Einleitung

In: Die Eigenarten der Farben
Author:
Thomas Jahn
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Wer eine rote Kiste sieht, sieht die Farbe dort, wo die Kiste ist, und zwar an der Kiste vor seinen Augen. Wer jedoch weiß, dass er farbenblind ist, wird kaum glauben, dass das, was er sieht, die tatsächliche Farbe der Kiste ist. Wäre es bei Farben also denkbar, dass ihr Wesen genauso im ‚Auge des Betrachters‘ liegt wie die Schönheit einer Rose?

Was als Beispiel harmlos klingt und als Frage unverfänglich wirkt, beschreibt jedoch treffend die Eigenart der Farben und das daraus resultierende Problem: Wohin gehören die Farben? Sind Farben wie Ausdehnung, Form, Anzahl, Masse usw. primäre Qualitäten, die in oder an Körpern existieren, oder Qualitäten, die sich als Inhalte von Bewusstseinsakten präsentieren und damit ‚in uns‘ sind? Während wir die Behauptung, Farben seien ‚dort draußen‘, einleuchtend finden und durch unsere Alltagserfahrung bestätigt sehen, bedarf es jedoch gewisser Anstrengungen, um zu akzeptieren, Farben könnten irgendwie ‚in uns‘ sein. Die Idee, Farben könnten ‚im Subjekt‘ sein, hat jedoch eine Geschichte, die seit nunmehr drei Jahrhunderten als Geschichte einer Spaltung zu lesen ist und ein Problem benennt, das bis heute unlösbar scheint.

Die Geschichte des Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus

In der Welt vor dem 17. Jahrhundert war die Welt ein Ort, bei dem die von uns wahrgenommenen Qualitäten der Gegenstände auch als Eigenschaften dieser Gegenstände gesehen wurden. War eine Kiste 5kg schwer, dann war es die Kiste, die über diese Masse verfügte. Und war die Kiste rot, dann war es die Kiste selbst, die diese Eigenschaft besaß. Alle übrigen Eigenschaften wie Schmerzen oder Verliebtheitsgefühle waren dagegen Eigenschaften, die sich als intrinsische Eigenschaften von Bewusstseinszuständen erwiesen und ihre Existenz einem empfindungsfähigem Subjekt verdankten. Durch einen genialen Schachzug gelang es Erkenntnistheoretikern und Naturwissenschaftlern im 17. Jahrhundert allerdings, die Welt der Naturwissenschaften von der Gruppe sinnlicher Merkmale wie Farbe und Geruch zu bereinigen.1 Dazu bedienten sie sich eines mentalen Innenreichs, das den christlich geprägten Weltbildern des Nachmittelalters nachempfunden war und durch ein „Denken in optischen Metaphern nahegelegt wurde“2. Die sinnlichen Merkmale wurden aus der physischen Welt ausgelagert, indem man sie zu „Dingen im Geiste“3 erklärte. Allerdings durfte es im Anschluss daran nicht dem Zufall überlassen werden, mit welcher Art von sinnlicher Qualität man es genau zu tun hatte. Die sinnlichen Qualitäten, wie sie gerade durch Galilei, Descartes und Locke katalogisiert wurden, mussten an die physischen Merkmale der Gegenstände gekoppelt bleiben, da andernfalls „die Einheit von naturwissenschaftlicher und alltäglicher Welt auf Kosten einer Vielfalt disparater subjektiver Weltbilder“4 gegangen wäre. Um eine völlige Zersplitterung in subjektive Weltbilder zu vermeiden, musste also umgekehrt ein Weg gefunden werden, sinnliche Merkmale wie Farben wieder an die Außenwelt zu koppeln.

Bei dieser Bemühung entstand jedoch eine Spaltung, bei der das vormals unproblematische Phänomen Farbe nur noch auf einer Seite möglicher Existenzweisen unterzubringen war. Aufgrund der von Galilei und Descartes getroffenen Entscheidung, dass die physikalische Wissenschaft eine mathematisch genaue quantitative Beschreibung der Außenwelt gibt, konnten auf Seite des ‚berechenbaren‘ Objekts nur solche Eigenschaften wie Form, Größe und Bewegung sowie Gesetze, die zwischen diesen Qualitäten bestehen, akzeptiert werden.5 Subjektive Qualitäten wie Farben wurden dagegen allein dem Geist zugeschrieben und sollten ausschließlich relational analysiert werden, d.h. unter dem Gesichtspunkt einer Kraft physikalischer Dinge, auf die Sinne so einzuwirken, so dass „diese Erscheinungen im Geist des Beobachters hervorgebracht werden“6. Die Entscheidung, subjektive Farberlebnisse von der Welt abzuziehen oder wegzulassen, geschah dabei mit der Intention, eine „sparsame raumzeitliche Vorstellung der objektiven physikalischen Realität“7 zu entwickeln, die auf solche Qualitäten verzichtet, die in einem physikalischen Weltbild ohnehin nicht mehr unterzubringen waren.

