Kapitel 5 Einführung

In: Quadraturen des Staunens
Author:
Tim Hofmann
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5.1 Fragestellung und These

Unter den in Teil I gegebenen Vorzeichen – dem Entstehen von Krisennarrativen aus problematischen Wissensordnungen und der theoretischen Hinwendung zum Staunen in der Zwischenkriegszeit – fragt der nun folgende Teil II nach den Semantisierungen von Staunen bei Ludwig Wittgenstein: Welche Position nimmt er im Spektrum der bisher angeführten Diskursbegründer:innen ein? Bei der Beantwortung dieser Frage gehe ich davon aus, dass Staunen und damit verbundene Phänomene und Emotionen – also auch das Wunder, das Wundern, Verwundern, Bestaunen und Bewundern – bei Wittgenstein breitflächiger anzusprechen sind als bei den bisher behandelten Philosoph:innen Husserl, Heidegger, Arendt, Benjamin und Bloch. Über die den Teil II organisierenden Schwerpunktsetzungen Episteme, Rhetorik und Performanz verfolge ich die These, dass Staunen in Wittgensteins Werk und bei seiner Person als signifikante, transformationsfähige und inkorporierende Figur hervortritt, die neben ihrer kulturkritischen Valenz vor allem praxeologische Implikationen besitzt.

5.2 Methodik

Meine sich um den Staunens-Topos gruppierende Auseinandersetzung mit Ludwig Wittgensteins Werk und Person sieht sich in methodischer Hinsicht mit zwei Problemen konfrontiert: Zunächst war Wittgenstein (1) ganz im Sinne von Deleuze und Guattari ein ›Bastler‹, der »Nicht-Vollendung [als] Imperativ der Produktion« ausrief. »Fragmente« fügte er in neue »Fragmentierungen« ein, »womit zwischen Produzieren und Produkt, instrumentellem und zu realisierendem Komplex zu unterscheiden gleichgültig [wurde]«.361 Aus dieser ›Bastelei‹ entstand ein Werk, das sich nur schwer handhaben lässt: Wittgensteins Notate und Ausarbeitungen der Jahre 1914–1951 sind kryptisch und aphoristisch; Themen werden fallen gelassen und tauchen Jahre später, bisweilen in bloß geringfügiger Variation, wieder auf. Vieles entzieht sich systematischer Ausarbeitung und bleibt punktuell – oft lassen sich Wittgensteins Terminologien erst mit einem hohen Maß an Kontextualisierung erschließen.362 Zu Lebzeiten veröffentlichte Wittgenstein nur zwei autorisierte Schriften, 1922 den Tractatus logico-philosophicus und 1926 das biografische Kuriosum Wörterbuch für Volksschulen363. Auch die dieser Arbeit zugrunde liegende Textbasis, die auf Deutsch publizierten Schriften, ist auf Verlags- bzw. Distibutionsseite zwischen Suhrkamp, Haymon, Turia + Kant, Klostermann und der Bergen Electronic Edition bis heute uneinheitlich und editionsphilologisch noch nicht abschließend gesichert.364

Bei einer Arbeit, die neben dem philologisch-philosophischen Anspruch auch etwas über den historischen Akteur Wittgenstein aussagen will, kommt die Schwierigkeit hinzu, dass sich (2) Wittgensteins Charakter nur schwer fassen lässt. Der Satz aus der für Wittgenstein sehr bedeutsamen Erzählung Aufzeichnungen aus dem Untergrund von Dostojewskij365 : »[…] [S]o fühlte ich im Augenblick unendlich viele ganz entgegengesetzte Elemente in mir[,] [i]ch fühlte sie nur so wuseln in mir, diese entgegengesetzten Elemente […]«366, hat Gültigkeit als Psychogramm seiner eigenen Person. Zusammengefasst gilt: Fragmentarisch sind auch die für eine Charakterbeschreibung relevanten Quellen – ein in sich stimmiges Bild will sich auch hier nicht ergeben.

