Der vorliegende Band versammelt die Ergebnisse der Ringvorlesung Komparatistik heute. Aktuelle Positionen der Vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft, die im Sommersemester 2017 vom Team der Paderborner Komparatistik organisiert und durchgeführt wurde. Den ausgesprochen erfreulichen Anlass zu dieser Vorlesungsreihe bildete die Neueinführung des B.A.-Teilstudienfachs Komparatistik/Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft zum Wintersemester 2016/17, das den bereits seit längerem bestehenden gleichnamigen Masterstudiengang an der Universität Paderborn ergänzt. In Zeiten, in denen der Fortbestand der so genannten ‚kleinen Fächer‘ nur allzu häufig auf den Prüfstand gesetzt wird und es nicht selten dazu kommt, dass damit ihr Ende eingeläutet wird, kann man es gar nicht hoch genug schätzen, wenn eine Fakultät und ein Präsidium der Neueinrichtung eines solchen Studiengangs zustimmen, der in jeder Hinsicht die Attraktivität und Produktivität dieses Studiums sowie eines solchen Bereichs gleichermaßen intra- und interuniversitär vor Augen stellt. Daher sei an dieser Stelle dem Dekanat der Fakultät für Kulturwissenschaften und dem Präsidium der Universität Paderborn in besonderem Maße gedankt, da sie von Anfang an die Einführung des B.A.-Teilstudienfachs ausgesprochen wohlwollend begleitet haben.
Das Ziel der Ringvorlesung, die dankenswerterweise von der Universitätsgesellschaft Paderborn finanziell unterstützt wurde, bestand zunächst darin, den Paderborner Studierenden der Komparatistik sowie weiteren Interessierten Vorträge von verschiedenen Vertreter*innen der Komparatistik, d.h. der Paderborner Komparatistik, insbesondere aber auch der Komparatistik anderer Universitäten zu präsentieren, in denen die Vortragenden exemplarisch vorstellten, für welche Konzeption sowie für welches Verständnis des Faches sie einstehen. Die Heterogenität der Themen und Ansätze, die sich in diesem Band versammelt finden, sind entsprechend das logische Resultat dieser Herangehensweise, insofern die Vorträge keinerlei Themenvorgabe folgten oder einer Einschränkung bezüglich Methode und/oder Theorie unterlagen. Vielmehr wurden die Vortragenden explizit aufgefordert, ein Thema zu wählen, das für ihre eigenen Forschungen genauso paradigmatisch einsteht wie für ihr jeweiliges Verständnis komparatistischer Forschung und Lehre.
Sicherlich hätte eine explizite Konstellation oder eine bewusst gewählte Perspektivierung, wie sie etwa die 1993 von Henrik Birus und 2017 von Dieter Lamping organisierten DFG-Symposien Germanistik und Komparatistik resp. Vergleichende Weltliteraturen exemplarisch zeigen, eine größere Kohärenz der Beiträge bewirkt. Doch hätte dies weder der Ausrichtung der Paderborner Komparatistik im Speziellen noch – so die Vermutung der Herausgeber*innen vor der Ringvorlesung und ihre Gewissheit nach dieser – der Diversifizierung der Komparatistik im Allgemeinen wirklich Rechnung getragen, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat.
Die dominante An- und/oder Einbindung der Komparatistik an resp. in die Germanistik, wie sie im Titel des Symposiums von 1993 sichtbar wird, ist mittlerweile sehr häufig Ergebnis von institutionellen Vorgaben, sie entspricht indes nur noch bedingt den faktischen Gegebenheiten: Die Paderborner Komparatistik ist beispielsweise dem Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft als Bereich zugeordnet, das Studium der Komparatistik zeichnet sich hingegen genauso durch Studienanteile in den benachbarten Philologien, der Anglistik/Amerikanistik und der Romanistik, aus. Diese werden wiederum ergänzt um Studienanteile in den Medien-, Kunst- und Musikwissenschaften. Auch die vorliegenden Studien zeichnen ein ähnliches Bild, insofern die Verbindung von Germanistik und Komparatistik keineswegs verloren gegangen ist, sie jedoch in sehr hohem Maße durch solche mit der Anglistik, Romanistik, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, ja sogar mit der Betriebswirtschaftslehre in mindestens gleichem, wenn nicht gar höherem Maße ergänzt wurde.
Ähnliches lässt sich über den Fokus auf bestimmte Konzepte sagen, deren Wert für die Forschung sowie für das Selbstverständnis unbestritten sind, die jedoch nur ein Konzept unter anderen darstellen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und die zudem in historischer Tiefenperspektive nicht selten Konjunkturschwankungen unterliegen, die es selbst zu erforschen und bedenken gilt. Bemerkenswert ist zudem die immer wiederkehrende Auseinandersetzung mit tradierten, um nicht zu sagen älteren Positionen der Komparatistik, was in diesem Band etwa im Rahmen von Relektüren Erich Auerbachs oder Peter Szondis geschieht, oder die Reflexion über die Möglichkeiten des Fortbestehens und der Neubegründung von Traditionen, die etwa über Spuren im Sinne von Carlo Ginzburg sichtbar werden, so dass gerade keine klar konturierten Konzepte im Raum stehen, sondern niedrigschwelligere Formen der Bezugnahmen, mithin der Modifikation und Transformation, die ganz eigene, über Ländergrenzen und Kontinente hinausgehende Traditionslinien zu ziehen erlauben. Hinzu kommt ein Charakteristikum der vorliegenden Aufsätze, das in gewisser Weise alle Vortragenden und deren Positionierungen betrifft. Während die DFG-Symposien der Germanistik allein zwei Sprachen als Konferenzsprachen zulassen, nämlich Deutsch und Englisch, unterstreichen die vorliegenden Studien, dass die Kenntnis romanischer Sprachen, des Französischen genauso wie des Italienischen oder Spanischen, ebenso wünschenswert ist wie die Kenntnis antiker Sprachen und Kulturen, gerade wenn man die gegenwärtigen Literaturen und Kulturen in ihrer Vielheit und in ihren unterschiedlichen Dimensionen begreifen will. Gleiches gilt für die slawischen Sprachen und natürlich auch für die außereuropäischen Sprachen – auch wenn jede/r Komparatist*in weiß, dass dies in der eigenen Praxis nur ausschnittweise möglich, aber gerade deswegen von Bedeutung ist.
