1.1 Im Zeichen der Historie: Arnaldo Momigliano und der moderne Antiquarianismus-Begriff
Die Geschichte der Erforschung des Antiquarianismus ist eng verbunden mit der Erforschung der Entwicklung und Herausbildung moderner Wissenschaftsdisziplinen, namentlich der Archäologie und der Geschichtswissenschaft (einschließlich ihrer „Hilfswissenschaften“), sowie der methodischen und theoretischen Metadiskurse, die diesen komplexen Formierungsprozess begleiteten.1 Seit sich im späten 15. Jahrhundert der Begriff des „Antiquars“ im (zunächst noch positiven) Sinne eines an der Antike interessierten Gelehrten verfestigt hatte, durchlief die frühneuzeitliche antiquarische Praxis – grob definiert als Beschäftigung mit antiken, vor allem griechisch-römischen, später auch „nationalen“ Altertümern – historisch mehrere Phasen mit wechselnder Wirkungsgeschichte. Die unterschiedlichen historischen Wahrnehmungen und Bewertungen des Antiquarianismus als einer „protowissenschaftlichen“ Strömung sind für die moderne Beurteilung des Phänomens insofern relevant, als sich damit je nach Standpunkt des Interpreten bestimmte Vorstellungen verbanden, die mehr oder weniger direkt in ein – im Gefolge von Aufklärung und Historismus überwiegend negatives – Werturteil mündeten. Die Problemfelder, die die aktuelle Antiquarianismus-Forschung nach wie vor bestimmen, resultieren in ihrem Kern indirekt aus dem Prozess der Verwissenschaftlichung und Professionalisierung der genannten universitären Disziplinen. In der Rückblende erscheinen die im frühen 19. Jahrhundert einsetzenden und im 20. Jahrhundert fortgesetzten Selbstvergewisserungs- und Abgrenzungsbemühungen einer ihren Gegenstand reflektierenden Historiographie- und Archäologiegeschichtsschreibung folgenreich. Im gleichen Maße, wie diese beiden Disziplinen die Antiquare von der Renaissance bis zur Aufklärung als ihre Vorläufer anerkannten, grenzten sie sich auch von ihnen ab. Während die historistisch geprägte deutsche Historiographiegeschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch den Siegeszug der Verwissenschaftlichung beschrieb, vollzog sich vor dem Hintergrund der Historismus-Debatten der 1970er Jahre insofern ein Paradigmenwechsel, als Gegenpositionen zum Historismus entwickelt und die Geschichtsschreibung der Aufklärung rehabilitiert wurde.2 Für die frühneuzeitlichen Antiquare war dies insofern relevant, als es zu einer Verschiebung des Negativbildes auf die voraufklärerische Geschichtsbetrachtung und damit auf die frühneuzeitliche érudition führte. Wie diese sah man den oft synonymisch verstandenen Antiquarianismus des 17. und 18. Jahrhunderts in Herkunft, Darstellungsstil, historiographischer Methode und Weltanschauung als grundlegend verschieden von der traditionellen Geschichtsschreibung an.3
Ein zweiter Paradigmenwechsel vollzog sich in den 1990er Jahren, als dem Antiquarianismus eine prototypische Schlüsselfunktion im Prozess der Herausbildung und Ausdifferenzierung späterer Wissenschaftsdisziplinen zugeschrieben wurde.4 Sowohl die moderne Archäologie als auch die Geschichtswissenschaft postulieren seither die Antiquare als ihren wissenschaftsgeschichtlichen Prototyp, wobei jede Disziplin diejenigen Protagonisten als maßgeblich und wegweisend identifiziert, die dem eigenen Wissenschaftsverständnis am nächsten stehen.5 Trotz dieses jüngsten wissenschaftsgeschichtlichen Impulses hat sich die damit einhergehende Verschiebung der Deutungsmuster bis heute nicht vollständig durchgesetzt; der frühneuzeitliche Antiquarianismus – die Antike sei vorerst aus der Diskussion ausgeklammert – ist außerhalb der engeren Forschungsliteratur teilweise bis heute mit stark negativen Assoziationen verbunden.6 Hartnäckig halten sich die Klischees der aufklärerischen Polemik, die in der dilettantischen Sammelleidenschaft, im Hang zur verklärenden Nostalgie und im fehlenden Gegenwartsinteresse einer sich selbst genügenden Gelehrsamkeit das Wesen der antiquarischen Arbeit erblickt.7
In der Moderne fand die tendenziell abwertende Qualifizierung des Antiquarianismus ihren Kristallisationskern in einer historischen „Meistererzählung“, die trotz ihres begrenzten Erkenntnisinteresses bis heute normative Geltung beansprucht.8 Die Wurzeln dieser Metaerzählung liegen in der wissenschaftsgeschichtlichen Aufbruchstimmung des 18. Jahrhunderts. Einer der wichtigsten Erzählstränge ist die Begründung der Klassischen Archäologie, genauer: der archäologischen Kunst- und Kulturgeschichte durch Johann Joachim Winckelmann (1717–1768). Winckelmann vertrat die publizistisch erfolgreich verbreitete Ansicht, die Antiquare vor ihm hätten eine ignorante, gegenwartsferne Wissenschaft betrieben.9 In das gleiche Horn bliesen von Seiten der Alten Geschichte Edward Gibbon (1737–1794) und Barthold Georg Niebuhr (1776–1831).10 Der Hauptstrang dieser Erzählung führt in die Mitte des 20. Jahrhunderts, bewegt sich im weiteren Feld der Historiographiegeschichte und ist das Ergebnis einer verblüffenden Differenzialdiagnose des Althistorikers Arnaldo Dante Momigliano (1908–1987), der sich Ende der 1940er Jahre aus rezeptions- und historiographiegeschichtlichem Interesse intensiv mit dem frühneuzeitlichen Antiquarianismus auseinandersetzte. Da sie eine Reihe von schwerwiegenden Implikationen für die Erforschung des antiken Antiquarianismus enthält, ist eine kritische Auseinandersetzung an dieser Stelle unumgänglich. Die folgende Darstellung konzentriert sich auf eine knappe Problematisierung der wichtigsten Diskussionspunkte.
In einem Vortrag, der im Januar 1949 am Londoner Warburg Institute gehalten und ein Jahr später als Essay veröffentlicht wurde, legte Momigliano eine historische Selbstbeschreibung der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft vor, deren bemerkenswerte und bis heute ungebrochene Wirkungsgeschichte eine eigene Studie wert wäre.11 Auf knapp dreißig Seiten wagt Momigliano eine komplexe Interpretation der sich über drei Jahrhunderte erstreckenden Forschungsgeschichte der frühneuzeitlichen Geschichtsbetrachtung, wobei seine Hauptleistung aus heutiger Sicht darin besteht, die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der frühneuzeitlichen antiquarischen Gelehrsamkeit, insbesondere hinsichtlich ihrer Vorläuferstellung für die modernen Geschichts- und Kulturwissenschaften, herauszuarbeiten.12
Ausgangspunkt von Momiglianos breit angelegtem historiographiegeschichtlichen Entwicklungsmodell ist die Antike. Sein im Kern rezeptionsgeschichtlicher Ansatz wird bereits zu Beginn des Aufsatzes deutlich, wo er die Anfänge des humanistischen und frühneuzeitlichen Antiquarianismus in die griechisch-römische Antike zurückverfolgt und aus dieser Analogie einen Gelehrtentypus (re)konstruiert, der sich auf die altertumswissenschaftliche Sachforschung, das heißt die „Archäologie“ im weitesten Sinne, konzentrierte.13 Von diesem Tätigkeitsfeld abgegrenzt wird der (Gegenwarts-)Historiker, der sich im Wesentlichen mit der politischen Ereignisgeschichte seiner eigenen Zeit befasste.14 Ausgehend von dieser Differenzierung, die Momigliano auf formaler Ebene in der Unterscheidung zwischen chronologisch-narrativen und systematisch-deskriptiven Darstellungsmodi repräsentiert sieht, entwickelt er mit Blick auf die Renaissance ein Modell der Geschichtsbehandlung, das auf die These hinausläuft, dass die historische Beschäftigung mit der Antike im Humanismus nur über den Weg der Sachkunde habe erfolgen können, da eine Darstellung der antiken Ereignisgeschichte durch die Autorität der klassischen Modellautoren verhindert worden sei. Folglich bleibe als Gegenstand der narrativen Darstellung nur die Zeit- oder Nationalgeschichte übrig. Diese These, die Momigliano bis zum Ende des 17. Jahrhunderts verfolgte, isolierte die Beschäftigung mit der Antike auf die Erforschung des „varronischen“ Themenspektrums der instituta et mores beziehungsweise deren Rekonstruktion anhand der hinterlassenen materiellen Monumente und Artefakte.15 Dass Momigliano diese sammelnde und systematisierende Tätigkeit der Antiquare vom engeren Tätigkeitsfeld der Historiographie abgrenzen will, wird gleich zu Beginn seiner Erörterungen deutlich, wo er programmatisch zwischen „Antiquar“ und „Historiker“ im Hinblick auf die Darstellungsformen, die Thematik und den hermeneutischen Impetus der jeweiligen Akteure unterscheidet.16
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass aus der Sicht von Momiglianos angestammtem Fachgebiet, der Alten Geschichte, im Gegensatz zur Archäologie und Historiographiegeschichte bis zu diesem Zeitpunkt kein erhöhter Abgrenzungsbedarf gegenüber dem Phänomen des antiken Antiquarianismus gesehen wurde. Die antiquarischen Forschungen der Antike (das heißt: was man darunter verstand) wurden von der Althistorie und der ihr nahestehenden Altphilologie als ephemeres Phänomen registriert, aber nicht gesondert behandelt. Zwar hatte Hermann Peter (1837–1914) in seiner Sammlung der Historicorum Romanorum Reliquiae (HRR, 1906/19142) nur die Autoren der Ereignisgeschichte (historiae, annales, res gestae) sowie die Biographien berühmter Männer berücksichtigt.17 Doch schon Felix Jacoby (1876–1959) ging hier neue Wege, als er die griechische „antiquarische Literatur“ des Hellenismus zumindest konzeptionell in seiner ab 1909 erscheinenden Sammlung der Fragmente der griechischen Historiker berücksichtigte. Jacobys ursprünglicher Plan sah vor, die „antiquarische Literatur“ (von ihm lediglich durch einschlägige Titel definiert) als Teilgebiet der Horographie (Ortsgeschichte) zu behandeln, wobei diese Literatur zusammen mit der Stadtgeschichte und der Stadtbeschreibung von der „eigentlichen Horographie“ getrennt werden sollte.18 Später revidierte er seine Idee und plante einen eigenen Band mit dem Titel „Antiquarische Geschichte und Biographie“.19 Von diesem Projekt hat sich in Jacobys Nachlass ein Entwurf erhalten, der einen unmittelbaren Eindruck von den editorischen Problemen (und den zögerlichen Lösungsansätzen) vermittelt, die sich für Jacoby aus seinem weiten Geschichtsbegriff ergaben.20 Jacoby war sich sehr wohl bewusst, dass sein Textkorpus mit „grammatisch-antiquarischem Einschlag“ letztlich eine wissenschaftspragmatische Konstruktion darstellte, die keine antike Gattung, sondern zeitgenössische wissenschaftliche und institutionelle Konventionen abbildete. Ihre Berücksichtigung im Rahmen der FGrHist zielte darauf ab, dem modernen Althistoriker (nicht dem Altphilologen) über die Sammlung von Müllers FHG (1878–1885) hinaus das verfügbare forschungsrelevante Quellenmaterial in die Hand zu geben.21 Während also in Jacobys Konzeption die prinzipielle Trennung zwischen dem „echten“ Historiker und dem Antiquar zwar angelegt, aber aus pragmatischen Gründen ausgesetzt war, ging Momigliano einen entscheidenden Schritt über Jacoby hinaus, indem er die antiquarische Gelehrsamkeit und ihre Geschichte als eigenen Forschungsgegenstand entdeckte.22 Dass der Althistoriker dafür den Weg über die Renaissance in die Frühe Neuzeit nahm und seine Entdeckung zu einem historiographiegeschichtlichen Modell erweiterte, hatte wohl auch einen biographischen Hintergrund: Momigliano interessierte sich seit seiner Studienzeit für die Literatur der Renaissance und ihre Erforschung und beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte der Historiographie.23 Hier stand er unter dem Einfluss des italienischen Philosophen Benedetto Croce (1866–1952), mit dessen Geschichtstheorie er sich intensiv auseinandersetzte.24 In seinem Werk Zur Theorie und Geschichte der Historiographie, das 1912–1913 zunächst in italienischen Fachzeitschriften erschien und 1915 in deutscher Sprache gedruckt wurde, setzte Croce die Geschichte der Historiographie mit der Geschichte des historischen Denkens gleich und beschränkte deren Arbeitsgebiet konsequenterweise auf die narrative Geschichtsschreibung sowie die Geschichtstheorie und -philosophie. Die antiquarische Gelehrsamkeit schloss er dagegen programmatisch aus, da sie „als Sammlung, Anordnung, Sichten von Material“ nicht seiner Vorstellung von historia entsprach.25 Einig war er sich darin mit Eduard Fueter (1876–1926), einem einflussreichen Vertreter der zeitgenössischen Historiographiegeschichte, der in seiner 1911 erschienenen Geschichte der neueren Historiographie jenseits der politischen Ereignisgeschichte alles ausblendete, was „nicht zur Geschichtsschreibung im eigentlichen Sinne des Wortes gehört“, also auch die „Rechts-, Literatur-, Kirchen- usw. -Historiker“ sowie die Geschichtstheorie und -philosophie nicht berücksichtigte, also in diesem Punkt den Rahmen noch enger zog als Croce.26
Der Ausschluss der antiquarischen Forschung aus dem, was man als das traditionelle und eigentliche Betätigungsfeld der Geschichtsschreibung erkannte, ist kein moderner Gedanke; sie findet sich, wie Momigliano beiläufig bemerkt,27 schon bei Francis Bacon und programmatisch bei den Vertretern der sogenannten artes historicae im 16. Jahrhundert, zum Beispiel im vielbeachteten Methodus ad facilem historiarum cognitionem des französischen Geschichtsphilosophen und Staatstheoretikers Jean Bodin (1530–1596).28 Für Bodin war der Rückgriff auf philologische Methoden ein entscheidendes Argument, um den Antiquarianismus strukturell von der „echten“ Geschichtsschreibung unterscheiden zu können. Aus demselben Grund ordnete auch Croce die antiquarische Gelehrsamkeit dem Bereich der „Philologie“ zu. Demgegenüber betonte Momigliano den immanenten Realitätsbezug der antiquarischen Gelehrsamkeit, deren wissenschaftlich revolutionäre Leistung er darin sah, dass sie – im Gegensatz zur traditionellen rhetorischen Geschichtsschreibung der Voraufklärung – literarische Texte mit archäologischen Zeugnissen („non-literary evidence“) abgeglichen und kombiniert habe.29 So stellte er mit Blick auf die epistemologische Grundlagenkrise, die im Zuge der Rezeption der Werke des antiken Skeptikers Sextus Empiricus im 17. und frühen 18. Jahrhundert die Gelehrtenwelt erschütterte,30 eine für die spätere Historiographiegeschichte und ihre Wahrnehmung des Antiquarianismus zentrale These auf: Die antiquarische Gelehrsamkeit habe durch ihre Affinität zur Realienkunde die historische Skepsis überwinden können, da die hohe Glaubwürdigkeit der materiellen Überreste (das heißt der Primärquellen) den Zweifeln an der literarischen Überlieferung (das heißt den Sekundärquellen) empirisch entgegengewirkt habe. So wird dem Antiquarianismus eine Vorreiterrolle sowohl bei der Ausbildung der modernen historiographischen Methodik als auch bei der Herausbildung historischer „Hilfswissenschaften“ wie der Numismatik (durch Spanheim), der Paläographie (durch Mabillon), der Ikonographie (durch Montfaucon) und der Epigraphik (durch Maffei) zugeschrieben.31 In der Tradition von Croce und Fueter arbeitet zwar auch Momigliano weiterhin mit Oppositionsbegriffen (Antiquar – Historiker), doch wird die antiquarische Gelehrsamkeit insofern rehabilitiert, als ihren Vertretern zugestanden wird, den Historikern eine zukunftsweisende heuristisch-kritische Methode in die Hand gegeben zu haben, weshalb ihnen eine zentrale Funktion im Formierungsprozess der modernen Geschichtsschreibung zukomme.32 Die Untermauerung dieser These erfolgt anhand der Wirkungsgeschichte der antiquarischen Methode in der Geschichtsschreibung der Folgezeit. Momigliano kommt hier zu dem Schluss, dass der Antiquarianismus seine volle wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung in dem Moment entfaltete, als seine Methodik vom Historismus vereinnahmt wurde. Diese ebenso fruchtbare wie folgenreiche Enteignung sei im intellektuellen Milieu des frühen 18. Jahrhunderts noch nicht möglich gewesen, als die gelehrte faktenbasierte Arbeit der Antiquare und die von ihrer Methode beeinflusste Geschichtsschreibung von der polemischen Kritik der „philosophischen Historiker“ (Montesquieu, Voltaire) getroffen wurde: In ihrem detailversessenen Sammeleifer hätten die Antiquare den kausalen Zusammenhang historischer Ereignisse vergessen, weshalb sie auf gegenwartsbezogene Deutungen der Vergangenheit ebenso verzichtet hätten wie auf eigenständige Synthesen in angestammten Themenfeldern wie der Religionsgeschichte. Demgegenüber sei der geschichtsphilosophische Ansatz der Aufklärungshistorie in seiner kulturgeschichtlichen Ausrichtung zwar revolutionär, methodisch aber insofern defizitär gewesen, als seine Vertreter die Evidenz der von den Antiquaren gesammelten materiellen Zeugnisse für ihre Betrachtungen weitgehend ignorierten.33 Erst durch die Verbindung der antiquarischen mit der philosophischen Geschichtsforschung in der Person Johann Joachim Winckelmanns und – wie Momigliano in einem vier Jahre später veröffentlichten Aufsatz ausführte34 – Edward Gibbons sei die moderne Geschichtsschreibung aus der Taufe gehoben worden. Gibbon zeichnete sich nicht nur durch eine profunde Kenntnis der umfangreichen antiquarischen Literatur seit dem 16. Jahrhundert aus,35 sondern verteidigte in der Nachfolge von Lipsius, Scaliger und Casaubon die Erudition auch gegen die herablassende Kritik eines Voltaire.36
