Kapitel 5 Vorgeschichte: Eine lange griechische Tradition

In: Antiquarianismus in Rom
Author:
Raphael Schwitter
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ἡ δἀρχὴ λέγεται ἥμισυ εἶναι παντός

Der Anfang ist, wie es heißt, die Hälfte des Ganzen.

Aristoteles, Politik, 1303 B 30

Angesichts einer römischen Literatur, die sich in fast all ihren Teilbereichen nach griechischen Ideen, Mustern und Vorbildern entwickelt hat, ist zu erwarten, dass auch das antiquarische Schrifttum Roms an eine lange, wenn nicht jahrhundertealte griechische Tradition anknüpfte, die heute infolge mangelnder Überlieferung weitgehend verloren ist. Auch wenn im Folgenden nur selten auf der sicheren Basis vollständig erhaltener Werke argumentiert werden kann, ist es für das Verständnis des römischen Antiquarianismus unerlässlich, die historische Entwicklung des zeitlich vorgelagerten griechischen Phänomens in einem kurzen Überblick darzustellen. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Auf die teils umfangreiche Spezialliteratur zu einzelnen Autoren wird nur in Auswahl verwiesen. Auch konnte nicht vermieden werden, dass bei der komprimierten Darstellung komplexe Zusammenhänge notwendigerweise vereinfacht werden mussten.

5.1 Von der Vorklassik bis zu den Anfängen des Hellenismus

Dass sich in der heute noch fassbaren griechischen Literatur der Antike überall Realisierungen des antiquarischen Modells finden, wird kaum überraschen, zumal die vorliegende Studie Antiquarianismus als ein ubiquitäres Phänomen beschreibt.1 Ursprungsbezogene Wissensbestände wie die Kosmogonie, die Genealogie von Göttern und Heroen, die Gründungslegende von Städten, Völkern und politischen Gemeinschaften, die Ursprungserzählungen von Institution, Bräuchen und Kulten finden sich in den Werken der griechischen Literatur seit frühester Zeit. Die für dieses Kapitel zentrale Frage, zu welchem Zeitpunkt dieses Wissen auch isoliert behandelt, das heißt literarisch in Monographien verdichtet wurde, ist aufgrund der Überlieferungssituation nur schwer zu beantworten. Ansätze dazu scheint es bereits im fünften und frühen vierten Jahrhundert gegeben zu haben, eindeutige Belege gibt es aber erst für die frühe hellenistische Zeit (siehe unten Kap. 5.2.). Das Problem ist grundsätzlich bekannt: Mit einer ähnlichen Problematik sieht sich die moderne Forschung auch bei der griechischen Thaumatographie konfrontiert. Das Interesse für Wunder (θαύματα) und Kuriosa (παράδοξα) beginnt mit Homers Odyssee und setzt sich in der historisch-ethnographischen Literatur des fünften und vierten Jahrhunderts ungebrochen fort; zu einer monographisch isolierten Darstellung als Sammlung Περὶ θαυμασίων kam es aber wahrscheinlich erst in hellenistischer Zeit.2 Die literarischen Aufzeichnungsformen antiquarischer und thaumatographisch-paradoxographischer Wissensbestände weisen einige interessante innere Parallelen auf, besonders in der quellenkritischen Dokumentation, der kompilierenden Methode und der systematischen Gliederung des Stoffes. Ein entscheidender Unterschied liegt jedoch bereits in der Wirkungsabsicht: Antiquarische Schriften wollen darstellen und erklären, die Paradoxographie will darstellen und erstaunen.3

Die Ursprungsforschung im weiteren Sinn stand in Griechenland zu Beginn des fünften vorchristlichen Jahrhunderts in unterschiedlichen Bereichen im Dienst einer spekulativ-wissenschaftlichen Welterklärung: Philosophen mutmaßten über die Entstehung der Welt, der Entwicklung der Kultur und die prinzipiellen Ursachen von Naturphänomenen, Mediziner fragten nach den Ursprüngen von Krankheiten, Historiker nach den Anfängen und Ursachen geschichtlicher Gegebenheiten.

Die philosophische Frage nach den Prinzipien und Kausalitäten, die der wahrnehmbaren Welt zugrunde liegen, wies den Weg zur naturwissenschaftlichen Ursachenforschung. Unter den naturkundlichen Schriften, die Diogenes Laertios Demokrit zuschreibt (9.46–49), finden sich eine Reihe von Werken, die sich nach „aitiologischem“ Muster der Erklärung bestimmter Naturphänomene widmeten (Αἰτίαι περὶ πυρὸς καὶ τῶν ἐν πυρί; Αἰτίαι περὶ φωνῶν; Αἰτίαι οὐράνιαι usw.). Auch die spätere Naturphilosophie, sei es die Meteorologie des Aristoteles oder die Biologie des Theophrast, hat diesen Ansatz grundsätzlich beibehalten.4 Analog zur theoretischen Naturphilosophie, und von ihr beeinflusst, wurde auch in den praktischen Wissenschaften, allen voran in der Medizin, nach Kausalitäten gesucht.5 Auch hier war der Indizienschluss ausschlaggebend: Nach der Lehre des Hippokrates sind alle Krankheiten natürlichen Ursprungs; über die beobachteten Symptome (σημεῖα) kann ein Arzt ihnen hypothetisch auf die Spur kommen. Vom Ansatz her ergaben sich dennoch nicht unerhebliche Unterschiede: Während etwa die hippokratischen Krankheitsbücher zeigen, warum bestimmte Krankheiten entstehen, ist die anonyme Schrift Περὶ φύσιος παιδίου (De natura pueri) vom Ansatz her zwar „aitiologisch“, doch wird hier vornehmlich gezeigt, wie sich die Entstehung des Menschen Schritt für Schritt gestaltet. Die eine Textgruppe fokussiert also auf das Ursache-Wirkung-Prinzip, die andere mehr auf die physiologische Entwicklung.6

Wie die Naturphilosophie und die Medizin hat sich auch die griechische Philologie seit jeher mit Ursprüngen und Ursachen befasst. Neben die Aitiologie trat hier von Anfang an das Denkmodell der Etymologie. Schon Homer und Hesiod kannten das Spiel mit der Etymologie, meist bei Eigennamen,7 spätere Dichter und Prosaiker folgten ihrem Beispiel. Neben der allegorischen Deutung, die seit Theagenes von Rhegion (6. Jhd. v. Chr.) praktiziert wurde, beschäftigte sich die philologische Dichterexegese seit ihren Anfängen mit der Erklärung von Namen, Hapax legomena und archaischen Begriffen.8

Die Philosophie hatte sich auf ihrer Suche nach Wahrheit ebenfalls der Thematik der Sprache angenommen. Mit der Frage, „ob die Benennungen selbst uns Bestätigung dafür geben werden, dass sie keineswegs nur aufs Geradewohl jedem beigelegt werden, sondern dass sie eine gewisse Richtigkeit haben“ (397a), befasste sich der platonische Sokrates im Kratylos. Im Vordergrund stand die vieldiskutierte Streitfrage, ob die Namensgebung „von Natur aus“ (φύσει) oder „durch Konvention“ (νόμῳ) vonstatten gehe; hintergründig ging es um die erkenntnistheoretische Bedeutung der Sprache im Allgemeinen. Spekulationen über die „ersten Erfinder der Worte“ (πρῶτοι τὰ ὀνόματα τιθέμοι: 401b) und die „Urworte“ (πρῶτα ὀνόματα) offenbaren die hintergründige antiquarische Fragestellung. Ein Großteil des Kratylos ist der etymologischen Entschlüsselung ausgewählter griechischer Wörter gewidmet, wobei die Ernsthaftigkeit der vorgebrachten Hypothesen angesichts der sokratischen Ironie und der Distanz zwischen antiker und moderner Linguistik nicht immer klar zu bestimmen ist.9 Die große Bandbreite zeitgenössischer Ableitungen beruht in erster Linie auf phonetischen Ähnlichkeiten, schließt aber auch nichtattische Varietäten und „barbarische“ Entlehnungen ein. Zwei Charakteristika dieser Methode, die für die spätere antiquarische Forschung kennzeichnend sein wird, finden sich bereits ausgebildet: Für Indizienschlüsse wird auf ältere, nicht mehr gebräuchliche Wortformen zurückgegriffen;10 aufgrund situativer Deutungsvarianz kommt es zu Mehrfacherklärungen.

Große Bedeutung wurde der Sprachphilosophie von den Stoikern beigemessen, in deren Schule die Etymologie zu einer methodischen Disziplin erhoben wurde.11 Die sprachphilosophischen Überlegungen der Stoa beruhten auf der Annahme, dass die Menschen in der Vorzeit die Sprache nach dem Prinzip der Lautähnlichkeit mit der Sache, die sie bezeichnete (das heißt: onomatopoetisch), geschaffen hätten. Wörter können also, wenn sie richtig interpretiert werden, das „eigentliche“ Wesen der Dinge wiedergeben, die sie bezeichnen. Damit wird die Etymologie – ungeachtet von Platons Polemik und Aristoteles’ Zurückweisung des natürlichen Ursprungs der Wörter – zu einem legitimen Mittel der Erkenntnislehre. Dieser Ansatz wurde für die spätere etymologische Praxis in Rom bestimmend, auch wenn dort das Interesse nicht primär ethisch, sondern grammatisch beziehungsweise historisch-antiquarisch motiviert war.12 Die Stoa hat wohl auch erstmals damit begonnen, Etymologien in eigenständigen Werken zu sammeln und diese als wissenschaftlichen Texttyp zu etablieren. So ist für das dritte Schuloberhaupt, Chrysippos (3. Jhd. v. Chr.), eine Schrift Über Etymologien bezeugt (Περὶ τῶν ἐτυμολογικῶν: Diog. Laert. 7.200). Lexikographische Listen, jedoch mit anderer Schwerpunktsetzung, sind für die alexandrinischen Philologen belegt (siehe unten Kap. 5.2).

