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In dem vorliegenden Artikel wird die strukturelle und erfahrungspoetologische Funktion des Traums in From the Grammar of Dreams, einem zweistimmigen Vokalstück der finnischen Komponistin Kaija Saariaho aus dem Jahr 1988, hinterfragt. Anhand einer Textcollage, die Sylvia Plaths Gedicht Paralytic mit Auszügen aus Plaths einzigem Roman The Bell Jar kontrapunktiert, dreht sich das Werk um die Gedanken- und Erfahrungswelt eines auf eine Eiserne Lunge angewiesenen Kranken. Die darin beschriebene Traumerfahrung des Kranken konstituiert sich als ein Erkenntnisprozess, der sich im und durch den Körper des lyrischen Ichs abspielt. Das spezifische Soma des Patienten wird zum Ort einer existenziellen Einsicht, die nicht kognitiver, sondern primär sensorischer Natur ist. Der vorliegende Artikel erkundet sowohl die textliche Vorlage als auch die kompositorischen Strategien, mit denen Saariaho operiert, um diesen körperlichen Erkenntnisprozess klanglich erfahrbar zu machen und dem Zuhörer einen nicht-kognitiven Zugang zum abschließenden Erfahrungswissen des lyrischen Ichs zu gewähren.
In seiner ›unsichtbaren Handlung ‹Lohengrin für eine Solistin, Männerchor und Orchester von 1983 lotet der zeitgenössische italienische Komponist Salvatore Sciarrino das kultur- und gesellschaftskritische Potential einer besonderen Art von Geburtsträumen aus: Das Stück reflektiert im Modus des Traums über die Geburt, die hier nicht als ein Akt der Zeugung eines lebenden Wesens, sondern als soziokultureller Prozess erscheint. Mittels eines komplexen Bezugs zu Richard Wagners gleichnamiger ›romantischer Oper‹ von 1850 erkundet Sciarrino das Innenleben der weiblichen Protagonistin, Elsa von Brabant. Sciarrinos Elsa scheint unfähig, eine Rolle als handelndes Subjekt in der Tageswelt der symbolischen Interaktion an- und einzunehmen. Damit verharrt sie an der Schwelle zwischen Geburt und Tod, zwischen Subjektwerdung und geistiger Umnachtung. In meinem Beitrag werde ich Sciarrinos durchaus elliptischen Rückbezug auf Wagners Lohengrin herausarbeiten und dabei veranschaulichen, wie der Traum und die Gattung Oper bei Sciarrino zu einem gesellschaftskritisch aufgeladenen Mittel werden, um jene strukturelle Unabgeschlossenheit des Subjekts erfahrbar zu machen, die in der Tageswelt der symbolischen Interaktion verdrängt wird.