Mit der Aneignung der antiquarischen Methode durch den Historismus einerseits und im Zuge der Konstituierung der altertumswissenschaftlichen Disziplinen andererseits, so Momigliano, sei „the Age of Antiquaries“ in Deutschland schließlich zu einem Ende gekommen. Werke über Kunstaltertümer (Ch.G. Heyse), Kriegsaltertümer (H. Delbrück) sowie Rechts- und Staatsaltertümer (Th. Mommsen) seien zwar noch verfasst worden,37 „but the idea of ‚antiquitates‘ is now dead because the corresponding idea of political history founded upon literary evidence is dead. The historians have recognized that the traditional subject of antiquarian research can be transformed into chapters of the history of civilization with all the necessary apparatus of erudition.“38
Nach einer Phase latenten Desinteresses zeichnet die neuere historische Forschung seit den 1990er Jahren ein immer differenzierteres und detaillierteres Bild des Antiquarianismus in Renaissance, Barock und Aufklärung. Es wird deutlich, dass die frühneuzeitliche Praxis, definiert als archäologischen „attempt to understand the past through interaction with objects that exist in the present“,39 weder zeitlich, geographisch noch sozialgeschichtlich als homogenes Phänomen beschrieben werden kann. In Italien, England, Frankreich, Deutschland und den skandinavischen Ländern entwickelten sich trotz gegenseitiger Beeinflussung und vielfältiger Überschneidungen eigenständige Traditionslinien mit historisch variablen Interessenschwerpunkten, Arbeitsweisen und Zielsetzungen, oft getragen oder gefördert von Gelehrtennetzwerken und institutionalisierten Sozietäten und Korporationen, wobei die Entwicklungen in den einzelnen Regionen, Ländern und Korporationen durchaus heterogen verliefen und sich von Generation zu Generation wandeln konnten.40
Ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen von Ancient History and the Antiquarian geriet mit dem wachsenden wissenschaftlichen Interesse auch Momiglianos Meistererzählung auf den Prüfstand der engeren Forschungsdiskussion, ohne dass seine unbestrittenen Verdienste und wissenschaftsgeschichtlichen Leistungen in Abrede gestellt wurden.41 Mit der rasch wachsenden Zahl von Spezialuntersuchungen wurde der Ruf nach einer notwendigen Differenzierung von Momiglianos Antiquarianismus-Begriffs zunehmend lauter.42 Seit einigen Jahren findet auch in den Altertumswissenschaften eine vertiefte Auseinandersetzung mit Momiglianos Metanarrativ statt. Insbesondere die Althistorie stellt – angeregt durch die Erfahrungen mit der Neuedition der Fragmente der Römischen Historiker und in Anknüpfung an Jacoby – die Dichotomie von Antiquar und Historiker in Frage, ohne jedoch klare Alternativen anbieten zu können.43
Auf eine vertiefte Diskussion der strittigen Detailfragen wird im Rahmen dieser Studie verzichtet.44 Es ist jedoch hervorzuheben, dass sich die neuere Forschung zum frühneuzeitlichen Antiquarianismus konzeptionell einem Ansatz nähert, der in dieser Arbeit für die Antike vorgeschlagen und nuanciert wird (siehe unten Kap. 2.2). Grundlegend sind hier unter anderem die Arbeiten von Angus Vine und Thomas DaCosta Kaufmann, die im Ansatz die Idee eines offenen antiquarischen Spektrums vertreten.45 Im Folgenden soll, soweit dies für die weitere Fragestellung relevant ist, im Sinne einer altertumswissenschaftlichen Perspektivierung zusammenfassend auf zwei grundlegende methodologische Punkte aufmerksam gemacht werden:
(1) Ein Analogieschluss, der auf einer ungleichen Quellenbasis beruht, hat nur einen relativen Aussagewert und ist anfällig für moderne Vorannahmen und Rückprojektionen. Diese Aussage ist auf den ersten Blick banal: Große Erzählungen, die auf Synthesen und Metazusammenhänge angelegt sind, gehen oft auf Kosten von Genauigkeit und Komplexität, um überzeugend Kontinuitäten und historische Entwicklungslinien aufzeigen zu können. Methodisch operieren sie in der Regel mit einem Kurzschluss von strukturellen und phänomenologischen Vergleichselementen, die in ihrer Auswahl und Bewertung aber letztlich willkürlich und gegenwartsbezogen bleiben. Die Methodenfrage ist in der Fachdiskussion bisher nicht konsequent aufgeworfen worden, doch ist in diesem Zusammenhang die Feststellung wichtig, dass die Sichtweise der Kontinuität letztlich auf einem hermeneutischen Zirkelschluss beruht, der voreiligen Analogieschlüssen Tür und Tor öffnet. Momiglianos Versuch, das Feld der frühneuzeitlichen Antiquare in die Antike zurück zu projizieren, ist erkenntnistheoretisch ebenso gewagt und im Ergebnis fragwürdig wie sein Versuch, sie in eine direkte Linie mit modernen Wissenschaftsdisziplinen – neben der Geschichtswissenschaft vor allem der Soziologie und der Kulturanthropologie – zu stellen.46 Der Verdacht liegt nahe, dass Momigliano in der Antike genau das gefunden hat, was er suchte, nämlich zwei in Methodik, Stoff und Darstellungsform scharf kontrastierende Formen der Geschichtsbetrachtung, wie er sie für die Frühe Neuzeit deduziert hatte. Erkenntnislogisch basiert seine Kontinuitätshypothese somit auf einem komplexen Analogieschluss, den er aus der wechselseitigen Entsprechung als distinktiv definierter formaler, methodischer und funktional-pragmatischer Muster im Vergleich von frühneuzeitlicher und antiker Vergangenheitsbeschäftigung zieht. Die Identifizierung einer mehr oder weniger homogenen historiographischen Strömung legitimierte dann auch die epochenübergreifende Anwendung der frühneuzeitlichen Begriffsprägung des Antiquars auf die Antike, was bereits auf eine lange forschungsgeschichtliche Tradition zurückblickte. Zur Problematik der Terminologie (siehe unten Kap. 2.1) kommt ein weiterer Punkt hinzu: Erkenntnislogisch fragwürdig erscheint ein solches Vorgehen vor allem aufgrund der ungleichen Quellenlage, auf deren Basis der Vergleich angestellt wurde. Während das Korpus der erhaltenen antiquarischen Schriften aus der Zeit von 1450 bis 1800 weit über hundert Titel umfasst, ist aus der klassischen Antike kein einziges eindeutig identifizierbares Werk vollständig überliefert.47 Mit diesem grundsätzlichen Problem, das mit definitorischen Grundfragen einhergeht, haben letztlich auch komparatistische Ansätze zu kämpfen, wie sie neuerdings im Zuge des „World Antiquarianism“ auch für die Altertumswissenschaften fruchtbar gemacht werden.48
(2) Die Perspektivierung des Antiquarianismus im Dienst einer Geschichte der Geschichtswissenschaft reduziert diesen auf einen (abgesonderten) Teilbereich der Geschichtsschreibung und lässt andere Kernelemente dieser spezifischen Form antiker Vergangenheitsbetrachtung in den Hintergrund treten. Denn trotz der unbestreitbaren Gelehrsamkeit ihres Autors und der Materialfülle der Studie, die als Meilenstein für das Verständnis des Phänomens zu werten ist, ist ihr wissenschaftsgeschichtlicher Ansatz in seinem teleologischen Kern tendenziös und nur sekundär am Phänomen des Antiquarianismus interessiert. Arnaldo Momigliano entdeckte die Antiquare als Forschungsgegenstand und regte eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihnen an, doch darf nicht übersehen werden, dass seine „Kartographie“ dieses Forschungsfeldes49 aus einer historiographiegeschichtlichen Perspektive erfolgte. Wie seine späteren Schriften und die Rezeption seines wissenschaftlichen Werkes insgesamt nahelegen, standen Momiglianos Forschungen zu den frühneuzeitlichen Antiquaren im Dienst einer auf Gegenwartswirkung angelegten Historiographiegeschichte, mit der er nicht zuletzt die professionellen Historiker an den Universitäten zu einer vertieften Reflexion über die heuristischen Methoden und die gesellschaftlichen Funktionen der Geschichtsschreibung anregen wollte. So sah der Althistoriker Tim J. Cornell noch 1995 den Kern von Momiglianos Vermächtnis in der Behauptung, die moderne Geschichtsschreibung zeichne sich gerade dadurch aus, dass sie die jahrhundertealte thukydideische Dichotomie zwischen „genuin historiographischer“ und „antiquarischer“ Methode überwunden und beide Ansätze, nämlich die synchrone und die diachrone Darstellungsweise, zu einer umfassenden historisch orientierten Kulturwissenschaft zusammengeführt habe. Zugleich beklagte er, dass diese Verschmelzung einerseits aufgrund der „antiquarischen Mentalität“ der Alten Geschichte nie ganz gelungen sei und andererseits durch poststrukturalistische Theorieansätze zusätzlich gefährdet werde.50 Momiglianos Rehabilitierung der diffamierten Antiquare wird so zum Nebenprodukt einer Beweisführung, die im Dienste einer definitorisch-konzeptionellen Herausstellung der Literaturgattung Geschichtsschreibung und der mit ihr befassten „wahren Historiker“ stand, die es vom „Antiquar“ und der ihm zugeschriebenen Sach- und Realforschung prinzipiell zu trennen galt. Für diese kategoriale Dichotomie, an der Momigliano bis zu seinem Tode festhielt,51 finden sich in der Antike allerdings keine eindeutigen Anhaltspunkte. Sie muss aber auch aus der Sicht der modernen Historiographiegeschichte relativiert werden.52 Zwar ist der analytische Nutzen einer solchen idealtypischen Einteilung vor dem Hintergrund des von Momigliano vorgeschlagenen einlinigen Entwicklungsmodells der Geschichtswissenschaft kaum zu bestreiten, ermöglicht sie doch die trennscharfe Analyse zweier vermeintlich methodisch distinktiver historiographischer Zugangsweisen, deren Differenz die Antike offenbar nicht wahrnehmen wollte oder konnte. Eine stichhaltige Abrundung erhält sein teleologisches Entwicklungsbild schließlich dadurch, dass sich mit Herodot und Thukydides auf der einen und Gibbon und Winckelmann auf der anderen Seite Ausgangs- und Endpunkt des konstatierten historiographiegeschichtlichen „Schismas“ auf relativer Augenhöhe begegnen.53 Die heuristische Schere schließt sich also wieder, sobald die antiquarische Methode in den Schoß der Geschichtsschreibung zurückgekehrt ist: „It is a fair assumption that if Herodotus had remained the model historian there would never have been any antiquarians.“54 Trotz seines Anspruchs, die Antiquare zu rehabilitieren, zielt Momiglianos wissenschaftsgeschichtliches Schema also letztlich auf die Integration der antiquarischen Tätigkeit in die (moderne) historiographische Arbeit. Das bedeutet, dass sich die vermeintliche Differenz zwischen Antiquar und Historiker erst auflöst, wenn der eine den anderen in sich aufnimmt.55
1.2 Im Bannkreis der Rezeption: Eine Fallstudie der Fasti Ovids
In unserem tentativen Unterfangen, die Einseitigkeit der Forschung in ihrer methodischen Herangehensweise und kategorialen Bewertung des antiken Antiquarianismus aufzuzeigen und die darauf basierenden wissenschaftlichen Urteile und Einschätzungen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls als Projektionen zu entlarven, folgt als zweiter und letzter Schritt eine rezeptionsgeschichtliche Fallstudie. Es wird der Versuch unternommen, einige zentrale Aspekte der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion über den antiken Antiquarianismus nachzuzeichnen. Ovids Fasti bieten sich für eine solche Untersuchung in besonderer Weise an, zumal die Rezeptionsgeschichte dieses Gedichts das Spektrum der Kernprobleme der Antiquarianismus-Debatte gleichsam in nuce umfasst. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht die exemplarische Analyse historischer Lesehaltungen, Lesemotive und Leseerwartungen, mit denen Ovids Kalendergedicht im Laufe der Jahrhunderte konfrontiert wurde.56 Ziel ist es, anhand der diachronen Kontrastierung mittelalterlicher, frühneuzeitlicher und moderner Rezeptionshaltungen und lektürebasierter Sinnbildungsprozesse ein ebenso einflussreiches wie persistentes epochenübergreifendes Deutungsmuster nachzuzeichnen, das dem Modell-Leser in dieser Form nicht voraussetzungslos eingeschrieben war: die Rezeption der Fasti als eines seriösen „Wissenstextes“.57
Bevor die ideengeschichtliche Entwicklung dieser Lesart nachgezeichnet und ihre Bedeutung und Problematik für den modernen Antiquarianismus-Begriff erörtert wird, müssen zunächst die definitorischen Prämissen eines Wissenstexts geklärt und auf dieser Grundlage geprüft werden, ob und in welcher Weise ein solcher Anspruch einer auktorialen Rezeptionsvorgabe beziehungsweise dem vorausgesetzten Erwartungshorizont des zeitgenössischen Lesepublikums entsprach. Definiert man den Umgang mit Wissen funktionsorientiert, so lassen sich mindestens drei Grundfunktionen von „Wissensliteratur“ identifizieren, nämlich die Produktion, die Vermittlung und die Speicherung von Wissensbeständen.58 Für die Bestimmung eines Wissenstextes sind auf dieser Basis zwei Prämissen gegeben: (1) Der Autor wollte in mindestens einem der drei genannten Bereiche aktiv werden und (2) der verhandelte Wissensdiskurs unterliegt (zumindest dem Anspruch nach) der wissenschaftlichen Binarität „wahr/falsch“.
1.2.1 Die Fasti als „Wissenspoesie“? Beobachtungen zum ovidischen Modell-Leser
Welchen Modell-Leser antizipiert das Gedicht und welchen rezeptiven Erwartungshorizont setzt es voraus? Was ließ sich als zeitgenössischer Rezipient der Fasti über die Wirkungs- und Zielintentionen des Autors sagen? Welche wissensorientierten Funktionsbestimmungen des Textes wurden in Betracht gezogen?
