Das Influencer*innendasein hat zweifelsohne seine schΓΆnen Seiten. Beim Posten von Bildern und Videos von sich oder den erlebten Unternehmungen auf Social-Media-KanΓ€len erfahren Social-Media-Influencer*innen1 viel Zuspruch, UnterstΓΌtzung und β Bewunderung. Es macht dabei keinen Unterschied, auf welcher Plattform Influencer*innen unterwegs sind. Ob auf Instagram oder YouTube, den beiden aktuellen Platzhirschen, ob in aufstrebenden sozialen Netzwerken wie Twitch und TikTok oder auf einem eigenen Blog: Sobald es die Architektur der Plattform ermΓΆglicht, den ΓΆffentlichen KanΓ€len einzelner Nutzer*innen einseitig zu folgen, lΓ€sst sich beobachten, dass es einigen Nutzer*innen gelingt, eine deutlich grΓΆΓere Followerschaft aufzubauen als andere und sich so zum Objekt der Bewunderung aufzuschwingen.
Influencer*innen haben sich innerhalb kurzer Zeit zu wichtigen Bezugspersonen gerade von Jugendlichen entwickelt. Eine Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) zeigte bereits fΓΌr 2017, dass Influencer*innen zusammen mit Musiker*innen die wichtigste Idolgruppe der 10- bis 18βJΓ€hrigen darstellen, deutlich vor Sportler*innen und Schauspieler*innen.2 Die gleiche Entwicklung lΓ€sst sich seit LΓ€ngerem auch in den USA beobachten.3 Da verwundert es wenig, dass Influencer*innen nicht nur online Begeisterung bei ihren jugendlichen Follower*innen entfachen, sondern eben auch bei ihren Offline-Auftritten auf Conventions oder bei Meet and Greets, auf denen sie als Popstars bejubelt werden. Influencer*innen sind somit aus der Lebenswelt der Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Aber auch andere Altersgruppen, insbesondere junge Erwachsene, folgen ihnen.4
Welche Ursachen hat diese Bewunderung, die Follower*innen Influencer*innen entgegenbringen? Die Verwunderung der Nichtinitiierten β derjenigen also, die der Faszination der Influencer*innen noch nicht erlegen sind, β ΓΌber diese Bewunderung bricht sich in ganz unterschiedlichen Formen Bahn. So formuliert etwa ein umfangreicher Dossierartikel in der Zeit:
Influencer stehen mit der neuesten Fotokamera von Canon vor einem Tempel in Thailand. Influencer posieren in einem Mantel von Prada vor dem Eiffelturm in Paris, lehnen sich im Bikini der Marke Missoni am Strand von Saint-Tropez an eine Palme oder liegen zu Hause mit einer Flasche Waschmittel von Coral im Bett. Das ist ihre Leistung. DafΓΌr werden sie von ihren Fans gefeiert.5
Davon abgesehen, dass die Waschmittelflasche im Bett nicht gefeiert, sondern schnell zum Inbegriff eines fehlgeleiteten Hypes um kommerzielle Influencer*innenkampagnen avancierte,6 spiegelt sich in dieser journalistischen Beobachtung deutlich die Verwunderung, ja gar das UnverstΓ€ndnis wider, mit dem gerade Offline-Sozialisierte auf das PhΓ€nomen Influencer*innen blicken. Die Bewunderung von Influencer*innen ist also erst einmal selbst verwunderlich und damit womΓΆglich erklΓ€rungsbedΓΌrftig. In diesem Beitrag mΓΆchte ich mich an einer Antwort auf die Frage versuchen, warum Influencer*innen diese Bewunderung zuteilwird.
Bewunderung als Modus des In-Beziehung-Setzens
ZunΓ€chst mΓΆchte ich ein konzeptionelles VerstΓ€ndnis von Bewunderung erarbeiten. Bewunderung wird in der psychologischen Literatur als eine Emotion begriffen. Nach Oliver C. Robinson u. a., die sich auf Sara B. Algoe und Jonathan Haidt7 beziehen, lΓ€sst sich Bewunderung (admiration) verstehen als βan βother-praisingβ emotion elicited by observing and feeling praise for exemplary skilled behavior in another person, which in turn leads to a desire for proximity to the admired figureβ8. Als solche wird Bewunderung abgegrenzt von Emotionen wie ErhΓΆhung (elevation)9, Ehrfurcht (awe)10 oder Verehrung (adoration),11 die sich ebenfalls auf das besondere Andere beziehen. Einig ist sich die psychologische Forschung darΓΌber, dass Bewunderung zum Nacheifern anregt.12 Dieser Impuls unterscheidet Bewunderung etwa von Ehrfurcht und Verehrung. Bewunderung setzt nach diesem VerstΓ€ndnis also voraus, dass der Bewundernde13 die FΓ€higkeiten oder Eigenschaften der Bewunderten als erstrebenswert und grundsΓ€tzlich erreichbar ansieht.14 Diana Onu u. a. verweisen daher auf den Zusammenhang von Bewunderung und Inspiration. FΓΌr Bewunderung ist es jedoch unerheblich, ob sich der Bewundernde letztlich dazu durchringt, tatsΓ€chlich der Bewunderten nachzueifern, oder ob er dem Impuls nicht nachgibt.15
So aufschlussreich diese erste AnnΓ€herung an Bewunderung als GefΓΌhl auch ist, schlage ich dennoch vor, Bewunderung im Weiteren nicht als ein GefΓΌhl zu behandeln, sondern, dem Programm einer relationalen Soziologie folgend,16 als ein soziales PhΓ€nomen: als eine spezifische Form des In-Beziehung-Setzens von zwei oder mehr Akteur*innen. Denn es dΓΌrfte klar sein, dass Bewunderung in ihrem Kern stets zweier Akteur*innen bedarf: eines Bewundernden sowie einer Bewunderten, auf deren FΓ€higkeiten oder Eigenschaften sich der Bewundernde bezieht.17 Bewunderung lΓ€sst sich dann, so meine Arbeitshypothese, als eine spezifische Form der Relationierung verstehen, die von dem Bewundernden und der Bewunderten kommunikativ konstituiert wird.
Diese Relationierung, so meine Annahme, wird von zwei Seiten her konstituiert: erstens durch das Handeln des Bewundernden gegenΓΌber der Bewunderten β im Fall von Influencer*innen und ihren Follower*innen etwa durch den Kauf von Merchandiseartikeln, in der Γbernahme von Meinungen und Bewertungen oder in spezifischen Kommentaren wie βDu siehst so toll ausβ. Zweitens konstituiert sie sich durch das Handeln der Bewunderten gegenΓΌber dem Bewundernden, zum Beispiel in der kommunikativen Inszenierung von FΓ€higkeiten oder Eigenschaften, fΓΌr die Influencer*innen bewundert werden beziehungsweise bewundert werden mΓΆchten, oder in performativen Akten des Bewundertseins wie beispielsweise der Annahme von Komplimenten.
