Kapitel 4 Antiquarianismus in monographischer Form: Rekonstruktion und Formengeschichte

In: Antiquarianismus in Rom
Author:
Raphael Schwitter
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Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen wird im Folgenden der Versuch unternommen, die antiquarische Fachliteratur1 Roms in ihren inhaltlichen und formaltypologischen Grundzügen als eigenständiges Textkorpus zu rekonstruieren.

Das Kapitel besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Teilen: Im ersten wird die Gattungsfrage noch einmal aufgeworfen und anhand formaltypologischer und methodisch-funktionaler Kriterien die Textfamilie „Antiquarische Literatur“ konzipiert, die ein breites Spektrum literarischer Darstellungsformen umfasst und sich durch die (im Einzelfall variierende) Konvergenz von fachwissenschaftlicher Methodik und römischer Vergangenheitsliteratur auszeichnet. Anhand thematischer Gesichtspunkte wird dann eine Typologie entworfen. Der zweite Teil analysiert exemplarisch die fachwissenschaftlichen Schreibformen zweier spätantiker Traktate, die mit einiger Gewissheit die Tradition der antiquarischen Fachschriftstellerei früherer Epochen fortsetzen. Ziel der Analyse ist eine historisch-rekonstruktive Annäherung an die wissenschaftliche Methodik und die literarischen Darstellungsformen der römischen antiquarischen Fachmonographie.

4.1 Gattungsfrage und formaltypologische Annäherung

Es ist eine der Prämissen der vorliegenden Studie, dass sich das Phänomen des Antiquarianismus in der vorgeschlagenen Neukonzeption keinem Gattungsbegriff unterordnen lässt. Diese Grundannahme ist im Hinblick auf die antiquarische Monographie insofern zu modifizieren, als hier ein Textkorpus vorliegt, dem trotz formaler und inhaltlicher Unterschiede und heterogener Entstehungs- und Wirkungskontexte eine „identité diachronique“ nicht a priori abgesprochen werden kann. Versteht man unter der abstrakten Kategorie „Gattung“ eine Gruppe von Texten, die eine bestimmte Menge konstitutiver Merkmale teilen, die sie – in Abgrenzung zu anderen Textgruppen – als Gemeinschaft konkretisieren, und bestimmt man als gemeinsamen funktionalen Nenner die literarische Verselbständigung antiquarischer Wissensbestände im oben definierten Sinne, so lässt sich auf der Grundlage der erhaltenen Testimonien und Fragmente eine Textgruppe bestimmen, die in Rom die polymorphe Textfamilie „Antiquarische Literatur“ weitgehend konstituierte.

Typologisch sind drei Kategorien zu unterscheiden: Die erste Kategorie bildet die Reihe der monographischen Spezialabhandlungen, gegliedert nach fünf Themenbereichen (die Nummerierung bildet die Grundlage der Darstellung in Kap. 6.2.1. und 6.3.1.):

  1. Rechtsinstitute, unterteilt in (1.1) Staatsinstitute (z. B. De magistratibus; De potestatibus) und (1.2) Sakralinstitute (z. B. De dis Penatibus; De sacris Saliaribus Tiburtium)

  2. Sprachaitiologie (z. B. De origine linguae Latinae; Libri de origine verborum et vocabulorum; De antiquitate verborum)

  3. Lokalaitiologie (z. B. De urbibus Italicis)

  4. Genealogie und Volksgenese (z. B. De gente populi Romani; De familiis Troianis)

  5. Kalenderforschung (z. B. Commentarii de fastis; De feriis; De scaenicis originibus)

Die zweite Kategorie bilden kategorienübergreifende Sammlungen, die kulturaitiologische und heurematographische Wissensbestände in meist selektiver Auswahl zusammenstellen:

  1. Kulturaitiologische und heurematographische Sammlungen (Aetia; „Erfinderkataloge“)

Die dritte Kategorie bilden die großen Synthesen in Form des systematischen Handbuchs oder des Reallexikons.

Eine derartige, nach formalen und methodisch-funktionalen Kategorien konzipierte Textfamilie verweist auf ein Diskursfeld, in dem fachwissenschaftlich relevante Wissensgebiete (1–2) und die römische Vergangenheitsliteratur (3–5) miteinander konvergieren. Diese Beobachtung ist deshalb von Bedeutung, weil sie zugleich das Ausmaß und die Grenzen der fachkundlichen Ausrichtung des antiken Antiquarianismus zu verdeutlichen hilft.2 Trotz ihrer im Titel angezeigten Zugehörigkeit zur sogenannten „Peri-Literatur“ waren antiquarische Fachtexte nie Bestandteil der antiken Wissenschaftskonzeption im engeren Sinn. Die antiquarische Ursprungs- und Herkunftsforschung war (analog zur Geschichtsschreibung) in der Antike nie systembildend, hatte sich also nicht zu einer in sich geschlossenen τέχνη mit eigenständigem Lehrgebäude, Methodologie und klassifizierendem Begriffssystem entwickelt. Entsprechend hat das antiquarische Schrifttum der Antike keine homogenen Gattungsmerkmale ausgebildet, weshalb die hier definierte antiquarische Monographie auch gattungsmäßig eine künstliche Kategorie der modernen Literaturgeschichte bleibt.

Der Grund für die fehlende Einbindung in das System der antiken disciplinae ist neben dem fehlenden praktischen Aspekt vor allem darin zu suchen, dass die oben skizzierten Elemente der Sachforschung nur sehr bedingt in den Horizont des antiken Wissenschaftsverständnisses einzuordnen waren. Ursprungserzählungen von Institutionen, Technologien, sozialen Praktiken, Orten und Personen sind Bereiche, die Aspekte eines Vergangenheitswissens in den Blick nehmen, die in der Regel nicht oder nur episodisch von fachwissenschaftlichen Diskursen abgedeckt werden.3 Die im Folgenden näher zu spezifizierenden Konvergenzen zur Wissenschafts- und Bildungsliteratur sind daher vor allem methodisch-konzeptioneller und formaltypologischer Art. Demgegenüber war die antiquarische Textfamilie von ihrer vergangenheitsorientierten Ausrichtung her stets dem literarischen Großbereich „Historiographie“ verbunden, an deren Rändern die Übergänge zur Ethnographie und zur kulturgeschichtlichen Landeskunde ohnehin fließend waren und die mit der Naturgeschichte, der historischen Geographie, der Periegese und der Disziplingeschichte ohnehin vielfältige Überschneidungen mit der Wissenschafts- und Bildungsliteratur aufwies.4 Trotz dieser Divergenzen wird die antiquarische Literatur im Folgenden bewusst im Sinne einer antiken „Fachliteratur“ behandelt.5

Die Konvergenz von wissenschaftlicher Sachforschung und Geschichtsdiskurs wirkte sich nur begrenzt auf die literarische Fixierung antiquarischer Wissensbestände aus. Für die Präsentation und Vermittlung des Stoffes stand ein breites Spektrum an Erzählformen und literarischen Formaten zur Verfügung, das zum Teil auch genutzt wurde. Dies gilt auch für die Kategorien des Stils und der sprachlichen Register, die von der pragmatischen Fachsprache bis zur hochsprachlichen Dichtung reichen. Die in den folgenden Kapiteln unternommene Rekonstruktion der antiquarischen Schriftstellerei wird jedoch im Detail zeigen, dass sich diese Literatur vorzugsweise in denjenigen Darstellungsformen präsentierte, in denen auch das Wissen fachwissenschaftlicher Bereiche erschlossen, vermittelt und gespeichert wurde.

Um das Phänomen der monographischen Verschriftlichung antiquarischer Wissensbestände formaltypologisch konturieren zu können, fehlt die Überlieferungsbasis. Die verfügbaren Fragmente und Testimonien sind, wie erwähnt, nur begrenzt repräsentativ (siehe oben Kap. 3), zumal die Zeugnisse – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keine meta- und paratextuellen Abschnitte wie Proömien, Kapitelüberschriften, Inhaltsverzeichnisse (summaria) und Incipit/Explicit-Vermerke enthalten.6 Damit fehlen wesentliche von den Autoren zu Information, Organisation und Leserlenkung vorgesehene Bestandteile, die nicht nur Rückschlüsse auf die konkreten Zielsetzungen und Wirkungsinteressen, sondern auch auf die anvisierten Rezeptionskreise ermöglichten.7 Auch die bezeugten Werktitel helfen nur bedingt weiter, da sie entsprechend den antiken Zitiergewohnheiten häufig in variierenden Formulierungen auftreten und selbst bei einheitlicher Überlieferung nicht immer zuverlässige Rückschlüsse auf die transportierten Inhalte und Schreibformen zulassen.8 Die Zitierweise ist in der Regel durch den Zweck bestimmt; so wird in der Kommentarliteratur anders zitiert als in der grammatischen oder rhetorischen Artigraphie. Antiquarische Werke tragen – wie in den oben genannten Beispielen – bevorzugt sachbezogene Buchtitel, die das behandelte Thema nach gängiger paraphrasierender Praxis mit περί beziehungsweise de bezeichnen.9 Nicht selten scheinen jedoch ungleichartige Schriften unter demselben Begriff subsumiert worden zu sein.10 Zudem ist oft ungewiss, ob der überlieferte Titel eine eigenständige Schrift oder einen Untertitel in einem mehrere Bücher umfassenden Werk, beziehungsweise eine mehrere Schriftrollen füllende Abhandlung innerhalb eines größeren Sammelwerks bezeichnete.11 Sind die Begriffe zudem vage oder zeigen Überschneidungen mit bereits besetzten Gattungsbezeichnungen, gleiten moderne Kategorisierungen schnell ins Spekulative ab.12 Als besonders schwer fassbarer Texttyp erweisen sich hier die commentarii, die in fachwissenschaftlichen Kontexten das griechische Wort ὑπομνήματα aufnahmen, im römischen Sprachgebrauch aber selbst in diesen Fällen nicht immer klar von libri differenziert wurden.13

Vor diesem Hintergrund lassen sich über die Verschriftlichungstypen des antiquarischen Wissens nur Vermutungen anstellen. Die bei weitem am besten dokumentierte Darstellungsform ist die „enzyklopädische“ Gesamtschau.14 Allein über diesen Gattungstyp sind wir so gut informiert, dass diachrone Entwicklungslinien erkennbar werden. Bei der Stoffdarbietung treten dabei zwei konkurrierende Modelle hervor; die eine ordnet das Material vornehmlich alphabetisch (Verrius Flaccus und Festus), die andere systematisiert nach Sachrubriken (Varro; zu Sueton siehe unten S. 475–480). Durch die Konkretisierung des Ideals der ἐνκύκλιος παιδεία vermischten sich in der Kaiserzeit allerdings die Grenzen zur allumfassenden Wissensliteratur (doctrinae omnigenus: Gell. 14.6.1), verdeutlicht etwa durch Plinius’ Historia naturalis, sowie zur Poikilographie, repräsentiert unter anderem durch Aulus Gellius, die im Einzelfall zwar unterschiedlich starke antiquarische Schwerpunktsetzungen aufweisen, diesen Wissensbereich aber nicht (mehr) gesondert abhandelten (siehe unten Kap. 6.3.2.).

Einen Anhaltspunkt für die Darstellungsformen der antiquarischen Fachliteratur bieten die gängigen literarischen Formate der expositorischen Wissensvermittlung, die in den römischen Fachdisziplinen gepflegt wurden. Diese sind entsprechend der Polymorphie der griechisch-römischen Wissenschaftsliteratur äußerst heterogen und umfassen neben den systematisierenden Lehrbuchtypen (εἰσαγωγή, ἐγχειρίδιον, ars und institutio), dem spezialisierten Fachtraktat, der Einführungsschrift und dem textorientierten Kommentar auch stärker literarisierte Formen wie Lehrbrief, Lehrgedicht oder Lehrdialog.15 Als wesentliches Charakteristikum dieses Schrifttums kann die systematisch-funktionale Form der Wissenserschließung gelten, realisiert unter anderem durch die Unterteilung des behandelten Stoffs in Gattungen, Arten und Unterarten – eine Klassifizierungsmethode, welche die moderne Forschung als besonderen Grundzug der varronischen Fachschriftstellerei herausgestellt hat.16 Exemplarisch lässt sich das Verfahren am „antiquarischen“ Teil von Tertullians christlicher Mahnschrift De spectaculis (5–13) zeigen, über dessen Struktur der Autor seine Leser am Ende einer langen programmatischen Einleitung in folgender Weise informiert:

Commemorabimus origines singulorum, quibus incunabulis in saeculo adoleverint,
exinde titulos quorundam, quibus nominibus nuncupentur,
exinde apparatus, quibus superstitionibus instruantur,
tum loca, quibus praesidibus dicentur,
tum artes, quibus auctoribus deputentur.

Ich werde an die Ursprünge der einzelnen Schauspiele erinnern: aus welchen Wiegen sie hervorgingen und in der Welt groß wurden; dann an ihre Bezeichnungen: mit welchen Namen sie genannt werden; dann an ihre Ausstattung: mit welchem Aberglauben sie ausgerüstet sind; dann an ihre Örtlichkeiten: unter wessen Schirmherrschaft sie stehen; dann an die Kunststücke: welchen Erfindern sie zugeschrieben werden.

