Kapitel 6 Lebensform – Philosophie als Praxis

In: Quadraturen des Staunens
Author:
Tim Hofmann
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Zum Konzept der Lebensform hat Wittgenstein nie eine dezidierte Erklärung abgegeben, geschweige denn ein ausgearbeitetes, kohärentes Theorem vorgelegt. Die spärlichen Verwendungsweisen, begrifflichen Inanspruchnahmen und daran anschließenden Kontexte sind sehr verschwommen, vage und mitunter mehrdeutig.388 Unklar ist auch, inwieweit Wittgenstein mit seinen opaken Bemerkungen begriffsgeschichtlich an die Lebensformdiskurse von Schleiermacher, Wundt, Dilthey und Spranger anschließt.389 Von der Wittgenstein-Forschung wurde jener Begriff dennoch relativ früh zu einem schillernden »Grundbegriff«390 erhoben, der zumindest Stefan Majetschak zufolge nicht selten als »Projektionsfläche für die philosophische Phantasie eines Interpreten«391 herhalten musste und mehrfach »Anlass zu exegetischen Debatten«392 gab.393

Auf diese ›philosophischen Phantasien‹ und Debatten zur Lebensform werde ich nicht eingehen, da mein Interesse an Wittgensteins Lebensformkonzept in einem Funktionalisierungszusammenhang mit den Folgekapiteln von Teil II steht. Ich beabsichtige eine konzentrierte Beschreibung, wobei ich wie folgt vorgehe: Zunächst wird der an die Figur des Kindes gebundene Begriff der Abrichtung und des Regelbefolgens eingeführt. Damit wird anschließend Wittgensteins Lebensformkonzept beschrieben.394 In einem letzten Schritt wird die These entwickelt, Staunen als ein praxeologisches Moment, als »Arbeit an Einem selbst« (VB S. 472) zu denken, das die mit der Kindheit beginnende Abrichtung und die daraus hervorgehende Lebensform dekonstruiert und so die Möglichkeit der Etablierung einer neuen Lebensform schafft.

Wittgensteins Philosophische Untersuchungen setzen mit einer Kindheitserinnerung von Augustinus aus den Confessiones ein. So heißt es in direkter Wiedergabe:

Nannten die Erwachsenen irgendeinen Gegenstand und wandten sie sich dabei ihm zu, so nahm ich das wahr und begriff, daß der Gegenstand durch die Laute, die sie aussprachen, bezeichnet wurde, da sie auf ihn hinweisen wollten. […] So lernte ich nach und nach verstehen, welche Dinge die Wörter bezeichneten, die ich wieder und wieder, an ihren bestimmten Stellen in verschiedenen Sätzen, aussprechen hörte. Und ich brachte, als nun mein Mund sich an diese Zeichen gewöhnt hatte, durch sie meine Wünsche zum Ausdruck. (PU 1)

Diese auf einer Kindheitserinnerung von Augustinus beruhende Eröffnung der Untersuchungen ist Programm. Darauf folgt das in eine theoretische Formation tretende Abrichten:

Die Kinder werden dazu erzogen, diese Tätigkeiten zu verrichten, diese Wörter dabei zu gebrauchen, und so auf die Worte des Anderen zu reagieren. Ein wichtiger Teil der Abrichtung wird darin bestehen, daß der Lehrende auf die Gegenstände weist, die Aufmerksamkeit des Kindes auf sie lenkt, und dabei das Wort ausspricht; z. B. das Wort ›Platte‹ beim Vorzeigen dieser Form. (PU 6)

Und erweiternd auf das Benennen bezogen: »Etwas benennen, das ist etwas Ähnliches, wie einem Ding ein Namenstäfelchen anheften.« (PU 15) Ziel dieser von Wittgenstein beschriebenen sozialisatorischen Abrichtung bzw. Normierung ist letztlich der Aufbau von Wissensordnungen,395 von Formationen von Regeln, die man sich jedoch nicht wie ein »Regelverzeichnis« (PU 54) vorzustellen hat, sondern vielmehr als ein Konstrukt, das Handlungs- und Denkwege anzeigt: »Eine Regel steht da, wie ein Wegweiser« (PU 85), der uns im alltäglichen Leben Sprechakte vollziehen lässt und als »Hintergrund« (PU 102) Handeln und Denken vorstrukturiert; etwas, das Wittgenstein dann im Lebensformkonzept weiterentwickelt.