Zu diesen komplexen Fragen sollen hier nur einige kursorische Bemerkungen gemacht werden, die sich vor allem auf textinterne Gesichtspunkte stützen. Einen ersten Hinweis bietet der Titel des Gedichts, Fastorum libri, den Handschriften und Testimonien übereinstimmend wiedergeben. Jörg Rüpke hat gezeigt, dass die anvisierte Leserschaft darunter keinen versifizierten Buchkalender, sondern einen Kalenderkommentar verstanden haben dürfte.59 Spätestens seit augusteischer Zeit war die Kommentierung des Festkalenders Gegenstand einer lebhaften antiquarischen Forschung, an die Ovid mit seiner Titelwahl offensichtlich anzuknüpfen suchte (siehe unten S. 349–364). Damit war die gelehrte, am Kalender orientierte aitiologische Exegese als Thema des Gedichts eigentlich schon vorgegeben. Das Proömium kündigt dann erwartungsgemäß die Behandlung der „Festzeiten mit der Erklärung ihrer Ursprünge“ an, die anspielungsreich an die Tradition der hellenistischen Lehrdichtung anknüpft, sodass das Gedicht fortan der doppelten Gattungsbestimmung von Kommentar und Lehrgedicht unterliegt (fast. 1.1–2): Tempora cum causis Latium digesta per annum / lapsaque sub terras ortaque signa canam („Von den Festzeiten, wie sie in Latium über das Jahr verteilt sind, und von der Erklärung ihrer Ursprünge will ich singen, und auch von den Sternen, wie sie auf- und untergehen.“).60 Als Fingerzeig auf die politische Relevanz des Werks wird der im Gedicht nachvollzogene kalendarisch verbürgte Kurzschluss von römischem Kult und Geschichte mit dem Kaiserhaus poetologisch anspielungsreich nachgereicht (fast. 1.13–14): Caesaris arma canant alii, nos Caesaris aras / et quoscumque sacris addidit ille dies („Caesars Waffentaten mögen andere besingen, ich künde von Caesars Altären und von all den Tagen, die er den Festzeiten hinzugefügt hat.“).61
Die in der weiteren Einleitungspassage (fast. 1.15–62) durch metatextuelle Indikatoren, intertextuelle Anspielungen und didaktisch-logische Textstrukturierung insinuierte Gattungszugehörigkeit des Textes als „Lehrgedicht“ wird im weiteren Verlauf des Gedichts aufrechterhalten. Der didaktische Impuls ist stilistisch eindeutig markiert (z. B. fast. 2.514: accipe [„erfahre nun“]; 2.685: nunc mihi dicenda [„jetzt muss ich berichten von“]; 6.104: e nostro carmine certus eris [„aus meinem Gedicht wirst du erfahren“]) und der Wahrheitsgehalt des Berichteten wird durch regelmäßige Beglaubigungsformeln (vidi [„ich sah selbst“]: fast. 1.389; 2.27; 4.936, fertur [„man berichtet“] o. ä.) bekräftigt.62 Zum Rückgriff auf die hellenistische Lehrdichtung gehört auch die Fiktion einer eigenen Feldforschung, die in den Proömien des ersten und vierten Buches anhand einer privilegierten Quelle der zeitgenössischen Altertumsforschung, den annales prisci, erhärtet wird (fast. 1.7; 4.11).63 Der Dichter wird darüber hinaus nicht müde, sich auch sonst als Forscher in kallimacheischer Manier zu inszenieren: so befragt er Götter und Musen (u. a. fast. 1.89–288 (Ianus); 3.167–258 (Mars); 3.697–710 (Vesta); 4.1–18 (Venus); 4.181–373 (Erato)); Ortskundige (fast. 4.689–712; 4.905–942; 6.395–416), Fachspezialisten und greise Informanten (fast. 2.571–582; 4.377–384; 6.225–234; 6.395–416), konsultiert alte Inschriften (fast. 3.844) und Kalender (fast. 1.289; 1.657–658; 3.87–96; 6.57–64) und bekräftigt gegenüber dem Leser seinen altertumskundlichen Enthusiasmus (fast. 1.631: siquis amas veteres ritus [„wenn du alte Bräuche liebst“]). Neben diesen Konstituenten belehrender Dichtung wird auch die Gattung des Kommentars präsent gehalten; auf sie verweisen typische Kompositionselemente, allen voran das den Hypotext sukzessive abhandelnde Ordnungsprinzip sowie katalogartige Auflistungen (z. B. fast. 1.317–334), aber auch fachwissenschaftliche Verfahren wie die Etymologisierung von Eigennamen, die vielen Aitiologien vorausgeht, sowie die damit verbundenen mythologischen Exkurse.64
Ovid war bei der Veröffentlichung der Fasti dem Publikum bereits einschlägig als Lehrdichter bekannt. Stärker noch als die nur als Fragment überlieferten Medicamina faciei femineae zeigen die als Doppelgedicht zu lesenden Ars amatoria und Remedia amoris das ovidische Programm einer „didaktischen Elegie“, welche mit offenkundig intendierter Unschärfe beständig in der Grauzone zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie changiert.65 In den Fasti scheint sich diese eigentümliche Dynamik fortzusetzen, denn hinter der didaktischen Fassade offenbart sich im Laufe der Lektüre ein Text, der ganz offensichtlich keine didaktischen oder (fach-)wissenschaftlichen Modelle reproduzieren will. Während in antiken Fach- und Lehrschriften der Autor möglichst ganz hinter seinen Stoff zurücktritt, ist die persona Ovids im Gedicht ständig präsent. Oftmals scheint der Dichter mehr mit seinem eigenen dichterischen Arbeitsprozess und dessen Zeitlichkeit beschäftigt zu sein als mit dem eigentlichen Lehrinhalt.66 Auch die eingangs gemachten Versprechungen werden nur teilweise eingelöst: Die Datierung der Feste ist notorisch unklar, ihre Ursprünge werden nur teilweise erklärt und die astronomischen Angaben sind mehr an intertextuellen Bezügen als an technischer Präzision interessiert.67 Dafür finden Elemente Berücksichtigung, die nicht Bestandteil des Kalenders sind.68 Immer wieder wird auch die Ernsthaftigkeit des Berichteten (und der Berichtenden) untergraben: Neben feierlichen Passagen stehen solche, die den Wahrheitsgehalt der überlieferten Nachrichten in Frage stellen, mythengeschichtliche Ereignisse ironisieren, Götter und Helden verspotten und genüsslich rituelle Obszönitäten religiöser Feste schildern.69 Zusammen mit der didaktischen Ernsthaftigkeit verliert das in der Einleitung des ersten Buches (1.1–62) eröffnete Themenspektrum bei fortgesetzter Lektüre an Verlässlichkeit und zwingt den ovidischen Modell-Leser zu ständigen Neubewertungen und Modifikationen seiner Erwartungshaltung.70 Hinzu kommt, dass Ovids persona nur schwer mit dem traditionellen didaktischen Rollenbild des auktorialen praeceptor beziehungsweise des versifizierenden grammaticus in Einklang zu bringen ist. Denn der Dichter tritt seinem anvisierten Publikum in einer zwitterhaften Autorenrolle gegenüber, wie die wiederholte Selbstbezeichnung als vates operosus dierum („der sich Mühe gebende Dichter der Tage“: fast. 1.101; 3.177) verdeutlicht, mit der sich Ovid einerseits als strebsam-gelehrter Exeget des römischen Kalenders inszeniert, diese Rolle aber zugleich wieder transgrediert, um in der Tradition Hesiods als göttlich inspirierter – und damit auch als aktiv schöpferischer und gestaltender – (elegischer) vates zu agieren.71 Im weiteren Erzählverlauf der sechs Bücher bedient sich der Dichter einer Reihe unterschiedlicher Sprecherrollen und durchbricht damit die typische monologische Sprecherhaltung der Lehrdichtung: So ist er nicht nur Lehrender, sondern auch Belehrter (fast. 1.93 ff.; 4.1 ff.; 5.193 ff.; 6.655 ff.) und nimmt am kultischen Geschehen sowohl als Zuschauer (fast. 1.389; 3.274; 6.237–238) als auch als „Priester“ (1.663–696; 2.623–638; 4.133–140; 4.731–746) teil.72 Die offenkundig polyphone Struktur des Gedichts findet ihre generische Entsprechung in der hybriden Gattungsform, in der sich elegische und epische Tonlagen überlagern und moralische Ermahnungen mit erotischen, panegyrischen oder tröstenden Passagen abwechseln.73
Fassen wir das bisher Gesagte zusammen: Das ebenso innovative wie generisch hybride Werk, mit dem Ovid die aitiologische Dichtung des Kallimachos mit dem hellenistischen Lehrepos und der Parapegmata-Literatur verband und durch die Orientierung am augusteischen Festkalender gegenwartspolitisch auflud, ist trotz seiner didaktischen Appellstruktur und seiner textexegetischen Ausrichtung weder ein konventionelles Lehrgedicht noch ein versifizierter Fastenkommentar. Die Zeit in ihrer festen kalendarisch-zyklischen Struktur (und nicht in ihrer teleologischen Entwicklung wie in den Metamorphosen) bildet den koordinierenden Rahmen für eine komplexe Mischung aus Mythen, Etymologien, Kultaitien, Stern- und Wetterzeichen sowie zeitgeschichtlichen und historischen Daten und Ereignissen in episodisch erzählend-unterhaltender Darstellung.74
Ohne an dieser Stelle näher auf die bereits in der Antike kontrovers diskutierte Frage nach der textsortentypologischen Bestimmung der Lehrdichtung oder auf die in der neueren Theoriedebatte diskutierte Frage nach der Literarisierung von Wissen einzugehen,75 sollen vor dem Hintergrund der skizzierten Gattungsambiguität zwei Aspekte hervorgehoben werden, die für die Charakterisierung der Fasti als lehrhafter Wissenstext von entscheidender Bedeutung sind. Zur oben definierten Grundfunktion von „Wissenstexten“ (zu denen auch Kommentare zählen) gehört, dass sie neben der reinen Wissensvermittlung auch den Prozess der Verständnissicherung so weit wie möglich sicherstellen, um Missverständnissen auf Seiten der Rezipienten entgegenzuwirken.76 Die Eindämmung der kommunikativen Risiken, die jeder textgebundenen Übermittlung einer Botschaft anhaften,77 muss daher die Intention jedes wissensvermittelnden Autors sein. Der zweite Aspekt betrifft den Wahrheitsanspruch, den jeder Wissenstext zumindest implizit voraussetzt.78 Beide didaktischen Prämissen, sowohl die der Verständnissicherung als auch die der Wahrheitsvergewisserung, werden in den Fasti sukzessive unterlaufen. Obwohl innerhalb des Textes durchaus ein Lerneffekt signalisiert wird – discere ist ein relativ häufig wiederkehrendes Wort79 – , scheint dem Gedicht zugleich die Obstruktion eben dieses „Lernprozesses“ eingeschrieben zu sein. Dass die Fasti daher auch nicht die gattungsspezifischen Ziele eines Kommentars erfüllen können, zeigt sich daran, dass das Gedicht selbst einer erläuternden Exegese bedurfte. Der Status der Fasti als kommentierungsbedürftige „Autorität“ zeigt sich nirgends deutlicher als im Drucklayout der humanistischen Ovidkommentare, dem sogenannten modus modernus: eine synoptische Kombination von Text und Metatext, wobei mittig in großer Schrift einige Zeilen des Textes von lemmatisierten Glossen in Kleinschrift umrahmt werden – ein Arrangement, das die Fasti auf eine Stufe mit Vergils Aeneis oder Statius’ Thebais stellt (siehe oben Kap. 1.2.2).
Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, inwieweit Ovid überhaupt eine didaktische Absicht der Wissensvermittlung unterstellt werden kann und ob der ovidische Modell-Leser im Laufe seiner Lektüre eine solche Erwartungshaltung entwickeln sollte. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass in der Antike – anders als heute – die Fasti sicherlich nicht die erste Anlaufstelle für die an den angekündigten Wissensbereichen interessierten Rezipienten waren, sowohl was die kultisch-religiösen Realien als auch die historischen, mythologischen und astronomischen Sachinformationen betraf. Hier waren die Zeitgenossen Ovids inzwischen in der privilegierten Lage, neben griechischen Fachtexten problemlos auch einschlägige lateinische Werke konsultieren zu können. Vor diesem Hintergrund erscheint die These plausibel, dass Ovid den Rückgriff auf diese Referenzwerke für seine Modell-Leser nicht nur antizipiert, sondern geradezu vorausgesetzt hat.80 Das dichte Geflecht vielfältiger intra-, inter- und metatextueller Bezüge, mit denen das Gedicht die gelehrte Leserschaft in einen lebhaften Diskurs verwickelt, bestätigt den hohen literarischen Anspruch, den die Fasti an ihr Zielpublikum stellen. Zum Spektrum der dem Modell-Leser präsenten Intertexte zählen zumindest die einschlägigen antiquarischen Kalender-Traktate, die Lehrdichtungen von Nikander, Kallimachos, Arat, Lukrez, Vergil und nicht zuletzt Ovids eigenes Werk, insbesondere die Metamorphosen und die Amores. Erst auf dieser breiten Textbasis erschließt sich dem Rezipienten Ovids hochkomplexe und eigenwillige Lesart des römischen Kalenders im Spannungsfeld von Dichtung, Exegese und Lehre, zeigen sich seine kreativen Assoziationen und innovativen Verknüpfungen, seine originellen Entdeckungen, gewagten Umformungen und (De-)Konstruktionen. In Bezug auf das Themenfeld der sacra reproduzieren die Fasti also nicht einfach die Ergebnisse der antiken Prosa-Vorläufer de fastis, de feriis oder de anno, sondern sie nehmen selbst aktiv am Diskurs teil, indem sie ihn bestätigen, ergänzen, reflektierend in Frage stellen und bisweilen auch ironisch brechen.81 Erst nachdem die Referenztexte, mit denen Ovid interagierte, nicht mehr verfügbar waren und der literarische Kontext, auf dem das Gedicht beruhte, wegfiel, entwickelte sich auf Seiten der Rezipienten ein rein sachbezogenes Kommunikationsinteresse. Dieses an komplexe Überlieferungsprozesse gekoppelte Rezeptionsphänomen, dessen Auswirkungen auf die moderne Forschung noch immer spürbar sind, soll im Folgenden in seinen Grundzügen nachgezeichnet werden.
1.2.2 Vom Lehrgedicht zur Wissenspoesie: Mittelalterliche und frühneuzeitliche Rezeptionen
Trotz Ovids frühem Ruf als „leichter“ und „unernster“ Dichter und trotz der textinternen Dissonanzen – um Wirkungskategorien wie Ironie oder Parodie einmal zu vermeiden – wurden die Fasti von der Nachwelt als Lehrdichtung ernst genommen.82 Lange bevor James Frazer Ovids Kalendergedicht in seinem monumentalen Kommentar von 1929 zum kulturanthropologischen Repertorium erklärte, waren die Fasti eine bevorzugte Quelle naturkundlichen, mythologischen, historischen und religiösen Wissens. Dieser bisher wenig erforschte Seitenzweig des literarischen Nachlebens Ovids steht im Mittelpunkt des folgenden Kapitels.83
Ovids Ruf als Wissens-Autorität reicht bis in die Antike zurück; sowohl Seneca als auch Plinius der Ältere zitieren ihn in ihren naturwissenschaftlichen Schriften. Sie folgen damit einer seit Aristoteles etablierten wissenschaftlichen Konvention. Auf diese Weise legten diese im Mittelalter einflussreichen Autoren die legitimatorische Grundlage für die spätere wissenschaftsorientierte Rezeption des Dichters, die – zumindest was die Naturwissenschaften betrifft – ihren Höhepunkt in der von Ludwig Traube betitelten aetas Ovidiana, also im 12. und 13. Jahrhundert, hatte.84 Ovid fand relativ spät Eingang in den mittelalterlichen Schulkanon – erst ab dem 11. Jahrhundert gibt es gesicherte Hinweise – , entsprechend begrenzt war bis dahin sein „institutioneller“ Erfolg in Form von Handschriften, Einträgen in Bibliothekskatalogen und Florilegien.85 Mit dem Einzug in die Schule avancierte Ovid schnell zum klassischen Vorbild des Lehrdichters und regte zahlreiche Nachahmungen, Bearbeitungen und Pseudepigraphien an.86 In astronomischen, meteorologischen, mineralogischen und medizinischen Traktaten war er ebenso ein häufig zitierter Referenzautor wie in enzyklopädischen Überblickswerken.87 Ein zweiter, kaum weniger bedeutender Wissenskomplex war die Mythologie, zu deren Vermittlung und Erklärung neben den thematisch einschlägigeren und breiter überlieferten Metamorphosen auch die Heroides und die Fasti herangezogen wurden.88
In dieser wissensgeleiteten Ovid-Rezeption, die sich in einer reichen Glossierung und Exzerpierung niederschlug,89 wurden die Fasti auch als historiographische Quelle geschätzt.90 In den im 12. Jahrhundert aufkommenden literarhistorischen Werkeinführungen (accessus) zu den Fasti wird einerseits der belehrende Charakter des Werkes betont (Ovid wollte dem bald zum Pontifex geweihten Germanicus den römischen Kalender und die religiösen Feste erklären), andererseits die „private“ Absicht Ovids „enthüllt“ (Germanicus sollte sich bei Augustus für den wegen seiner carmina amatoria in Ungnade gefallenen Dichter einsetzen). Mit dieser doppelten Wirkungsbestimmung des Autors (intentio auctoris) korrespondiert die doppelte inhaltliche Qualifizierung des Werks für den (mittelalterlichen) Leser (utilitas libri): Auctor autem iste eticus est et phisicus. Eticus est tractando de moribus, phisicus est tractando de natura („Dies ist ein sowohl ethischer als auch ein naturkundlicher Autor. Ethisch meint die Auseinandersetzung mit der menschlichen Lebensführung, naturkundlich die Auseinandersetzung mit der Natur.“).91 In der früheren Glossierung stehen somit vier Wissensbereiche im Zentrum der exegetischen Bemühungen: Ethik (das heißt hier allegorische Mythologie), Naturkunde, (politische) Geschichte und Religion.92 Das eigentliche Thema des Gedichts (materia operis), nämlich die Zeit in ihrer kalendarischen Strukturierung, gerät dabei jedoch nie aus dem Fokus.93
Das enzyklopädische Spektrum der für den hochmittelalterlichen Lateinunterricht als relevant erachteten Wissensbereiche repräsentiert die Schule von Orléans im späteren 12. und frühen 13. Jahrhundert in Form des ebenso ausführlichen wie wirkmächtigen Fasti-Kommentars des Arnulf von Orléans94 sowie in den Glossen zu den Bursarii Ovidianorum des William von Orléans.95 Neben den üblichen Erklärungen zu Grammatik, Stilistik und Lexik sowie thematisch bedingten Exkursen über Astronomie und Komputistik setzt sich Arnulf intensiv mit geschichtlichen Ereignissen, mythistorischen Personen, antikem Kult und Brauchtum auseinander,96 wobei die Vorliebe für Etymologien und aitiologische Erklärungsmuster Text und Metatext augenscheinlich miteinander verbindet.97 Als maßgebliche Quellen für die letztgenannten Bereiche dienten ihm Macrobius’ Saturnalien, Isidors Etymologiae sowie der erweiterte Vergil-Kommentar des Servius.98 Auffallend ist die Kontinuitätsprämisse zwischen heidnischer Antike und christlichem Hochmittelalter, die gelegentlich in Wendungen wie sicut nos modo („wie noch wir“) oder adhuc („bis heute“) zum Ausdruck kommt: bei der Röstung des Spelt (zu fast. 2.521), bei magischen Praktiken der rustici (zu fast. 6.168), bei der Gleichsetzung der lustria mit den christlichen rogationes (zu fast. 5.725), bei der Institution des Kaisertums (zu fast. 4.860) oder bei einer Namensänderung infolge religiöser Elevation (zu fast. 2.507).99 Für unsere Fragestellung ist dieser Befund aber vor allem deshalb bedeutsam, weil er zeigt, dass anhand der Fasti Ovids die „antiquarische“ Tendenz der antiken Vergilkommentierung bereits im 12. Jahrhundert reaktiviert worden war.100 Anders als in der Aeneis ist diese Art der rekonstruierend-antiquarischen Textexegese dem Gedicht aber zugleich als Programm eingeschrieben (fast. 1.7 und 4.12: annalibus eruta priscis [„aus alten Jahrbüchern entnommen“]). Arnulf deutete die Fasti auch folgerichtet als eine von ihrer Funktion her restaurative Lehrdichtung, womit er die humanistische Interpretation vorwegnahm.101
Dass mittelalterliche Gelehrte auch der kalendarischen Bedeutung der Fasti Beachtung schenkten, zeigt sich unter anderem daran, dass in einigen Handschriften dem Text ein Kalender beigegeben wurde.102 Diese dem Schulbetrieb noch fern stehende Rezeptionsweise scheint sich zunächst auf monastische Kreise konzentriert zu haben, die in den christlichen Martyrologien, insbesondere der Legenda aurea, ein kalendarisches Analogon besaßen.103 Einen dezidiert christlichen Gegenentwurf zu Ovids heidnischem Festkalender lieferte dann Alexander de Villa Dei, dessen hexametrisches Ecclesiale die kirchlichen Feste, Gottesdienste und Persönlichkeiten in sukzessiver Abfolge behandelt.104 Diese Tradition wurde im 16. Jahrhundert von verschiedenen humanistischen Theologen fortgeführt, so von dem italienischen Dichter Ludovico Lazzarelli (1447–1500, Fasti christianae religionis), dem Karmelitergeneral Giovanni Battista Spagnoli (1447–1516, Fastorum libri duodecim) oder dem reformierten Zürcher Theologen Rudolf Wirth (Rodolphus Hospitianus (1547–1626), Festa christianorum).105 Imitationen und Nachdichtungen gab es aber nicht nur unter christlichen Vorzeichen. Im 17. Jahrhundert setzte Claude Barthelemy Morisot (1592–1661) der lange empfundenen Unvollständigkeit der Fasti ein Ende, indem er die fehlenden sechs Bücher eigenhändig ergänzte.106
War das Interesse an (kultur-)geschichtlichen Realien, das den ovidischen Fasti entgegengebracht wurde, bis ins späte Mittelalter stets nur ein Wissensbereich unter vielen, die man der Dichtung entnahm, so stieg dieses im Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert sprunghaft an. Lesarten und Nachahmungen, die sich auf antike Geschichte, Brauchtum und Religion konzentrierten, finden sich nun einerseits in literarischen Rezeptionen – etwa bei John Gower (1340–1408) und Chaucer (1342/43–1400)107 – , andererseits rückte im Zuge der humanistischen Riscoperta der griechisch-römischen Antike der topographische und religionsgeschichtliche Quellenwert von Ovids Kalenderdichtung ins Zentrum einer neu erwachten Altertumsforschung.108 Der topographische Informationswert der Fasti, der bereits im 12. Jahrhundert erkannt wurde und sich in der Mirabilien-Literatur niederschlug, gewann seit dem späten 14. Jahrhundert mit dem humanistischen Bedürfnis, die Stadt Rom in ihrer historischen Dimension zu erfassen und zu beschreiben, an Bedeutung.109 Offensichtlich ist dies bereits in Petrarcas Beschreibung der Monumente Roms (fam. 6.2)110 sowie später im anonymen Tractatus de rebus antiquis et situ urbis Romae (frühes 15. Jahrhundert).111 In Biondo Flavios maßstabsetzender Roma instaurata (1446), einem katalogartigen Handbuch der (Ruinen-)Topographie Roms, war Ovids Kalendergedicht eine unverzichtbare Quelle und diente neben Livius, Varro und Pompeius Festus als Führer durch die antike Gedächtnislandschaft.112
Kaum weniger bedeutsam war der Stellenwert von Ovids Fasti in der zeitgenössischen Altertumsforschung, etwa zum römischen Amts- und Rechtswesen. Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind zu nennen: Gasparino Barzizza, De nominibus magistratuum Romanorum (um 1407/21),113 Andrea Fiocchi, De magistratibus sacerdotiisque Romanorum (um 1425, in späteren Drucken unter dem Namen des tiberianischen Gelehrten Fenestella verbreitet)114 sowie Pier Candido Decembrio, De muneribus Romae rei publicae (um 1431). Zum maßgeblichen Handbuch wurde dann das 1490 erstmals gedruckte De Romanis magistratibus, sacerdotiis, iurisperitis et legibus aus der magistralen Hand des Pomponio Leto (1428–1498). Von diesem Werk hängen die thematisch nahestehenden Schriften späterer Zeit ab, wie die von Raphael Volaterranus (gest. 1503) oder Henricus Bebelius (1472–1518).115 Eine ähnliche Bedeutung hatten die Fasti in den enzyklopädisch orientierten Zugriffen auf die antiken instituta et mores, allen voran Biondo Flavios Roma triumphans (vollendet 1459, erstmals gedruckt 1473) – dem komplementären Gegenstück der topographisch orientierten Roma instaurata – , in der neben den religiösen, staatlichen und militärischen Institutionen auch das Privatleben sowie die allgemeinen Sitten und Gebräuche des antiken Rom dargestellt wurden.116 Wie schon in der Roma instaurata korrespondiert auch hier Ovids didaktischer Zeigemodus mit Biondos visuell-haptischem Zugang zu den antiken Altertümern.117 Analogieangebote dieser Art ließen humanistische Antiquare wie Biondo in Ovids Lehrgedicht ein autoritatives Modell der eigenen restaurativ motivierten Altertumskunde erkennen, das seinen Lesern ein kompendienhaft aufgespeichertes Wissen präsentierte und damit in erster Linie auf die Vermittlung und Erklärung des gesellschaftlich-kulturellen Vermächtnisses ausgelegt war. Aus humanistischer Sicht standen die Fasti also nicht nur hinsichtlich ihres Informationsgehalts auf einer Stufe mit den noch vorhandenen Rudimenten antiker Fachautoren und Historiker, sondern man war gerade auch deshalb bereit, Ovid als poetisches Pendant zu Varro zu akzeptieren, weil man den eigenen interpretatorischen Fokus auf den restaurativen Akzent seiner Dichtung legte.
