Ein Experimentierraum für VR

Das VRlab des Deutschen Museums München

In: Bildhafte Räume, begehbare Bilder
Author:
Alexander Schmidt
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Gespräch zwischen Alexander Schmidt, Kassandra Nakas und Philipp Reinfeld, geführt per Videomeeting zwischen Berlin und München am 03.12.2021.

Alexander Schmidt ist am Deutschen Museum München für die Koordination des VRlab verantwortlich.

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Nakas: Herr Schmidt, Sie haben durch Ihr Studium an der LMU München einen beruflichen Hintergrund in der Medieninformatik, unter anderem mit einem Schwerpunkt hinsichtlich sozialer Interaktion in VR. Sie haben beschrieben, dass es Sie aufgrund dieser Kenntnisse und Erfahrungen besonders gereizt hat, im VRlab des Deutschen Museums die Themen Immersion, Präsenz und soziale Interaktion in VR weiterzuverfolgen. Könnten Sie kurz die Geschichte und Zielsetzung des VRlab im Deutschen Museum darlegen?

Schmidt: Das VRlab im Deutschen Museum versteht sich, wie der Name schon sagt, als Labor, als Experimentierfläche. Als solches ist es relativ offen konzipiert, offen für Kooperationen mit Forschung, Entwicklung, auch für künstlerische Projekte mit VR und AR. Es wurde 2018 gegründet und gehört innerhalb des Museums zum Bereich Deutsches Museum Digital. Es ist Teil des durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderten Verbundprojekts museum4punkt0, dessen Ziel die verstärkte Zusammenarbeit verschiedener Kultureinrichtungen mit Blick auf digitale Prozesse ist. Insofern war das VRlab von Anfang an einerseits ein Angebot für Besucher:innen des Deutschen Museums, um Meilensteine der Technikgeschichte virtuell erleben zu können. Andererseits war es auch stets eine offene Entwicklungsplattform, auf der wir mit verschiedenen Betriebs- und Vermittlungsformaten experimentiert haben und unsere Erkenntnisse in nachnutzbaren Handreichungen für Museen zur Verfügung stellen. Zudem wurde ein 3D-Scan Labor eingerichtet, in dem wir mit Blick auf die umfangreichen und vielgestaltigen Sammlungsbestände unterschiedliche Scan-Verfahren erprobt und daran geforscht haben, wie Digitalisate in Forschung und Vermittlung eingesetzt werden können. Leitend ist dabei die Frage, wie wir die Digitalisierung nutzen können, um technik- und kulturhistorisch bedeutende Bestände mehr Menschen zugänglich zu machen.

Nakas: Wie kann man sich das Angebot der VR-Erlebnisse im VRlab vorstellen und nach welchen Kriterien wurden die Objekte ausgesucht, die hier virtuell erfahrbar sind?

Schmidt: Für die Wahl war die technikhistorische Bedeutung ausschlaggebend, aber auch Fragen danach, wie detailliert und visuell überzeugend die 3D-Scans der Objekte erstellt werden können, sowie nach dem Mehrwert der virtuellen Repräsentation, wobei wir in der Umsetzung mit der Firma VR-Dynamix zusammengearbeitet haben. Die Wahl fiel schließlich innerhalb des Museums auf vier bedeutende Objekte aus dem Sammlungsbestand: Zunächst die Sulzer Dampfmaschine, die es uns erlaubt, die Funktionsweise der Maschine statt im Ausstellungsraum im realtitätsnahen Kontext einer Textilfabrik des neunzehnten Jahrhunderts interaktiv zu veranschaulichen, beispielsweise durch einen Blick in den Dampfkessel im Betrieb. Eine weitere Station ist der Benz Patent-Motorwagen, das dreirädrige erste kommerzielle Automobil. Beim virtuellen Mitwirken in der Werkstatt von Karl Benz erhalten die Besucher:innen einen Eindruck, wie Kupplung, Bremse und Motor funktionieren. Außerdem können sie Otto Lilienthal dabei zusehen, wie er Flugversuche mit seinem Gleiter unternimmt. Besonderes Highlight ist oftmals die virtuelle Tour auf dem Mond rund um das Lunar Roving Vehicle. Dabei können die Besucher:innen im Kontext der Apollo Mondmission entweder z.B. anhand von Golfabschlägen, wie damals Alan Shepard, die Mondgravitation spielerisch erkunden, oder aber sie drehen mit dem Fahrsimulator eine Runde um die Landefähre durch das Taurus-Littrow-Tal. All diese Erfahrungen werden mithilfe von VR-Technologie gemacht, und wir freuen uns besonders, dass sich im VRlab ein sehr vielfältiges Publikum dafür interessiert und das Angebot annimmt.