Lebensform lässt sich in einen von Wittgenstein nicht weiter differenzierten terminologischen Komplex von »Lebensschablone« (LS 206) und »[Lebens]muster« (Z 568) einordnen. Die teilweise synonymen Verwendungsweisen zielen alle auf eine Dialektik von Sprache im Sinne einer Landessprache und von praktischem Lebensvollzug vor einem gesellschaftlich gewordenen Hintergrund. Diesen muss man sich Wittgenstein zufolge »als ein sehr kompliziertes filigranes Muster vorstellen, das wir zwar nicht nachzeichnen könnten, aber nach seinem allgemeinen Eindruck wiedererkennen« (BBP 624). Es bildet »feste[] Schienen, auf denen all unser Denken verläuft, und also nach ihnen auch unser Urteilen und Handeln« (Z 375) strukturiert ist. Erfahrung und Ausdrucksmodi, die ein sprachlich sozialisierter Mensch macht, sind nach Wittgenstein also durch ein Sprach-Apriori vorgeprägt und werden unhinterfragt als gegeben akzeptiert. Letztlich findet »[a]lle Prüfung, alles Bekräften und Entkräften einer Annahme […] schon innerhalb [dieses] Systems« (ÜG 105) statt. Durch Abrichtung bzw. das Erlernen von gemeinsamen Sprech- und Handlungsweisen formiert sich dergestalt ein soziales »Bezugssystem« (PU 206), in dessen Zentrum ein sehr schwacher Subjektbegriff steht. Mit einem Subjekt – nimmt man die wahrscheinlich prominenteste Subjektnarration Kants als Antipode auf –, das sich selbst als freier Urheber seiner Prinzipien »unabhängig von fremden Einflüssen«396 ansieht, hat dies nichts mehr zu tun. Der Mensch ist kommunikativ vergesellschaftet.397

Hinsichtlich meines Vorhabens, Lebensform als Hintergrundfolie für die weiteren Kapitel auszubreiten, ist bis zu diesem Punkt mit Matthias Kroß Folgendes festzuhalten: Lebensform ist ein sich in der »Praxis […] ausdifferenzierender Regelkanon gesellschaftlicher Handlungsmuster, der den ›Hintergrund‹ oder Rahmen für die einzelnen Sprachspiele des Wissens und der Wahrheit des Gewußten abgibt.«398 Und pointierter mit Óscar González-Castán: Lebensform ist als ein »a priori shape-giving skeleton« zu denken, »that supports all form of human life«.399

Von diesen Definitionsversuchen ausgehend, lässt sich das Konzept der Lebensform in Über Gewissheit mit einer allegorischen Wendung und im Register der Geologie bzw. im Bild des Flussbetts weiterführen:

Ja, das Ufer jenes Flusses besteht zum Teil aus hartem Gestein, das keiner oder einer unmerkbaren Änderung unterliegt, und teils aus Sand, der bald hier bald dort weg- und angeschwemmt wird. […] Man könnte sich [nun] vorstellen, daß gewisse Sätze von der Form der Erfahrungssätze erstarrt wären und als Leitung für die nicht erstarrten, flüssigen Erfahrungssätze funktionieren; und daß sich dies Verhältnis mit der Zeit änderte, indem flüssige Sätze erstarren und feste flüssig würden. (ÜG 96, 99)

Das Flüssige – zu denken als der alltägliche Lebensvollzug – untersteht dem Apriori des historisch Erstarrten und Abgerichteten, das für die gegenwärtig gemachten Erfahrungen als Leitplanke und Hintergrund dient. Dieses erstarrte »Flussbett« ist frei von Zweifeln. Es ist einfach so. Es ist nach Wittgenstein das Gegebene, das sich einem Reflexionszusammenhang entzieht. In bzw. auf ihm findet lediglich die vorgebahnte »Bewegung des Wassers« (ÜG 97) statt.

Entscheidend für meine mit Staunen zusammenhängenden Überlegungen ist Wittgensteins Aussage über die Verschiebung des Flussbetts bzw. die Veränderung einer Lebensform. Diese ist als argumentativer Referenzpunkt im Sinne einer Plateaubildung hervorzuheben: »Die[se] [abgerichtete, TH] Mythologie kann wieder in Fluß geraten, das Flußbett der [abgerichteten, TH] Gedanken sich verschieben.« (ÜG 97) Eine Antwort darauf, wie dies geschehen kann, bleibt Wittgenstein an diesem Punkt schuldig.