Einen bedeutenden Beitrag zur systematischen Erfassung und Auswertung der Fasti mit dem Zweck der Rekonstruktion und Rekonstitution antiker Alltagskultur leistete die humanistische Kommentarliteratur.118 Ein wichtiges Zentrum der philologisch orientierten Textexegese war Rom, wo im Umfeld des Gelehrtenkreises um Pomponio Leto – der sogenannten Accademia Romana – die Fasti gelehrt und vielfach glossiert und kommentiert wurden.119 Das langfristig einflussreichste Produkt dieser Studien- und Lehrtätigkeit waren die von Bartolomeo Merula in einem Band zusammengefassten und 1497 in Venedig gedruckten Kommentare von Paolo Marsi aus Pescina (Erstausgabe 1482) und Antonio Costanzi aus Fano (Erstausgabe 1489).120 Im Vorwort gibt Marsi einen kurzen Überblick über das reiche Spektrum der italienischen Fasti-Kommentierung im Quattrocento. Er berichtet von seiner eigenen langjährigen Beschäftigung mit den Fasti und verweist auf Lehrer, Vorgänger und Konkurrenten, sodass sich mehrere parallele und überlappende Traditionslinien ergeben.121
Wie seine spätantiken und mittelalterlichen Vorgänger war auch der humanistische Klassiker-Kommentar des Quattrocento vom Grundprinzip her enzyklopädisch angelegt. Für Raffaele Regio (um 1440–1529), einen der bedeutendsten Ovid-Kommentatoren der Frühen Neuzeit, sind die Metamorphosen nicht nur eine Fabelsammlung, sondern, wie er im Vorwort an Francesco II. Gonzaga, den Marktgrafen von Mantua, darlegt, gleichsam die Grundlage einer umfassenden Bildung:122
Non solum enim veteres historie, que propter antiquitatem fabularum loco habentur, ex vetustissimis auctoribus collecte eleganter ab Ovidio describuntur, sed ita et geographie et astrologie et musice et artis oratorie et moralis et naturalisque philosophie ratio exprimitur, ut cui Ovidii metamorphosis bene percepta sit facillimum ad omnes disciplinas aditum habiturus […] esse videatur.
Denn nicht nur die Geschichten der Vorzeit, die wegen ihres Alters als Fabel gelten, werden von Ovid den ältesten Autoren entnommen und kunstvoll nacherzählt, sondern auch die Geographie, die Astronomie, die Musik, die Redekunst, die Moral- und Naturphilosophie werden auf diese Weise behandelt, sodass derjenige, der sich Ovids Metamorphosen gut angeeignet hat, einen sehr leichten Zugang zu allen anderen Wissensbereichen zu haben scheint.
Raffaele Regio, Ovidius Metamorphoseos, cum commento familiari, Paris 1496, fol. a ii
Die exegetische Praxis, Wort für Wort zu erklären und dabei aus dem Vollen zu schöpfen, war ein von den Zeitgenossen erwarteter Standard der Klassikerauslegung. Im Vorwort zu seiner Erläuterung der Fasti verspricht auch Marsi seinen Lesern die veterum mysteria, die das göttliche Gedicht enthalte, zu entschlüsseln und dabei kein Detail unberücksichtigt zu lassen (nihil intactum nihilque indiscussum relinquentes). Der Ehrgeiz nach enzyklopädischer Breite ließ jedoch den Umfang der humanistischen Kommentare so stark anschwellen, dass Marsi sich dafür entschuldigen zu müssen glaubte.123
Obwohl das enzyklopädische Spektrum der spätantiken und mittelalterlichen Klassikerexegese im Quattrocento strukturell erhalten blieb und auch inhaltlich entsprechende Abhängigkeiten nachweisbar sind, lassen sich im Umfeld der Accademia Romana durchaus qualitative Neuerungen feststellen. An erster Stelle ist das erweiterte Quellenkorpus zu nennen, das nun auch archäologische Quellen, insbesondere Inschriften und Münzen, einschloss, was in der topographischen Fachliteratur bereits seit langem Standard war.124 Zum anderen ist – gerade im Hinblick auf die Fasti – auch der akzentuierende Einfluss der zeitgenössischen Antikenbegeisterung zu spüren. Battista Guarini etwa bringt dies beredt zum Ausdruck, wenn er in seiner didaktischen Schrift De ordine docendi ac studendi von 1452 die unvollständige Überlieferung von Ovids Kalendergedicht beklagt: Utinam totus is liber ad nos pervenisset! Nullum enim haberemus, ex quo plenius et mores et sacra veterum perspiceremus („Wäre uns doch das ganze Werk überliefert! Es gibt keinen, aus dem wir die Sitten und den Kult der Alten reicher erkennen könnten.“).125
Den altertumskundlichen Informationswert von Ovids Kalendergedicht, das „den Wohlgeruch der Antike ausströmt“ (opus omni antiquitatis suavitate perfusum), betont auch Antonio Costanzi gegenüber seinem Mäzen, dem Herzog von Urbino.126 Neben einem astronomischen Wissen und der für das politische Leben wichtigen Geschichte bietet es dem interessierten Leser auch ein visuelles Erlebnis des antiken Rom:
Accedit ad haec, quod pleraque urbis templa magnificentissima et aedificia olim Romanam ostentantia maiestatem, e quibus hac aetate fundamentorum tantum reliquiae manent aut certe nulla vestigia vel diligenter explorantibus, sese offerunt in eodem opere pene integra et inviolata monstrantur, ut eiusmodi rerum studiosis quae cernere minime possunt ea facile et videre et contemplari liceat.127
Außerdem sind in diesem Werk die meisten großartigen Tempel und Gebäude der Stadt, die einst die Pracht Roms repräsentierten – von denen aber heute nur noch die Überreste der Grundmauern übrig geblieben oder gar keine Spuren mehr zu finden sind oder nur von denen, die danach suchen – , vollständig und fast unversehrt dargestellt, sodass diese Gebäude von denjenigen, die sich ihnen widmen, sie aber nicht sehen können, leicht erkannt und vor dem geistigen Auge vorgestellt werden können.
Während Costanzi das topographische Antikenerlebnis besonders hervorhebt, wird bei Marsi die von der zeitgenössischen Altertumskunde gepflegte Rückprojektion der eigenen restaurativen Bemühungen auf Ovid deutlich: In der Vita Ovidi, die er seinem Kommentar vorausschickt, fügt er den Dichter mit Livius Andronicus und Ennius in eine lange literarische Tradition und unterstellt ihm dabei eine seriöse altertumskundliche Quellenarbeit:
Pluresque longe ante Ovidium e nostris Fastorum poetas scriptores accepimus. Primumque Livium Andronicum, deinde Ennium, postea alios quoque multos. Ovidius vero longe post evolutis priscorum fastorum libris et pontificum monumentis et annalibus veterum omnia quae ad rem sacram pertinere visa sunt reformato in certiorem ordinem anno signorumque observationem in fastos suos seriosius redegit.128
Wir wissen, dass viele Dichter und Schriftsteller lange vor Ovid über die Fasten geschrieben haben: zuerst Livius Andronicus, dann Ennius und später viele andere. Aber Ovid hat viel später, nachdem er die alten Kalender, die Priesterakten und die alten Jahrbücher studiert hatte, alles, was den Kult betrifft, nach dem reformierten Kalenderjahr geordnet und zusammen mit der Beobachtung der Himmelszeichen in seinem Kalendergedicht besonders sorgfältig zusammengestellt.
Dass sich sowohl Marsi als auch Costanzi in eine solche Tradition poetischer Exegese einschreiben wollten, zeigt sich daran, dass sie ihre Kommentare mit eigenen poetischen Einleitungen und Vorworten versahen, also ihre didaktische Aufgabe bewusst mit ihrer Rolle als Dichter überlagerten. So hat Marsi in seinen Kommentar zu fast. 4.32 einen längeren Auszug seines Genethliakon für die Stadt Rom eingefügt, das inhaltlich offensichtlich mit Ovids Subtext konkurrieren sollte.129 Marsi schlüpft hier selbst in die Rolle des vates operosus, wenn er seine Leser wiederholt auf Lehrgedichte aus seiner Hand aufmerksam macht, in denen er versichert, den jeweiligen Stoff über Ovid hinaus vertieft zu haben.130
Zur gleichen Zeit, als Marsi in Rom lehrte, unterrichtete ein anderer Dichterphilologe, Angelo Poliziano (1454–1494), die Fasti Ovids in Florenz. Wie sein römischer Kollege machte Poliziano seine eigenen Vorlesungsschriften in redigierter Form einem breiteren Publikum zugänglich, wobei er sich jedoch nur bedingt an die traditionelle Form des fortlaufenden Zeilenkommentars hielt. Dem humanistischen Erklärungsbedürfnis, das den Klassikerkommentar des Quattrocento ungebremst in Richtung Anthologie und Enzyklopädie trieb und den Leser durch Überfrachtung zu überfordern drohte, suchte er durch eine neue Form der Wissensvermittlung zu begegnen. Poliziano war einer der Ersten, der sich für die wesentlich freiere Form der miszellenhaften adnotatio entschied, zuerst noch ansatzweise in den Collectanea in enarrationes Fastorum von 1482,131 später in Reinform in den Miscellaneorum centuria prima von 1489. Im Vorwort zur letztgenannten Schrift, die Erasmus zu den Collectanea adagiorum inspirierte, führt Poliziano ein literarisches Vorbild an, das die humanistische Gelehrtenwelt gemeinhin als Vorform ihrer eigenen Altertumskunde betrachtete: die antike Kollektaneen-Literatur in ihrer historischen (Aelian), philologischen (Aulus Gellius) und philosophischen Ausprägung (Klemens von Alexandrien).132 Der Prototyp war erst wenige Jahre zuvor in Gestalt der observationes erschienen, die Domizio Calderini seiner Statius-Ausgabe beifügte und in denen er die systematische Textexegese zugunsten einer eklektischen, problemorientierten Form der Wissensvermittlung aufgab.133 Die neue Gattung entsprach dem radikal enzyklopädischen Zugriff auf die antiken Texte weit besser als der didaktisch ausgerichtete Kommentar und hatte gegenüber den an den instituta et mores orientierten Wissenskompendien den Vorteil, nach dem Prinzip der systemfreien varietas ausgewählte philologische Fragen und Probleme breiter entfalten zu können. Der lösungsorientierte Ansatz dieser Darstellungsform hatte einen innovativen Nebeneffekt: Das neue Genre verzichtete weitgehend auf Mehrfacherklärungen und damit auf ein Jahrhunderte altes vermeintliches Charakteristikum antiquarischer Fachliteratur.134
Polizianos annotierende Textexegese in den Collectanea ist im Vergleich zu Marsi und Costanzi ungleich stärker philologisch orientiert: Eine Fülle von Parallelstellen wird notiert und Autoritäten werden zitiert, wobei zunehmend auch griechische Quellen herangezogen werden. Poliziano gehörte zu den Pionieren der vergleichenden Methode, die konsequent griechische Stilmuster und Vorbilder in die Behandlung der lateinischen Dichter einbezog.135 Mit den Vertretern der Accademia Romana verbindet ihn aber wiederum sein klar lebensweltlicher Zugang zu den antiken Texten, insbesondere sein Interesse an den Details der antiken Lebenswelt – ein Merkmal, das auch für seine poetische Übersetzungstätigkeit als charakteristisch gelten kann.136 Wie bei Marsi zeigt sich auch bei Poliziano die grundsätzlich wissensbasierte Rezeption antiker Dichtung vielleicht am deutlichsten in seinen eigenen Gedichten. Poliziano, der sich in jungen Jahren als Übersetzer des zweiten Gesangs der Ilias einen Namen gemacht hatte, entwickelte aus der produktiven Auseinandersetzung mit dem „allwissenden“ Homer eine Poetik, die das sachliche Kommunikationsbedürfnis der Renaissance im Umgang mit antiken Texten anschaulich widerspiegelt.137 Diese rezeptiv erschlossene Poetik, die Anschaulichkeit mit enzyklopädischer Gelehrsamkeit verbindet, versuchte er in seinen eigenen poetischen Werken umzusetzen. Wie bei Marsi führte also auch bei Poliziano eine bestimmte wissensorientierte Lesehaltung zur Konzeption einer Wissenspoesie, die in der Dynamik der aemulatio veterum produktionsästhetisch umgesetzt wurde. Dies verleiht seiner Dichtung zugleich einen autoritativen Status. Wenn Poliziano daher in den Miscellanea auf seine Nutricia verweist, werden diese zum Bestandteil der Beweisführung, zum letzten Glied in der langen Kette der antiken Gewährstexte, die die eigenen philologischen Erkenntnisse sanktionieren.138
Wissen bedeutet in den geschilderten humanistischen Zusammenhängen zunächst ein Wissen von und über die Antike. Es bildet die Grundvoraussetzung für die zeitgenössische Wiederbelebung jener erstrebenswerten ästhetischen, kulturellen, moralischen und sozialen Ideale, die man in der Antike verwirklicht sah.139 Die dem Restaurationsprozess notwendigerweise vorausgehende Rekonstruktionsarbeit basierte auf Texten wie Ovids Fasti, dessen enzyklopädisches Programm man auf denselben restaurativen Nukleus zurückführte, den man auch Varros verlorenen Antiquitates unterstellte. In dieser Lesart wurden die Fasti gleichsam zu einem antiquarischen Handbuch, das sowohl als Vorbild für die humanistische Antikenbegeisterung als auch als heuristisches Modell für die eigene antiquarische Rekonstruktionsarbeit diente.140 Legitimiert wurde diese Identifikation durch bestimmte textinterne Indizien, die den Dichter Ovid in den Augen der humanistischen Altertumsforscher geradezu als paradigmatische Präfiguration ihrer eigenen Profession erscheinen ließen. Drei Berührungspunkte sind besonders hervorzuheben: (1) der kommemorative Grundcharakter, der den Fasti als Kalendergedicht eingeschrieben ist; (2) Ovids Selbstinszenierung als kallimacheischer Gelehrter, der durch topographische Feldforschung, die Berücksichtigung epigraphischer Zeugnisse und durch Autopsie die humanistische Altertumsforschung des Quattrocento gleichsam vorwegzunehmen scheint;141 (3) der herkunftsorientierte Zugang zur Vergangenheit in Verbindung mit einer Zeitkonzeption, die auf einer offenkundigen Distanzerfahrung beruht. Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt zur Rückprojektion der restaurativen Funktion, die der humanistischen Altertumskunde inhärent war.