Tert. spect. 4.4

Um seinen Glaubensbrüdern die moralische Verwerflichkeit der heidnischen spectacula vor Augen zu führen und sie vom Besuch und der Teilnahme abzuhalten, erörtert Tertullian die Entstehung und die Apparatur des römischen Spielewesens, wobei er sich offensichtlich an der Systematik der einschlägigen Traktate orientiert, die er zu diesem Zweck heranzieht: Als Quellen griff er auf jene „zahlreichen Autoren“ zurück, „die darüber Abhandlungen verfasst haben“ (extant auctores multi, qui super ista re commentarios ediderunt: spect. 5.1); zum Theaterwesen möglicherweise Varros De scaenicis originibus oder das den Zirkusspielen und dem Theaterwesen gewidmete neunte und zehnte Buch der Antiquitates rerum divinarum (vgl. spect. 5.3 = Ant. rer. div. IX frg. 80 Cardauns: Varro ludios [coni. Wissowa; codd. ludos] a ludo, id est a lusu interpretatur [„Varro deutet ludius von ludus, das heißt von lusus“]). Denkbar ist eine direkte Benutzung Varros oder eine indirekte Vermittlung über die einschlägigen Schriften Suetons.17

Fragt man nach den Anfängen einer solchen systematischen Erfassung antiquarischer Wissensbestände in Rom, so ist uns überlieferungsbedingt der Blick auf die hinter Varro liegende Tradition weitgehend verstellt (siehe unten Kap. 6.1.). Auch die römische Fachprosa bietet hier überlieferungsbedingt kaum Anhaltspunkte: Catos eigenwillige landwirtschaftliche Abhandlung De agri cultura ist im Vergleich mit dem zweitältesten erhaltenen römischen Lehrbuch, den Libri ad Herennium, in Systematik und Darbietungsform erstaunlich erratisch und mutet deswegen nicht nur in sprachlicher Hinsicht sehr archaisch an.18 Ob Cato die griechischen Agrarschriftsteller überhaupt benutzt hatte oder sich allein auf (mündlich instruiertes) römisches Fachwissen stützte, ist unklar. Nach dem Zeugnis des älteren Plinius waren an der Wende zum ersten Jahrhundert v. Chr. zentrale Techniken der Text- und Stoffgliederung wie Inhaltsverzeichnis und Kapitelüberschriften, die den Lesern wichtige Inhalts- und Orientierungshilfe boten und später zum Standardrepertoire der lateinischen Fachliteratur der Kaiserzeit gehörten, bereits in den (eigenartigen) libri Ἐποπτίδων des Q. Valerius aus Sora (um 130–83 v. Chr.) verfügbar.19 Ein Inhaltsverzeichnis und Kapitelüberschriften weisen in der handschriftlichen Überlieferung zwar auch Catos De agri cultura auf, doch dürften diese Paratexte kaum auf den Autor selbst zurückgehen. Ob die Mehrheit der lateinischen Fachtexte des zweiten und beginnenden ersten Jahrhunderts v. Chr. wie Catos agrarkundliche Fachschrift vorwiegend kasuistisch vorgingen oder sich an der differenzierten hellenistischen Methodologie orientierten, ist aufgrund der Überlieferungssituation nicht zu entscheiden.

Die wirkungsmächtigen Tripertita des Rechtsgelehrten Sex. Aelius Paetus (cos. 198 v. Chr.), ein Kommentar zum Zwölftafelgesetz, enthielten wahrscheinlich den Gesetzestext, eine interpretatio sowie entsprechende Klage- und Geschäftsformeln, entwickelte also offensichtlich keine eigene, vom Referenztext gelöste Stoffeinteilung (siehe unten S. 223 f.). An der Wende zum ersten Jahrhundert v. Chr. klassifizierte Q. Mucius Scaevola (cos. 95 v. Chr.) erstmals einige Elemente seiner achtzehn Schriftrollen umfassenden Darstellung des Zivilrechts nach genera und species, das heißt nach den Kategorien der griechischen Wissenschaftsliteratur.20 Typologische Rückschlüsse auf die frühen systematischen Spezialschriften des öffentlichen Rechts, die magistratuum libri des C. Sempronius Tuditanus oder die libri de potestatibus des M. Iunius Gracchanus sind jedoch nicht möglich (siehe unten S. 231–237). Vielleicht um die Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. oder früher entstand die pontifikalrechtlichen Fragen gewidmete Abhandlung des Veranius (Pontificales quaestiones), deren einzelne Rollen nachweislich über eigene Überschriften verfügten (siehe unten S. 297 und 301).

In Fällen, in denen die Materie eine strenge Systematisierung nicht unbedingt erforderte, wie etwa im Bereich der für das zweite und frühe erste Jahrhundert v. Chr. relativ breit belegten lexikologisch-etymologischen Untersuchungen von Rechtstexten, sind Rückschlüsse auf texttypologische Muster der Verschriftlichung erst aufgrund der Literatur der späteren Kaiserzeit möglich. Aelius Stilos Kommentar zu den im Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. weitgehend unverständlich gewordenen Salierliedern (Explanationes carminum Saliorum) scheint nach dem Zeugnis der spärlichen Fragmente jedenfalls kaum über textbegleitende stichwortartige Glossen hinausgegangen zu sein.21 Ein durchweg hybrides Bild bieten die Fragmente von Messallas Libri de auguriis, die nach Festus die Form eines Textkommentars (zu den Kultformeln und Ritualvorschriften der Auguren) nahelegen, nach Gellius und Macrobius aber (auch) sakralrechtliche Erläuterungen enthielten.22

Im Bereich der religiös-rechtlichen Literatur kommt zu der prekären Überlieferungssituation noch ein methodisches Problem hinzu, das hier kurz erwähnt werden soll. Über die Entwicklung der religiösen Spezialliteratur, die von den zu alltagspraktischen und legitimatorischen Zwecken schriftlich fixierten und archivierten Sakralregeln, Gebetsformeln, Präzedenzfällen, Protokollen und öffentlichen Bescheiden der Priesterkollegien (libri, commentarii, responsa) klar zu differenzieren ist,23 herrscht weitgehend Unklarheit. Spätestens im ersten vorchristlichen Jahrhundert weist sie starke Bezüge zur griechischen Philosophie auf. Ihre Zugehörigkeit zur antiquarischen Literatur ist in vielen Fällen fraglich, obwohl die Religion zweifellos ein wichtiges Segment der antiquarischen Forschungen darstellte. Auszuschließen ist eine Zuordnung zur antiquarischen Literatur in jenen Fällen, in denen es (1) um die Verstetigung von religiös-kultischem Handlungswissen ging in denen (2) die philosophische Reflexion bestimmend war, wie beispielsweise in Ciceros Dialogen De natura deorum und De divinatione, sowie in denen (3) die erhaltenen Bruchstücke die Werke als praktische Handbücher der römisch-etruskischen Divinationskunst herausstellen, so zum Beispiel die carmina des Etruskers Tages (libri Tagetici) sowie entsprechende Schriften von M. Valerius Messalla, L. Iulius Caesar, Nigidius Figulus, Fonteius, Aulus Caecina, Clodius Tuscus, Vicellius, Umbilicus Melior und Cornelius Labeo.24 Scharfe kategorische Abgrenzungen und Zuordnungen werden jedoch nicht nur durch die Überlieferungslage, sondern auch durch die Allgegenwart des antiquarischen Denkmodells erschwert. Eine hybride Mittelstellung zwischen praktischem Handbuch und gelehrter antiquarischer Exegese scheint die offenbar den Gebetsformeln der Pontifices gewidmete Schrift De indigitamentis eingenommen zu haben, die Granius Flaccus dem Pontifex Maximus Caesar widmete.25 Unklar ist, in welcher Art libri der Augur und Konsul des Jahres 163 v. Chr., Tiberius Sempronius Gracchus, während seines Feldzuges auf Sardinien nachgelesen hatte, dass die von ihm anlässlich der Konsulatswahlen für das Jahr 162 v. Chr. durchgeführten Auspizien wider besseres Wissen ungünstig verlaufen waren, woraufhin die designierten Konsuln, Scipio Nasica und C. Figulus, auf ihr Amt verzichten mussten und Nachwahlen abgehalten wurden.26

Traktat und Kommentar waren seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. nicht die einzigen Texttypen wissenschaftlicher Wissensvermittlung. So ist glaubwürdig belegt, dass der Jurist M. Iunius Brutus (Praetor 142 v. Chr.) seiner vermutlich didaktisch ausgerichteten Darstellung des römischen Zivilrechts (Libri de iure civili) die Form eines literarischen Dialogs gab. Es handelt sich um die erste nachweisbare dialogische Einkleidung einer Prosaschrift. Einzelheiten der Anordnung und Vermittlung des Stoffes sind jedoch nicht bekannt.27 Dialogische Form hatten wahrscheinlich auch jene Logistorici, in denen Varro antiquarische Fragen unter philosophischen Vorzeichen behandelte, namentlich im Tubero de origine humana, im Atticus de numeris sowie im Scaurus.28

Von gewisser Relevanz für die antiquarische Schriftstellerei ist schließlich die hellenistischer Tradition entstammende, in Rom aber erst seit der Späten Republik nachweisbare προβλήματα-Literatur (quaestiones), in der miszellenartig bestimmte Gegenstände eines spezifischen Themenkreises in literarisch anspruchsvoller Form präsentiert wurden, etwa als grammatischer Essay wie die Quaestiones confusae des Iulius Modestus (GRF Mazzarino pp. 12–14), als Lehrbrief wie Varros Epistolicae quaestiones (GRF pp. 260–263) und C. Valgius Rufus’ De rebus per epistulam quaesitis (GRF pp. 483–486) oder als Sammlung sakralrechtlicher Problemstellungen wie die Pontificales quaestiones des Veranius (Bremer 2.1, 6–9; siehe dazu unten S. 261–263).

Paradigmatische Verschriftlichung des antiquarischen Modells sind Herkunftswörterbücher sowie Heuremata-Kataloge, die zumeist in größere Wissenskompendien integriert waren, wohl aber nach griechischem Vorbild (z. B. Philostephanos’ περὶ εὑρημάτων: FHG Müller III, 32 frgg. 28–31) auch als eigenständige Sammlungen zirkulierten.29 Im Prinzip in dieselbe Kategorie gehören die literarischen Kataloge der homines pro diis culti, insofern darin die hinter der Apotheose stehenden causae beim Publikum vorausgesetzt oder erklärend nachgereicht wurden.30

Nur am Rande erwähnt seien ferner die Verschriftlichungsformen der hellenistischen Paradoxographie, eines proteischen Seitenzweigs von Ethnographie, Naturkunde und Historiographie,31 deren kompilierendes Interesse an Wundern (θαύματα) und Kuriosa (παράδοξα) in Griechenland wie in Rom nicht selten auch eine antiquarische Akzentuierung aufwies, da derartige Wissensbestände üblicherweise nicht nur in exotischen Ländern, sondern vorzugsweise auch in der mythisch-historischen Vergangenheit verortet wurden.32 In der Poesie beispielsweise dienten die Merkwürdigkeiten, mit denen der Mensch in seiner Alltagswelt konfrontiert wurde, häufig als Auslöser für aitiologische Erzählungen.33

Angesichts der beschriebenen Unwägbarkeiten soll auf eine weitergehende Klassifizierung verzichtet werden. Stattdessen sollen im Folgenden in einer vertiefenden Fallstudie die fachwissenschaftlichen Schreib- und Darstellungsformen zweier erhaltenen Monographien analysiert werden, die noch am ehesten in der Tradition des römischen antiquarischen Fachtraktats zu stehen scheinen.

4.2 Fallstudie: De mensibus und De magistratibus des Iohannes Lydos

Aus dem mehrere Dutzend einschlägige Werktitel umfassenden Korpus der antiquarischen Fachliteratur Roms haben sich zwei Monographien erhalten, die wir mit einiger Zuversicht als einschlägige antiquarische Traktate bezeichnen dürfen.34 Es handelt sich um die Schriften Περὶ μηνῶν (im Folgenden De mensibus) und Περὶ ἀρχῶν τῆς Ῥωμαίων πολιτείας (im Folgenden De magistratibus) des des oströmischen Beamten Iohannes Lydos (um 490–um 570 n. Chr.).35 Trotz der besonderen Bedeutung, die seinem Werk für die Rekonstruktion der fachwissenschaftlichen Schreib- und Darstellungsformen des antiken Antiquarianismus zukommt, hat es in der klassisch-philologischen Forschung bislang nur wenig Beachtung gefunden – ganz im Gegensatz zu den inzwischen recht gut erforschten, aber im Hinblick auf die antiquarische Fachliteratur typologisch devianten Formaten der enzyklopädisch-synthetischen (siehe unten Kap. 6.2.2.) und eklektisch-poikilographischen Wissenssammlungen (siehe unten S. 474–487).

Von Lydos’ insgesamt drei Traktaten ist nur der letzte, die Spätschrift über die Geschichte der römischen Magistratur, weitgehend erhalten, während die beiden anderen Schriften, die er vermutlich während seiner vierzigjährigen Laufbahn als kaiserlicher Beamter verfasst hat, nur lückenhaft überliefert sind.36 De mensibus, die am stärksten fragmentierte Schrift, behandelt in vier Büchern den römischen Kalender und seine Festtage. Das zweite Werk, Περὶ διοσημειῶν (i. F. De caelestibus signis37), bietet in kompilierender Form einen Überblick über Einzelbereiche der (immer noch als gültig erachteten38) römisch-etruskischen Divinationskunst. De magistratibus, Lydos’ umfangreichstes Werk, stellt eine chronologisch strukturierte Abhandlung der römischen Magistraturen unter besonderer Berücksichtigung der Amts- und Ehrenzeichen dar.

Im Folgenden werden die Traktate De mensibus und De magistratibus als antiquarische Fachschriften betrachtet und einer näheren Untersuchung unterzogen. Die Schrift De caelestibus signis steht demgegenüber als handbuchartige Kompilation einer Sakraltechnik in der Tradition entsprechender Spezialschriften der Späten Republik, in denen das historisierende Erklärungsmodell hinter der deskriptiv-empirischen Gegenwartsorientierung des astrologisch-parapegmatischen Diskurses derart zurücktritt, dass hier ein Ausschluss gerechtfertigt erscheint.39 In einem ersten Schritt werden die methodischen Grundlagen erörtert, auf denen die im zweiten Schritt erfolgende komparatistische Analyse von Komposition, Methodologie und Darstellungsform aufbaut. In einem dritten Schritt wird zwischen den autorspezifischen Eigenheiten und den überzeitlichen Gattungsmerkmalen abgewogen und die Frage erörtert, inwieweit Lydos’ Schriften einen formaltypologischen Repräsentationsanspruch für die Textgruppe der antiquarischen Traktate erheben können und ob sie in dieser Hinsicht einen Aussagewert für die Rekonstruktion verlorener republikanischer und kaiserzeitlicher Traktate besitzen.

4.2.1 Ausgangslage

Die Ausgangslage stellt sich auf den ersten Blick vergleichsweise günstig dar. Die in beiden Traktaten auffallend reichhaltigen Quellenverweise und ausgiebigen Fremdzitate garantieren zumindest inhaltlich den Rückbezug auf eine scheinbar ungebrochene fachwissenschaftliche Tradition, die in direkter Linie auf die literarischen Vorbilder der Späten Republik zurückgeht. Es werden nicht weniger als 180 griechische und lateinische Autoren zitiert, teils direkt, teils über explizit genannte Zwischenquellen. Darunter befinden sich neben Dichtern, Philosophen und Historiographen besonders viele Fachschriftsteller.40 In De mensibus umfassen die explizit aufgerufenen Referenzwerke neben einer Fülle naturkundlicher, doxographischer und paradoxographischer Werke auch eine Reihe einschlägiger antiquarischer Monographien. Dazu gehören die libri Fastorum des L. Cincius41 und des Cornelius Labeo,42 Varros De feriis (= Ant. rer. div. VIII),43 Gavius Bassus’ De dis,44 nebst einigen nur hier bezeugten Werken: Fonteius’ De simulacris (mens. I.37; II.2; IV.80 Wünsch),45 Phlegon von Tralleis’ Περὶ ἑορτῶν (mens. I.21 Wünsch), Anysius’ Περὶ μηνῶν (mens. IV.25 Wünsch), Elpidianus’ Περὶ ἑορτῶν (mens. IV.4 Wünsch)46 sowie eine nicht näher bestimmbare (Fach-?)Schrift des M. Valerius Messalla Corvinus (cos. 31 v. Chr.).47 Ovids Fastenkommentar, dem hier die gleiche Autorität zukommt wie den zitierten Fachschriften, ist im vierten Buch von Bedeutung. Die Forschung hat berechtigte Zweifel daran, dass der Autor tatsächlich alle von ihm zitierten Referenzwerke im Original eingesehen hat. Die Diskussion um mögliche Zwischenquellen braucht uns hier jedoch nicht weiter zu interessieren, da in der vorliegenden Analyse die Frage nach den Tendenzen in Schreibweise und Komposition über der nach den kompilierten Quellen steht.

In De magistratibus zeigt sich ein vergleichbares Bild.48 Die uns hier interessierenden Wissensbestände entstammen, soweit wir sehen können, in erster Linie einem Seitenzweig der römischen Rechtsliteratur (siehe unten S. 231–236, 270–282 und 420–425).49 Im Vorwort wird auf eine der ältesten bekannten staatsrechtlichen Abhandlungen über die römischen Magistraturen, die libri de potestatibus des Iunius Gracchanus, verwiesen, deren Überlieferungsverlust Lydos als topische Rechtfertigung seiner Darstellung anführt.50 Die Informationen zur römischen Amtsbürokratie entnahm der Autor ferner den juristischen Spezialschriften der hohen und späten Kaiserzeit, aber auch zeitgenössischen Abhandlungen wie dem Μαγιστερίον des Petrus Patrikios (um 500–565 n. Chr.), einer Schrift über das Amt des magister militum (mag. II.25). Von den Juristen werden Ulpian (mag. I.24 und 28: De officio quaestoris; I.48: προτριβουναλία), Tarruntenus Paternus (mag. I.9: Τακτικά), Iulius Paulus (mag. I.50), Pomponius (mag. I.48) und Aurelius Arcadius Charisius (mag. I.14: De officio praefecti praetorio) namentlich genannt. Die meisten dieser Werke, aus denen längere Passagen zitiert werden, hat Lydos nachweislich über die justinianischen Digesten rezipiert, deren lateinischen Text er jeweils ins Griechische übersetzte. Dabei ist ihm in De magistratibus I.26 und I.34 ein nachweisbarer Fehler unterlaufen. So glaubte er, aus Gaius’ Ad legem XII tabularum zu zitieren, übersetzte aber in Wirklichkeit eine Passage aus Pomponius’ Enchiridion, dessen Auszüge in Justinians Digesten unmittelbar auf das singuläre Gaius-Kapitel folgen.51 Während Lydos die lateinische Sprache offenbar ausgezeichnet beherrschte,52 sind seine Kenntnisse der römischen Literaturgeschichte nicht immer zuverlässig.53 Sein exzessiver Gebrauch von Zitaten und Quellenverweisen hat ihn in der modernen Forschung als Autor in Verruf gebracht,54 doch gibt es keinen Hinweis darauf, dass Lydos hier über das in der griechisch-römischen Fachliteratur übliche Maß hinausging.

Neben der Quellenfrage stellt sich für unsere Analyse eine weitere methodische Schwierigkeit. Sie betrifft die Frage nach dem vermeintlichen Modellcharakter von De mensibus und De magistratibus für die Rekonstruktion der antiquarischen Fachtradition. Gerade die neuere Forschung zu Lydos hat – ohne im Einzelnen zu einem Konsens zu gelangen – zu Recht auf die zeitgeschichtlichen und weltanschaulichen Voraussetzungen hingewiesen, die seinen Schriften zugrunde liegen.55 Im Falle von De magistratibus betrifft dies zum einen das im Zuge der justinianischen Restaurationspolitik wiedererwachte Interesse an alten republikanischen Bräuchen und Institutionen, zum anderen seine Haltung gegenüber dem Kaiser. Im Falle von De mensibus (und De caelestibus signis) handelt es sich um den christlichen Diskurs über den Wert und die Nützlichkeit des heidnischen Wissens. Die Zeitgebundenheit von Lydos’ Werk offenbart sich neben den politischen und religiösen Bezügen zusätzlich auch auf einer biographischen Ebene, da er in De magistratibus nicht nur seine eigenen Ansichten und Überzeugungen explizit zum Ausdruck bringt, sondern die Schrift darüber hinaus mit autobiographischen Elementen anreichert.56 Die Frage nach den Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen der Schreibform, in der Lydos dem Publikum antiquarisches Wissen monographisch präsentiert, und den geschilderten historischen Produktions- und Rezeptionskontexten, die dem Werk zugeordnet werden können, wird spätestens dann drängend, wenn es darum geht, aus den individuellen Zielsetzungen des Autors generelle Rückschlüsse auf die kulturpolitische Sprengkraft antiquarischer Fachliteratur zu ziehen (siehe unten Kap. 6.2.3.). Im Rahmen der folgenden, primär auf formaltypologische Aspekte fokussierten Analyse ist es jedoch methodisch vertretbar, die Diskussion über zeitgenössische Wirkungsabsichten und Rezeptionskontexte vorerst zurückzustellen.

4.2.2 Komposition und Darbietungsform

Beide Traktate behandeln inhaltlich sehr unterschiedliche Themenbereiche, zeigen aber in Komposition und Darstellungsform ein relativ einheitliches Bild. Hinter einer Reihe von formalen, strukturellen und darstellerischen Gemeinsamkeiten zeichnet sich der Versuch einer ordnenden Systematik ab, die sich auf der Ebene der Textstruktur etwa in der Einteilung des Stoffes in Bücher und Kapitel manifestiert. Paratextuelle Hilfestellung bieten Buch- und Rubrikenüberschriften sowie ein nach der Einleitung platziertes Inhaltsverzeichnis, das nur in De magistratibus erhalten ist, ursprünglich aber wohl auch in De mensibus vorhanden war. Aufgrund der prekären Überlieferungssituation seiner Werke kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Details der Textgestaltung das Ergebnis späterer Redaktionsprozesse sind, zumal gewisse Unstimmigkeiten auf redaktionelle Eingriffe hindeuten.57 Eine erste Unregelmäßigkeit zeigt sich in der Gesamtanlage von De magistratibus. Während das Inhaltsverzeichnis zwei Bücher mit 14 beziehungsweise 16 Kapiteln aufweist, zeigt die maßgebliche Handschrift eine Dreiteilung, wobei das dritte Buch durch eine Art Vorrede auch textintern deutlich von den vorangehenden Ausführungen abgesetzt ist.58 Auffallend sind auch die Abweichungen zwischen Inhaltsverzeichnis und Kapitelüberschriften. Die Kapitelüberschriften sind zudem nicht immer ausgeführt und weisen, wo sie vorhanden sind, nicht selten eine irreführende, die Gesamtkomposition missachtende Nummerierung auf.59

De mensibus

De magistratibus

[Vorwort?]

Vorwort mit Titelvariante Περὶ ἐξουσιῶν

Motivation für die Abfassung der Schrift; sakrale Ursprünge der Magistraturen

[Inhaltsverzeichnis?]

Inhaltsverzeichnis mit Titelvariante: Περὶ πολιτικῶν ἀρχῶν

I [***]

Urgeschichtliches; Entwicklung des Kalenders in der Königszeit

I: Περὶ ἀρχῶν τῆς Ῥωμαίων πολιτείας

Periodisierung: Königszeit, Republik, Prinzipat, Dominat; monarchische Terminologie; zivile Magistraturen der Republik inklusive Insignien und Amtstrachten; militärische Rang- und Funktionsbezeichnungen

II: Περὶ ἡμέρας

Behandlung der astrologischen Siebentagewoche mit Diskussion der numerologisch-symbolischen Bedeutung der einzelnen Tage

II: Περὶ Καίσαρος καὶ τῶν Καίσαρος ἐπισήμων

Die quasi-monarchische Amtsfülle des Princeps; Behandlung kaiserlicher Insignien und Amtstrachten, die Prätorianerpräfektur

III: Περὶ μηνός

Unterteilung des Jahres in Monate bei verschiedenen Völkern; der römische Monat und dessen Unterteilungen; astrologische Zeitberechnung

III [ohne Titel]

Personal der Prätorianerpräfektur; Lydos’ Karriere; Niedergang der Prätorianerpräfektur ***

IV [ohne Titel]

Kommentar zum römischen Festkalender: Behandlung der Monatsnamen, der Festtage und der astrologischen Konstellationen

4.2.2.1 De mensibus

In De mensibus herrscht schon aus sachlichen Gründen ein streng thematisches Ordnungs- und Kompositionsschema vor, in das die narrativen Einzeldarstellungen eingebettet sind. Das erste Buch hat die Überlieferung schwer mitgenommen. Die modernen Rekonstruktionen bieten eine weitgehend kohärenzlose Aneinanderreihung von urgeschichtlichen Aitiologien, italischen und römischen Kulturbringersagen sowie etymologischen Erläuterungen.60 Man kann also davon ausgehen, dass das Buch neben der Frühgeschichte Italiens auch die Ursprünge und die Entwicklung des römischen Kalenders behandelte.61 Erst im zweiten Buch, das mitten im Binnenproömium einsetzt, wird der systematische Aufbau erkennbar. Hier wird mit dem Hinweis, dass vor der Betrachtung der Monate zunächst von den Zeiten, der Einteilung des Jahres und der Entstehung der Tage die Rede sein müsse, das Thema des zweiten Buches explizit benannt und die sachliche Dispositionslogik vorgestellt. Nach einer Erörterung der Definition des Tages folgt die Behandlung der astrologischen Siebentagewoche. Lydos geht dabei nach einem festen Schema vor, in dem (ohne gliedernde Rubrizierung) Tag für Tag zunächst die namensgebende Gottheit und dann die numerologisch-symbolischen Bedeutungen nach neupythagoreischem Muster abgehandelt werden. Abschließend wird auf die numerologische Bedeutung der Hebdomade insgesamt eingegangen. Der republikanische Nundinalzyklus (die achttägige Marktwoche) findet dagegen keine Berücksichtigung.