Im weiten Bereich der historischen Forschung ist der Ursprungslogos seit dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert literarisch nachweisbar. Auf die epische Überlieferung konzentrierte sich Hekataios von Milet (FGrHist 1; ca. 560–480 v. Chr.), der in seinen Genealogien (Γενεαλογίαι, auch unter den Titeln Ἱστορίαι [„Forschungen“] und Ἡρωλογία [„Heldenkunde“] zitiert) den literarischen Archetyp mythischer Gründungserzählung, die Theogonie Hesiods, fortsetzte und deren Götterwelt um die der Heroen und Halbgötter erweiterte. Aus den Fragmenten geht hervor, dass er sich (zumindest ansatzweise) um eine historisierende Rationalisierung der mythischen Erzählungen bemühte, zu deren historischem Kern er vordringen wollte.13 Die Genealogie war ihm dabei ebenso ein Mittel pragmatischer Mythenkritik wie die Aitiologie und die Etymologie: in F128 verwendet er den (von der späteren Systematik so benannten) etymologischen Tropus κατὰ ἱστορίαν, wenn er den Namen einer attischen Insel auf die Trojanerin Helena zurückführt; und in F15 „beweist“ er die Erfindung des Weinbaus in Ätolien mit Hilfe der Genealogie Deukalion – Orestheus – Phytios („der Zeugende“) – Oineus; letzterer war Ätolier, von ihm trage der „Wein“ (οἴνος) seinen Namen, denn „die alten Griechen“ (οἱ γὰρ παλαιοί Ἓλληνες) hätten zur Weinranke οἴνας gesagt. Die Erfindung des Weinbaus durch dessen Ahnherrn Orestheus war zuvor Gegenstand einer aitiologischen Sagenerzählung, welche zugleich die Grenzen von Hekataios’ Mythenrationalisierung aufzeigt.

Mit der rationalen Erschließung mythischer Genealogien beschäftigte sich eine Generation später auch der Athener Pherekydes (FGrHist 3; um 470 v. Chr.), der die Stammbäume einzelner Heroen bis in seine eigene Zeit zurückverfolgte. Der menschlichen Ahnenkunde, Stadtgründungen und anderen Altertümern soll sich nach Platon auch der in verschiedenen Fachgebieten bewanderte Sophist Hippias von Elis (um 400 v. Chr.) zugewandt haben, doch ist ungewiss, ob und in welcher Form er seine Studien „des ganzen Altertums“ (πάσης τῆς ἀρχαιολογίας) niedergeschrieben hat.14 Der antiquarische Fokus seiner Studien scheint jedenfalls durch Platons Wortwahl impliziert: Es ging ihm um das Sammeln und Speichern (λογεία) von Anfängen und Ursprüngen. Hippias’ Interesse am Altertum dürfte – wie das der Sophistik am gelehrten Wissen überhaupt – in erster Linie praktisch orientiert gewesen sein und war wohl letztlich in den unmittelbaren Erfordernissen seiner Redner- und Lehrtätigkeit begründet.15 Der Beitrag der Sophisten zur Herausbildung einer antiquarischen Fachliteratur ist jedoch kaum zu unterschätzen. Für Hippias ist auch ein Verzeichnis der olympischen Sieger bezeugt (Ὀλυμπιονικῶν ἀναγραφή: Diels/Kranz 86 B3 = Plut. Num. 1.4); möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Liste und Katalog (πίναξ) in dieser Zeit als Medienformate zur Aufspeicherung und Präsentation antiquarischer Wissensbestände verwendet wurden.16 In ähnlicher Weise hatte sich schon vor Hippias der athenische Sophist Kritias (um 460–403 v. Chr.) mit den Verfassungen und Bräuchen der Hellenen auseinandergesetzt. Er schrieb in Prosa und Versen über verschiedene griechische Staatsverfassungen. Aus seinen Politeiai in elegischen Distichen haben sich Bruchstücke über die spartanische Verfassung erhalten (frg. 6 Battegazzore/Untersteiner 1962). Bemerkenswert ist eine Elegie, in der er offenbar Erfindungen verschiedener Länder katalogartig ausbreitete (frg. 2 Battegazzore/Untersteiner 1962). Bei den Prosaverfassungen zeigen die Fragmente ein Interesse an Lebensweisen, Tischsitten und Tanzspielen. Es finden sich jedoch keine Hinweise auf eine Historisierung (frg. 30–38 Battegazzore/Untersteiner 1962).

Auch in der Geschichtsschreibung der Zeit manifestiert sich das antiquarische Modell zweckgebunden: Herodot verdichtet die Hintergründe des Krieges zwischen Persern und Griechen auf die Behandlung der aitiologischen Streitfrage, wer zuerst begonnen habe (1.1–5).17 Während die politische Geschichtsschreibung seit Thukydides dazu übergegangen war, die für das Verständnis der behandelten Zeitgeschichte notwendige Vorgeschichte (ἀρχαιολογία) in einem einleitenden Abschnitt (προκατασκευή) und in gesonderten Exkursen zu behandeln,18 war die antiquarische Fragestellung auch in der umfangreichen ethnographisch-geographischen Literatur, in welcher zivilisationsgeschichtliche Aspekte generell stärkere Beachtung fanden, wohl nie mehr als ein integrativer Bestandteil. Der Ausgangspunkt von Herodots umfangreichen Logoi über Ägypten, Mesopotamien, Phönizien und die Skythen, in denen er nicht nur die politische Geschichte, sondern auch die Ursprungslegenden, Bräuche, Gesetze, Lebensweisen und Siedlungsgebiete dieser Völker behandelt, ist zudem eher deskriptiv als antiquarisch-explikativ. Diese Feststellung dürfte – wohl mit Ausnahme der kulturhistorischen Spielart, wie sie Polemon von Ilion und später Pausanias vertreten – generell auch für die umfangreiche griechische Periegesen- und Periplus-Literatur gelten, die ursprünglich als Orientierungshilfe für Händler und Kapitäne gedacht gewesen zu sein scheint, aber schon früh ethnographische und thaumatographische Berichte integrierte.19

Dass in solchen Zusammenhängen die antiquarische Fragestellung immer wieder zum Tragen kam, zeigt exemplarisch auch Herodots Ausführung über die Ursprünge des griechischen Alphabets (5.58), die neben dem etymologischen Indizienschluss auch den (bei ihm relativ häufigen) antiquarischen Vergegenwärtigungsmarker „noch in unserer Zeit“ (ἔτι δὲ καὶ τὸ κατἐμέ) enthält. An diese Stelle schließt Herodot die quellenkundliche Versicherung an, in einem Heiligtum mit eigenen Augen Inschriften mit „kadmeischen Buchstaben“ gesehen zu haben (5.59–61).20 Das Beispiel belegt, dass die antiquarische Zeichenarchäologie (Kap. 2.2.1.) in der Mitte des fünften Jahrhunderts in ihren Grundzügen bereits weitgehend ausgebildet war.21

Die antiquarische Fragestellung lag jedoch der Lokalgeschichte (FGrHist 297–607) von der Materie her näher. Diese hatte ihre Blütezeit im Hellenismus (siehe unten S. 196 f.), reicht aber in ihren Anfängen bis ins sechste oder siebente Jahrhundert zurück.22 Wie keine andere historiographische Gattung bemühte sich die Lokalgeschichtsschreibung darum, überkommene Traditionen zu erklären und gegenwärtig Erlebbares historisch zu deuten. Aus den volkstümlichen Lokaltraditionen stammte üblicherweise die in der griechischen Literatur breit bezeugte Zuweisung von Erfindungen auf bestimmte Götter, Heroen und Städte.23 In der Gattung selbst waren Kultaitien, Etymologien und Genealogien in aller Regel auf die ersten Bücher konzentriert, doch gab es schon vor der Mitte des fünften Jahrhunderts eigene Gründungsgeschichten in Prosa und Versen, etwa die Gründungsgeschichte von Chios (Χίου κτίσις) des Ion von Chios (FGrHist 392) oder Aischylos’ Tragödie über die Gründung von Aitna (frgg. 6–11 R). Um 500 v. Chr. oder früher verfasste Xenophanes von Kolophon umfangreiche Gedichte über die Gründungen von Kolophon und Elea (Diog. Laert. 9.20 = Diels-Kranz 21 A 1). Die poetische Tradition reicht jedoch noch weiter zurück. So ist unter dem Namen des Semonides aus Amorgos (7. Jhd. v. Chr.) eine Urgeschichte der Samier (Ἀρχαιολογία τῶν Σαμίων) in elegischen Distichen bezeugt.24