Die relationale Beschreibung von Farben als etwas, das einerseits zum Gegenstand gehört und von ihm verursacht wird, sich andererseits aber nur ‚im‘ Subjekt manifestiert, erfuhr jedoch eine weitere Verschärfung, so dass die Rückbindung an physikalische Eigenschaften zusätzlich erschwert wurde. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, an dem sich Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus nach Kuhn in einer vorparadigmatischen Phase befanden, und die endgültige Aufspaltung in beide Positionen besiegelt wurde. Diese Phase fiel auf den Beginn des 20. Jahrhunderts, als der logische Empirismus als wirkmächtigste Position aktiv zu werden begann. Bereits in seiner Frühphase fiel dem Empirismus auf, dass sich eine Spannung zwischen einerseits sinnlich gewonnenen Erkenntnissen und anderseits naturwissenschaftlich gewonnenem Wissen zeigt.8 Aus empiristischer Sicht erlaubte das sich entwickelte mechanistische Weltbild keine Einbeziehung von Farben als Dingeigenschaften, weil sich das Verhalten von Dingen und damit letztlich das ganze Universum auch ohne die Einbeziehung von Farben beschreiben und erklären ließ.9 Um zu wissen, warum eine Kugel auf der geneigten Ebene nach einer bestimmten Zeit eine bestimmte Geschwindigkeit hatte, benötigte man nur solche Eigenschaften wie Masse, Weg usw., jedoch keine Farben. Farben wurden als sinnliche Eigenschaften für die mechanistische Erklärung der Tatsachen und Prozesse in der Außenwelt nicht nur ausgeschlossen, sondern für Empiristen nicht einmal von den Gegenständen instantiiert. Das resultierende Bild der Farben war nun dieses, dass es sich um phänomenale Qualitäten auf Subjektseite handelte, die ‚irgendwie’ mit physikalischen Eigenschaften und Ursachen verbunden waren, jedoch keine Strukturähnlichkeit mit physikalischen Eigenschaften aufwiesen und keine Analysierbarkeit mittels physikalischer Eigenschaften erlaubten. Die Folge war, dass sich Farben in ihrer Phänomenalität gegen die Reduzierung auf objektive Tatsachen sperrten, die Wissenschaft jedoch ohne weiteres damit zurecht kam. Phänomenologisch betrachtet erfuhr man Farben zwar weiterhin als primäre Qualitäten wie Ausdehnung und Form ‚dort draußen‘ (Farben sind ja untrennbar mit Form und Ausdehnung verbunden). Da die Empirie aber zeigte, dass Farben nicht als reale Bestandteile der Welt anzusehen waren, wurden Farben erstmals als rein qualitative Merkmale der Wahrnehmung angesehen, womit der erste Schritt in Richtung Eliminativismus getan war.10 Farben gab es nun nicht mehr als quantitative oder qualitative Eigenschaften ‚dort draußen’, sondern nur noch als Eigenschaften des Bewusstseins. Die sinnlichen Eigenschaften waren mit diesem Schachzug zwar gegen Reduktionsoptimisten gerettet. Allerdings wurde es nun zum Problem, wie das Subjekt von hier aus wieder zur Welt und zur Farbigkeit der Dinge gelangen konnte.

Das Problem

Mit der Aufspaltung in Theorien, die die Existenz von Farben als entweder ‚dort draußen‘ (im Sinne von rein quantitativ beschreibbaren physikalischen Eigenschaften) oder ‚im Subjekt drinnen‘ fordern, ergibt sich jedoch folgende Konsequenz: Entweder wird der subjektive Erlebnischarakter von Farben so verstanden, dass er einen „methodisch vom Ganzen der Natur getrennten Bereich sui generis konstituiert“11, der sich phänomenologisch zwar hervorragend beschreiben lässt, einer funktionalistischen und physikalischen Analyse aber unzugänglich bleibt. Damit sind zwar die Phänomene des Farberlebens gerettet, allerdings zum Preis einer dualistischen Position, die sich als interdisziplinär steril erweist. Oder man hält sich methodisch an die Aspekte von Farberleben, die sich unabhängig von „ihrer Einbettung in subjektives Erleben beschreiben und analysieren lassen“12. In diesem Fall ist zwar die Durchführbarkeit eines universellen Naturalismus gesichert. Der Preis besteht jedoch in einer Eliminierung und Epiphenomenalisierung von solchen Erlebnisaspekten, die unsere gewöhnlichen Erfahrungen dominieren. Legt man Wert auf die wissenschaftliche Explizierbarkeit der Farben, dann hat das phänomenale Farberleben wenig Platz darin, weil das Explanandum, das hierbei bestimmt werden soll, eben wenig mit phänomenalen Farberfahrungen zu tun hat. Und berücksichtigt man das phänomenale Farberleben so, wie es in dualistischen Positionen gefordert wird, dann wird es umso schwieriger mit der Explizierbarkeit der Farben und ihrer Verortung in einer ‚objektiven‘ Welt.

Der phänomenologische Ansatz

Die oben beschriebene Geschichte der Aufspaltung in Farbsubjektivismus und Farbobjektivismus beinhaltet ein fortwährendes Dilemma: Versucht man Farben dadurch zu retten, indem man sie bspw. als mikrophysikalische Eigenschaften oder Reflektanzspektren der Körper analysiert, dann fehlt dieser Art von Explanans genau dasjenige, was durch sie erklärt werden soll – nämlich das phänomenale Farberleben. Koppelt man dagegen Farben von den Objekteigenschaften ab und verlagert sie ‚ins Bewusstsein‘, dann bleibt unklar, in welchem Sinne von wahrnehmbaren Eigenschaften, die sich phänomenologisch gesehen am Objekt befinden, sinnvoll sprechen lässt. Obwohl das Dilemma seit Beginn der Farbdiskussion besteht, scheint sich dennoch folgender Konsens entwickelt zu haben: Da nicht klar ist, wie man beide Aspekte – Physikalität und Phänomenalität der Farben – in einer Theorie vereinigen soll, versucht man stets einen Aspekt von Farbe durch ausgeklügelte Beschreibungen, Gedankenexperimente, Reduktionen oder Erklärungen so ‚zurechtzubiegen‘, so dass der Eindruck entsteht, alles wesentliche über Farben sei gesagt und das Desiderat einer umfassenden Farbtheorie erfüllt.13 Dazu folgendes Beispiel: Nachdem sinnliche Qualitäten in ein mentales Innenreich verbannt wurden, musste die Wissenschaft hinter die sinnliche Erscheinung gelangen, um das ‚wahre Wesen‘ dieser Qualitäten zu ermitteln. Im Fall von Wasser geschah dies u.a. wie folgt:14 Bei der Analyse von Wasser fiel schnell auf, dass es für die Analyse unwichtig war, ob man Wasser trinken oder darin baden konnte oder Wasser eine bestimmte Farbe besaß. Irrelevant waren diese Erscheinungen deshalb, weil die sinnlichen Erscheinungen von Wasser nur subjektive Manifestationen einer zugrundeliegenden Wirklichkeit waren, die von der chemischen Struktur des Wassers herrührten. Man änderte also nichts am Wesen Wasser, als man erfuhr, dass es nass und trinkbar ist. Bei der Analyse von Wasser ging es also nur um die ‚wesentliche‘ Feststellung „Wasser = H2O“. Die Welt in der wir leben (mit sinnlichen Eigenschaften) war nun einfach eine andere Welt als die der exakten Naturwissenschaften. Nur die letztere war wahr, die Erfahrungswelt dagegen nur ein Konstrukt (obwohl man weiterhin wissen wollte, wie dieses Konstrukt entsteht), die das Resultat beschrieb, wie wir auf physikalische Stimuli der Außenwelt reagieren.

Die Phänomenologie bezweifelt jedoch sowohl die Beschränkung unserer Erfahrungswelt auf eine naturwissenschaftlich beschreibbare Welt als auch die Idee, das sinnliche Material sei die einzige Realität, von der ausgehend eine physikalische Außenwelt zu konstruieren sei, die zum bloßen Zweck einer instrumentellen Vorhersage zukünftiger Erfahrungen eine gewisse Berechtigung besitzt.15 Für die Phänomenologie sind Farben schlicht da, wo sie sich bei der Wahrnehmung eines Gegenstandes befinden, eben am Gegenstand. Allerdings sind Farben auch Qualitäten für mich, die sich aus der Relation zum wahrnehmenden Subjekt und dessen physiologischem Aufbau ergeben. Der Inhalt des Erlebnisses „Ich sehe rot“ wird ‚automatisch‘ durch die Intentionalität transzendiert, so dass ich sowohl eine Objekteigenschaft zusprechen kann („Ich sehe eine rote Kiste“), als auch eine subjektive Wahrnehmung von der Kiste habe. D.h. die Farbe der Kiste erscheint einerseits als nicht-relationale Eigenschaft des Gegenstandes, die nicht als Sinnesdatum im Bewusstsein existiert. Andererseits nehme ich keine der von der Physik postulierten theoretischen Entitäten wahr, die meine Farbwahrnehmung verursachen sollen, sondern schlicht und einfach Farben. Dies macht es erforderlich, einen völlig anderen Weg bei der Analyse der Farben einzuschlagen und sich vom methodischen Vorgehen innerhalb von Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus abzugrenzen: Die Phänomenologie nimmt Farben so hin, wie sie zunächst in der Wahrnehmung gegeben sind. Durch ihr methodisches Vorgehen, die Phänomene zu beschreiben und deren allgemeine Charakteristika zu bestimmen, ist die Phänomenologie allerdings nicht wissenschaftsfeindlich, da nicht behauptet wird, die durch phänomenologische Analyse gewonnen ‚Fakten‘ fixierten die Identität des Gegenstandes. D.h. die Phänomenologie lehnt die Auffassung ab, Farben dürften nur das sein, was sich mir in der Wahrnehmung zeigt (Farben als phänomenale Eigenschaften), nicht aber das, worüber uns die Naturwissenschaften auch informieren (z.B. primäre Qualitäten oder Reflektanzspektren). Wenn wir farbige Gegenstände sehen, dann erwerben wir zwar keine Kenntnis über die spektralen Remissionseigenschaften der Gegenstandsoberflächen noch sind uns Remissionseigenschaften transparent in der Wahrnehmung gegeben.16 Dennoch besitzt die wissenschaftliche Analyse ihre Berechtigung, weil sie uns laut Phänomenologie auf einer anderen Konstitutionsstufe unserer Erfahrungen darüber informiert, als was sich Farben auch zeigen und analysieren lassen, eben als physikalische Eigenschaften. Auf der anderen Seite nimmt die Phänomenologie jedoch auch den ‚subjektiven Standpunkt‘ bei der Wahrnehmung von Farben ernst. Farben sind phänomenale Qualitäten, die in einem kategorialen Sinne von physikalischen Eigenschaften unterschieden sind. Die rote Farbe der Kiste, die ich sehe, ist nun einmal eine andere Eigenschaft als die Lichtwelle von 700nm, die die Farbwahrnehmung verursacht. Farben existieren deshalb jedoch nicht in einem mentalen Innenreich, sondern sind Eigenschaften dieser physikalischen Objekte vor unseren Augen. Mit dieser Dualität der Farben eröffnet sich eine Komplementarität, die den Positionen des Farbsubjektivismus und Farbsubjektivismus allerdings fehlt.