Im Quattrocento wurde die restaurative Grundintention der zeitgenössischen antiquarischen Forschungen nicht nur programmatisch in Vorworten und Begleitbriefen, sondern auch innerhalb der Texte selbst bekräftigt, etwa durch explizites „Wiedererkennen“ noch lebendiger antiker Bräuche.142 Diese Kontinuitätsprämisse, die antiquarischen Praktiken im hier definierten Sinne generell zugrunde liegt (siehe unten Kap. 2.2.1.), zeigt sich gerade bei Biondo Flavio in exemplarischer Weise. Vordergründig handelt es sich dabei um den gleichen Modus operandi wie in den mittelalterlichen Fasti-Kommentaren, wie die Reihe religiöser Identifikationen in den ersten beiden Büchern der Roma triumphans zeigt: die Sakralkleidung der flamines entspricht dem camisium der christlichen Priester, das Kollegium der Kardinäle dem collegium pontificum, Weihnachten ähnelt den Saturnalien usw.143 Rückprojektionen dieser Art hatten mitunter die Funktion, die als problematisch empfundene religiöse Trennlinie zwischen paganer Antike und christlicher Kultur durch die Behauptung einer kulturellen Kontinuität zu überwinden.144 Dies führt die von Biondo imaginierte Antike kulturell an die Gegenwart des Lesepublikums heran und legitimiert zugleich emphatisch das humanistische Programm der Wiedergeburt: Wenn sich Biondo in der Italia illustrata über die Restitution des antiken Triumphzuges durch Alfonso von Aragon freut,145 oder im zweiten Buch der Roma triumphans bei seiner Erörterung der ludi Apollinares diese mit dem Karneval auf der Piazza Navona identifiziert und im Anschluss daran ein Re-Enactment des Sieges über Mehmed II. (1457) im Circus Flaminius beschreibt,146 verbindet sich antiquarische Wiederentdeckung mit der ideologischen Affirmation einer Wiederbelebung der antiken Kultur einerseits, und der imperialen Größe Roms andererseits.147 Biondos imaginative Rekonstruktion des antiken Rom, die von seiner eigenen zeitgenössischen Erfahrung geprägt war, diente also zum einen dazu, die Verbindungslinien zwischen der römischen Vergangenheit und der humanistischen Gegenwart aufzuzeigen, und zum anderen, den christlichen Zeitgenossen ein Modell vor Augen zu führen, wie die Antike im Alltag wiederbelebt werden kann.148 Dieser restaurative Anspruch galt nicht nur für den öffentlichen Raum, sondern grundsätzlich auch für den privaten Bereich.149
In der weiteren Ausdifferenzierung der antiquarischen Literatur in den folgenden Jahrhunderten blieb Ovids Kalendergedicht ein wichtiger Bezugspunkt, auch wenn die literarischen Quellen zunehmend in den Hintergrund traten und gegenüber den Zeugnissen der materiellen Kultur an heuristischem Gewicht verloren.150 Dass die Fasti dabei – wie bisher – vor allem als Autorität in religionsgeschichtlichen Fragen herangezogen wurden, ist der Tatsache geschuldet, dass Ovids Kalendergedicht bis zur spektakulären Entdeckung der Fasti Praenestini im Jahr 1770 einen unverzichtbaren Zugang zum römischen Kalender und seinen Festen, Kulten und Riten darstellte. Der kalendarische Informationswert der Fasti erwies sich jedoch schon früh als unzureichend für die wachsenden wissenschaftlichen Ansprüche, was sich unter anderem daran zeigt, dass eine einschlägige Fachschrift wie der Commentarius de anno et mensibus des Hadrianus Iunius (1511–1575, Basel 1538), in dem er die Zeitrechnung der Griechen, Juden, Römer und anderer exotischer Völker (et alias exoticas nationes) darstellte, bei der Rekonstruktion des beigefügten römischen Kalenders (calendarius) selbst für die Monate Januar bis Juni kaum auf Ovid zurückgriff. Nur am Rande sei erwähnt, dass sich die frühneuzeitliche Rezeption der Fasti nicht auf die kulturhistorischen Realien beschränkte. Daneben gab es, wie schon im Mittelalter, besonders in der Literatur und in den bildenden Künsten Lesarten, die vor allem an der Mythologie interessiert waren.151
1.2.3 Dichter oder „Antiquar“? Rekonfigurationen von Ovids Fasti in der Moderne
Ovids Kalenderdichtung steht in der Klassischen Philologie traditionell im Schatten der etwa zeitgleich entstandenen und thematisch eng verwandten Metamorphosen. Daran vermochte auch das in den 1970er Jahren einsetzende, in den 1990er Jahren stark anwachsende und nach der Jahrtausendwende auf hohem Niveau stagnierende Forschungsinteresse an den Fasti wenig zu ändern.152 Vor diesem Aufschwung wurde das Gedicht vor allem unter inhaltlichen Gesichtspunkten behandelt. Im Rahmen der wissenschaftlichen Beschäftigung kam der Quellenforschung eine zentrale Bedeutung zu, gerade weil die literarische Qualität umstritten, das Werk aber als kulturhistorische Informationsquelle unverzichtbar war. Für den hier verfolgten Argumentationszusammenhang ist vor allem die Auseinandersetzung mit dem Thema der Religion von Interesse, da dieser Bereich in der Klassischen Philologie traditionell eng mit Varro und der antiquarischen Fachliteratur verbunden wird.153 Obwohl man im 19. und frühen 20. Jahrhundert in positivistischem Geist die Zuverlässigkeit der Aussagen Ovids aus der Zuverlässigkeit seiner Quellen zu beweisen suchte,154 hat sich die religionsgeschichtliche Forschung bis in die späten 1980er Jahre nur mit Vorbehalten der Fasti angenommen. Die häufig gestellte Frage lautete: „Quel crédit faut-il accorder à Ovide poète des Fastes?“155 Obwohl das Werk für die Rekonstruktion des römischen Kult- und Ritualwesens unentbehrlich war, wurden nicht nur die Abweichungen und Widersprüche kritisiert, die sich aus dem Vergleich mit den erhaltenen epigraphischen Kalendern ergaben, sondern auch Ovids angeblich mangelnder Sinn für Religion und seriöse wissenschaftliche Forschung beanstandet.156
Demgegenüber begann die Klassische Philologie nach der paradigmatischen Wende der 1990er Jahre, die postulierte Abhängigkeit Ovids von Varro und der antiquarischen Fachliteratur nicht mehr in der Kategorie literarischer Abhängigkeit zu bemessen, sondern als eigenständige, kreativ-poetische Rezeption des von Varro initiierten religiös-antiquarischen Diskurses zu verstehen. In einer radikaleren Auslegung dieser Lesart tritt Ovid dem Publikum gleichsam als „poetischer Varro“ entgegen, insofern seine „Rekonstruktion der römischen Gesellschaft […] nach varronischem Muster erfolgte.“157 Auch wenn eine solche Charakterisierung über das Ziel hinausschießt, ist dieser Interpretationsansatz grundsätzlich vielversprechend, und moderne Interpreten waren nur allzu bereit, Ovids Fasti vor dem Hintergrund der antiquarischen Fachliteratur – das heißt meist Varro, Hygin und Verrius Flaccus – zu lesen.158 Die grundsätzlichen methodischen Probleme, die diese Interpretationslinie aufwirft, nämlich auf der Basis einer Kette von fragwürdigen Prämissen mit einer Literatur zu arbeiten, von der man bestenfalls eine vage Vorstellung hat, werden nur selten reflektiert.159 Im Windschatten des „Panvarronismus“ besteht zudem die Gefahr, immer nur die eigenen Vorurteile und Projektionen zu bestätigen – in diesem Fall etwa die in der mittelalterlich-humanistischen Kommentarliteratur begründete Vorstellung von den Fasti als kulturenzyklopädisch ausgerichteter Wissensdichtung mit restaurativ-konservativer Grundintention.160 Allerdings dürfte Ovid sein Kalendergedicht kaum als poetisches Äquivalent zu den Antiquitates konzipiert haben,161 auch wenn er durch Titel und Thema unzweifelhaft Anschluss an den lebhaften antiquarischen Fachdiskurs seiner Zeit suchte.
Ein ähnlicher hermeneutischer Kurzschluss liegt vor, wenn bestimmte im Text identifizierte Merkmale aufgrund fachspezifischer Traditionen ausschließlich als „antiquarische“ Gattungsmerkmale hervorgehoben werden. Bezeichnend ist hier, dass derjenige Forschungszweig, der sich Ovids Fasti vornehmlich aus der Perspektive der hellenistischen aitiologischen Kollektivdichtung nähert, die antiquarische Dimension in der Regel nicht nur weitgehend ignoriert, sondern gerade die vermeintlich „antiquarischen“ Schlüsselkriterien in toto der aitiologischen Dichtungstradition zuschreibt.162
Ein aufschlussreiches Caveat bietet hier die kontroverse Diskussion über die Bewertung der Mehrfacherklärungen in den Fasti, die Ovid einmal als römischen Kallimachos und einmal als poetischen Varro figurieren lässt. Die Diskussion zeigt einmal mehr, wie prekär die Kategorien sind, mit denen sich die Forschung bis heute dem Problem des Antiquarianismus nähert. Das Phänomen, mehrere Erklärungen für einen bestimmten Sachverhalt anzubieten, findet sich in der Antike in ganz unterschiedlichen literarischen Kontexten, zum Beispiel der Philosophie, der Dichtung und der Grammatik. Ungeachtet des breiten Anwendungsfeldes dieser Methode gilt die Bereitstellung variabler Deutungsangebote, sei es in alternativ-konkurrierender oder kumulativer Absicht, in der Forschung als typisches Charakteristikum „antiquarischer Sammelliteratur“. Anders als in der Geschichtsschreibung, wo der Druck zur Harmonisierung und Kohärenz die Koexistenz verschiedener Traditionen erschwert,163 seien die Antiquare durch das Postulat wissenschaftlicher Vollständigkeit gezwungen gewesen, dem Publikum eine Auswahl alternativer Erklärungen anzubieten, wie sie die Quellen jeweils boten. Mehrfacherklärungen erscheinen in dieser Lesart als eine gleichsam dokumentarische Konsequenz antiquarischer Sammeltätigkeit. Ein Teil der Ovid-Forschung hat versucht, diese Erkenntnisse für die Deutung der problematischen Fülle von Mehrfacherklärungen in den Fasti nutzbar zu machen und die These aufgestellt, der Dichter habe hier im Sinne seines hybriden Gattungsexperiments bewusst an die antiquarische Methode angeknüpft.164 Ein anderer Teil der Forschung postuliert mit ebenso guten Gründen dieselben Mehrfacherklärungen als charakteristisches Element der hellenistisch-aitiologischen (Lehr-)Dichtung.165
Die Kontroverse muss hier nicht weiter vertieft werden, der Kern des Problems liegt gerade darin, dass beide Ansätze ihre Berechtigung haben: Der Knoten lässt sich leicht durch das Zugeständnis lösen, dass die Aitia des Kallimachos, Ovids Fasti und Varros Antiquitates im Kern dieselben „antiquarischen“ Handlungsmuster reproduzieren (siehe unten Kap. 2.2.). Die wesentlichen Unterschiede liegen demnach in der medial-textuellen Ausdrucksform, in der die generierten Wissensbestände aufbereitet und präsentiert werden. Das Phänomen der Mehrfacherklärung hat demgegenüber auch nichts mit der antiquarischen Fragestellung per se zu tun, sondern ist hier zunächst Folge eines Selektionsprozesses bei der Wissensgenese und der dadurch bedingten Überlagerung und Verschmelzung unterschiedlicher Traditionsschichten und Diskurszusammenhänge (siehe unten S. 110–112 und 465 f.).166 Im Bereich der Religion, dem ein Großteil der Mehrfacherklärungen der Fasti zuzurechnen ist, liegt insofern ein Sonderfall vor, als die unterschiedlichen Deutungsansätze gleichsam ein Spiegelbild des religiösen Systems selbst sind, das mangels Orthodoxie alternative Glaubensvorstellungen unter den Kultteilnehmern sanktionierte.167 Auffallend ist bei Ovid, dass er den Mechanismus dieser Wissensgenese drastisch offen legt, also bewusst auf die Willkürlichkeit des Produktionsprozesses hinweist, wodurch die erzeugten Wissensbestände zwangsläufig relativiert werden.168 Die aitiologisch-etymologische Deutungspluralität wird damit, wie schon zuvor im vierten Elegienbuch des Properz (siehe unten Kap. 6.2.3.), zum provokativen Bestandteil der poetischen Selbstinszenierung. Ovids Beteiligung am augusteischen Vergangenheitsdiskurs ist daher in erster Linie unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man Varro aus dem Spektrum der Interpretation ausschließen sollte. Angesichts der komplexen Vielschichtigkeit der Fasti und der auktorial vorgegebenen Bandbreite der Lektüremöglichkeiten scheint es jedoch angebracht,169 mit Blick auf die verlorene antiquarische Fachliteratur kurzschlüssig-eindeutige Interpretationen zu vermeiden und zugleich Ovids spielerischen Umgang mit ebendiesen Texten zu berücksichtigen.
Der vorgeschlagene Ansatz bedingt allerdings eine auf die Antike bemessene Neudefinition des Phänomens, die weder an der frühneuzeitlichen Konzeption Momiglianos noch an Varros Großsynthese ansetzt, sondern das Phänomen als eine Wissenspraxis im Sinne einer historisierenden Herkunfts- und Ursprungsforschung beschreibt, deren Spektrum ein reiches Konvolut von Texten und Textsorten umfasst, die in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Zielsetzungen eine Reihe klar definierter antiquarischer Praktiken umsetzen. Bevor diese Neukonzeption vorgestellt wird, soll in einem letzten Schritt ein forschungsgeschichtlich mittlerweile etabliertes Deutungsmuster des Antiquarianismus kritisch reflektiert werden.
1.3 Ein Phänomen der Krise? Ein modernes Deutungsparadigma des antiken Antiquarianismus
Der Aufschwung antiquarischer Gelehrsamkeit in Zeiten gesellschaftspolitischer Krisen gehört zu den etablierten Deutungsmustern der jüngeren altertumswissenschaftlichen Antiquarianismus-Forschung. Der Konstanzer Latinist Manfred Fuhrmann hatte in einem einflussreichen Aufsatz dafür argumentiert, „dass das Krisenbewusstsein und der daraus resultierende Erneuerungswille der spätrepublikanisch-augusteischen Epoche einerseits und die gleichzeitige historisch-antiquarische Schriftstellerei andererseits einander wechselseitig bedingt und gefördert haben.“170 Die antiquarische Schriftstellerei sei, wie alle Zweige der römischen Vergangenheitsliteratur, zumindest teilweise im Dienste einer vor allem mit moralischen Kategorien operierenden Zeitkritik gestanden, „wobei einige mit diesen Dingen sich befassenden Autoren die Vergangenheit nur noch als geistige Fluchtburg benutzt haben mögen […], während andere […] die einstigen Zustände als Vorbild und Richtschnur, als Norm für eine fällige Restauration hingestellt haben werden.“171 Man suchte, so Fuhrmann, „nach Orientierung im Strudel der Wirren und des Niedergangs, und diese Orientierung vermochte den Römern nun einmal keine Theorie und kein mit philosophischen Begriffen umschriebenes Ideal, sondern einzig und allein die Versenkung in die konkreten – wenn auch zweifellos stark idealisierten – eigenen Ursprüngen zu geben.“172 Die Forschung hat diese attraktive These aufgegriffen und auf andere Epochen übertragen.173 Als Fallbeispiel bot sich neben der spätrepublikanisch-augusteischen Zeit und der Zeit der Gracchen vor allem die Zeit Justinians an, die nicht nur hinsichtlich einer epochalen Dekadenzerfahrung, sondern auch hinsichtlich eines unter dem Deckmantel traditionalistischer Restauration vorangetriebenen kaiserlichen Reformprogramms enge Parallelen zur augusteischen Zeit aufweist (siehe unten Kap. 4.2.).
Das Deutungsparadigma der Krisenbewältigung wird sich auch im Zuge des später folgenden literaturgeschichtlichen Rekonstruktionsentwurfs (Kap. 6) als situativ ebenso bewährter wie legitimer Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Bewertung spezifischer, zeitgebundener Ausprägungen des antiken Antiquarianismus erweisen. Gerade mit Blick auf die spätrepublikanisch-augusteische Zeit lässt sich das Krisenmodell im Anschluss an Fuhrmann gewinnbringend mit der zeitgenössischen Geschichts- und Erinnerungskultur kurzschließen und für die Interpretation der antiquarischen Literatur fruchtbar machen. Welche Bedeutung der Antiquarianismus im Diskursfeld kultursoziologischer Selbstverortungen und Erinnerungspraktiken erlangen konnte, wenn eine Identitätskrise als eine Krise der memoria aufgefasst wird, ist jüngst am Beispiel Varros überzeugend aufgezeigt worden.174
Der von Varro eingeschlagene Weg, durch die Aufarbeitung und Verschriftlichung ursprungsbezogener Wissensbestände die Gegenwart als historischen Raum zu resemantisieren, erscheint in der Makrobetrachtung zugleich als Ausdruck und Symptom eines größeren, viel früher einsetzenden Rationalisierungs- und Systematisierungsschubs, der die Kodifizierung eines ursprünglich mündlich oder prozessual vermittelten Traditionswissens mit sich brachte.175 Es liegt daher nahe, die literarischen Manifestierungen der antiquarischen Fragestellung im zweiten und ersten Jahrhundert v. Chr. in diesen größeren Entwicklungszusammenhang zu stellen und das produzierte und textlich kodierte Wissen auf diese Weise historisch zu validieren – auch wenn die modernen Argumentationslinien im Einzelnen aufgrund der Überlieferungssituation letztlich im Bereich des Spekulativen verbleiben müssen (siehe unten Kap. 6.1.).
In diesem Zusammenhang ist immer wieder auf die gesellschaftspolitischen Implikationen der antiquarischen Traditionssicherung und den damit verbundenen Wandel der Träger- und Vermittlungsinstanzen der Memoria hingewiesen worden. Die sukzessive Ablösung der mündlich geäußerten oder vorgelebten Vermittlung traditioneller Wissensbestände durch das Speichermedium Buch einerseits und die Herausbildung eines politisch unselbständigen Expertenwissens andererseits werden als Symptome der fortschreitenden Auflösung der sozialen Autorität der Nobilität gesehen, deren Herrschaftsanspruch nicht zuletzt darauf beruhte, dass sie die sozial verbindlichen mores und das kulturelle Wissen der römischen Gesellschaft nicht nur bewahrte und vermittelte, sondern gleichsam verkörperte. Unter der Prämisse, dass die Krise der späten Republik als Krise der Autorität zu begreifen sei, wird das komplexe Wechselspiel von Wissen und Macht zum Kristallisationspunkt einer „Kulturrevolution“ bestimmt, an deren Ende die Harmonisierung beider Ebenen in der Person des Princeps stand, der sich zur Konsolidierung seiner eigenen politischen und sozialen Macht auf die spezialisierte Autorität der Experten berief.176
Aus der erweiterten Perspektive der vorliegenden Studie ist jedoch eine Relativierung der beiden beschriebenen modernen Kontextualisierungsstrategien notwendig, um das Gesamtphänomen des Antiquarianismus in das richtige Licht rücken zu können.177 Denn wenn der antike Antiquarianismus nicht induktiv aus der Späten Republik oder der Frühen Neuzeit erschlossen, sondern wie in dieser Studie deduktiv als überzeitliches Denkmuster und ubiquitäre Handlungspraxis bestimmt wird, steht nur eine begrenzte Auswahl medialer Aktualisierungen im Zeichen einer „Krisenbewältigung“ und kann im Kontext eines kulturellen Verstetigungsprozesses gelesen werden. Im römischen Bereich gilt dies besonders für die Mikroebene: Wie in Kap. 2.3 exemplarisch anhand verschiedener Narrative zur Entstehung des römischen Münzgeldes aufgezeigt wird, konnte die historisierende causa-Frage in ganz unterschiedlichen argumentativen und diskursiven Kontexten aktualisiert werden. Dasselbe Bild zeigt sich auch innerhalb größerer Gattungszusammenhänge: So standen in der kaiserzeitlichen „Buntschriftstellerei“ oder der enzyklopädischen Sammelliteratur teilweise ganz andere Wirkungsinteressen und gesellschaftliche Diskurse im Vordergrund als die Bewältigung einer wahrgenommenen Krise (Kap. 6.3.2.). Ähnliches gilt für die Monographisierung antiquarischer Praktiken in gesonderten Fachschriften: In der diachronen Gesamtschau lassen sich hier – entgegen der gängigen Meinung – hinsichtlich der Entstehungsumstände keine markanten krisenbedingten „Trends“ feststellen. So ist in der Kaiserzeit für die meisten der bis dahin ausgebildeten Segmente antiquarischer Fachliteratur eine oft ungebrochene Kontinuität bis in die Spätantike anzunehmen (Kap. 6.3.1.). Wollte man dennoch am Krisenmodell festhalten, wäre man in der unangenehmen Situation, sozusagen im Dauermodus nach gesellschaftlichen Umbrüchen und Krisen suchen zu müssen, um den bezeugten antiquarischen Schriften einen geeigneten soziopolitischen Nährboden zu bieten. Dass man im Diskursfeld der Literatur dabei nicht selten fündig wird, sagt wenig aus: das Dekadenzmotiv und der literarisch inszenierte Kulturpessimismus sind in der römischen Literaturgeschichte so omnipräsent, dass sie als Interpretationsparadigma an Bedeutung verlieren.178 Es gilt also, nicht in ein monokausales Erklärungsmuster zu verfallen und von einer pauschalen Verengung des Antiquarianismus als Krisenphänomen abzusehen.