Dieser für Wittgenstein spezifischen Problemlage möchte ich in methodischer Hinsicht mit Wittgenstein selbst begegnen. Ich werde Wittgenstein mit Wittgenstein lesen. Nach ihm sind Begriffe nicht fest begrenzt, sondern steht jedes Wort in einem »komplizierte[n] Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen« (PU 66) – so auch bei seinem Begriff von Staunen. Dieses an Staunen gebundene Netz von Ähnlichkeiten möchte ich aufzeigen, die losen Fäden bzw. Textspuren seines Staunensbegriffs sammeln und bündeln, die jeweiligen Knotenpunkte benennen. Es geht mir dabei um die übersichtliche Darstellung seiner Auffassung von ›Staunen‹. Diese »übersichtliche Darstellung [soll] das Verständnis [vermitteln], welches eben darin besteht, daß wir die ›Zusammenhänge sehen‹. Daher die Wichtigkeit des Findens und Erfindens von Zwischengliedern.« (PU 122)367 Ich möchte dadurch »einen Effekt der gleichen Art erzielen wie Galton, als er dieselbe Platte mit den Aufnahmen verschiedener Gesichter belichtete, um so das Bild der typischen, allen gemeinsamen Merkmale zu erhalten.« (VE S. 10)368 Deshalb soll es ausdrücklich nicht um eine begriffliche Typologie in Form einer Hierarchisierung gehen, sondern vielmehr um begriffliche Inanspruchnahmen in einem jeweils spezifischen semantischen Feld.

In methodischer Anlehnung an Peter Szondi beabsichtige ich eine an Evidenz orientierte philologische Erkenntnis des Staunens-Topos bei Wittgenstein, der ein »dynamisches Moment eigen« ist und die »in der fortwährenden Konfrontation mit de[n] Text[en]«369 und der »Versenkung in die Werke« »die Logik [des] Produziertseins«370 dieses werkspezifischen Gesichtspunkts zum Ziel hat.

5.3 Forschungsstand

Trotz oder vielleicht gerade wegen der eben benannten Problemlage, des Fragmentarischen von Wittgensteins Schriften und Person, besteht anhaltende Forschungs-Hochkonjunktur. Allein die umfassende, sich über den Zeitraum von 1952 bis 1996 erstreckende Bibliografie zur Wittgenstein-Literatur von Peter Philipp umfasst rund 500 Seiten mit Angaben von Sekundärliteratur.371 Der Zentralkatalog der Schweizer Bibliotheken ›swisscovery‹ listet in den darauffolgenden Jahren bis 2022 rund 950 Einträge.372 Zusammen mit Martin Heidegger kommt Wittgenstein, zumindest nach Manfred Geier, der Status des letzten Philosophen373 zu. Auszüge aus seinem Werk – die Aphoristik prädestiniert dazu – prangen als Prunkzitate auf Qualifikationsarbeiten aller Art. Auch als literarische Figur und poetische Referenz ist Wittgenstein, über die Kontinente verteilt, in den Werken von Thomas Bernhard, Peter Handke, Elfriede Jelinek, W. G. Sebald, Philip Kerr, David Markson und David Foster Wallace auszumachen.374 Die Aktualität und Attraktivität seines Denkens scheinen bis heute ungebrochen.

Bei dieser zu Ludwig Wittgensteins Werk und Person bestehenden Forschungslage, den teils fast dogmatischen Schulbildungen, der Periodisierung seines Schaffens, den Kontextualisierungen und systematisierenden Vereinnahmungen fällt jedoch auf, dass eine Kategorie von Wittgensteins Denkens im Vergleich zu anderen Topoi der wirkmächtigen Schriften bisher entweder gänzlich übergangen375 oder aber nur marginal376 oder einseitig verhandelt wurde: das Staunen.

Ein Beispiel für eine solch einseitige Verhandlung von Wittgensteins Staunensbegriff ist der Aufsatz Ludwig Wittgenstein: Vom Vortrag über Ethik zu Vorlesungen über religiösen Glauben (2000) der Theologin Regine Munz. In einer Wendung hin zum Wundern und zum Mystischen greift sie das Staunen über das wechselseitige Verhältnis von Wittgensteins sprachphilosophischem Denken und seinen religiösen Standpunkten auf. Ansetzend bei seinen Schriften um 1930, rekonstruiert sie Wittgensteins Religionsbegriff, den sie im ausschließlich subjektiv Erfahrbaren, im sich der Sprache, dem Sagbaren entziehenden Wunder verortet. Laut Munz ist das Wunder bei Wittgenstein ein allein über Sinnesdaten erfahrbarer Akt der Symboldeutung bzw. ein sensueller Akt der Bedeutungszuschreibung. Im Hintergrund ihrer Analyse steht ein epiphanischer Gedanke, den sie unausgesprochen mit dem Erfahren von Wundern gleichsetzt.377 Ungeachtet ihrer einseitigen Verengung von Wittgensteins Begriff von Staunen kommt Munz’ Studie das Verdienst zu, das Thema ›Wunder‹ erstmals als tragendes Moment innerhalb von Wittgensteins Werk verhandelt und im deutschsprachigen Raum ein entsprechendes Forschungsfeld etabliert zu haben.