Nakas: Sie haben die Diversität des Publikums als besonders willkommene Herausforderung für die Weiterentwicklung der Arbeit des VRlab genannt und erwähnt, dass es auch umfangreiche Evaluationsprozesse gibt.

Schmidt: Die Weiterentwicklung von digitalen Angeboten und der Integration von VR-Technologie sowohl im Ausstellungs- als auch Vermittlungsbereich sind wichtige Aufgaben des VRlab. Unsere kontinuierlichen Evaluierungsmaßnahmen betreffen daher zum einen allgemeine Fragen zur Wahrnehmung der virtuellen Objekte und Umgebungen. Zum anderen möchten wir auch den Aspekt des Digital Storytelling weiterentwickeln, so dass die Rückmeldungen des Publikums ebenso auf inhaltlicher Ebene relevant sind. In den Evaluationsprozessen haben wir bisher mit unterschiedlichen, qualitativen und quantitativen Tools gearbeitet und unter anderem mit der Gruppe für Digital Marketing and Media Innovation der Universität der Bundeswehr kooperiert (eine Publikation dazu befindet sich im Review-Prozess).

Reinfeld: Eine besondere Attraktion des Deutschen Museums sind die vielen historischen Dioramen in der Sammlung. In gewisser Weise können diese in ihrer Zielrichtung als Vorläufer des VR-Ansatzes verstanden werden. Auch hier wird versucht, ein Ausstellungsobjekt bzw. eine Technik aus der separierten Museumssituation zu befreien, um sein / ihr eigentliches Einsatzumfeld und den ursprünglichen räumlichen und funktionalen Kontext zeigen zu können. Diese szenische Einbettung ist hier zwar noch unter starker Einschränkung des Betrachtungsstandpunkts und häufig unter Anwendung von Skalierungsfaktoren repräsentiert, aber der Zusammenhang ist augenfällig. Sehen Sie das auch so?

Schmidt: Sicherlich kann man das so sehen, die VR-Technologie ist aber doch immer auch ein Werkzeug, das für verschiedene Anwendungszwecke eingesetzt werden kann. Außerdem ist die angestrebte interaktive Einbindung der Nutzer:innen in VR ein wichtiger Unterschied, der für den Lerneffekt sehr förderlich ist.

Reinfeld: Über die Webseite des Deutschen Museums ist es möglich, unter „virtualtour.deutsches-museum.de“ große Teile des Gebäudeinneren und der darin befindlichen Exponate dynamisch und dreidimensional zu erkunden (Abb. 7.1 und 7.2). Technisch scheint es sich um einen integrierten Ansatz zwischen foto- bzw. panoramabasierten Repräsentationen und einer 3D-datenbasierten Punktwolke zu handeln. Können Sie erklären, warum Sie diese beiden Virtualisierungsmethoden integrativ verwenden und wie der Digitalisierungsprozess erfolgte (technisch sowie methodisch)?

Abb. 7.1 und 7.2
Abb. 7.1 und 7.2

Screenshots aus dem virtuellen Rundgang im Deutschen Museum unter https://virtualtour.deutsches-museum.de.

Schmidt: Das Projekt wurde zusammen von Georg Hohmann als Leiter des Teams Deutsches Museum Digital und Maximilian Reimann durchgeführt, so dass ich selbst es eher aus der Distanz mitbekommen habe. Es war eine Kooperation des Deutschen Museums mit der Münchner Firma NavVis. Unter anderem durch Einsatz des NavVis VLX, einer Art portablem Rucksack mit LiDAR-Sensoren und fortgeschrittenen SLAM-Algorithmen, wurde das Deutsche Museum in kontinuierlicher Bewegung parallel dreidimensional mit Lasertechnik vermessen und gleichzeitig durch mehrere 360°-Kameras aufgenommen. Im Anschluss wurden die Daten am Computer zusammengefügt, um ein zentimetergenaues, virtuelles 3D-Modell des Deutschen Museums zu erstellen. Aus technischer Perspektive zeigt der Rundgang die Vorteile eines 3D-Laserscans im Vergleich zu oft verwendeten 360°-Panoramabildern: Der „digitale Zwilling“ des Museums kann erweitert, aufgebrochen oder manipuliert werden, um neue und innovative Angebote für digitale Museumsbesucher zu schaffen. So wurde z.B. der LiDAR-Scan des Bergwerks bereits in ein 3D-Mesh umgewandelt und in Spiele-Engines weiterverwendet.