Weber 1994; Frede 1994; zur Archäologie Wrede 1994; Trigger 2006; Schnapp 2009.
Blanke 1994; Hardtwig 1982.
Vgl. etwa Lefebvre 1971, der sich in dieser Hinsicht kaum von Fueter 1936 unterscheidet.
Siehe zu diesem Prozess u. a. Veit-Brause 1998; Hardtwig 2007. Wegweisend waren Blanke 1991 und Muhlack 1991.
Vgl. u. a. Schnapp 2009, passim; Trigger 2006, bes. 40–120; Wrede 1994. Dadurch ergibt sich eine mehr archäologische (Schnapp) und eine mehr historiographische Linie (Momigliano) mit einem jeweils anders gewichteten Protagonistenfeld, wobei jede Seite verallgemeinernd formuliert: „Was den neuen Geist der Antiquare am Ende des 17. u. zu Beginn des 18. Jahrhunderts auszeichnete, war ihr besonderes Interesse für das Terrain und […] den Boden als Gefüge von Spuren zu interpretieren.“ (Schnapp 2009, 236). Hinsichtlich der Differenzierungskriterien gehen beide Fächer analog vor, indem sie die antiquarische Forschung in Gegenstand, Interesse und Methode von ihrem eigenen Fachbereich abtrennen.
Siehe dazu mit den Verweisen Sawilla 2012, 406 ff., der den Versuch einer Revision gängiger Epochenmuster unternimmt.
So noch Weber 1994, 120. Erst in den letzten Jahren hat im Kontext des material turn ein Umdenken stattgefunden, vgl. exemplarisch Acciarino 2017; Williams 2017 sowie Schwab 2019 und Schwab/Grafton 2022, wo Antiquarianismus als eine Reihe von Praktiken in der rezeptiven Begegnung mit einer materialen Antike begriffen wird.
Andauernder Einfluss bezeugen zwei Sammelbände: Crawford/Ligota 1995 und Miller 2007a. „Meistererzählung“ ist hier die treffende Bezeichnung von Völkel 2007.
Von ihrem Protagonisten im Vorwort selbst in die Welt gesetzt, vgl. Winckelmann 1965, 10 ff. und Winckelmann 1968, 233 f.
Niebuhr 1833, vii. Zu Gibbon siehe unten S. 19.
Arnaldo Momigliano, Ancient History and the Antiquarian, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 13 (1950), 285–315. Im Folgenden wird nach der Fassung in Momigliano 1966, 1–39 zitiert [= Momigliano 1966a]. Zu Leben und Werk Momiglianos siehe Bowersock 1991; Dionisotti 1989 und Grafton 1999.
Würdigungen bieten Brown 1988; Christ 1991; Cornell 1995b; Miller 2007b; Cornell/Murray 2014.
Es handelt sich um eine Zeit, in der auch die Archäologiegeschichte die Vorformen ihrer Disziplin in der Antike sucht, vgl. etwa Wace 1949; Cook 1955. Eine Generation älter ist Van Buren 1925.
Momigliano 1966a, 3–5.
Enzyklopädisch angelegt bereits in Biondo Flavios Roma triumphans (1459), vollumfänglich umgesetzt in Rosinus’ [J. Rossfeld] Antiquitatum Romanarum Corpus Absolutissimum (1583). Siehe dazu Momigliano 1966a, 5–6.
Momigliano 1966a, 3: „I assume that to many of us the word ‚antiquary‘ suggests the notion of a student of the past who is not quite a historian because: (1) historian write in a chronological order; antiquaries write in a systematic order; (2) historians produce those facts which serve to illustrate or explain a certain situation; antiquaries collect all the items that are connected with a certain subject, whether they help to solve a problem or not.“ Die neuere Archäologiegeschichtsschreibung hat diese Differenz übernommen und die Antiquare als epistemologisch unausgereifte Proto-Archäologen aufgenommen, vgl. Schnapp 2009, 9. Mit Blick auf ihre „antiquarische Kindheit“ ist aus archäologiegeschichtlicher Perspektive die These der Komplementarität und Subsidiarität von Belang, also die Frage, inwiefern die antiquarische Tätigkeit die historiographische Praxis begleitete, ergänzte und unterstützte, um dann Ende des 18. Jahrhunderts als eigenständige Disziplin aus diesem Prozess hervorzugehen. Gemäß dieser Vorstellung hätten die Antiquare sich den Münzen, Inschriften und Denkmälern in erster Linie deshalb zugewandt, weil sie andere Informationsquellen suchten für ein (Alltags-)Wissen, das die gängigen Geschichtswerke nicht bereitstellten. In dieser Weise habe sich die archäologische Altertumskunde zukunftsweisend von der politisch orientierten histoire événementielle emanzipiert und sei letztlich in der modernen Archäologie aufgegangen.
Daran wurde auch in den späteren Sammlungen der römischen Historiker (etwa in FRH) festgehalten, vgl. dazu die Ausführungen in FRHist I, 7–9; zu den Problemen der Abgrenzung innerhalb dieser Sammlungen Smith 2018, 115 ff.
Jacoby 1909, 120–121.
FGrHist I, v. Der Werkteil IV wird seit den 1990er Jahren von einem internationalen Herausgebergremium unter dem Titel „Die Fragmente der griechischen Historiker Continued“ fortgeführt. Part IV zerfällt in A: Biography; B: History of Literature, Music, Art and Culture (and related genres); C: Politeiai, Nomoi, Nomima (and related genres); D: History of Religion and Cult; E: Paradoxography and Antiquities; F: Collections, Anthologies and Hypomnemata (and related genres). Einzelne Teilbände sind bereits erschienen.
Dazu FGrHist IV A Fasc. 1, ix–x; Schepens 1997, bes. 148 ff. Jacobys Geschichtsbegriff umfasste „virtually all forms of non-fiction prose writing, not just what we should narrowly call history, but also mythography, ethnography, chronography, biography, literary history, and geography.“ (Murray 1972, 212).
Siehe dazu Bravo 1971; Schepens 1997, 162–163.
Bravo 2006; Humphreys 1997; zu Momiglianos Sicht von Jacoby siehe Di Donato 2006.
Zwei Aufsätze aus der Mitte der 30er Jahre legen dafür Zeugnis ab: „The Historical Genesis and Current Function of the Concept of Hellenism“ (1935) und „The Modern Historiography of the Roman Empire“ (1936). Mit der an Momiglianos Biographie gekoppelte Genese von „Ancient History and the Antiquarian“ befasst sich Miller 2007, 13–19; derselben Frage widmet sich mit Blick auf Momiglianos Nachlass Di Donato 2007 sowie, mit Blick auf das Archiv des Warburg Institute, Grafton 2007b.
Momigliano 1969. Momigliano hat sich intensiv mit Fragen der Geschichtstheorie beschäftigt. Zu Croces Einfluss siehe u. a. Luraghi 2007.
Croce 1915, 126 f., 131 f. Vgl. Grafton 1999, ix–xi.
Fueter 1936, XVII f. Zur Auseinandersetzung zwischen Croce und Fueter siehe Dufays 1990, 9–10.
Momigliano 1966a, 7.
Text in Mesnard 1951. Zu dieser wichtigen Schrift siehe Reynolds 1945; Huppert 1970; Seifert 1976; Couzinet 1996 und Melani 2006.
Momigliano 1966a, 5 f., 8 f.
Zum historischen Skeptizismus siehe Völkel 1987 und Borghero 2007; mit Fokus auf die Geschichte des Skeptizimus Floridi 2010.
Momigliano 1966a, 10–20; bekräftigt in Momigliano 1990, 56 ff.
Erneut betont in Momigliano 1963.
Momigliano 1966a, 20–24.
Momigliano 1966b, 43: „In a way we modern students of history are all disciples of the philosophic historians. Every time we study the history of population, religion, education, commerce, we are treading in the steps of Montesquieu, Voltaire, Hume, Condorcet.“
Keynes 1980.
Nippel 1993, 309. Momigliano folgt Gibbons Kritik an den Antiquaren (Pedanterie, Sammeleifer usw.). Vgl. auch Phillips 1996, 301–302.
Zum Versuch, die Altertumskunde im 19. Jahrhundert zu „verwissenschaftlichen“, siehe Nippel 1993, 310 ff.
Momigliano 1966a, 26–27. Diesem Enthusiasmus zum Trotz wirken Strukturprinzipien antiquarischer Synopsis bis in die heutige Zeit. Durch die Anordnung nach „Monumentklassen“ folgen moderne korpusartige Überblickswerke einer im Humanismus geprägten Tradition. Vgl. Wrede 1994, 98.
Anderson 2017, 186. Siehe dazu die Diskussion von Miller 2017b.
Überblickende Darstellungen fehlen; jüngere Perspektivierungen bieten Acciarino 2017; Williams 2017 (mit Fokus auf das 17. und 18. Jhd.), Schwab 2019 und Schwab/Grafton 2022; diachrone Einblicke bieten Miller 2017a und, aus archäologiegeschichtlicher Perspektive, Schnapp 2009; zu Italien siehe etwa Vaiani 2001; zu England Parry 1999; Sweet 2004 und Vine 2010.
Relativierend bereits Phillips 1996; kritischer DaCosta Kaufmann 2001; Zwink 2006, 84 und 97–98; Grafton 2007a; Vine 2010, 11–13; zurückhaltender Crawford/Ligota 1995; Miller 2007a. Sweet 2004, 1 übernimmt implizit Momiglianos Narrativ: „The first antiquaries [Varro] were concerned primarily with artefacts of the written word, examining the evidence of coins, manuscripts and inscriptions and subjecting them to philological analysis to retrieve new material about the past which the narrative accounts did not supply. At this point the contrast between the antiquary and the historian was reasonably clear.“
Besonders durch Herklotz 2007, Sawilla 2012 und Williams 2017. Mazzocco 2014/2015 und Muecke 2017 hinterfragen nicht nur Momiglianos Adaption seiner Antiquarianismus-Konzeption auf Biondo Flavio, sondern auch Biondos angebliche Varro-Nachfolge.
Marincola 1999; Bravo 2007; MacRae 2017a; ferner die einschlägigen Beiträge in Sandberg/Smith 2018. Radikal ist der Ansatz von MacRae 2018, 138: „there was no such thing as Roman antiquarianism“, der aber an der Dichotomie für die Frühe Neuzeit festhält (139). Vgl. ferner FRHist I, 8–9 mit der älteren Literatur. Weitgehend unberührt von dieser Diskussion scheint Payen 2014, der Plutarch in Momiglianos Liste von „Antiquaren“ einreiht. Zu Plutarch siehe unten Kap. 6.3.2 § 2.
Für einen umfassenderen Revisionsversuch mit Diskussion der drängendsten Probleme siehe Sawilla 2012 und, mit anderer Gewichtung, Williams 2017.
DaCosta Kaufmann 2001; Vine 2006; Vine 2010. Siehe ferner Gould 2014.
So auch Völkel 2001, 275; in diese Richtung bereits Humphreys 1997, 209: „To line up La Mothe le Vayer and Montfaucon on the one hand with Weber, Durkheim, and structuralism, and on the other hand with Varro and ‚Hellenistic erudition‘ seems to me to conceal more than it reveals.“
Hier wie andernorts zeigt sich, dass Momiglianos Thesen auf einem beschränkt repräsentativen Quellenkorpus beruhen, das potentielle Rückprojektionen erleichterte und die invention of tradition überhaupt ermöglichte. Zur Fragmentierung der Überlieferung und der daraus resultierenden Problematik für die moderne Rekonstruktionsarbeit siehe unten Kap. 3.
Miller/Louis 2012; Schnapp/Falkenhausen et al. 2013. Siehe dazu unten Kap. 2.1. Ein methodisch analoges Vorgehen, jedoch mit anderem Erkenntnisinteresse, haben komparativistische Ansätze wie der von MacRae 2017a, 343: „I suggest that we do not simply see comparison of ancient phenomena with the modern conceptions of „the antiquarian“ as an error of the past, but as a useful foundational principle for the study of historical culture in Late Antiquity.“
Vgl. Grafton 2007b, 100: „his articles [on antiquarianism] provided a schematic London Underground map of the early modern world of learning, rather than an Ordinance Survey map of its details.“ Momigliano nennt im Nachdruck den Artikel „a very provisional map of a field that needs much detailed exploration“.
Cornell 1995b, 5–6. Vgl. ferner Cornell 1995a, 19: „It is worth observing that the efforts of these men [Sempronius Tuditanus und Iunius Gracchanus] marked the beginning of a split between scholarly antiquarianism and narrative historiography which was to have lasting consequences. The two activities remained separate until the eigtheenth century, and to this day the breach has not been completely healed.“ Auch Gould 2014 setzt ihrer Neukonzeption des Antiquarianismus den methodischen Gegensatz zwischen Herodot und Thukydides voraus. Gegen Hayden Whites „Fiktion des Faktischen“ setzte sich Momigliano noch selbst zur Wehr, vgl. Momigliano 1984a.
Momigliano 1990, 54: „the type of man who is interested in historical facts without being interested in history“, mit anschließender Karikatur des neuzeitlichen „Antiquars“ im ländlichen Italien und Frankreich.
Dies gilt auch für die damit verbundene These von der Überwindung des Pyrrhonismus durch die antiquarische Gelehrsamkeit. Siehe dazu Völkel 2007. Eine kulturwissenschaftliche Neubewertung des Verhältnisses von Antiquaren und Historikern mit Betonung ihrer Überschneidungsbereiche wird seit der Wende zum 21. Jahrhundert aufgrund der Bildevidenzen vorgenommen. Siehe dazu Zwink 2006, 86; einschlägig sind Herklotz 1999 und Burke 2001.
Zu Momiglianos Bagatellisierung des spätantiken und mittelalterlichen Antiquarianismus, um Bezüge zwischen Antike und Renaissance stärker hervorzuheben, siehe Drijvers/Focanti/Praet/Van Nuffelen 2018, 914 Anm. 3.
Momigliano 1990, 59.
Während Momigliano postulierte, dass die Geschichtsschreibung mit Gibbon den Antiquarianismus einverleibt hatte, gehen Cornell 1995b und Miller 2007b, 52 vom umgekehrten Fall aus: „antiquarianism as a methodological force disappeared because it had conquered history.“
Über das Nachwirken der Fasti ist immer noch erstaunlich wenig bekannt. Vgl. dazu Peeters 1939. Jüngere Überblicke in einzelne Epochen bieten Stok 2009; Kilgour 2014; Fritsen 2015.
Gegen die in der jüngeren Fachdiskussion verbreitete Ansicht soll hier argumentiert werden, dass die Fasti trotz ihrer unverkennbaren Nähe zur Lehrdichtung und trotz ihrer thematischen Anlehnung an die antiquarisch inspirierte kulturgeschichtliche Forschung der augusteischen Zeit weder von Seiten des Autors noch von Seiten des intendierten Publikums in irgendeiner Weise als poetisches Äquivalent von Varros Antiquitates aufgefasst wurden.
Asper 2007, 21. Eine weitere, sekundäre Grundfunktion wäre in der Selbstrepräsentation des Autors zu sehen. Zum Wissensbegriff siehe oben S. 1 Anm. 2; zur Literarisierung des Wissens am Beispiel von Ovids Fasti siehe Badura 2022.
Rüpke 1994; Rüpke 1995a; Rüpke 1995b, 71–73.
Zu Anspielungen an Kallimachos (und Hesiod) siehe u. a. Miller 1991; Acosta-Hughes 2009.
Die vorangehenden Verse zeigen die geplante Verbindung von römischem Kalender und Erinnerungsdaten des Kaiserhauses (festa domestica): Invenies illic et festa domestica vobis: / saepe tibi pater est, saepe legendus avus (9–10). Die Passage kam bei der nach Augustus’ Tod erfolgten Bearbeitung und Widmung an Germanicus hinzu. Zur Umarbeitung im Exil siehe u. a. Green 2004, 15–24 und Littlewood 2006, xvi–xxii mit der maßgeblichen Literatur; zur politischen Dimension der Fasti u. a. Fantham 2002; Littlewood 2006, xxii–xxxv; Herbert-Brown 2009, 124–125.
Zur didaktischen Dimension der Fasti siehe u. a. Porte 1985, 23–26; Miller 1992b; zum ersten Buch Green 2004, 44–58; zum dritten Heyworth 2019, 29–31.
Auch die inschriftlichen Fasti will der Dichter konsultiert haben: fast. 1.289: quod tamen ex ipsis licuit mihi discere fastis; 3.87: quodsi forte vacas, peregrinos inspice fastos.
Eine alte Tradition, die sich auch in den Pindar-Scholien findet, siehe dazu Bitto 2014.
Eine kurze Problematisierung mit Forschungsüberblick bietet Watson 2002.
Diese Eigenheit zeigt sich schon in den Amores, in denen die Erfahrungen des amator von denjenigen des poeta überlagert werden. Zur Dominanz des Autors als Merkmal der Elegie im Gegensatz zum epischen Erzähler in den Metamorphosen siehe Heinze 1919; zur Fixierung auf den eigenen Arbeitsprozess in den Fasti Volk 2002, 14 sowie Volk 1997, bes. 291: „what is usually called a poem on the Roman calendar might as well be described as a poem about a poet writing a poem about the Roman calendar.“
Zu Ovids „Astronomie“ siehe Robinson 2007; Robinson 2009.
Private magische Praktiken: fast. 2.571–582; Feste ohne jahreszeitliche Bindung: fast. 1.657–704 (feriae Sementivae); fast. 2.513–532 (Fornacalia); zum spielerisch-manipulativen Umgang Ovids mit der Struktur des römischen Festkalenders siehe Newlands 1995.
