Ist es besser, mit begrenzten Mitteln zwei Menschen zu retten als einen anderen? Oder hängt es davon ab, ob man das im konkreten Fall auch als gerecht bezeichnen kann? Ausgehend von ungelösten Problemen im interdisziplinären Diskurs über den Umgang mit knappen medizinischen Ressourcen ('Priorisierungsdebatte') argumentiert die vorliegende Studie für das Letztere – und spricht damit dem Kriterium der Kosteneffizienz eine gegenüber Gerechtigkeitserwägungen eigenständige normative Bedeutung ab. Um das zu begründen, führt die Untersuchung tief in philosophische und ökonomische Grundlagenliteratur hinein. Dort zutage tretende Inkonsistenzen legen einen weit radikaleren Bruch mit dem begrifflichen und axiomatischen Erbe der utilitaristischen Tradition und seiner Fortwirkung im heute sogenannten Konsequentialismus nahe, als das normalerweise vertreten wird. Tatsächlich werden in der Priorisierungsdebatte common sense-nahe Verteilungsregeln wie etwa der Vorrang der Akutmedizin oder die Unzulässigkeit eines Alterskriteriums von manchen Experten, die unter dem Einfluss dieser Tradition stehen, nicht mehr wegen ihrer Plausibilität, sondern um der allenfalls gebotenen Rücksichtnahme auf gesellschaftlich verbreitete irrationale Impulse willen empfohlen. Die Studie zeigt, wie die Dinge sich zurechtrücken, wenn nicht mehr zum angeblichen Besten der Bevölkerung gegen die Bevölkerung argumentiert wird. Sie arbeitet grundlegende begriffliche Revisionen heraus, die nötig sind, um verbreitete Haltungen zum Sinn der öffentlichen Gesundheitsversorgung weiterhin ernst nehmen zu können. Aus dem Inhalt I. Problemstellung, Thesen, Relevanz 1 Worum es geht 2 Priorisierung: Ein Diskurs mit unklaren Grundlagen II. Grundlagen 3 Aggregation 4 'Goodness' 5 'Fairness' III. Folgerungen 6 Effizienz im Nonaggregationismus Ausblick: Verrechtlichung der 'caritas' vs. Gesundheitsproduktion
Ist es besser, mit begrenzten Mitteln zwei Menschen zu retten als einen anderen? Oder hängt es davon ab, ob man das im konkreten Fall auch als gerecht bezeichnen kann? Ausgehend von ungelösten Problemen im interdisziplinären Diskurs über den Umgang mit knappen medizinischen Ressourcen ('Priorisierungsdebatte') argumentiert die vorliegende Studie für das Letztere – und spricht damit dem Kriterium der Kosteneffizienz eine gegenüber Gerechtigkeitserwägungen eigenständige normative Bedeutung ab. Um das zu begründen, führt die Untersuchung tief in philosophische und ökonomische Grundlagenliteratur hinein. Dort zutage tretende Inkonsistenzen legen einen weit radikaleren Bruch mit dem begrifflichen und axiomatischen Erbe der utilitaristischen Tradition und seiner Fortwirkung im heute sogenannten Konsequentialismus nahe, als das normalerweise vertreten wird. Tatsächlich werden in der Priorisierungsdebatte common sense-nahe Verteilungsregeln wie etwa der Vorrang der Akutmedizin oder die Unzulässigkeit eines Alterskriteriums von manchen Experten, die unter dem Einfluss dieser Tradition stehen, nicht mehr wegen ihrer Plausibilität, sondern um der allenfalls gebotenen Rücksichtnahme auf gesellschaftlich verbreitete irrationale Impulse willen empfohlen. Die Studie zeigt, wie die Dinge sich zurechtrücken, wenn nicht mehr zum angeblichen Besten der Bevölkerung gegen die Bevölkerung argumentiert wird. Sie arbeitet grundlegende begriffliche Revisionen heraus, die nötig sind, um verbreitete Haltungen zum Sinn der öffentlichen Gesundheitsversorgung weiterhin ernst nehmen zu können. Aus dem Inhalt I. Problemstellung, Thesen, Relevanz 1 Worum es geht 2 Priorisierung: Ein Diskurs mit unklaren Grundlagen II. Grundlagen 3 Aggregation 4 'Goodness' 5 'Fairness' III. Folgerungen 6 Effizienz im Nonaggregationismus Ausblick: Verrechtlichung der 'caritas' vs. Gesundheitsproduktion
Die Texte, die in diesem Band versammelt sind, stammen nicht aus einer Debatte, nicht aus einem Jahrhundert und auch nicht aus einer Disziplin. Dennoch handeln sie alle vom gleichen Thema: welche Normen regeln das Verhalten in Situationen, in denen unvermeidlich ist, dass von mehreren Personen mindestens eine sterben wird, während beeinflusst werden kann, wer oder auch wie viele das sein werden? Anhand dieser existenziellen Zuspitzung klassischer Fragen der Verteilungsgerechtigkeit informiert der Band einerseits über wichtige einschlägige Grundlagendebatten, insbesondere zum Status der Maximierungsregel ('rette so viele Menschenleben wie möglich') sowie zur Rolle der Unterscheidung von Töten und Sterbenlassen. Andererseits eröffnen Texte zu einschlägigen Praxisbereichen und ihrer Reflexionstradition den Blick auf die konkrete Sittlichkeit, an deren Rekonstruktion oder überzeugender Kritik die Theoriedebatte sich messen lassen muss. Das Spektrum reicht von der Knappheit medizinischer Güter in Katastrophen- und Alltagsmedizin bis hin zu den Notstandsregeln des Strafrechts, von historischen Beispielen aus der Seefahrertradition bis hin zu deren möglicherweise sich globalisierender Dimension ('Rettungsboot Erde').
