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Die Angst der neuen Einheitsübersetzung vor ihren Lesern

In: Biblische Zeitschrift
Author:
Walter Groß Universität Tübingen, Katholisch-Theologische Fakultät, Liebermeisterstr. 12, 72076 Tübingen walter.gross@uni-tuebingen.de

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Die neue Einheitsübersetzung von 2016 (EÜ2016) hat im Bereich des Alten Testamentes manche Verbesserung gegenüber der älteren Version von 1980 (EÜ1980) gebracht; zum Beispiel die Beseitigung von Übersetzungsfehlern und stillschweigenden Übersetzungen nach dem griechischen Text (Septuaginta: LXX) statt nach dem hebräischen Wortlaut (masoretischer Text: TM), die Tilgung der eckigen Klammern, die Wiedergewinnung der auf Gott bezogenen Körpermetaphern und vor allem das typographische Signal der Kapitälchen, die anzeigen, wo das deutsche „Herr“ für den Gottesnamen JHWH steht. Andererseits wirkt sie in manchem uneinheitlich, zum Beispiel in der mengenmäßig stark divergierenden Verteilung der Anmerkungen, und der Vergleich mit den ebenfalls neuen Übersetzungen der Zürcher Bibel (ZB2007) und der Lutherrevision (LU2017) sowie der Elberfelder Bibel (Elb) fällt, wie die folgenden Beispiele zeigen, oft nicht zum Vorteil der EÜ2016 aus.

Das mag auch in den Umständen ihrer elf Jahre in Anspruch nehmenden Erarbeitung begründet sein, die der Neutestamentler Walter Kirchschläger aus der Perspektive der Revisoren folgendermaßen beschreibt: „Stillschweigende Korrekturen … waren nicht motivierend. … Über allem lag – ganz anders als bei der jetzt ebenfalls fertiggestellten Revision der Lutherbibel – der Schleier der für alle Beteiligten verordneten Diskretion: Keine Informationen nach außen, keine Veröffentlichung eigener Übersetzungsvorschläge, Abtretung aller Autorenrechte an die DBK… Diese ‚kirchenamtliche Geheimniskrämerei‘ (Georg Steins) hat den Austausch und die wissenschaftliche Diskussion, und in der Folge die Qualität des Ergebnisses nicht gefördert. … Der Eindruck, Angst vor der eigenen Courage (oder der anstehenden Approbation) zu haben, drängt sich bei der Lektüre mehr als einmal auf.“ 1 Für diese Angst werden im Folgenden Beispiele aus dem Alten Testament genannt. Ob Angst vor der Approbation oder, wie hier vermutet wird, Angst vor dem Bibelleser, dem man nicht allzu viel Fremdheit des Alten Testaments und allzu deutliche Brüche zwischen dem hebräischen Alten Testament und seiner Rezeption im griechischen Neuen Testament zumuten wollte, sei ebenso dahingestellt wie, wer sich von dieser Angst eigentlich leiten ließ. Wegen der von Kirchschläger zu Recht monierten Unübersichtlichkeit der technischen und redaktionellen Abläufe – stammt eine Wendung vom zuständigen Revisor oder von übergeordneten Gremien oder von Überarbeitern in letzter Minute und wurde der jeweilige Revisor überhaupt davon informiert? – ist hier im Folgenden nicht von Übersetzern, sondern von der Einheitsübersetzung als Subjekt die Rede.

1 Christologische Einträge

1.1 Jes 7,14

ZB2007 übersetzt die Verheißung Jesajas aus dem hebräischen Wortlaut semantisch exakt und hat daher auch keine Anmerkung nötig: Seht, die junge Frau ist schwanger, und sie gebiert einen Sohn. Bereits LXX: ἡ παρθένος 2 und Vulgata (Vulg): virgo wechseln dagegen von der jungen Frau zu Jungfrau, und Mt 1,23 erklärt durch die Worte des Verkündigungsengels diese Verheißung nach dem Wortlaut der LXX für in Maria erfüllt, wobei der Nachdruck auf der Jungfrauengeburt und der Namensgabe ruht. Viele deutsche Übersetzungen des Alten Testaments wollen den Leser vor dem Schock bewahren, der ihn treffen könnte, wenn er bei Jesaja nachliest und feststellt, dass dort das Stichwort Jungfrau gar nicht vorkommt; sie übernehmen daher die Jungfrau aus LXX. Die Einsicht, dass zwischen dem hebräischen Wortlaut und seinen Zitaten und Aufnahmen im Neuen Testament biblische Aussagen durch hinzugekommene Kontexte oder den Übergang in das Griechische einen Zuwachs an Bedeutungen erhalten haben können und neutestamentliche Autoren gelegentlich auch recht kreativ das Alte Testament im Verheißungs-Erfüllungs-Argument heranziehen, 3 will man den Lesern nicht zumuten.