Dementsprechend diente die Ringvorlesung einer erneuten und vor allem im besten Sinne aktuellen Standortbestimmung des Fachs Komparatistik, was nicht zuletzt dadurch angestrebt wurde, dass bei der Auswahl der Vortragenden vor allem jüngere Kolleg*innen bedacht wurden, die erst in letzter Zeit eine Professur für Komparatistik angetreten haben und entsprechend für die Zukunft des Fachs mit ihrer Person und ihren Forschungen einstehen resp. einstehen werden. Zugleich präsentierte die Ringvorlesung das kulturwissenschaftliche und internationale Profil der Komparatistik, wie es exemplarisch an der Universität Paderborn in seiner ganzen Breite den Studierenden angeboten und in den jeweiligen Forschungen auch umgesetzt wird.
Die Wahl des Untertitels Aktuelle Positionen der Vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft war entsprechend zum einen Konsequenz der Paderborner Ausrichtung der Komparatistik und zum anderen ein deutlicher Indikator für einen allgemeinen Paradigmenwechsel in den Literaturwissenschaften – zu denen die Komparatistik seit ihrer Gründung und immer noch zu rechnen ist –, die sich seit geraumer Zeit immer mehr als Kulturwissenschaften verstehen. Denn diese Ausweitung der Literatur- zu den Kulturwissenschaften oder gar die Umwandlung der Literatur- in Kulturwissenschaften bedarf nicht nur einer Legitimation, sondern auch und vor allem einer Begründung und damit verbunden einer genauso sinnvollen Umsetzung in der Lehre, wie sie nicht zuletzt im Rahmen jeder (Re-)Akkreditierung aufs Neue gefordert wird.
Die Paderborner Komparatistik wird in Lehre und Forschung durch die Verbindung mit den benachbarten Fächern der Anglistik, Germanistik und Romanistik sowie den Medien-, Kunst- und Musikwissenschaften charakterisiert und fokussiert zudem drei methodologische Schwerpunkte, die in der Lehre, aber auch in den vorliegenden Aufsätzen der Paderborner Fachvertreter*innen klar hervortreten: Interkulturalität, Intermedialität und Gender Studies. Darüber hinaus wird der Bereich im Allgemeinen sowie die Lehre im Besonderen durch zwei Spezifika gekennzeichnet: Zum einen baut die Paderborner Komparatistik auf dem von Erich Auerbach begründeten Modell des Fachs auf, das die Vermittlung und das transkulturelle Verständnis der – insbesondere europäischen – Literatur von der Antike bis zur Gegenwart zentral setzt. Dergestalt unterscheidet sie sich bewusst von denjenigen Komparatistiken, die vorzugsweise die Literatur und Kultur seit der Moderne in den Blick nehmen, da unserem Verständnis nach die Literaturen und Künste seit der Antike, spätestens aber seit der Frühmoderne essentiell zur Begründung des modernen Europas beigetragen haben und von hier aus ihren – wenn auch nicht immer unproblematischen, aber dafür umso wichtiger zu analysierenden – Beitrag zur Entstehung unserer gegenwärtigen Welt geleistet haben. Zum anderen fokussiert die Paderborner Komparatistik die Praxis kulturwissenschaftlichen Arbeitens auf mehreren Ebenen: Hierzu zählen im Bereich der Lehre etwa spezifische Praxisseminare genauso wie die Ausrichtung auf das forschende Lernen. Letztere zeigt sich beispielhaft in den alle zwei Jahre durchgeführten, international besetzten Studierendenkolloquien und den von studentischer Seite organisierten Publikationen der jeweiligen Beiträge sowie in den zahlreichen Exkursionsseminaren ins europäische Ausland, die nicht zuletzt durch die Kooperation mit (außer)universitären Forschungsinstitutionen oftmals die Möglichkeit für anschließende Auslandspraktika eröffnen. Auch dies gehört unserem Verständnis nach zu einer Vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft, die diesen Namen wirklich verdient, da die jeweilige Praxis der Studierenden oder Promovierenden vor Ort eine genauso kritische wie produktive Reflexion des Anderen und damit eben auch des Eigenen befördert und auf diese Weise Komparatist*innen im besten Sinne ausbildet, die ihr Fach intra- und außeruniversitär repräsentieren und damit den Grundstein für die Zukunft des Fachs auf ihre eigene und zugleich ganz grundlegende Weise legen.
Unser herzlicher Dank gilt dementsprechend zunächst einmal allen Beiträger*innen für ihre Bereitschaft, sich auf unser Projekt einzulassen, aktuelle Positionen der Vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft zur Diskussion zu stellen, sowie für ihre damit verbundene Mühe und Geduld. In gleichem Maße gilt unser Dank dem Team der Paderborner Komparatistik, das uns bei der Durchführung der Ringvorlesung stets hilfreich zur Seite stand, sowie Julia Schimmler und besonders Sophia Englbrecht, die uns bei der Vorbereitung dieser Publikation auf das Beste unterstützt haben.
Jörn Steigerwald Hendrik Schlieper Leonie Süwolto
Paderborn, im Juni 2020