Diese Leerstelle möchte ich füllen. Meine Überlegung lautet, dass es im Zusammenhang der Änderung einer Lebensform bzw. eines Flussbetts zwei Möglichkeiten gibt: Die erste deutet Wittgenstein selbst an, sie ist als sich zeitlich weit erstreckende Verhaltensänderung zu denken. Am ehesten lässt sie sich über den in der Verhaltenstherapie eingesetzten Begriff ›Shaping‹ nachvollziehen.400 Gleich »Sand, der bald hier bald dort weg- und angeschwemmt wird« (ÜG 99, s. o.), wird einer etablierten Lebensform langfristig etwas genommen oder kontinuierlich etwas hinzugefügt. Die zweite Möglichkeit der Veränderung eines Flussbetts ist das Staunen. Im Gegensatz zur ersten Möglichkeit ist es terminiert; es erstreckt sich nicht expansiv in der Zeit, sondern vollzieht sich plötzlich. Staunen, so die zu verifizierende Hintergrundthese der folgenden Kapitel, ist quasi der gezündete Sprengsatz an einem Flussbett, in dessen Folge sich neue Fließ- bzw. Handlungs- und Denkwege eröffnen. Im Sinne einer produktiven Abweichung gilt es, »Steinbrocken und Schutt« (PU 118) aufzuwerfen, sodass sich »das Flußbett der Gedanken […] verschieben« (ÜG 97) kann. Im Folgenden fasse ich Staunen im Sinne Hans Blumenbergs mittels einer »Sprengmetaphorik« als etwas, das »zur Bewegung« befähigt und »Bewegung darstellen« kann. Staunen als Sprengmetapher meint, dass eine »Anschauung in einen Prozeß hinein[gezogen wird], in dem sie zunächst zu folgen vermag, um aber an einem bestimmten Punkt […] aufgeben – und das wird verstanden als ›sich aufgeben‹ – zu müssen«.401

Wittgenstein verstand unter Philosophie »keine Lehre, sondern eine Tätigkeit« (TLP 4.112) – er verstand Philosophie als Praxis.402 Für ihn war Philosophie »die Arbeit an Einem selbst. An der eigenen Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht. (Und was man von ihnen verlangt.)« (VB S. 472) An von Praxis entkoppelten Ausführungen in theoretischen Architekturen war ihm nicht gelegen. Nimmt man diesen praxeologischen Standpunkt ernst, ist Philosophie für Wittgenstein Arbeit an der Lebensform. Dass das Mittel dieser Arbeit das Staunen ist, soll im Folgenden über die gliedernden Begrifflichkeiten von Episteme, Rhetorik und Performanz ausgeführt werden.

388

Vgl. Majetschak 2010: 266; sowie ders. 2019: 89 ff.

389

Vgl. Mittelstädt 1980: 118 f.

390

Von Savigny 1999: 120.

391

Majetschak 2010: 280.

392

Volbers 2009: 219.

393

Zur ausführlichen Darstellung der Rezeptions- und Interpretationsgeschichte und den damit verbundenen Kontroversen vgl. von Stosch, Klaus, Glaubensverantwortung in doppelter Kontingenz. Untersuchungen zur Verortung fundamentaler Theologie nach Wittgenstein, Regensburg: Friedrich Pustet, 2001, S. 29–38.

394

Teile der hier angeführten Überlegungen zu Wittgensteins Begriffen der Abrichtung und der Lebensform sind meinem Aufsatz »Infantilität und Staunen. Zu Wittgensteins Kindern« (in: Das Staunende Kind. Kulturelle Imaginationen von Kindheit, hg. v. Nicola Gess und Mireille Schnyder, Paderborn: Fink, 2021, S. 21–39) entnommen.

395

Vgl. Kap. 2.1 Wissensordnung.

396

Kant GMS BA 101.