Ein Zeitgenosse des Thukydides, der Vielschreiber Hellanikos von Lesbos (FGrHist 4), war maßgeblich an der Herausbildung der historischen Spezialliteratur beteiligt. Von ihm sind mehrere Monographien bezeugt, in denen er Teilbereiche Herodots sowie mythologisch-genealogische Stoffe getrennt abgehandelt hatte. Hervorzuheben ist im vorliegenden Zusammenhang eine Sammlung von Gründungsgeschichten von Völkern und Städten (Κτίσις ἐθνῶν καὶ πόλεων), ferner verschiedene Abhandlungen mit ethnographisch-geographischem Schwerpunkt (u. a. Βαρβαρικὰ νόμιμα; Σκυθικά; Περσικά) sowie eine chronikartige Schrift, die sich offenbar an der Abfolge der Hera-Priesterinnen in Argos orientierte (Ἱερείαι τῆς Ἣρας).25 Zu einer Art musikgeschichtlicher Abhandlung scheinen die Karneonikai ausgestaltet gewesen zu sein, in der die an den Karneen siegreichen Sänger aufgelistet waren.26 Dass Hellanikos bei seinen Forschungen auf das Verfahren der aitiologisch-etymologischen Rückführung von Bräuchen und Heuremata zurückgriff, ist durch die Fragmente hinreichend verbürgt (F71a–c; 86; 178a; 189). Dass er dabei gelegentlich Sagen und Mythen historisch rationalisierte, zeigt ein Fragment aus seiner Troika, in der er den Kampf des Achilles mit dem Flussgott Skamandros auf sintflutartige Regenfälle zurückführt (F24).

Eine echte Monographisierung des antiquarischen Modells bieten dann die ab dem späten fünften Jahrhundert nachweisbaren Heurematographen, allen voran Simonides von Keos (FGrHist 8 T1) und Skamon von Mytilene (FGrHist 476 F 2–6). Sie scheinen erstmals in größeren Sammlungen die Kulturbringer, Stifter und Erfinder zusammengefasst zu haben, die in der älteren Literatur nur in Exkursen behandelt oder als Einzelthemen in die Erzählung integriert worden waren. Die texttypologische Rekonstruktion der aus klassischer und hellenistischer Zeit gut belegten περὶ εὑρημάτων-Schriften27 ist jedoch umstritten. Mit Blick auf die kaiserzeitliche Überlieferung geht man in der Regel von einer katalogartigen Form aus, doch ist dieser Ansatz aus methodischer Sicht fragwürdig.28 Die schwierige Frage nach den Primärquellen dieser Sammlungen, die vor allem die ältere Forschung beschäftigt hat,29 schließt einen Zweig der Wissensliteratur ein, der in einem überlieferungsbedingt schwer zu bestimmenden quellenkundlichen Verhältnis zu den selbständigen Heuremata-Schriften steht. Die Rede ist von der seit dem fünften Jahrhundert v. Chr. fassbaren Wissenschafts- oder Disziplingeschichte, in deren parallel zur philosophischen Kulturentstehungslehre verlaufenden Entwicklungsnarrativen heurematographisches Material vermutlich von Anfang an in unterschiedlichem Umfang verarbeitet war.30 Da diesen Texten im Vergleich zu den Heuremata-Katalogen in der Regel ein höheres Maß an historiographischer Reflexion zugeschrieben wird, vermutete bereits Kremmer, dass die frühen Heurematographen ihren Stoff aus diesen Fachschriften zusammengestellt hätten.31 Auf einer ähnlichen Einschätzung beruht die neuerdings vertretene These, dass Wissenschaftsgeschichte und Heurematographie seit dem späteren vierten Jahrhundert v. Chr. getrennte Wege gegangen seien, da letztere sich lediglich auf die Anfänge, nicht auf die spätere Entwicklung bezogen habe.32 Auch dieses Forschungsnarrativ beruht auf einem argumentum ex silentio, das sich aus der Rückprojektion späterer Phänomene ergibt. Es trifft zwar zu, dass die aitiologische Reflexion über die historische „Gemachtheit“ der Zivilisation zu einer Kontingenzerfahrung führen kann und daher eher die Sichtweise nahelegt, die menschliche Kultur als ein Gefüge heterogener Praktiken und nicht als das Ergebnis einer chronologischen (oder teleologisch vorgegebenen) Entwicklung zu verstehen.33 Dennoch schließen sich, wie oben argumentiert (Kap. 2.2.1.), Ursprungsforschung und Kulturgeschichte nicht kategorisch aus.

Auch die philosophischen Schulen des vierten Jahrhunderts befassten sich mit der Altertumsforschung und Fragen der Kulturentwicklung.34 Sie taten dies vornehmlich im Rahmen ihrer staatstheoretischen Reflexionen. Ihr Ansatz war dabei in erster Linie entwicklungsgeschichtlich: die Suche nach dem Idealstaat bedingte ein Interesse für die Genese staatlicher Organisationen und die Ursachen ihrer Existenz. So geht Platon im dritten Buch der Nomoi – wie später nach seinem Vorbild Cicero im zweiten Buch von De legibus – den Ursprüngen der menschlichen Rechtsgemeinschaft auf den Grund. Das antiquarische Modell findet sich in Platons weiteren Schriften aber nur beiläufig realisiert. Im Protagoras (320c–323c) lässt er diesen Sophisten den Mythos von der Entstehung der Kultur erzählen. Dabei geht es um die sophistische These von der Erlernbarkeit der Tugend. Die Erfindungen der Menschen gehen nach der Ansicht des Protagoras ebenso auf göttliche Gaben zurück wie ihr Sinn für Gerechtigkeit und Ehrfurcht. Während die Künste aber von Prometheus ungleich verteilt worden seien, hätte Hermes nach Zeus’ Ratschluss die moralischen Vorzüge allen Menschen in gleicher Weise zuteilwerden lassen. Daraus schließt Protagoras, dass alle Menschen notwendigerweise an der politischen Tugend (πολιτική ἀρετή) Anteil haben, was diese in sophistischem Sinne lehr- und erlernbar machte. Diese fundamentale Gleichheit aller Menschen garantiert, dass jeder Bürger die Fähigkeit besitzt, die politischen Geschicke seiner Gemeinschaft mitzubestimmen. Den aitiologischen Rückbezug auf die Gegenwart der Dialogpartner im Protagoras erhält der Kulturschöpfungsmythos dabei durch den empirischen Hinweis, dass „wirklich alle Menschen annehmen, ein jeder habe Anteil an der Gerechtigkeit und der übrigen bürgerlichen Tugend,“ während jemand, „der behauptete, im Flötenspiel vortrefflich zu sein oder in irgendeiner anderen Kunst, worin er es nicht ist,“ von den Leuten verlacht würde.35

Mit Platons Schüler Aristoteles setzte die systematische Sammlung und Ordnung von Verfassungen und Bräuchen ein. Ein Hauptanliegen der peripatetischen Politeiai-Forschung bestand im synoptischen Sichten und Vergleichen von „Bräuchen, Einrichtungen und Lebensweisen“.36 Dies geschah in erster Linie in der Absicht, der philosophischen Suche nach einer ebenso zweckmäßigen wie gerechten Staatsform das nötige Reflexionsmaterial zur Verfügung zu stellen. Das daraus gewonnene Wissen war aber auch für andere Bereiche, besonders die Dichterauslegung, anwendbar. So verteidigt etwa Aristoteles die von Homer beschriebene Praxis, Speere aufrecht mit den Schaftenden nach unten in den Boden zu stecken (Il. 10.153), mit dem Hinweis auf eine heute (νῦν) beobachtbare identische Praxis bei verschiedenen Barbarenvölkern.37 Das Analogieprinzip, mit deren Hilfe Aristoteles die Dichtung Homers historisiert, beruht auf einer in seiner Zeit gängigen Vorstellung, nämlich dass zeitgenössische Gebräuche barbarischer Völker ihre Entsprechung in den Bräuchen der Griechen der Vorzeit hätten.38 Die Fragmente der Politeiai-Schriften zeigen, dass bei den volkskundlichen Forschungen auch einschlägige antiquarische Wissensbestände zusammengestellt wurden: Erfindungen (frg. 501 Rose 1886 = 506, 1–3 Gigon 1987), Ursprungssagen (frg. 495 Rose 1886 = 505, 1–3 Gigon 1987; 496 Rose 1886; 504 Rose 1886 = 509–510 Gigon 1987; 507 Rose 1886 = 511, 1 + 2 Gigon 1987; 512 Rose 1886 = 517, 1 + 2 Gigon 1987) und alte Bräuche (frg. 503 Rose 1886 = 508 Gigon 1987).39 Dieses Material wurde wahrscheinlich jeweils im ersten Teil des jeweiligen Werks behandelt, in dem beschrieben wurde, wie der jeweilige Staat zu seinem gegenwärtigen Stand (zur Zeit des Aristoteles) gelangt war. Über die Quellen der aristotelischen Politeiai wird kontrovers geurteilt, doch sind nachweislich ikonographische Zeugnisse herangezogen worden.40 Aristoteles jüngerer Zeitgenosse (und Schüler?) Krateros hat eine Sammlung athenischer Urkunden veröffentlicht (Ψηφισμάτων συναγωγή), die er mit Anmerkungen versah.41 Auch Inschriften wurden gesammelt und herausgegeben.42