Das dritte, nicht mehr eigens eingeführte Buch ist den Unterteilungen des Monats innerhalb des astronomischen Jahres bei den Römern und anderen Völkern gewidmet und schließt mit ausführlichen Erörterungen über den Lauf des Mondes und der Planeten sowie über entsprechende astrologische Zeitberechnungen. Der Aufbau folgt dem gleichen Schema wie im vorhergehenden Buch: Am Anfang stehen die aitiologische Vorgeschichte und die Definition der Zeiteinheit Monat, dann folgen in chronologischer Reihenfolge die römischen Monatstage (Kalendae, Nonae, Idus). Am Ende wird die Erörterung des Buchanfangs wieder aufgenommen und auf die unterschiedlichen Jahresanfänge bei den Römern (Januar, März und September) und bei anderen Völkern hingewiesen. Die Erörterung der einzelnen Monate nimmt Inhalte des vierten Buches vorweg, wirkt also gleichsam als Fuge zum folgenden Teil.

Das vierte Buch, das ebenfalls ohne Binnenproömium unmittelbar mit der Behandlung des Januars beginnt, stellt eine Art Kalenderkommentar in der Tradition der römischen Fasti-Literatur dar. In chronologischer Reihenfolge werden nacheinander die Namen und zugehörigen Gottheiten der einzelnen Monate sowie besondere religiös-kultische, astrologische oder meteorologische Tage besprochen, wobei sich in der inhaltlichen Gewichtung erneut Lydos’ Interesse an Astrologie, Orakel und Zahlenmystik zeigt.62 Im Gegensatz zum zweiten und dritten Buch wurde hier die Disposition zusätzlich durch die Rubrizierung des Monatsnamens zu Beginn des jeweiligen Abschnitts gekennzeichnet.

Die Übersichtlichkeit der Darstellung gehört trotz des in den Büchern 2 bis 4 durchgängig verwendeten Schemas nicht zu den Stärken des Werkes. Inhaltliche Doppelungen sind keine Seltenheit, zudem zeichnen sich die Detailerörterungen in fast allen Teilen der Schrift durch sprunghafte Übergänge, assoziative Gedankenführung und gelehrte Abschweifungen aus. Dadurch wird zwar das Spektrum der referierten Wissensbestände erheblich erweitert, dies geht aber zumeist auf Kosten der gedanklichen und logischen Stringenz. Sehr oft werden aus einer Fülle von zitierten Autoritäten abwegige Details in die Diskussion eingebracht, ohne dass dadurch ein sachlicher Mehrwert entsteht.

4.2.2.2 De magistratibus

Den drei Büchern von De magistratibus liegt ein weitgehend chronologisches Darstellungsprinzip zugrunde, dessen Gerüst immer wieder durch sachfremde Exkurse sowie zeitliche Vor- und Rückverweise durchbrochen wird, sodass die Erörterung der zentralen Gegenstände (nämlich die Entwicklung der römischen Zivilmagistraturen) nicht überall mit der gleichen gedanklichen Klarheit umgesetzt wird.63 Zwar wird zu Beginn des ersten Buches durch eine auf exakten numerischen Berechnungen beruhende Periodisierung eine historisch-chronologische Anlage des Werkes angedeutet (mag. I.2), aber nicht ausdrücklich als solche festgelegt. Die Unterteilung der römischen Geschichte in Vorrömische Zeit (Mythistorie), Königszeit, Republik, Prinzipat (Caesar bis Konstantin I.) und Dominat (Konstantin I. bis Anastasius) bestimmt in der Folge denn auch nur bedingt die Darstellung, da die historische Entwicklung in der Struktur der einzelnen Bücher nur teilweise abgebildet ist64 und in der Darstellung der einzelnen Ämter auch immer wieder zugunsten geschichtlicher Vor- und Rückgriffe ausgesetzt wird.

Die Abhandlung ist reich an metatextuellen und selbstreferentiellen Aussagen, in denen der Verfasser gezielt programmatische Ankündigungen macht, zusammenfassende Resümees zieht, bestimmte Diskussionen für abgeschlossen erklärt oder sich anderweitig zu Wort meldet. Allerdings löst er nicht immer ein, was er verspricht, und die strukturierenden Bemerkungen sind manchmal eher irreführend als hilfreich.65

Das erste Buch beginnt thematisch mit einer Behandlung der monarchischen Terminologie in Rom (mag. I.3–6: rex; Caesar; dominus), dann werden die königlichen Insignien und das römische Heerwesen unter Romulus behandelt (mag. I.7–13). In den folgenden Kapiteln werden der Königszeit drei „Institutionen“ (προαγωγαί) zugewiesen (mag. I.14–15: magister equitum; mag. I.16–18: patricius; mag. I.24–28: quaestor). Dieselbe Anzahl wird der Republik zugeteilt (mag. 1.30–33: consul; mag. I.34: decemviri und praefectus urbi). Hinzukommen hier drei „Krisenämter“ (mag. I.36–38: dictator; mag. I.39/43: censor; mag. I.44–45: tribunus) sowie zwei gesondert behandelte Positionen (mag. I.48: die Prätur; mag. I.50: die Stadtwache). Bewusst von der Betrachtung ausgeschlossen werden die Priesterschaften (mag. I.35).66 Auf die im Vorwort proklamierte These, dass alle zivilen Magistraturen ἀπὸ ἱερατικῆς τάξεως entstanden seien, wird nicht weiter eingegangen. Die Behandlung des Stoffes folgt einem zweigliedrigen Schema: In einem ersten Schritt werden die Entstehung und die daraus abgeleitete Funktion eines Amtes behandelt, in einem zweiten Schritt deren Kenn- und Ehrenzeichen beschrieben. Dieses Muster wird nicht überall mit derselben Konsequenz umgesetzt.67 Die handschriftliche Rubrizierung leistet hier nur bedingt Orientierungshilfe. An einer Stelle sind die beiden Teile durch eine Überschrift abgesondert (Περὶ τῶν ἐπισήμων τοῦ ῥηγός [„Über die Insignien des Königs“]: mag. I.7), an einer anderen unter einem Titel zusammengefasst (Περὶ τῆς ὑπατείας καὶ τῶν ἐν αὐτῇ ἐπισήμων [„Über den Konsul und seine Insignien“]: mag. I.30).

Das zweite Buch setzt die begonnene Institutionsgeschichte mit der Beschreibung der quasi-monarchischen Amtsfülle Caesars und seines Nachfolgers Oktavian/Augustus unter Berücksichtigung der zugehörigen Insignien fort (mag. II.1–4), lenkt die Aufmerksamkeit aber bald auf den praefectus praetorio (mag. II.5–22), dessen mutmaßlicher „Vorläufer“, der Reiterführer, bereits im ersten Buch behandelt worden war. Der dritte Teil des Buches ist dem Amt des magister officiorum und der Ausbildung anderer Magistraturen der Spätantike gewidmet (mag. II.23–30).

Das durch eine Vorrede eingeleitete dritte Buch behandelt im ersten Teil in hierarchischer Reihenfolge die einzelnen Dienststellen der Prätorianerpräfektur bis hin zum Spitzenamt des cornicularius (mag. III.2–25), das Lydos selbst innehatte. Nach einem längeren autobiographischen Einschub (mag. III.26–30) folgt die polemische Behandlung zweier bürokratischer Parvenüs, des scriniarius und des cancellarius (mag. III.31–38). In einem programmatischen Neuansatz (mag. III.39) werden dann in tendenziöser Weise die Ursachen für den zuvor vom Verfasser beklagten Niedergang der Prätorianerpräfektur seit Konstantin näher erläutert (mag. III.40–56).68 Der Niedergang wird in Lydos’ Darstellung durch Iohannes den Kappadokier, den praefectus praetorio per Orientem von 531–541 n. Chr. personifiziert,69 dessen schändliche Amtsführung und niederträchtiger Charakter Magistratur wie Personal nachhaltig geschädigt habe (mag. III.57–69). Zum glänzenden Idealbild des Prätorianerpräfekten wird Phokas stilisiert (mag. III.71–76), der nach der Absetzung des Kappadokiers während des Nika-Aufstandes vom Januar bis Oktober 532 kurzzeitig die Präfektur bekleidete. Der Schluss des Werkes ist nicht erhalten; es ist denkbar, dass die Erzählung vom wohlverdienten Fall des Kappadokiers einen mahnenden Schlusspunkt setzte.70

4.2.3 Methodologie

Definitionen und Klassifikationen sind in Lydos’ Traktaten erstaunlich selten. Wenn sie in De mensibus vorkommen, entstammen sie in der Regel der philosophischen Theorie oder einer fachwissenschaftlichen Disziplin, meist der Astronomie. Dieser Befund mag irritieren. Aber wie im vorigen Kapitel dargelegt, verfügte die antiquarische Fachliteratur in keinem ihrer Spezialgebiete über ein festes systematisches Lehrgebäude, das den Stoff in bestimmte Arten und Unterarten gegliedert und anhand eines klassifikatorischen Begriffsgefüges schrittweise entfaltet hätte. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang jedoch ein Vergleich mit einer thematisch einschlägigen Passage aus Isidors De rerum natura 1–9 (De diebus, De nocte, De hebdomada, De mensibus, De concordia mensuum, De annis, De temporibus, De solstitio et aequinoctio, De mundo), die man über unklare Zwischenstufen auf Suetons De anno Romanorum zurückführen will.71 Trotz der gedrängten Kürze ist die Gliederung hier wesentlich übersichtlicher und konsequenter, es finden sich klare Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen: Auf die Definition des Tages und seiner Teile folgt die chronologische Behandlung der Tageseinteilung bei den Chaldäern, Ägyptern und Römern, anschließend die Definition spezifischer Tage (fasti, nefasti usw.). Dasselbe Muster wird für die Nacht angewandt. Die Fachtradition hat das methodisch-systematische Rüstzeug also durchaus bereitgestellt, Lydos scheint ihr, aus welchen Gründen auch immer, nicht gefolgt zu sein.

In De magistratibus macht sich jedoch bemerkbar, dass innerhalb des antiken staatsrechtlichen Diskurses eine abstrakte, das heißt eine von der Person des Amtsträgers und von der jeweils verwendeten Begrifflichkeit gelöste Definition der Magistratur als Voraussetzung der theoretischen Behandlung fehlte.72 Bezeichnenderweise mangelt es der Schrift an einer grundlegenden Diskussion der magistratischen Amtsgewalt (potestas) einschließlich ihrer Rechte, Pflichten und hierarchischen Abstufungen (maior und minor potestas).73 Ferner fehlen so wichtige Aspekte wie die Prinzipien der Kollegialität (par potestas) und der Annuität innerhalb der städtischen Magistratur, die Beschränkung des Amtsgebiets auf domi und militiae sowie Ausführungen zur magistratischen Laufbahn, Amtsführung, Stellvertretung usw. Stattdessen überwiegt fast durchgängig ein etymologisch-aitiologischer Deutungsansatz, das heißt also eine antiquarische Hermeneutik, die dem Leser die originäre historische Funktion des jeweiligen Amtsträgers ins Bewusstsein bringt. Diese Tendenz wird bereits in der Vorrede erkennbar, in der Lydos auf die sakralen Ursprünge der römischen Zivilmagistraturen hinweist. Dass sich das Zivilrecht aus dem Sakralrecht entwickelt habe, entsprach der gängigen römischen Auffassung (vgl. Pomponius, Enchiridion 1 = Dig. 1.2.2).74

In Ermangelung einer systembildenden Methodologie wird der Stoff in De magistratibus entlang der historischen Entwicklung nach dem origo et processus-Schema abgehandelt, das schon Pomponius in seinem Enchiridion befolgt hat, wobei Lydos allerdings der Versuchung widersteht, bei dieser Gelegenheit zugleich die innere Geschichte Roms nachzuerzählen.75 Damit steht die Monographie in der langen Tradition der antiquarischen Fachliteratur, in der fachwissenschaftliche und historiographische Methodologie konvergierten.76 In den ersten beiden Büchern werden die historischen Zusammenhänge, die zur Entstehung eines bestimmten Amtes geführt haben, nur episodenhaft erläutert. Erst im dritten Buch wird die systematische Behandlung des Amtswesens durch Darstellungen der historischen und politischen Entwicklung eingerahmt. Die Kenntnis der geschichtlichen Ereignisse wird jedoch beim Leser grundsätzlich und in allen Teilen vorausgesetzt.77

Durch die Ausrichtung des zu behandelnden Stoffs an der chronologisch fortschreitenden Ereignisgeschichte verliert die Fachschrift zwangsläufig an objektiver Aussagekraft, denn wie so oft in der Antike ist auch hier das entwickelte Geschichtsbild nachhaltig ideologisch gefärbt. Unterschwellig wird das Narrativ eines sukzessiven Niedergangs des Staatswesens entwickelt, der in der monarchischen Umgestaltung unter Caesar seine Anfänge genommen, sich aber bereits in der Republik angekündigt habe. So wird denn die oben herausgestellte schablonenhafte Grundstruktur (Amt und Insignien) nach der Mitte des ersten Buches von einem mehrfach rekurrierenden narrativen Muster überlagert, das die Entstehung bestimmter Krisenämter (Militärtribun; Diktator; Censor) jeweils als Reaktion auf einen innenpolitischen Konflikt herausstellt.78 Kurz zuvor (mag. I.35) hat der Verfasser die Liste der ordentlichen Magistraturen als abgeschlossen erklärt und damit suggeriert, dass alle späteren Ämter entweder als Neuerungen anzusehen seien oder sogar – soweit sie die beschriebenen Institutionen der Königszeit und der Republik nicht auf irgendeine Art fortführten –79 Entartungen darstellten, die einer Erörterung nicht würdig seien. Die Bürokratie des Prinzipats und des Dominats fällt daher größtenteils aus dem Erzählrahmen.80 Eine Berücksichtigung des unter Domitian eingeführten Stadtpräfekten sowie der bürokratischen Reformen Caracallas wird sogar explizit abgelehnt.81 Bedeutende Ämter des Dominats wie der comes largitionum und der comes privatarum werden nicht unter die Magistraturen gezählt, weil sie über keine Tradition verfügten.82 Im zweiten Buch setzt sich das Verfallsnarrativ in der Behandlung der Prätorianerpräfektur fort. Im dritten Buch kulminiert es schließlich in der gehässigen Invektive gegen Iohannes den Kappadokier.

