Beurteilung, daß andere Darbietungen ohne höheres Kunstinteresse gewesen seien.470
Die Theaterpolizeiakten geben über das Gerichtsurteil zu Protokoll, dass Paul Buschs Argumentation, „ähnliche Aufführungen“ würden „auch an Theatern stattfinden“, nicht überzeugt hätte.471 Denn
wenn solchen Theatern zugebilligt werde, daß bei ihnen ein höheres Kunstinteresse obwalte, so geschehe dies nicht auf Grund der pantomimischen Ballettaufführungen, sondern wegen ihrer sonstigen Leistungen. Auch ein wissenschaftliches Interesse wohne den Pantomimen [des Zirkus, Anm. M. H.] nicht bei. Die Leitung des Zirkus Busch möge bemüht sein, den Stil und Charakter des dargestellten Landes, Volkes und Zeitalters möglichst zutreffend wiederzugeben. Gleichwohl sei weder für den Veranstalter noch für die Besucher der Wunsch, völkerkundliche und geschichtliche Kenntnisse zu verbreiten oder zu erwerben, das bestimmende Motiv.472
Wäre Circus Busch mit einem Kunstschein ein ‚höheres Kunstinteresse‘ zugestanden worden, hätte er von der Entrichtung der Gewerbesteuer befreit werden müssen. Durch die 1913 in Berlin eingeführte Lustbarkeitssteuer – die im dritten Kapitel noch ausführlich besprochen wird – wurden solche Kunstscheine für die Zirkusse noch dringlicher.
In den Theaterpolizeiakten lassen sich Belege dafür finden, dass Paul Busch in den Jahren 1922 und 1923 erneut darauf hinzuwirken versuchte, sein Unternehmen als „künstlerisch hochstehend“ anerkannt zu bekommen.473 Im Sommer 1922 erstellte ein offizieller Sachverständiger, der Syndikusrechtsanwalt des Deutschen Bühnenvereins Paul Felisch, auf Bitten des Zirkusdirektors ein Gutachten über die Inszenierungen von Circus Busch. In seinen Ausführungen „über den künstlerischen Wert der Aufführungen“ betonte Felisch, dass das Zirkusunternehmen „eine Steuerermässigung nur dann erwarten [darf], wenn seine Veranstaltungen sowohl künstlerisch hochstehende […] sowie solche sind, bei denen ein höheres Kunstinteresse […] anzuerkennen ist.“474 Felisch gelangte zu folgendem Schluss:
Der Circus Busch hat einen neuen Typus künstlerischer Veranstaltungen geschaffen, deren Wesen deshalb mit einer gewissen Notwendigkeit verkannt wurde, weil sie sehr wenige ihres Gleichen haben, und weil diese eigenartige Entwickelung eines Einzelbetriebes den Behörden im Großen und Ganzen entgangen ist […].475
Dieses Versäumnis habe mit den pauschalen Vorurteilen gegenüber dem Zirkus zu tun, wobei Felisch 1922 als bemerkenswert festhielt, dass die „Wandertheater längst von den alten Vorurteilen“ befreit worden seien, da viele von ihnen inzwischen einen Kunstschein besäßen. Auf dem Zirkus hingegen laste „selbst dann, wenn er sesshaft geworden ist, der alte Fluch aus der Väterzeit.“476 Der Syndikus des Deutschen Bühnenvereins führte weiter aus:
Man ist daran gewöhnt, bei der Einteilung unserer Vergnügungsstätten den Circus in einem gewissen Gegensatz zum Theater […] zu bringen, und fühlt sich geneigt, ihn im allgemeinen auf die gleiche Stufe mit Varietés, Schaustellungen aller Art und ähnlichen Veranstaltungen zu stellen. Man nimmt ihn nicht ernst. […] In Berlin ist er so bodenständig und so zum Charakterbilde der Hauptstadt gehörig, dass man sich diese ohne den Circus Busch kaum denken kann. Sein Fehler ist, dass er immer noch die alte Bezeichnung Circus beibehalten hat. Hätte er sie gewechselt, so würde er wahrscheinlich viele Unerfreulichkeiten aus dem Wege gegangen sein, die ihn heut belasten.477
Circus Busch sollte Paul Felisch zufolge eine Steuerreduktion erhalten.478 Doch auch dieses Expertengutachten führte nicht zu einem Umdenken der Berliner Theaterpolizei, wie ein Schriftwechsel zwischen der GDBA und dem Polizeipräsidium aus dem darauffolgenden Jahr belegt.479
Ob sich Paul Busch und Albert Schumann ernsthaft für eine Anerkennung ihrer Darbietungen als ‚höhere Kunst‘ interessierten oder ob sie sich – neben dem Ziel, Pantomimen mit Dialogen inszenieren zu dürfen – nicht vielmehr aus finanziellen Gründen darum bemühten, ist fraglich. Denn Anerkennung seitens des Publikums erhielten sie ohnehin, dafür benötigten sie keine vollumfängliche Konzession nach Paragraf 32 (RGO).
***
Am 18. Dezember 1901 hielt Kaiser Wilhelm II. in Berlin anlässlich der Einweihung eines Denkmals in der Siegesallee eine Rede mit dem Titel „Die wahre Kunst“. Was Kunst sei und was nicht, dafür fand der deutsche Kaiser deutliche Worte:
Eine Kunst, die sich über die von Mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr, sie ist Fabrikarbeit, ist Gewerbe, und das darf Kunst nie werden. […] Wer sich aber von dem Gesetz der Schönheit und dem Gefühl für Ästhetik und Harmonie, die jedes Menschen Brust fühlt, ob er sie auch nicht ausdrücken kann, loslöst und in Gedanken in einer besonderen Richtung, einer bestimmten Lösung mehr technischer Aufgaben die Hauptsache erblickt, der versündigt sich an der Urquelle der Kunst. Aber noch mehr: Die Kunst soll mithelfen, erzieherisch auf das Volk einzuwirken, sie soll auch den unteren Ständen nach harter Arbeit die Möglichkeit geben, sich an den Idealen wieder aufzurichten. Das kann sie [die Kultur, Anm. M. H.] nur, wenn die Kunst die Hand dazu bietet, wenn sie erhebt, statt daß sie in den Rinnstein niedersteigt.480
Dieser Redeauszug zeigt sehr klar, welchen Zweck Kunst nach Meinung eines hohen Vertreters des Ancien Régime zu erfüllen hatte. Laut Wilhelm II. benötigte „[d]er rechte Künstler“ weder „Marktschreierei“ noch „Presse“.481 Denn „[d]ie Kunst, die zur Reklame heruntersteigt, ist keine Kunst mehr, mag sie hundert- und tausendmal gepriesen werden.“482 Diese Unvereinbarkeit von Kunst und gewerblicher Vermarktung, oder, anders formuliert: die Kategorisierung derjenigen künstlerischen Praxen als Nicht-Kunst, die als kommerziell galten,483 deckte sich mit den Wertemaßstäben des Bürgertums. Ähnliches gilt für die auch aus den stenografischen Berichten der Reichstagsdiskussionen bekannte Vorstellung, dass ‚wahre‘ Kunst „erzieherisch“ und erhebend zu wirken habe.484 Dieser vom bürgerlichen Bildungsideal und Leistungsethos geprägte Kulturbegriff hatte hegemonialen Charakter und war auch für die nicht-bürgerlichen Milieus prägend.485 Wie im zurückliegenden Kapitel gesehen, fanden die Verfechter:innen und Vertreter:innen des Literaturtheaters im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vor allem im rechten Lager des Reichstags beziehungsweise in den konservativen Regierungskreisen Verbündete für ihre Anliegen. In den Absichten der Literaturtheater-Lobby sahen zahlreiche Politiker willkommene Möglichkeiten, basierend auf ihren Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen regulierend in das Theaterleben einzugreifen.
In einem Anfang 1905 von der Berliner Theaterpolizei erstellten Verzeichnis der örtlichen Theaterspielstätten wurden 130 Veranstaltungsorte erfasst. Dazu zählten unter anderem das Königliche Opernhaus (ohne Konzession), 15 Spielstätten mit einer Konzession nach Paragraf 32 (RGO), 67 mit einer Konzession nach Paragraf 33a (RGO) sowie 47 mit einer sogenannten Doppelkonzession (nach §§ 33a und 32 RGO). Zu letzterer Kategorie gehörten neben den beiden Zirkusspielstätten Circus Busch und Circus Schumann im Markthallenzirkus auch die großen Berliner Varietés wie der Wintergarten oder das Apollo-Theater. Obwohl nicht bei allen eingetragenen Spielstätten die Anzahl der Plätze vermerkt wurde, zeichnet sich ein deutliches Bild ab: Die 15 Literaturtheater-Spielstätten (§ 32 RGO) verfügten über rund 18 Prozent der insgesamt etwa 100’900 Plätze, die 67 Spielstätten mit einer Konzession nach Paragraf 33a (RGO) über circa 22 Prozent und die doppelt konzessionierten über 60 Prozent der Plätze.486
Das Bildungs- und Literaturtheater nahm in Berlin um 1900 hinsichtlich der Spielstätten und Platzkapazitäten also verhältnismäßig wenig Platz ein. Und hohe Platzkapazitäten bedeuteten auch Publikumserfolg, denn die Betriebe mussten sich rentieren. Doch auf einer diskursiven und realpolitischen Ebene war die Literaturtheater-Lobby dennoch stark. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollten, wie im folgenden Kapitel zu sehen sein wird, die jahrzehntelangen Kämpfe des DBV, der GDBA sowie weiterer Bühnenorganisationen Früchte tragen. Die Literaturtheater-Spielstätten konnten durch Kommunalisierung und Verstaatlichung den verhassten ‚Geschäftstheater‘-Status zunehmend ablegen. Damit wurden sie zu ‚hoher‘ Kunst und öffentlicher Bildung verpflichteten Institutionen – sie kamen also in der sogenannten Hochkultur an.487
In Frankreich wurde sie als La liberté des théâtres zu Beginn des Jahres 1791 eingeführt, jedoch unter der Herrschaft Napoleons wieder zurückgenommen (vgl. Andreas Kotte, „Theaterfreiheit und Theaterverbote“, in: ders. u. a. (Hg.): Theaterfreiheit – Wunsch oder Wirklichkeit?, Bern: Peter Lang, 1995, S. 9–24, hier S. 21 f.)
Vgl. ebd.; Koslowski, Stadttheater, S. 62 f.; Rübel, Geschichte der GDBA, S. 27.
