Gegen Technik als meinen Diener habe ich nichts; gegen Technik als meinen Meister schon.
(Jonathan Franzen, Das Kraus-Projekt)
Menschen auf sanfte Art und Weise zu beeinflussen ist en vogue. In einer liberalen Gesellschaft, wie die unsrige vorgibt zu sein, ziemt es sich nicht, Bürger*innen durch strikte Normen, Sanktionen und Gesetze zu zwingen das »Richtige« zu tun. Attraktiver scheint es, sie auf subtile Weise zu beeinflussen, sodass sie sich ganz von alleine wie erwünscht verhalten. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Psychologie, den Kognitionswissenschaften, der experimentellen Wirtschaftsforschung und der Verhaltensökonomie, neue und bessere Technologien beim Aufzeichnen und Verarbeiten von Daten, sowie eine persistente digitale Erreichbarkeit, Vernetzung und Überwachung machen es möglich, das Verhalten von Menschen in fast allen Bereichen des Lebens auf sanfte Art und Weise zu regulieren. Es wird von »sanft« gesprochen, weil es darum geht, Betroffene zu beeinflussen, ohne dabei ihre Freiheit einzuschränken. Oder, wie es etwa die Erfinder des Nudge-Konzepts1 Richard M. Thaler und Cass R. Sunstein fomulieren, weil es sich um Interventionen handelt, die jederzeit »easy und cheap to avoid« seien (Thaler und Sunstein 2009).
Neben Nudges ist ein weiterer prominenter Ansatz sanfter Verhaltensbeeinflussung Gamification: eine Strategie, die darauf abzielt, spielfremde Kontexte mit sogenannten Spielelementen anzureichern, um so Betroffene zu motivieren, sich auf eine bestimmte bzw. vorbestimmte Art und Weise zu verhalten. Auch wenn Gamification bereits im prädigitalen Zeitalter zu entdecken war, haben wir es mit einer Beeinflussungsform zu tun, die ihre Wirkungsmacht in einem besonderen Maße erst den modernen digitalen Möglichkeiten verdankt. Ohne die uns tagtäglich begleitenden Smartphones und sozialen Netzwerke, sowie allerlei smarte Gadgets, preiswerte Sensoren und ausgeklügelte Algorithmen, hätte Gamification wohl kaum die Popularität und Relevanz erreicht, die dieser Beeinflussungsstrategie heutzutage beigemessen werden muss. Denn – eines vorneweg – Gamification ist nicht nur en vogue, sondern omnipräsent.
Über Potenziale und Risiken der Digitalisierung wird zur Zeit viel gesprochen. Nicht selten sehen wir uns entweder mit »technizistische[n] Erlösungshoffnungen« oder im Gegenteil mit »apokalyptische[n] Untergangsszenarien« konfrontiert (vgl. Nida-Rümelin und Weidenfeld 2018, S. 11). Die einen propagieren die utopische Vorstellung, dass der Mensch durch digitale Technologie nun endlich von der Arbeit und allen anderen lästigen Aufgaben erlöst werde und in diesem Sinne endlich die ihm gebührende Freiheit erlangen könnte. Die anderen beschwören Dämonen in Form intelligenter Maschinen und Systeme herauf, die über sich hinauswachsen, sich verselbstständigen und schlussendlich die Menschheit unterwerfen.2 Ähnlich sieht das im Fall von Gamification aus: Auch hier sind auf der einen Seite die Euphoriker*innen auszumachen, die Gamification als universelle Heilsbringerin anpreisen und gar von einer Revolution sprechen, dank derer sämtliche individuellen und gesellschaftlichen Probleme mit spielerischer Leichtigkeit gelöst werden könnten. Auf der anderen Seiten stehen die Apokalyptiker*innen. Sie sehen Gamification in erster Linie als eine neoliberale Kontroll- bzw. Machttechnik, bei der es darum geht Betroffene zu überwachen, zu kontrollieren, auszubeuten oder gar zu unterwerfen (vgl. z. B. Han 2015).