Reinfeld: Die Darstellungen bieten viele Freiheiten bei der Betrachtung und viele Eingriffsmöglichkeiten beim Modell, etwa was die Standpunkte bzw. Perspektiven angeht, aber auch die Punktgröße, Farbgebung (analytische Farbspektren oder wirkliche Farben) und ähnliches. Das erlaubt einen anderen, abstrakten Blick aufs Museum; war dieser Effekt bzw. waren die Freiheitsgrade für die Betrachter:innen / Nutzer:innen intendiert?

Schmidt: Ja, diese Umsetzung hat sich hier sehr gut mit der Zielsetzung des Projekts Deutsches Museum Digital insgesamt getroffen. Dessen Grundidee ist durchaus, nicht nur Inhalte mit Technik zu zeigen, sondern auch diese Technik im Hintergrund selbst verständlich und erlebbar zu machen. Insofern war das eine logische Fortführung unseres Konzepts. Bei VR heißt das dann natürlich auch: wie funktioniert VR, woher kommt es, wohin entwickelt es sich? Hier interessieren uns neben der Geschichte auch die möglichen Zukünfte, die noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten der Technologie. Derzeit prüfen wir zudem verschiedene Ansätze, die virtuelle Tour in das VRlab zu integrieren und kooperieren dafür u.a. mit Thomas Mahnecke vom Gärtnerplatztheater zum Thema weiterer Möglichkeiten der Erlebbarkeit von virtueller Räumlichkeit, z.B. mit immersiven Projektionen.

Nakas: Sie haben die vielfältigen Kooperationen, die Sie mit unterschiedlichen Partnern wie Universitäten und Studierenden, verschiedenen Firmen und auch Künstler:innen eingehen, bereits erwähnt. Könnten Sie hierzu noch ein paar Beispiele geben und auch etwas zur Zukunft des VRlab allgemein sagen?

Schmidt: Ein künstlerisches Beispiel ist die preisgekrönte VR-Erfahrung Mind the Brain von Kathrin Brunner, Oliver Czeslik und dem Regisseur Fred Kelemen, die wir hier großflächig erfahrbar gemacht haben. Dabei konnten Besucher:innen erleben, wie in Echtzeit erfasste Gehirnwellen eine virtuelle, künstlerische Repräsentation des Gehirns beeinflussen, was auf sehr positive Resonanz stieß. Auch außerhalb unserer Bestrebungen im Rahmen von museum4punkt0 wird viel Wert auf Kooperationsprojekte gelegt, zum Bespiel durch die Mitgestaltung der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur im Konsortium 4Memory oder dem Projekt KultSam durch den Kollegen Johannes Sauter. Hier geht es unter anderem darum, Sammlungsobjekte zu digitalisieren, zeit- sowie ortsungebunden verfügbar zu machen und langfristig zu speichern. Aktuell kann ich Gabriel von Münchow bei der vollständig hausinternen Entwicklung der App GREIFbAR unterstützen, die Chancen sowie Herausforderungen von Augmented Reality als Vermittlungswerkzeug für Kulturinstitutionen und Museen niedrigschwellig erfahrbar macht.

Mit Blick auf die Zukunft sind wir gerade in einer Phase der Veränderung: Im Zuge der Modernisierung des Deutschen Museums wird das VRlab im April 2022 vorübergehend geschlossen und zieht um. Als Bestandteil des Forums der Zukunft des Deutschen Museums wird das Konzept VRlab dann erweitert und noch 2022 wiedereröffnet. Wir werden dann beispielsweise verschiedenste aktuelle Digitalisierungsprojekte visualisieren, Testflächen für neue VR- / AR-Projekte anbieten können und Ideen im Bereich der Robotik verfolgen. Zudem soll dort ein co-kreativer Raum entstehen, um die vielfältigen Kooperationen mit kleinen und mittleren Unternehmen, Künstler:innen und Universitäten weiter voranzutreiben. Darüber hinaus sind wir als Forschungsmuseum auch Teil der Leibniz-Gemeinschaft und werden auch hier weiterhin an Vermittlungsprojekten – auch mit VR- / AR-Technologien – mitarbeiten.

Nakas, Reinfeld: Das hört sich sehr vielversprechend an – wir wünschen Ihnen für die Wiederöffnung viel Erfolg und danken Ihnen für das Gespräch!

Bildnachweise

Abb. 7.1 und 7.2: Deutsches Museum Digital | NavVis GmbH. Einstellung und Bildschirmfotos Philipp Reinfeld [05.07.2022].

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