Offenkundige Ambivalenzen ergeben sich im Ton der Darstellung, so kontrastiert die lapidar-lehrhafte Mehrfach-Aitiologie in fast. 1.319–334 mit der anzüglichen Erklärung der Nacktheit der Luperci (fast. 2.283–380), die feierliche Beschreibung der Feriae Sementivae mit der Parodie der Iden des März usw. Zur Ambiguität der Fasti siehe bes. Šterbenc Erker 2023.
Dazu Green 2004, 1–14, der von einer „playfull deception“ (2) seitens des Autors spricht.
Eine eingehende Diskussion der Junktur vates operosus dierum bietet Pasco-Pranger 2000, 275–280; zur potenziellen Anspielung auf den lateinischen Titel von Hesiods
Zur Sprechervielfalt in den Fasti siehe Miller 1991, 141: „That persona is … really a complex of multiple masks. Ovid is by turns a teacher and student …, as well as instructor in the rites themselves, observer or describer of ceremonies, panegyrist, and priest.“; vgl. ferner Miller 2002, 169–170. Eine ähnliche Diversität zeigen die nicht-auktorialen Sprecher des Gedichts, siehe dazu mit Fokus auf Frauenfiguren Chiu 2016.
Jüngere Fallstudien zur polytonality in den Fasti bieten Murgatroyd 2005, 74–95 (Vergewaltigungsszenen in unterschiedlicher Erzählform) und Green 2004, 164–168 (in der Darstellung der Geschichte des Tieropfers (fast. 1.317–456) erhält jedes Tier eine eigene Erzählform). Die Gattungsfrage war bis Hinds 1987 von Heinze 1919 (elegisches vs. episches Erzählen) bestimmt. Siehe dazu Keith 2002, 235–236; Pasco-Pranger 2006, 12–14; zur Etablierung des Konzepts der generic transformations siehe Farrell 2009, 370 ff.
Zur Zeit als Thema in den Werken Ovids siehe Feeney 1999; Hinds 1999.
Grundlegend zur antiken Lehrdichtung sind Effe 1977; Toohey 1996 und Volk 2002. Zur poetischen Wissensvermittlung siehe die Beiträge in Horster/Reitz 2005; zur Frage der Literarisierung des Wissens am Beispiel der Fasti Badura 2022, bes. 25–39 mit der einschlägigen Literatur.
Asper 2007, 12.
Dazu Platons bekannte Schriftkritik (Phaidr. 275) mit Gadamer 2010, 396–397.
Zur Tradition seit Hesiod siehe Haye 1997, 93; zur modernen Diskussion über die „Glaubwürdigkeit“ Ovids weiter unten Kap. 1.3.
„Lernen“ betrifft Dichter und Rezipienten in gleicher Weise: fast. 1.101 und 133; 3.177 und 313; 5.276; 6.693 (der Dichter als lernendes Subjekt); fast. 2.584; 3.436; 4.140 und 145; 6.639 (der Leser als lernendes Subjekt).
Miller 2002, 172–173.
Zur kreativen Anteilnahme der Fasti am antiquarischen Wissensdiskurs siehe Badura 2022, der Ovid darin allerdings eine prominente Stellung einräumt und seine wissensgeschichtliche Bedeutung in dieser Hinsicht überschätzt. Zur regen antiquarischen Kalenderforschung Roms siehe unten S. 349–364.
Antike Testimonien zur lascivitas Ovids bieten Sen. contr. 2.2.8–9 und 12; 9.5.17 und Quint. inst. 4.1.77; 10.1.88; zu Quintilian siehe Todini 1995. Eine Testimoniensammlung von der Antike bis Ezra Pound bietet Stroh 1969; speziell für die Fasti siehe Peeters 1939, 87–112. Gegen den Kurzschluss von Dichtung und Biographie hat Ovid bekanntlich in trist. 2 die Stimme erhoben.
Die Erforschung von Ovids Fortwirken ist auf die literarische und kunsthistorische Rezeption fokussiert, siehe dazu in Auswahl Peeters 1939; Martindale 1988; Gallo Nicastri 1995; Tissol/Wheeler 2002; Hexter 2002; Clark/Coulson/McKinley 2011; Gatti 2014; Van Peteghem 2020; König 2023 sowie die einschlägigen Beiträge in Miller/Newlands 2014. Den bisher wichtigsten Ansatz zur Erforschung der „wissenschaftlichen“ Rezeption lieferte Viarre 1966.
Einschlägige Stellen bietet Viarre 1966, 17–29; zu Senecas Umgang mit Ovid siehe de Vivo 1995; zur Zitierung poetischer Referenzautoren in wissenschaftlichen Traktaten am Beispiel Galens Rosen 2013; zu Traubes aetas Ovidiana siehe Traube 1911, 113.
Zur Text- und Überlieferungsgeschichte Ovids siehe allgemein Tarrant 1983 und Luck 1969; für die Handschriften Coulson/Roy 2000; speziell zu den Fasti Peeters 1939, 113–180; Munk Olsen 1985, 111–181 mit späteren Nachträgen; ferner Alton/ Wormell/Courtney 1977. Von antiken Grammatikern wird der Text kaum zitiert. Als ältestes Zeugnis einer Glossierung der Fasti gilt ein Blaubeurener Katalog aus dem 11. Jhd.: Ovidius fastorum et notulae eiusdem, vgl. Manitius 1935, 62; zu den Fasti in mittelalterlichen Florilegien Munk Olsen 1979–1980. Bekannt ist die Ovid-Rezeption des Ermoldus Nigellus (Mitte 9. Jhd.), der die Fasti nachweislich gekannt hat. Siehe dazu Santini 1995.
Siehe dazu Haye 1997, 49–50; Hexter 2014.
Viarre 1966, 43–152.
Chance 2000; Hexter 2002; zur mythologischen Rezeption der Fasti in der bildenden Kunst der Renaissance siehe weiter unten S. 48 Anm. 151.
Einen Eindruck der vielfältigen Gründe der Exzerpierung veranschaulichen die rubrizierten Zwischenüberschriften aus dem Florilegium Gallicum in der Handschrift Paris, BN lat. 7647 f. 63va–65ra: De magnitudine Romani imperii, De antiqua confusione elementorum et divisionum eorundem, De antiqua paupertate et continentia Romanorum et de avaritia eorum, De pulcritudine cuiusdam loci, De Augusto, qui domos suos iussit dirui usw. Siehe dazu Burton 1983. Zur mittelalterlichen Kommentierung der Fasti siehe weiter unten S. 34–36.
Hier ist ein Zeugnis des Isidor von Sevilla in zweifacher Weise instruktiv, da es nicht nur verdeutlicht, dass Ovids Kalendergedicht in der Spätantike als geschichtliche Quelle benutzt wurde, sondern auch, wie sich innerhalb der kompilatorisch vorgehenden Wissensliteratur einzelne Wissensbestände verselbständigen konnten, wenn nämlich Isidor, der die Fasti ganz offensichtlich nur aus einschlägigen Zweitzitaten kannte, die Schrift mit den Konsularfasten verwechselte (basierend auf einer fehlgeleiteten Etymologie): Isid. orig. 6.8.8: Fastorum libri sunt in quibus reges vel consules scribuntur, a fascibus dicti, id est potestatibus. Unde et Ovidii libri Fastorum dicuntur quia de regibus et consulibus editi sunt. In der Spätantike war der Begriff fasti sowohl für den Festkalender als auch für die den Festkalender häufig begleitenden Beamten- und Triumphal-Listen gebräuchlich.
Die Passage stammt aus dem accessus in der Handschrift Kopenhagen Königl. Bibl. 2010 4° (13. Jhd.): Intencio duplex est, communis et privata. Communis est assignacio fastorum in Kal.; privata est duplex: est enim erudire germanicum festivitates quae in libro annalium confuse dicebantur, qui futurus erat episcopus in illo anno: vel quod illo mediante posset Ovidius augusti cesaris quem offenderat propter compositionem libri artis amatorie favorem et gratiam adipisci, zitiert nach Alton 1926, 123. Ganz ähnlich verfährt der accessus, den Arnulf von Orléans seinem Kommentar voranstellt (ed. Rieker 2005, 3–6). Der „ethische“ Aspekt wird auch hier hervorgehoben: Partim subponitur ethice […] quia instruendo nos de ritu sacrificorum ad maximam nos invitat moralitatem (ed. Rieker 2005, 5). Ein konkretes Beispiel finden sich zu fast. 1.213: est vicium morale, non ut expendant, quid virtus. Zur Behandlung der Klassikertexte nach den Kategorien der Philosophie siehe Reynolds 1996, 15; zur Differenzierung zwischen privatem und allgemeinem Nutzen Meyer 1997; 408–409.
Einen immer noch erhellenden Einblick in die mittelalterliche Glossierung und Kommentierung der Fasti bietet Alton 1926; siehe ferner Lo Monaco 1992; Fritsen 2015, 7–23. Für den Schulkontext instruktiv, jedoch ohne Berücksichtigung der Fasti, ist Hexter 1986, bes. 1–13; vgl. auch Fumo 2014. Informationen zu Handschriften mit Ovid-Kommentaren finden sich bei Coulson/Roy 2000.
Materia huius libri est mensis, dies et annus cum suis causis, zit. nach Alton 1926, 123; ganz ähnlich Arnulf, Glosule, ed. Rieker 2005, 5: Materia Ovidii est in hoc opere fasti dies et nefasti, ortus et occasus signorum et menses, dies et diversa tempora anni: ver, estas, autumpnus, hiems.
Ghisalberti 1932; Holzworth 1942; Lo Monaco 1992, 852–853; Chance 2000, 81–96; Rieker 2005, xiii–l; Engelbrecht 2008; Fritsen 2015, 9–23.
Shooner 1981. Allgemein zur verstärkten Hinwendung zur Antike und ihrer Literatur im 12. Jhd. siehe Benson/Constable 1982; Alessio/Villa 1990.
Brauchtum und Kult: zu fast. 1.121 (zit. nach Rieker 2005): ad morem respicit Romanorum, qui in pace claudebant templum Iani, in guerra vero aperiebant; fast. 1,358: morem tangit antiquorum, qui vina infundebant inter cornua victime.
Aussagekräftig ist die Etymologie seines Namens am Ende des Kommentars (zu fast. 6.812): sicut Aurelianis, ubi facet fuerunt hec glosule, dicitur quasi ‚aurea alienis‘ et Arnulphus, qui eas glosavit, dicitur quasi ardua nulla fugiens. Weitere Stellen verzeichnet Rieker 2005, xlii–xliii. Das gilt auch für die frühere und zeitgleiche Glossierung, wie die bei Alton 1926, 20 abgedruckten Beispiele zeigen.
Zum Inhalt des Kommentars siehe Rieker 2005, xl–xlviii; zu seinen Quellen Rieker 2005, xxxv–xxxvi. Auf dasselbe einschlägige Quellenkorpus stützte sich ein Glossator in der Handschrift Brüssel, Bibl. roy. 5369–5373 mit einem Interesse für kultische Realien, die er anhand von Exzerpten aus Gellius, Servius, Hyginus und anderen zu erläutern suchte, abgedruckt bei Alton 1926, 129–146, vgl. Lo Monaco 1992, 850–851.
Dies dürfte, wie die Beispiele zeigen, nur bedingt mit der topischen Vorstellung zu tun haben, dass gewisse volkstümliche Bräuche und Vorstellungen einen vorchristlichen Kern besitzen, wie etwa in den christlichen Fasti des Baptista Mantuanus (1516), der u. a. den Karneval – mit impliziter Referenz auf Ov. fast. 2.267–452 – auf die Lupercalia zurückführt (2.5). Dagegen leitet der aus Urbino stammende Polydorus Vergilius in der erweiterten Fassung seiner De inventoribus rerum den Karneval – basierend auf Ov. fast. 4.181–187 – von den Megalensia her. Weitere Stellen verzeichnet Trümpy 1979, 80–82 und 99–100. Auch in De magistratibus sacerdotiisque Romanorum des Andrea Fioccho wird auf entsprechende Analogien hingewiesen: qui ut nostrorum inter sacerdotum gradus nonnihil interest, ut Episcopum, Archiepiscopum usw. (Köln 1607, p. 16). Das Verfahren Kontinuitätslinien zwischen heidnischer und christlicher Religion aufzudecken, wurde schon von Iohannes Lydos mens. I.20; IV.31; IV.67; IV.158 Wünsch angewandt. Siehe dazu Tóth 2017, 64–65. Zu Lydos’ Schriften siehe die Fallanalyse in Kap. 4.2.
Die These, dass derartige Interpretamente und die stellenweise erkennbare „Christianisierung“ dazu dienten, die Texte den Schülern näher zu bringen, wie Fritsen 2015, 18 spekuliert, ist schon für den Vergilkommentar des Servius zweifelhaft.
Arnulf, Accessus in Ovidii libros Fastorum, ed. Rieker 2005, 4: Annales siquidem libri iam per vetustatem adeo erant aboliti, quod Romani morem sacrificii ita transirent, ut in fastis diebus nulla sacrificia facerent, in nefastis autem quod erat fastorum everterent. Ovidius vero, que in libris annalibus erant dispersa, in hoc libro breviter collegit.
Offenbar bereits relativ früh in der Überlieferung, siehe Luck 1969, 49. Im Handschriftenkatalog von Alton/Wormell/Courtney 1977 besitzt ein knappes Drittel der Handschriften einen Kalender. Auch den humanistischen Handschriften und Drucke der Fasti sind meist Kalender unterschiedlicher Ausführlichkeit beigegeben: z. B. Vat. lat. 3264 (Pomponius Laetus); Vat. lat. 10672 (Ciriaco d’Ancona), vgl. Fritsen 2015, 46 Anm. 56. Seit Merkels Edition von 1841 ist es Standard, die von Ovid behandelten Kalendertage mit den entsprechenden Fasten-Kürzeln (F, N, NP, EN usw.) abzudrucken – ein Usus, der als Rezeptionsvorgabe kaum Ovids Intention entsprochen haben dürfte, denn die Untertitel verhindern eine durchgängige Lektüre des Gedichts. Siehe dazu Green 2004, 10; Newlands 2000.
Teils auch in metrischer Form, siehe dazu Porte 1982, die allerdings Ovids Fasti als einen versifizierten Buchkalender ansieht.
In polemischer Abgrenzung gegen Arnulf und die auctores-Studien der Schule von Orléans, vgl. Prolog, Vers 55–56: Falsum de fastis fatuus legat; ecclesialis / vera kalendaris sit cara scientia nobis (ed. Lind 1958, 11).
Zu den humanistischen Nachdichtungen siehe Trümpy 1979 und Miller 2003.
P. Ovidii Nasonis Fastorum libri duodecim, quorum sex posteriores a Claudio Bartholomaeo Morisoto Divionensi substituti sunt, Dijon 1649. Siehe dazu Schmidt 1994. Im Mittelalter war die Legende verbreitet, dass der Kirchenvater Hieronymus die Bücher Juni-Dezember verbrannt hätte, vgl. Arnulf, Glosule II.567 (ed. Rieker 2005, 70): Dies XII sufficerent libris Fastorum recitandis, qui duodecim revera fuerunt, sed a beato Ieronimo incensi fuerunt propter nimium idolatrie cultum, de quo tractabant. Im Quattrocento und Cinquecento waren viele überzeugt, dass die sechs fehlenden Bücher noch auffindbar seien, und es kam zu Gerüchten über angebliche Funde. Siehe dazu Fritsen 2015, 23–28.
Zur Ovid-Rezeption der beiden Autoren siehe McKinley 2011; Galloway 2014.
Der Klassiker zur humanistischen „Wiederentdeckung“ ist Weiss 1969; zur Wirkungsgeschichte der Fasti in der Renaissance siehe Kilgour 2014 und, speziell zu Frankreich, Moss 1982.
Passagen, die einem Romführer nahekommen: z. B. fast. 3.835–837: Caelius ex alto qua mons descendit in aequum, / hic ubi […] parva licet videas Captae delubra Minervae. Das topographische Interesse mittelalterlicher Rombeschreibungen äußert sich besonders in der Form von Itinerarien. Zu den bekanntesten gehören neben den Mirabilia urbis Romae (12. Jhd.) das Graphia aurea urbis Romae sowie De mirabilibus urbis Romae des Magister Gregorius. In den Mirabilia urbis Romae werden Ovids Fasti explizit als topographische Quelle erwähnt, c. 24: Est ibi […] templum Iani, qui praevidet annum in principio et in fine, sicut dicit Ovidius in Fastis [fast. 1.63–65]; zu den Rom-Mirabilien siehe Kinney 1990.
Marcozzi 2010.
Tractatus, ed. Valentini/Zucchetti 1940–1953, 4, 101–150, vgl. p. 146: ad sanctam crucem in Iherusalem fuit templum Veneris et Cupidinis, de quibus templis non licet me aliter dicere nec largius extendere […] sed legentes Ovidium de Fastis possent me habere excusatum, in suo volumine tractantem ad plenum. Eine direkte Verwendung lässt sich weder in Poggio Bracciolinis Ruinarum urbis Romae descriptio (1424/31, ed. Boriaud 2014) noch in Nicolò Signorilis Descriptio urbis Romae (um 1430, ed. Valentini/Zucchetti, 1940–1953, 4, 151–211) nachweisen.
Ersichtlich bereits zu Beginn des ersten Buches: 1.2 (ed. Raffarin-Dupuis 2005) (zum Namen Roms): Scribit in Fastis Ovidius his carminibus: Arbor erat, remanent vestigia. Quaeque vocantur Romula nunc ficus. Romula ficus erat [fast. 2.412]; 1.6 (zu den drei von Romulus erbauten Toren Roms): Et Ovidius in Fastis: Carmentis portae dextro est via proxima Iano; ire per hanc noli, quisquis es: omen habet. [fast. 2.201–204]; 1.9 (zur Porta Salaria am Collinus): Et templum Veneris Ericinae extra portam Collinam fuisse ex Fastis Ovidii his versibus ostenditur [fast. 4.871–872] usw. Zu den Fasti als „tour guide“ siehe Fritsen 2015, 101–110; zu ihrer Bedeutung in der Kommentarliteratur Fritsen 2015, 128 ff. Zu den humanistischen Rombeschreibungen siehe Kritzer 2010.
Zu Person und Werk siehe die Beiträge in Gualdo Rosa 1999.
Editio princeps: Venedig 1475, hier konsultiert in der Auflage Köln 1607: L. Fenestellae De magistratibus … iam primum nitori suo restitutus. Im ersten Buch werden die Priesterschaften, im zweiten Buch die politischen Ämter meist aus ihrer Entstehung heraus erklärt. Im ersten Buch zählen Ovids Fasti neben Livius, Varro und Gellius zu den monumenta veterum, auf die sich der Autor beruft. Gebetsformeln und Orakelsprüche werden ohne Nennung der Quelle übernommen, etwa in c. 27 über die Überführung der Magna Mater nach Rom: Mater abest, matrem iubeo Romane requiras. Quum veniet, casta est accipienda manu [fast. 4.259–260].