397

Mit der Annahme, dass Sprache und die damit verbundenen grammatikalischen Strukturen die Weltwahrnehmung eines Subjekts vorstrukturieren, ist Wittgenstein keineswegs allein. Facetten dieser grammatikalisch-anthropologischen Annahme sind zeit- und disziplinübergreifend auszumachen. So spricht bereits Wilhelm von Humboldt zu Beginn des 19. Jahrhunderts davon, dass »das bildende Organ des Gedanken« die Struktur einer Nationalsprache sei. Er bezeichnet dieses Phänomen als ›innere Sprachform‹. Es seien ihre Gesetze und »Bahnen, in welchen sich die geistige Thätigkeit in der Spracherzeugung bewegt« (Humboldt, Wilhelm, Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. Einleitung zum Kawiwerk, in: Gesammelte Schriften, Bd. 7.1, Berlin: Behr, 1907 [1830–1835], S. 53 und S. 86). Nietzsche nennt ebendies einen durch Grammatik gegebenen »Gouvernanten-Glauben«: »Daß die einzelnen philosophischen Begriffe nichts Beliebiges, nichts Für-sich-Wachsendes sind, sondern in Beziehung und Verwandtschaft zueinander emporwachsen, daß sie, so plötzlich und willkürlich sie auch in der Geschichte des Denkens anscheinend heraustreten, doch ebensogut einem Systeme angehören als die sämtlichen Glieder der Fauna eines Erdteils: das verrät sich zuletzt noch darin, wie sicher die verschiedensten Philosophen ein gewisses Grundschema von möglichen Philosophien immer wieder ausfüllen. Unter einem unsichtbaren Banne laufen sie immer von neuem noch einmal dieselbe Kreisbahn: sie mögen sich noch so unabhängig voneinander mit ihrem kritischen oder systematischen Willen fühlen: irgend etwas in ihnen führt sie, irgend etwas treibt sie in bestimmter Ordnung hintereinander her, eben jene eingeborne Systematik und Verwandtschaft der Begriffe. Ihr Denken ist in der Tat viel weniger ein Entdecken als ein Wiedererkennen, Wiedererinnern, eine Rück- und Heimkehr in einen fernen uralten Gesamt-Haushalt der Seele, aus dem jene Begriffe einstmals herausgewachsen sind – Philosophieren ist insofern eine Art von Atavismus höchsten Ranges. Die wunderliche Familien-Ähnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen Philosophierens erklärt sich einfach genug. Gerade, wo Sprach-Verwandtschaft vorliegt, ist es gar nicht zu vermeiden, daß, dank der gemeinsamen Philosophie der Grammatik – ich meine dank der unbewußten Herrschaft und Führung durch gleiche grammatische Funktionen – von vornherein alles für eine gleichartige Entwicklung und Reihenfolge der philosophischen Systeme vorbereitet liegt: ebenso wie zu gewissen andern Möglichkeiten der Welt-Ausdeutung der Weg wie abgesperrt erscheint. Philosophen des ural-altaischen Sprachbereichs (in dem der Subjekt-Begriff am schlechtesten entwickelt ist) werden mit großer Wahrscheinlichkeit anders ›in die Welt‹ blicken und auf andern Pfaden zu finden sein als Indogermanen oder Muselmänner: der Bann bestimmter grammatischer Funktionen ist im letzten Grunde der Bann physiologischer Werturteile und Rasse-Bedingungen.« (Nietzsche, Friedrich Wilhelm, Jenseits von Gut und Böse, in: Kritische Studienausgabe, Bd. 5, hg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München/Berlin/New York: DTV/De Gruyter 1999 [1886], Nr. 20, 34) Auch die auf den Linguisten und Ethnologen Edward Sapir zurückzuführende und durch Benjamin Lee Whorf formalisierte ›Sapir-Whorf-Hypothese‹ ist vor diesem Hintergrund der grammatikalischen Präformation von Denken und daraus hervorgehendem Handeln zu situieren: »The linguistic relativity principal [= Sapir-Whorf-Hypothese, TH] means, in informal terms, that users of markedly different grammars are pointed by their grammars toward different types of observations and different evaluations of externally similar acts of observation, and hence are not equivalent as observers but must arrive at somewhat different views of the world.« (Whorf, Benjamin Lee, Language, Thought, and Reality, Cambridge: Technology Press of Massachusetts Institute of Technology, 1956, S. 221) In gegenwärtigen Auseinandersetzungen und im Spannungsfeld von Konstruktivismus und Neorealismus werden diese Gesichtspunkte unter spezifischen »Mod[i] der Vertrautheit«, vor allem aber unter der thematischen Stoßrichtung von semantischer Evidenz verhandelt. »[D]er Begriff der semantischen Evidenz [ist] jene[r] Modus der unmittelbaren Geltung von Sinn, durch den der Inhalt, der in Zeichen/Medien zum Ausdruck gebracht wird, in seiner Wahrheit, seiner Glaubwürdigkeit oder seiner Authentizität den an der Kommunikation Beteiligen so vertraut und unanfechtbar erscheint, dass es ihnen konsensuell nicht in den Sinn kommt, ihn in irgendeiner Form zu thematisieren oder zu bezweifeln. Es ist ein Sinn, der einfach verstanden wird. Was die Kommunikationsbeteiligten in Bildern sehen oder in Sätzen verstehen, ist eingelassen in jenes von Wittgenstein in seinen Reflexionen zum Problem der Gewissheit sogenannte ›System von Geglaubtem‹ […]. […] Semantische Evidenz wäre also ein Zustand der Vertrautheit mit einer geteilten Welt von Bedeutungen, die durch nichts irritiert oder gestört werden zu können scheint, eine Welt, über deren Wahrheit oder Falschheit wir in der Regel nicht entscheiden, sondern die vielmehr der Grund ist, auf dem wir solche Entscheidungen treffen.« (Jäger, Ludwig, »Semantische Evidenz. Evidenzverfahren in der kulturellen Semantik«, in: Auf die Wirklichkeit zeigen. Zum Problem der Evidenz in den Kulturwissenschaften, hg. v. Helmuth Lethen, Ludwig Jäger und Albrecht Koschorke, Frankfurt/New York: Campus, 2015, S. 39–62, hier S. 46–50)