Die Fokussierung auf das Amt des Prätorianerpräfekten, mit dem sich der Autor in unverkennbarer Weise identifiziert,83 und dessen Geschichte sich wie ein roter Faden durch den ganzen Traktat verfolgen lässt,84 wirft erneut die Frage nach den zeitgebundenen Wirkungsinteressen der Schrift auf. Der historiographisch geprägte letzte Teil des dritten Buches mag wie ein nachträglich hinzugefügter zeitgeschichtlicher Annex erscheinen, doch ließe sich auch die gegenteilige Ansicht vertreten, nämlich dass die vorangehenden beiden Bücher als legitimierender historischer Vorspann der hochpolitischen Darstellung fungieren sollten, die unmissverständlich auf die Restaurationspolitik unter Justinian abzielte.

Die Annahme, Lydos habe in De magistratibus eine rational-objektiven Gesichtspunkten folgende Phänomenologie der römischen Staatsordnung und ihrer Bürokratie vorlegen wollen, dürfte unter diesen Voraussetzungen daher ebenso verfehlt sein wie der Eindruck einer bloßen, dem verfügbaren Quellenmaterial folgenden tendenziösen Kompilations- und Sammelleistung. Das Werk ist eine originelle literarische Komposition, die auf der Grundlage einer eigenständigen Methodik und Systematik ein komplexes Thema mit ebenso komplexen Zielsetzungen behandelt, ohne mit der Tradition der antiquarischen und verfassungsgeschichtlichen Fachliteratur zu brechen.

Dasselbe Bild ergibt sich auch aus der Analyse von De mensibus. Selektion und Disposition der behandelten Stoffe sind so, wie sie sich in der überlieferten Form präsentieren, ohne bekannte Vorbilder.85 Lydos’ Eigenständigkeit erweist sich dabei weniger im Hinblick auf seinen Umgang mit den Quellen, denen er sein Material entnahm, als vielmehr im methodischen Verfahren, die kalendarische Struktur mit philosophischen, paradoxographischen und antiquarischen Wissensbeständen anzureichern.86 Für unsere Fragestellung ist dabei die erstaunlich homogene, in allen Teilen der Schrift feststellbare Durchdringung von antiquarischen und astrologisch-numerologischen Wissensbeständen relevant, die sich aus Lydos’ Kompilationstätigkeit ergab. Bezeichnend ist, dass die zahlreichen etymologischen und aitiologischen Erläuterungen häufig den Ausgangspunkt für weiterführende mystisch-symbolisch-allegorische Deutungen und naturphilosophische Betrachtungen bilden, zu denen der Autor seine Leser immer wieder hinführt. Dies ist möglich, weil in beiden Wissenssystemen mit einem Schema operiert wird, das nicht auf eine beschreibende Darstellung, sondern auf eine begründende Erläuterung abzielt. Es geht also weniger um die Exposition beliebiger historischer, religiöser, astrologischer oder physikalischer Sachverhalte als vielmehr um die origo causaeque primae, also die Hintergründe ihrer Entstehung, Benennung oder Verwendung. Lydos interessierte nicht so sehr, was (etwa an einem bestimmten Festtag) passierte, sondern vielmehr, warum dies passierte. Gerade dadurch unterscheidet sich De mensibus von spätantiken Kalenderwerken wie denen des Philocalus oder des Polemius Silvius, die als technische Gebrauchstexte in erster Linie praktische Orientierungshilfe bieten sollten.87 Eine solche, das antiquarische Modell gleichsam verabsolutierende Darstellungsabsicht ist der Vorrede zum zweiten Buch programmatisch eingeschrieben:

⟨…⟩ ἀναγκαῖόν μοι δοκεῖ περὶ τῶν μηνῶν εἰπεῖν, ὅθεν καὶ ὅπως τὴν προσηγορίαν αὐτῶν ἕκαστος εἴληφε, καὶ ἅπερ καθἕκαστον αὐτῶν τοῖς Ῥωμαίοις πάλαι παρατετήρηται.

Es scheint mir notwendig zu sein, über die Monate zu sprechen: woher und wie jeder von ihnen seinen Namen erhielt und welche religiösen Bräuche die Römer in jedem von ihnen beachteten.

Lyd. mens. II.1 Wünsch

Als erste Aufgabe des Werkes bestimmt Lydos einerseits die Erörterung der originären Umstände, die zur Benennung der Monate geführt habe, andererseits die Darlegung der altrömischen religiösen Observanzen in ihrer stiftenden Begründung. Seine Ausführungen zielen damit auf die Erhellung der ursprungsgebundenen Kausalitäten der behandelten historischen Sachverhalte. Diese werden in der Regel durch die Methoden der Etymologie und Aitiologie entschlüsselt, was sich auf der sprachlichen Ebene in einer Fülle entsprechender Kausalaussagen äußert (z. B. ἐκ τοῦ πράγματος … ὠνόμασαν: mens. III.23 Wünsch). Lydos’ ausgeprägte Zitierfreudigkeit gibt zu erkennen, dass diese charakteristische Vorgehensweise bereits in den Quellen angelegt war, aus denen er seine Informationen über den römischen Kalender entnommen hatte. Dies lässt sich exemplarisch zu Beginn des vierten Buches zeigen, das mit der Behandlung des Gottes Ianus beginnt: Die eingangs gestellte Grundfrage begrenzt den thematischen Horizont erwartungsgemäß auf die Charakterisierung des Gottes, so wie ihn sich die Alten vorgestellt haben (τίς τε ἄρα ἐστὶ καὶ τίς ἡ περὶ αὐτοῦ δόξα γέγονε τοῖς ἀρχαίοις [„wer er ist und welche Vorstellung die Alten von ihm hatten“]: mens. IV.1 Wünsch). Es folgt ohne unmittelbar erkennbare Systematik eine lange Liste von Exzerpten aus Varro, Messalla, Gavius Bassus, Fonteius und Cornelius Labeo, in denen alternierend die kultischen Epitheta, die Etymologie des Namens, verschiedene Darstellungsarten und mögliche Deutungen des Gottes dargelegt werden (mens. IV.1–2 Wünsch). Das konsequent durchgeführte Prinzip der Mehrfacherklärung bietet der Leserschaft zwar einen zusammenfassenden Überblick über die gelehrten Meinungen, entfaltet aber keine informative Wirkung, da man am Ende nichts Konkretes über Ianus, seinen kultischen Zuständigkeitsbereich oder die römische Kultpraxis weiß.

Auch in De magistratibus erweist sich der dominante aitiologisch-etymologische Zugang als ein Traditionsgut der antiquarischen Spezialliteratur, auf die sich die Abhandlung in den magistraturspezifischen Partien stützt. Dies zeigt sich exemplarisch an den vielen Stellen, in denen Lydos direkt aus einer seiner Mittlerquellen zitiert:

Ἰούνιος τοίνυν Γρακχανὸς ἐν τῷ Περὶ Ἐξουσιῶν αὐτοῖς ῥήμασι περὶ τοῦ καλουμένου παρὰ Ῥωμαίοις κυαίστωρος·προεχωρήσαν τῇ ψήφῳ τοῦ δήμου. Τοῦλλος δὲ ὁ ῥὴξ μετὰ τούτους ἀναγκαίαν εἶναι τὴν τῶν κυαιστώρων ἀρχὴν ἔκρινεν, ὡς τοὺς πλείους τῶν ἱστορικῶν αὐτῷ τὴν τοιαύτην προαγωγὴν ἀναγράψαι καὶ μόνῳ. Ἀπὸ δὲ τῆς ζητήσεως οὕτως ὀνομασθῆναι αὐτοὺς Ἰούνιος καὶ Τρεβάτιος καὶ Φενεστέλλας εἶπον.“

Iunius Gracchanus sagt in seiner Abhandlung Über die Magistraturen über diejenigen, die in Rom Quaestoren genannt werden wörtlich: „Sie werden vom Volk gewählt. Nach diesen [Gewährsmännern] hielt König Tullius [Hostilius] das Amt des Quaestor für notwendig, wie auch die meisten Historiker ihm allein die Schaffung dieser Würde zuschreiben. Iunius Trebatius und Fenestella sagen, die Quaestoren haben ihren Namen vom Nachforschen [ζήτησις = quaestio].“

Lyd. mag. I.24.2–4

Die zitierte Passage stammt nicht aus Gracchanus, sondern aus Ulpians Fachschrift De officio quaestoris. Sie wurden aber nicht nach dem lateinischen Wortlaut übersetzt, wie ihn die Kompilatoren der Digesten vorlegen (Dig. 1.13.1), sondern in selektiv gekürzter Form.88 Die Begründer und die Funktion der Institution werden genannt. Bezeichnenderweise unterscheidet Ulpian ausdrücklich zwischen der historiographischen Tradition, die den Stifter zu identifizieren sucht, und der juristischen Tradition, die die Etymologie der Funktionsbezeichnung liefert. Wenn sich Historiographen zur Entstehung der Quästur äußern, so geschieht dies meist im Zusammenhang mit einem konkreten Gesetz oder einem Gerichtsverfahren; an keiner Stelle wird das Amt etymologisch erschlossen.89 Demgegenüber sind Etymologien römischer Ämter in rechtsgeschichtlichen Kontexten recht häufig.90 Im Vergleich mit der Vorlage fällt auf, dass Lydos im Gegensatz zu seiner gängigen Praxis in De mensibus die Mehrfacherklärung im vorliegenden Beispiel bewusst unterdrückte. Möglicherweise blieb schon bei Ulpian die erst bei kaiserzeitlichen Autoren (Plutarch, Cassius Dio) belegte Tradition ausgeklammert, die besagte, dass die Ursprünge der Quaestur nicht in der Königszeit, sondern in der Anfangszeit der Republik liegen.91

In Bezug auf das antiquarische Modell erhielt der Erwartungshorizont der zeitgenössischen Rezipienten entscheidende Impulse durch das Inhaltsverzeichnis. Der Fragemodus, der hier die aufgespeicherten Wissensbestände erschließt, weckt Assoziationen an die antiquarische προβλήματα-Literatur und deutet an, dass trotz der chronologischen Gesamtdisposition der Blick nicht auf ein historisches Kontinuum im Sinne einer Entwicklungsgeschichte gerichtet ist, sondern stets auf ein isoliertes Vergangenheitswissen zielt. Die ins Zentrum gerückte Fragestellung nach dem „Warum“ (διὰ τί; τίνος χάριν), „Wann“ (πότε) und „Was“ (τί ἐστι) spiegelt anschaulich den erkenntnistheoretischen Horizont des antiquarischen Denkmodells, das dem Traktat letztlich zugrunde liegt.92

4.2.4 Ergebnis

Das Werk des Iohannes Lydos setzt ganz offensichtlich dieselben heuristischen und hermeneutischen Operationsmodi fort, die einerseits in den Fragmenten antiquarischer Fachmonographien aufscheinen, andererseits von Autoren wie Plutarch, Gellius und Macrobius auf unterschiedliche Weise literarisch umgesetzt wurden und sich auch in enzyklopädischen Sammelwerken wie Solinus’ Collectanea rerum mirabilium oder Isidors Etymologiae niedergeschlagen haben. Dieser Analogieschluss ist vor allem deshalb wichtig, weil anhand von De mensibus und De magistratibus die Phänomenologie und die Funktionsweise des antiquarischen Denkmodells am Beispiel zweier überlieferter Fachmonographien nachvollzogen und analysiert werden können. Trotz der herausgestellten Eigenheiten, die erneut deutlich machen, dass jede antike Fachschrift über eine eigene auktoriale Programmatik verfügt und in spezifischen situativen Produktions- und Rezeptionszusammenhängen steht,93 lassen sich auf dieser Grundlage zumindest in methodischer Hinsicht bestimmte überzeitliche Charakteristiken postulieren. Dazu gehört neben einer an fachwissenschaftlichen Mustern orientierten Komposition und Darstellungsform in erster Linie die systematische Erhellung der hinter den behandelten Sachverhalten liegenden ursprungsgebundenen Kausalitäten, die durch die Verfahren der Etymologie und Aitiologie aufgeschlüsselt werden.94

Allerdings zeichnen sich zumindest in Ansätzen auch diachrone Differenzen ab, die weniger mit Lydos’ Intentionen als mit seiner kompilierenden Arbeitsweise zusammenhängen. So dürfte die fehlende Berücksichtigung dokumentarischer Überreste und Belege, deren authentifizierende Funktion in der antiken Reflexion über die Anfänge der Münzprägung eine wichtige Rolle spielte (siehe oben Kap. 2.3.), mutmaßlich mit Lydos’ kaiserzeitlichen Quellen zusammenzuhängen. Im Zuge der kaiserzeitlichen Kompilationen der spätrepublikanischen und augusteischen antiquarischen Spezialschriften und Synthesen scheint nämlich ein Großteil derartiger wissenschaftlicher Authentifizierungen verloren gegangen zu sein (siehe unten Kap. 6.3.2.). Tragen Lydos’ Schriften in dieser Hinsicht also gleichsam die wissensgeschichtliche Signatur der Kaiserzeit, so ist die Deixis auf die Stadtlandschaft Roms, die in justinianischer Zeit einen klaren Anachronismus darstellen musste, demgegenüber ein klares zeittranszendentes Merkmal der republikanischen und augusteischen Literatur. Lydos’ Werke erscheinen somit als hybrides Produkt eines komplexen, vielschichtigen Wissenstransfers. Insofern kann ihnen nur eine eingeschränkte Modellfunktion für die literaturgeschichtliche Rekonstruktion des antiquarischen Schrifttums zugeschrieben werden.