Bewunderung strukturiert die Beziehung zwischen Bewunderter und Bewunderndem hierarchisch. Sighard Neckel hat mit Blick auf die Scham festgestellt, dass sie das MachtgefΓΌge verΓ€ndert, weil sie die BeschΓ€mten herabsetzt: Scham signalisiert die βUnterordnung des einen Subjekts unter die Bewertung eines anderenβ18. Gleiches lΓ€sst sich auch fΓΌr die Bewunderung konstatieren: Beziehen sich zwei Akteur*innen im Modus der Bewunderung aufeinander, so positioniert diese Relationierung die Bewunderte ΓΌber dem Bewundernden. Diese Hierarchisierung ergibt sich aus zwei der Bewunderung als Emotion zugeschriebenen Charakteristika: Zum einen aus dem Wunsch des Nacheiferns, den der Bewundernde hinsichtlich der FΓ€higkeiten oder Eigenschaften der Bewunderten empfindet und die ihm, zumindest in dieser Exzellenz, gegenwΓ€rtig abgehen19; zum anderen aus dem Respekt, den der Bewundernde der Bewunderten aufgrund dieser FΓ€higkeiten oder Eigenschaften zollt und durch den soziale WertschΓ€tzung zugewiesen wird.20
Influencer*innen und ihre Follower*innen
Influencer*innen lassen sich als Akteur*innen bestimmen, die im Social Web eine signifikante Anzahl an relevanten Beziehungen mit einer spezifischen QualitΓ€t und dadurch Einfluss auf andere Nutzer*innen etabliert haben. Ihnen gelingt das, indem sie Inhalte produzieren, Inhalte verbreiten, in Inhalten auftreten und in Bezug auf Inhalte interagieren.21 Aus dieser Definition ergeben sich vier Rollen von Influencer*innen, die auf unterscheidbaren AktivitΓ€tenbΓΌndeln beruhen und die, wie ich spΓ€ter ausfΓΌhren werde, zu verstehen helfen, wie Influencer*innen aktiv handeln, um Bewunderung hervorzurufen:
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(1) Content Creator*in: Influencer*innen produzieren Inhalte fΓΌr ihre KanΓ€le. Es lassen sich anhand ihrer spezifischen Funktionen verschiedene Inhaltstypen unterscheiden.22
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(2) Multiplikator*in: Influencer*innen verbreiten Inhalte ΓΌber ihre KanΓ€le, zumeist ΓΌber soziale Netzwerke wie vor allem YouTube, Instagram, TikTok und Twitch, aber auch ΓΌber eigenstΓ€ndige Blogs.
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(3) Protagonist*in: Influencer*innen erschaffen eine ΓΆffentliche Persona, mit der sie als handelnde Personen in Inhalten auftreten. Auftritte kΓΆnnen in eigenen Inhalten, aber auch in fremden Inhalten, etwa in einem Kanal einer anderen Influencer*in, einem Fernsehwerbespot oder in journalistischer Berichterstattung erfolgen.
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(4) Influencer*innen als Moderator*innen: Influencer*innen interagieren mit ihren Publika. Diese Interaktionen organisieren sich oftmals um die spezifischen Inhalte (Kommentare). Interaktionen kΓΆnnen sich aber ebenfalls unabhΓ€ngig von spezifischen Inhalten ereignen (Direktnachrichten, Meet and Greets).
Eine andere Perspektive auf Influencer*innen haben die Celebrity Studies mit dem Konzept der Microcelebrities entwickelt.23 Dieses Konzept wird dort genutzt, um Social-Media-Influencer*innen von Mainstream-Prominenten zu unterscheiden.24 WΓ€hrend Mainstream-Prominenz auf ExklusivitΓ€t und Distanz zurΓΌckgeht, beruht der Status als Microcelebrity auf dem genauen Gegenteil: der ZugΓ€nglichkeit und NΓ€he zu den Publika,25 dem Blick hinter die Kulissen26 und der IntimitΓ€t, die entsteht, wenn Influencer*innen ihre Follower*innen an ihren Gedanken und GefΓΌhlen teilhaben lassen.27 Diese βKomplizenschaftβ mit den Publika ergibt sich, weil Microcelebrities anders als Mainstream-Prominente nicht auf die Promotionsleistung der traditionellen kulturmittelnden Institutionen wie Fernsehsender, Plattenfirmen oder Hollywood-Studios zurΓΌckgreifen kΓΆnnen, sondern ihr Status ΓΌber Social-Media-Dynamiken entsteht. Entsprechend fasst Theresa M. Senft, auf deren Studie zu Camgirls das Konzept der Microcelebrity zurΓΌckgeht, Microcelebrity als βa new style of online performanceβ,28 der auf der aktiven Nutzung von Videos, Blogs, sozialen Netzwerken etc. beruht.
Der Ursprung des Microcelebrity-Status ist fΓΌr das VerstΓ€ndnis der Influencer*innen entgegengebrachten Bewunderung nicht unwesentlich. Er zeigt, dass Social-Media-Influencer*innen auch βnurβ Nutzer*innen sozialer Medien und dadurch gewΓΆhnlichen Nutzer*innen dieser Medien strukturell gleichgestellt sind, auch wenn sie es geschafft haben, ihre KanΓ€le erfolgreicher als diese zu betreiben. Diese strukturelle Gleichartigkeit besitzt zwei Implikationen: erstens, dass es jede*r schaffen kΓΆnnte, die eigenen Followerzahlen zu vergrΓΆΓern und aus der Masse der gewΓΆhnlichen Nutzer*innen herauszustechen. Sie beinhaltet also die Aussicht, selbst BerΓΌhmtheit erlangen zu kΓΆnnen. Sie impliziert zweitens, dass Influencer*innen anders als Mainstream-Prominente einer gemeinsamen Lebenswelt entstammen. TatsΓ€chlich gibt es eine Reihe von Hinweisen darauf, dass Influencer*innen von anderen Nutzer*innen vielleicht nicht immer, aber zumindest hΓ€ufig als strukturell gleichartig, als Peers wahrgenommen werden. Entsprechend lΓ€sst sich Influencer-Kommunikation als eine Form der Peer-to-Peer-Kommunikation fassen, die freilich durch die Relationierung ΓΌber Bewunderung und die daraus folgende Respektzuweisung spezifisch hierarchisiert wird. So wird die Beziehung zu Influencer*innen aus Sicht ihrer Follower*innen als Freundschaft,29 als geschwisterlich30 beschrieben und die Influencerin als βgirl next doorβ,31 als in ihrer GewΓΆhnlichkeit32 gleich. Diese Beobachtung ist wichtig, um die Ursachen der Bewunderung von Influencer*innen zu verstehen, weil die Bewunderung nach dem oben dargelegten VerstΓ€ndnis darauf beruht, dass sie einen Impuls zum Nacheifern auslΓΆst. Dieser Impuls, so meine Annahme, wird eher ausgelΓΆst, wenn Follower*innen eine (gewisse) Gleichartigkeit zwischen sich und den bewunderten Influencer*innen wahrnehmen.