398

Kroß 2000: 44.

399

González-Castán 2015: 278.

400

Vgl. zum auf das operante Konditionieren zurückzuführenden Begriff des ›Shaping‹ Myers, David G., Psychologie, Berlin: Springer, 2014, S. 301.

401

Blumenberg 1998: 178 ff.

402

Diese an Praxis orientierte Positionierung von Philosophie ist keineswegs neu. Folgt man Pierre Hadot, ist sie sogar der signifikante Charakterzug der antiken Philosophie. Hadot lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass die philosophischen Schriften der Antike vielmehr »formen als informieren« (S. 10) wollen: »Hier aber handelt es sich nicht um ein einfaches Wissen, sondern um eine Umformung der Persönlichkeit […]. Alle psychagogischen Mittel der Rhetorik und alle Methoden der Steigerung sollen zu diesem Zweck mobilisiert werden.« (S. 18) Auf diese Weise, so der Ausgangspunkt der antiken Philosophie, komme es »zu einer völligen Wandlung [der] Weltsicht, [der] Gemütsstimmung, aber auch [des] äußeren Verhaltens« (S. 19). Ein philosophisches Werk war und ist nach Hadot immer als Synthesis aus Theorie, Pädagogik und praktischem Imperativ zu verstehen: »Die Philosophie erscheint sodann in ihrer ursprünglichen Gestalt nicht mehr als eine theoretische Konstruktion, sondern als Methode der Menschenformung, die auf eine neue Lebensweise und ein neues Weltverständnis abzielt, als eine Bemühung, den Menschen zu verändern.« (S. 45) Im Aufkommen des Christentums sieht Hadot diese philosophische Programmatik suspendiert. Die Philosophie des Mittelalters habe ihre Formen der geistigen Übung an die christliche Spiritualität abgegeben. Geistige Exerzitien und Praktiken waren von nun an Privileg der Kirche und Klöster. Die seit Ende des 18. Jahrhunderts einsetzende neuere Philosophie (Kant, Fichte, Schelling, Hegel) entwickelte sich theoretisch: »Die antike Philosophie schlägt dem Menschen eine Lebensform vor, die moderne Philosophie dagegen stellt sich vor allem als Konstruktion einer technischen Sprache dar, die Spezialisten vorbehalten bleibt.« (Hadot, Pierre, Philosophie als Lebensform. Geistige Übungen in der Antike, Berlin: Mathias Gatza, 1991, S. 171 f.)

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Quadraturen des Staunens

Episteme, Rhetorik und Performanz bei Ludwig Wittgenstein

Series:  Poetik und Ästhetik des Staunens, Volume: 12