Aufgrund des methodischen Vorgehens der Phänomenologie ist zugleich das Problem benannt, dass die gesamte Farbdebatte bestimmt: Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus meinen einerseits das Desiderat einer umfassenden und gültigen Farbtheorie zu erfüllen, bemerken andererseits aber nicht, dass Farben in diesen Theorien derart ‚verstümmelt‘ wiedergegeben werden, so dass wir sie nicht mehr als diejenigen Eigenschaften wiedererkennen, die uns in der Erfahrung gegeben sind. Dass dies passieren muss hat folgenden Grund: Eine Wissenschaft, die sich zum Physikalismus und Naturalismus bekennt, muss Farben auch in ihren phänomenalen Eigenschaften ‚naturalisierbar‘ machen, um vollumfängliche Wissenschaft zu sein. In diesem Fall müssen Farben identisch mit physikalischen Eigenschaften sein oder zumindest auf solchen Tatsachen supervenieren. Da man bei diesem Vorgehen allerdings merkt, dass Farben ‚für den Gang der Welt‘ kausal wirkungslos sind, erklärt man sie vorschnell zu nützlichen Fiktionen, die einst wie Phlogiston instrumentell erfolgreich waren, in der Welt jedoch nicht existieren. Der Prognoseerfolg reduziert sich entweder darauf, dass man Farben ontologisch auf nicht-phänomenale Eigenschaften reduziert oder allen Ernstes behauptet, man sehe überhaupt keine Farben.17 Mit dieser Strategie ist zwar alles über die distalen und proximalen Ursachen der Farbwahrnehmung gesagt. Was dabei jedoch fehlt ist das, was ursprünglich damit erklärt werden sollte: nämlich Farben. Die kausalen Wege werden zwar bis ins kleinste verfolgt, auf der intentionalen Ebene unserer Wahrnehmung sind Farben jedoch verschwunden. Diese ‚Verstümmlung‘ setzt sich ebenfalls im Farbsubjektivismus fort, der sich zum Ziel gesetzt hat, die ‚phänomenale Verfasstheit‘ der Farben zu retten. Gelingt es das phänomenale Residuum zu verteidigen und die phänomenalen Eigenschaften ‚irgendwie‘ mit physikalischen Eigenschaften ‚dort draußen‘ zu verbinden, dann verbleibt in den meisten Fällen jedoch ein Epiphenomenalismus, bei dem Farben nur noch als Eigenschaften des visuellen Feldes existieren und fälschlicherweise auf den Gegenstand ‚dort draußen‘ projiziert werden. Bei den meisten Versionen eines solchen Epiphenomenalismus werden Farben dann bspw. wie zweidimensionale Flächen behandelt, die man zusätzlich zu den dreidimensionalen und primären Qualitäten am oder auf dem Gegenstand sieht. Warum Farben den Konturen und Formen des Gegenstandes folgen, bleibt in den meisten Fällen allerdings ein Rätsel.

Die Probleme der Farbdebatte und die Phänomenologie

Die Phänomenologie setzt sich dagegen die Aufgabe, Farben so zu beschreiben und allgemein zu charakterisieren, wie sie uns in der Erfahrung gegeben sind. Dass dieses Vorgehen notwendig und legitim erscheint zeigt die Problemlage, an der sich die Farbdebatte seit der Spaltung in Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus ‚abarbeitet‘ und zu der bislang wenig Fortschritt zu verzeichnen ist.

(1) Die Ontologie der Farben: Eine Theorie ist dann farbsubjektivistisch, wenn die Beschaffenheit und Instantiierung der Farben davon abhängig ist, ob und wie uns Farben sinnlich erscheinen, dagegen farbobjektivistisch, wenn Farbtatsachen unabhängig davon Bestand haben, ob sie von uns wahrgenommen werden oder nicht. Das Differenzkriterium für beide Positionen ist damit entweder fehlende oder vorliegende ontologische Geistabhängigkeit der wahrgenommenen Farbeigenschaften.18 Konkret heißt dies, dass Farben entweder physik-immanente oder phänomenale Eigenschaften sind. Dies führt jedoch bei Farbwahrnehmungen automatisch zu einer Verdopplung des Gehalts. Da die physikalischen Eigenschaften, bspw. die Reflektanzprofile, das Auftreten von Farbwahrnehmungen erklären können, stehen uns die phänomenalen Eigenschaften (die von uns gesehenen Farben) als deren Wirkungen im Weg, weil sie keine Strukturähnlichkeiten zu deren Ursachen aufweisen. So können Farbphysikalisten u.a. nicht erklären, warum ein kontinuierliches Reflektanzspektrum den wechselweisen Übergang zwischen monochromatischen Farben (Rot, Gelb, Grün Blau) und Binärfarben (Orange, Olivegrün, Türkis, Lila) bewirkt. Umgekehrt lassen sich die Reflektanzprofile nur durch ihre phänomenalen Eigenschaften repräsentieren, d.h. der Rückschluss, um welches Reflektanzprofil es sich handelt, bedarf der phänomenalen Farbwahrnehmung. Damit haben wir jedoch zwei Gehalte, zwischen denen bis heute ein unklares ontologisches und epistemisches Verhältnis besteht.19 Dies zeigt sich u.a. daran, dass die Aufteilung in einen physikalischen und phänomenalen Aspekt zu einer Überdetermination bei der Erklärung von Farben führt: Die Reflektanzspektren sind die ‚Ursache‘20 der phänomenalen Farbwahrnehmungen; die Farbwahrnehmungen sind jedoch umgekehrt die ‚Erklärungen‘ für das jeweils vorliegende Reflektanzspektrum, weil sie die Repräsentierbarkeit der Reflektanzprofile anzeigen. Wie wir später sehen, sollte die Aufspaltung in zwei Gehalte jedoch nicht als Problem, sondern als Lösung bei solchen Phänomenen wie Glanz, Glitzern, Schatten, Farbkonstanz usw. angesehen werden, wodurch sich die einseitige Gewichtung oder Reduktion auf einen der Farbaspekte als obsolet erweist.21