Bereits im zeitgenössischen Diskurs wurden die liberalisierten Gewerbegesetze mit der Theaterfreiheit gleichgesetzt. Dies wird etwa anhand einer Debatte im Reichstag deutlich, bei der im November 1871 die Einführung der Gewerbeordnung in den süddeutschen Staaten Württemberg und Baden diskutiert wurde. Der nationalliberale Abgeordnete Otto Elben äußerte sich dabei wie folgt: „Hier in Berlin hat man Gelegenheit, ein Gut schätzen zu lernen, welches uns bis jetzt im Süden fehlt, das ist die Theaterfreiheit.“ Zudem verwies Elben darauf, dass in Stuttgart nur ein Theater bestehe und „dass alle Versuche, die Konzession zu einem zweiten Theater zu erhalten, gescheitert sind.“ (Verhandlungen des Reichstags, 16. Sitzung, 07.11.1871, in: RTP, S. 163–177, hier S. 166). In diesem Fall wurde die Zugänglichkeit zu Konzessionen mit Theaterfreiheit gleichgesetzt. Dass jedoch bei anhaltender Theaterzensur de facto nicht von Theaterfreiheit die Rede sein konnte, hatte bereits der Abgeordnete der Deutschen Fortschrittspartei Franz Duncker in einer Verhandlung des Reichstages des Norddeutschen Bundes im April 1869 festgestellt: „[…] wenn man die Preußische Verfassung ansieht, so sollte man meinen, in Ansehung des Theaters müßte die größte Freiheit existiren, denn die Bestimmungen im Artikel 27 und 29 der Preußischen Verfassung scheinen so ausreichende Freiheiten zu gewähren, daß man gar nicht begreifen kann, wie eigentlich daneben noch eine Theatercensur besteht.“ (Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 351).
Eine Ausnahme stellt Wolfgang Jansen dar, der in seiner Publikation zur Geschichte des Varietés die theatergesetzlichen Einschränkungen für bestimmte Theaterformen nach 1869 bespricht (vgl. Jansen, Varieté, S. 66–70). Auch Stefan Koslowski streift die erneute Einschränkung der Theatergesetze ab 1880 in seiner Studie (vgl. Koslowski, Stadttheater, S. 63). Der Theaterwissenschaftler und GDBA-Experte Joachim Rübel geht zwar näher auf die Gesetzesrevisionen ab 1880 ein, erachtet diese aber (im Sinne der Aufwertung und Anerkennung des Schauspieler:innenstandes) als notwendig (vgl. Rübel, Geschichte der GDBA, S. 81–85).
Verordnung über die veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden in der Preußischen Monarchie, 27.10.1810, in: Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten enth. d. Verordnungen von 1810, Nr. 2 (im Folgenden zitiert als GS 1810/2), S. 3–23, hier S. 14.
GS 1810/2, S. 13.
In § 88 des Gesetzes über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe vom 07.09.1811 wird festgehalten, dass „unter unmittelbarer Genehmigung“ bestehende Hoftheater keinen Gewerbeschein benötigen (Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe, in Bezug auf das Edikt vom 2ten November 1810, wegen Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer, 07.09.1811, in: Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten enth. d. Verordnungen von 1811, Nr. 51 (im Folgenden zitiert als GS 1811/51), S. 263–280, hier S. 277).
GS 1810/2, S. 10.
Vgl. Koslowski, Stadttheater, S. 63; Kotte, Theatergeschichte, S. 346 f.; Rübel, Geschichte der GDBA, S. 27. 1808 unterstanden in Preußen kurzzeitig alle stehenden Theater dem Ministerium für Unterricht und Kultus (vgl. ebd.).
Vgl. Elisabeth Krahl, Die Entstehung der Gewerbeordnung von 1869. Jena: Neuenhahn, 1937, S. 20. Elisabeth Krahl, die 1937 eine bis heute relevante Dissertation zur Entstehung der Gewerbeordnung von 1869 verfasste, weist darauf hin, dass Jüdinnen und Juden bis 1845 vom Erwerb von Gewerbescheinen ausgeschlossen waren und erst dann eine gewerbliche Gleichberechtigung erhielten (vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 20).
Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbe-Steuer, 28.10.1810, in: Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten enth. d. Verordnungen von 1810, Nr. 9 (im Folgenden zitiert als GS 1810/9), S. 79–99, hier S. 83 f.
GS 1810/9, S. 84.
Ebd.
Ebd.
Vgl. GS 1811/51, S. 272.
GS 1811/51, S. 277.
Gesetz wegen Entrichtung der Gewerbesteuer, 30.05.1820, in: Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten enth. d. Verordnungen von 1820, Nr. 619 (im Folgenden zitiert als GS 1820/619), S. 147–164, hier S. 148.
GS 1820/619, S. 162.
Vgl. Koslowski, Stadttheater, S. 63.
Allgemeine Gewerbeordnung, 17.01.1845, in: Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1845, Nr. 2541 (im Folgenden zitiert als GS 1845/2541), S. 41–78, hier S. 46.
GS 1845/2541, S. 50.
Vgl. ebd.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 21.
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 36; Koslowski, Stadttheater, S. 62 f.
Dies wurde vom königlichen Kabinett Preußens 1854 zum wiederholten Male bestätigt (vgl. Freydank, Theater, S. 9; Jansen, Varieté, S. 63).
Vgl. Maria Sommer, „Die Einführung der Theaterzensur in Berlin“, in: Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 14 (1956), S. 32–42, hier S. 32 f. Die Polizeiverordnung ist u. a. abgedruckt in A. Brauneck, Stellung, S. 187–191; publiziert wurde sie im Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin (vgl. Angelika Hoelger, „Die Reglementierung öffentlicher Lustbarkeiten in Berlin um 1900“, in: Tobias Becker u. a. (Hg.), Die tausend Freuden der Metropole: Vergnügungskultur um 1900, Bielefeld: transkript, 2014, S. 23–42, hier S. 23).
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 41 f.; Leonhardt, Im Bann, S. 37; Walach, Polizei als Lektor, S. 262 f.
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 69.
Nach der Novemberrevolution von 1918 wurde die Theaterzensur im Juni 1919 offiziell aufgehoben und das Recht auf künstlerische Freiheit in der Weimarer Reichsverfassung verankert. Aufgehoben wurde aber genau genommen nur die präventive Zensur. Die Polizei konnte weiterhin – wenn auch mit weniger umfassenden Befugnissen – auch während der Weimarer Republik noch ins Theatergeschehen eingreifen. Beispielsweise nutzten die Behörden ihre Spielräume, um gegen Theaterarbeiten mit bestimmten politischen Inhalten vorzugehen. So erhielt etwa Erwin Piscator, Mitglied der Kommunistischen Partei, für seine Inszenierungen viele polizeiliche Aufführungsverbote (vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 112–123; Hoelger, Reglementierung, S. 23; Fritz Schmidt, Die Theaterzensur und das Theateraufführungsverbot. Unv. Diss., Friedrich-Alexanders-Universität Erlangen, 1931, S. 28–42; Vanessa Rüegger, Kunstfreiheit. Basel: Helbing Lichtenhahn, 2020, S. 21, 30).
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 60–66; Heinrich Houben, Polizei und Zensur. Längs- und Querschnitte durch die Geschichte der Buch- und Theaterzensur. Berlin: Gersbach, 1926, S. 99.
Peter J. Tettinger u. a., Gewerbeordnung (GewO). Kommentar. München: Beck, 82011 [1960], S. 711.
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 26 f.; Elke Kehr, „Wanderbühne“, in: Manfred Brauneck / Gérard Schneilin (Hg.), Theaterlexikon, Bd. 1: Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, Reinbek: Rowohlt, 2007, S. 1179–1182, hier S. 1180 f.
Hier wird bewusst nur die männliche Form verwendet, da der DBV bis 1918 ausschließlich aus Männern bestand. Bis zu dem Zeitpunkt war er außerdem auch stark aristokratisch geprägt.
Vgl. Lennartz, Theater, S. 7, 22 f., 40.
Eduard Devrient, „Die Vorstellung des Vereins Deutscher Bühnen-Vorstände über die Nothwendigkeit einer staatlichen Organisation der Deutschen Theater und über deren Ausführung“, in: Deutsches Theater-Archiv und offizielles Geschäftsblatt des Deutschen Bühnen-Vereins sowie Anzeiger der Perseverantia 3.37 (1860), S. 367–370, hier S. 369. Vgl. auch Linhardt, Reichstheatergesetz, S. 254–257. Bereits 1848 hatte der Leiter des preußischen Kultusministeriums Adelbert von Ladenburg (unter anderem mit Unterstützung von Eduard Devrient) einen Entwurf für ein allgemeines Theatergesetz für Preußen erarbeitet, demzufolge die Schauspielunternehmungen staatliche Unterstützung und Anerkennung erhalten sollten. Doch Ladenburg wurde 1850 gestürzt und das Gesetz nicht eingeführt (vgl. Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 135).
Devrient, Vorstellung, S. 368.
Devrient, Vorstellung, S. 367.
Vgl. Devrient, Vorstellung, S. 368–370. Bereits 1851 war in Preußen ein Theatergesetzentwurf diskutiert worden, mit dem das Theater dem Kultusministerium unterstellt bzw. als Bildungsinstitution anerkannt worden wäre – die Einführung scheiterte jedoch an einem politischen Kurswechsel (vgl. Bernd Wagner, Fürstenhof und Bürgergesellschaft. Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation von Kulturpolitik. Essen: Klartext, 2009, S. 351 f.).
Devrient, Vorstellung, S. 368.
Devrient, Vorstellung, S. 370.
Ebd. In Preußen wurden im Zuge der Liberalisierung des Konzessionswesens im Verlauf des 19. Jahrhunderts häufig im Zusammenhang mit gastronomischen Einrichtungen oder Bierbrauereien sogenannte Sommertheater gegründet. Diese boten meist Lustspiele, Possen und musikalische Darbietungen (vgl. Sommer, Einführung der Theaterzensur, S. 33).
Devrient, Vorstellung, S. 370.
Vgl. Lennartz, Theater, S. 21 f., 105; Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 111; Rübel, Geschichte der GDBA, S. 36–38.
Frauen wurden erst ab 1908 zu den Delegiertenversammlungen und in den Organen der Genossenschaft zugelassen.
Vgl. Rübel, Geschichte der GDBA, S. 61.
Vgl. Rübel, Geschichte der GDBA, S. 54.
Dies geht aus dem im Frühjahr 1871 anonym in Viktor Kölbels Allgemeiner Theater-Chronik veröffentlichten Schreiben des Schauspielers Ludwig Barnay hervor. Barnays Äußerungen stießen auf ein breites Echo und fanden in der Gründung der GDBA ihre Konkretisierung (vgl. Rübel, Geschichte der GDBA, S. 54 f.).
Vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 173, 215.
Neuer Theater-Almanach 1903, S. 173.