Soweit die Überlieferung ein verlässliches Bild vermittelt, kam es wahrscheinlich im Umfeld des Peripatos erstmals außerhalb der engeren κτίσις-Literatur zu Städten, Kolonien und Inseln und der Genealogie von Heroen zu einer systematischen Sammlung antiquarischer Wissensbestände. Der Aristoteles-Schüler Dikaiarchos von Messene verfasste eine inhaltlich schwer bestimmbare Schrift Über musische Agone (Περὶ μουσικῶν ἀγώνων: FGrHist cont 1400 F17–18) sowie ein offenbar zivilisationsgeschichtlich ausgerichtetes Werk mit dem ungewöhnlichen Titel Griechische Lebensgeschichte (Βίος Ἐλλάδος: FGrHist cont 1400 F1–9), den später Varro in De vita populi Romani aufnahm.43 Der behandelte Stoff scheint in ein chronologisches Gerüst gefasst gewesen zu sein; erkennbar ist die Anlehnung an Hesiods Weltalterlehre (F6a–d), heuristisch tendierte er zur Praxis peripatetisch-rationalisierender Mytheninterpretation.44 Das in den verfügbaren Fragmenten der Werke des Dikaiarchos immer wieder auftretende Verfahren der aitiologisch-etymologischen Wissensgenese weist grundsätzlich auf eine antiquarische Form des Vergangenheitszugangs.45

Aristoteles’ unmittelbarer Nachfolger als Scholiarch, Theophrast von Eresos (372–288 v. Chr.), schrieb unter anderem über die Entwicklungsgeschichte des Opferwesens;46 dessen Schüler, Demetrios von Phaleron, über die Gesetze der Athener, worin er sich mitunter über Gesetzgeber und spezifische Amtsträger, das heißt politische Heuremata äußerte.47 Ein Auszug, den der Neuplatoniker Porphyrios (abst. 2.5–7 = frg. 584A) aus Theophrasts De abstinentia exzerpierte, verdeutlicht die exemplarische Umsetzung des antiquarischen Modells, das hier zur historischen Untermauerung des philosophischen Argumentationsziels (nämlich das Ideal der vegetarischen Lebensweise) herangezogen wurde: Vor einer unzähligen Reihe von Jahren begannen am Nil die ersten Menschen den Göttern des Himmels zu opfern. Die Weihegabe bestand noch nicht aus Myrrhen oder Weihrauch; man verbrannte die Stängel der Kräuter (χλόη), deren Blätter und Wurzeln man aß, um den Göttern durch das Feuer ewige Ehren zu erweisen. Da es ihrem göttlichen Wesen am nächsten liegt, brennen denselben Göttern auch heute noch in den Tempeln ewige Feuer. Vom Verbrennen der Pflanzen (θυμίασις) stammen die Bezeichnungen für die Räuchergefäße (θυμιατήρια), das Opfern (θύειν) und die Opferhandlungen (θυσίας). Nur durch Missdeutung der alten Wörter nennt man jetzt die falsche Götterverehrung durch Tieropfer θυσία. Die Ursprünglichkeit der Opfer aus Pflanzenstängeln ersieht man daraus, dass vielerorts noch bis heute (καὶ νῦν ἔτι) Stücke von wohlriechendem Holz geopfert werden. Theophrast schildert im Folgenden die weitere Entwicklung des Opferwesens, die er mit einer stufenweisen Kulturentwicklung vom Jagen und Sammeln zum Ackerbau verbindet, aber als Prozess eines moralischen und religiösen Verfalls deutet. Wie bei Aristoteles entspricht die angewandte heuristische Methode der antiquarischen Zeichenarchäologie: neben schriftlichen Quellen wurden die zeitgenössischen „Rückstände“ der Vergangenheit analysiert, nämlich so, wie sich diese im Brauchtum, in sprichwörtlichen Redensarten oder in Mythen zeigten.48

Dass man dabei zur regelrechten Feldforschung schritt, verdeutlicht ein anderer Schüler des Aristoteles, der den vielsagenden Beinamen Palaiphatos („der alte Geschichten erzählt“) trug. Im Proömium seiner Unglaublichen Geschichten (Περὶ ἀπίστων) breitet er die theoretischen Voraussetzungen seiner rationalistischen Mythenanalyse aus, die er in der Prämisse legitimiert sieht, dass „alles, wovon man spricht, auch geschehen ist.“ Erst die Dichter hätten dann die Ereignisse ins Phantastische verzerrt. Aus diesem Grunde habe er viele Länder bereist und bei älteren Leuten Erkundungen angestellt.49 Seine abenteuerlichen historisierenden Ausdeutungen bekannter Mythen (c. 43: Medea als Erfinderin des Dampfbades und eines Haarfärbemittels), die er gerne auf missverstandene Redensarten und Namen zurückführte, geben einen anschaulichen Eindruck der nach Wissenschaftlichkeit strebenden peripatetischen Mythenrationalisierung.50

Einem anderen Bereich widmete sich der Peripatetiker Eudemos von Rhodos, der außer logischen und physikalischen Schriften auch mehrere doxographisch-wissenschaftsgeschichtliche Abhandlungen verfasste, in denen die Erfinder der jeweiligen Disziplinen den ihnen gebührenden Raum erhielten.51

Dieselben wissenschaftlichen Interessen wie Aristoteles und sein Kreis teilte auch der Platon-Schüler Herakleides Pontikos, der einerseits als Autor von staatsrechtlichen Dialogen Über die Herrschaft (Περὶ ἀρχῆς) und Über Gesetze und Verwandtes (Νόμων ακαὶ τῶν συνγενῶν τούτοις) hervortrat, aber auch systematische antiquarische Sammlungen Über Erfindungen (Περὶ εὑρημάτων) und über Gründungen von Heiligtümern (Κτίσεις ἱερῶν) verfasste.52 Über Erfindungen schrieben auch sein Zeitgenosse Ephoros von Kyme, angeblich ein Schüler des Isokrates (FGrHist 70 F 2–5), und in späterer Zeit der bedeutende Atthidograph Philochoros (FGrHist 328). Wie andere Lokalhistoriker vor und nach ihm (z. B. Demon: FGrHist 327) trat Philochoros zudem als Verfasser von sakralrechtlichen und die lokalen Kulte betreffenden Spezialabhandlungen (Περὶ μαντικῆς, Περὶ ἑορτῶν, Περὶ θυσιῶν) in Erscheinung. Mit der Absicht, die Feste, Opfer, sakralen Bräuche, Götternamen, das Kultpersonal und die sakralrechtlichen Vorschriften einer Stadt einzeln oder umfassend zu beschreiben und gegebenenfalls zu erläutern, ergänzte und vertiefte die umfangreiche griechische Kultschriftstellerei des vierten Jahrhunderts die entsprechenden Ausführungen und Exkurse der Lokalgeschichte.53 In ihrer antiquarischen, das heißt auf gelehrte aitiologisch-etymologische Erklärung bedachten Spielart, dürfte diese Gattung nicht nur auf die alexandrinische Dichtung,54 sondern darüber hinaus – im Original oder über hellenistische Kompilatoren wie Didymos – auf die römische Fachtradition eingewirkt haben.

5.2 Die Zeit der hellenistischen Gelehrsamkeit (um 280–145 v. Chr.)

Als fester Bestandteil der alexandrinischen Gelehrsamkeit wird die griechische Altertumsforschung, insbesondere das Interesse an Aitien, im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. thematisch immer vielfältiger und unüberschaubarer. Die Überlieferung führt jedoch nur selten über vereinzelte Bruchstücke hinaus. Die Diskrepanz zwischen Ausmaß und Stellenwert der literarischen Produktion und dem Umfang des Erhaltenen ist ein Charakteristikum des Hellenismus; für die antiquarische Literatur gilt dies in besonderem Maße. Man erklärt sich das erhöhte Interesse an den Ursprüngen von Bräuchen, Mythen und Namen aus den veränderten politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen, die sich in den griechischen Nachfolgestaaten Alexanders ergaben.55 Dies wird der Tendenz nach durchaus zutreffen, doch sollte dabei der politisch-nostalgische Aspekt nicht absolut gesetzt werden; dasselbe gilt für die damals neuerwachte wissenschaftliche Neugier (curiositas). Zumindest was den hellenistischen Wissens- und Sammeleifer angeht, steht die Neugier an der Frühzeit in nicht zu verkennendem Zusammenhang mit der erstmaligen Verfügbarkeit gewaltiger literarischer Ressourcen. Die Bedeutung der Bibliothek für die antiquarische Schriftstellerei in dieser Zeit und in der Antike im Allgemeinen kann kaum überschätzt werden.56

Obwohl sich gegenüber der vorangehenden Epoche die Schwerpunkte und Rahmenbedingungen im Einzelnen verschoben hatten und mit der gelehrten alexandrinischen Dichtung eine spezifische Literaturform stärker als zuvor in den Mittelpunkt trat, waren es im Großen und Ganzen dieselben literarischen Bereiche, die dem griechischen Antiquarianismus im Hellenismus sein unverkennbares Gesicht gaben.

