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Abstract
This introductory contribution reflects on common basic structures of forms of autoreferentiality and autoreflexivity, as well as on their philosophical foundations and the etymological roots of the terms. It develops a framework in which such forms can be classified, and focuses on certain spatial and visual conceptions associated with them. Literary examples will be presented (Kafka, Bernhard), but it also becomes clear that autoreferential and autoreflexive structures can be found in a variety of different media. A key question will be how literary, fictional, and narrative texts make their own textual organisation transparent. The study of autoreflexivity is not limited to the observation of forms, but addresses fundamental problems of narrative theory. It does not merely represent the preoccupation of texts with themselves, but evolves around the fundamental question how stories can unfold in the first place.
Mit dem Fokus auf einen, wenn auch epochal relevanten und zentralen Text, nämlich Goethes Werther, will der Beitrag einen kulturhistorischen Umbruch nachzeichnen, in dem verschiedene Phänomene neu entstehen und aufeinander bezogen werden. Vor allem geht es um Subjekt, um Sinn, um Literatur und um die Möglichkeit des Sinnverstehens und der Interpretation. Die Hauptthese ist, dass an Goethes Werther die Gleichursprünglichkeit in der Entstehung und somit auch der wechselseitige Bezug dieser Konzepte beobachtet und nachvollzogen werden kann.
Nicht zuletzt bedingt durch die gesellschaftsstrukturellen Veränderungen, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts greifen, wird Sinn nicht mehr sozial vorgegeben, sondern vielmehr freigesetzt. Es entsteht die moderne Literatur, die diese Sinnpotenziale als Interpretationsdispositionen nutzt. Gleichzeitig dient die Literatur dazu, die Idee des Subjekts umzusetzen und medial zu vermitteln. An Goethes Werther kann nun gezeigt werden, wie beide Entwicklungen im Grunde genommen ununterscheidbar werden. Damit ein Subjekt sich selbst als Subjekt verstehen kann, ist Sinn Voraussetzung. Nur sinnhaft kann das Subjekt sich selbst präsent sein. Der ursprünglichste Sinnprozess ist die Selbstverständigung des Subjekts mit sich selbst als Subjekt. Das setzt einen Sinnbegriff voraus, der Sinn als aktualisierbares Potenzial von nicht reduzierbaren Optionen begreift, was also einen offenen, nicht festgelegten Sinnprozess impliziert. Sinn setzt also seine eigene Negierbarkeit immer schon voraus, um Sinn zu sein.
Wenn aber das Subjekt des Sinns bedarf, um sich selbst zu verstehen und sich zu entwerfen, Sinn aber gleichzeitig seine eigene potenzielle Negation mit sich bringt, ist jede Subjektkonstitution immer auch mit der eigenen Verwerfung verknüpft. Der Sinn, der Präsenz garantiert, dementiert daher immer auch schon die Präsenz im Akt der Sinnkonstitution. Davon erzählt Goethes Werther in Form eines Briefromans, indem er den Brief literarisch als authentischstes Dokument der Subjektkonstitution nutzt – und der Aufsatz wird eine solche Lektüre nachvollziehen. So wird deutlich, dass Werthers Subjektivität letztlich scheitern muss, weil es ihm aus hermeneutischen, aus Gründen des Sinns, gar nicht gelingen kann, die mit dem Subjekt und seiner Konstitution angestrebte Selbstverständigung zu erringen. Die scheiternde Liebe zu Lotte ist der groß angelegte Versuch, dieses Defi zit in der eigenen Subjektkonstitution durch die affektive Interpersonalität noch einmal einzuholen, was das Problem –„sinngemäß“ – nicht löst, sondern verschärft. Im letzten Schritt wird dann deutlich, dass moderne Literatur dadurch entsteht, dass sie zum Schauplatz dieser Selbstverwerfungen wird und dass Interpretation im Sinne einer modernen Hermeneutik (seit Schleiermacher) nichts anderes ist, als der Versuch und das Bestreben, die Konstitution von der Verwerfung abzuheben und die Präsenz als Negativfolie der Absenz sichtbar werden zu lassen.