(2) Das Problem der Veridizität: In der Debatte kommt es durch die ‚einseitige‘ Gewichtung der Farben permanent zu der Frage, wann Farbwahrnehmungen veridisch sind. D.h. wann sehe ich das Rot der Kiste so, wie es ‚wirklich‘ an der Kiste existiert? Eine Farbwahrnehmung ist laut Definition genau dann veridisch, wenn ich eine rote Kiste sehe und die Kiste vor mir tatsächlich rot ist. Für den Farbsubjektivismus stellt das Veridizitätsproblem jedoch eine besondere Herausforderung dar, da die Frage zur Auflösung des Problems und gleichzeitig zu einem neuen Folgeproblem führt. Wenn nach Ansicht des Farbsubjektivisten die Farbe des Gegenstandes ontologisch durch Subjekte bedingt ist, dann sehen Tiere und Menschen diesen Gegenstand in jeweils unterschiedlichen Farben – je nach physiologischem Aufbau und Relation zum Gegenstand. Damit stellt sich jedoch die Frage, wer von den ‚Wahrnehmenden‘ die Farbe des Gegenstandes jemals ‚richtig‘ sieht. Bleibt die Antwort aus, dann besteht zwischen physikalischer Objekteigenschaft und phänomenal wahrgenommener Farbe eine Lücke, die zu folgender Konsequenz führt: Nehmen wir niemals veridisch wahr, dann nehmen wir auch keine Farbeigenschaft des Gegenstandes wahr. Farben wären dann ausschließlich phänomenale Eigenschaften, die keinerlei strukturelle Verbindung zu Reflektanzeigenschaften oder primären Qualitäten aufweisen, auch wenn sie durch diese verursacht oder zu diesen supervenient sind. Subjektivistische Farbtheorien stehen damit aber allesamt in der Gefahr zu ‚error‘-Theorien zu degradieren. D.h da Objekteigenschaft und phänomenale Farbe strukturell nichts teilen, repräsentieren wir auch keine Farbeigenschaften der Körper. Dann aber wird die Behauptung sinnlos, man sehe die Farbe einer roten Kiste jemals ‚richtig‘. Für Farbobjektivisten wird die Veridizität dagegen zum Problem, weil nicht klar ist, unter welchen Bedingungen veridische Farbwahrnehmungen möglich sind: Von welcher Art muss der ‚Standardbeobachter‘ sein? Lassen sich Dichromaten (Farbenblinde) und Tetrachromaten (Tauben) ebenfalls zu den Standardbeobachtern rechnen? Zu welcher Uhrzeit und unter welcher Beleuchtung muss die veridische Farbwahrnehmung passieren? Gibt es darauf keine Antworten, dann sind Fälle menschlicher Farbwahrnehmung lediglich Illusionen. D.h. die von uns gesehenen Farben können keine Eigenschaften des Gegenstandes sein, da bei fehlenden Normalbedingungen die betreffenden Theorien Farbe auch nicht als repräsentierte Eigenschaften auffassen können.22 Da im Farbobjektivismus außerdem ein Unterschied zwischen physikalischer und phänomenaler Farbeigenschaft besteht, ist ohnehin unklar, was der richtige Repräsentationsmodus für physikalische Eigenschaften ist. Dürfen die vom Farbobjektivismus unterstellten Farbeigenschaften des Körpers auch anders repräsentiert werden, bspw. als Eigenschaften, die sich von unseren normalen Farbwahrnehmungen unterscheiden (bspw. eine invertierte Farbwahrnehmung oder eine Wärmeempfindung)? Wie ich in Kapitel 7 zeigen werde ist die Frage veridischer Farbwahrnehmungen grundsätzlich falsch gestellt. Da sich die Idee veridischer Farbwahrnehmungen aus der Wahrnehmung von Farbkonstanz ableitet23, ist zunächst die Frage zu beantworten, was überhaupt die Wahrnehmung von Farbkonstanz ist und welche Bedingungen hierfür vorliegen müssen.

(3) Das Problem der multiplen Realisierbarkeit: Ein und dieselbe physikalische Eigenschaft (ein bestimmtes Reflektanzprofil oder eine bestimmte Komposition von Wellenlängen) kann in verschiedenen Lebewesen (Mensch, Taube, Ratte, Biene usw.) verschiedene Farbwahrnehmungen bewirken.24 Und verschiedene physikalische Eigenschaften können bei ein und demselben Lebewesen dieselbe Farbwahrnehmung (Beispiel metamere Wahrnehmungssituationen) bewirken. Im ersten Fall (eine physikalische Eigenschaft, verschiedene Farbwahrnehmungen) ist keine ausschließlich auf physikalischer Basis motivierte Entscheidung mehr möglich, welche Eigenschaften in eine Farbklasse, z.B. Grün, Blau, Rot, Gelb usw., gehören, da es der Beurteilung eines farbwahrnehmenden Subjekts bedarf. Dann aber gibt es nicht ‚an sich‘ rote Dinge, sondern nur rote Dinge für ein Subjekt. Im zweiten Fall (verschiedene physikalische Eigenschaften, eine Farbwahrnehmung) entsteht die Frage, ob wir überhaupt eine Farbeigenschaft des Körpers repräsentieren. Da wir bei Metameren nicht von einer veridischen Farbwahrnehmung, sondern von Farbillusionen sprechen, ist fraglich, ob wir überhaupt Farbeigenschaften von Körpern repräsentieren.25 Die Frage ist dann allerdings, warum die Farbe, die der Körper nicht besitzt (aber von mir gesehen wird), dennoch ‚Teil‘ der Farbkonstanz ist, die durch den Körper ‚verursacht‘ wird. Eine phänomenologische Aufklärung dieser Sachverhalte wird u.a. zeigen, dass ein Gegenstand verschiedene Farbabschattungen – und damit verschiedene Farben – besitzt (auch wenn er nur eine Farbe hat) und verschiedene ‚Transparenzglieder‘ bei der Farbwahrnehmung existieren, die die Farbkonstanz sichern.26