Im Bereich der Philologie und der Grammatik äußerte sich die neue Gelehrsamkeit in einer wissenschaftlichen Zuwendung zur älteren Literatur, besonders zur Dichtung. Die textkritische Sichtung, die Ordnung und Rekonstruktion des Tradierten erfolgte seit den Anfängen in der erklärten Absicht, sich die Tradition anzueignen und für die eigene literarische Produktion nutzbar zu machen.57 In Alexandria war dieses Unternehmen von umfangreichen lexikologischen und sachkundlichen Kompilationstätigkeiten begleitet, durch welche die in der gewaltigen Textmasse aufgespeicherten Wissensbestände einem interessierten Fachpublikum erschlossen werden sollten.

Die Altertumskunde war für die alexandrinischen Dichterphilologen stets ein Teilbereich unter vielen; die gelehrte Arbeit umfasste neben der Sprache, den Texten und der literarischen Kritik stets auch die Realien, zumal Geographie, Volkskunde und Religion. Die Ergebnisse dieser Studien wurden gesammelt und in Spezialschriften veröffentlicht.58 Kallimachos schrieb in Prosa eine Reihe gelehrter philologischer Abhandlungen, darunter eine nach Sachkriterien geordnete onomastische Sammlung Ortstypische Ausdrücke (Ἐθνικαὶ ὀνομασίαι: frg. 406 Pfeiffer 1949), zu der vielleicht auch die gesondert bezeugten Schriften Über Winde (Περὶ ἀνέμων: frg. 404 Pfeiffer 1949), Über Vögel (Περὶ ὀρνέων: frgg. 414–428 Pfeiffer 1949) und Monatsnamen bei verschiedenen Völkern und Städten (Μηνῶν προσηγορίαι κατὰ ἔθνος καὶ πόλεις: p. 339 Pfeiffer 1949) zählten. Er verfasste darüber hinaus eine Sammlung der Wunder aus aller Welt nach Orten (frg. 407–411 Pfeiffer 1949; FGrHist 1653), schrieb Über Wettkämpfe (Περὶ ἀγώνων: frg. 403 Pfeiffer 1949) und über die Bräuche der Barbaren (Βαρβαρικὰ νόμιμα: frg. 405 Pfeiffer 1949), offenbar im Anschluss an die ältere peripatetische Tradition (siehe oben S. 187). In den beiden letztgenannten Schriften dürfte die ferne Vergangenheit besonders zur Erklärung gegenwärtiger Phänomene größeren Raum eingenommen haben.59

Auf dem Feld der philologisch fundierten Sachforschung, das heißt der wort- und realienkundlichen Erklärung der alten Dichter, besonders Homers, haben auch die späteren alexandrinischen und pergamenischen Grammatiker Bedeutendes geleistet.60 Aristophanes von Byzanz (um 260–180 v. Chr.) verfasste neben einer lexikographischen Sammlung mit mutmaßlich etymologischer Ausrichtung (Λέξεις) mehrere Fachschriften, unter anderem Über Masken (Περὶ προσώπων) und Über athenische Hetären (Περὶ τῶν Ἀθήνησιν ἑταιρίδων), die mit seinen Arbeiten über die Attische Komödie in Zusammenhang standen.61 Sein Schüler Aristarchos von Samothrake (um 216–144 v. Chr.) führte dessen realienphilologische Studien fort und legte Abhandlungen über homerische Altertümer vor, unter anderem eine Monographie über die Anordnung der Schiffe der Achaier in der Ilias.62 Die gelehrte Erläuterung der Städte-, Völker- und Personennamen des homerischen Schiffskatalogs (Il. 2.494–779) weitete Aristarchos’ Schüler Apollodoros zu einer historischen Geographie Griechenlands in heroischer Zeit aus (Περὶ τοῦ τῶν νεῶν καταλόγου).63 In eine ähnliche Richtung ging seine Abhandlung Über die Götter (Περὶ θεῶν), in der er sich in vierundzwanzig Büchern mit der griechischen Religion, genauer den Göttern auseinandersetzte, soweit sie sich aus Homer erschließen ließen (FGrHist 244 F88–153). Als Hilfsmittel diente ihm dabei in erster Linie das Verfahren der Etymologie, der er auch eine eigene Schrift widmete (Περὶ Ἐτυμολογιῶν).64 Diesen gelehrten Textzugang hat die grammatische Artigraphie bereits im zweiten Jahrhundert v. Chr. inkorporiert. In der knappen Techne des Dionysios Thrax (170–90 v. Chr.), der ältesten erhaltenen Elementargrammatik der Antike, sind Realienkunde und etymologische Praxis bereits feste Bestandteile der grammatischen Disziplin.65

Einem anderen Wissensgebiet, jedoch ebenfalls dem aitiologischen Muster folgend, galten die Katasterismoi des Eratosthenes (ca. 276–195 v. Chr.), in denen er zu sämtlichen Sternbildern eine Entstehungssage bereitstellte. In voller Stärke tritt uns das ursprungsbezogene Interesse der Zeit aber erst in der Dichtung entgegen.

In der gelehrten alexandrinischen Dichtung traf das aitiologisch-etymologische Denkmodell auf besonders fruchtbaren Boden. Das berühmteste Beispiel sind die Aitia („Erklärungssagen“), in denen Kallimachos die mythische Aitiologie von lokalen Besonderheiten in Kult, Brauchtum und Natur zum bestimmenden Thema seiner didaktischen Elegie erhob. Während sich Aitien auch sonst im Korpus seiner Dichtungen, etwa in den Hymnen finden, verlieh er hier der Aitiologie den Status eines poetischen Genres.66 Nur in wenigen Fragmenten sind die Gedichte des Apollonios Rhodios über die Gründungslegenden verschiedener Städte erhalten, mit denen er wohl bewusst an die hexametrische Ktisis-Dichtung früherer Zeiten anschloss.67 Die aitiologisch-etymologische Erklärung von Namen, Orten, Bräuchen und Institutionen ist für seine Argonautika ebenso charakteristisch wie für Nikanders Heteroioumena und für eine ganze Reihe hellenistischer Epen.68 Zu erwähnen sind auch die „ethnographischen“ Epen des Rhianos von Bene (FGrHist 265; 3. Jhd. v. Chr.) und des Nikandros von Kolophon (FGrHist 271; um 200 v. Chr., oder der jüngere Lehrdichter gleichen Namens), in denen, soweit erkennbar, „in der Weise der Ethnographie die gesamte Überlieferung über eine Landschaft von der Urzeit bis in die Gegenwart“ zusammengestellt war.69

Das Denkmuster antiquarischer Welterklärung, die das hellenistische Epos (zumindest stellenweise) auszeichnete, prägte auch die geographisch-volkskundliche beziehungsweise kulturgeschichtlich orientierte Literatur in der Tradition von Hekataios und Herodot, allen voran die Schriften des Polemon von Ilion (um 220–160 v. Chr.).70 Die Fragmente zeugen von umfangreichen altertumskundlichen Forschungen, doch bleibt häufig unklar, ob es sich um eigene Monographien oder Abschnitte aus größeren Werken handelt. Dies gilt besonders für eine Reihe von Gründungsgeschichten, unter anderem von griechischen Kolonien Italiens und Siziliens (frgg. 37–38 Preller 1838), aber auch für realienkundliche Miszellen, zum Beispiel über karthagische Gewänder und einen Korbwagen (frgg. 85–86 Preller 1838). Da Polemon verschiedentlich als περιηγητής zitiert wird, kommt eine Periegese Griechenlands in Frage; für ihn ist aber auch eine Geschichte Griechenlands (Ἑλληνικὴ ἱστορία) sowie ein Werk Über Wunder (Περὶ θαυμασίων) bezeugt.

Polemons eigentliche Spezialität lag aber offenbar in der Beschreibung von Kunstwerken und Denkmälern, die er nicht aus Büchern, sondern durch Autopsie kannte.71 Vier Schriften mit augenscheinlicher antiquarischer Fragestellung waren den Altertümern Athens gewidmet: Behandelt wurden die Weihegeschenke auf der Akropolis in vier Büchern (frgg. 1–5 Preller 1838), die Gemälde in den Propyläen (frg. 6 Preller 1838), die Eponyme der Demen und Phylen (frgg. 7–8 Preller 1838) sowie die „Heilige Straße“ nach Eleusis (Περὶ τῆς ἱερᾶς ὁδοῦ). Von analogen Schriften über Sparta und Sikyon sind ebenfalls Bruchstücke erhalten. Über ähnliche sachkundliche Themen schrieben auch andere hellenistische „Periegeten“: von Heliodoros (FGrHist 373; 2. Jahrhundert v. Chr.?) belegt sind Abhandlungen über die Weihegaben (ἀναθήματα) der Athener sowie über die Akropolis (Περὶ τῆς Ἀθήνῃσιν ἀκροπόλεως); von Diodoros (FGrHist 372; um 300 v. Chr.) eine Spezialschrift Über Gräber, in der er Informationen über Grabmonumente und die darin bestatteten Familien versammelte. Eine eindeutigere antiquarische Ausrichtung hatten einige Schriften des Kallimachos-Schülers Philostephanos (FHG Müller III, 28–34; um 220 v. Chr.), dessen spärliche Fragmente hinter geographischen Werktiteln, etwa Über Inseln (frgg. 10–19 FGH) oder Über die Städte Asiens (frgg. 1–8 FGH), eine aitiologische und paradoxographische Schwerpunktsetzung erkennen lassen.72 Von ihm ist auch eine Sammlung Über Erfindungen (περὶ εὑρημάτων: frgg. 28–31 FGH) belegt.