Die Ursachen der Bewunderung von Social-Media-Influencer*innen
Ich gehe davon aus, dass Bewunderung eine wichtige Form des In-Beziehung-Setzens im strategischen Handlungsfeld der Influencer-Kommunikation33 darstellt. Sie ist insbesondere fΓΌr die Beziehung zwischen Influencer*innen und ihren Follower*innen charakteristisch. Doch wofΓΌr werden Influencer*innen bewundert? In letzter Instanz scheint mir diese Frage eine empirische zu sein, und sie lΓ€sst sich daher an dieser Stelle nicht mit Gewissheit beantworten. Trotzdem mΓΆchte ich im Folgenden auf Ursachenforschung gehen. VordergrΓΌndig lieΓe sich sicherlich ein Kaleidoskop an FΓ€higkeiten β schlieΓlich organisieren sich viele Influencer*innen um ein zentrales Thema und entwickeln hierzu eine gewisse Expertise34 β und Eigenschaften identifizieren, die bewundernswert sind und auf die sich auch gemeinhin der Blick richtet. Denken lieΓe sich hier an Fertigkeiten und Expertise in den Bereichen ErnΓ€hrung (Foodblogger*innen), modischer Style (Fashionblogger*innen), Kosmetika (Beauty-Influencer*innen), Videospiele (Gamer*innen), Reisen (Travelblogger*innen), Kindererziehung (Mommy Blogger*innen), Pflanzen (Plantfluencer*innen), christlicher Glaube (Christfluencer*innen), Haus- (Cleanfluencer*innen) und Hautpflege (Skinfluencer*innen) usw., aber auch an Eigenschaften wie SchΓΆnheit, LΓ€ssigkeit, Humor etc.
Auch wenn diese FΓ€higkeiten und Eigenschaften gut als Grund fΓΌr die Bewunderung von Influencer*innen herhalten kΓΆnnen, scheint diese mir doch tiefer liegende UrsprΓΌnge zu besitzen. Ich mΓΆchte daher eine alternative Doppelantwort auf die Frage nach dem Ursprung der Bewunderung anbieten.
VerkΓΆrperung von gesellschaftlichen Makrotrends
Erstens gelingt es Influencer*innen, spezifische gesellschaftliche Makrotrends in besonderem MaΓe zu verkΓΆrpern. Im Zentrum des Influencer*innendaseins steht AuthentizitΓ€t.35 AuthentizitΓ€t stellt laut Charles Taylor36 den Leitwert der Moderne schlechthin dar, denn das aus starren gesellschaftlichen Strukturen befreite Individuum ist auf sich selbst zurΓΌckgeworfen, um den Sinn seines Lebens zu finden. AuthentizitΓ€t verspricht, den Weg zu diesem Sinn zu weisen. Indem mit ihr die Realisierung der eigenen Entwicklungspotenziale auch gegen gesellschaftliche WiderstΓ€nde zum Ziel erhoben wird, macht sie die IndividualitΓ€t des Individuums zum Referenzpunkt des gelungenen Lebens. Influencer*innen unterwerfen sich dem Impetus der AuthentizitΓ€t, ja, AuthentizitΓ€t wird geradezu zum Fetisch des Handlungsfeldes. Sie erhΓ€lt hier allerdings eine durchaus konstruktivistische Wendung: Bedeutsam fΓΌr das ReΓΌssieren ist weniger die Wahrnehmung der Influencer*innen, die ihre eigenen Handlungen als authentisch empfinden, sondern in erster Linie die Wahrnehmung von AuthentizitΓ€t durch ihre Publika.37 Damit verschiebt sich der Fokus auf die Darstellung von AuthentizitΓ€t. Entsprechend begreift Brooke E. Duffy sie im Kontext des Feldes als performativen Akt der Kommunikation von Echtheit in Einklang mit der ΓΆffentlichen Persona.38
Der Impetus der AuthentizitΓ€t steht in direktem Zusammenhang mit einem weiteren Leitwert: der IntensitΓ€t. Ein intensives Leben ist dem modernen Individuum nach Tristan Garcia deshalb geboten, weil der Verlust der religiΓΆsen Aussicht auf die Belohnung im Jenseits β Christfluencer hin oder her β dazu fΓΌhrt, dass man bereits im Hier und Jetzt auf seine Kosten kommen sollte.39 βHere is what we have been promised: to become intense people or, more precisely, people whose existential meaning is the intensification of all vital functions.β40 Nur ein intensives Leben ist ein gelungenes Leben. IntensitΓ€t ist fΓΌr Garcia eine Frage nicht des Inhalts, sondern der Form: Sie ist βan ideal without contents, a purely formal ideal. To intensely be what one is.β41 An genau dieser Stelle erfolgt die Verzahnung von IntensitΓ€t und AuthentizitΓ€t: Es reicht nicht aus, bloΓ authentisch zu sein. Die AuthentizitΓ€t muss auch intensiv gelebt werden. IntensitΓ€t kann bei Influencer*innen natΓΌrlich im Jetsettertum Ausdruck finden: Gerade Makroinfluencer*innen auf Instagram scheinen pausenβ, ja geradezu rastlos auf Reisen zu sein. Diese IntensitΓ€t zeigt sich aber, und das ist meines Erachtens das eigentlich Interessante, nicht nur im AuΓergewΓΆhnlichen, sondern eben auch im AlltΓ€glichen. Influencer*innen gelingt es, auch gewΓΆhnliche Alltagsverrichtungen als intensive Erfahrungen darzustellen: βIhr persuasiver Eros speist sich aus der glΓ€nzenden AlltΓ€glichkeit ihres Seinsβ,42 stellt Guido Zurstiege hierzu treffend fest. Auch dies impliziert, dass Influencer*innen als Peers derselben Lebenswelt entstammen wie ihre Follower*innen.