Nochmals: Warum Phänomenologie notwendig ist

Wie die oben genannte Geschichte von Farbsubjektivismus und Farbobjektivismus zeigt, führt die Farbdebatte unentwegt zum Eutyphron-Problem: Sind Gegenstände rot, weil sie tatsächlich rot sind, oder sind sie rot, weil sie für jemanden rot erscheinen? Während für Farbobjektivisten Farbtatsachen unabhängig von den bewirkten Farbwahrnehmungen bestehen, nehmen Farbsubjektivisten die ontologische Abhängigkeit der Farben vom Wahrnehmenden an. Diese einseitige Betrachtung der Farben führt allerdings zu einer ‚Verstümmelung‘ der Farben. Die Farben besitzen entweder nicht die Eigenschaften, die sie in der Wahrnehmung besitzen (so im Farbobjektivismus) oder Farben können nicht dort lokalisiert werden, wo sie gewöhnlich auftreten, nämlich an den Gegenständen (so im Farbsubjektivismus). Für die Phänomenologie stellt sich daher die Aufgabe, Farben so zu beschreiben, wie sie sich uns in der Wahrnehmung geben. Dabei wird sich zeigen, dass die vom Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus angebotenen Beschreibungen und Erklärungen für eine Ontologie der Farben bisher unangemessen sind und die Art des Gegebenseins der Farben nur einseitig durch ihre Theorien erfasst wird. Die These besagt in ausgeführter Form folgendes: In der Farbdebatte beanspruchen beide Positionen einen Ausschließlichkeitsanspruch. Entweder sind Farben rein physikalische oder rein phänomenale Eigenschaften. Ein ‚dazwischen‘ oder ‚sowohl-als-auch‘ gibt es nicht. Diese Positionierung geschieht deshalb, um Farbwissenschaft überhaupt betreiben zu können und das Desiderat einer angemessenen Farberklärung zu erfüllen. Denn was sollten physikalische Eigenschaften zusätzlich an phänomenalen Eigenschaften aufweisen, wenn diese durch die Naturwissenschaften nicht nachweisbar sind?27 Und was an phänomenalen Eigenschaften sollte physikalisch sein, wenn sich keinerlei Identitäten ermitteln lassen?28 Da beide Positionen überhaupt nicht verstehen oder angeben können, wie eine Position aussehen müsste, die beide Aspekte umfasst, beschränkt man sich aufgrund einer auferlegten Denkökonomie auf die eine oder andere Theorie, um gerade noch sinnvoll über Farben sprechen zu können. Was laut Phänomenologie dabei aber übersehen wird ist, dass zwar ein Aspekt richtig erfasst und beschrieben wird, jedoch nicht so, wie er uns vollständig in der Wahrnehmung gegeben ist. Dies zeigt sich besonders an den Problemen, die im vorherigen Abschnitt genannt wurden: Ist Farbe im Bewusstsein oder im Gegenstand? Wenn sie das eine oder andere ist, warum findet dann ein Übergang von physikalisch zu phänomenal (Farbobjektivismus) und umgekehrt (Farbsubjektivismus) statt? Wann sieht man die ‚wirkliche‘ Farbe jemals richtig, wenn sie ontologisch ohnehin vom Subjekt abhängig ist (Farbsubjektivismus) oder wir aufgrund des Auftretens von Metameren niemals wissen, wann Farben richtig repräsentiert sind (Farbobjektivismus)?

Die phänomenologischen Analysen weisen dagegen den sowohl-als-auch-Charakter der Farben auf: Bei der Analyse basalster Phänomene wie dem der Oberflächenfarben lässt sich auf den farbobjektivistischen und farbsubjektivistischen Farbaspekt nicht verzichten. Farben sind auf einer späteren Konstitutionsstufe sowohl als physikalische Eigenschaft analysierbar. Um Phänomene wie Farbkonstanz plausibel zu machen sind jedoch auch farbsubjektivistische Bestandsstücke unumgänglich. Wie bei den Analysen zu Oberflächen- und Flächenfarben, Glanz, Schatten, Beleuchtung und Farbkonstanz deutlich wird, beschreiben und erklären die farbobjektivistischen und farbsubjektivistischen Theorien in ihrer ‚Einseitigkeit‘ zwar richtig. Ziel einer Phänomenologie der Farben wird jedoch sein, nicht nur den sowohl-als-auch-Charakter beider Positionen bei der Analyse der Farbphänomene herauszustellen, sondern auch diejenigen Probleme zu benennen, vor denen beide Positionen bei der Analyse solcher Phänomene stehen. Damit soll zugleich deutlich werden, warum beide Positionen innerhalb der Farbdebatte ‚nicht wirklich weiterkommen‘ und welches Rüstzeug die Phänomenologie bietet, um sich den Farbphänomenen adäquat anzunähern. Da alle farbobjektivistischen und farbsubjektivistischen Positionen aufgrund ihrer Theorien verlernt haben die Phänomene ‚wirklich zu sehen‘, wird die Phänomenologie einen Beitrag liefern, der Vielfalt von Farben in der Wahrnehmung gerecht zu werden und eine Anleitung dafür sein, die Phänomene wieder ‚richtig‘ in den Blick zu bekommen. Mit der Veränderung der Perspektive wird sich auch der Blick auf die Kluft zwischen Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus verändern. Genauso wie wir uns daran gewöhnen mussten, dass es erweiterten oder verkörperten Geist gibt, werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass Farben wie Gegenstände ‚funktionieren‘ und nicht ausschließlich dort zu finden sind, wo wir sie gewöhnlich vermuten, und zwar an Gegenständen.29

Zum Aufbau des Buches

Im ersten Teil des Buches (Kapitel 1 bis 4) werde ich die Geschichte der Farbdebatte, beginnend bei Locke, bis zur aktuellen Debatte um den Relationalismus (J. Cohen) in ihrer historischen Entwicklung nachzeichnen. Für das Verständnis der verschiedenen Spielarten von Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus werde ich auf eine allgemeine Charakterisierung der Positionen (größtenteils) verzichten und stattdessen Repräsentanten und Ideengeber der jeweiligen Positionen zu Wort kommen lassen. Damit umgehe ich das Problem, die jeweiligen Verästelungen und Detailprobleme der Debatte verfolgen zu müssen, die sich als Beiträge und Ergänzungen zur allgemeinen Charakterisierung verstehen, den Kern der Sache jedoch unberührt lassen oder nichts wesentlich Neues dazu beitragen. Außerdem wird es mit dieser Strategie leichter die jeweiligen Hauptthesen auf den Punkt zu bringen und anschließend einer Kritik zu unterziehen.

Beginnen werde ich mit Locke (1. Kapitel), den ich als Gründungsvater von Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus sehe. Da Locke die Farbe eines Gegenstandes als Disposition versteht, unter bestimmten Bedingungen eine Farbwahrnehmung zu bewirken, ist Farbe einerseits eine Eigenschaft, die auf primären Qualitäten ‚aufsattelt‘ und damit einer farbobjektivistischen Analyse zugänglich ist. Wegen der fehlenden Ähnlichkeit zwischen Idee und sekundärer Qualität (der Disposition) ist sie andererseits jedoch auch eine Eigenschaft, die erst durch ein Subjekt zu einer manifesten und damit wahrnehmbaren Farbe wird und damit farbsubjektivistisch analysierbar ist. Obwohl Lockes Dispositionalismus gewöhnlich als Variante des Farbsubjektivismus gilt, besitzt seine Position alle Merkmale, die für alle späteren Spielarten des Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus ausschlaggebend sind. Im 2. Kapitel werde ich Berkeley als Vorläufer farbsubjektivistischer Positionen herausstellen. Da die sekundären Qualitäten nach Berkeley die von Locke geforderte Subjektabhängigkeit aufweisen und zudem eine Reduktion aller primären Qualitäten auf sekundäre Qualitäten erfolgt, fallen Farben erstmals vollständig aus dem Rahmen einer physikalischen Analysierbarkeit heraus. Wenn primäre und sekundäre Qualitäten kategorial gleich sind, dann ist nicht einsichtig, wie Farben als phänomenale Eigenschaften (Qualia) physikalische Eigenschaften von Körpern sein können. Farben gehören in ein mentales Innenreich, das keinerlei Verbindung zur physikalischen Außenwelt besitzt. In Kapitel 3 gehe ich verschiedenen Wegen zum Farbobjektivismus nach. Da es unmöglich ist, einen Gründungsvater für den Farbobjektivismus zu benennen30, werde ich mich auf drei Argumenttypen für die Begründung des Farbobjektivismus stützen: das naturwissenschaftliche, das philosophische und das motivationale Argument. In Kapitel 4, das als ‚Lexikoneintrag‘ zum Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus gelesen werden kann, werden die verschiedenen Spielarten dieser Theorien, wie sie im 20. Jahrhundert entwickelt wurden, ausbuchstabiert. Ich werde die Theorien der jeweiligen Repräsentanten so rekonstruieren, dass sie ein interessantes und anziehendes Antlitz erhalten, jedoch nicht mit Kritik sparen und die verborgenen Prämissen und Probleme dieser Positionen offenlegen. Wie man merken wird, werde ich bei der Kritik am Relationalismus (J. Cohen) sehr verhalten sein, da ich denke, dass viele ‚Theoriestücke‘ des Relationalismus den phänomenologischen Kern von Merleau-Pontys Farbauffassung bilden. In Kapitel 5, das als Intermezzo des gesamten Buches gilt, werden die systematischen Folgen aus der Entwicklung von Farbobjektivismus und Farbsubjektivismus aufgezeigt. Hier lautet die These, dass beide Positionen aufgrund des unleugbaren phänomenalen und repräsentationalen Aspekts der Farben ‚implizit transzendental‘ argumentieren, ohne sich dieser Situation jedoch bewusst zu sein oder bewusst sein zu wollen. D.h. obwohl man in beiden Positionen unterstellt, rein farbobjektivistisch oder farbsubjektivistisch zu sein, finden sich stets Bestandsstücke, die das Kriterium der Gegenposition erfüllen und notwendig für den jeweils eigenen Theorieaufbau sind. Die Frage, die sich als Überleitung zum 7. Kapitel ergibt, wird somit folgende sein: Was ist, wenn das Problem der Farbdebatte geradezu Phänomenologie auf den Plan ruft und selbst phänomenologischer Natur ist? Das damit auftauchende Problem, dass Farben nur unter einem ‚sowohl-als-auch‘-Aspekt analysierbar sind, werde ich im 6. Kapitel mit der Frage abschließen, wie auf das ‚Dilemma‘ innerhalb der Farbdebatte reagiert werden könnte. Dazu werde ich eine wohlwollende (Kant) und eine kritische Antwort (Carnap) präsentieren. In Kapitel 7 werde ich mit Husserl, Katz, Merleau-Ponty und Murata die Frage beantworten, warum sich Farben unter einem rein farbobjektivistischen und farbsubjektivistischen Aspekt nicht analysieren und erklären lassen und welchen Problemen die Positionen bei der Analyse von Farben gegenüberstehen. Mit Hilfe der phänomenologischen Analysen soll einsichtig werden, warum und worin das Dilemma der gesamten Farbdebatte besteht und welches Rüstzeug die Phänomenologie bietet, um Farben in den Griff zu bekommen.

1

Die folgenden Zusammenfassungen finden sich in Blume, Thomas: [Wahrnehmung], S. 79; Nagel, Thomas: [Geist], S. 55ff; Dorsch, Fabian: [Farben], S. 9ff; Heilinger, Jan-Christoph; Jung, Matthias: [Funktionen], S. 4ff. – Zur Zitierweise: In Fußnoten werden die Werke der Autoren mit dem im Literaturverzeichnis unterstrichenem Kurztitel und der dazugehörigen Seitenzahl oder Paragraphen wiedergegeben.

2

Blume, Thomas: [Wahrnehmung], S. 79.

3

Blume, Thomas: [Wahrnehmung], S. 79.

4

Blume, Thomas: [Wahrnehmung], S. 79.

5

Vgl. Nagel, Thomas: [Geist], S. 55/56.

6

Nagel, Thomas: [Geist], S. 56.

7

Nagel, Thomas: [Geist], S. 56.

8

Vgl. Dorsch, Fabian: [Farben], S. 9.

9

Vgl. Dorsch, Fabian: [Farben], S. 11.

10

Vgl. Dorsch, Fabian: [Farben], S. 18. Etwas verstörend in der Farbdebatte ist, dass Eliminativismus etwas anderes meint als innerhalb der Philosophie des Geistes. Innerhalb der Farbdebatte ist der Eliminativismus die These, dass Gegenstände überhaupt keine Farbeigenschaften instantiieren, sondern Farben nur sinnlich präsentiert sind, d.h. es gibt Farben wirklich, allerdings nur ‚im Bewusstsein‘. Eliminativismus in der Philosophie des Geistes meint dagegen, dass sinnliche Eigenschaften überhaupt nicht existieren, nicht einmal als Eigenschaften des Bewusstseins.

11

Heilinger, Jan-Christoph; Jung, Matthias: [Funktionen], S. 4.

12

Heilinger, Jan-Christoph; Jung, Matthias: [Funktionen], S. 4.

13

Edwin Egeter zeigt in seinem exzellenten Buch [Adäquatheit] genau diese immerwährende Strategie auf.

14

Das folgende Beispiel findet sich bei Zahavi, Dan: [Phänomenologie], S. 33/34.

15

Meistens sind dies Formen des Phänomenalismus, wie sie beispielsweise von George Berkeley und einigen logischen Empiristen des 20. Jahrhunderts vertreten wurden.

16

Vgl. Lanz, Peter: [Bewußtsein], S. 101.

17

Vgl. Dennett, Daniel: [Consciousness], Kap. 12.

18

Vgl. Dorsch, Fabian: [Farben], S. 14.

19

Vgl. Dorsch, Fabian: [Farben], S. 373.

20

Wie wir später sehen sind Reflektanzspektren Dispositionen, bestimmte Anteile auftreffenden Lichts zu reflektieren und zu absorbieren. Die den Reflektanzspektren zugrundeliegenden ‚primären Qualitäten‘ können als Ursachen bezeichnet werden, nicht aber die Reflektanzspektren selbst.

21

Vgl. vor allem Abschnitt 7.2.

22

Vgl. Dorsch, Fabian: [Farben], S. 373.

23

Vgl. Arstila, Valtteri: [Eliminativism], S. 6.

24

Ich werde die ‚Multiple Realisierbarkeit‘ im Buch gelegentlich für beide Richtungen verwenden: verschiedene Farbwahrnehmungen bei ein und derselben physikalischen Eigenschaft; dieselbe Farbwahrnehmung bei verschiedenen physikalischen Eigenschaften.

25

Das Problem, dass metamere Situationen die Repräsentation von Farbeigenschaften des Körpers verhindern, bespreche ich in Abschnitt 4.1.4 „Welche Probleme der Farbphysikalismus löst“.

26

Vgl. vor allem Abschnitt 7.2. und Abschnitt 7.3.

27

In diese Kritikschiene fallen vor allem die Überlegungen von Daniel Dennett und Paul und Patricia Churchland.

28

Diese Position vertreten vor allem Peter Lanz, Barry Maund und Clyde Hardin.

29

Dies wird ausführlich ab Kapitel 7 besprochen.

30

In der Regel gilt Demokrit als Gründungsvater des Farbobjektivismus, dessen ‚Aussage‘ sich jedoch schwerlich zu einer farbobjektivistischen Theorie ausbauen lässt: „Nur der gebräuchlichen Redeweise nach gibt es Farbe, Süßes, Bitteres; in Wirklichkeit aber nur Atome und Leeres.“(zit. n. Kranz, Walther: [Philosophie], S. 88.).

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Die Eigenarten der Farben

Farbobjektivismus – Farbsubjektivismus – Phänomenologie

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