So entscheiden sich deutsche Übersetzungen von Jes 7,14 überwiegend für das mariologisch und christologisch bedeutsame Jungfrau, wenn auch Anmerkungen von in unterschiedlichem Grad beunruhigtem Gewissen zeugen. Elb: „o. [= oder W.G.] die junge Frau, das Mädchen“. EÜ1980: „Jungfrau: nach G [= Septuaginta W.G.] und Mt 1,23; das hebräische Wort almáh wird auch als ‚junge Frau‘ gedeutet.“ Das ist inkorrekt; das in Jes 7,14 gebrauchte hebräische Wort הָעַלְמָ֗ה almáh hat nach übereinstimmender philologischer Überzeugung nicht „auch“ die Bedeutung junge Frau. LU2017: „Wörtlich: ‚junge Frau‘.“ 4

Für EÜ2016 ist dieser Wechsel vom hebräischen zum griechischen Wortlaut besonders gravierend, da sie im Anhang ihre Übersetzungsprinzipien offenlegt, die Wiedergabe Jungfrau diesen aber widerspricht. Sie formuliert sie folgendermaßen: „Der EÜ liegt für die hebräisch überlieferten Schriften der hebräische Text des Tanach (TNK) zugrunde… Bei der LXX handelt es sich nicht um eine prophetische Neuoffenbarung Gottes in griech. Sprache, sondern um sukzessive Übersetzungen der Bücher von unterschiedlicher Qualität über einen beträchtlichen Zeitraum.“ 5 „Veränderungen der Textvorlagen erfolgten nur bei Vorliegen entsprechender Lesarten in antiken Handschriften und ausreichender Evidenz.“ 6 Entsprechend eigenartig lautet die Anmerkung zu Jes 7,14: „Jungfrau: G, vgl. Mt 1,23; das hebräische Wort alma bedeutet eigentlich junge Frau.“ Hier bezeichnet die EÜ2016 ihren eigenen Wortlaut als uneigentlich! Uneigentliche Übersetzung auf Grund dogmatischer Korrektur? 7

Noch undurchschaubarer wird die Situation, wenn man auf die Syntax des Verses blickt. LXX und, ihr folgend, Vulgata (ecce virgo concipiet et pariet filium), gestalten den Vers geschlossen futurisch. So auch Elb und EÜ1980: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären. Das ist reine LXX. Seit Luther 1545 verfährt man allerdings mehrfach anders: Man kombiniert die Semantik der LXX mit der vermuteten Syntax des hebräischen Textes und versteht den ersten der drei Verheißungssätze präsentisch: Sihe / Eine Jungfraw ist schwanger / und wird einen Son geberen. 8 So auch LU2017. Ganz präsentisch ZB2007 (s.o.). EÜ2016 hat ein Alleinstellungsmerkmal, insofern sie, syntaktisch unbegründbar, das Verbaladjektiv הָרָה vergangenheitlich wiedergibt: Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben. Während die Feststellung im masoretischen Text, die junge Frau habe empfangen, problemlos wäre, kann die Unterstellung, Jesaja habe von einer bereits erfolgten Jungfrauenschwangerschaft gesprochen, 9 im Rahmen der alttestamentlichen Szene nicht interpretiert werden. Jes 7,14 in der Übersetzung der EÜ2016 ist kein alttestamentlicher Vers, er entspricht nicht einmal der LXX. Er kombiniert die Semantik der LXX mit einer erfundenen Syntax des TM. Wurde das Tempus Perfekt: hat empfangen gewählt, um die alttestamentliche Verheißung noch stärker in Übereinstimmung mit der Verkündigungssituation bei Mt zu bringen?