Diese Beobachtung der AlltΓ€glichkeit mΓΆchte ich aber sogleich wieder einfangen und kontextualisieren, denn trotz aller AlltΓ€glichkeit mΓΌssen Influencer*innen immer auch besonders sein. Sie verkΓΆrpern daher ebenfalls den Makrotrend der Singularisierung als Strukturmerkmal. Andreas Reckwitz beschreibt als Singularisierung den spΓ€tmodernen Prozess der kulturellen Valorisierung von SingularitΓ€ten, also von βEntitΓ€ten, die innerhalb von sozialen Praktiken als besondere wahrgenommen und bewertet, fabriziert und behandelt werdenβ43. Solche EntitΓ€ten kΓΆnnen unter anderem Subjekte sein, und Reckwitz lenkt den Blick hier vor allem auf KΓΌnstler*innen und kreative Milieus.44 Unter diese Sammelbezeichnung fallen auch Influencer*innen, und entsprechend lΓ€sst sich feststellen, dass sich Influencer*innen zusammen mit ihren Publika als SingularitΓ€ten hervorbringen. Das Besondere an Social-Media-Influencer*innen scheint mir nun zu sein, dass sie es schaffen, den Konflikt zwischen Allgemeinem und SingulΓ€rem zu harmonisieren: Das Allgemeine in Form des AlltΓ€glichen wird in den Posts der Influencer*innen singulΓ€r, eben weil es Influencer*innen als SingularitΓ€t performen. Der Trend der Singularisierung steht wiederum in Verbindung mit den beiden bereits benannten Trends. Auf den Zusammenhang von SingularitΓ€t und AuthentizitΓ€t hat Reckwitz selbst hingewiesen. Es ist aber genauso plausibel anzunehmen, dass sich auch SingularitΓ€t und IntensitΓ€t gegenseitig bedingen, gerade weil das SingulΓ€re, da es singulΓ€r ist, die IntensitΓ€t des Erlebens steigert (das Ereignis statt der Routine) und gleichsam IntensitΓ€t ein Hinweis auf SingularitΓ€t ist.
Aufmerksamkeit fΓΌr die VerkΓΆrperung
Zweitens haben es Influencer*innen verstanden, dieses authentisch-intensiv-singulΓ€re Leben kommunizierbar zu machen. Um als Influencer*in zu reΓΌssieren, ist es nicht ausreichend, dieses Leben βnurβ zu leben. Vielmehr muss es auch von anderen wahrgenommen werden, und die benΓΆtigten Publika kΓΆnnen massenhaft nur durch mediale Verbreitung erreicht werden. Influencer*innen gelingt es, in der AufmerksamkeitsΓΆkonomie45 erfolgreich zu sein. Sie schaffen das zum einen β das sind die inhaltlichen Voraussetzungen β durch eine spezifische Form der Selbstinszenierung, die der Logik des Self-Branding folgt. Self-Branding βinvolves individuals developing a distinctive public image for commercial gain and/or cultural capitalβ46. Influencer*innen folgen damit einem (neoliberalen) Ideal, nach dem das Individuum sich als Unternehmer*in des eigenen Selbsts versteht und das gerade vor dem Hintergrund der kalifornischen Ideologie47 gesellschaftlich positiv besetzt und hochgradig anschlussfΓ€hig ist.48 Das Self-Branding ist eng verwoben mit dem Dasein als Microcelebrity. Der Status als Microcelebrity erfordert nach Alice E. Marwick und Danah Boyd ein ganz spezifisches Mindset oder, wie ich formulieren wΓΌrde, einen spezifischen Modus des In-Beziehung-Setzens: β[V]iewing friends or followers as a fan base; acknowledging popularity as a goal; managing the fan base using a variety of affiliative techniques; and constructing an image of self that can be easily consumed by others.β49 Diese Beschreibung des In-Beziehung-Setzens durch Microcelebrities trΓ€gt deutliche ZΓΌge dessen, was hier bereits als Relationierung ΓΌber Bewunderung von Seiten der Influencer*innen β als Handeln der Bewunderten gegenΓΌber dem Bewundernden β beschrieben wurde.
Zum anderen bedarf es β das sind die technischen Voraussetzungen des Erfolges β eines regelkonformen Verankerns der BeitrΓ€ge in der Architektur des Social Webs: Hashtags, Mentions, Kommentare, Interaktionen mit anderen Nutzer*innen etc. sind mit hoher Schlagzahl notwendig, um von anderen Nutzer*innen wahrgenommen zu werden, insbesondere aber damit die Algorithmen der jeweiligen Plattformen auf die geposteten BeitrΓ€ge anspringen und einzelne BeitrΓ€ge in die Feeds anderer Nutzer*innen ΓΌberhaupt einspielen. Influencer*innen sind abhΓ€ngig vom Algorithmus,50 denn nur mit seinem βRΓΌckenwindβ ist es mΓΆglich, dass auch Nutzer*innen aus anderen Filterblasen den Kanal entdecken und so fΓΌr ein Anwachsen der Followerschaft sorgen. Aufgrund dieser AbhΓ€ngigkeit vom Algorithmus lΓ€sst sich auch das Handlungsfeld der Influencer-Kommunikation als Gelegenheitsmarkt51 charakterisieren, auf dem nicht Leistung, sondern das Schicksal ΓΌber sozialen Aufstieg entscheidet. Die wichtige Spezifizierung besteht allerdings darin, dass das Schicksal in der Gestalt eines Algorithmus in Erscheinung tritt. Zwar sind Algorithmen von auΓen nicht einsehbar, dennoch folgen sie festgelegten, annΓ€herungsweise rekonstruierbaren Regeln (Trial & Error in Form eines laienhaften Reverse Engineering). Daher kann ihnen nachgeholfen werden, wie etwa Victoria OβMeara am Beispiel von Influencer-Engagement-Pods fΓΌr Instagram zeigt.52
Das Zusammenwirken von Makrotrends und Kommunikation
Aus den beiden hier vorgestellten Γberlegungen β VerkΓΆrperung von Makrotrends und Kommunizierbarkeit dieser VerkΓΆrperung β ergibt sich auf die Frage nach den Ursachen der Bewunderung von Influencer*innen nun folgende Doppelantwort: Bewundert werden Influencer*innen fΓΌr ihre FΓ€higkeit, ein authentisch-intensiv-singulΓ€res Leben mittels der von ihnen entworfenen Persona zu leben und fΓΌr das Leben dieses Lebens Aufmerksamkeit zu erhalten. Diese beiden Ursachen sind auf vielfache Weise miteinander verzahnt und verstΓ€rken ihre Effekte gegenseitig. Die Tatsache der ΓΆffentlichen Wahrnehmung erΓΆffnet einerseits neue ErlebnismΓΆglichkeiten, zum Beispiel durch Reiseeinladungen, AttraktivitΓ€t ΓΌber Status etc., und kann so die IntensitΓ€t des Lebens vertiefen. Andererseits erhΓΆht die IntensitΓ€t die AttraktivitΓ€t der entsprechenden Inhalte fΓΌr die Follower*innen, was sich in gesteigerten Interaktionsraten und damit in einer fΓΌr Algorithmen relevanten Kennzahl niederschlagen kann.