Im weiteren Rahmen der historisch-geographischen Literatur ist der imaginäre Reiseroman (Ἱερὰ ἀναγραφή [„Heilige Aufzeichnung“]) des Euhemeros von Messene (um 300 v. Chr.?) zu verorten.73 Darin reist der Erzähler zu einer Inselgruppe im Indischen Ozean, auf deren Hauptinsel Panchaia ein dem Zeus Triphylios geweihter Tempel steht (T36–38 Winiarczyk 1991). Im Inneren befindet sich auf einer goldenen Stele eine uralte Inschrift in panchaiischer Sprache, die eine Reihe von Geschichten über die Könige der Vorzeit, nämlich Uranos, Kronos und Zeus, und ihre Kinder erzählt (T 39–65 Winiarczyk 1991). Zeus selbst habe sie anfertigen lassen, als er noch als Mensch über die Erde herrschte; später habe Hermes die Taten von Artemis und Apollo hinzugefügt. Die olympischen Götter von Euhemeros’ Gegenwart werden also als frühgeschichtliche Herrscherdynastie dargestellt. Die literarische Fiktion bietet damit eine nach rationalistischen Prinzipien historisierte Theogonie, die in ihrer Suche nach Ursprung und Herkunft der (zeitgenössischen) griechischen Religion dem antiquarischen Denkmodell verpflichtet ist, dessen Heuristik auf der Erzählebene auch reproduziert wird.74

Ein einzigartiges Zeugnis antiquarischer Gegenwartserklärung bietet die Anagraphe von Lindos (FGrHist 532; 99 v. Chr.), ein im Tempel der Athena Lindia inschriftlich niedergelegtes Inventar der (angeblich) im Heiligtum aufgestellten Weihgeschenke nebst einer Beschreibung von vier Epiphanien der Göttin. Das Ganze wurde aus einer Reihe einschlägiger Lokalschriftsteller kompiliert (über zwanzig Autoritäten und an einer Stelle auch „amtliche Akten“ werden zitiert), die über die Relikte und ihre (zum Teil mythischen) Stifter informierten.75

In der Tradition der an die Lokalgeschichte angelehnten Kultschriftstellerei des vierten Jahrhunderts stehen die Spezialabhandlungen über das Opferwesen und die Sitten Spartas (Περὶ τῶν ἐν Λακεδαίμονι θυσιῶν; Περὶ ἐθῶν), die der Grammatiker Sosibios (FGrHist 595; um 200 v. Chr.) vorgelegt hat. Die spärlichen Fragmente zeigen eine hybride Mischung aus phänomenologischer Heortologie (F4) und antiquarischer Exegese (F5), die für das Genre insgesamt repräsentativ sein dürfte.

Innerhalb der politischen Geschichtsschreibung hatten sich seit der Zeit Alexanders des Großen Entwicklungen angebahnt, die im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. zu verstärkten gattungstheoretischen Reflexionen und methodologischen Ausdifferenzierungen führten.76 In der Tradition des Thukydides wandte sich Polybios von Megalopolis (um 200–120 v. Chr.) in polemischer Weise gegen ausufernde Genealogien, Gründungsgeschichten und andere Arten von Exkursen innerhalb der politischen Zeit- und Universalgeschichte (9.1–2). Das bekannte Ergebnis war die folgenreiche Verengung dessen, was fortan als antike „Historiographie“ in die modernen Literaturgeschichten eingegangen ist. Für das weite Feld der Altertumskunde war weder in Ciceros noch in Quintilians Kanon der griechischen und römischen Geschichtsschreiber Platz.77 Von Polybios’ Polemik war auch die aufblühende Lokalgeschichte betroffen, die sich neben den griechischen Poleis zunehmend auch mit der Geschichte und Kultur der von den Diadochen beherrschten Völker befasste: Der babylonische Priester Berossos (FGrHist 680) verfasste eine Babyloniaka, der ägyptische Priester Manethon (FGrHist 609) eine Aigyptiaka, Menander von Ephesos (FGrHist 609) eine Geschichte der Phönizier. Dasselbe tat für die Römer bekanntlich Fabius Pictor, dessen Publikum wohl in erster Linie in der gelehrten griechischen Oberschicht der italischen Halbinsel und Siziliens zu suchen ist.78

Es gab kaum eine Stadt oder Landschaft der bekannten Ökumene, deren Geschichte, Bräuche und Kulte nicht monographisch aufgearbeitet wurden. Inwieweit dabei der antiquarischen Fragestellung Raum gegeben wurde, ist schwer zu beurteilen. Das gilt allgemein für die Ziel- und Schwerpunktsetzungen dieser enorm weitläufigen Literatur. Das Wenige, das von den Hunderten von Werken (345 Autoren in FGrHist) erhalten geblieben ist, bietet insgesamt kein zuverlässiges Bild, und die überlieferten Fragmente sind aufgrund einer tendenziösen Auswahl nur mit Vorbehalt aussagekräftig.79 Gleiches gilt für Italien und Rom, über deren Urzeit sich Griechen wie Alkimos (FGrHist 560 F1–5), Timaios von Tauromenion (FGrHist 566 T9), Antigonos (FGrHist 816 T1–2; F1–2), Promathion (FGrHist 817 F1), Diokles von Peparethos (FGrHist 820 T2; F1), Zenodotos von Troizen (FGrHist 821 F1–3) sowie eine Reihe griechisch schreibender Römer äußerten.80

5.3 Zusammenfassung

Das weite Feld der griechischen Ursprungs- und Herkunftsforschung in klassischer und hellenistischer Zeit ist in seinen Methoden, Techniken und literarischen Darstellungsformen ein offensichtlicher Vorläufer der römischen antiquarischen Literatur. Im Mittelpunkt stand die Suche nach den Gründungsanlässen und Stiftungsakten kultureller Errungenschaften: von Schrift und Sprache, von staatlichen und religiösen Institutionen, von Festen und Zeitordnungen, aber auch von Völkern, Städten und Familienverbänden. Der dabei angewandte heuristische Modus der antiquarischen Zeichenarchäologie (mittels der Denkfiguren der Aitiologie, der Etymologie und der Genealogie) scheint bereits im fünften Jahrhundert im Wesentlichen ausgebildet gewesen zu sein. Frühe methodische Impulse gingen von Seiten der Philosophie und der Naturkunde aus. Die hellenistische Büchergelehrsamkeit hat die antiquarische Heuristik und Hermeneutik verfeinert.

Wie in der römischen, so ist auch in der griechischen Literatur die antiquarische Fragestellung allgegenwärtig. An einer relativ frühen Monographisierung dieser Wissensbestände kann aufgrund der Vielzahl von Fachabhandlungen, die sich für verschiedene Autoren aus unterschiedlichen Epochen nachweisen lassen, trotz der spärlichen Überlieferung kaum gezweifelt werden. Die Formen dieser Verschriftlichungen sind im Detail nicht mehr zu eruieren, doch spiegelt die Bandbreite der bezeugten literarischen Umsetzungen die vielfältigen Möglichkeiten einer monographischen Präsentation antiquarischer Wissensbestände anschaulich wider.

1

Dies wurde insbesondere für die Aitiologie festgestellt, so bereits Mercklin 1848, 267: „Der ätiologische Trieb […] war in den Völkern des Alterthums früh erwacht und hat in ihren Litteraturen sich vielfach betheiligt. Er ist ein charakteristisches Moment der griechischen Mythenbildung und begleitet ihre Geschichtsschreibung durch alle Stadien.“ Zur griechischen Faszination für Anfänge siehe Cherniss 1953; Chassignet 2008, iii–vii; zum vielfältigen Modus der Kausalitätsergründung im griechischen Denken, besonders der Philosophie, siehe Hankinson 1998.

2

Zu Geschichte und Methode der griechischen Paradoxographie siehe Giannini 1964; Schepens/Delcroix 1996; Pajón Leyra 2011. Die Fragmente der kaiserzeitlichen Autoren versammelt FRHist cont IV E fasc. 2.

3

Zur fehlenden exegetischen Bestrebung des Genres, die sich im bewussten Unterdrücken erklärender Passagen der Vorlage äußert, siehe Schepens/Delcroix 1996, 390–394.

4

Vgl. z. B. Arist. hist. an. 606. 25 ff. zum Phänomen, warum Zikaden an bestimmten Orten vorkommen und an anderen nicht. Der Grund (αἴτιον) ist die Verfügbarkeit der Nahrung und das Klima. Zur wichtigen Differenzierung zwischen Phänomenologie und Aitiologie (ὅτι und διότι) in der aristotelischen Wissenschaftslehre siehe Kullmann 1974, 204–220.

5

Hankinson 1998, 51–69 (zur Frühzeit), 295–322 (zur theoretischen Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen kausaler Erklärungen innerhalb der späteren medizinischen Schulen) und 373–379 (zu Galen).