Rübel, Geschichte der GDBA, S. 63, FN 2.
Vgl. Lennartz, Theater, S. 24, 107.
Vgl. Rübel, Geschichte der GDBA, S. 36–40, 53–60.
Linhardt, Reichstheatergesetz, S. 254.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 20 f.
Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 67–100.
Der Begriff ‚Manchesterliberalismus‘ bezeichnet eine politische Strömung und Freihandelsbewegung, deren Beginn auf die Gründung der Anti-Corn Law League (eine Vereinigung, die sich für die Abschaffung von Getreidezöllen einsetzte) in der englischen Stadt Manchester 1831 zurückdatiert wird (vgl. o. A., „Manchestertum, Manchesterkapitalismus“, in: Der Brockhaus. Wirtschaft. Betriebs- und Volkswirtschaft, Börse, Finanzen, Versicherungen und Steuern. Überarb. Aufl., Mannheim: Brockhaus, 22008, S. 385).
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 32 f.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 231–251, 864–873.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 65 f. Im Kaiserreich wurden einzelne Tätigkeitsbereiche aus dem Reichskanzleramt ausgegliedert und eigenständigen obersten Reichsbehörden, den sogenannten Reichsämtern, zugeordnet. Das Reichskanzleramt selbst erhielt 1879 den Namen Reichsamt des Innern.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 64–69, 72, 92. Der Bundesrat formulierte in der Begründung zum ersten Entwurf der Gewerbeordnung vom 7. April 1868: „In den Staaten des Norddeutschen Bundes ist theils eine auf der Grundlage der Gewerbefreiheit beruhende Gewerbe-Gesetzgebung im wesentlichen schon durchgeführt, theils befindet sich die Gewerbe-Gesetzgebung in einem Uebergangszustande zur Gewerbefreiheit, theils besteht die Zunftverfassung noch fort.“ (Motive des Bundesrats zum beschlossenen Entwurf der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 07.04.1868, in: RTP, S. 124). Eine für den gesamten Staatenbund geltende Gewerbeordnung sollte eine Vereinheitlichung beziehungsweise eine Anpassung an die politisch-administrativen Verhältnisse Preußens schaffen.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 76.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 78 f.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 65. Außerhalb des Parlaments setzte sich aus Sorge vor einem steigenden Wettbewerbsdruck insbesondere die Handwerkerbewegung gegen die Liberalisierung der Gewerbegesetze im Bundesgebiet ein, jedoch ohne Erfolg (vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 73; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 353).
Vgl. Entwurf der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 07.04.1868, in: RTP, S. 111–129.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 79.
Vgl. den vom Bundesrat beschlossenen Entwurf der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 04.03.1869, in: RTP, S. 94–141.
Vom Bundesrat beschlossener Entwurf der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 04.03.1869, in: RTP, S. 97.
Motive des Bundesrats zum beschlossenen Entwurf der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 07.04.1868, in: RTP, S. 125.
Vgl. Motive des Bundesrats zum beschlossenen Entwurf der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 07.04.1868, in: RTP, S. 128; den vom Bundesrat beschlossenen Entwurf der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 07.04.1868, in: RTP, S. 114. Der Entwurf von 1868 basiert offenkundig auf der preußischen Gewerbeordnung von 1845. Darin regelte Paragraf 47 den Zugang zu Schauspiel-Konzessionen nach Prüfung von sittlicher Zuverlässigkeit und Bildung (vgl. GS 1845/2541, S. 50).
Abänderungsanträge zu dem Entwurf der Gewerbe-Ordnung, 13.04.1869, in: RTP, S. 320.
Ebd.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 356.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 351.
Andreas Kotte macht darauf aufmerksam, dass der Begriff ‚Schaubühne‘ ab dem 18. Jahrhundert synonym für das auf dramatischen Texten basierende bürgerliche Bildungstheater verwendet und als das ‚wahre‘ Theater verstanden wurde (vgl. Kotte, Theatergeschichte, S. 289).
Ebd.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 352.
Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 353. Friedrich Schiller hielt 1784 eine Rede mit dem Titel „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet [oder: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?]“, in der er das Theater als bildende und ästhetisch nährende Tugendschule definierte (vgl. Friedrich Schiller, „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? [1784]“, in: ders., Sämtliche Werke. Hg. von Hans-Günther Thalheim, 10 Bde., Berlin: Aufbau Verlag, 2005, Bd. 8: Philosophische Schriften, S. 84–97).
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 351–354.
Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 353.
Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 789.
Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 354.
Vgl. ebd.
Ebd. Um das Schlagwort ‚Materialismus‘ entspann sich in der Debatte ein Streit zwischen den Abgeordneten Hermann Wagener von der Konservativen Partei und dem Nationalliberalen Karl Braun. Wagener machte die „materielle Richtung der Zeit“ (ebd.) – gemeint war damit der Industriekapitalismus inklusive der ihn begleitenden gesellschaftlichen Veränderungen – mitverantwortlich für die Missstände im Theaterwesen. Braun erwiderte darauf: „Seitens des Herrn Abgeordneten für Neustettin hören wir fortwährend Anklagen gegen den gegenwärtigen Zustand der wirthschaftlichen und bürgerlichen Gesellschaft; einmal ist ihm die Gesellschaft nicht ätherisch genug, sie ist ihm zu grob materiell, dann macht ihm das Kapital allerlei Bewegungen, die ihm nicht gefallen; dann erhebt er heftige Anklagen gegen das ‚ungezügelte Kapital‘ und kündigt an, er wolle ihm seine ‚Wege vorschreiben‘.“ (Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 355.)
Ebd.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 352–353.
Der abwertende Begriff ‚Offenbachiaden‘ verweist auf die gängige zeitgenössische und tendenziell eher negative Rezeption der Bühnenkompositionen Jacques Offenbachs (1819–1880) durch bildungsbürgerliche und literarische Intellektuelle. Seine Werke wurden mit Unterhaltungs- und Tanzmusik sowie mit Ausstattungsluxus assoziiert. (Vgl. Hermann Hofer, „Offenbach, Jacques. 2. Rezeption“, in: Ludwig Fischer (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Personenteil, Bd. 12: Mer-Pai. 2. neubearbeite Ausg., Kassel: Bärenreiter, 2004, S. 1330–1331, hier S. 1330).
Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 355.
Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 26.05.1869, in: RTP, S. 723–737, hier S. 727.
Vgl. auch Koslowski, Stadttheater, S. 64.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 41.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 40 f.
Gesichtet wurden folgende Zeitungen unterschiedlicher politscher Ausrichtung: Berliner Börsen-Zeitung (bürgerlich-liberal mit ausführlichem Kulturteil), Berliner Tageblatt (bürgerlich-liberal), Spenersche Zeitung (traditionell-preußisch), Königlich Preußischer Staats-Anzeiger (amtliches Nachrichtenblatt), Neue Preußische Zeitung – später in Kreuzzeitung umbenannt (konservativ-monarchistisch), Norddeutsche Allgemeine Zeitung – später in Deutsche Allgemeine Zeitung umbenannt (konservativ, Bismarck-nah), Vossische Zeitung (liberal, offiziös).
Ludwig Hahn [unter dem Pseudonym „ein Staatsbeamter“], Das deutsche Theater und seine Zukunft, Berlin: Wilhelm Hertz, 1876, S. 27.
Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, herausgegeben im Büreau des Minsteriums des Innern, 30. Jg., Nr. 225, 30.09.1869 (im Folgenden zitiert als MBl. 1869, Nr. 225), S. 200–213, hier S. 201.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 92 f.; MBl. 1869, Nr. 225, S. 200–213.
Vgl. GS 1820/619, S. 147–164; GS 1845/2541, S. 44.
Verhandlungen des Reichstags, 31. Sitzung, 30.04.1869, in: RTP, S. 691–719, hier S. 691. Friedenthal verwies dabei auf Karl von Holtei.
Ebd.
Ebd.
Verhandlungen des Reichstags, 31. Sitzung, 30.04.1869, in: RTP, S. 691–719, hier S. 709.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Verhandlungen des Reichstags, 31. Sitzung, 30.04.1869, in: RTP, S. 691–719, hier S. 710. Laut der Historikerin Angelika Hoelger wurden Bedürfnisprüfungen in Preußen seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts in Zusammenhang mit Gewerbezulassungen von Schankwirtschaften vorgenommen. Ab den 1840er Jahren wurde die Bedürfnisfrage auch bezüglich der Konzessionierung von Theaterspielstätten gestellt (vgl. Hoelger, Reglementierung, S. 27–37). Der Autorin zufolge lag „[d]er Bedürfnisfrage die Annahme zugrunde, dass es umso seltener zu Ausschweifungen kommen würde, je weniger Einrichtungen existierten und Gelegenheiten geboten würden. Das Hauptaugenmerk dieser Kontrollpolitik lag eindeutig auf der Disziplinierung der städtischen Unterschichten […]“ (Ebd., S. 27 f.).
Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 21.06.1869, in: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1869, Nr. 26, S. 245–282, hier S. 258 f.
RGO 1869, S. 260.
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 59.
Die Bedürfnisfrage wurde für Paragraf 32 (RGO) während des Ersten Weltkrieges im Jahr 1917 auch noch eingeführt, sollte sich aber – wie an späterer Stelle zu sehen sein wird – als mehr oder minder irrelevant erweisen.
RGO 1869, S. 260.
Vgl. Karl Ludwig Schecher, Gewerbepolizeirecht des Deutschen Reichs. Tübingen: Mohr Siebeck, 1910, S. 97.
RGO 1869, S. 258.
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 42; Robert von Landmann, Die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich nach der Fassung vom 01.07.1883, unter Berücksichtigung der Materialien der Gesetzgebung, der Entscheidungen der deutschen Gerichtshöfe und der Litteratur, erläutert und mit den Vollzugsvorschriften. Nördlingen: Beck, 1884, S. 241.
Justiz-Ministerialblatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, Nr. 47, 15.10.1878, (im Folgenden zitiert als JMBl. 1878, Nr. 47), S. 195.
GS 1820/619, S. 162.
Verhandlungen des Reichstags, 31. Sitzung, 30.04.1869, in: RTP, S. 691–719, hier S. 709.
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 40; Leonhardt, Im Bann, S. 32. Akten über die Königlichen Theater wurden bei der Berliner Polizei trotzdem geführt (vgl. Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 611–632, Landesarchiv Berlin). Sie dokumentieren jedoch vor allem die Korrespondenz zwischen Theaterleitung und Polizei über bauliche Maßnahmen.
Vgl. Paul Wölbing, Berliner Stadtrecht, Ein Handbuch des Verwaltungsrechtes der Stadt Berlin. Berlin: Guttentag, 1911, S. 168.
Vgl. Wölbing, Berliner Stadtrecht, S. 36.
Vgl. Wölbing, Berliner Stadtrecht, S. 45.
Hier wird bewusst nur die männliche Form verwendet, da das aktive und passive Frauenwahlrecht erst im November 1918 eingeführt wurde.
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 28.
Verhandlungen des Reichstags, 18. Sitzung, 13.04.1869, in: RTP, S. 346–360, hier S. 354.
Oscar Blumenthal, Theatralische Eindrücke. Berlin: Hofmann, 1885, S. 345 f.
Vgl. Lennartz, Theater, S. 106; Rübel Geschichte der GDBA, S. 81 f.
Vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 57.
Vgl. Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne, Bd. 3: Geschichte des europäischen Theaters. Stuttgart: Metzler, 1999, S. 44; Rübel, Geschichte der GDBA, S. 82.
Hahn, Theater, S. 3.
Hahn, Theater, S. 42 f.
Hahn, Theater, S. 93.
Hahn, Theater, S. 41.
Hahn, Theater, S. 43.
Hahn, Theater, S. 29. Siehe auch ders., Theater, S. 29–32. Mit den Verweisen auf Eduard Devrient und Zitaten aus Schriften Heinrich Rötschers und Rudolf von Gottschalls schreibt sich Ludwig Hahn in eine bestimmte Denktradition ein und führt diese fort. Heinrich Rötscher war unter anderem Herausgeber der klassizistisch orientierten Fachzeitschrift Jahrbücher für dramatische Kunst und Literatur, der konservativ-klassizistische Germanist Rudolf von Gottschall erlangte Bekanntheit durch die mehrfach aufgelegte Schrift Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1855) (vgl. Kotte, Theatergeschichte, S. 347 f.; Helmuth Widhammer, Die Literaturtheorie des deutschen Realismus (1848–1860). Stuttgart: Metzler, 1977, S. 9, 19, 45 f., 80). Hahn zitiert unter anderem Gottschalls Theaterstreitschrift Das deutsche Theater der Gegenwart.
Hahn, Theater, S. 101.
Vgl. Hahn, Theater, S. 99 f.
Vgl. Devrient, Vorstellung, S. 368.
Berliner Börsen-Zeitung, 06.11.1877, S. 77.
Ebd.
Neuigkeits-Welt-Blatt, 20.09.1878, o. S.
Ebd.
Ebd.
Maximilian Pfeiffer, Theater-Elend. Ein Weckruf. Bamberg: Bamberger Neueste Nachrichten, 1909, S. 12 f. Sich für die Anliegen der Schauspieler:innen stark machend, schreibt der Politiker: „Eine Zusammenstellung von Seiten wohlunterrichteter Bühnenangehöriger […] berechnet, daß ungefähr die Hälfte aller Bühnenangehörigen ein Jahreseinkommen von weniger als 1000 Mark hat. Diesen 50 Prozent treten weitere 20 Prozent zur Seite mit 1000–1500 Mk., weitere 20 Prozent zwischen 1500 und 3000 Mk. und nur 10 Prozent haben über 3000 Mark!“ (Pfeiffer, Theater-Elend, S. 12).
Berliner Börsen-Zeitung, 08.01.1880, S. 4.
Vgl. Generalverordnung Kreishauptmannschaft Leipzig, 04.08.1888, Bestand 20024 Kreishauptmannschaft Leipzig, Nr. 1871, Staatsarchiv Leipzig.
Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 137.
Das System der politischen Interessenvertretung entwickelte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts, wobei die Interessenverbände jedoch „erst nach der Gründung des Deutschen Reiches zu einem innenpolitischen Machtfaktor anstiegen.“ (Hans-Peter Ullmann, Interessenverbände in Deutschland. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1988, S. 114). Vgl. auch Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 335, 1042 f.
Vgl. Rübel, Geschichte der GDBA, S. 55–64. Bis 1918 waren auch Intendanten und Direktoren, die bereits eine Mitgliedschaft im DBV besaßen, als Mitglieder der GDBA zugelassen und stimmberechtigt (vgl. ders., Geschichte der GDBA, S. 61 f.).
Vgl. Rübel, Geschichte der GDBA, S. 54.
Vgl. Die deutsche Bühne, 1.4, 1 (1909), S. 61–63; Lennartz, Theater, S. 107; Karl von Perfall, Denkschrift an den Deutschen Bühnen-Verein. Rückblick auf die letzten fünfzehn Jahre. München: Wolf, 1886, S. 1–9; Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 137–147. In den Unterlagen des Reichstags ist entgegen den Angaben in den genannten Quellen für das Jahr 1880 der Eingang einer Petition des Deutschen Bühnenvereins verzeichnet (vgl. Deutscher Reichstag, Übersicht der Geschäftstätigkeit, 12.02.–10.05.1880, in: RTP, S. 1402–1407, hier S. 1406).
Rübel, Geschichte der GDBA, S. 82–84. Für das Petitionsrecht vgl. Conrad Bornhak, „Das Petitionsrecht“, in: Archiv des öffentlichen Rechts 16.3 (1901), S. 403–424; Georg Krause, Das Petitionsrecht nach dem Staatsrecht Preussens und des Reiches. Unv. Diss., Universität Greifswald, 1916; Hans Tschirch, Das Petitionsrecht in Preußen und im Reiche. Unv. Diss., Universität Greifswald, 1917.
Vgl. Rübel, Geschichte der GDBA, S. 81.
Die Bestrebungen dieser Bühnenverbände wurden im Februar 1879 auch in der Berliner Börsen-Zeitung besprochen, die sich der Beschränkung der Theatergesetze positiv gegenüberstellte (vgl. Berliner Börsen-Zeitung, 25.02.1879, S. 7). Die Petition selbst ist nicht überliefert, lediglich ihr Eingang ist in den Unterlagen des Reichstags verzeichnet (vgl. Deutscher Reichstag, Übersicht der Geschäftstätigkeit, 12.02.–12.07.1879, in: RTP, S. 2484).
Franz Krückl, Das Deutsche Theater und sein gesetzlicher Schutz. Denkschrift im Auftrage des Präsidiums der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger. Berlin: Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, 1882, S. 14. Die Publikation ist in den Theaterhistorischen Sammlungen der Freien Universität Berlin zu finden.
Krückl, Theater, S. 15. Krückl betonte, dass die Denkschrift nicht nur seine Meinung wiedergebe, sondern „eine Korporation von Tausenden von Mitgliedern legt ihre Ansichten an den Stufen des Thrones der Gesetzgebung nieder.“ (Krückl, Theater, S. 37.)
Ebd.
Krückl, Theater, S. 21.
Ebd.
Vgl. Krahl, Gewerbeordnung, S. 93 f.
Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 866, 917. Zur Bedeutung von ‚konservativ‘ bzw. ‚Konservatismus‘ bietet der Soziologe Felix Schilk eine erhellende wissenssoziologische Begriffsbestimmung: „Der soziale Ort des Konservatismus ist dort, wo einst hegemoniale Lebenswelten vom Verlust ihrer Privilegien bedroht sind und in die ‚Peripherie‘ gedrängt werden.“ (Felix Schilk, „Heroismus als Weg zur Transzendenz. Metadiskursive Religionsbezüge und apokalyptische Diskurspraxis der Neuen Rechten“, in: Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik 5 (2021), S. 445–469, hier S. 450.) Demnach entspricht der Konservatismus „als politische Ideologie“ Bestrebungen, den durch die gesellschaftlichen Veränderungen des 18. und 19. Jahrhunderts entstandenen „Verlust an lebensweltlichen Orientierungen sinnhaft zu deuten und in eine politische Bearbeitung zu überführen.“ (Ebd.)
Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 915–918, 924–926. Laut dem Historiker Hans-Ulrich Wehler fand das entsprechende Gedankengut eine breite Resonanz durch Artikelserien in den Jahren 1874/75 in der Zeitschrift Die Gartenlaube und ab 1875 in der konservativen Neuen Preußischen Zeitung (später umbenannt in Kreuzzeitung), in welchen die negativen sozialen Folgeerscheinungen des ‚Manchesterkapitalismus‘ beziehungsweise des sogenannten ‚raffenden Kapitals‘ insbesondere ‚jüdischen Drahtziehern‘ zugeschrieben wurden (vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 926).
Vgl. Rede Abg. Helldorf-Bedra in: Verhandlungen des Reichstags, 35. Sitzung, 28.04.1881, in: RTP, S. 865–887, hier S. 881 f.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1703.
Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 195. Unter ‚Kulturkampf‘ werden die staatlichen bzw. preußisch-protestantischen Maßnahmen zur Regulierung und Einschränkung der Aktivitäten der katholischen Kirche im Kaiserreich verstanden (vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 892–902). Das am 21. Oktober 1878 eingeführte ‚Sozialistengesetz‘ richtete sich gegen sozialistische, sozialdemokratische, kommunistische Aktivitäten und Vereinigungen sowie deren Versammlungen und Publikationen. Diese wurden qua Gesetz verboten, da die sozialrevolutionäre Bewegung vonseiten Bismarcks bzw. den Konservativen als staatsfeindlich und umstürzlerisch wahrgenommen und diffamiert wurde (vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 902–907).
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, hier S. 536–537.
Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, hier S. 553.
Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, hier S. 554.
Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, hier S. 556; vgl. auch mündlicher Bericht der 10. Kommission in: Deutscher Reichstag, Übersicht der Geschäftstätigkeit, 12.02.–12.07.1879, in: RTP, S. 2484.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 451; vgl. auch Deutscher Reichstag, Übersicht der Geschäftstätigkeit, 12.02.–10.05.1880, in: RTP, S. 1402–1407, hier S. 1402.
Deutscher Reichstag, Übersicht der Geschäftstätigkeit, 12.02.–10.05.1880, in: RTP, S. 1402–1407, hier S. 1406 f.
Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 452.
Vgl. Provinzial-Correspondenz, 17.03.1880, o. S.; vgl. hierzu auch Wolfgang Jansen, „Zur kulturideologischen Herkunft der Abgrenzung von U und E: Kampfbegriff ‚Tingeltangel‘“, in: Fernand Hörner (Hg.), Kulturkritik und das Populäre in der Musik, Münster: Waxmann, 2016, S. 65–82, hier S. 78.
Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 452.
Schillers Rede „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ von 1784 wurde im Folgejahr unter dem Titel „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?“ veröffentlicht (vgl. Schiller, Schaubühne).
Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, hier S. 537.
Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 458.
Berliner Tageblatt, 18.03.1880. S. 4.
Ebd.
Ebd.
Berliner Tageblatt, 18.03.1880. S. 5.
Berliner Tageblatt, 18.03.1880. S. 4.
Ebd.
Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 465.
Ebd.
Berliner Tageblatt, 27.04.1880, S. 2.
Ebd.
Ebd.
Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, hier S. 537.
Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, S. 551.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 463, 545.
Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2586.
Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, hier S. 548.
Ebd.
Verhandlungen des Reichstags, 24. Sitzung, 21.03.1879, in: RTP, S. 536–556, hier S. 544; Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, S. 455, 465.
Kurz vor Inkrafttreten des ‚Sozialistengesetzes‘ im Oktober 1878 kritisierte der Sozialdemokrat August Bebel die Polizei in einer Rede im Reichstag. Die Behörde agiere bei der Auflösung von Versammlungen willkürlich. Er sei beispielsweise daran gehindert worden, einen Vortrag zu halten, da der abgesandte Polizeibeamte die entsprechende Lokalität als zu voll und zu warm befunden habe (vgl. Verhandlungen des Reichtags, 16. Sitzung, 19.10.1878, in RTP, S. 373–386, hier S. 375). Versammlungen „von Staatsangehörigen beider Geschlechter“ (ebd.) in den Berliner Tingeltangeln sowie massenhafte Publikumsansammlungen in „den laszivsten Theateraufführungen“ (ebd.) würde die Polizei dagegen nicht verhindern. Dabei führte Bebel aus, dass „der Andrang zu den Schaustellungen im Zirkus Salamonsky so arg gewesen sei, daß eine Anzahl Besucher, und zwar vorzugsweise Damen, ohnmächtig geworden sind in Folge der Ueberfüllung und der hohen Temperatur des Saales. Wir haben nicht gehört, daß die Polizei die geringste Vorkehrung dagegen getroffen hat.“ (Ebd.) Offenbar waren also sowohl Zirkus Salamonsky (1878 noch Betreiber des Markthallenzirkus) als auch die sogenannten Tingeltangel-Spielstätten berüchtigt für ihre hohe Auslastung.
Berliner Tageblatt, 18.03.1880. S. 4 f.
Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2582.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1702.
Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 465.
Ebd.
Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 466.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1703.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1709.
Verhandlungen des Reichstags, 21. Sitzung, 17.03.1880, in: RTP, S. 451–471, hier S. 471.
Gesetz, betreffend die Abänderung des §. 32 der Gewerbeordnung, 15.07.1880, in: Reichsgesetzblatt, Bd. 1880, Nr. 18 (im Folgenden zitiert als RGBl. 1880/18), S. 179.
RGO 1869, S. 253 f.; RGBl. 1880/18, S. 179.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 3. Sitzung, 05.05.1882, in: RTP, S. 15–38.
Deutscher Reichstag, Entwurf eines Gesetzes betreffend Abänderung der Gewerbeordnung, 27.04.1882, in: RTP, S. 1–32, hier S. 1.
Deutscher Reichstag, Entwurf eines Gesetzes betreffend Abänderung der Gewerbeordnung, 27.04.1882, in: RTP, S. 1–32, hier S. 7.
Deutscher Reichstag, Entwurf eines Gesetzes betreffend Abänderung der Gewerbeordnung, 27.04.1882, in: RTP, S. 1–32, hier S. 9.
Vgl. ebd.
Ebd.
Vgl. ebd.
Krückl, Theater, S. 29. Beim Reichstag ist der Eingang der Denkschrift im Januar 1883 verzeichnet (vgl. Deutscher Reichstag, Siebentes Verzeichnis der beim Reichstag eingegangenen Petitionen, 09.01.1883, in: RTP, S. 427–431, hier S. 430).
Verhandlungen des Reichstags, 3. Sitzung, 05.05.1882, in: RTP, S. 15–38, hier S. 18.
Ebd.
Ebd.
Krückl, Theater, S. 40.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1694.
Ebd.
Krückl, Theater, S. 36.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1696.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2582.
Ebd.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2583. Bezüglich der Verwendung des Begriffs Café chantant merkte der Deutschkonservative Hans Hugo von Kleist-Retzow außerdem an: „Es ist merkwürdig, daß Sie [Abgeordnete Baumbach und Blum, Anm. M. H.], das französische Wort in unsere Gesetzgebung hineinbringen! in der That geschmacklos […].“ (Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2588).
Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2591.
Krückl, Theater, S. 40.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Krückl, Theater, S. 41.
Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2587.
Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2588.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1696.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1707.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1708 f.
Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1715.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 59. Sitzung, 06.04.1883, in: RTP, S. 1694–1718, hier S. 1701.
Ebd.
Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2583.
Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2591.
Berliner Tageblatt, 27.04.1880, S. 2.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 88. Sitzung, 28.05.1883, in: RTP, S. 2582–2597, hier S. 2597.
Gesetz, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, 01.07.1883, in: Reichsgesetzblatt, Bd. 1883, Nr. 15 (im Folgenden zitiert als RGBl. 1883/15), S. 160.
Landmann, Gewerbeordnung, S. 115. Paragraf 147 Ziffer 1 (RGO) sah eine Geld- oder eine Haftstrafe vor (vgl. Landmann, Gewerbeordnung, S. 444).
RGBl. 1880/18, S. 179.
Vgl. Lennartz, Theater, S. 108.
Vgl. Landmann, Gewerbeordnung, S. 116.
Vgl. Landmann, Gewerbeordnung, S. 117.
Landmann, Gewerbeordnung, S. 116.
Vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 44 f.
RGBl. 1883/15, S. 160.
Vgl. Landmann, Gewerbeordnung, S. 113 f.
Vgl. RGBl. 1883/15, S. 160.
RGBl. 1883/15, S. 160.
Vgl. Landmann, Gewerbeordnung, S. 140.
Das Programm, 07.04.1912, o. S.
Laut dem Kommentar von Landmann sollten die Behörden sogar prüfen, ob die Bewohner:innen des Gemeindebezirks, in dem ein Konzessionsantrag gestellt wurde, bereits regelmäßig eine Spielstätte im Nachbarbezirk besuchten, und den Antrag dann ggf. ablehnen (vgl. Landmann, Gewerbeordnung, S. 141). Späteren Ausführungsbestimmungen für Preußen ist in Bezug auf Paragraf 33a (RGO) zu entnehmen, dass „[d]ie Bedürfnisfrage nach freiem Ermessen“ zu prüfen war (Fritz Steinbach, Gewerbeordnung für das Deutsche Reich mit den Nebengesetzen und den Ausführungsbestimmungen, Ausgabe für Preußen. Neubearbeitete Ausg., München: Schweitzer, 21923, S. 54).
Vgl. Jansen, U und E, S. 80.
RGBl. 1883/15, S. 160.
Vgl. Landmann, Gewerbeordnung, S. 113.
Landmann, Gewerbeordnung, S. 138. Vgl. auch Deutscher Reichstag, Entwurf eines Gesetzes betreffend Abänderung der Gewerbeordnung, 27.04.1882, in: RTP, S. 1–32, hier S. 9.
Vgl. RGBl. 1883/15, S. 165–171; Kurt von Rohrscheidt, Gewerbeordnung für das Deutsche Reich in ihrer neuesten Fassung mit sämtlichen Ausführungsbestimmungen für das Reich und für Preußen […], Bd. 1. Berlin: Vahlen, 1912, S. 409–516.
Der Artist, 25.09.1883, o. S.
Landmann, Gewerbeordnung, S. 137.
Schreiben Hans Bronsart von Schellendorf, 23.02.1889, in: Jocza Savits, Bericht über die Resultate der Untersuchung des Nothstandes der privaten Theater-Unternehmungen und ihrer Mitglieder. Mitgetheilt im Auftrage des Central-Ausschusses der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger in der Delegirten-Versammlung am 11.12.1890 zu Berlin. Berlin: Günther, 1891, S. 8.
Jocza Savits, Bericht über die Resultate der Untersuchung des Nothstandes der privaten Theater-Unternehmungen und ihrer Mitglieder. Mitgetheilt im Auftrage des Central-Ausschusses der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger in der Delegirten-Versammlung am 11.12.1890 zu Berlin. Berlin: Günther, 1891, S. 25.
Savits, Bericht, S. 8.
Ebd.
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, Denkschrift der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger in Berlin betreffend die Uebelstände, welche bei den deutschen Theatern herrschen und die Vorschläge zur Beseitigung bezw. zur Milderung derselben. Berlin: Selbstverlag Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, 1893, o. S., Bestand 20024 Kreishauptmannschaft Leipzig, Nr. 1871, Staatsarchiv Leipzig.
Vgl. Marx / Watzka, Berlin, S. 9. In dieser Publikation sind die Stimmen von zehn (männlichen) Literaturtheater-Verfechtern, vornehmlich Theaterkritiker, versammelt. Sechs dieser Schriften aus der Zeit zwischen 1882 und 1912 geben Einblicke in die gängigen zeitgenössischen Theaterdiskurse.
Karl Pauli, Die Befreiung der Deutschen Bühne vom Drucke der Geldspekulation. Berlin: Otto Dreyer, 1887, S. 3., zit. n. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 119.
Nicht nur das Bildungs- und Literaturtheater als solches, sondern auch dessen Grundlage, das Drama, schien sich im ausgehenden 19. Jahrhundert in einer Krise zu befinden (vgl. Peter Szondi, Theorie des modernen Dramas (1880–1950). Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 21965).
Alberti, Ohne Schminke, S. 86.
Alberti, Ohne Schminke, S. 84.
Alberti, Ohne Schminke, S. 79.
Hart / Hart, Theater, S. 19.
Alberti, Ohne Schminke, S. 84.
Maximilian Harden, „Berlin als Theaterhauptstadt [1888]“, in: Peter W. Marx / Stefanie Watzka (Hg.), Berlin auf dem Weg zur Theaterhauptstadt. Theaterstreitschriften zwischen 1869 und 1914, Tübingen: Francke, 2009, S. 147–169, hier S. 151.
Vgl. Marx / Watzka, Berlin, S. 10.
Vgl. M. Brauneck, Welt als Bühne, S. 44. Das negative Bild vom Geschäftstheater ist in der Theaterwissenschaft auch heute noch anzutreffen. So ist beispielsweise bei Ruth Freydank bezüglich der Berliner Theater des späten 19. Jahrhunderts zu lesen: „Stücke wurden Massenware. Dabei blieb der künstlerische Anspruch des Geschäftstheaters auf der Strecke.“ (Freydank, Theater, S. 12) Manfred Brauneck wiederum schreibt in Die Welt als Bühne: „Die Einführung der Gewerbefreiheit im Jahre 1869 hatte zunächst zur Gründung zahlloser privater Theaterbetriebe geführt, die sich überwiegend im anspruchslosen Vergnügungsgewerbe betätigten.“ (M. Brauneck, Welt als Bühne, S. 44) Weitere Beispiele führt Leonhardt in ihrer Dissertation an (vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 16 f.). Diese bis heute vorherrschende abwertende Haltung gegenüber den Geschäftstheatern zeugt von einem normativen Theaterverständnis, das, befördert durch den Kulturindustrie-Begriff Adornos und Horkheimers, alles Gewerbliche bzw. Kommerzielle als Abwertung des ‚eigentlichen‘ Theaters bzw. der Kunst begreift (vgl. Marx / Watzka, Berlin, S. 11–15).