1.2 Sach 12,10

Bezüglich Sach 12,10 teilt die EÜ das Schicksal mit allen Gebrauchsbibeln, dass, um Lücken zu vermeiden, auch Passagen übersetzt werden müssen, die auf Grund des Zustandes des Textes nicht mit hinreichender Sicherheit übersetzt werden können. Seit der Antike wurden viele Korrekturen vorgeschlagen, Einvernehmen ist bis heute nicht erzielt. 10 Einerseits kann ein Text nur übersetzen, wer ihn verstanden hat, andererseits darf der Übersetzer sein Verständnis dem Text nicht gegen dessen Wortlaut aufzwingen.

In jüngerer Zeit mehren sich in wissenschaftlichen Kommentaren Versuche, den problematischen hebräischen Wortlaut exakt zu übersetzen. Und sie werden auf mich blicken im Bezug auf den, den sie durchbohrt haben. 11 Diese Übersetzungen nehmen ernst, dass man den durch אֵ֣ת eingeführten Relativsatz kaum als Apposition zu dem vorausgehenden enklitischen Personalpronomen deuten kann, da dieses mit der Präposition אֶל verbunden ist, und dass infolgedessen JHWH, der zum Aufblicken zu sich auffordert, mit dem Durchbohrten nicht identisch ist. Ob sich hinter diesem Durchbohrten eine messianische Gestalt verbirgt, ist dann eine weitere Frage. Schon die Vulgata aber überspielt die Differenz von אֶל und אֵ֣ת und übersetzt: et aspicient ad me quem confixerunt. Ihr folgen Luther 1545: Denn sie werden mich ansehen / welchen jene zustochen haben, Elb, ZB2007 und LU2017. Nach dieser Version ist es der redende JHWH selbst, den sie durchbohrt haben! Das vermeidet wiederum EÜ1980, die die lästige Präpositionalgruppe weglässt und so schlicht das auf den Gekreuzigten bezogene Zitat Joh 19,37 reproduziert: Und sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben. Da diese Präpositionalgruppe samt Pronomen in 1. Pers. sgl. jedoch durch LXX, die im Übrigen stark abweicht, und die Vulgata textkritisch solide bezeugt ist, behält die EÜ2016 sie zwar bei, bemüht sich aber dennoch um Nähe zu Joh 19,37. Wieder obsiegt die Befürchtung, ein vom Erfüllungszitat Joh 19,37 herkommender Bibelleser würde verunsichert, wenn er in Sach 12,10 nicht den Wortlaut genauestens wiederfände: Und sie werden auf mich blicken, auf ihn, den sie durchbohrt haben. Normalerweise führt man eine Konjektur ein, um einen klareren Sinn zu erzielen. Das leistet aber die Konjektur der EÜ2016 nicht. Bevor man jedoch zu rätseln beginnt, wie sich mich und ihn in dieser Formulierung syntaktisch und sachlich zueinander verhalten und inwiefern der hebräische Wortlaut eine solche Version gestattet, sollte man feststellen: Sach 12,10 in der EÜ2016 ist kein alttestamentlicher Satz, sondern er ist eine neuzeitliche Kombination aus der ersten Vershälfte nach dem hebräischen Text und der zweiten Vershälfte nach Joh 19,37. Das gibt die EÜ2016 durch ihre Anmerkung auch offen zu: „12,10 Und sie werden auf mich blicken: H, G, Vg. Die Übersetzung: Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben (vgl. Joh 19,37), verlangt eine Textkorrektur.“

2 Verschleierung des göttlichen Subjekts

2.1 Jes 53,10

Der Vers Jes 53,10 ist in seiner Aussage über JHWH und den Gottesknecht sehr schwierig und umstritten. Dennoch spricht Ulrich Berges von seinem Anfang, um den es im Folgenden geht, zu Recht als „dem theologisch zwar schwierigen, aber textkritisch problemlosen Versbeginn“. 12 Daher geben die Bibelübersetzungen seit der Vulgata (et Dominus voluit conterere eum) konstant den hebräischen Wortlaut wieder: JHWH aber hatte Gefallen daran/geplant, ihn zu zerschlagen. Vgl. LU1545 (Aber der HERR wollt jn also zuschlagen mit Kranckheit), LU1984, Elb, ZB2007, LU2017.