1

Zum hier verstandenen Begriff der Fachliteratur siehe oben S. 5 und unten S. 144 f.

2

Rawson 1985, 233–249 hat die antiquarische Literatur (wie auch die Geschichtsschreibung) in ihrer Darstellung des spätrepublikanischen Geisteslebens unter die artes aufgenommen.

3

Hierher gehören besonders auch jene Bereiche der Religion, die nicht vom Rechtsdiskurs abgedeckt werden.

4

Zur Öffnung der Historiographie gegenüber anderen Gattungen siehe u. a. Marincola 1999 und die Beiträge in Levene/Nelis 2002.

5

Gegen die Eingliederung in die Fachliteratur äußerte sich zuletzt Sehlmeyer 2009, 57, jedoch ohne eine Begründung dafür anzuführen. Zur Polymorphie der griechisch-römischen Fachliteratur siehe exemplarisch Fögen 2009, 19.

6

Proömien und programmatische Aussagen: Einschlägig sind Varro Ant. rer. div. I frgg. 1–5 Cardauns (siehe zu frg. 2a unten S. 387–390) und Fest. p. 242, 28–244, 1 Lindsay (über seine Exzerpierung von Verrius Flaccus’ De verborum significatu). Ob es solche proömialen Aussagen in jedem Fall gegeben hat, ist nicht unbedingt gesagt, kaiserzeitliche Kompilationen scheinen häufig medias in res gegangen zu sein. Siehe dazu mit Beispielen aus der Paradoxographie Schepens/Delcroix 1996, 426–427.

7

Hilfreich ist die Sammlung der Vorreden lateinischer Fachtexte von Santini/Scivoletto/Zurli 1990–1998; zu den Juristen siehe die Appendix bei Mantovani 2018, 241–284; aufschlussreich für die Leserlenkung sind die praefationes von Plinius und Gellius. Siehe dazu Schröder 1999, 49–60 und Fögen 2009, 205–215; zu Plinius auch Sinclair 2003.

8

Ein Beispiel ist die Schrift De re militari des Tarruntenus Paternus, bei der es sich nicht (wie bei Vegetius’ Epitoma rei militaris) um eine Darstellung des römischen Kriegswesens handelte, sondern um eine juristische Abhandlung über Kriegsrecht (vgl. Dig. 49.16.7). Siehe unten S. 423. Anders als bei Dramen oder Epen ist bei Prosatexten aus moderner Perspektive generell schwer zu entscheiden, was Titel und was Themenangabe sein soll. Grundlegend zu Werktiteln und Überschriften in antiker Literatur ist Schröder 1999 (zu den Fachtexten 93 ff.); zu römischen Paratexten im Allgemeinen siehe die Beiträge in Jansen 2014.

9

Inhaltsangaben dieser Art können vom Autor in den ersten Satz eingebunden werden, vgl. Cic. nat. deor. 1.1: perobscura quaestio est de natura deorum.

10

Sinnius Capitos De antiquitatibus libri dürfte kaum der originale Titel gewesen zu sein. Hieronymus (Hebraicae Quaestiones in Gen. 10.5 ed. P. de Lagarde, CCSL 72 (1959), 12,10–11) scheint hier (aufgrund der Thematik und/oder des enzyklopädischen Zugriffs?) eine Nähe zu Varros Antiquitates implizieren zu wollen: legamus Varronis de antiquitatibus libros et Sinnii Capitonis. Siehe dazu unten S. 369.

11

Zum Beispiel Macr. Sat. 3.6.14: Veranius pontificalium eo libro quem fecit de supplicationibus; ferner das Explicit zu Buch 4 von Varros De lingua Latina in Cod. Flor. Laur. Plut. 51,10, fol. 1r, wo Autor, Werktitel, Buchtitel, Adressat und Buchnummer genannt werden: M. Terenti Varronis de lingua latina de disciplina originum verborum ad Ciceronem liber IIII explicit. Incipit liber V. Bei den Antiquitates gibt Gellius teils nur die Buchnummer, teils auch dessen Titel an: z. B. Gell. 13.12.5: in M. Varronis rerum humanarum uno et vicesimo libro; Gell. 1.25.1: M. Varro in libro humanarum, qui est de bello et pace. Für weitere Beispiele siehe Schröder 1999, 27–28. Auch zu Senecas Quaestiones Naturales sind einzelne Rollentitel überliefert: Buch 6: de terrae motu, Buch 7: de cometis. Bei Plinius’ Historia naturalis können bestimmte Themenbereiche mehrere Bücher umfassen; ebenso in Varros Antiquitates, z. B. De temporibus (= Ant. rer. hum. XIVXIX). In rust. 1.1.11 nennt Varro die Themen der drei geplanten Bücher; auch bei Vitruv wurde pro Buch ein Thema behandelt, einzelne Themen-Titel sind anzunehmen, aber nicht bezeugt. Zum Problem von Suetons Pratum siehe unten S. 475–480.

12

Vgl. z. B. die Libri de dis des P. Nigidius Figulus oder die Res Romanae des C. Clodius Licinus (cos. 4 n. Chr.). Zu diesen Schriften siehe unten S. 287–289 bzw. 369 Anm. 492.

13

Zum Beispiel: Gavius Bassus, Commentarii de origine verborum et vocabulorum; P. Nigidius Figulus, Commentarii grammatici; M. Verrius Flaccus, Commentarii fastorum; L. Caesellius Vindex, Commentaria lectionum antiquarum; Velius Longus, Commentarium de usu antiquae lectionis. Aus der Jurisprudenz: Sext. Aelius Paetus Catus, Commentaria tripartita; M. Antistius Labeo, De iure pontificio commentarii. Gellius nennt seine Noctes Atticae üblicherweise commentarii, vgl. Vardi 2004, 162–164; Heusch 2011, 54–56. Zur Bedeutung von commentarius als einer historiographischen Gattung siehe u. a. Rüpke 1992 und zusammenfassend Smith 2018, 118; zur Diskussion über die Differenzierung zwischen libri und commentarii der Priesterkollegien (libri = generelle Vorschriften zum ius sacrum; commentarii = responsa und decreta) siehe Sini 1983 sowie zusammenfassend Lehne-Gstreinthaler 2019, 55 ff.

14

Nach dem Vorbild von König/Woolf 2013, 1–20 wird hier und im Folgenden „enzyklopädisch“ nicht im Sinne eines realen universalistischen Überblicks über die Gesamtheit des menschlichen Wissens verstanden, sondern im Sinne eines implizit oder explizit suggerierten Anspruchs auf erschöpfende Vollständigkeit innerhalb eines oder mehrerer Wissensbereiche. Vgl. König/Woolf 2013, 7: „That rhetoric [of encyclopaedism] focuses above all on comprehensiveness. The Ideal was to present a total coverage of the whole of what was knowable, or at least the whole of what was knowable about a particular subject […].“ Diesen Anspruch hat in der Antike ein breites Spektrum von Texten erhoben, Umfang und Geltungsbereich waren dabei sekundär. Bezeichnend ist L. Ampelius, der für seinen Freund Macrinus ein einbändiges Wissenskompendium (in 62 Teubner-Seiten) schrieb, worin dieser „über alles“ unterwiesen wird: Volenti tibi omnia nosse scripsi hunc librum memorialem, ut noris quid sit mundus, quid elementa, quid orbis terrarum ferat, vel quid genus humanum peregerit (Ampel. praef.).

15

Einen guten Einblick in die Fülle der Darbietungsformen römischer Fachliteratur bietet anhand der grammatischen Texttypen Ax 2006c.

16

Fuhrmann 1960, 69–78 und 163–169; Skydsgaard 1968, passim; Rawson 1991, 324–351; Ax 2006b, 183.

17

Vgl. Tert. spect. 5.8: qui quos quem [coni. Wissowa; codd. quoque] per ordinem et quibus idolis ludos instituerint, positum est apud Suetonium Tranquillum vel a quibus Tranquillus accepit. Siehe dazu unten S. 448–452.

18

Richter 1978.

19

Plin. nat. praef. 33 betont hier wohl eine Innovation. Zu Cato siehe Fuhrmann 1960, 157–159; zu den Gliederungsmitteln in lateinischen Fachtexten Schröder 1999, 93–159 (107 f. zu Valerius Soranus). Zu den libri Ἐποπτίδων siehe unten S. 261–363.

20

Dig. 1.2.2.(41): Post hos Quintus Mucius Publii filius pontifex maximus ius civile primus constituit generatim in libros decem et octo redigendo. Der Bericht stammt aus dem einzigen bezeugten rechtsgeschichtlichen Traktat Roms, dem Enchiridion des Pomponius (um 130/140 n. Chr.). Siehe dazu u. a. Frier 1985, 155 ff.; Wieacker 1988, 597–599; Wibier 2014, 62–65 (mit weiterführenden Gedanken zur Struktur römischer Rechtsbücher).

21

Die Fragmente sind gesammelt in GRF pp. 57–58 (alle aus Festus). Ein Zeugnis bietet Varro ling. 7.2: Aelii hominis in primo in litteris Latinis exercitati interpretationem carminum Saliorum videbis et exili littera expeditam et praeterita obscura multa.

22

Fragmente: GRF pp. 427–429; Bremer 1, 263–266.

23

Zu diesen Texten siehe Sini 1983; Rüpke 1993 und Scheid 2006 sowie die Beiträge in Moatti 1998, 7–122. Einen Auszug aus den Protokollen der Pontifices bietet Macr. Sat. 3,13,10–12; ein Beispiel eines Dedikationsprotokolls mit Wiedergabe des priesterlichen Dedikationsspruches liefert die sog. Tempelurkunde von Furfo (CIL IX, 3513). Für eine Quellensammlung der Kultsatzungen siehe Rohde 1936. Die klaren Trennlinien zur antiquarischen Fachliteratur werden verwischt, wenn – wie in der heterogenen Sammlung, die Preibisch 1874 und Preibisch 1878 zusammenstellt – Alltagspraktisches und Pontifikalrechtliches neben antiquarischen Erläuterungen aufgeführt werden. Zur Diskussion siehe unten S. 233 f., 282–285 und 295 f.

24

Diese entscheidende Differenzierung unterbleibt in den einschlägigen Untersuchungen von Momigliano 1984; Rawson 1985, 298–316; Sehlmeyer 2009; MacRae 2016; MacRae 2017b. Siehe dazu die Ausführungen unten S. 282–285. Zu Tages und Clodius Tuscus siehe Macías Villalobos 2010 und Lehoux 2007, 357 ff.; zum tonitruale des Nigidius Figulus in der Überlieferung von Lydos’ De caelestibus signis Turfa 2012; zu Umbilicus Melior Briquel 1995. Welchem Gattungstyp Ciceros verlorene Schrift De auguriis angehörte, ist nicht mehr ersichtlich.

25

Fragmente bei Bremer 1, 262. Zum Texttyp der indigetamenta vgl. Serv. Verg. georg. 1.21: nomina haec numinum in indigitamentis inveniuntur, id est in libris pontificalibus, qui et nomina deorum et rationes ipsorum nominum continent. Siehe dazu Wissowa 1912, 37 und 397. Vom selben Autor stammt ein Kommentar De iure Papiriano zu einer Sammlung pontifikaler Kultsatzungen, vgl. Dig. 50.16.142. Siehe dazu Wieacker 1988, 308–309 und 533.

