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Dr. Theo Waigel Bundesminister a.D., Mitglied im Kuratorium der Eugen-Biser-Stiftung

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Eugen Biser hat es verstanden, immerwährende Werte und Prinzipien mit unserer modernen Lebenswelt in einem christlichen Sinne zu verbinden. Der Vorrang der Person, freie Initiative, die Menschenwürde der Schwachen und Hilflosen, Solidarität und Abbau von Konfrontationen, ein Zusammenleben im Geist geschwisterlicher Verbundenheit, waren Grundlage seiner theologisch geprägten politischen Philosophie. Diese christliche Verantwortungsethik verlangt, den Folgen politischer und ökonomischer Entscheidungen für die kommenden Generationen Rechnung zu tragen. Das gilt für die Umweltpolitik, für Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Auch die Bewältigung der Coronakrise muss von christlichen Prinzipien geprägt sein. Jedes Menschenleben ist schützenswert, der alte und kranke Mitbürger verdient den gleichen Schutz. Das ist Personalität im Sinne einer christlichen Menschenwürde. Unser Gesundheitswesen muss den Zugang für alle zur notwendigen medizinischen Versorgung sicherstellen. Das ist gelebte Solidarität. Praktizierte Subsidiarität besteht darin, regional und lokal angepasste und verhältnismäßige Entscheidungen zu treffen. Dieses christliche Politikverständnis unterscheidet sich von der Politik in den Vereinigten Staaten genauso wie der in Großbritannien, in Schweden oder in Russland. Mehr Europa und ein europäisches Angehen globaler Probleme sind das Gebot der Stunde. Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Die Freundschaft der Generationen wird darin bestehen, nach der expansiven Politik der Gegenwart die Konsolidierung im Interesse der nächsten Generationen anzugehen. Schon 1949 stellte Joseph Bernhart in einem Beitrag für die UNO über philosophische Aspekte der demokratischen Krisis fest: Jede Demokratie kann auch an der Freiheit zugrunde gehen. Es bedarf eines gemeinsamen Wertesystems, eines gemeinsamen sittlichen Bewusstseins und der Entschlossenheit, diese Demokratie gegen ihre Feinde entschieden zu verteidigen. Auch für kirchenferne Bürger ist christlich geprägtes Denken und Handeln wünschenswert und attraktiv. Jürgen Habermas hat dies im Gespräch mit Kardinal Ratzinger und auch später zum Ausdruck gebracht.

In King Lear von William Shakespeare sagt der geblendete Gloster, als er durch die Wildnis irrt: Das ist die Seuche unserer Zeit: Verrückte führen Blinde. Was vor fast 500 Jahren gedacht wurde, ist heute wieder Wirklichkeit. Entsprechende Blicke gehen nach Moskau, Ankara, London und viele andere Orte. Menschen mit einem gefestigten christlichen Menschenbild sind der Unübersichtlichkeit unserer Zeit besser gewachsen, wenn ein christliches Menschenbild und die Verantwortung vor Gott ihr Tun und Handeln prägt.

Ich wünsche dieser Publikation, dass sie zur Orientierung in dieser Zeit beiträgt.

Dr. Theo Waigel,

Bundesminister a.D., Mitglied im Kuratorium der Eugen-Biser-Stiftung

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