Die vorliegende Studie stellt eine literaturgeschichtliche Synthese dar. Ihr Ziel ist es, ein Denkmodell der antiken, genauer der römischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in seinen erkenntnistheoretischen Perspektiven, seinen literarischen Manifestationen und seinen kontextuellen Wirkungen und Funktionen in diachroner Betrachtung zu beschreiben. Ausgangspunkt des Vorhabens ist eine konzeptionelle Neuprofilierung eines Phänomens, das in den europäischen Geisteswissenschaften der Moderne unter dem nachantiken Begriff des „Antiquarischen“ beziehungsweise des „Antiquarianismus“ verhandelt wird. Antiquarianismus wird im Folgenden handlungsorientiert als ein Modell gegenwartsbezogener Vergangenheitsanalyse vorgestellt, das mit den explikativen Denkfiguren der Etymologie, Aitiologie und Genealogie operiert, um die hinter der erfahrbaren Lebenswelt liegenden ursprungsgebundenen Kausalitäten offenzulegen.1
Geschichtsbetrachtung und Gegenwartsdeutung sind in der Antike zwei eng miteinander verknüpfte Muster der Selbstwahrnehmung und Reflexion der eigenen Lebenswelt; die Geltung ursprungs- und herkunftsbezogener Gegenwartserklärungen war im griechisch-römischen Geschichtsdenken denn auch ubiquitär. Dennoch betritt die vorliegende Studie in gewisser Weise Neuland: In seiner literarischen Funktion ist das Phänomen zwar unter Chiffren wie „Aitiologisierung“ und „Historisierung“ in verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten und Feldern punktuell beschrieben und analysiert worden. In der hier vorgestellten Konzeption ist Antiquarianismus jedoch die Metaebene oder, um einen Begriff aus der Linguistik zu verwenden, das Syntagma, in dem diese Paradigmen miteinander verbunden sind. Antiquarianismus wird damit als eigenständiger epistemologischer Modus etabliert, der bei der Generierung von „Wissen“2 über die Vergangenheit zum Tragen kommt, ohne unmittelbar und notwendigerweise mit der textuell-literarischen „Geschichtskultur“ im Sinne der historischen Bewahrung, Überlieferung, Gestaltung und Vermehrung von historischem Wissen in Verbindung gebracht werden zu müssen.3
Die im ersten Teil der Arbeit vorgenommene Neukonzeption des Antiquarianismus-Begriffs erweitert das Spektrum der literarischen Realisierungen, das heißt der Erzählformen und Schreibweisen, die in der Antike das antiquarische Denkmodell repräsentierten, auf ein breites Spektrum verschiedener Texttypen, die in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Zielsetzungen eine Reihe klar definierbarer antiquarischer Handlungsweisen umsetzen. Durch diese begriffliche Neukonzeption, die das Phänomen des Antiquarianismus im antiken Schreiben und Denken gleichsam zur Universalie erhebt, werden die (kon)textuellen Ausprägungen, Kreuzungen und Überschneidungen allerdings unüberschaubar und entziehen sich damit zwangsläufig einer auf Kohärenz und Prägnanz bedachten wissenschaftlichen Betrachtung. Eine umfassende Literaturgeschichte des römischen Antiquarianismus im definierten Sinne wird hier aber ebenso wenig angestrebt wie eine lückenlose Kulturgeschichte der antiquarischen Praxis in der römischen Antike. Beide Unternehmungen müssten sich schon aufgrund der überlieferungsbedingt zertrennten Traditionslinien notgedrungen im Spekulativen verlieren. Gleichwohl ist die vorliegende Studie von der Absicht geleitet, über die Einzelforschung hinaus größere literatur- und wissensgeschichtliche Zusammenhänge zu überblicken. Ihr Anspruch besteht vor allem darin, aus der Zusammenschau ausgewählter Einzelteile die Perspektive auf ein komplexes Ganzes zumindest erahnen zu lassen. Was in der folgenden Skizze entfaltet wird, ist also kein umfassendes Panoptikum, keine erschöpfende Praxis- und Literaturgeschichte des römischen Antiquarianismus, sondern ein differenzierter und methodisch reflektierter Aufriss antiquarischer Nutzanwendungen und Funktionspotentiale im Diskursfeld der römischen Literatur im Zeitraum vom zweiten vorchristlichen bis zum dritten nachchristlichen Jahrhundert.