Die EÜ hat hier dagegen ein Alleinstellungsmerkmal. 1933 hatte Karl Elliger vorgeschlagen, die Vokalisierung des hebräischen Textes mit folgendem Ergebnis zu ändern: JHWH hat Gefallen an seinem Zerschlagenen. 13 Dieser Vorschlag minderte das theologische Problem, da nun JHWH nicht mehr explizit Subjekt des Zerschlagens war und man sogar eine heilvolle Zuwendung JHWHs zum Knecht ausgesagt finden konnte: „Trotz des entgegenstehenden Scheines der Vergangenheit hat JHWH Gefallen an seinem Zerschlagenen und führt ihn einer herrlichen Zukunft entgegen.“ 14 Dieser Vorschlag wurde mehrfach übernommen, u.a. von Claus Westermann, der darin ebenfalls JHWHs gütige Zuwendung zum Knecht nach dessen Tod ausgesagt fand. 15 Kurz nachdem Westermann seinen Kommentar geschrieben hatte, zog Elliger allerdings seinen Vorschlag mit überzeugenden philologischen Gründen wieder zurück, 16 und seitdem spielt er in der wissenschaftlichen Diskussion keine Rolle mehr. 17 Dennoch übernahm die EÜ1980 die Konjektur, wohl in der Deutung Westermanns: Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht). 2016 wäre eine günstige Gelegenheit gewesen, wieder zum Stand der Forschung aufzuschließen. Aber EÜ2016 genügte nicht einmal die Version von EÜ1980, vielmehr arbeitete sie auf dieser Basis weiter in dem Bemühen, bei den Lesern mögliche Irritationen über das Subjekt des Zerschlagens zu vermeiden. Sie identifizierte dieses Subjekt: nicht JHWH, sondern die Krankheit hat den Knecht zerschlagen, und entfernte sich zu diesem Zweck vom alttestamentlichen Wortlaut: Doch der Herr hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten. Hatte EÜ1980 mit Karl Elliger 1933 nur die Vokalisierung des hebräischen Textes verändert, ändert EÜ2016 auch den Konsonantentext, indem sie das Pronomen „sein“ an dem „Zermalmten“ (nach der üblichen syntaktischen Deutung das pronominale Objekt am Infinitiv) weglässt und so dessen Zermalmung noch weiter von JHWH fernrückt. Die Übersetzung von הֶֽחֱלִ֔י durch von Krankheit setzt eine gewagte Syntax, Umvokalisierung (entsprechend Vulg: in infirmitate) und Unterdrückung des dann notwendigerweise als Artikel zu deutenden Wortanfangs voraus. Der Sinn des Präsens hat Gefallen im Kontext bleibt dunkel. Eine Anmerkung gibt es in diesem Fall noch nicht einmal.

Die Wiedergabe von Jes 53,10ab durch EÜ2016 ist kein alttestamentlicher Satz, sondern eine moderne Konstruktion unter Verwendung und Veränderung alttestamentlicher lexikalischer Einheiten.

2.2 Num 23,19

In seinem zweiten Lied spricht Bileam einen Vers, der seit der Antike übereinstimmend übersetzt wird. Vulg: non est Deus quasi homo ut mentiatur nec ut filius hominis ut mutetur. Vgl. LU1545, Elb, ZB2007 (Nicht ein Mann ist Gott, dass er lügen, und nicht ein Mensch, dass er bereuen würde), LU2017. Die EÜ befürchtet anscheinend, dass zarte Seelen selbst dann Anstoß nehmen könnten, wenn Gott auch nur negativ als Subjekt von Lügen und Bereuen begegnete. Daher ändert sie die Konstruktion dahingehend, dass nun die Menschen Subjekt sind. EÜ1980 und EÜ2016: Gott ist kein Mensch, der lügt, kein Menschenkind, das etwas bereut. Allerdings deutet keine hebräische Grammatik an, dass man die hier vorliegende Konstruktion mit w + Präfixkonjugation als Relativsatz interpretieren dürfte.