Diese Doppelantwort zeigt an, weshalb wir im Handlungsfeld der Influencer*innen-Kommunikation in der Regel Bewunderung beobachten kΓΆnnen, zu der ja der Impuls des Nacheiferns gehΓΆrt, und nicht etwa Ehrfurcht und Verehrung. Die genannten Ursachen sind, weil sie auf Makrotrends der Moderne rekurrieren, weitreichend anschlussfΓ€hig: Es ist geradezu ein Imperativ der westlichen Moderne, authentisch, intensiv und singulΓ€r zu leben. Und die kommunikative Aufbereitung und Darstellung dieses Lebens verspricht Aufmerksamkeit und damit Erfolg in der AufmerksamkeitsΓΆkonomie, Statusgewinn und letztlich die Befriedigung des BedΓΌrfnisses, Beachtung zu finden.53 Gleichzeitig scheint eine realistische MΓΆglichkeit zu bestehen, es den erfolgreichen Influencer*innen gleichzutun. Denn wenn diese Influencer*innen einst als gewΓΆhnliche Internetnutzer*innen βgestartetβ sind, mithin gewΓΆhnlichen Nutzer*innen strukturell gleichen (Peers), dann zeigt ihr Erfolg, dass es mΓΆglich ist, selbst einen Microcelebrity-Status zu erlangen. Die ErzΓ€hlung von dem*der Self-Made-(Followerβ)MillionΓ€r*in, das sollte dabei nicht vergessen werden, ist auch im Interesse der Social-Media-Plattformen. Ihre GeschΓ€ftsmodelle beruhen schlieΓlich darauf, dass ihre Nutzer*innen immer neue, attraktive Inhalte erstellen, die andere Nutzer*innen auf die Plattform fΓΌhren und zum Verweilen bringen. Die MΓΆglichkeit, diese Nutzer*innen personalisiert anzusprechen, verkaufen Plattformen sodann an die Werbetreibenden.54
Bewunderung provozieren
Bewunderung bedarf, wie eingangs argumentiert, nicht nur des Handelns eines Bewundernden, sondern ebenfalls des Handelns einer Bewunderten. Die Auseinandersetzung mit den Ursachen der Bewunderung von Influencer*innen lΓ€sst nun deutlicher erkennen, welche Formen des Handelns auf Seiten der Bewunderten erforderlich sind: solche Handlungen, die auf die VerkΓΆrperung der Makrotrends abzielen, und solche, die diese VerkΓΆrperung kommunizierbar machen. Um diese Handlungen nun genauer zu differenzieren, lassen sich die vier Rollen heranziehen, die sich aus der aufgefΓΌhrten Definition von Influencer*innen ergeben haben.
FΓΌr die VerkΓΆrperung der Makrotrends ist die Rolle der Protagonist*in entscheidend. Influencer*innen mΓΌssen eine ΓΆffentliche Persona kuratieren, die die identifizierten Makrotrends β AuthentizitΓ€t, IntensitΓ€t, SingularitΓ€t β aufgreift. Diese Aufgabe ist fΓΌr alle drei Trends zu bewΓ€ltigen. Sie ist aber gerade mit Blick auf den Anspruch der AuthentizitΓ€t inhΓ€rent problematisch, weil aus diesem Anspruch folgt, dass ΓΆffentliche Persona und βwahres Selbstβ deckungsgleich sein sollten. Auch kommerzielle Kooperationen stellen Influencer*innen hier vor eine Herausforderung,55 weil die Monetarisierung des Microcelebrity-Status stets zum Vorwurf des Ausverkaufs und damit zum Absprechen von AuthentizitΓ€t fΓΌhren kann.56 Influencer*innen mΓΌssen also aktiv βauthenticity workβ57 betreiben, um als authentisch wahrgenommen zu werden. Daneben ist es notwendig, dass die ΓΆffentliche Persona auch im Falle der erfolgreichen Monetarisierung ihres Microcelebrity-Status, mit der erhebliche soziale Privilegien einhergehen kΓΆnnen, die Verbindung zur Lebenswelt ihrer Publika demonstriert. So stellen Brooke E. Duffy und Emily Hund im Hinblick auf Modeblogger*innen fest: β[G]iven that βauthenticityβ and βrealnessβ are governing logics in the fashion blogging community [β¦], it is perhaps not surprising that bloggers moderate representations of the βglam lifeβ with images that make them seem just like us.β58 Durch entsprechende Darstellungen zeigen Influencer*innen also ihre strukturelle Gleichartigkeit als Peers an und festigen die Vorstellung, dass auch andere ihrem Dasein als gewΓΆhnliche Social-Media-Nutzer*innen entwachsen kΓΆnnen.
Auch fΓΌr die Arbeit am Aufmerksamkeitspotenzial ist die Rolle der Protagonist*in wichtig. Denn das Kuratieren einer ΓΆffentlichen Persona ist aufs Engste mit den Techniken des Self-Branding verwoben β und diese Techniken kommen gerade deshalb zum Einsatz, weil sie das gelebte Leben kommunizierbar machen. FΓΌr die Generierung von Aufmerksamkeit sind aber auch die weiteren drei Rollen von Bedeutung. In der Rolle als Content Creator*in stehen Influencer*innen vor der Aufgabe, ihre ΓΆffentliche Persona in konkrete Medieninhalte zu ΓΌbersetzen. Diese Aufgabe bedarf auf einer eher abstrakten Ebene eines VerstΓ€ndnisses fΓΌr Themen, Orte, Zeitpunkte, Personen, Situationen etc., dann aber auch eines konkreten Wissens darΓΌber, wie spannende Geschichten erzΓ€hlt werden kΓΆnnen, und handwerklicher Fertigkeiten in den Bereichen Aufnahme- und Bearbeitungstechnik. Die produzierten Medieninhalte verbreiten Influencer*innen in der Rolle der Multiplikator*in. Hierbei sind die spezifischen Dynamiken der Plattform zu berΓΌcksichtigen, ΓΌber die die Inhalte ausgespielt und in deren Architektur sie verankert werden sollen, damit die Algorithmen sie in den Feeds anderer Nutzer*innen platzieren. In der Rolle der Moderator*in kΓΌmmern sich Influencer*innen schlieΓlich darum, die Beziehungen zu ihren Publika zu festigen und zu vertiefen. Auf diese Weise tragen sie zum einen dafΓΌr Sorge, dass ihre Interaktionsraten wettbewerbsfΓ€hig bleiben, zum anderen etablieren sie ein langfristiges Interesse an ihrem Kanal.
Es lΓ€sst sich demnach konstatieren, dass das Erreichen und Aufrechterhalten eines Microcelebrity-Status durchaus komplex ist. Gleichzeitig ist, zumindest in den Augen vieler Jugendlicher und junger Erwachsener, das Influencer*innendasein Γ€uΓerst attraktiv. Diese Grundkonstellation hat dazu gefΓΌhrt, dass in den vergangenen Jahren ein Markt fΓΌr Angebote entstanden ist, die die Techniken der Bewunderung zu lehren versprechen, mithin beibringen wollen, wie sich Bewunderung provozieren lΓ€sst. So veranstalten beispielsweise sowohl kommerzielle Anbieter*innen, etwa die βInfluencer Marketing Academyβ, als auch regionale Bildungseinrichtungen, etwa im Rahmen von Ferienprogrammen fΓΌr SchΓΌler*innen, Workshops zum Thema βWie werde ich Influencer*in?β. Daneben besteht ein umfangreiches Angebot an Ratgeberliteratur zum selben Thema: In Vorbereitung auf ein Forschungsprojekt habe ich Ende 2019 nicht weniger als 142 BΓΌcher gezΓ€hlt, die zu diesem Thema ΓΌber amazon.de erhΓ€ltlich sind.
NatΓΌrlich gibt es auch einen einfacheren Weg zur Bewunderung: den Kauf von Bot-Follower*innen. Der Einstieg als Micro-Influencer*in mit 5 000 Follower*innen ist, Stand 2021, bereits fΓΌr 37 US-Dollar zu haben. Mit dieser Herangehensweise wird das Pferd gewissermaΓen von hinten aufgezΓ€umt: ZunΓ€chst gilt es, eine β wenn auch kΓΌnstlich aufgeblΓ€hte β Follower*innenschaft zu monetarisieren und so Erfolg zu simulieren. Erst aus dieser Position heraus wird dann am Microcelebrity-Status gearbeitet. Weil aber die HΓΆhe der Kompensationen fΓΌr Kooperationen vor allem von der Anzahl der Follower*innen abhΓ€ngt, hat die Business-Seite des Handlungsfelds ein gesteigertes Interesse an Instrumenten, mit deren Hilfe sich nichtorganisches Kanalwachstum erkennen lΓ€sst. Entsprechend risikoreich ist der Fake-Follower*innen-Ansatz inzwischen.
Bewunderte Influencer*innen β beneidete Influencer*innen
Trotz der MΓΆglichkeiten, auf das ReΓΌssieren als Influencer*in Einfluss zu nehmen, scheint mir dennoch die Diagnose zuzutreffen, dass es sich beim Handlungsfeld Influencer*innen-Kommunikation um einen Gelegenheitsmarkt handelt. Diese Diagnose mache ich insbesondere an der grundlegenden Bedeutung der Algorithmen fΓΌr den Erfolg fest. Diese Algorithmen, ich hatte es bereits erwΓ€hnt, lassen sich zwar annΓ€herungsweise ausrechnen, sie bleiben aber weiterhin βBlack Boxesβ, die zum Unmut der Influencer*innen immer wieder und oftmals ohne VorankΓΌndigung durch die Social-Media-Plattformen modifiziert werden.59
Die WΓ€hrung dieses Gelegenheitsmarkts ist Aufmerksamkeit, die sich in Social-Media-Kennzahlen manifestiert: Viewβ, Likeβ und Followerzahlen sind zumeist von allen Nutzer*innen einsehbar. In Zusammenarbeit mit den entsprechenden Konzernen kΓΆnnen aber auch Engagementraten und Interaktionsvalenzen ermittelt werden.60 Die Ziffern, die sich aus diesen Kennzahlen ergeben, kΓΆnnen Influencer*innen dann in Kooperation mit Unternehmen, aber auch mit anderen Organisationen wie staatlichen Institutionen oder NGOs monetarisieren. Aufgrund des Umstandes, dass sich gerade junge Zielgruppen wegen des einschneidenden Wandels der Mediennutzungsgewohnheiten nur noch sehr begrenzt ΓΌber die traditionellen Massenmedien erreichen lassen, sind Organisationen bereit, Influencer*innen hohe BetrΓ€ge fΓΌr Kooperationen zu zahlen, um ihre Followerschaft gezielt adressieren zu kΓΆnnen. Dieser auch ΓΆkonomische Erfolg kann die Bewunderung, die Influencer*innen erfahren, noch verstΓ€rken, denn auch durch die Zusammenarbeit mit Marken, die eine hohe Reputation besitzen, lΓ€sst sich Bewunderung provozieren.61
Die Diagnose, dass das Handlungsfeld Influencer-Kommunikation einen Gelegenheitsmarkt darstellt, impliziert das βLeitbild des schnellen und mΓΌhelosen Erwerbs von Reichtum und Ruhmβ62. Wenn Erfolg aber schnell und mΓΌhelos erworben wird, kann er zwar Bewunderung hervorrufen, aber genauso in dessen Kehrseite, den Neid, und entsprechend in Entwunderung umschlagen.63 Nicht nur die Follower*in hat einen festen Platz im Akteursrepertoire der Social-Media-Welt, sondern eben auch die Hater*in,64 die, so meine Annahme, gerade durch Neid angetrieben wird. Neid lenkt den Blick zudem auf die Legitimation des Erfolgs und damit auf Bewunderung. Nach Sighard Neckel bedarf Erfolg der Legitimation durch Leistung, weil das Leistungsprinzip βals einzig ΓΆffentlich rechtfertigungsfΓ€higer MaΓstab der Statusvergabe [fungiert], ΓΌber den die moderne Gesellschaft ihrem eigenen SelbstverstΓ€ndnis nach verfΓΌgtβ65. Die Einforderung von Legitimation durch Leistung liegt bereits in der eingangs zitierten Frage der Zeit-Journalistin nach dem KΓΆnnen der Influencer*innen. Sie gelangt aber auch an anderen Stellen an die OberflΓ€che. Beispielsweise kam sie in einer jΓΌngst von mir geleiteten Fokusgruppenstudie66 zum Persuasionswissen mit SchΓΌler*innen zwischen 11 und 15 Jahren in Bezug auf Verteilungsgerechtigkeit zur Sprache. So diskutierten zwei Teilnehmer*innen im Alter von 12 und 13 Jahren die HΓΆhe der Einnahmen von Makroinfluencer*innen: βDie verdienen ja richtig viel Geld, wo die halt / mir fΓ€llt nur noch Bibi und so ein, die fahren dann halt auch richtig viel in Urlaub. Letztens waren sie in Las Vegas, das kostet ja auch ganz viel, und unsere Eltern gehen halt / also meine Mama sitzt jeden Tag im BΓΌro, verdient halt mittelmΓ€Γig, und Bibi ist dann jede Woche woanders. Das ist auch unfair.β βUnd dafΓΌr verdient sie Geld, indem sie in den Urlaub reist.β βUnd Bilder zeigt, wo sie war.β Auch eine 15βjΓ€hrige Teilnehmer*in hinterfragte die Monetarisierungspraktiken mancher Influencer*innen: βEs ist schon o. k., wenn man zum Beispiel ein Product Placement macht, aber es gibt einige YouTuber, die machen in jedem Video Product Placement und es ist zwar o. k., wenn man sich bissel dazuverdient, aber irgendwann ist dann halt auch blΓΆd.β Diese Aussagen zeigen exemplarisch, dass Influencer*innen zwar prinzipiell zugestanden wird, ihren Aufmerksamkeitserfolg zu monetarisieren, die HΓΆhe der Einnahmen erscheint jedoch nicht zwangslΓ€ufig gerechtfertigt. Influencer*innen, aber auch Kommunikationsagenturen, die Influencer-Kampagnen betreuen, bemΓΌhen sich, solche Neiddebatten einzufangen, indem sie den Aufwand β und damit die Leistung β betonen, der hinter jedem einzelnen Beitrag steht. Ihre ErzΓ€hlungen verhallen jedoch grΓΆΓtenteils ungehΓΆrt, wohl nicht zuletzt, weil es zum Genre gehΓΆrt, AlltΓ€glichkeit, wenn auch singulΓ€re AlltΓ€glichkeit, darzustellen und weil AlltΓ€glichkeit eben nicht aufwendig aussieht.