Die Wahrheit liegt – wie allzu oft – dazwischen. Auch wenn ich keinen Hehl daraus machen möchte, dass meine Sympathie eher den Apokalyptiker*innen als den Euphoriker*innen gilt3 und der Fokus dieser Arbeit daher auf einer kritischen Auseinandersetzung mit der Anwendung von Gamification liegt, bin ich dennoch nicht der Meinung, Gamification pauschal gesehen als unseren Feind zu betrachten. Der Feind ist vielmehr, so könnte man mit dem Digitalisierungskritiker Evgeny Morozov sagen, nicht die Technik selbst (also in unserem Fall Gamification), sondern »unser Feind ist der romantische und revolutionäre Problemlöser, der ihr innewohnt« (Morozov 2013, S. 592). Es ist die Annahme, dass sämtliche Probleme einfach gelöst werden können, wenn sie nur ansprechend aufbereitet und in ein Spiel verpackt werden, genau wie die Absicht mittels Gamification menschliches Verhalten an allen möglichen Stellen weiter optimieren zu wollen, die sich hier als gefährlich heraustellt.4 Diese Geisteshaltung ist dafür verantwortlich, dass Gamification sich immer weiter ausbreitet und in allen erdenklichen Lebensbereichen angewendet wird. Was umso problematischer ist, weil die Anwendung von Gamification auch ein Echo hat. So ist bei weitem nicht ausgemacht, dass wir es wirklich mit einer sanften Form der Einflussnahme zu tun haben, die nicht die Freiheit Betroffener tangiert. Dies wird deutlich, wenn wir Freiheit im Sinne des umfassenderen Konzepts menschlicher Autonomie verstehen. Tun wir das, müssen wir uns nämlich nicht nur die Frage stellen, inwiefern im Rahmen gamifizierter Anwendungen und Systeme etwa von Zwang zu sprechen ist, sondern es gilt ebenfalls zu untersuchen, ob nicht die Verwendung von Gamification womöglich einen negativen Einfluss auf die Fähigkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, haben kann. Insbesondere wenn Gamification, wie einschlägige Euphoriker*innen proklamieren, als universelle Problemlöserin betrachtet wird und wir tatsächlich permanent von gamifizierten Anwendungen und Systemen umgeben sind, scheint dies durchaus möglich zu sein. Die in der Digitalisierungsdebatte häufig geäußerte Befürchtung, dass immer ausgeklügeltere Algorithmen womöglich dazu führen, dass intelligente Systeme oder Maschinen enstünden, die selbst zum Mensch werden, ist im Fall von Gamification geradezu umgekehrt zu formulieren: Durch eine umfassende Verwendung von Gamification besteht die Gefahr, dass der Mensch selbst zur Maschine wird. Die Logik vieler gamifizierter Anwendungen und Systeme besteht in einer Algorithmisierung menschlichen Verhaltens. Betroffene werden programmiert sich so zu verhalten, wie die Algorithmen der gamifizierten Anwendungen und Systeme es vorgeben. Ein umfassend gamifizierter Mensch droht ein programmierter Mensch zu werden. Tritt dieser Fall ein, werden wir tatsächlich von Algorithmen beherrscht. Aus diesem Grund gilt es, mit einer gewissen Sensibilität bei der Verwendung von Gamification vorzugehen und nicht in blinde Euphorie zu verfallen. So möchte ich für die nun folgende Untersuchung den eingangs zitierten Ausspruch des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen paraphrasieren:
Gegen eine gamifizierte Anwendung als meine Diener*in habe ich nichts; gegen eine gamifizierte Anwendung als meine Meister*in schon (vgl. Franzen 2016, S. 132 f.).
Nudges bestehen in einer gezielten Abwandlung der sogenannten Entscheidungsarchitektur (d. h. der Umstände innerhalb welcher Menschen Entscheidungen treffen) mit dem Zweck bestimmte, automatisch ablaufende, kognitive Prozesse zu stimulieren, um so den Ausgang menschlicher Entscheidungen zu verändern (vgl. Thaler und Sunstein 2009).
Für eine Gegenüberstellung und kritische Dikussion dieser beiden Standpunkte in Sachen Digitalisierung siehe Nida-Rümelin und Weidenfeld 2018.
Dies gilt jedoch nur hinsichtlich Gamification im Speziellen und nicht hinsichtlich des viel breiteren Phänomens der Digitalisierung im Allgemeinen.
Siehe auch Morozovs ganz grundsätzliche Kritik an dieser, von ihm als Solutionismus bezeichneten Geisteshaltung: »Das Bestreben, alle komplexen sozialen Zusammenhänge so umzudeuten, dass sie entweder als genau umrissene Probleme mit ganz bestimmten, berechenbaren Lösungen oder als transparente, selbstevidente Prozesse erscheinen, die sich – mit den richtigen Algorithmen! – leicht optimieren lassen, wird unerwartete Folgen haben. Und die könnten letztlich mehr Schaden anrichten als die Probleme, die gelöst werden sollen« (Morozov 2013, S. 25).