3 Sonstige Angleichung an das Neue Testament:

Im Gegensatz zu Elb und ZB2007 zeigen die EÜ1980, EÜ2016 und LU2017 besonders konsequent die Tendenz, Pendenskonstruktionen in der Übersetzung nicht kenntlich zu machen, obgleich sie oft eine starke Hervorhebung des pendierenden Satzteils signalisieren. Überraschend findet sich in Gen 9,9 als Alleinstellungsmerkmal der EÜ2016 ein Widerhall neutestamentlicher christologischer εγω ειμι-Worte: Ich bin es. Siehe ich richte meinen Bund auf mit euch. Es handelt sich um ein pendierendes selbständiges Personalpronomen der 1. Pers. sg. vor einem wohlbekannten Satztyp für futurum instans. ZB2007: Ich aber, ich richte meinen Bund auf mit euch. Die gleiche syntaktische Konstellation in Gen 6,17 wird auf gleiche Weise übersetzt. EÜ2016: Ich bin es. Siehe, ich will die Flut, das Wasser über die Erde bringen. Es scheint somit kein Übersetzungsfehler, sondern absichtliche Gestaltung zu sein, da das Pendens beidemale ein göttliches Subjekt ist. 18 Elb richtig (ZB2007 ähnlich): Denn ich, siehe, ich bringe die Wasserflut über die Erde.

In Zusammenhang der Herausführung aus Ägypten sprechen Ex 13,18; 15,4; 15,22; Num 33,10.11; Jos 4,23; 24,6; Ri 11,16; Neh 9,9; Ps 106,7.9.22; 136,13 in der Formulierung des hebräischen Textes von יַם־ס֑וּף Schilfmeer, LXX und Vulgata sagen dafür konstant Rotes Meer, das nehmen Apg 7,36 und Hebr 11,29 auf. Schon LU1545, der den hebräischen Wortlaut durch Schilffmeer wiedergibt, bemerkt am Rand zu Ex 13,18: „Die Griechen heissen es das Rotemeeer / von dem roten sand und boden. Aber die Ebreer heissen es Schilffmeer / von dem Schilff.“ In seiner Folge übersetzen LU1984, Elb, EÜ1980, ZB2007 und LU2017 konstant Schilfmeer. EÜ2016 produziert hier wiederum ein Alleinstellungsmerkmal und sagt an allen Stellen Rotes Meer. Eine Anmerkung wurde nicht für notwendig gehalten, und im Register für Namen und Begriffe S. 1509 lautet der hinsichtlich dieser Übersetzungspraxis nicht gerade erhellende Eintrag: „Rotes Meer (hebr. jam suf, ‚Schilfmeer‘). Die Wiedererkennbarkeit vom NeuenTestament her gab auch hier wohl den Ausschlag.

Da auch Ri 11,16 einschlägig ist und damit ich als zuständiger Revisor davon betroffen bin, veranlasst mich dies zu folgender abschließenden Bemerkung. Als ich nach der Vorgabe, nur Fehler zu beseitigen, Ri 11,16 bearbeitete, gab es keinen Anlass zu einer Anmerkung, da die zu bearbeitende EÜ1980 ja völlig richtig Schilfmeer sagte. Von der Änderung in Rotes Meer wurde ich nicht informiert, konnte daher auch nicht kritisch dazu Stellung nehmen. Das ist ein harmloses Beispiel für das zu Beginn im Zitat aus Walter Kirchschläger Ausgeführte. Aber gerade die völlige Überflüssigkeit dieser Abwendung von TM, das Fehlen einer Anmerkung, die diese flächendeckende Änderung im Sinn von LXX und Neuem Testament gegen TM dokumentieren würde, und die Undurchsichtigkeit, wer wann ohne Kontakt zu den Revisoren diese Änderung dekretiert hat, verursachen eine Unsicherheit gegenüber der gesamten EÜ2016: An wieviel, theologisch u.U. bedeutsameren Stellen weicht die EÜ2016 von ihrem eigenen Prinzip, TM zu übersetzen, undokumentiert und unbegründet ab?

1

Walter Kirchschläger, Der schwierige Weg zur Übersetzungsrevision, in: BiKi 72 (2017) 105–111, 109f.

2

Dieses Wort bezeichnet nicht notwendig eine Jungfrau im biologischen Sinn. Vgl. Henry George Liddell/Robert Scott, A Greek-English Lexicon, Reprint der 9. Auflage, Oxford 1977. Sie geben als Bedeutungen u.a. an: „maiden, girl … 2. Of unmarried women who are not virgins“. Aus religionsgeschichtlichen Gründen ist allerdings zu vermuten, dass die LXX an eine Jungfrau dachte. Oder hatte der griechische Übersetzer die Jungfrau Tochter Zion (Jes 37,22) im Blick, die – als Bild für die Rückkehr der Exilierten – nach Jes 66,7 in einer wunderbaren ­Geburt einen Knaben, viele Kinder, eine Völkerschaft gebären wird? So Wolfgang Kraus/­Martin Karrer (Hrsg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament. Bd. II: Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 2521f.