Fazit
In diesem Aufsatz habe ich mich an einer Antwort auf die Frage versucht, worin die Ursachen der Bewunderung von Influencer*innen bestehen. Ich habe vorgeschlagen, diese Ursachen nicht in konkreten FΓ€higkeiten (sich modisch zu kleiden, meisterhaft Videospiele zu spielen etc.) oder Eigenschaften (schΓΆn, lustig zu sein etc.) der Bewunderten zu suchen, sondern die BegrΓΌndung auf einer abstrakten Ebene zu verorten: Bewundert werden Influencer*innen, weil sie ein authentisch-intensiv-singulΓ€res Leben leben und fΓΌr das Leben dieses Lebens Aufmerksamkeit erhalten. Diese Antwort verweist auf komplexe, langfristige gesellschaftliche Entwicklungen. Indem sie es schaffen, diese Entwicklungen aufzugreifen und in konkretes (Medienβ)Handeln umzusetzen, erscheinen Influencer*innen geradezu als ikonische Figuren β und zugleich als Held*innen β des Social-Media-Zeitalters. Weil Influencer*innen daher lediglich auf gesellschaftliche Makrotrends reagieren, auch wenn sie dies sicherlich eher intuitiv als bewusst-geplant tun, scheint zu gelten: Jede Gesellschaft bewundert die Influencer*innen, die sie verdient.
Ich werde im Folgenden der Einfachheit halber schlicht von Influencer*innen sprechen, meine aber stets Social-Media-Influencer*innen. Zu einer Unterscheidung verschiedener Influencer*innen-Typen vgl. Nadja Enke u. Nils S. Borchers, βSocial Media Influencers in Strategic Communication. A Conceptual Framework for Strategic Social Media Influencer Communicationβ, in: International Journal of Strategic Communication 13 (4), 2019, S. 261β277.
Vgl. Achim Berg, βKinder und Jugend in der digitalen Weltβ,
Vgl. Susanne Ault, βDigital Star Popularity Grows Versus Mainstream Celebrities. YouTube creators get even more influential than last year among U. S. teensβ,
Vgl. Hubert Burda Media, βDie GlaubwΓΌrdigkeit von Influencern. Wo die Deutschen ihnen folgen, wann Follower Produkte kaufen und wie sie zur Kennzeichnung stehenβ,
Mareike Niederding u. BjΓΆrn Stephan, βDie Einfluss-Reichen. SchwΓ€rmen, Schmollen, SchΓΆnredenβ, in: Die Zeit, 21.3.2018.
Vgl. etwa Lisa Gondorf, β#Coralliebtdeinekleidung. Ist das die peinlichste Instagram-Kampagne 2017?β,
Vgl. Sara B. Algoe u. Jonathan Haidt, βWitnessing Excellence in Action. The βOther-Praisingβ Emotions of Elevation, Gratitude, and Admirationβ, in: The Journal of Positive Psychology 4 (2), 2009, S. 105β127.
Oliver C. Robinson u. a., βFigures of Admiration in Emerging Adulthood. A Four-Country Studyβ, in: Emerging Adulthood 4 (2), 2016, S. 82β91, hier S. 83.
Vgl. Algoe u. Haidt, βWitnessing excellence in actionβ.
Vgl. Diana Onu, Thomas Kessler u. Joanne R. Smith, βAdmiration. A Conceptual Reviewβ, in: Emotion Review 8 (3), 2016, S. 218β230.
Vgl. Ines Schindler u. a., βAdmiration and Adoration. Their Different Ways of Showing and Shaping Who We Areβ, in: Cognition and Emotion 27 (1), 2013, S. 85β118.
Vgl. Onu, Kessler u. Smith, βAdmiration. A Conceptual Reviewβ; Schindler u. a., βAdmiration and Adorationβ.
Ich werde im Folgenden von der Bewunderten und dem Bewundernden sprechen, um dergestalt auf sprachlicher Ebene GendersensibilitΓ€t und LesefΓΌhrung in gleichem MaΓe gerecht zu werden.
Vgl. Algoe u. Haidt, βWitnessing Excellence in Actionβ.
Vgl. Onu, Kessler u. Smith, βAdmiration. A Conceptual Reviewβ; Schindler u. a., βAdmiration and Adorationβ.
Vgl. Mustafa Emirbayer, βManifesto for a Relational Sociologyβ, in: American Journal of Sociology 103 (2), 1997, S. 281β317.
Vgl. hierzu auch Ronald G. Asch u. Michael Butter, βVerehrergemeinschaften und Regisseure des Charisma. Heroische Figuren und ihr Publikumβ, in: Bewunderer, Verehrer, Zuschauer. Die Helden und ihr Publikum, hg. v. dens., WΓΌrzburg, 2016, S. 9β22.
Sighard Neckel, Status und Scham. Zur symbolischen Reproduktion sozialer Ungleichheit, Frankfurt am Main, 1991, S. 106.
Vgl. Onu, Kessler u. Smith, βAdmiration. A Conceptual Reviewβ; Schindler u. a., βAdmiration and Adorationβ.
Vgl. Joerg Fingerhut u. Jesse J. Prinz, βAesthetic Emotions Reconsideredβ, in: The Monist 103 (2), 2020, S. 223β239.
Vgl. Enke u. Borchers, βSocial Media Influencers in Strategic Communicationβ.
Vgl. Florencia GarcΓa-Rapp, βPopularity Markers on YouTubeβs Attention Economy. The Case of Bubzbeautyβ, in: Celebrity Studies 8 (2), 2017, S. 228β245.
Vgl. Theresa M. Senft, Camgirls. Celebrity & Community in the Age of Social Networks, New York, 2008.
Vgl. Alice E. Marwick, βYou May Know Me from YouTube. (Microβ)Celebrity in Social Mediaβ, in: A Companion to Celebrity, hg. v. P. David Marshall u. Sean Redmond, Chichester, 2015, S. 333β350.
Vgl. Alice E. Marwick, βInstafame. Luxury Selfies in the Attention Economyβ, in: Public Culture 27 (1), 2015, S. 137β160.
Vgl. Loes van Driel u. Delia Dumitrica, βSelling Brands While Staying βAuthenticβ. The Professionalization of Instagram Influencersβ, in: Convergence. The International Journal of Research into New Media Technologies 27 (1) 2021, S. 66β84.