Das Wunder und das Mystische sind auch Gegenstand von Horst Dieter Rauhs Essay Wittgensteins Mystik der Grenze (2014). Sein Ausgangspunkt ist ein sprachphilosophischer, den er mit einem Evidenzbegriff an einen sich zeigenden göttlichen Logos koppelt. Wie bei Munz bildet auch hier der »homo religiosus«378 die anthropologische Prämisse. In diesem Aspekt tritt Rauhs literaturwissenschaftlicher Hintergrund mit großem Mehrwert hervor: Die Argumentationslinien reichen von der Klassik und Romantik bis zu Kafka und Ungaretti und reflektieren dabei über den Formbegriff von Fragment und Aphorismus das Aufzeigbare des Unsagbaren, was Rauh zufolge bei Wittgenstein im sehr weit gefassten Begriff der Ethik kulminiert. Tropisches Sprechen wird von ihm als »Schwelle zwischen Tatsachenwelt und Ethik«379 markiert und die Literatur als das, was das Mystische greifbar macht. Weiterhin thematisiert Rauh die mit Staunen korrespondierenden und von mir ebenfalls thematisierten Gesichtspunkte wie das Gewöhnliche im Wechsel zum Ungewöhnlichen380, das Aspektsehen381 und auch das Staunen über die Existenz der Welt.382 Die Lektüre von Wittgensteins Mystik der Grenze ist gewinnbringend; jedoch wird die signifikante Tragweite von Wittgensteins Begriff von Staunen mit zentralen Bezügen zu anderen Motivkreisen infolge der epiphanischen Stoßrichtung auch in seinem Essay ausgeklammert.

Einseitig ist auch Ilse Somavillas Versuch über Wittgensteins Staunensbegriff. Über die Deutungsdichotomie von Mythos und Logos unternimmt sie in »Bilder für Wittgensteins Staunen« den Versuch, Zusammenhänge zwischen antiken Mythen des Staunens und Wittgensteins Werkchronologie aufzuzeigen. »[Z]wischen ihm und den antiken Denkern [sind] Parallelen zu beobachten, deren er sich wohl nicht bewusst war […].«383 Dabei unterstellt sie Wittgenstein über Reformulierungen von Hesiods Thaumas und Iris sowie Platons Mythos der Zikaden und Phaidros in seinem Spätwerk eine Rückkehr zu mythologischen Sprechweisen bzw. die Rückkehr zu einer indirekten Sprache, die sich – hier Rauh sehr nahe – über Metaphorizität dem Unsagbaren und damit dem bei Wittgenstein folgenreich aufgeladenen Feld des Ethischen annähere. Neben dem Aufzeigen des mythischen Umfelds von thaumázein und einigen auf das Staunen zu beziehenden, jedoch kaum begründeten Gemeinplätzen wie Rauschhaftigkeit oder gesteigertem Wachsein ist nicht ersichtlich, was ihre Untersuchung hinsichtlich des Staunens bei Wittgenstein genau intendiert. Zu Motiven des Staunens im Gesamtwerk äußert sie sich kaum oder streift sie diese höchstens.

Die einschlägigste Studie zu Wittgensteins Begriff von Staunen ist Kevin M. Cahills Monografie The Fate of Wonder. Wittgenstein’s Critique of Metaphysics and Modernity (2011). Cahill situiert das Staunen bzw. Wundern als Zentralmotiv in Wittgensteins Gesamtwerk:

[He] saw it as one of his philosophy’s central tasks to reawaken a sense of wonder for what he felt was the deeply mysterious place of human life in the world. His thought and work in philosophy cannot be fully understood out of relation to this idea.384

Anhand des Tractatus und der Philosophischen Untersuchungen zeichnet Cahill die großen Linien von Wittgensteins epistemischem Staunen und Wundern nach und berührt wesentlich die Themen- und Werkkomplexe, die sowohl von Munz als auch von Rauh angesprochen werden (Religiosität, literarische Aufzeigbarkeit des Unsagbaren). Jedoch geht auch diese dichteste Studie zu Wittgensteins Begriff von Staunen nicht weiter. Wie schon Munz, Rauh und Somavilla bleibt auch Cahill letztlich bei den epistemisch-religiösen Valenzen von Wittgensteins Staunensbegriff stehen.