3

Vgl. Walter Groß, Wer dominiert? Methodische Probleme mit neutestamentlichen Rezeptionen alttestamentlicher Texte: Wilfried Eisele u.a. (Hrsg.), Aneignung durch ­Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum (FS Michael Theobald) (HBS 74), Freiburg i.Br. 2013, 377–394.

4

Warum in diesem Fall nicht wörtlich übersetzt wurde, bleibt offen. Ist „nicht wörtlich“ als „frei nach Mt 1,23“ zu verstehen? Es handelt sich allerdings um einen der fett gedruckten Sätze, die wohl besonderen Schutz genossen, und um wörtliche Übereinstimmung mit LU1545.

5

Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe, Stuttgart 2016, 1453.

6

EÜ 2016 (s. Anm. 5) 1455.

7

Eine einleuchtende Weise, mit der Differenz zwischen hebräischem und griechischem Wortlaut bei neutestamentlichem Erfüllungszitat nach dem griechischen umzugehen, zeigt die Anmerkung der EÜ2016 zu Am 9,12. – Im übrigen Jesajabuch verfolgt die EÜ2016 allerdings auch die gegenläufige Tendenz, nahe am hebräischen Text zu bleiben, selbst wenn dadurch die christologische Deutung erschwert erscheint. Jes 9,1–3 ist im Hebräischen mit x-qatal vergangenheitlich formuliert. LXX wechselt (zum Imperativ und) und zum Futur. Seit Luther 1545 wählt man häufig das Präsens, weil diese Verbform durch ihre Polyvalenz eine zukünftige (messianische) Deutung erleichtert: so EÜ1980 (Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht), Elb und LU2017 (Jes 9,1 ist ein fett gedruckter Vers). EÜ2016 formuliert dagegen mit ZB2007 entsprechend TM vergangenheitlich: Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht. Freilich zitiert bereits Mt 4,16 diesen Text vergangenheitlich und gibt ihn auch Vulg so wieder, die, bzw. deren überarbeitete Fassung: Neovulgata, durch die römische Instruktion „Liturgiam authenticam“ N. 37 den Revisoren der EÜ u.a. als (allerdings selten beachtete) Richtschnur vorgegeben war. Daher konnte diese Übersetzung nicht beanstandet werden. In Jes 64,4 sagt das Volk zu JHWH: Du warst zornig und (daraufhin) haben wir gesündigt. Seit Luther 1545 wird dies korrigiert, da die Sünde nicht Folge, sondern nur Voraussetzung des Zornes JHWHs sein darf, und daher gegen die hebräische Syntax übersetzt: Sihe / Du zörnetest wol, da wir sündigeten; so auch Elb, EÜ1980 (Ja, du warst zornig; denn wir haben gegen dich gesündigt). Vgl. dazu Walter Groß, Jes 64,4: „Siehe, du hast gezürnt, und dann haben wir gesündigt“. Zu 2000 Jahren problematischer Rezeption zweier brisanter Sätze, in: R.G. Kratz u.a. (Hrsg.), Schriftauslegung in der Schrift (FS O.H. Steck) (BZAW 300), Berlin 2000, 163–173. ZB 2007, EÜ2016 (Siehe, du warst zornig und wir sündigten) und LU2017 (im Unterschied zu LU1984: Siehe, du zürntest, als wir von altersher gegen dich sündigten) widerstanden dieser Tendenz. Freilich hatten auch LXX und Vulg (ecce tu iratus es et peccavimus) den hebräischen Wortlaut getreu wiedergegeben.