Vgl. Tobias Raun, βCapitalizing Intimacy. New Subcultural Forms of Micro-Celebrity Strategies and Affective Labour on YouTubeβ, in: Convergence. The International Journal of Research into New Media Technologies 24 (1), 2018, S. 99β113.
Senft, Camgirls, S. 25.
Vgl. GarcΓa-Rapp, βPopularity Markers on YouTubeβs Attention Economyβ.
Vgl. Hanna Reinikainen u. a., ββYou Really Are a Great Big Sisterβ. Parasocial Relationships, Credibility, and the Moderating Role of Audience Comments in Influencer Marketingβ, in: Journal of Marketing Management 36 (3β4), 2020, S. 279β298.
Vgl. Hsin-Hsuan M. Lee, βMaking of Celebrities. A Comparative Analysis of Taiwanese and American Fashion Bloggersβ, in: Advances in Consumer Research, Bd. 44, hg. v. Page Moreau u. Stefano Puntoni, Duluth, 2016, S. 319β324.
Vgl. Anne Jerslev, βIn the Time of the Microcelebrity. Celebrification and the YouTuber Zoellaβ, in: International Journal of Communication 10, 2016, S. 5233β5251.
Vgl. Enke u. Borchers, βSocial Media Influencers in Strategic Communicationβ.
Vgl. GarcΓa-Rapp, βPopularity markers on YouTubeβs attention economy.
Vgl. Mariah L. Wellman u. a., βEthics of Authenticity. Social Media Influencers and the Production of Sponsored Contentβ, in: Journal of Media Ethics 35 (2), 2020, S. 68β82.
Vgl. Charles Taylor, The Malaise of Modernity, Concord, 1991.
Vgl. Enke u. Borchers, βSocial Media Influencers in Strategic Communicationβ.
Vgl. Brooke E. Duffy, (Not) Getting Paid to Do What You Love. Gender, Social Media, and Aspirational Work, New Haven, 2017, S. 133.
Vgl. Tristan Garcia, The Life Intense. A Modern Obsession, Edinburgh, 2018.
Ebd., S. 5.
Ebd., S. 9.
Guido Zurstiege, Taktiken der Entnetzung. Die Sehnsucht nach Stille im digitalen Zeitalter, Berlin, 2019, S. 113.
Andreas Reckwitz, Die Gesellschaft der SingularitΓ€ten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin, 2017, S. 51.
Vgl. ebd., S. 59.
Vgl. Georg Franck, Γkonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, MΓΌnchen, 1998.
Susie Khamis, Lawrence Ang u. Raymond Welling, βSelf-Branding, βMicro-Celebrityβ and the Rise of Social Media Influencersβ, in: Celebrity Studies 8 (2), 2017, S. 191β208, hier S. 191.
Vgl. Richard Barbrook u. Andy Cameron, βThe Californian Ideologyβ, in: Science as Culture 6 (1), 1996, S. 44β72.
Vgl. Alice E. Marwick, Status Update. Celebrity, Publicity, and Branding in the Social Media Age, New Haven, 2013.
Alice E. Marwick u. Danah Boyd, βTo See and Be Seen. Celebrity Practice on Twitterβ, in: Convergence. The International Journal of Research into New Media Technologies 17 (2), 2011, S. 139β158, hier S. 141.
Vgl. Sophie Bishop, βAnxiety, Panic and Self-Optimization. Inequalities and the YouTube Algorithmβ, in: Convergence. The International Journal of Research into New Media Technologies 24 (1), 2018, S. 69β84.
Vgl. Sighard Neckel, ββLeistungβ und βErfolgββ, in: Gesellschaftsbilder im Umbruch. Soziologische Perspektiven in Deutschland, hg. v. Eva BarlΓΆsius, Hans-Peter MΓΌller u. Steffen Sigmund, Wiesbaden, 2001, S. 245β265.
Vgl. Victoria OβMeara, βWeapons of the Chic. Instagram Influencer Engagement Pods as Practices of Resistance to Instagram Platform Laborβ, in: Social Media + Society 5 (4), 2019,
Vgl. Jean M. Twenge, βThe Evidence for Generation Me and Against Generation Weβ, in: Emerging Adulthood 1 (1), 2013, S. 11β16; Pavica Sheldon u. Katherine Bryant, βInstagram. Motives for Its Use and Relationship to Narcissism and Contextual Ageβ, in: Computers in Human Behavior 58, 2016, S. 89β97.
Vgl. Christian Fuchs, βLabor in Informational Capitalism and on the Internetβ, in: The Information Society 26 (3), 2010, S. 179β196.
Vgl. van Driel u. Dumitrica, βSelling Brands While Staying βAuthenticββ.
Vgl. Sarah McRae, ββGet Off My Internetsβ. How Anti-Fans Deconstruct Lifestyle Bloggersβ Authenticity Workβ, in: Persona Studies 3 (1), 2017, S. 13β27.
Richard A. Peterson, βIn Search of Authenticityβ, in: Journal of Management Studies 42 (5), 2005, S. 1083β1098.
Brooke E. Duffy u. Emily Hund, ββHaving it Allβ on Social Media. Entrepreneurial Femininity and Self-Branding Among Fashion Bloggersβ, in: Social Media + Society 1 (2), 2015,
Vgl. OβMeara, βWeapons of the Chicβ.
Vgl. Nadja Enke u. Nils S. Borchers, βVon den Zielen zur Umsetzung. Planung, Organisation und Evaluation von Influencer-Kommunikationβ, in: Influencer Relations. Marketing und PR mit digitalen MeinungsfΓΌhrern, hg. v. Annika Schach u. Timo Lommatzsch, Wiesbaden, 2018, S. 177β200.
Durch diesen Umstand erklΓ€rt sich auch das PhΓ€nomen der vorgetΓ€uschten Kooperationen, bei denen Influencer*innen den Eindruck nur erzeugen, dass sie mit einer bestimmten Marke zusammenarbeiten. Vgl. Jamie L. Grigsby, βFake Ads. The Influence of Counterfeit Native Ads on Brands and Consumersβ, in: Journal of Promotion Management 26 (4), 2020, S. 569β592.
Neckel, ββLeistungβ und βErfolgββ, S. 257.
Vgl. Niels van de Ven, βEnvy and Admiration. Emotion and Motivation Following Upward Social Comparisonβ, in: Cognition and Emotion 31 (1), 2017, S. 193β200; Jiyoung Chae, βExplaining Femalesβ Envy Toward Social Media Influencersβ, in: Media Psychology 21 (2), 2018, 246β262.
Vgl. McRae, ββGet Off My Internetsββ.
Neckel, ββLeistungβ und βErfolgββ, S. 248.
Nils S. Borchers u. Nadja Enke, ββBut if the YouTuber Advertises, You Cannot Simply Switch Off. Because You Feel Devoted to the YouTuberβ. Teenagersβ Perception of Strategic Influencer Communication Messagesβ, Vortrag auf der 69th Annual Conference of the ICA, Washington, 2019.