5.4 Vorgehensweise

Diesem Forschungsdesiderat wird in Quadraturen des Staunens begegnet. Über die in Teil I vorgenommene Rahmung und unter den Vorzeichen meiner Fragestellung und These385 werde ich über die Methode der ›übersichtlichen Darstellung‹386 aufzeigen, dass Staunen bzw. Wittgensteins »sense of wonder«387 sich weitflächiger perspektivieren lässt als in den Arbeiten von Munz, Rauh, Somavilla und Cahill vorgeschlagen.

Ich verfahre dabei wie folgt: Zunächst werde ich in Kap. 6 Lebensform – Philosophie als Praxis das soeben erwähnte Konzept der Lebensform einführen. Als praxeologische Prämisse zieht sich dieses durch alle darauffolgenden Kapitel. Lebensform meint bei Wittgenstein ein Set von Denk-, Sprech- und Handlungsweisen, die ein Mensch im Laufe seiner Sozialisation erwirbt. Als prädeterminierende Wissensordnungen bilden sie das Raster, in dem sich das menschliche Dasein vollzieht.

Darauf aufbauend wird Wittgensteins epistemisches Staunen thematisiert und Staunen als derjenige Moment profiliert, der eine gegebene Lebensform infrage stellt, sie unterminiert und subvertiert, letztlich Voraussetzung für die Veränderung einer Lebensform ist. Zentral in Kap. II.1 Episteme ist vor allem Wittgensteins ›Vortrag über Ethik‹, in dem er auf das gesamte Werk bezogen am konzentriertesten auf das Staunen eingeht und mit dem relativen Staunen und dem absoluten Staunen zwei Begriffe vorschlägt, die eine qualitative Unterscheidung zwischen epistemischem und mystischem Staunen ermöglichen. Vermittelt durch ›wilde Semiose‹, geht es in beiden Fällen letztlich um Sprachlosigkeit, wobei das relative Staunen eine neue Sprache bzw. Lebensform errichtet, das absolute Staunen hingegen im Sprachlosen verharrt. Staunen bildet im ganzen Kap. II.1 Episteme einen Umschlagspunkt, in dem das Gewöhnliche und Alltägliche ungewöhnlich und nicht alltäglich zu werden beginnt – der Punkt, an dem Lebensformung einsetzt.

Darauf folgt zunächst ein Zwischenkapitel. Als Vorbereitung für Wittgensteins Rhetorik des Staunens und seine mit Bewunderung verbundene Performanz gilt es, über die Stichwörter Aufmerksamkeitsökonomie und Antiphilosophie im Vergleich zu seinen epistemischen Ausführungen zum Staunen eine andere Perspektive zu entwickeln. Aus diesem Grund wird in Kap. Registerwechsel: Poiesis des Staunens ein wirkungsästhetischer Rahmen vorgeschlagen, der das ›Staunen-Machende‹ von Wittgensteins Schriften und seiner Person anschließend deutlicher konturieren soll.

Vor dieser Ausgangslage benennt Kap. II.2 Rhetorik die Verschriftlichungsstrategien von Wittgensteins Philosophie sowie die damit korrespondierenden rhetorischen Konzentrationspunkte und Motivkreise. Anhand seines Diktums, man dürfe »Philosophie […] eigentlich nur dichten« (VB S. 24), betrachte ich Wittgensteins rhetorische Techniken und seine textuellen Strategien der Erzeugung von Kontingenzerleben bzw. Staunen. Hierbei spielen der antiphilosophische Konventionsbruch, vor allem aber Wittgensteins Aphoristik und die für ihn wichtigen Referenzen Georg Christoph Lichtenberg und Karl Kraus eine bedeutsame Rolle. Zum Abschluss des Kapitels wird anhand einer ausführlichen Lektüre des Fliegenglas-Aphorismus dargelegt, inwieweit Wittgensteins epistemische Gehalte von Staunen mit seinen rhetorischen Strategien der Erzeugung von Staunen korrelieren. Dabei wird gezeigt, dass es das Staunen ist, das der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas bzw. der Lebensform weist.