Die Texte, die in diesem Band versammelt sind, stammen nicht aus einer Debatte, nicht aus einem Jahrhundert und auch nicht aus einer Disziplin. Dennoch handeln sie alle vom gleichen Thema: welche Normen regeln das Verhalten in Situationen, in denen unvermeidlich ist, dass von mehreren Personen mindestens eine sterben wird, während beeinflusst werden kann, wer oder auch wie viele das sein werden? Anhand dieser existenziellen Zuspitzung klassischer Fragen der Verteilungsgerechtigkeit informiert der Band einerseits über wichtige einschlägige Grundlagendebatten, insbesondere zum Status der Maximierungsregel ('rette so viele Menschenleben wie möglich') sowie zur Rolle der Unterscheidung von Töten und Sterbenlassen. Andererseits eröffnen Texte zu einschlägigen Praxisbereichen und ihrer Reflexionstradition den Blick auf die konkrete Sittlichkeit, an deren Rekonstruktion oder überzeugender Kritik die Theoriedebatte sich messen lassen muss. Das Spektrum reicht von der Knappheit medizinischer Güter in Katastrophen- und Alltagsmedizin bis hin zu den Notstandsregeln des Strafrechts, von historischen Beispielen aus der Seefahrertradition bis hin zu deren möglicherweise sich globalisierender Dimension ('Rettungsboot Erde').
Das Konzept der Abwägung wird in der praktischen Philosophie ebenso ubiquitär verwendet wie in den Wirtschaftswissenschaften und im Recht. Es ist jedoch voraussetzungsvoller und umstrittener als zumeist angenommen. „Abwägung“ bezeichnet einen Vorgang praktischen Überlegens, in den mehrere Aspekte in vergleichender Weise eingehen. Die Skepsis gegen das Konzept gründet darin, dass sich die Metapher nicht auf beliebige Gegenstände anwenden lässt. Insbesondere müssen die Wertzuschreibungen, die das Gewicht der Gegenstände bestimmen, in ihren normativen Grundlagen widerspruchsfrei sein und sie müssen ähnlich wie die Gewichtskräfte, mit denen Körper auf die Schalen einer Balkenwaage einwirken, eine gewisse Kontextinvarianz aufweisen. Das setzt Unabhängigkeitsannahmen voraus, deren Gültigkeit im Falle normativer Bewertungen nicht trivial ist. Der Band dient dem Zweck, diese Zusammenhänge durchsichtiger zu machen. Er entstand auf der Basis einer mehrjährigen Zusammenarbeit von Autor:innen aus den Fächern Philosophie, Jurisprudenz und Ökonomie.
Das Konzept der Abwägung wird in der praktischen Philosophie ebenso ubiquitär verwendet wie in den Wirtschaftswissenschaften und im Recht. Es ist jedoch voraussetzungsvoller und umstrittener als zumeist angenommen. „Abwägung“ bezeichnet einen Vorgang praktischen Überlegens, in den mehrere Aspekte in vergleichender Weise eingehen. Die Skepsis gegen das Konzept gründet darin, dass sich die Metapher nicht auf beliebige Gegenstände anwenden lässt. Insbesondere müssen die Wertzuschreibungen, die das Gewicht der Gegenstände bestimmen, in ihren normativen Grundlagen widerspruchsfrei sein und sie müssen ähnlich wie die Gewichtskräfte, mit denen Körper auf die Schalen einer Balkenwaage einwirken, eine gewisse Kontextinvarianz aufweisen. Das setzt Unabhängigkeitsannahmen voraus, deren Gültigkeit im Falle normativer Bewertungen nicht trivial ist. Der Band dient dem Zweck, diese Zusammenhänge durchsichtiger zu machen. Er entstand auf der Basis einer mehrjährigen Zusammenarbeit von Autor:innen aus den Fächern Philosophie, Jurisprudenz und Ökonomie.