Drei Leitfragen liegen der Arbeit zugrunde: Welchen Denkmustern unterliegt der antike Antiquarianismus und worin besteht sein Interesse an der Vergangenheit? In welchen medialen und textuellen Formen tritt Antiquarianismus in Rom auf und in welchem Verhältnis stehen diese Manifestationen zur zeitgenössischen Geschichts- und Wissenskultur? Welche mutmaßlichen Funktionen und Wirkungsabsichten besaßen die textuellen Manifestationen des antiquarischen Denkmodells innerhalb der sie bedingenden und fördernden historisch-politischen und literarisch-kulturellen Kontexte?
Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Revision des gängigen wissenschaftlichen Antiquarianismus-Begriffs und bemüht sich um eine methodisch reflektierte und zugleich anwendungsorientierte Neubestimmung dieses Phänomens in der Antike. Dazu erscheint es notwendig, zunächst einen größeren wissenschafts- und forschungsgeschichtlichen Bogen zu spannen, um den einzelnen Problemfeldern und ihren Ursachen analytisch auf den Grund zu gehen und sie einer revidierten Sichtweise zu unterziehen (Kap. 1.). Es geht also darum, die Interpretationslinien der bisherigen Forschung in ihren Prämissen, methodischen Zugängen und kategorialen Bewertungsmustern nachzuzeichnen und die darauf basierenden wissenschaftlichen Urteile und Einschätzungen kritisch zu hinterfragen. Als folgenreich für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem antiken Antiquarianismus erweist sich hier die zumeist implizite Anwendung einer an der Frühen Neuzeit orientierten Begriffskonzeption, die im Zuge der theoretischen Selbstvergewisserungs- und Abgrenzungsbemühungen einer über ihren Gegenstand reflektierenden modernen Historiographie- und Archäologiegeschichtsschreibung gewonnen wurde. Die Rückprojektion dieser zum Teil bis heute mit pejorativen Untertönen behafteten Begriffsbildung aus der Frühen Neuzeit auf scheinbar analoge Verhältnisse in der Antike verstellt nicht nur den Blick auf wesentliche Charakteristika dieser Epoche, sondern verleitet auch zur Kanonisierung gattungstypologisch abweichender Modelle, nach denen dann die antike „antiquarische Literatur“ bestimmt wird.4 In der Perspektivierung des Antiquarianismus aus der Sicht der modernen Disziplingeschichtsschreibung geraten aber nicht nur die Kernelemente dieser spezifischen Form der Vergangenheitsbetrachtung in den Hintergrund, sondern es wird zugleich auch das Spektrum der antiquarischen Fragestellung und die Bandbreite ihrer textuellen Manifestationen übersehen. Der epistemologische Horizont der historisierenden Herkunfts- und Ursprungsforschung geht über den engeren Rahmen der zeitgenössischen Erinnerungskultur und der literarisierten Geschichtsbetrachtung hinaus, in dem sie üblicherweise verortet wird. Die Problematik eines diskursorientierten Antiquarianismus-Begriffs, wie er in der Geschichtsforschung seit jeher verwendet wird, zeigt sich bereits in seinen kontrovers diskutierten Zielvorstellungen: Während die moderne Frühneuzeitforschung konsequent die Erinnerungsfunktion der antiquarischen „Wiedererweckung“ betont,5 tendiert die neuere Memoria-Theorie dazu, in der antiquarischen Bemühung eine Isolierung und weltabgewandte Vergangenheitsfixierung zu sehen, die sich mit den „entfunktionalisierten Resten“ der Zivilisation, also dem „negativen Gedächtnis“, beschäftigt.6 Beide Ansätze sind mit Blick auf die Antike defizitär: Einerseits ist die Grundmetaphorik des Wiedererweckens, Rettens und Sicherns bestimmten (forschungsgeschichtlich privilegiert behandelten) textuellen Manifestationen des römischen Antiquarianismus durchaus inhärent, doch ist fraglich, inwieweit dies verallgemeinert werden kann. Auf der anderen Seite kann das am Gedenken und Vermitteln orientierte kollektive Erinnern, das heißt der selektive Kampf gegen das Vergessen, den die antike Historiographie nach eigenem Selbstverständnis führt, wiederum nicht einfach mit den Anwendungsformen des Antiquarianismus gleichgesetzt werden. Innerhalb situativer Verwendungszusammenhänge ist eine solche Kodierung des durch antiquarische Praktiken generierten Wissens aber zweifellos möglich. In diesen Fällen transgredieren diese Wissensbestände dann ihre Stellung als „ausgelagerter, petrifizierter und Spezialisten anvertrauter Teil des gesellschaftlichen Wissensvorrates“ (Uwe Walter) und werden ihrerseits – in der Terminologie Friedrich Nietzsches – zum Baustein der „monumentalistischen Geschichtsschreibung“, die Erinnerungswertes, Identitätsstiftendes und Zukunftweisendes sichtet und sichert.7 Ein bekanntes Beispiel für eine solche diskursspezifische Bindung sind, soweit rekonstruierbar, die Antiquitates rerum humanarum et divinarum des M. Terentius Varro (116–27 v. Chr.). In seiner programmatisch als Sicherung des kulturellen Erbes inszenierten Resemantisierung ehemals kollektiv verbindlicher Kulturelemente wendet sich die Retrospektive gleichsam zur Prospektive, indem die von der idealen Vergangenheit entfremdete Gegenwart durch den Prozess eines emphatischen „Wiedererinnerns“ zukunftsweisend in diese zurückgeführt wird.8