26

Die bekannte Episode berichtet Cic. nat. deor. 2.10–11, vgl. ferner Cic. div. 1.33 und 2.74; ad Q. fr. 2.2.1; Val. Max. 1.1.3. Siehe dazu Linderski 1986, 2160–2161 und Rüpke 1990, 32–33, der wohl zu Recht von einer gelehrten Fachschrift ausgeht. Dass Gracchus Aufzeichnungen (commentarii) aus dem priesterlichen Archiv oder Abschriften davon nach Sardinien mitgeführt hatte, ist dennoch nicht völlig auszuschließen.

27

Vgl. Cic. Cluent. 141; de orat. 2.223–224. Zu seiner Person siehe HLL 1 § 194.6. Zur Tradition dialogischer Elemente in der antiken Fachliteratur siehe Föllinger 2005.

28

Zur innovativen, wahrscheinlich auf Varro zurückgehende Gattungsform siehe Dahlmann/Heisterhagen 1957; Zucchelli 1981, 19–27; zum Tubero de origine humana und zum Curio de cultu deorum siehe unten S. 285 bzw. 342–344.

29

Siehe dazu die Diskussion unten S. 455–466.

30

Zum Beispiel: Cic. nat. deor. 2.62; 3.39; 3.45; Pausan. 1.34.2; Hygin. fab. 224.

31

Das in der Antike beliebte Genre hat in der Moderne eine ähnlich negative Abgrenzung zur Historiographie erfahren wie das Phänomen des Antiquarianismus („Parasitengewächs am Baum der historischen Literatur“ usw.); siehe dazu Schepens/Delcroix 1996, 377 ff. Zum Genre und ihren Vertretern siehe unten S. 178 mit der in Anm. 2 zitierten Literatur.

32

Vgl. z. B. Lysimachos’ Συναγωγὴ Θηβαικῶν παραδόξων sowie die αἰτία in Antigones, mir. 12 und 15a. Varros Logistoricus Gallus Fundanius de admirandis führte neben zoologischen und botanischen Paradoxa auch eine Kategorie „Erfindungen“ (εὑρήματα). Die Bedeutung, die Varro den „Ursprüngen“ für die Erklärung der Wunder beimaß, geht aus Isid. orig. 11.3.1 hervor: Portenta esse Varro ait quae contra naturam nata videntur, sed non sunt contra naturam, quia divina voluntate fiunt, cum voluntas creatoris cuiusque conditae rei natura sit. Zu Kallimachos und Philostephanos siehe unten Kap. 5.2.

33

Zum Beispiel Ov. met. 6.313–381 (Verwandlung der lykischen Bauern), eingeleitet durch den Hinweis auf den wundersamen Charakter der Geschehnisse (319 f.): res obscura quidem est ignobilitate virorum, / mira tamen. Siehe dazu Myers 1994, 83–90.

34

Die gattungsspezifische Zuordnung und Funktion dieser Schriften sind in der Forschung umstritten. Diskutiert wird ihre Zugehörigkeit sowohl zur Fachliteratur wie zur Historiographie. Für De magistratibus siehe die Synthese bei Dubuisson/Schamp 2006, I.1: cxviii–cxix.

35

Einführungen in Leben und Werk bieten Bandy 1983, ix–xxxviii; Bandy 2013, 1–29; Maas 1992, 28–37; Treatgold 2007, 258–264; Dubuisson/Schamp 2006 I.1: xiii–lxxvi; Hooker 2017, vi–xii.

36

Für die Details der Textgeschichte siehe die Einleitungen der Editionen von Hase 1837; Wachsmuth 1897; Wünsch 1898; Bandy 2013, Introduction, 29–41; Dubuisson/Schamp 2006, I.1: lxxxiv–cxv und II.2: dccxli–dcclxviii sowie Hooker 2017, xxx–xlvi. Textkritische Ergänzungen zu De mensibus bietet Zingg 2019; Zingg 2020a; Zingg 2020b; Zingg 2021. Eine Chronologie der Schriften bietet Phocas, Bibliotheca Codicum 180; anders urteilt die Forschung seit Wünsch 1903, v–vi; siehe dazu zuletzt Hooker 2017, xx–xxi mit der einschlägigen Literatur.

37

So in der neuen Edition von Domenici/Maderna 2007. In der Forschung wird die Schrift allerdings zumeist mit dem technisch irreführenden Titel De ostentis bzw. De portentis zitiert.

38

Ausgeführt anhand zeitgeschichtlicher Beispiele im Proömium. Siehe dazu Maas 1992, 107–109. Dass er sich im Einzelnen regionaler Abweichungen bewusst war, zeigt seine Anmerkung am Schluss des brontoskopischen Kalenders des Nigidius Figulus, worin darauf hingewiesen wird, dass der Verfasser diesem keine allgemeine Gültigkeit zugestanden hatte (De cael. sign. 38): Ταύτην τὴν ἐφήμερον βροντοσκοπίαν ὁ Νιγίδιος οὐ καθολικὴν ἀλλὰ μόνης εἶναι τῆς Ῥώμης ἔκρινεν.

39

Programmatisch in De cael. sign. 4: Σπουδὴ δὲ ἡμῖν ἐστὶν εἰπεῖν περίοὐχ ὥστε τὰς φυσικὰς αἰτίας ἢ τὰ περὶ τούτων εἰπεῖν θεωρήματα (φιλοσόφοις γὰρ δὴ τὰ περὶ τούτων ἀνείσθω), ἀλλεἴ πως οἷόν τέ ἐστιν ἐκ τούτων δὴ τῶν διοσημειῶν τὴν τῶν ἐσομένων ἴσως προμανθάνειν ἀπόβασιν. In der Fachliteratur wird der Traktat der antiquarischen Literatur zugeschrieben, so etwa von Agnosini 2018, 925. Maas 1992, 107 bezeichnet die Schrift zwar als „a straightforward compilation of astrological works“, qualifiziert sie in Bandy 2013, xvii aber als „antiquarian treatise“. Zur antiken Parapegma-Literatur siehe Rehm 1941; Lehoux 2007.

40

Eine nützliche Liste der in Lydos’ Schriften bezeugten Autoren bietet Maas 1992, im Appendix auf S. 119–137.

41

mens. IV.22; IV.64; IV.86; IV.144 Wünsch. Zu dieser Schrift siehe unten S. 250–253.

42

mens. I.21; III.10; IV.1; IV.25 Wünsch (= frg. 2–4 und 6 Mastandrea). Zu dieser Schrift siehe unten S. 443–446.

43

mens. IV.2; IV.53; IV.135; IV.143; IV.154 Wünsch (= frg. 76–79 Cardauns). Zu den expliziten Verweisen auf Varro in Lydos siehe Flintoff 1976. Zu dieser Schrift siehe unten S. 355 f.

44

mens. IV.2 Wünsch. Zu dieser Schrift siehe unten S. 287.

45

mens. I.37; IV.80 Wünsch. Zu dieser Schrift siehe unten S. 293 f.

46

Zu diesen Schriften siehe unten S. 446–448.

47

Es handelt sich wohl um dieselbe Schrift, die Macr. Sat. 1.9.14 nennt. Die dort zitierte Passage ist hinsichtlich des Sprachstils und des Tons schwerlich der römischen Fachliteratur zuzuordnen. Es könnte sich um einen Auszug aus einer Rede handeln.

48

Dasselbe gilt mutatis mutandis für die Schrift De caelestibus signis, die gleichermaßen Zeugnis ablegt von einer heute verlorenen Fachliteratur über das römische Vorzeichenwesen. Erwähnt werden Tarquitius Priscus’ Ostentarium Tuscum (c. 2), die Carmina des Tages in der Überlieferung des Nigidius Figulus (c. 27–38), Fonteius’ Tonitruale (c. 39–41), Cornelius Labeos Fulgurale (c. 47–52), Vicellius’ Περὶ σεισμῶν (c. 55–58).

49

Für die geschichtlichen Kontexte bediente er sich teils direkt, teils indirekt einer Auswahl aus der griechisch-römischen Historiographie. Namentlich zitiert werden u. a. Thukydides (III.46); Cato d. Ä. (I.2; I.5; I.47); Cornelius Sisenna (III.74); Sallust (Praef.; III.8); Caesar (III.32); Cornelius Nepos (III.63); Diodorus Siculus (I.47); Cassius Dio (I.7); Eusebius von Caesarea (I.2) und Aurelius Victor (III.7). Für die magistratischen Paraphernalia zitiert er aus Aemilius Lepidus’ Περὶ ἱερέων (I.17 über die Tracht der Patrizier). Zu den Quellen von De magistratibus siehe Dubuisson/Schamp 2006, I.1: cxxxiv–ccviii.

50

mag. praef.: ὅτι δὲ καὶ Γρακχανός τις πάλαι περὶ τούτων ἔγραφεν, ἴσμεν τοὺς νομογράφους ἀναφέροντας· οὐδαμοῦ δὲ τὰ γραφέντα φέρεται ἴσως αὐτά, πάντως δὲ καὶ αὐτὰ τοῦ χρόνου τεκόντος ἅμα καὶ κρύψαντος. Die Stelle beruht auf Dig. 1.13.1 praef.: Ulpianus libro singularis de officio quaestoris: Origo quaestoribus creandis antiquissima est […]. In I.24 wird nach einer Passage aus Gracchanus’ De potestatibus die Quelle benannt (= Dig. 1.13.1): ταῦτα μὲν ὁ Ἰούνιος, ὁ νομικὸς δὲ Οὐλπιανὸς ἐν τῷ De officio quaestoris, ἀντὶ τοῦΠερὶ τῆς τοῦ Κυαίστωρος Τάξεως⟩, περὶ κυαίστωρος ἀποχρώντως διαλέγεται.

51

Entweder hat also Lydos die Quellenangabe Pomponius liber singulari enchiridii zu Beginn von Dig. 1.2.2 übersehen oder in der Vorlage, die er benutzte, fehlte diese Angabe.

52

Eine konzise Zusammenfassung der Forschungsdebatte bietet Dmitriev 2018; allgemein zu den Lateinkenntnissen in der griechischen Welt siehe Rochette 1997.

53

So glaubte er, dass Fenestella von Varro zitiert wurde (III.74) oder dass Capito (sofern hier der Jurist Ateius Capito und nicht Grammatiker Sinnius Capito gemeint ist) zu den Quellen Varros gehörte: Dubuisson/Schamp 2006, I.1: clxv–clxi.

54

Zum Beispiel: Hooker 2017, xxx: „a ‚compiler‘ more than anything else.“

55

Zur politischen Dimension siehe Maas 1992; Kelly 2004; Pazdernik 2005; Kaldellis 2005; Dubuisson 2006; Dmitriev 2010; Dmitriev 2015; Kruse 2015; zur religiösen Dimension Tóth 2017.

56

Vielleicht zu pointiert ist Tóth 2017, 60 Anm. 6: „The De magistratibus with its highly personal and subjective tone can be regarded as an early example of the memoir-literature under the mask of an antiquarian work.“

57

Siehe zur folgenden Diskussion Dubuisson/Schamp 2006, I.1: cxxi–cxxv.

58

Angedeutet bereits in mag. II.22. Dass das Kapitelverzeichnis aus der Zeit Justinians stammt, zeigt der Eintrag zu II.13, in dem der Herrscher gehuldigt wird. Dies hat Bandy 2013, 24–25 zur Annahme bewogen, dass Lydos während der Arbeit die ursprüngliche Einteilung in zwei Bücher aufgegeben und ein drittes Buch hinzugefügt habe, ohne dabei das Kapitelverzeichnis entsprechend zu redigieren.

59

Zum Beispiel fehlt in mag. I.1–6; 9–13 die Rubrizierung vollständig; die Erläuterung der Magistraturen in mag. I.14–29 wird durch zwei Überschriften unnötig durchbrochen (mag. I.19 und 21), dafür sind die Ausführungen über das Konsulat (mag. I.30) zwar rubriziert, aber weder nummeriert noch im Kapitelverzeichnis aufgeführt. Siehe dazu Bandy 2013, Introduction, 24–25; Dubuisson/Schamp 2006, I.1: cxxiii–cxxiv. An einigen Stellen ohne Rubrizierung findet sich in der Handschrift eine vergrößerte Initiale, die den Beginn eines neuen Kapitels anzeigt, so etwa in mag. I.43; I.45; III.11, siehe Dubuisson/Schamp 2006, I.2: 53 Anm. 153.

60

Der Rekonstruktionsversuch von Bandy 2013, der von demjenigen von Wünsch recht stark abweicht, zeigt etwa folgende Inhalte: Euander bringt das Alphabet nach Italien, dessen Erfinder sind die Phönizier (c. 2–3); König Erulus hatte drei Seelen (c. 4); das italische Mädchen Circe gibt dem circus seinen Namen und baut den ersten Hippodrom; Etymologie von mapparius; Romulus baut einen Hippodrom und führt die Farben der Rennwagen ein (c. 6); Aeneas kommt nach Italien; Etymologie von opicare (c. 7); astrologische Konstellation der Gründung Roms; Romulus bestimmt den März als Jahresbeginn πρὸς τιμὴν Ἄρεος (c. 8); Lunarkalender und 10-Monats-Jahr unter Romulus (c. 9); Numa führt den 12-monatigen Lunisolarkalender ein; Etymologie von nummus (c. 10–11); Numa führt die königliche trabea und das Amt des praetor urbanus ein; Etymologie von blatta (c. 12); Numa führt die Vestalinnen ein (c. 13); die Priester der Alten schnitten das Haupthaar mit Bronzescheren (c. 14).