In Kap. II.3 Performanz öffne ich den Begriff von Staunen in Richtung Bewunderung. Ausgehend von der bereits angesprochenen Poiesis des Staunens und im Rückgriff auf sozialwissenschaftliche Theoreme wird zunächst ein Begriff von Bewunderung etabliert, der in Verbindung mit der Sozialfigur des Helden eine Heuristik für die darauffolgenden Unterkapitel bildet. Darin werden anhand biografischer Miniaturen Wittgensteins Performanz und seine inszenatorischen Praktiken im sozialen Raum freigelegt. Über die Analyse der Schürhakenepisode, von Wittgensteins Rigorosum bei Moore und Russell, der Verklärungen seiner Schwester Hermine Wittgenstein und seiner priesterlichen Ambitionen unter anderem im Wiener Kreis wird aufgezeigt, wie Wittgenstein die ihm zugeschriebene Rolle als Held nicht nur ausfüllte, sondern durch seine Performanz auch bediente.

361

Deleuze/Guattari 1977: 13.

362

Vgl. hierzu auch Thomas Macho, der den Charakter von Wittgensteins Werk wie folgt zum Ausdruck bringt: »Die überlieferten Texte sind das Ergebnis zahlreicher Arbeitsgänge; oft kann ein einzelner Gedanke noch in der vorläufigen Gesamtausgabe in mehreren, mitunter nur geringfügig voneinander abweichenden Fassungen entdeckt werden. Wittgensteins Werk läßt sich mit einem gigantischen Kaleidoskop vergleichen, das lediglich ein paar Elemente in immer neu variierten Konstellationen zeigt. So wie der ästhetische Reiz des Kaleidoskops nur wahrgenommen werden kann, wenn es geschüttelt wird – niemals jedoch, sobald versucht würde, das Glasrohr zu öffnen, die bunten Splitter herauszunehmen und der Reihe nach auf den Tisch zu legen –, lassen sich auch Wittgensteins Überlegungen nicht leicht in lineare – logische oder poetische – Sukzessionen auflösen. Ihm ging es nicht um die Entwicklung einer Kette von aufeinanderfolgenden Argumenten und Schlüssen, sondern vielmehr um die räumlich-architektonische Gliederung von zahllosen, meist in sich abgeschlossenen Fragen und Gedanken, die in ihrer singulären Gestalt aufeinander verweisen und eine komplexe, gemeinsame Struktur bilden sollten.« (Macho, Thomas, Wittgenstein, München: DTV, 2001, S. 30)

363

Wittgenstein, Ludwig, Wörterbuch für Volksschulen, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1977 [1926].

364

Zur editionsphilologischen Historie Wittgensteins, den damit verbundenen Defiziten und Schwierigkeiten sowie den Aufgaben einer den gegenwärtigen Ansprüchen genügenden Ausgabe siehe Erbacher, Christian, »Die Wittgenstein-Editionen im Kontext. Über editorische Defizite und ihre konstruktive Kontextualisierung«, in: editio, 30 (2016), S. 197–221.

365

Gebauer 2009: 228 ff.

366

Dostojewskij 1985 [1864]: 7.

367

Vgl. hierzu auch GB S. 37. Die darin aufgeführten Passagen zur »übersichtliche[n] Darstellung« sind als Vorstufe zu den in den Philosophischen Untersuchungen angeführten Belegstellen zu lesen.

368

Vgl. zu Wittgensteins hier angeführtem Bezug auf Galton und der Komposit-Fotografie Galton, Francis, Inquiries into Human Faculty and Its Development, London: J. M. Dent & Co, 1883, insb. S. 6–13. Zu der Person und dem Einfluss Galtons auf visuelle Darstellungsformen und die Eugenik ferner Brookes, Martin, Extreme Measures. The Dark Visions and Bright Ideas of Francis Galton, London: Bloomsbury, 2004; sowie Gillham, Nicolas Wright, A Life of Sir Francis Galton. From African Exploration to the Birth of Eugenics, Oxford: Oxford University Press, 2001.

