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2 Einleitung
Kunsthalle in Bielefeld nach einem nationalsozialistischen Familienmitglied
benennen wollte, das Mitglied im „Freundeskreis Heinrich Himmler“ gewesen
war. Dieser Streit um „Mäzenatentum, Memoria und NS- Vergangenheit“1
ist inzwischen beigelegt und die Familiengeschichte des Unternehmens
Oetker wissenschaftlich akribisch aufgearbeitet.2 Für Unternehmen ist ihre
NS- Vergangenheit seit jeher keine „Sonntagsfrage“, wurde zum Teil sogar in
Gerichtssälen ausgefochten und stand „durch die zunehmende moralische
Aufladung in der medialen Öfffentlichkeit“.3 Zahlreiche Unternehmen haben
sich unter mehr oder weniger großem öfffentlichen Druck zur Aufarbeitung
ihrer Geschichte entschieden. Allgemein wird zudem in aktuellen Studien,
seien sie biografijisch oder unternehmensgeschichtlich angelegt, die NS-Zeit
nicht länger ausgespart, und reine „Erfolgsgeschichten“ sind eine Sache der
Vergangenheit. Unternehmen und Stiftungen reihen sich heute mit ihren Auf-
arbeitungsbemühungen in den öfffentlichen „Erinnerungskonsens“ ein. Das
demonstrative Bekenntnis zur eigenen NS-Vergangenheit kann auf diese Weise
sogar zum Bestandteil des Selbstbilds werden.4 Betrofffene Unternehmen und
Einrichtungen haben in der Regel ein „ehrliches Interesse“ an der Erforschung
der eigenen Geschichte, denn die wissenschaftliche Arbeit des Forschers dient
stets der „Zertifijizierung“ der vorgelegten Ergebnisse.5
Ähnliche Probleme entstanden regelmäßig, wenn bei Wirtschaftspionieren
Berührungspunkte mit der SS oder der Wafffen-SS auftauchten, denn dies
führte zu Fragen nach den Hintergründen von Rehabilitierung und Re-
integration. Schon bei Gründung der Bundeswehr wurde öfffentlich darüber
diskutiert, ob Männer der Wafffen-SS in die neue, unter demokratischen Vor-
zeichen aufgestellte Armee aufgenommen werden durften. Angehörige der
Wafffen-SS, die in der Bundesrepublik in verantwortungsvolle Positionen
1 Sven Keller/Jürgen Finger, Der Bielefelder Kunsthallenstreit 1968. Mäzenatentum, Memoria
und NS-Vergangenheit im Hause Oetker, in: Jörg Osterloh/Harald Wixforth (Hrsg.), Unter-
nehmer und Verbrechen. Wirtschaftseliten im „Dritten Reich“ und in der Bundesrepublik,
Frankfurt am Main/New York 2014, S. 331-361.
2 Jürgen Finger/Sven Keller/Andreas Wirsching, Dr. Oetker und der Nationalsozialismus.
Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945, München 2013.
3 Sebastian Brünger, Geschichte und Gewinn. Der Umgang deutscher Konzerne mit ihrer
NS-Vergangenheit, Göttingen 2017, S. 30. Vgl. grundsätzlich Eva-Maria Roelevink/Jan-Otmar
Hesse, Geschichtspolitik und die deutsche Unternehmensgeschichte, in: Zeitschrift für
Unternehmensgeschichte 63 (2018), S. 1-6.
4 Brünger, Geschichte und Gewinn, S. 12; Jürgen Finger/Sven Keller, Erfolgsgeschichten?
Über das Schreiben von Unternehmerbiografijien, in: Marita Krauss (Hrsg.), Die bayerischen
Kommerzienräte. Eine deutsche Wirtschaftselite von 1880 bis 1928, München 2016, S. 32-43.
5 Vgl. Frank Bajohr/Johannes Hürter, Auftragsforschung „NS-Belastung“. Bemerkungen zu
einer Konjunktur, in: Frank Bajohr u. a. (Hrsg.), Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche
Perspektiven auf die Bundesrepublik. Festschrift für Axel Schildt, Göttingen 2016, S. 221-233,
hier S. 225 und S. 229.
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