6

Diller 1934, 44–45. Zur Verbindung zwischen Medizin, Historie und Aitiologie siehe Desclos 2003, 67–120.

7

Siehe dazu Risch 1947, 72–91; von Kamptz 1982; Kanavou 2015. Das bekannteste Beispiel ist Od. 19.406–409 zum Namen „Odysseus“, abgeleitet von ὀδύσσομαι [„zürnen“], siehe dazu Stanford 1952. Vgl. ferner Od. 1.62; 5.340; 19.275. Zu Hesiod siehe Vergados 2014 und Vergados 2020.

8

Eine gute Textsammlung bietet hier Woodhead 1928. Für die jüngere Forschungsliteratur siehe Lallot 1991; O’Hara 1996, 7–18; für einen allgem. Überblick über die griechische Philologie vor dem Hellenismus Novokhatko 2015 mit weiterer Literatur.

9

Zur Sprachursprungsfrage im Kratylos siehe u. a. Schrastetter 1989. Die parodistische Komponente betont Baxter 1992, vgl. aber Sedley 2003. An Kritik oder Spott über Etymologien aufgrund klanglicher Ähnlichkeit hat es in der Antike nicht gefehlt, vgl. z. B. Ov. Met. 5.187–188: at Nileus, qui se genitum septemplice Nilo / ementitus erat.

10

Krat. 407a; 410c; 418c; 420b.

11

Cic. nat. deor. 3.63: Magnam molestiam suscepit et minime necessariam primus Zeno post Cleanthes deinde Chrysippus, […] vocabulorum cur quidque ita appellatum sit causas explicare. Siehe dazu Müller 1910, 42–66; Woodhead 1928, 74–81; Dahlmann 1932, 6–10; Barwick 1957, 58–69 sowie 70–79; O’Hara 1996, 19–21; Allen 2005; de Jonge 2008, bes. 65–70; ferner Blank 2008. Zur berüchtigten, unter anderem aus Augustinus (dial. 6) bekannten Herleitungstechnik ex contrario (κατἀντίφρασιν) siehe u. a. Petit 2021, 84–115; zur stoischen Kausalitätstheorie Hankinson 1998, 238–252.

12

Siehe dazu unten S. 301–315.

13

FGrHist 1 F1 (= Demetr. de eloc. 12): Ἑκαταῖος Μιλήσιος ὧδε μυθεῖται· τάδε γράφω, ὥς μοι δοκεῖ ἀληθέα εἶναι· οἱ γὰρ Ἑλλήνων λόγοι πολλοί τε καὶ γελοῖοι, ὡς ἐμοὶ φαίνονται, εἰσίν; vgl. F6; F19; F26. Zu Hekataios’ Bedeutung siehe Bertelli 2001.

14

Plat. Hippias maior 285d–e. Aus dem Begriff der ἀρχαιολογία, mit dem Platon Hippias’ altertumskundliche Forschungen bezeichnet, zieht Momigliano 1990, 60 einen für ihn wichtigen Schluss: „What Plato proves in any case is that either in the 5th or in the 4th century certain types of historical studies were called archaeology, not history.“ Zu Hippias mit weiterer Literatur siehe HGL 1, 432–433.

15

Siehe dazu mit Blick auf die Sophistik im Allgemeinen Pfeiffer 1968, 75.

16

Pfeiffer 1968, 75. Zu Hippias’ Anagraphe siehe Christesen 2007, 45–160. Zu Liste und Katalog als Medienformat antiquarischer Wissensbestände siehe unten Kap. 6.3.1. § 6.

17

Mit einer differenzierten Art der Aitiologie arbeitet Thukydides, der zwischen Veranlassung (αἰτία) und bedingender Ursache (πρόφασις) differenziert (1.23), siehe dazu Roman 2008. Die Kausalitätsfrage als historiographisches Prinzip bei Herodot behandelt Pelling 2019.

18

Zum Beispiel über Attika (2.15) und Sizilien (6.1–5); in der Behandlung der Vorzeit beruht die Beweisführung häufig auf gegenwartsbezogenen Analogieschlüssen (1.5.3 ff.; 1.7.1; 1.8.1); die Urgeschichte ist damit notwendige Voraussetzung der Gegenwart. Umfangreiche Exkurse über Gründungen und Wanderungen enthielt auch die Historia des Ephoros von Kyme, siehe dazu Walter 2020, 93–103.

19

Zu Polemon siehe unten S. 194 f.; zu Pausanias und der griechischen Periegesen-Literatur der Kaiserzeit siehe unten S. 473 f.; dort auch zur (problematischen) Differenzierung zwischen „geographischer“ und „antiquarischer“ Periegese. Zum schwer fassbaren Begriff der Periegese siehe Falaschi 2021.

20

Ein anderes Beispiel ist die Einführung der ionischen Frauenkleidung durch die Athener (5.87–88).

21

Die Frage nach der Herkunft des Alphabets kennt eine reiche literarische Tradition, die vor Herodot einsetzt, vgl. Hekataios, FGrHist 1 Frg 20; Dionysios, FGrHist 687 Frg 1; Anaximander, FGrHist 9 Frg 3; Andron, FGrHist 10 Frg 9. Dass Herodots Methode einem zeitgenössischen Usus entsprach, zeigt Fowler 1996, bes. 70–74; das gilt auch für sein Interesse für Heuremata, dazu bes. Kleingünther 1933, 46–65.

22

Zur griechischen Lokalgeschichte siehe die Synthese von Harding 2007; für Athen ist Jacoby 1949 grundlegend; vgl. ferner Clarke 2008, bes. 167–230 und Schmid 1947.

23

Thraede, RAC 5 (1962), 1194–1200 mit zahlreichen Beispielen.

24

Der Titel ist wahrscheinlich eine spätere Bildung, vgl. FGrHist 534 Kommentar p. 456; ferner Lasserre 1976, 119–120. Zur fast verlorenen Ktisis-Dichtung der Archaik siehe Jacoby 1947, 4–5; Dougherty 1994.

25

Die Chronik reichte weit in die mythistorische Zeit hinein, vgl. FGrHist 4 frg. 79b (= Dion. Hal. ant. 1.22.3): τὸ μὲν δὴ Σικε-λικὸν γένος οὕτως ἐξέλιπεν Ἰταλίαν, ὡς μὲν Ἑλλάνικος ὁ Λέσβιός φησι, τρίτῃ γενεᾷ πρότερον τῶν Τρωικῶν Ἀλκυόνης ἱερωμένης ἐν Ἄργει κατὰ τὸ ἕκτον καὶ εἰκοστὸν ἔτος. Zur Schrift siehe Möller 2001.

26

Jacoby, RE 8 (1913), 143.

27

Ephoros aus Kyme (FGrHist 70 F 2–5; 4. Jhd. v. Chr.); Herakleides Pontikos d. Ä. (frg. 152 Wehrli. = Diog. Laert. 5,88; um 360 v. Chr.); Aristoteles (frg. 924 Gigon 1987 = Clem. strom. 1.16.77.1); Theophrast (frg. 728–734 FHS&G.); Straton von Lampsakos (frg. 144–147 Wehrli); Phylarchos (von Athen?, FGrHist 81 T 1 (= Suda); 3. Jhd. v. Chr.); Kydippos von Mantineia (Clem. strom. 1.16.77); Antiphanes (Clem. strom. 1.16.77.1); Aristodemos (von Alexandrien?, FHG Müller III, 311 = Clem. strom. 1.16.77.1; 2. Jhd. v. Chr.?); Philostephanos (FHG Müller III, 32 frgg. 28–31; um 200 v. Chr.). Im Einzelnen ist die Verlässlichkeit der Angaben allerdings strittig, zumal die Testimonien zuweilen eher einen Abschnitt (einen Rollentitel?) bzw. ein Exzerpt aus einem größeren Werk und weniger eine unabhängige Schrift zu bezeichnen scheinen. Siehe dazu und zum Folgenden Schwitter 2023b.

28

Siehe dazu die Diskussion weiter unten S. 455–466.

29

Eichholtz 1867; Kremmer 1890; Wendling 1891. Ihre Versuche, die erhaltenen Heuremata-Kataloge auf die peripatetische Tradition zurückzuführen, verbleiben im Spekulativen.

30

Zhmud 2006; Zhmud 2020. Neben den gesonderten Disziplingeschichten behandeln die meisten antiken Fachtraktate im Vorspann die Geschichte der jeweiligen Disziplin und ihrer „Technologien“. Siehe dazu Thraede, RAC 5 (1962), 1201–1204.

31

Kremmer 1890, 6–7.

32

Zhmud 2006, 42–43; Billings 2021, 33–34. Vgl. Kleingünther 1933, 146: „Von Kulturgeschichte kann in unseren Katalogen gar nicht die Rede sein, dazu fehlt ihnen vor allem das chronologische Moment.“

33

Billings 2021, 34–35: „Such catalogs of inventions and their sources suggest a view of culture as a composite of heterogeneous practices. This is a very different tendency from that of the developmental narratives discussed above: rather than presenting culture as governed by laws of necessity leading logically from past to present, invention narratives trace present culture backwards and suggest its contingency. Invention narratives thus have a tendency to denaturalize their objects, pointing to the local and specific origins of familiar practices and technologies.“

34

Eine konzise Übersicht der Kulturentwicklungslehre dieser Zeit bietet Müller 2003, 203–281.

35

Protag. 323a, nach der Übersetzung von F. Schleiermacher, Platon. Werke, Bd. 1, hrsg. von G. Eigler, 1977, 119; zum philosophischen Zusammenhang siehe Hansen 2019.

36

Cic. fin. 5.11: Omnium fere civitatum non Graeciae solum, sed etiam barbariae ab Aristotele mores, instituta, disciplinas, a Theophrasto leges etiam cognovimus.

37

Aporemata Homerica frg. 160 Rose 1886 (383 Gigon 1987), aufgegriffen in Poet. 25 (1460b 6–22); ein weiteres Beispiel ist frg. 166 Rose 1886 (389 Gigon) zum Brauch, menschliche Leichen um Gräber zu schleifen. Zu Kontext und Intention der aristotelischen Homerapologie siehe Pfeiffer 1968, 94–98; Herklotz 1999, 189.

38

So auch Thuk. 1.6.6. Vgl. den Kommentar ad loc. in Flashar/Dubielzig/Breitenberger 2006, 400.

39

Ferner archaische Kulturgegenstände (Waffen, Kleider: frg. 498 Rose 1886 = 504, 1–4 Gigon 1987) und Honiggewinnung (frg. 512 Rose 1886 = 517, 1 + 2 Gigon 1987).

40

Frg. 568 Rose 1886 (585 Gigon 1987); frg. 593 Rose 1886 (610 Gigon 1987).

41

FGrHist 342 mit Komm.

42

Erstmals belegt für Philochoros’ Ἐπιγράμματα Ἀττικά; in späterer Zeit für Polemon von Ilion, siehe dazu unten S. 194 f.

43

Ax 2006a. Siehe dazu unten S. 337 f.

44

Siehe die entsprechenden Ausführungen bei Porph. abst. 4.2.1–9 (= F6a.1).

45

Zu Dikaiarchs „archaeological approach to history“ siehe FGrHist cont. IV B fasc. 9, 48–49.

46

Wohl ursprünglich Teil einer Schrift „Über die Frömmigkeit“ (Περὶ εὐσεβείας), zitiert als De abstinentia. Die Fragmente sind gesammelt und besprochen bei Bernays 1866; eine neuere Sammlung findet sich in Fortenbaugh/Huby/Sharples 1992, 404–437; zur Schrift siehe u. a. Fortenbaugh 2003, 173–192; Müller 2003, 260–270.

47

FHG Müller II, 363–365, in frg. 12 geht es um die Nomophylakes.

48

Siehe dazu Bernays 1866, 51–52; Müller 1972–1980, 1: 212.

49

Stern 1996 mit Einleitung und Kommentar.

50

Siehe dazu Brodersen 2005; Hawes 2014, 37–91; Zucker 2016; Van den Berg 2017; Koning 2022.

51

Frgg. 133–150 Wehrli 1967, 54–72.

52

Einen nicht erschöpfenden Katalog der Schriften bietet Diog. Laert. 5.6.86–88; zum Werk siehe Wehrli 1983.

53

Zur Tradition und den Fragmenten siehe Tresp 1914.

54

Erhellt durch die Scholienliteratur, z. B. zu Apollonios Rhodios und dessen Verwendung von Stesimbrotos’ Περὶ τελετῶν: FHG Müller II, 57 = frg. 113 Tresp 1914. Zahlreiche weitere Beispiele finden sich bei Tresp 1914, 32–33.

55

Siehe dazu u. a. Gabba 1981; Zanker 1987, 1–37.

56

Zur „Buchkultur“ des Hellenismus siehe Pfeiffer 1968, 128–134; vgl. ferner Harder 2013.

57

Zu unterschiedlichen Aspekten siehe Pfeiffer 1968, 135 ff.; Bing 1988, 50–90; Ax 1991; Krevans/Sens 2006; Pagani 2011; zusammenfassende Überblicke bieten Matthaios, HGL 2, 502–553 und Montana 2015.

58

Bravo 2007, 521: „Interpretation involved at every step not only questions about language (vocabulary, syntax, morphology), but also questions concerning subject matter: places, peoples, divinities, cults, myths, legends, institutions, customs, implements, and so forth. Such questions led many of the grammatikoi to write separate treatises, ones that we might characterize as being antiquarian.“

59

Die Fragmente 403 und 405 Pf. machen Erklärungen im Kontext von Gründungsgeschichten wahrscheinlich.

60

Pfeiffer 1968, 213–285. Zur Etymologie in der alexandrinischen und pergamenischen Dichter-Auslegung siehe Broggiato 2003. Die etymologischen Erklärungen des Krates von Mallos sammelte Broggiato 2002, Index s. v. Etimologia.

61

Ed. Slater 1986; zu seinen philologischen Studien siehe Callanan 1987.

62

Schironi 2018.

63

FGrHist 244 F154–207; zu Apollodor siehe Pfeiffer 1968, 306–321.

64

Barwick 1957, 60–61. Zum etymologischen Verfahren in Περὶ θεῶν siehe Filoni 2021.

65

Dion. Thrax, ars gram. 1 ed. Lallot 2003: Γραμματική ἐστιν ἐμπειρία τῶν παρὰ ποιηταῖς τε καὶ συγγραφεῦσιν ὡϲ ἐπὶ τὸ πολὺ λεγομένων. Μέρη δὲ αὐτῆς ἐστιν ἕξ· πρῶτον ἀνάγνωσις ἐντριβὴς κατὰ προσῳδίαν, δεύτερον ἐξήγησις κατὰ τοὺς ἐνυπάρχοντας ποιητικοὺς τρόπους, τρίτον γλωσσῶν τε καὶ ἱστοριῶν πρόχειρος ἀπόδοσις, τέταρτον ἐτυμολογίας εὕρεσις, πέμπτον ἀναλογίας ἐκλογισμός, ἕκτον κρίσις ποιημάτων, ὃ δὴ κάλλιστόν ἐστι πάντων τῶν ἐν τῇ τέχνῃ.

66

Aus der Fülle der Literatur siehe u. a. Harder 2012; Walter 2020, 103–110; vgl. ferner HGL 2, 66–72 mit weiteren bibliographischen Angaben.

67

Sistakou 2011.

68

Zur Aitiologie in den Argonautika siehe Zanker 1987, 122–123; Klooster 2014; Walter 2020, 120–134; zu Nikander siehe Loehr 1996, 51–59. Zur Etymologie als einer „poetischen Ressource“ alexandrinischer Dichter siehe Cusset 2021 mit weiterer Literatur.

69

Jacoby, FGrHist III a, 88.

70

Fragmente: Preller 1838; FHG Müller III, 108–148; Capel Badino 2018. Zum antiquarischen Interesse siehe Angelucci 2003; Angelucci 2011; Engels 2014; Capel Badino 2018, 37–43; zum geistesgeschichtlichen Kontext Pergamons in dieser Zeit Pfeiffer 1968, 301 ff.

71

Aus diesen Studien entstand eine Schrift, in der er die entsprechenden Ausführungen des Eratosthenes kritisch ergänzte, siehe Deichgräber, RE 21.2, 1309–1310; Pfeiffer 1968, 303.

72

Die Fragmente seiner paradoxographischen Schrift(en) versammeln Giannini 1964 und FGrHist 1751.

73

Fragmente: FGrHist 63; Winiarczyk 1991. Zu Leben und Werk siehe Winiarczyk 2002; zur notwendigen Differenzierung zwischen Euhemeros und dem sog. Euhemerismus Thraede, RAC 6 (1966), 880–882.

74

U. a. durch Etymologien, z. B. Uranos (T49 u. T62), sowie Heuremata, z. B. Venus als Erfinderin der Prostitution (T75) oder Aeacus als Entdecker von Gold (T81–82B). Zum Motiv der Entdeckung einer Stele, in die geheimes Wissen von Göttern eingeschrieben war, siehe Winiarczyk 2002, 101–102.

75

Lendle 1992, 276–277; Higbie 2003; Hartmann 2o10, 505–510.

76

Lendle 1992, 180–205; HGL 2, 638–667 mit den einschlägigen Verweisen.

77

Momigliano 1990, 59 sieht darin die Differenzierung zwischen Antiquaren und Historikern begründet. Siehe dazu oben Kap. 1.1.

78

Auch die Alexandergeschichtsschreibung enthielt je nach Vorlieben des Autors längere ethnographische Exkurse über Ursprünge, Bräuche und Heuremata der von den Makedonen eroberten Völker, vgl. z. B. Antikleides, FGrHist 140 F1 und F11.

79

Mehr als auf ein Interesse an Ursprüngen und Gründungssagen kann aus ihnen meist nicht geschlossen werden. Siehe dazu mit Beispielen Clarke 2008, 196–197.

80

FGrHist 809–815. Siehe dazu unten S. 204–208. Einen Überblick über die griechischen Varianten der Gründung Roms bietet Wiseman 1995, 43–61; siehe ferner Strasburger 1968 und Bickerman 1952.

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Antiquarianismus in Rom

2. Jhd. v. Chr. - 3. Jhd. n. Chr.

Series:  Mnemosyne, Supplements, Volume: 484