Max Epstein, Das Theater als Geschäft. Berlin: Juncker, o. D. [ca. 1911], S. 5 f.
Epstein, Theater als Geschäft, S. 5.
Harden, Berlin als Theaterhauptstadt, S. 151.
Harden, Berlin als Theaterhauptstadt, S. 150.
Ebd.
Harden, Berlin als Theaterhauptstadt, S. 147.
Scherl, Berlin, S. 276.
Ebd.
Walter Turszinsky, Berliner Theater, in: Großstadt-Dokumente, Bd. 29. Hg. von Hans Ostwald, Berlin: Hermann Seemann Nachfolger, 1906, S. 7.
Turszinsky, Berliner Theater, S. 8.
Marx / Watzka, Berlin, S. 14.
Zeitungsausschnitt, o. A., o. D. [ca. 1890], Archiv Friedrichstadt-Palast.
Berliner Börsen-Zeitung, 06.11.1877, S. 77.
Vgl. ebd.
Berliner Börsen-Zeitung, 19.03.1885, S. 9.
Generalverordnung Kreishauptmannschaft Leipzig, 04.08.1888, Bestand 20024 Kreishauptmannschaft Leipzig, Nr. 1871, Staatsarchiv Leipzig.
Ebd.
Vgl. ebd.
Ebd.
Ebd.
Schreiben Ernst Ludwig Herrfurth an das Polizeipräsidium, 21.07.1888, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 505, Landesarchiv Berlin. Leonhardt verweist auch auf diese Quelle, schreibt die Autorschaft jedoch fälschlicherweise dem Präsidenten der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger zu. Auch bezieht sich der Brief, anders als von Leonhardt behauptet, nicht auf die GDBA, sondern auf den DBV (vgl. Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie, S. 167 f.).
Die Generalverordnung bezieht sich dabei offenbar auf eine bei der Polizei damals ohnehin gängige Praxis. So wird im ersten Absatz der Verordnung geschildert, die Dresdner Polizeidirektion habe Gesuche von zwei verschiedenen Zirkusunternehmer:innen, die im Winter 1883/84 Vorstellungen geben wollten, „einmal unter Hinweis auf die untergeordnete Bedeutung dieser Cirkusgesellschaft, andrerseits aber auch aus dem Grunde versagt, um den dortigen Theatern […] zeitweilig eine Erleichterung mit Rücksicht darauf zu verschaffen, dass ihnen durch wiederholte und längere Konzessionierung von Cirkus-Vorstellungen während des vorübergegangenen Jahres merkliche pekuniäre Einbußen erwachsen waren.“ (Generalverordnung Kreishauptmannschaft Leipzig, 04.08.1888, Bestand 20024 Kreishauptmannschaft Leipzig, Nr. 1871, Staatsarchiv Leipzig).
Generalverordnung Kreishauptmannschaft Leipzig, 04.08.1888, Bestand 20024 Kreishauptmannschaft Leipzig, Nr. 1871, Staatsarchiv Leipzig.
Ebd.
Der Artist, 22.03.1908, o. S. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Artistik-Fachzeitschrift im Jahr 1908 stellte ihr damaliger Chefredakteur Emil Perlmann in „Ein Blick in die Vergangenheit. Kleine Auszüge aus 1000 Nummern des ‚Artist‘“ eine Reihe von besonders wichtigen Meldungen aus unterschiedlichen Ausgaben des Wochenblatts zusammen. In dem Rückblick ist auch die Meldung aus der Ausgabe vom 30. September 1888 zu finden.
Zeitungsauschnitt, Berliner Zeitung, 16.10.1888, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 505, Landesarchiv Berlin.
Vgl. ebd.
Ebd.
Schreiben Berliner Polizeipräsident vom 18.01.1889, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 505, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 147; Lennartz, Theater, S. 109.
Vgl. Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 62 f. Pollini war so berühmt-berüchtigt, dass sein Name sogar in den Reichstagsverhandlungen im Zusammenhang mit der Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) im Jahr 1896 fiel. Hermann Beckh von der Freisinnigen Volkspartei etwa meinte, dass er diesem Theaterdirektor aus sittlichen Gründen keine Theaterkonzession gewähren wolle (vgl. Verhandlungen des Reichstags, 53. Sitzung, 06.03.1896, in: RTP, S. 1255–1273, hier S. 1265).
Vgl. Lennartz, Theater; Schöndienst, Geschichte des DBV.
Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 147.
Otto Kolisch, Die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich mit den Ausführungsbestimmungen. Hannover: Helwing, 1898, S. 267.
Savits, Bericht, o. S.
Savits, Bericht, S. 13.
Vgl. Savits, Bericht, S. 15.
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger 1893, o. S., in: Bestand 20024 Kreishauptmannschaft Leipzig, Nr. 1871, Staatsarchiv Leipzig. Diese Denkschrift der GDBA aus dem Jahr 1893 ist ein Zufallsfund in den Polizeiakten des sächsischen Staatsarchivs Leipzig.
Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, 54. Jg., Nr. 42, 1893, Berlin 1894 (im Folgenden zitiert als MBl. 1894, Nr. 42), S. 104.
Vgl. ebd.
Ebd.
Vgl. Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger 1893, o. S., in: Bestand 20024 Kreishauptmannschaft Leipzig, Nr. 1871, Staatsarchiv Leipzig.
Vgl. ebd. Auch das Präsidium des DBV unterstützte diesen Vorschlag der GDBA (vgl. Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 147).
Vgl. Lennartz, Theater, S. 111; Schöndienst, Geschichte des DBV, S. 187. Laut Schöndienst hatte sich der DBV diesbezüglich vorab in einer Petition an den Reichskanzler gewandt (vgl. ebd.).
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger 1893, o. S., in: Bestand 20024 Kreishauptmannschaft Leipzig, Nr. 1871, Staatsarchiv Leipzig.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, 56. Jg., Nr. 14, 1895, Berlin 1896 (im Folgenden zitiert als MBl. 1896, Nr. 14), S. 19–20, hier S. 19 f.
Ebd.
Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, 56. Jg., Nr. 174, 1895, Berlin 1896 (im Folgenden zitiert als MBl. 1896, Nr. 174), S. 239–241, hier S. 239 f.
Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, 14.01.1896, in: RTP, S. 423–433, hier S. 426.
Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, 14.01.1896, in: RTP, S. 423–433, hier S. 427.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 25. Sitzung, 29.01.1895, in: RTP, S. 568–587.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 25. Sitzung, 29.01.1895, in: RTP, S. 568–587, hier S. 573 f.
Verhandlungen des Reichstags, 53. Sitzung, 06.03.1896, in: RTP, S. 1255–1273, hier: S. 1261.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 36. Sitzung, 10.02.1896, in: RTP, S. 849–871, hier S. 855; Verhandlungen des Reichstags, 53. Sitzung, 06.03.1896, in: RTP, S. 1255–1273, hier S. 1259–1262.
Verhandlungen des Reichstags, 53. Sitzung, 06.03.1896, in: RTP, S. 1255–1273, hier S. 1258.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 36. Sitzung, 10.02.1896, in: RTP, S. 849–871, hier S. 862.
Anlässlich der ausführlicheren Besprechung der Einschränkung des Paragrafen 32 (RGO) am 6. März 1896 war Albert Bürklin jedoch dann aufgrund von Krankheit abwesend.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 36. Sitzung, 10.02.1896, in: RTP, S. 849–871, hier S. 859.
Verhandlungen des Reichstags, 36. Sitzung, 10.02.1896, in: RTP, S. 849–871, hier S. 860.
Ebd.
Verhandlungen des Reichstags, 53. Sitzung, 06.03.1896, in: RTP, S. 1255–1273, hier S. 1266.
Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 53. Sitzung, 06.03.1896, in: RTP, S. 1255–1273, hier S. 1273.
Verhandlungen des Reichstags, 53. Sitzung, 06.03.1896, in: RTP, S. 1255–1273, hier S. 1261.
Verhandlungen des Reichstags, 53. Sitzung, 06.03.1896, in: RTP, S. 1255–1273, hier S. 1259.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Deutsche Bühnen-Genossenschaft, 13.03.1896, o. S.
Gesetz, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, 06.08.1896, in: Reichsgesetzblatt Bd. 1896, Nr. 27, (im Folgenden zitiert als RGBl. 1896/27) S. 685–690, hier S. 685 f.
MBl. 1896, Nr. 174, S. 166.
Rohrscheidt, Gewerbeordnung, S. 154; vgl. auch ders., Gewerbeordnung, S. 153–157.
Zit. n. A. Brauneck, Stellung, S. 187.
Zit. n. Leonhardt, Im Bann, S. 36. Vgl. auch Kurt Kleefeld, Die Theaterzensur in Preussen. Berlin: Struppe & Winckler, 1905, S. 4 f.
Vgl. Bekanntmachung über den Bedürfnisnachweis für Schauspielunternehmen, 03.08.1917, in: Reichsgesetzblatt Bd. 1917, Nr. 142 (im Folgenden zitiert als RGBl. 1917/142), S. 681; RGBl. 1896/27, S. 685 f.; Rübel, Geschichte der GDBA, S. 83.
Vgl. Robert von Landmann / Gustav Rohmer, Gewerbeordnung. Kommentar, Bd. 1. Neubearbeitet von Erich Eyermann und Ludwig Fröhler, München: C.H. Beck, 111956 (1883); Harald Sieg / Werner Leifermann, Gewerbeordnung. Kommentar. Erg. u. verb. Aufl., München: C.H. Beck, 21966 [1960].
Tettinger u. a., Gewerbeordnung, S. 334.
Deutsche Bühnen-Genossenschaft, 10.02.1899, S. 65.
Deutsche Bühne, 25.04.1911, S. 113. Vgl. auch Gesetz betr. die Besteuerung des Gewerbebetriebes im Umherziehen und einige Abänderungen des Gesetzes wegen Entrichtung der Gewerbesteuer vom 30.05.1820, vom 03.07.1876 (abgedruckt in: Rohrscheidt, Gewerbeordnung, S. 1026–1034); Gewerbesteuergesetz vom 24.06.1891, Text-Ausgabe mit Anmerkungen und Sachregister. Bearb. v. Arthur Fernow. Berlin: Guttentag, 1899.
Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, 56. Jg., Nr. 117, 1895, Berlin 1896 (im Folgenden zitiert als MBl. 1896, Nr. 117), S. 169.
Ebd.
Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, 58. Jg., Nr. 93, 1897, Berlin 1897 (im Folgenden zitiert als MBl. 1897, Nr. 93), S. 113.
Ebd.
Preußisches Verwaltungs-Blatt, 20. Jg., Oktober 1898 bis September 1899, Berlin 1899 (im Folgenden zitiert als PrVBl. 1899), S. 36.
Ebd.
Vgl. ebd.
Preußisches Verwaltungs-Blatt, 23. Jg., Oktober 1901 bis September 1902, Berlin 1902 (im Folgenden zitiert als PrVBl. 1902), S. 151.
Ebd.
Ebd.
Paul Felisch, Gutachten über den künstlerischen Wert der Aufführungen des Circus Busch, 25.08.1922, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1566, Landesarchiv Berlin.
Paul Felisch, Gutachten über den künstlerischen Wert der Aufführungen des Circus Busch, 25.08.1922, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1566, Landesarchiv Berlin.
Steinbach, Gewerbeordnung, S. 54.
Franz Hoffmann, Die Gewerbe-Ordnung für das Deutsche Reich und Preußen. Berlin: Heymann, 22–241922, S. 127.
Hoffmann, Gewerbe-Ordnung, S. 598.
Vgl. hierzu Hulfeld, Theatergeschichtsschreibung, insb. S. 246–260.
Vgl. Andreas Kotte, Theatralität im Mittelalter: das Halberstädter Adamsspiel. Tübingen u. Basel: Francke, 1994, S. 151–158.
Vgl. Bacher, Artes liberales, S. 19–34; dies., Artes mechanicae, S. 35–49.
Vgl. Paul Oskar Kristeller, „Das moderne System der Künste“, in: ders. (Hg.): Humanismus und Renaissance, Bd. 2, München: Wilhelm Fink, 1976, S. 164–206, hier S. 182–197.
Kristeller, System der Künste, S. 165.
Vgl. Kristeller, System der Künste, S. 201–203.
Vgl. Koslowski, Stadttheater, S. 69. Die Schiller’sche Argumentation ist beispielsweise in dem 1839 erschienen Ästhetischen Lexikon unter dem Stichwort ‚Niedrig‘ wiederzufinden: „Niedrig (Aesth.), im Gegensatze von erhaben, was so nieder steht, daß es alle seine Sitte beleidigt; wird von den Kunstlehrern mit dem Gemeinen für gleichbedeutend erklärt oder noch genauer folgender Weise unterschieden: Das Gemeine, sagen sie, sei nur der Mangel des Geistreichen und Edlen, hingegen das Niedrige enthalte außer diesem Mangel auch noch die Rohheit des Gefühls, schlechte Sitten und verächtliche Gesinnungen […].“ (Ignaz Jeitteles (Hg.), Aesthetisches Lexikon. Hildesheim u. New York: Olms, 1978 [1839], S. 124) Oder auch in einem Theaterlexikon von 1841, das sich an Führungspersonen im Theaterwesen adressierte: „Niedrig (Aesth.), im Gegensatze von erhaben, was so niedrig steht, daß es alle seine Sitte beleidigt […].“ (Düringer u. a., Theater-Lexicon, S. 788) In einem weiteren Theaterlexikon von 1846, das sich vor allem an Bühnenkünstler:innen richtete, heißt es: „Niedrig (Aesth.) was im Gegensatz des Erhabenen so tief steht, daß es das feinere moralische Gefühl beleidigt; dadurch unterscheidet sich das N. vom Gemeinen […].“ (Blum u. a., Allgemeines Theater-Lexikon, S. 3).
Friedrich Schiller, „Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst [1802]“, in: ders., Sämtliche Werke. Hg. von Hans-Günther Thalheim, 10 Bde., Berlin: Aufbau Verlag, 2005, Bd. 8: Philosophische Schriften, S. 587–593, hier S. 588.
Ebd.
Die Nationaltheateridee diente ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch als Folie für Bestrebungen, das Literatur- und Bildungstheater als ‚hohe‘ und ‚förderungswürdige‘ Kunst zu legitimieren. Vor allem nach der Reichsgründung 1871 erhielt das Konzept zudem eine starke nationalistische Färbung. Mit dem Begriff wurde fortan, insbesondere in Abgrenzung zu französischen Kultureinflüssen, ein explizit deutsches Theater assoziiert. Nach 1800 fand die Nationaltheateridee des 18. Jahrhunderts (in angepasster Form in einem restaurativen Kontext) in der Hoftheaterpraxis Konkretisierung. Ab 1919 wurden die königlich beziehungsweise fürstlich subventionierten Hofbühnen vom Staat übernommen, womit der Grundstein der heutigen Staatstheater gelegt war (vgl. A. Brauneck, Stellung, S. 26 f.; Kotte, Theatergeschichte, S. 293; Marx / Watzka, Berlin, S. 10; Rübel, Geschichte der GDBA, S. 32). Für eine tiefergehende Historisierung der Nationaltheaterbewegung vgl. Kotte, Theatergeschichte, S. 263–318; Reinhardt Meyer, „Das Nationaltheater in Deutschland als höfisches Institut. Versuch einer Begriffs- und Funktionsbestimmung“, in: Roger Bauer / Jürgen Wertheimer (Hg.), Das Ende des Stegreifspiels – Die Geburt des Nationaltheaters. Ein Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Dramas, München: Fink, 1983, S. 124–152.
Kotte, Theatergeschichte, S. 272.
Kotte, Theatergeschichte, S. 292.
Kotte, Theatergeschichte, S. 301.
Kotte, Theatergeschichte, S. 292.
Vgl. Kotte, Theatergeschichte, S. 318. Kotte weist darauf hin, wie wichtig es ist, in der Theaterhistoriografie genau zu hinterfragen, ob es sich bei einer theatergeschichtlichen Entwicklung tatsächlich um eine theaterpraktische Realität oder vielmehr um ein (theoretisches) Konzept handelt. Denn nicht immer sind beide deckungsgleich (vgl. Kotte, Theatergeschichte, S. 291).
Dewenter / Jakob, Theatergeschichte, S. 7.
Die Theaterwissenschaftlerin Annemarie Matzke verweist in diesem Zusammenhang auf eine Passage aus Hegels Vorlesungen über die Ästhetik (1817–1829), die ebendies unterstreicht: „Man heißt jetzt die Schauspieler Künstler und zollt ihnen die ganze Ehre eines künstlerischen Berufs; ein Schauspieler zu sein, ist unserer heutigen Gesinnung nach weder ein moralischer noch ein gesellschaftlicher Makel. Und zwar mit Recht […]“ (zit. n. Annemarie Matzke, Arbeit am Theater. Eine Diskursgeschichte der Probe. Bielefeld: transcript, 2012, S. 85). Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden (insbesondere wohlhabendere) Schauspieler:innen als Teil des Bürgertums anerkannt. Jedoch fand laut der Theaterwissenschaftlerin Anja Hentschel bei der Aufwertung ihres sozialen Status „eine starke Ausdifferenzierung innerhalb der Berufsgruppe statt, wobei die seßhaften Darsteller mit relativ dauerhaften Engagements – vornehmlich an Hoftheatern, teils auch an Privattheatern – respektierlich und integrationsfähig wurden, die Nicht-Seßhaften – in Wandertruppen oder mit kurzfristigen Engagements – jedoch weiterhin aus der städtischen Gesellschaft ausgegrenzt blieben.“ (Anja Hentschel, „(…) ein ächter Künstler muß sich schämen, so große Einnahmen zu veröffentlichen!“, in: Gabriele Brandstetter u. a. (Hg.), Grenzgänge. Das Theater und die anderen Künste, Tübingen: Narr, 1998, S. 361–371, hier S. 363) Die in den Theatergesetzen verankerte Hierarchisierung der stehenden und wandernden Theater schlug sich also ebenfalls im Ansehen der Schauspieler:innen nieder.
Vgl. Dewenter / Jakob, Theatergeschichte, S. 8. Wie Matzke schreibt, „[stellt] [d]ie Konstitution der schauspielerischen Darstellung als Selbstausstellung vor anderen das Theater als künstlerische Praxis unter den Generalverdacht der Prostitution – von Rousseau als einem der prominentesten Theaterfeinde formuliert und als Denkfigur von Marx übernommen […].“ (Matzke, Arbeit, S. 83) Vgl. dazu auch Melanie Hinz, Das Theater der Prostitution. Über die Ökonomie des Begehrens im Theater um 1900 und der Gegenwart. Bielefeld: transcript, 2014.
Vgl. Koslowski, Stadttheater, S. 93–96.
Vgl. Hentschel, Künstler, S. 361–364; Matzke, Arbeit, S. 83.
Der neue Weg, 18.02.1911, o. S.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Hentschel, Künstler, S. 368; Wagner, Fürstenhof, S. 323.
Alberti, Ohne Schminke, S. 96.
Alberti, Ohne Schminke, S. 77 f.
Vgl. Alberti, Ohne Schminke, S. 112 f.
Hart / Hart, Theater, S. 52.
Hart / Hart, Theater, S. 29.
Hart / Hart, Theater, S. 31.
Schlaikjer, Gegenwart, S. 370.
Linsemann, Theaterstadt Berlin, S. 231–233.
Harden, Berlin als Theaterhauptstadt, S. 151.
Alberti, Ohne Schminke, S. 78.
Linsemann, Theaterstadt Berlin, S. 201.
Linsemann, Theaterstadt Berlin, S. 232.
Linsemann, Theaterstadt Berlin, S. 201.
Alberti, Ohne Schminke, S. 78.
Ebd.
Linsemann, Theaterstadt Berlin, S. 233.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ich mitnichten das Modell eines staatlich subventionierten Theaters infrage stellen will. Meine Kritik gilt dem ideologischen Konstrukt, auf dem dieses Fördermodell basiert.
RGBl. 1883/15, S. 160.
Vgl. Landmann, Gewerbeordnung, S. 137.
Polizeiamt Altona an das Berliner Polizeipräsidium, 08.11.1899, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 97, Landesarchiv Berlin.
Berliner Polizeipräsidium an das Polizeiamt Altona, 14.11.1899, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 97, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Polizeipräsidium Frankfurt am Main an das Berliner Polizeipräsidium, 17.01.1916, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 205, Landesarchiv Berlin.
Berliner Polizeipräsidium an das Polizeipräsidium Frankfurt am Main, 15.02.1916, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 205, Landesarchiv Berlin.