8

Ob das Adjektiv הָרָה präsentisch aufgefasst ist oder ob das vorausgehende הִנֵּ֣ה die folgende Reihe von Adjektiv – Partizip – w=qatal zu einem zukünftigen Geschehen zusammenfasst, lässt sich syntaktisch nicht mit Sicherheit entscheiden. Geburt und Namensgebung sind in TM jedenfalls futurisch formuliert. Für zukünftige Schwangerschaft plädieren z.B. Eduard König, Historisch-kritisches Lehrgebäude der Hebräischen Sprache mit comparativer Berücksichtigung des Semitischen überhaupt, Zweite Hälfte 2. (Schluss-) Theil: Syntax, Leipzig 1897, 131 § 237 h und Willem A.M. Beuken, Jesaja 1–12 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2003: Siehe, die junge Frau wird schwanger werden und einen Sohn gebären. Hans Wildberger, Jesaja. I. Teilband: Jesaja 1–12 (BK X/1), Neukirchen-Vluyn 1972, übersetzt 264 präsentisch, merkt aber 267 an: „ob das pt. präsentisch oder futurisch zu übersetzen ist, läßt sich höchstens von der Gesamtauslegung des Abschnittes her entscheiden.“

9

EÜ2016 konstruiert folgende Aussage: Die Jungfrau hat empfangen, sie ist bereits schwanger, zur Zeit des Auftritts des Propheten gebiert sie ihren Sohn, und in Zukunft wird sie ihm den Namen Immanuel geben.

10

Die aktuelle Diskussion beschreiben Niko Bilić, Jerusalem an jenem Tag: Text und Botschaft von Sach 12–14 (fzb 117), Würzburg 2008, 329–355 und Bernd Biberger, Endgültiges Heil innerhalb von Geschichte und Gegenwart. Zukunftskonzeptionen in Ez 38–39, Joel 1–4 und Sach 12–14 (BBB 161), Bonn 2010, 282f.

11

Henning Graf Reventlow, Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi. Übersetzt und erklärt (ATD 25,2), Göttingen 1993. So auch André Lacocque, Zacharie 9–14 (CATXIc), Neuchatel – Paris 1981: et ils tourneront les yieux vers moi au sujet de celui qu’ils ont percé. Carol L. Meyers/Eric M. Meyers, Zechariah 9–14. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 25 C), New York 1993: They will look to me concerning the one they have stabbed. Eine andere, gleichermaßen wahrscheinliche syntaktische Deutung, die ebenfalls alle Elemente des hebräischen Textes wiedergibt, vertritt Wilhelm Rudolph, Haggai – Sacharja 1–8 – Sacharja 9–14 – Maleachi (KAT 13,4), Gütersloh 1976. Er fasst den Relativsatz als Pendens zum folgenden auf; er konjiziert zwar ein „und“, dies ist aber unnötig: Und sie werden zu mir emporblicken <und>, was den betrifft, den sie durchbohrt haben, über ihn klagen.

12

Ulrich Berges, Jes 49–54. Übersetzt und ausgelegt (HThKAT), Freiburg i. Br 2015, 215. Er übersetzt 213: JHWH aber hatte es gefallen, ihn zu zermalmen, ließ erkranken.

13

Karl Elliger, Die Ebed-Jahwe-Lieder in ihrem Verhältnis zu Deutero- und Tritojesaja, in: Ders., Deuterojesaja in seinem Verhältnis zu Tritojesaja (BWANT 63), Stuttgart 1933, 6–102, 7.

14

K. Elliger, Ebed-Jahwe-Lieder (s. Anm. 13) 7.

15

Claus Westermann, Das Buch Jesaja Kap. 40–66. Übersetzt und erklärt (ATD 19), Göttingen 1966, 215.

16

Karl Elliger, Jes 5310: alte crux – neuer Vorschlag, in: MIOF 15 (1969) 228–233. S. 230: „Die Versionen fassen ohne Ausnahme דכאו als Infinitiv; und sie haben höchstwahrscheinlich recht, wenn man die Konstruktion des Satzes beachtet.“

17

Vgl. Jan L. Koole, Isaiah 49–55 (Isaiah III Vol 2) (Historical Commentary on the Old Testament), Löwen 1988,318–320; U. Berges, Jes 49–54 (s. Anm. 12) 215.267; Hans-Jürgen Hermisson, Deuterojesaja 3. Teilband: Jesaja 49,14 – 53,13 (BKXI/3), Göttingen 2017, 329.395f.

18

In Gen 31,16 hat EÜ2016 die Pendenskonstruktion nicht nur richtig gedeutet, sondern ­ausnahmsweise auch als solche übersetzt: Ja, der ganze Reichtum, den Gott unserem Vater entrissen hat – uns gehört er. Ebenso Gen 37,30: Und ich, wohin soll ich nun gehen? Vgl. auch mit göttlichem Subjekt: Ex 14,17: Ich aber will das Herz der Ägypter verhärten.

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