Page 10 - 9783657704293
P. 10
Einleitung 3
aufstiegen, sind immer wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert worden.
Prominente Beispiele für diese Persönlichkeiten des öfffentlichen Lebens mit
einer Vergangenheit bei der Wafffen-SS sind der Literatur-Nobelpreisträger
Günter Grass, aber auch der Romanist Hans Robert Jauß, einer der Gründungs-
rektoren der Universität Konstanz.6
Die vorliegende Studie ist getragen von dem Bestreben der heute verantwort-
lichen Organe der Stiftungen, die frühen Jahre des Stifters zu beleuchten und
den damit verbundenen publizistisch-gesellschaftspolitischen Auseinander-
setzungen, die Otto Beisheim begleiteten, Rechnung zu tragen. Dies be-
triffft die beiden gemeinnützigen Prof. Otto Beisheim Stiftungen mit Sitz in
München bzw. im schweizerischen Baar (nachfolgend Beisheim Stiftungen),
die sich der jahrzehntelangen mäzenatischen Tradition ihres Namensgebers
verpflichtet sehen. Otto Beisheim blieb kinderlos und verfügte frühzeitig, dass
nach seinem Ableben das gesamte Vermögen in seine beiden gemeinnützigen
Stiftungen eingebracht werden sollte. In der Öfffentlichkeit wird gelegentlich
danach gefragt, ob diese beiden Stiftungen die richtigen Ansprechpartner für
Förderungen sein können, solange dessen Vergangenheit im „Dritten Reich“
nicht befriedigend geklärt ist.
Diese Debatten boten den Anlass, sich auf Aktengrundlage wissenschaft-
lich mit Beisheims Kindheit, Jugend und seiner Zeit im Zweiten Weltkrieg zu
beschäftigen. Heute fällt dies leichter als noch zu Lebzeiten Beisheims. Die
Beisheim Stiftungen entschieden sich im Jahr 2017, die Frühgeschichte ihres
Gründers aufarbeiten zu lassen. Wie inzwischen bei vergleichbaren wissen-
schaftlichen Vorhaben üblich, sicherten sie zu, die Ergebnisse der Recherchen
ohne inhaltliche Eingrifffe zu veröfffentlichen.
Um Otto Beisheims frühen Lebensweg nachzuzeichnen und zu analysieren,
sollen verschiedene Fragen beantwortet werden. Welchem sozialen Milieu
entstammte er? Welche familiären Konstellationen sind für seinen Lebensweg
bestimmend? Gibt es Prägekräfte, die seinen Weg in die Wafffen-SS erklären
können? Trat er der Wafffen-SS freiwillig bei oder gehörte er zu der Gruppe der-
jenigen, die in den Dienst mehr oder weniger stark hineingezwungen wurden?
Hatte Beisheim eine Überzeugung bzw. eine ideologische Grundierung oder
ließ er sich von den Entwicklungen und vom Zeitgeist treiben? War er gar
ein Opportunist, der sich, trotz allen Ehrgeizes, bemühte, Optionen offfenzu-
halten und gleichsam aus der Etappe heraus zu agieren? Zeichnete sich schon
in den Jugend- und Kriegsjahren die spätere Karriereorientierung ab? Mit
anderen Worten: Entwickelte er bereits in den prägenden Jahren des Zweiten
6 Jens Westemeier, Hans Robert Jauß. Jugend, Krieg und Internierung, Konstanz 2016.
Urheberrechtlich geschütztes Material
© 2020 Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn