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Einleitung                                                                        3


                   aufstiegen, sind immer wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert worden.
                   Prominente Beispiele für diese Persönlichkeiten des öfffentlichen Lebens mit
                   einer  Vergangenheit bei der  Wafffen-SS sind der Literatur-Nobelpreisträger
                   Günter Grass, aber auch der Romanist Hans Robert Jauß, einer der Gründungs-
                   rektoren der Universität Konstanz.6



                   Die vorliegende Studie ist getragen von dem Bestreben der heute verantwort-
                   lichen Organe der Stiftungen, die frühen Jahre des Stifters zu beleuchten und
                   den damit verbundenen publizistisch-gesellschaftspolitischen Auseinander-
                   setzungen, die Otto Beisheim begleiteten, Rechnung zu tragen. Dies be-
                   triffft die beiden gemeinnützigen Prof. Otto Beisheim Stiftungen mit Sitz in
                   München bzw. im schweizerischen Baar (nachfolgend Beisheim Stiftungen),
                   die sich der jahrzehntelangen mäzenatischen Tradition ihres Namensgebers

                   verpflichtet sehen. Otto Beisheim blieb kinderlos und verfügte frühzeitig, dass
                   nach seinem Ableben das gesamte Vermögen in seine beiden gemeinnützigen
                   Stiftungen eingebracht werden sollte. In der Öfffentlichkeit wird gelegentlich
                   danach gefragt, ob diese beiden Stiftungen die richtigen Ansprechpartner für
                   Förderungen sein können, solange dessen Vergangenheit im „Dritten Reich“
                   nicht befriedigend geklärt ist.
                      Diese Debatten boten den Anlass, sich auf Aktengrundlage wissenschaft-
                   lich mit Beisheims Kindheit, Jugend und seiner Zeit im Zweiten Weltkrieg zu
                   beschäftigen. Heute fällt dies leichter als noch zu Lebzeiten Beisheims. Die

                   Beisheim Stiftungen entschieden sich im Jahr 2017, die Frühgeschichte ihres
                   Gründers aufarbeiten zu lassen. Wie inzwischen bei vergleichbaren wissen-
                   schaftlichen Vorhaben üblich, sicherten sie zu, die Ergebnisse der Recherchen
                   ohne inhaltliche Eingrifffe zu veröfffentlichen.


                   Um Otto Beisheims frühen Lebensweg nachzuzeichnen und zu analysieren,
                   sollen verschiedene Fragen beantwortet werden.  Welchem sozialen Milieu

                   entstammte er? Welche familiären Konstellationen sind für seinen Lebensweg
                   bestimmend? Gibt es Prägekräfte, die seinen Weg in die Wafffen-SS erklären
                   können? Trat er der Wafffen-SS freiwillig bei oder gehörte er zu der Gruppe der-
                   jenigen, die in den Dienst mehr oder weniger stark hineingezwungen wurden?
                   Hatte Beisheim eine Überzeugung bzw. eine ideologische Grundierung oder
                   ließ er sich von den Entwicklungen und vom Zeitgeist treiben? War er gar
                   ein Opportunist, der sich, trotz allen Ehrgeizes, bemühte, Optionen offfenzu-
                   halten und gleichsam aus der Etappe heraus zu agieren? Zeichnete sich schon
                   in den Jugend- und Kriegsjahren die spätere Karriereorientierung ab? Mit

                   anderen Worten: Entwickelte er bereits in den prägenden Jahren des Zweiten


                   6   Jens Westemeier, Hans Robert Jauß. Jugend, Krieg und Internierung, Konstanz 2016.

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