Angesichts dieser Ambivalenzen greift die hier unternommene Begriffsrevision methodisch auf die Ansätze der neueren Wissensgeschichte und der kulturwissenschaftlich orientierten Medientheorie zurück. Antiquarianismus wird als eine abstrakte Handlungsform der Wissensbewältigung verstanden, deren Praktiken, Medien und Akteure es in ihren variablen zeitgebundenen Kontexten zu untersuchen gilt (Kap. 2). Der Kern des vorgeschlagenen Neuansatzes besteht zunächst darin, nicht a priori die potentiellen Diskursfelder anzuvisieren, in denen sich der antike Antiquarianismus medial entfaltet hat, um dann aus dieser Analyse entsprechende definitorische Schlüsse zu ziehen. Vielmehr wird von einem antiquarischen Wissensraum ausgegangen, der durch eine Reihe klar definierter heuristischer und hermeneutischer Operationen erzeugt wird. Erst durch den sekundären Prozess der medialen Kodierung und der sozialen Validierung der generierten Informationen in bestimmten situativen Verwendungskontexten werden diese zu funktionalem Wissen operationalisiert.9
Ausgehend von der beschriebenen Neuperspektivierung ist die konzeptionelle Trennung von Phänomenologie und Wirkungsanalyse eine notwendige Voraussetzung, um die verschiedenen Diskursebenen, in denen dieses Wissen produziert und rezipiert wurde, nicht zu vermischen. Um die Phänomenologie eines in der antiken Geisteskultur so weit verbreiteten Denkmodells zu leisten, ist im begrenzten Rahmen dieser Arbeit eine Fokussierung unumgänglich. Obwohl die perspektivische Breite des beschriebenen Phänomens nie aus den Augen verloren wird, steht der zweite Teil der Arbeit ganz im Zeichen einer enumerativ-deskriptiven Aufarbeitung der antiquarischen „Fachliteratur“, also jener Textgruppe, als deren gemeinsamer funktionaler Nenner im Folgenden die monographische Verselbständigung antiquarischer Wissensbestände bestimmt wird.10 Ziel der Analyse ist hier die Aufarbeitung der wissenschaftlichen Methodik sowie der literarischen und typologischen Manifestationen der römischen antiquarischen Fachliteratur, deren literaturgeschichtliche Entwicklungslinien in diachroner Perspektive nachgezeichnet werden. Die analytische Fokussierung auf die antiquarische Monographie findet hier ihre Rechtfertigung auch darin, dass sie ein Textkorpus umfasst, das sich mit einer deutlich erkennbaren Eigenart durch die Geschichte des römischen Antiquarianismus verfolgen lässt.
Die bruchstückhafte Überlieferungssituation dieser Literatur erfordert bei einer literaturgeschichtlichen Annäherung dieser Art allerdings ein reflektiertes und methodisch behutsames Vorgehen, um den Fallstricken des faktographischen Positivismus ebenso zu entgehen wie denen der Hyperkritik. Es geht also nicht darum, einer modernistischen Diskreditierung der wegweisenden Ergebnisse der älteren Quellenforschung das Wort zu reden, um dann in einer agnostischen Aporie zu enden (die sich allerdings nicht immer vermeiden lässt). Vielmehr sollen der Analyse einige methodische Überlegungen vorangestellt werden, um die allgemeinen Schwierigkeiten und spezifischen Gefahren einer literaturgeschichtlichen Sinnbildung zu reflektieren, deren Gegenstand eine weitgehend verlorene Literatur ist. Hier sind in einem ersten Schritt die Überlieferungsmechanismen zu betrachten, das heißt zum einen die Selektionsprozesse, die der Überlieferung der erhaltenen Fragmente zugrunde liegen, zum anderen die schrittweise Überlagerung, Verschmelzung und Dekontextualisierung von Wissensbeständen im Rahmen komplexer Tradierungsprozesse (Kap. 3). Das Bild, das sich aus der Analyse der Fragmente ergibt, bleibt zwangsläufig lückenhaft und uneinheitlich. Häufig ist die Evidenz des Gewonnenen nicht geklärt, es kann nur das Spektrum möglicher Antworten aufgezeigt, aber keine endgültige Entscheidung getroffen werden. Nur in Einzelfällen ist es daher möglich, die diachrone Makrobetrachtung durch synchrone Mikrobetrachtungen argumentativ zu stützen und zu verifizieren.
An diesem Punkt ist ein weiterer vorbereitender Schritt notwendig, bevor wir uns dem antiquarischen Schrifttum, genauer gesagt seinen monographischen Manifestationen, zuwenden können. Auf der Grundlage der überlieferungstechnischen Überlegungen wird im anschließenden Kapitel (Kap. 4) der Versuch unternommen, die antiquarische Fachliteratur Roms in ihren inhaltlichen und formaltypologischen Grundzügen als ein Textkorpus zu rekonstruieren, das ein breites Spektrum literarischer Realisierungsformen umfasst und durch eine (im Einzelfall variierende) Konvergenz von fachwissenschaftlicher Methodik und historiographischem Erinnerungsinteresse gekennzeichnet ist. In einer Fallstudie werden dazu die wissenschaftlichen Schreib- und Darbietungsformen zweier spätantiker Werke analysiert, die in der Tradition des antiken antiquarischen Fachschrifttums stehen, und auf dieser Grundlage eine rekonstruktive Annäherung an die wissenschaftliche Methodik und literarische Manifestation einer antiquarischen Monographie unternommen.
Obwohl literaturgeschichtliche Kontinuitäten und Brüche kaum je exakt bestimmt werden können, wird im zweiten Teil der Arbeit der Versuch unternommen, die Entwicklung der antiquarischen Fachliteratur Roms in ihren Grundlinien nachzuzeichnen. Ziel ist nicht das erschöpfende Aufsammeln verstreuter Zeugnisse, sondern die behutsame Rekonstruktion von Entwicklungslinien und Diskurszusammenhängen. Skizziert wird ein Porträt der diachronen Entwicklung und der synchronen Ausprägungen des römischen Antiquarianismus als gleichermaßen wissenschaftliches wie literarisches Phänomen. Dazu wird zunächst ein konziser Überblick über seine griechisch-hellenistische Vorgeschichte gegeben (Kap. 5). In einem zweiten Schritt wird der Blick zuerst auf die Realisierungen des antiquarischen Denkmodells innerhalb der archaischen römischen Literatur gerichtet, dann wird die Entwicklungsgeschichte der antiquarischen Fachmonographie dargelegt (Kap. 6). Dabei werden grob drei historische Phasen unterschieden, deren Besonderheiten es zu bestimmen und voneinander abzugrenzen gilt: (1) eine Epoche der ersten Spezialisierung (2. Jhd. v. Chr.), in der sich eine monographische Verselbständigung des antiquarischen Wissens innerhalb der historisch arbeitenden Fachdisziplinen der Grammatik und der Jurisprudenz abzeichnet; (2) eine Epoche der literarischen Diversifizierung und Synthetisierung (1. Jhd. v. Chr.), die parallel zur enormen thematischen Auffächerung zugleich große Synthesebildungen verzeichnet; sowie (3) eine Epoche der Reorganisation und Kompilation des Wissens (1.–3. Jhd. n. Chr.), in der das gespeicherte Wissen durch das Experimentieren mit alten und neuen literarischen Präsentationsformen neu kontextualisiert wurde.