In einem Gesetzeskommentar ist diesbezüglich etwa nachzulesen: „Zur Veranstaltung der im § 33a genannten theatralischen Vorstellungen ist außer der Erlaubnis aus § 33a auch die im § 32 vorgeschriebene Genehmigung erforderlich.“ (Rohrscheidt, Gewerbeordnung, S. 226) Wollte ein Schauspielunternehmen Theaterstücke ohne höheres Kunstinteresse aufführen, waren ebenfalls beide Konzessionen notwendig. Unklarheiten bestanden bezüglich Varietéspielstätten: In Braunschweig wurde 1902 ein Gerichtsurteil gefällt, demzufolge für Varietédirektionen eine Genehmigung nach § 33a (RGO) ausreichend war. Der Autor des Gesetzeskommentars teilte diese Auffassung nicht, ihm zufolge bedurften diese Spielstätten auch einer zusätzlichen Konzession nach § 32 (RGO) (vgl. Rohrscheidt, Gewerbeordnung, S. 153).
Vgl. Abschrift vom 26.10.1899, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1549, Landesarchiv Berlin; Circus Schumann an das Polizeipräsidium, 07.02.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Polizeipräsident Glasenapp an Circus Busch, 16.04.1916 sowie Schreiben Rechtsanwalt Dr. Rosenstock an das Polizeipräsidium, 25.11.1903, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Circus Busch an das Polizeipräsidium, 03.09.1910, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1923, Landesarchiv Berlin.
Paul Alexander-Katz an das Polizeipräsidium, 31.01.1912, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Circus Busch an das Polizeipräsidium, 25.08.1922, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1566, Landesarchiv Berlin.
Paul Alexander-Katz an das Polizeipräsidium, 31.01.1912, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin; Paul Alexander-Katz an das Polizeipräsidium, 07.12.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Circus Schumann an das Polizeipräsidium, 07.02.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Paul Busch an das Polizeipräsidium, 10.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Paul Busch an das Polizeipräsidium, 20.09.1910, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1923, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Paul Busch an das Polizeipräsidium, 10.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Polizeipräsident Glasenapp an Circus Busch, 25.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Polizeiverordnung über die bauliche Anlage, die innere Einrichtung und den Betrieb von Theatern, öffentlichen Versammlungsräumen und Zirkusanlagen, 10.06.1909. Garding: Lühr & Dircks, S. 3.
Polizeipräsident Glasenapp an Circus Busch, 31.07.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Polizeiverordnung über die bauliche Anlage, die innere Einrichtung und den Betrieb von Theatern, öffentlichen Versammlungsräumen und Zirkusanlagen, 10.06.1909. Garding: Lühr & Dircks, 1909, S. 3.
Vgl. Polizeiverordnung über die bauliche Anlage, die innere Einrichtung und den Betrieb von Theatern, öffentlichen Versammlungsräumen und Zirkusanlagen, 10.06.1909. Garding: Lühr & Dircks, 1909, S. 3, 70.
Vgl. ebd.; Polizeipräsident Glasenapp an Circus Busch, 31.07.1911, 24.10.1911 u. 15.01.1912, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Polizeipräsident Glasenapp an Circus Busch, 25.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Richard Treitel an das Polizeipräsidium, 20.06.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin. Vgl. bezüglich des Gerichtsentscheids auch Rohrscheidt, Gewerbeordnung, S. 226.
Paul Busch an das Polizeipräsidium, 12.05.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Richard Treitel an das Polizeipräsidium, 12.05.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Für die Pantomime Pompeji im Jahr 1913 erhielt Paul Busch keine Genehmigung für gesprochene Dialoge und bestätigte der Theaterpolizei in einem Schreiben ausdrücklich, „dass in der Pantomime […] nicht gesprochen wird.“ (Circus Busch an das Polizeipräsidium, 21.11.1913, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1560, Landesarchiv Berlin.)
Richard Treitel an das Polizeipräsidium, 03.07.1911 sowie Polizeipräsident Glasenapp an Circus Busch, 31.07.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Polizeipräsident Glasenapp an Circus Busch, 31.07.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Paul Alexander-Katz an das Polizeipräsidium, 31.01.1912, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Zeitungsausschnitt Berliner Morgenpost, 07.03.1912, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin. Bezüglich der Problematik von gesprochenem Text in den Pantomimen bei Circus Busch in den 1910er Jahren vgl. insbes, Akten betreffend Circus Busch, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1923, 1924, 1560, Landesarchiv Berlin.
Paul Busch versuchte in dem Zeitraum, das Grundstück seines Berliner Gebäudes zu kaufen, da er dafür nur einen kurzfristigen Pachtvertrag besaß (vgl. G. Winkler, Circus Busch, S. 25 f.).
Schreiben Paul Alexander-Katz an Polizeipräsidium, 07.12.1912, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Polizeipräsident v. Glasenapp an Circus Schumann, 16.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Bescheid vom Bezirksausschuss zu Berlin, 26.05.1916, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin.
Das Organ, 11.08.1917, S. 7. Die Streitsache schien mit einer mündlichen Verhandlung im Dezember 1916 beigelegt worden zu sein (vgl. Berufung Rechtsanwalt Klemperer, 30.06.1916 sowie Königliches Oberverwaltungsgericht, 27.11.1916, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 3067, Landesarchiv Berlin).
Vgl. Max Reinhardt an das Polizeipräsidium, 06.02.1913, abgedruckt in: ders., Leben für das Theater: Briefe, Reden, Aufsätze, Interviews, Gespräche, Auszüge aus Regiebüchern, hg. von Hugo Fetting. Berlin: Argon, 1989, S. 173.
Max Reinhardt an das Polizeipräsidium, 27.03.1914, abgedruckt in: ders., Leben für das Theater, S. 175.
Schreiben Paul Busch an das Polizeipräsidium, 04.11.1915, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1560, Landesarchiv Berlin.
Schreiben Paul Busch an das Polizeipräsidium, 14.11.1915, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1560, Landesarchiv Berlin.
Dagegen spricht, dass bereits im Jahr 1893 seitens der Polizeiabteilung für eine Zirkuspantomime mit dem verheißungsvollen Titel Director Pech & Co. aufgrund der darin vorgesehenen Dialoge ein Aufführungsverbot erlassen worden war (vgl. Ausschnitt Vorwärts, 21.02.1895, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A Pr. Br. Rep. 030-05, 1526, Landesarchiv Berlin).
Vgl. Gary D. Stark, Banned in Berlin: Literary Censorship in Imperial Germany, 1871–1918. New York: Berghahn Books, 2009, S. 49 f.
Assessor [Pseudonym], Die Berliner Polizei, in: Großstadt-Dokumente, Bd. 34. Hg. von Hans Ostwald, Berlin: Hermann Seemann Nachfolger, 1907, S. 29–31.
Vgl. Jan Lazardzig, „Inszenierung wissenschaftlicher Tatsachen in der Syphilisaufklärung. ‚Die Schiffbrüchigen‘ im Deutschen Theater zu Berlin (1913)“, in: Der Hautarzt 53 (2002), S. 268–276, hier S. 268; Stark, Banned in Berlin, S. 41 f., 48–50. Laut dem Geschichtswissenschaftler Tobias Becker sei die Berliner Theaterzensur gegenüber den Inszenierungskonzepten der nicht-literarischen Theaterformen mit weniger Strenge vorgegangen als gegenüber den dramatischen Textvorlagen (vgl. Tobias Becker, Inszenierte Moderne: Populäres Theater in Berlin und London, 1880–1930. München: De Gruyter Oldenbourg, 2014, S. 76 f.). Diese These scheint jedoch sehr gewagt und ist auch nicht mit zuverlässigen Quellen belegt. Zur Praxis der Berliner Theaterzensur in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs existiert bislang nur wenig Forschung.
Vgl. Deutsche Bühne, 25.04.1911, S. 113.
Vgl. Schreiben Paul Busch an das Polizeipräsidium, 10.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Schreiben Paul Busch an das Polizeipräsidium, 10.04.1911, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1924, Landesarchiv Berlin.
Zeitungsausschnitt Berliner Börsen-Courier, 07.07.1911, in: Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1923, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Abschrift, In der Strafsache gegen den Zirkusbesitzer Königlichen Kommissionsrat Paul Busch in Berlin wegen Zuwiderhandlung gegen das Gesetz vom 03.07.1876, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 205, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Vgl. Schreiben Paul Busch an das Polizeipräsidium, 25.08.1922; Schreiben Polizeipräsidium an GDBA, 15.06.1923; Schreiben Präsidium der GDBA an das Polizeipräsidium, 12.07.1923, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1566, Landesarchiv Berlin.
Paul Felisch, Gutachten über den künstlerischen Wert der Aufführungen des Circus Busch, 25.12.1922, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1566, Landesarchiv Berlin.
Ebd.
Ebd. In Preußen war im Frühjahr 1917 per Verfügung festgelegt worden, dass diejenigen Wandertheatergruppen, denen ein ‚höheres Kunstinteresse‘ zugestanden wurde, keinen Wandergewerbeschein mehr benötigten (vgl. Die Deutsche Bühne, 13.10.1917, S. 520).
Paul Felisch, Gutachten über den künstlerischen Wert der Aufführungen des Circus Busch, 25.08.1922, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1566, Landesarchiv Berlin.
Vgl. ebd.
Vgl. Schreiben Polizeipräsidium an GDBA 15.06.1923; Schreiben Präsidium GDBA an das Polizeipräsidium, 12.07.1923, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, A. Pr. Br. Rep. 030-05, 1566, Landesarchiv Berlin.
Kaiser Wilhelm II., 18.12.1901, abgedruckt in: Ernst Johann (Hg.), Reden des Kaisers: Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II. München: Deutscher Taschenbuch Verl., 1966, S. 102. Hans Ostwald, bekannt als Herausgeber der Großstadt-Dokumente, übernahm den Begriff ‚Rinnstein‘ im Nachgang dieser Kaiserrede für seine mehrbändige Publikation Lieder aus dem Rinnstein. Kunstschaffende wie Heinrich Zille oder Hans Baluschek, die sich mit Themen und Motiven von Arbeiter:innen beschäftigten, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch als ‚Rinnsteinkünstler:innen‘ bezeichnet. (Vgl. Förster, Frau im Dunkeln, S. 22).
Kaiser Wilhelm II., 18.12.1901, abgedruckt in: Johann, Reden des Kaisers, S. 102.
Ebd.
Vgl. Peter, Geschichte, S. 11.
Vgl. Hoelger, Reglementierung, S. 28.
Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 766 f.
Vgl. Verzeichnis der Theater und Zirkusse, 1905, Polizeipräsidium Berlin, Theaterpolizei, 030-05, 203, Landesarchiv Berlin.
Vgl. Wagner, Fürstenhof, S. 352.