369

Szondi 2011: 265.

370

Ebd. 286.

373

Geier, Manfred, Wittgenstein und Heidegger. Die letzten Philosophen, Hamburg: Rowohlt, 2017.

374

In ihrer auf Wittgensteins ›ordinary language philosophy‹ aufbauenden Studie Wittgenstein’s Ladder führt Marjorie Perloff diesbezüglich den Begriff der ›Wittgensteiniana‹ ein – eine Textgattung, die keineswegs die Menge an wissenschaftlichen Publikationen zum Werk Wittgenstein bezeichnet, sondern prosaische, lyrische und dramatische Werke umfasst, in denen Ludwig Wittgenstein als poetologische Referenz durchscheint oder aber als literarische Figur, als Persona auftritt. Bis 1996 zählt sie hierzu 19 Werke; eine Anzahl, die keinesfalls abgeschlossen, sondern stetig wachsend sei: »[There is still a] growing body of Wittgensteiniana […].« (Perloff, Marjorie, Wittgenstein’s Ladder. Poetic Language and the Strangeness of the Ordinary, Chicago: University of Chicago Press, 1996, S. 6) Zwei beliebig herausgegriffene Beispiele für Wittgensteiniana aus der Gegenwart sind Angelika Meiers Campus-Roman England, in dem Wittgenstein mit jeweiligen Kurzauftritten das Leben der Protagonistin während ihres Studienaufenthalts in Cambridge begleitet (vgl. Meier, Angelika, England, Zürich: Diaphanes, 2010), und Lars Iyers Wittgenstein Jr., der ebenfalls, und auf unterhaltsame Weise, Wittgensteins Status und Leben in Cambridge aufnimmt (vgl. Iyer, Lars, Wittgenstein Jr., London: Melville House UK, 2015).

375

Selbst das von umfassender Werkkenntnis geprägte Wittgenstein-Lexikon von Hans-Johann Glock listet ›Staunen‹ als Lemma nicht auf (vgl. Glock, Hans-Johann, Wittgenstein-Lexikon, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2000).

376

Das Wittgenstein-Handbuch von 2022, gemeinhin Abbild für werk- und forschungsspezifische Themenkonzentrationen bzw. Konjunkturen, listet ›Staunen‹ nicht als eigenständigen und daher wenig signifikanten bewerteten Motivkreis. Es wird lediglich im Zusammenhang des ›Vortrags über Ethik‹ (VE) erwähnt, der von den Autor:innen unter der Überschrift ›Kleinere Schriften‹ in aller Kürze und in nur einer Spalte abgehandelt wird (vgl. S. 86 f.). Gleiches gilt für ›Staunen‹ im Kontext Bemerkungen über Frazers ›Golden Bough‹ (GB). (Vgl. Wittgenstein-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. v. Anja Weiberg und Stefan Majetschak, Berlin: Metzler/Springer, 2022, S. 169 ff.) Diese das Staunen subordinierende Haltung lässt sich neben dem Wittgenstein-Handbuch u. a. auch bei Gunter Gebauer und seiner Studie zum anthropologischen Denken Wittgensteins erkennen (vgl. Gebauer, Gunter, Wittgensteins anthropologisches Denken, München: Beck, 2009, bspw. S. 255).

377

Vgl. Munz, Regine, »Ludwig Wittgenstein: Vom Vortrag über Ethik zu Vorlesungen über religiösen Glauben«, in: Globales Ethos. Wittgensteins Sprachspiele interkultureller Moral und Religion, hg. v. Wilhelm Lütterfelds und Thomas Mohrs, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2000, S. 125–145.

378

Rauh 2014: 30.

379

Ebd. 19.

380

Vgl. Kap. 7 Begriffliche Annäherungen.

381

Vgl. Kap. 8 Staunen und Aspektwechsel.

382

Vgl. Rauh 2014: 9, 69, 73, 78; sowie Kap. 9.3 Absolutes Staunen.

383

Somavilla 2010: 300.

384

Cahill 2011: 2.

385

Vgl. Kap. 5.1 Fragestellung und These.

386

Vgl. Kap. 5.2 Methodik.

387

Cahill 2011: 2.

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Quadraturen des Staunens

Episteme, Rhetorik und Performanz bei Ludwig Wittgenstein

Series:  Poetik und Ästhetik des Staunens, Volume: 12