In diesen großen entwicklungsgeschichtlichen Rahmen, in dem neben den formalen Koordinaten dieses Schrifttums auch die unterschiedlichen Ausprägungen antiquarischer Interessen phänomenologisch nachgezeichnet werden, sind exemplarische Erörterungen zum Problemkreis der potentiellen Zielsetzungen und Wirkungsabsichten sowie der diese tragenden kultur- und wissensgeschichtlichen Kontexte eingebettet (Kap. 6.2.3 und 6.3.2). Verwertbare Ergebnisse können solche Untersuchungen allerdings nur auf der Grundlage einer einigermaßen gesicherten Überlieferungslage erbringen, die auch die Komplementarität von antiquarischer Forschung und historiographischen, epischen und anderen literarischen und nichtliterarischen Formen der Vergangenheitsbeschäftigung deutlich macht. Für die nur schattenhaft rekonstruierbare Frühphase wurde daher auf eine Diskussion im Detail verzichtet und die belegte Literatur nur in Einzelfällen historisch kontextualisiert. In den späteren Epochen liegt der Fokus der Betrachtung zwar bevorzugt auf der antiquarischen Fachmonographie, es wird jedoch keine erschöpfende Aufarbeitung der historisch-politischen und literarisch-kulturellen Kontexte angestrebt, die diese spezifische Form der Niederlegung antiquarischer Wissensbestände bedingten und beförderten. Die Zielsetzung der Darlegung ist vielmehr eine doppelte: Zum einen soll aus den zeitgebundenen Kontexten und Diskursen, in denen Antiquarianismus virulent war, mit der gebotenen Zurückhaltung auf die Wirkungsabsichten und Rezeptionsweisen der antiquarischen Fachliteratur geschlossen werden. Darüber hinaus wird anhand größerer synchroner Querschnitte auch die generelle Relevanz der antiquarischen Fragestellung innerhalb sich wandelnder literarischer und politischer Gravitationsfelder beleuchtet. Die wichtige Frage nach den soziokulturellen Begleitumständen und politischen Kontexten, welche die antiquarische Fragestellung im Zeitraum vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. katalysierten, darf denn auch nicht zu vorschnellen Pauschalurteilen über den antiken Antiquarianismus führen. Ebenso ist eine historische Psychologisierung der beteiligten Akteure zu vermeiden. Denn trotz gegenteiliger Auffassung in der modernen Forschung war Antiquarianismus als Denkmodell in Rom nicht prinzipiell und zwangsläufig als „Krisenphänomen“ wirksam.11 Triebfeder historisierender Gegenwartsdeutung war in Rom vielmehr ein tief verwurzelter Traditionalismus, der vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit Justinians Politik und Geisteskultur prägte. Im Spannungsfeld von Kontingenz und Kontinuität bot das antiquarische Denkmodell hier eine Hilfestellung zur Sinnstiftung innerhalb eines im Zeitkontinuum aufgehobenen historischen Gefüges, dessen Gründungsakte in Gegenwart und Zukunft fortwirkten.
Im Detail ausgeführt in Kap. 2.2.
Der Begriff des Wissens ist in der modernen Theoriedebatte in seinen vielfältigen Dimensionen kaum mehr überschaubar geworden. Je nach Anwendungskontext sind denn auch unterschiedliche Konzeptualisierungen sinnvoll. Siehe dazu überblicksmäßig Antos 2005. Im vorliegenden Zusammenhang liegt der Fokus, der Sachlage entsprechend, auf einer expliziten, deklarativen Wissensform („knowing that“), deren Wissensbestände (das heißt die zu Wissen verarbeiteten Daten und Informationen) kodifiziert und in dieser Form vermittelbar sind.
Eines der erklärten Ziele der perspektivischen Neuausrichtung ist es, die definitorische Engführung der antiquarischen Vergangenheitsforschung auf den Bereich der Historie aufzugeben. Zu den Details siehe unten Kap. 1.1.
Dies gilt insbesondere mit Blick auf Varros antiquarische Großsynthese, die Antiquitates rerum humanarum et divinarum. Siehe dazu unten Kap. 6.2.2.
Siehe unten Kap. 1.1.
Halbwachs 1966, 350–352. Mit Blick auf die römische Geschichtskultur differenziert Walter 2004, 208–209.
Das Zitat stammt aus Walter 2004, 208; zu Nietzsche siehe Assmann 1999, 52 und 316–317.
Siehe dazu unten S. 382–392.
Siehe dazu unten Kap. 2.2.2.
Zur Identifikation des antiquarischen Schrifttums im Sinne einer antiken „Fachliteratur“ siehe unten Kap. 4.1. Der Begriff der Fachliteratur (und des Fachtextes) ist, ebenso wie derjenige der „Wissenschaft“, eine moderne Prägung, die in der Antike keine Entsprechung besaß. Unter Fachliteratur wird im Folgenden ein mehr oder weniger disziplinär gebundenes und in der Regel durch einen hohen Spezialisierungsgrad ausgezeichnetes Schrifttum verstanden, das klare Absichten einer Wissensvermittlung erkennen lässt. Jüngere Problematisierungen des Begriffs bieten Ax 2006c, 117–120 und Fögen 2009, 9–66. Vgl. auch Föllinger, HGL 1, 289–295.
Siehe dazu unten Kap. 1.3.