Letztere drei gesammelt in L. Fenestellae De magistratibus … sumptibus Bernardi Gualtheri, Köln 1607.
Die neueste Edition bieten Pincelli/Muecke 2016.
Muecke 2011; siehe mit Blick auf die Roma instaurata auch Fritsen 2015, 105 und 125–126 zur allgemeinen Bedeutung der Fasti für Biondo.
Moss 1998. Siehe dazu auch Knox 2009, 333–338.
Zum Folgenden siehe die umfassende Studie von Fritsen 2015; zu Costanzi ferner Toscano 2016; zur Accademia Romana de Beer 2008 und Bianca 2008; zu Pomponio Leto Accame 2008. Neben Rom waren auch Florenz, Padua und Venedig Zentren der Ovid-Kommentierung. In letzteren beiden Städten war Raffaele Regio tätig, der Verfasser des Standard-Kommentars der Metamorphosen.
Später mehrfach neu aufgelegt, siehe dazu Fritsen 2015, 29–30.
Nachgezeichnet von Fritsen 2015, 35–42. Zu den wichtigsten Exponenten gehören Pomponio Laeto (Glossen in Vat. lat. 3264; Schülernachschriften in Ottob. lat. 1982), dessen Lehrer Pietro Odi da Montopoli (Glossen in Vat. lat. 1595), ferner Francesco Maturanzio, Antonio Volsco (ein Schüler des Pomponio Laeto; Glossen in Rom, Bibl. Vallicelliana, Ms. R. 59), Antonio Costanzi und dessen Lehrer Ciriaco d’Ancona (Glossen in Vat. lat. 10672).
Siehe dazu Moss 1982, 28–29; Knox 2009, 337.
In der Prosa-Vorrede zum zweiten Buch. Zur Wortfülle humanistischer Kommentare und der damit korrespondierenden zeitgenössischen Erwartungshaltung siehe Grafton 1977, 152–155.
Z. B. Bracciolini, De varietate Fortunae (ed. Valentini/Zucchetti 1940/1953, 4, p. 232): Item pons supra Tiberim, quo itur in insulam, vetustissimi operis, quem L. Fabricium C.F. curatorem viarum faciundum coerasse epigramma testatur. Zum Einbezug archäologischer Quellen bei Marsi siehe Lo Monaco 1992, 855 mit Beispielen; zu Inschriften im Humanismus Stenhouse 2005.
Ed. Piacente 2002, 50–52.
Ubi preter deorum gentilium festa priscos ritus et pleraque alia memoratu digna ortus occasusque siderum a nonnullae historiae continentes, quibus rebus lector non delectari solum sed recte institui atque ad optimam frugem perduci potest: Antonio Costanzi, Ad Federicum ducem Urbini montis Feretri. Zitiert nach: Ovidius de Fastis cum duobus commentariis Antoni de Fano et Pauli Marsi, Venedig 1506 (unpaginiert).
Antonio Costanzi, Ad Federicum ducem Urbini montis Feretri. Zitiert nach: Ovidius de Fastis cum duobus commentariis Antoni de Fano et Pauli Marsi, Venedig 1506 (unpaginiert).
Zit. nach Ovidius de Fastis cum duobus commentariis Antoni de Fano et Pauli Marsi, Venedig 1506 (unpaginiert). Quellen werden auch bei Costanzi erwähnt: Titulum ac nomen accepit non a fastis diebus i. festis ut multi aetatis nostrae homines et quidem eruditissimi falso arbitrantes […], sed a fastis hoc est libris annalibus unde magnam partem huius operis exceptam esse autor ostendit (A. Costanzi, Ad Federicum ducem Urbini montis Feretri etc., Unterkapitel: In Fastos Argumentum, zitiert nach Ovidius de Fastis …, Venedig 1506, unpaginiert).
Ed. Bianchi 1981; siehe dazu Fritsen 2015, 96 und Schwitter 2024.
Zum Beispiel zu fast. 4.109: dicerem hoc loco de primis carminum inventoribus, nisi alio loco dixissem et carmine quoque cecinissem. Siehe Fritsen 2015, 95–97 und 98–100 zu Costanzi.
Erhalten in München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 754, fol. 11r–132v (ed. Lo Monaco 1991), mit der autographen inscriptio am Rand des ersten Kapitels: Collectanea in enarrationem Fastorum. Kalendis Novembribus MCCCCLXXXI.
Ed. MacPhail 2015. Die Lektüre antiker Kollektaneen-Werke gehörte zum Curriculum des Studenten, vgl. Battista Guarini, De ordine docendi ac studendi (ed. Piacente 2002, p. 58): ubi primum per se studere incipient, operam dabunt ut eos videant qui variis ex rebus composite sunt, quo in genere est Gellius, Macrobius Saturnalium, Plinius Naturalis historiae …; his addimus Augustinum De civitate Dei, qui liber historiis et tam ritu veterum quam religione refertus est.
Grafton 1977, 155–156. Im selben Jahr erschien Niccolò Perottis Cornu Copiae (ed. Charlet 1989–2001) zu Martial, das zu einem beliebten Nachschlagewerk für humanistisches Bildungswissen wurde. Siehe dazu Furno 1995. Poliziano gehörte zu den ersten, die den Begriff der „Enzyklopädie“ benutzten, vgl. Henningsen 1966, 233.
Grafton 1977, 160: „the whole point of the new genre was […] solving problems.“ Zu den Mehrfacherklärungen in Ovids Fasti und ihrer Bedeutung für die moderne Forschungsdiskussion siehe weiter unten S. 50–52.
Grafton 1977, 175.
Siehe dazu Dänzer 2018.
Dänzer 2018, 114: „An der Ilias-Übersetzung erarbeitete P. einerseits seine Poetik, d. h. eine präzise Vorstellung davon, wie Dichtung zustande kommen und wie sie wirken kann. […] Komplementär hierzu ist die Forderung nach dem enzyklopädischen Zuschnitt von Dichtung, die als Trägerin umfassenden Weltwissens anspruchsvoll zu sein hat.“
Dänzer 2018, 108–115.
Vgl. die vielzitierte Stelle aus dem Prolog der Roma triumphans: Itaque coepimus tentare, si speculum, exemplar, imaginem, doctrinam omnis virtutis et bene, sancte et feliciter vivendi rationis, Vrbem Romam florentem ac qualem beatus Aurelius Augustinus triumphantem videre desideravit, nostrorum hominum ingenio et doctrina valentium oculis et menti subiicere ac proponere poterimus (prol. 6, ed. Pincelli/Muecke 2016, 1, p. 12).
Fritsen 2015, 105 „Subsequently, it is not just the topography of Rome […] that the humanists sought in the Fasti, but the entire legacy of society.“
Zu den entsprechenden Arbeitsprozessen humanistischer Altertumsforschung (Autopsie u. a. von Heilquellen, topographische Begehungen, epigraphische Studien usw.) am Beispiel der Accademia Romana siehe Fritsen 2015, 128–150.
Dasselbe Prinzip wurde auch später vielfach angewandt, etwa von John Audrey, der in Remaines of Gentilism and Judaisme (1686) römische und britische Bräuche miteinander vergleicht und zum Schluss kommt, dass die britischen römischen Ursprungs seien. Siehe dazu Kilgour 2014, 221.
Siehe dazu Muecke 2012, 102–105.
Zum Verhältnis zwischen der res publica Romana und der res publica Christiana in Biondos Werk siehe Mazzocco 2017.
Biondo, Italia illustrata, p. 417c–d: Sed omnes eorum laudes accumulat gloriosa calamitas in magnam conversa felicitatem, dum pro servata Gallico Andegauensi principi Renato fide durissimam ab Alphonso Aragonum rege obsidionem pertulerunt; quousque pari cum Belisarii temporum eventu per aquaeductus cuniculum ab ipso rege capti atque ad hanc, in qua nunc beati florent felicitatem, eiusdem regis praesentia clementiaque servati sunt, ut non immerito is rex triumphi consuetudinem diutissime intermissam, longo tandem postliminio in Italiam revocavit.
Biondo, Roma triumphans 2.50–51 (ed. Pincelli/Muecke 2016, pp. 274–276): Ludi Apollinares Senatus decrevit ut in perpetuum voverentur, quos ad nostram quoque aetatem pervenisse constat. Siquidem sunt quos per extremos carnis privii dies in Circo Flaminio, ubi nunc Agonis est appellatio, fieri quotannis videmus […]. Quale proximis diebus fuit spectaculum […], cum in eodem Circi Flaminii Agone proelii similitudo quaedam fuit; die Gleichsetzung des Karnevals mit den ludi Apollinares findet sich bereits in Italia illustrata. Siehe dazu Muecke 2011.
Mazzocco 2016, 25: „the Roma triumphans goes beyond the technical periphery of institutional inquiry and becomes a full (cultural and ideological) reconstruction of Roman life.“ Die politische Komponente der zeitgenössischen Altertumskunde zeigt sich auch in der Kommentarliteratur zu den Fasti; siehe dazu Fritsen 2015, 175–186.
Muecke 2011, 275 ff.; Muecke 2012.
Ein bekanntes Beispiel ist Pomponio Laeto: Dieser beging nicht nur die Parilia, Roms Geburtstag, mit christlicher Messe und poetischem Agon im Kreise der Accademia Romana, sondern soll sich auch mit der Toga bekleidet und nach den Anweisungen des Columella seinen Garten bewirtschaftet haben. Siehe dazu Accame 2008, 60–61; de Beer 2008, 217–218; Fritsen 2015, 106 und 155–156.
Zur Entwicklung der „archäologischen“ Ausrichtung der antiquarischen Forschung des 17. und 18. Jahrhunderts siehe u. a. Schnapp 2009, 236–237.
Von einiger Bekanntheit ist die Darstellung der Flora in Botticellis Primavera, wo die Göttin mit Referenz auf fast. 5.201–204 stilisiert ist. Siehe dazu den Beitrag von Barolsky in Miller/Newlands 2014. Für Beispiele aus der Literatur siehe die Beiträge von de Armas und Hardie in Miller/Newlands 2014.
Forschungsberichte bieten Miller 1992a und Fantham 1995; die Reihe einschlägiger Publikationen wird eingeleitet von Hinds 1992; Newlands 1995 und Barchiesi 1997a.
Vgl. etwa Fauth 1978, 113: „Begreiflicherweise blieb also die Fortführung und Ausführung der mit den Fasti gegebenen literarischen Ansätze in dieser eng gebundenen Form vorrangig Antiquaren und Sakralschriftstellern, den Kennern und Liebhabern einer von Spuren des Verfalls und der Verzerrung angegriffenen kulturhistorischen Sparte vorbehalten.“
Huelsen 1880; vgl. auch die Beurteilung von Frazer 1929, xi–xiv und Bömer 1957, 22.
Schilling 1968.
Vgl. die Urteile von Wissowa 1904, 136 ff.; Altheim 1953, 255–257 und 261; Wilkinson 1955, 265–266; Latte 1960, 6–7. Dass Ovid gegebenenfalls Sagen umformen und in der Gestaltung von Einzelheiten Details ad hoc erfinden konnte, legte Lefèvre 1976 dar. Einen Überblick der Beurteilung durch die Forschung bis 1977 bietet Fauth 1978, 104–112, der selbst klar zwischen „Wahrheit“ und „Dichtung“ scheidet (167–173). Einen Paradigmawechsel brachte dann Scheid 1992, der aufzeigte, dass die römischen Kalender keine präskriptiven kultischen Dokumente waren, sondern selbst eine idiosynkratische Form der Exegese darstellten. Zu den aktuellen Forschungsansätzen siehe Hejduk 2009.
Miller 1991, 10: „a kind of poetic Varro“; „poetic equivalent to Varro’s Antiquitates“ (2); „the antiquarian tenor that permeates the whole work“ (10); Miller 1992b. Vgl. Fritsen 2015, 105: „Ovid’s reconstruction of Roman society, his portrait of religious rites and political protocol, is developed with the Varronian framework in mind. In fact, Ovid is justifiably called ‚a kind of poetic Varro‘.“ Fritsen führt hier offenkundig Erkenntnisse, die sie aus der humanistischen Rezeption gezogen hat, auf die Antike zurück.
Siehe neben der oben unter Kap. 1.2.1. zitierten Literatur Baier 1997, 165–173; Pasco-Pranger 2000; Pasco-Pranger 2002a; Green 2002; Badura 2021 und Badura 2022; Šterbenc Erker 2023.
So werden heute – wie zur Zeit der Humanisten – die Fasti mit Varros De lingua Latina kurzgeschlossen, vgl. etwa den Ansatz von Pasco-Pranger 2002a, 304–305: „the argument that follows, of necessity, be based on suggestive pieces of the De Lingua Latina, always with the understanding that these are being treated as quasi-fragments of Varro’s more expansive treatments of Numa.“ Ähnlich verfährt Badura 2022, 48–49.
Das Phänomen, antike Gelehrte als Vorgänger der eigenen Tätigkeit zu sehen, ist im Humanismus wie heute verbreitet. Zu analogen Tendenzen der jüngeren De lingua Latina-Kommentierung siehe etwa Volk 2020, 228.
Pace Miller 1991, 2: „poetic equivalent to Varro’s Antiquitates“.
Vgl. u. a. Loehr 1996, 192–365; Acosta-Hughes 2009, 236 ff.; Miller 2002, 174–176.
Walter 2004, 215: „Angesichts einer in den verschiedenen Medien, Kontexten und Interessenslagen notwendig entstehenden Pluralität von Wissensmodi schuf die epische und noch mehr die historiographische Vergegenwärtigung durch die Projektion der Erinnerungen auf die verhältnismäßig homogene Fläche eines fortlaufenden Textes zumindest für den Autor die Pflicht, Verschiedenes und Kontradiktorisches zu harmonisieren. Literarische Memoria war insofern eine Wissensform, in der die sektorielle Koexistenz verschiedener Traditionen zumindest nicht mehr unproblematisch sein konnte, und die Autoren hatten Strategien zu entwickeln, mit den Schichten, Widersprüchen und Zerklüftungen ihrer Überlieferung umzugehen.“ Zu den historiographischen „Methoden“, mit divergierenden Traditionen umzugehen, siehe Marincola 1997, 280–286; für Livius Forsythe 1999; zum diskursiven Umgang mit der Varianz antiker Gründungssagen siehe die Beiträge in Mac Sweeney 2015.
U. a. Miller 1992b, 13–14; Prasco-Pranger 2000, 288: „typical for prose antiquarians […], serves as prime directive of the genre“; ebenda 291: „The antiquarian mode of discourse does not require a single answer, and indeed often depends on a multiplicity of explanations to build a layered, multifaceted relationship with the past.“ Badura 2021, 252 (ebenso Badura 2022, 19): „Diese Form der aitiologischen ‚Mehrfacherklärung‘ ist das dominante Prinzip auch bei den römischen Antiquaren wie Varro, das verschiedene Erklärungen zu einem Phänomen parallel und häufig sogar als alternative Möglichkeiten präsentiert.“
Z. B. Loehr 1996, 192–369. Green 2004, 153 betont demgegenüber den Bezug zur Lehrdichtung im Allgemeinen, u. a. mit Verweis auf Verg. georg. 1.84–93.
Dies gilt auch für die Fasti Praenestini, vgl. Degrassi 1963, 112: aut quia […]. Zu den Fasti Praenestini siehe unten S. 362–364.
Beard 1987, 6–7; Feeney 1998, 127–128; Schiesaro 2002, 66. Zur Praxis religiöser Exegese als „kreatives Spiel“ siehe Scheid 1992, 122–124. In diesem Sinne können alternative Etymologien, etwa zum Namen der Agonalia in fast. 1.319–334 oder einem Kultnamen der Minerva in fast. 3.837–848, insofern als komplementär gedeutet werden, als sie unterschiedliche Aspekte desselben Festes zu benennen helfen. Siehe dazu mit konkreten Beispielen Miller 1992, 24–27; Hinds 2006. Indessen zeigt schon Platons Kratylos (z. B. 410b und 411b), wie sich durch die Kreativität des Interpreten bei der gelehrten Wortforschung mehrere Herleitungen ergeben können; siehe dazu unten Kap. 5.1. Für die Epikureer schließlich waren Mehrfacherklärungen ein Weg, um in Einzelproblemen die richtige Erklärung einzuschließen, vgl. Lucr. 6.703–711. Siehe dazu Hankinson 1998, 221–223.
Der destabilisierende Effekt ist oft bemerkt, aber unterschiedlich gedeutet worden. Vgl. Newlands 1992; Green 2004, 8; Pasco-Pranger 2006, 4; Miller 2002, 172.
Treffend Chiu 2016, 3: „a poem of overlapping, interweaving, intertextual, metatextual conversations, interactions, and negotiations.“
Fuhrmann 1987, 134; auf die Verbindung zwischen Antiquarianismus und politischer Krise hatte zuvor bereits Rawson 1985, 234 und 242–243 hingewiesen.
Fuhrmann 1987, 141–142.
Fuhrmann 1987, 145.
U. a. Stevenson 1993, 285; Stevenson 2004, 120–121; Peglau 2003; Šterbenc Erker 2008, 35–38; Sehlmeyer 2009, 69–70; Drummond, FRHist I, 416; Badura 2022, 44–47. Für die Spätantike siehe Maas 1992; Praet 2018; zu Varro siehe ausführlicher unten S. 382–394.
Siehe dazu umfassend und kompetent Leonardis 2019; ferner Lazzerini 2022. Zum grundlegenden Zusammenhang zwischen Erinnerung und Identität siehe Assmann 1999, 62–103; 130 ff.
Siehe dazu bes. Moatti 1991; Moatti 2015, 94–163. Für weitere Literaturverweise siehe unten S. 233–235.
Zur These der cultural revolution in diesem Sinne siehe Wallace-Hadrill 1997; Wallace-Hadrill 2005; Wallace-Hadrill 2008, bes. 210–312; zum Wandel der Träger- und Vermittlungsinstanzen der Memoria siehe u. a. Moatti 2003; Moatti 2015; MacRae 2016 mit weiterer Literatur; zur Krise der Autorität mit der maßgeblichen Literatur Leonardis 2019, 105–107.
In dieselbe Richtung weist die differenzierte Argumentation von Volk 2021, 191–199.
Döpp 1989, 80: „Dass die eigene Zeit als Phase der Dekadenz betrachtet wird, begegnet in fast allen Perioden der Geschichte; es ist geradezu eine Invariante der Selbstanalyse von Epochen.“ Zum römischen Dekadenzdiskurs siehe Bracher 1987; Mazzarino 1973; Biesinger 2016.