61

Dubuisson/Schamp 2006, I.1: lxxxv–lxxxvi.

62

So stehen etwa im Monat März (mens. IV.33–63 Wünsch) die neun Planeten und nicht die römischen Festtage im Fokus der Erörterung. Die Berücksichtigung astrologischer Konstellationen gehörte durchaus zur Tradition römischer Fasti-Kommentierung, in Ovids Fasti ebenso wie in Macr. Sat. 1.12.2 ff.

63

Zum Beispiel im ersten Buch die Exkurse über römische Schildtypen (mag. I.10–11), über die römischen tituli (mag. I.19), über das römische Namenswesen (mag. I.21–23), über das römische Theaterwesen (mag. I.40–41) und im dritten Buch über einen speziellen Speisefisch (mag. III.63) und ein sinnliches Frauengewand (mag. III.64).

64

So ist die Dichotomie zwischen Königzeit und Republik innerhalb des ersten Buches nicht eigens gekennzeichnet, ersichtlich nur aufgrund eines summarischen Resümees (mag. I.29) und der folgenden Rubrizierung Περὶ τῆς ὑπατείας καὶ τῶν ἐν αὐτῇ ἐπισήμων.

65

Metatextliche Äußerungen und auktoriale Bemerkungen (ohne explizite Quellenverweise und ohne die autobiographische Passage III.26–30) finden sich an folgenden Stellen: mag. I.1; I.2; I.15; I.22; I.23; I.25; I.31; II.14; II.19; II.43; III.1; III.17; III.25; III.39; III.43; III.48; III.49; III.57; III.58; III.63; III.65. Der Abschluss eines thematischen Blocks findet sich in: I.12 (Armee unter Romulus); I.19; I.29 (Magistraturen der Königszeit); I.49 (alle Magistraturen vom Beginn der Republik bis Kaiser Titus); II.27 (Magistraturen von Romulus bis Kaiser Anastasius); III.22 (officia im Dienst des Praefectus praetorio); III.37; III.71. Thematische Ankündigungen finden sich in: I.7; I.15; II.11; II.14 (nicht eingelöst); II.17; II.18; II.22 (nicht eingelöst); III.11; Rückverweise (ὡς οὖν ἔφην o. ä.): II.6; II.7; II.9; II.13; II.29; III.3; III.9; III.16. Siehe dazu Dubuisson/Schamp 2006, I.1: cxxix–cxxxi. Metatextliche Äußerungen finden sich auch in De mensibus, siehe dazu Zingg 2020b.

66

Diese Selektion entspricht – entgegen der modernen Einordnung in das konstitutionelle Staatssystem (vgl. Mommsen 1952, II: 18–73) – wohl einer antiken Realität. Siehe dazu Rüpke 2002 und Rüpke 2011.

67

Die Insignien des Reiterführers werden erst bei den Insignien des Gardepräfekten behandelt (mag. II.14 ff. bes. 19). Dies hat zunächst innere Gründe, da gemäß Lydos die Funktion des Reiterführers auf das Amt des Gardepräfekten übergegangen ist.

68

Der Umgang dieses Abschnitts würde hier einen neuen Buchanfang rechtfertigen. Mit Ausnahme des langen ersten Buches stünden sich dann drei fast gleich große Blöcke gegenüber: mag. II.1–30 – III.1–38 – III.39–76, vgl. Dubuisson/Schamp 2006, I.1: cxxxii. Zur tendenzhaften Darstellung siehe Dubuisson/Schamp 2006, I.2: dcxxxvii–dclv.

69

PLRE 3A, 627–635. Siehe dazu Dubuisson/Schamp 2006, I.1: clxx–clxxxix.

70

So der Vorschlag von Kelly 2004, 57, der vermutet, dass der verlorene Schluss Iohannes’ Hochverratsanschuldigung und Absetzung 541 n. Chr. behandelt haben könnte.

71

Siehe dazu aber unten S. 439–441.

72

Die antiken Traktate unterscheiden sich darin grundsätzlich von den verfassungsrechtlichen Handbüchern des 19. Jhds., etwa Mommsens „Römisches Staatsrecht“ oder Schillers „Staats- und Rechtsaltertümer“.

73

Wenn es die Situation erforderte, wurden derartige Unterscheidungen durchaus getroffen. So wird etwa in Messallas De auguriis (= Gell. 13.15.4) eine Hierarchisierung der Auguralkompetenz unterschiedlicher Magistrate vorgenommen: Patriciorum auspicia in duas sunt divisa potestates. Maxima sunt consulum, praetorum, censorum; neque tamen eorum omnium inter se eadem aut eiusdem potestatis, ideo quod conlegae non sunt censores consulum aut praetorum, praetores consulum sunt. Ideo neque consules aut praetores censoribus neque censores consulibus aut praetoribus turbant aut retinent auspicia; at censores inter se, rursus praetores consulesque inter se et vitiant et obtinent. […] Reliquorum magistratuum minora sunt auspicia. Ideo illi „minores“, hi „maiores“ magistratus appellantur. Minoribus creatis magistratibus tributis comitiis magistratus ratus et iustus curiata datur lege; maiores centuriatis comitiis fiunt. Siehe dazu Humm 2012, bes. 65–73. Schon Sempronius Tuditanus hat entsprechende Differenzierungen vorgenommen, vgl. FRHist 10 F2 (= Gell. 13.15.4): Praetor, etsi conlega consulis est, neque praetorem neque consulem iure rogare postest, […] ut in commentario tertio decimo C. Tuditani patet, quia imperium minus praetor, maius habet consul, et a minore imperio maius aut maiori conlega rogari iure non potest. Siehe dazu unten Kap. 6.1.3.

74

Siehe zu dieser Vorstellung u. a. North 2009, 120–122.

75

Anders als Polybios im 6. Buch seiner Historien.

76

Zu einem ähnlichen Resultat ist unlängst Agnosini 2018, 929 anhand der Geschichte des Hippodroms in mens. I.12 Wünsch gelangt. Von einer „Kontamination des historischen und des systematisierenden Ansatzes“ spricht mit Blick auf Pomponius’ Enchiridion Nörr 1972, 8.

77

Vgl. mag. I.34: τὴν δὲ ἱστορίαν οἶμαι πρόδηλον εἶναι; mag. II.1: καὶ δῆλα τὰ λοιπά.

78

Siehe dazu Dubuisson/Schamp 2006, II: cclxxxv und cccxxv.

79

Wie etwa die von Justinian geschaffenen Magistraturen, die republikanische Vorbilder fortsetzen: mag. II.28–30.

80

Zum kaiserlichen Verwaltungssystem bis zur Zeit Diocletians Hirschfeld 1905.

81

mag. I.49: οὐδὲ γὰρ τῶν Δομιτιανοῦ δυοκαίδεκα πολιάρχων οὐδὲ μὴν τῶν Βασσιανοῦ τὸ ἐπίκλην Καρακάλλου νεωτερισμῶν μνήμην ποιήσασθαι συνεῖδον· τὰ γὰρ παρὰ τῶν κακῶς βεβασιλευκότων γενόμενα, κἂν ὦσι χρηστά, καταφρονείσθω. Bezeichnend ist die Auslassung des quaestor sacri palatii, eines der wichtigsten Funktionen des Dominats, siehe dazu Dubuisson/Schamp 2006, I.2: dlxxxv–dxc.

82

mag. II.27.

83

Zum Beispiel mag. III.43: τοσαῦτα περὶ τῆς ἀρχῆς ἐπιδακρύας φημί.

84

mag. I.14; II.6; II.13; II.22.

85

Siehe dazu die Diskussion der Quellen und Vorbilder bei Maas 1992, 56–66; Hooker 2017, xxii–xxxi.

86

Hooker 2017, xxix: „John’s great innovation in the use of arithmology may have been to apply this symbolism systematically to the days of the week.“

87

Zu diesen Texten Hooker 2017, xxvi mit weiterführender Literatur.

88

Dig. 1.13.1: Ulpianus libro singulari de officio quaestoris. Origo quaestoribus creandis antiquissima est et paene ante omnes magistratus. Gracchanus denique Iunius libro septimo de potestatibus etiam ipsum Romulum et Numam Pompilium binos quaestores habuisse, quos ipsi non sua voce, sed populi suffragio crearent, refert. Sed sicuti dubium est, an Romulo et Numa regnantibus quaestor fuerit, ita Tullo Hostilio rege quaestores fuisse certum est: et sane crebrior apud veteres opinio est Tullum Hostilium primum in rem publicam induxisse quaestores. Et a genere quaerendi quaestores initio dictos et Iunius et Trebatius et Fenestella scribunt.

89

Dies könnte allerdings ein überlieferungsbedingter Zufall sein. Die ausführlichste Behandlung der Geschichte der Quaestur findet sich in einem Exkurs des Tacitus in ann. 11.22: sed quaestores regibus etiam tum imperantibus instituti sunt, quod lex curiata ostendit ab L. Bruto repetita. mansitque consulibus potestas deligendi, donec cum quoque honorem populus mandaret. creatique primum Valerius Potitus et Aemilius Mamercus sexagesimo tertio anno post Tarquinios exactos, ut rem militarem comitarentur. dein gliscentibus negotiis duo additi qui Romae curarent: mox duplicatus numerus, stipendiaria iam Italia et accedentibus provinciarum vectigalibus: post lege Sullae viginti creati supplendo senatui, cui indicia tradiderat. et quamquam equites iudicia reciperavissent, quaestura tamen ex dignitate candidatorum aut facilitate tribuentium gratuito concedebatur, donec sententia Dolabellae velut venundaretur. Weitere Stellen behandelt Mommsen 1952, II.1: 523–528.

90

Zum Beispiel Pomponius in Dig. 1.2.2.(16): Exactis deinde regibus consules constituti sunt duo: penes quos summum ius uti esset, lege rogatum est: dicti sunt ab eo, quod plurimum rei publicae consulerent.

91

Plut. Publ. 12.3; Zon. 7.13.3. Livius erwähnt die Quästoren erstmals im Prozess des Sp. Cassius 485 v. Chr. (2.41.11). Zum Ursprung der römischen Quaestur aus Sicht der modernen Forschung mit Diskussion der antiken Zeugnisse siehe Pina Polo/Díaz Fernández 2019, 5–24.

92

Aus dem Inhaltsverzeichnis von mag.: β’. τίς ἡ διαφορὰ τοῦ ῥηγὸς καὶ τοῦ τυράννου καὶ τοῦ βασιλέως; καὶ Καίσαρος καὶ αὐτοκράτορος ἀξίωμα τί σημαίνει; ⟨καὶ τίτὸ κύριον ὄνομα; γ’. τί ἐστι τόγα καὶ τραβέα; διὰ τί Ῥωμαῖοι τὴν βασιλέως καθέδραν σόλιον προσαγορεύουσιν; δ’. διὰ τί τὰς λοφιάς τινες τούφας καλοῦσιν; ε’. διὰ τί τὰς ἀσπίδας σκοῦτα καὶ κλίπεα καὶ πάρμας οἱ Ῥωμαῖοι καλοῦσι καὶ τίς ἡ διαφορὰ τούτων; usw. In Plinius’ Inhaltverzeichnissen dominieren Paraphrasen mit de, indirekte Fragen finden sich aber auch; vgl. zu Buch 1: an finitus sit mundus et an unus (c. 1), cur mundus dicatur (c. 3), quare eadem altiora, alias propriora videantur (c. 13–14) usw.

93

Neben der oben erwähnten zeitpolitischen Dimension ist die Rücksicht auf das byzantinische Publikum augenfällig. Dies äußert u. a. darin, dass Lydos das römische Namensystem erläutert und in einer Liste die Herleitungen einiger römischer Namen präsentiert (mag. I.21–23).

94

Auch hinsichtlich der Darstellungsform werden Analogien sichtbar; so ist die chronologische Ordnung unter anderem bei Varro nachweisbar: vgl. Ant. rer. div. I frgg. 35–39 Cardauns (= Aug. civ. 4.23): [Romulus] constituit Romanis deos Ianum, Iovem, Martem, Picum, Faunum, Tiberinum, Herculem. […] Titus Tatius addidit Saturnum, Opem, Solem, Lunam, Vulcanum, Lucem […], Cluacinam; [addidit] Numa tot deos et tot deas […]; Hostilius […] rex deos et ipse novos Pavorem atque Pallorem propitiandos [introducit]. Ob das Referat des Augustinus hier die tatsächliche Reihenfolge der Vorlage wiedergibt, ist allerdings reine Mutmaßung. An einer die Inhalte stark verkürzenden Paraphrase ist hingegen nicht zu zweifeln.

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Antiquarianismus in Rom

2. Jhd. v. Chr. - 3. Jhd. n. Chr.

Series:  Mnemosyne, Supplements, Volume: 484